Georg Schweinfurth
Im Herzen von Afrika
Georg Schweinfurth

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10. Tod dem Blattfresser.

Von der Reise durch das Mittuland nach Ssabbi zurückgekehrt, erledigte ich in zwei Wochen die letzten Vorbereitungen für den Weitermarsch. In Gegenden, wo es kein anderes Transportmittel gibt als die Köpfe der Eingeborenen, verfügte ich allein zur Fortschaffung meiner naturwissenschaftlichen Sammlungen über vierzig auserlesene Träger. Ich verdankte diesen Vorteil meinem Freunde Mohammed Abd-es-Ssammat, diesem merkwürdigen Afrikaner, der seine »Bande« mit meisterhaftem Geschick behandelte, bald gemütlich und freigebig, bald rücksichtslos wie ein kleiner Tyrann, sobald er seiner Sache sicher war.

Es war eine buntscheckige Gesellschaft, die am 29. Januar 1870 von Ssabbi aufbrach, bald in, getrennten Abteilungen – auch Leute des Ghattas hatten sich auf Grund einer besonderen Abmachung dem Zuge angeschlossen –, bald vereinigt. Im ganzen waren es etwa 1000 Köpfe, Bewaffnete, Träger, ein Korps von Weibern und Sklavinnen, viele Knaben als Gewehrträger, alle begleitet von einer Rinderherde, die die Ghattassche Gesellschaft aus dem Dinkalande geraubt hatte. Ein unendlicher Zug, der sich oft über mehr als sieben Kilometer ausdehnte, schlängelte sich im Gänsemarsch durch Steppe und prachtvolle Parklandschaft, durch menschenleere Grenzwildnisse zwischen feindlichen Stämmen. Schon vor Überschreitung der Wasserscheide zwischen Nil und Uelle ändert sich wieder einmal die Pflanzenwelt. In wunderbarer Einfachheit gliederten sich auf meiner über 26 Breitengrade sich erstreckenden Reise die Gebiete der Pflanzenverteilung je nach der geographischen Zone und den meteorologischen Verhältnissen. Zuerst 1500 Kilometer trostlose Wüste; dