Georg Schweinfurth
Im Herzen von Afrika
Georg Schweinfurth

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7. Ein dem Untergang geweihtes Volk.

Ich versuche die Schilderung eines kleinen, sichtlich dem Untergang geweihten Volkes, das infolge seiner ausgeprägten Eigenart in Erscheinung, Sprache und Sitten als ein Vertreter echt afrikanischer Volksart angesehen werden kann. Halb der Vergangenheit angehörig, ohne Staat und Geschichte, ohne irgendwelche Überlieferung verliert sich sein Dasein spurlos in der Geschichte.

Im Südwesten vom Becken des Gazellenflusses zwischen dem 6. und 8. Grad nördlicher Breite liegen die Wohnsitze dieses Volkes, der Bongo, ein Land, das an Flächenraum Belgien gleichkommt, aber kaum vier Köpfe auf den Quadratkilometer zählt. Als Anfang der fünfziger Jahre die ersten Chartumer das Land betraten, fanden sie es in eine Anzahl unabhängiger Gemeinden geteilt. Den rohen Söldnerbanden wurde es daher leicht, sich zu Herren aufzuwerfen und in wenigen Jahren das ganze Gebiet unter wenige Elfenbeinhändler zu verteilen. Zur bessern Beaufsichtigung und Ausbeutung werden die Einwohner um die Seriben herum angesiedelt. Kaum der Hälfte gelang es, sich durch Massenauswanderung der Sklaverei zu entziehen. Viele Tausende von Knaben und Mädchen werden nach entlegenen Ländern geführt; wie übermütige Paviane im Getreidefeld hausten die Nubier. Die Bevölkerung hat sich um mindestens zwei Drittel verringert; ich habe sie auf höchstens 100 000 Köpfe berechnen können auf etwa 30 000 Quadratkilometern.

Die Hautfarbe der Bongo entspricht der rotbraunen Erde, auf der sie leben. Ein gedrungener Bau der Gliedmaßen bei meist mittlerer Größe, ein scharf ausgeprägtes Muskelgefüge, vor allem aber das Überwiegen der Länge des Oberkörpers, verbunden mit einer breiten Schädelbildung, sind die hauptsächlichsten Rassenmerkmale. Sie haben, wie fast alle Neger, kohlschwarzes Haar. Das krause Wollhaar wird nicht lang. Bartwuchs findet sich nur sehr vereinzelt.

Die Bongo sind ein Volk von Ackerbauern. Mit großem Eifer liegen Männer und Weiber der Bestellung ihrer Felder ob. Die meiste Sorgfalt verwenden sie auf den Anbau den Sorghum. Eßbare Pilze bringt das Land während der Regenzeit in großer Mannigfaltigkeit hervor. Exemplare einer riesigen Art können bis zu einem halben Zentner schwer werden. Fruchtbäume werden beim Ausroden der Buschwaldungen geschont. Diesem Umstand verdanken die sonst eintönigen Anbauflächen ihren herrlichen Schmuck. Bei Erschöpfung der Kornvorräte bieten den Bongo wilde Erdknollen ihre hauptsächliche Nahrung. Meine 30 Bongo, die mich auf dem Rückmarsch nach Norden begleiteten, fristeten volle sechs Tage ausschließlich von solchen Knollen ihr Leben; trotzdem blieben sie kräftig, lustig und guter Dinge. Ein unentbehrliches Reizmittel ist ihnen der Tabak, der überall angebaut wird. Ihre Leidenschaft im Rauchen geht häufig soweit, daß ihnen nur eine sinnlose Betäubung Genuß zu verschaffen scheint. Die gemeinschaftliche Pfeife geht von Hand zu Hand, der Bastknäuel aber, der die scharfen Öle auffangen soll, wird nicht in die Pfeife, sondern einfach in den Mund gesteckt und wandert so von einem zum andern. Sie kauen auch leidenschaftlich Tabak, den sie mit Asche vermischen.

Ihre Haustiere sind Hühner, Hunde und Ziegen; Schafe fehlen ebenso wie Rinder. Besonders nach Beendigung der Regenzeit bieten Jagd und Fischfang eine reiche Quelle von Nahrung. Die Elefantenjagd gehört jedoch seit Ende der fünfziger Jahre ins Reich der Sage. Die Jagd im kleinen ist Lieblingsbeschäftigung der Kinder, die mit größtem Eifer Ratten und Feldmäuse fangen. Fleisch jeder Art erscheint dem Bongo eßbar, mit Ausnahme von Hunde- und Menschenfleisch. Die verwesenden Reste von Löwenmahlzeiten sind ihnen eine stets willkommene Beute. So oft ich Rinder schlachten ließ, sah ich die Träger gierig sich um den halbverdauten Mageninhalt streiten; selbst die abscheulichen Würmer, die die Magenwände der Rinder in diesen Gegenden förmlich auszukleiden pflegen, führten sie handvollweise zu Munde. Alles was da kreucht und fleucht, wurde als Gegenstand der Jagd betrachtet, von Ratten und Mäusen bis zur Schlange, vom Aasgeier bis zur Hyäne im immer räudigen Pelz, von fetten Riesenskorpionen bis zu den Raupen und geflügelten Termiten.

Als die Chartumer Besitz ergriffen, bewohnten die Bongo von hohen Pfahlumzäunungen eingefriedigte Dörfer. Gegenwärtig leben selten mehr als fünf bis sechs Familien nebeneinander. Die Häuser sind ausnahmslos in Kegelform errichtet, selten über sechs Meter im Durchmesser und ebensoviel in der Höhe. Das Eingangsloch gestattet nur kriechend den Zugang. Zu jeder Wohnstätte gehört ein Kornspeicher in ganz ähnlicher Kegelform, von Pfählen getragen. Die Spitze des Kegeldachs trägt stets ein Strohpolster, das als Sitz dient, um eine Übersicht über die hohen Kornfelder zu gestatten. Dieser Sitz ist von geschweiften Hölzern umgeben, die wie Hörner die Dachspitze krönen.

Bongodorf mit Butterbaum

Mit besonderer Vorliebe bevorzugen die Bongo zur Ansiedlung solche Plätze, an denen eine mächtige Baumkrone ein natürliches Sonnendach bietet. In deren Schutz werden die Verrichtungen vorgenommen, zu denen der bescheidene Raum der Hütten nicht ausreicht. Der Butterbaum der nebenstehenden Abbildung sieht in der allgemeinen Form unserer Eiche recht ähnlich. Er ist im tropischen Afrika weitverbreitet; seine Fruchtkerne gleichen täuschend der Roßkastanie. Die Fruchthülle liefert ein vorzügliches Obst, aus dem Kern wird ein Öl gewonnen, das schon bei 25 Grad Wärme fest wird.

Auf einem an Eisen überreichen Boden widmen sich die Bongo vor allem der Gewinnung und Bearbeitung dieses Metalls. Sie legen ein bewundernswertes Geschick an den Tag und übertreffen in dieser Kunst noch die Djur. Mit ihrem rohen Blasbalg, dem Steinhammer, einem kleinen Meißel oder Stemmeisen und der Zange aus einfach gespaltenem grünem Holz bringen sie Erzeugnisse hervor, die Sachkenner mit der Arbeit eines europäischen Landschmiedes verglichen haben.

Das Eisengeld der Bongo (Spaten und Lanzenspitze)

Nach beendigter Ernte werden die Eisenschmelzen in Betrieb gesetzt. Die Bongo haben einen kunstvolleren Schmelzapparat ersonnen als die Djur. Die wichtigsten Arbeiten sind für den Handel bestimmt, es sind Lanzenspitzen und Spaten, der einzige Ersatz für gemünztes Geld, den Zentralafrika kennt. Unter dem Namen Melot hat der Spaten im Handel des obern Nilgebiets eine weite Verbreitung. Außer diesen rohen Gebilden verfertigen die Schmiede auch Waffen, Geräte und Schmuck von vollendeter Güte und die für den Sklavenhandel erforderlichen Fesseln und Handschellen. Nicht geringere Sorgfalt verlangt die Herstellung der eisernen, und kupfernen Zierate, die bei den Frauen im Gebrauch sind. Der stolzeste Schmuck der Männer ist der »Danga-Bor«, d. h. »Ringe nebeneinander«, der eiserne Ringpanzer für den Unterarm.

Danga-Bor, Armpanzer der Bongo, und ein Ring daraus

In zweiter Linie steht die Holzschnitzerei. Die zierlichsten Gebilde sind kleine vierfüßige, stets aus einem Stück geschnitzte Sessel oder Schemelbänkchen, die in keinem Haushalt fehlen dürfen. Die Frauen trifft man fast immer auf ihnen sitzend vor den Hütten an, der Mann verschmäht in der Regel jeden erhöhten Sitz. Andere Gegenstände sind Keulen, Mulden zum Ölpressen, becherförmige zierliche Mörser, in denen das Korn zerstampft wird. Sehr geschickt wissen sie aus Horn Löffel zu schnitzen, die sich auf jedem Markt in Europa sehen lassen könnten. Früher fanden sich in den Dörfern häufig ganze Reihen roh aus Holz geschnitzter Figuren, die am Eingang der Pfahlumzäunung oder bei den Hütten des Njere, des Dorfältesten, aufgestellt waren, um das Andenken an hervorragende Persönlichkeiten aus der Gemeinde zu verewigen. Das Bild der Frau stellt der überlebende Gatte pietätvoll in seiner Hütte auf. Der Bongo findet die Ähnlichkeit mit dem Original täuschend.

In einem Orte im westlichen Bongoland fand ich die wohlerhaltenen Reste des Grabschmuckes des Stammesältesten Janga. In Lebensgröße standen da die rohen Holzfiguren; sie stellten den Janga dar mit seinen Weibern und Kindern, in einer Prozession, die vom Grabe auszugehen schien.

Grabmal des Stammesältesten Janga

Die naive Auffassung der individuellen Merkmale und ihre rohe Wiedergabe durch den Künstler ist aus meiner obenstehenden Zeichnung ersichtlich, die ein treues Abbild der ersten Versuche des Naturmenschen in der bildenden Kunst ist.

Alle Bongo sind leidenschaftliche Musiker. Sie verfertigen sich kleine Flöten und stellen auch eine Art Monochord her, einen kleinen Bambusbogen, dessen Sehne mit einer feinen Gerte geschlagen wird; als Resonanzboden dient die Mundhöhle, vor die das eine Ende des Bogens gehalten wird. Bei ihren Festen vollbringt das Orchester eine vollendete Katzenmusik. Unermüdliche Schläge der Pauken, Blasen auf Riesenhörnern aus ganzen Baumstämmen und auf kleinen Hörnern bilden den Grundton des meilenweit erschallenden Höllenlärms, während Hunderte von Frauen und Kindern die mit kleinen Steinchen gefüllten Flaschenkürbisse schütteln oder mit Stöcken und dürrem Reisig aufeinanderschlagen. Die Gesänge bestehen in einem plappernden Rezitativ, das halb an Hundejammer, halb an Kuhgebrüll erinnert. Solche Orgien machten auf mich immer den Eindruck, als sollten sie das entfesselte Treiben der Elemente verherrlichen.

Bongoorchester

Auf verhältnismäßig unentwickelter Stufe steht die Korbflechterei. Fischnetze, Wildgarn erfordern einen ungewöhnlichen Aufwand an Fleiß und Mühe. Die Töpferei wird nur von Frauen besorgt, die vor den schwierigsten Aufgaben nicht zurückschrecken. Die großen Wasserkrüge haben bis einen Meter im Durchmesser. Besonderer Fleiß wird auf die Herstellung tönerner Pfeifenköpfe verwendet. Nicht selten sieht man solche ganz nach europäischer Art in Gestalt eines menschlichen Kopfes geschnitten; derartige Stücke werden als Meisterwerke geschätzt und sind um keinen Preis zu erstehen.

Gemeinsam ist auch hier beiden Geschlechtern die Unsitte, sich die untern Schneidezähne auszubrechen. Die Männer tragen stets einen Schurz von Fell, oder sie befestigen einen Zeugfetzen an der nie fehlenden Lendenschnur. Das weibliche Geschlecht dagegen verzichtet hartnäckig auf Felle, Häute und Zeug; ein dichtbelaubter Zweig, auch wohl ein Bündel der feinsten Gräser, wird hinten und vorn an der Lendenschnur als Schurz befestigt. Das Haar wird bei Männern und Frauen in der Regel ganz kurz gehalten. Alle völlig ausgewachsenen Weiber erreichen einen hohen Grad von Wohlbeleibtheit. Ihre Schenkel haben nicht selten die Stärke des Brustumfangs schlanker Männer. Die Silhouette eines würdevoll einherschreitenden Bongoweibes erinnert an die Gestalt eines tanzenden Pavians. Ein Körpergewicht von drei Zentnern gehört durchaus nicht zu den Seltenheiten!

Bei wenigen Völkern Zentralafrikas ist der Gebrauch der verschiedenartigsten Zierate so allgemein. Sobald das Weib verheiratet ist, beginnt man die durchlöcherte Unterlippe mit einem eingesteckten Holzpflock zu erweitern, so daß sie schließlich das Fünf – und Sechsfache des gewöhnlichen Umfangs erreicht und weit über die Oberlippe hinausragt. In die Oberlippe wird ein kupferner Nagel gesteckt. Auch die Nase bleibt nicht frei. Kupferringe werden durch die Nasenscheidewand gezogen. Zum Überfluß fügen sie kupferne Klammern in die Mundwinkel ein. In sehr seltenen Fällen sind alle diese Zierate vereinigt, nur der Pflock in der Unterlippe ist unentbehrlich und dient als Stammesmerkmal. Die Tätowierung ist meist auf den Oberarm beschränkt. Bei den Männern kann sie sehr verschieden sein, bei vielen fehlt sie ganz. Den Schmuck einer Bongodame vervollständigen Ringe von Kupfer oder Eisen, am liebsten an den Fußknöcheln, wo sie gewöhnlich mehrfach übereinandergereiht sind.

Die Waffen beschränken sich auf Lanze, Pfeil und Bogen. Schilde finden sich nur ausnahmsweise. Bogen und Pfeil führen sie mit bewundernswerter Geschicklichkeit.

Für eine Frau hat selbst der Ärmste dem Vater einen Haufen Eisenplatten als Kaufgeld zu entrichten, mehr als drei Frauen sind nicht üblich. Selten hat eine Bongofrau weniger als fünf Kinder. Kinderlosigkeit ist für den Mann immer ein Grund zur Scheidung. Bei Ehebruch sucht der Mann den Verführer zu töten, das Weib kommt mit Prügeln davon. Kinder, die nicht mehr gesäugt werden, dürfen nicht in der Hütte der Eltern schlafen, die größeren erhalten eine eigene Hütte. Die Bongo beschämen in diesem Punkt einen großen Teil der Bewohner Europas.

Der Tote wird unmittelbar nach dem Ende mit angezogenen Knien in kauernde Stellung gebracht, in einen Sack gehüllt und in das sehr tiefe Grab gesetzt, Männer mit dem Gesicht nach Norden, Frauen nach Süden. Über dem Grab errichtet man einen hohen Steinhügel, mitten darauf wird ein Wasserkrug gestellt. Stets bezeichnet man die dicht neben der Wohnhütte gelegene Stätte durch hohe Holzpfähle, die mit vielen Kerben verziert sind. Niemand wußte mir eine ausreichende Deutung für diese Pfähle zu geben.

Ein religiöser Kultus in unserm Sinn fehlt den Bongo. Bemerkenswert ist ihre Furcht vor bösen Geistern, deren Sitz allgemein in das nächtliche Dunkel des Waldes verlegt wird. Gute Geister sind ihnen unbekannt. Im Verdacht, sich mit bösen Geistern in Verkehr setzen zu können, stehen alle alten Leute, besonders die Weiber. Alte, in deren Besitz sich verdächtige Hölzer und Wurzeln finden, werden unfehlbar erschlagen, selbst wenn es Vater oder Mutter beträfe. Der echte, unverfälschte Hexenglaube ist im Bongoland verbreiteter als irgendwo in der Welt, und Hexenverfolgungen waren an der Tagesordnung. Bejahrte Leute gehören zu den größten Seltenheiten. Der Ghattassche Verwalter Idris prahlte, er allein habe an einem einzigen Tag sechs Hexen abschlachten lassen.

Die Heilmethode ist höchst einfacher Art. Innere Krankheiten werden nur mit Übergießen von sehr heißem Wasser behandelt. Geschickter sind die Bongo in der Behandlung von Wunden. Krüppel und Mißgeburten waren nirgends anzutreffen, nur Zwerggestalten finden sich hin und wieder. Verrückte werden gefesselt und in den Fluß geworfen und von gewandten Schwimmern tüchtig untergetaucht. Rasende werden eingesperrt und gefüttert; im allgemeinen ist ihr Los weit glücklicher als dasjenige, das des unverschuldeten Alters harrt.

Wichtig ist die Frage der Zugehörigkeit der Bongo gerade mit Rücksicht auf die beispiellose Mischung der Völker in Afrika. Man muß annehmen, daß es die Stämme am Tschadsee sind, zu denen die Bongo die meiste Verwandtschaft haben, aber es ist schwer, in dem Wirrsal des afrikanischen Völkerbaus den leitenden Faden herauszufinden. Ein gemeinsamer Zug läßt sich nicht leugnen, der durch das große Afrika geht und hoch erhaben über der Fülle der Einzelheiten thront: die menschliche Einheit des weitaus größten Teils seiner Bewohner. Bald wird das Bongovölklein für immer vergessen sein, und neue Bildungen werden an seine Stelle treten.


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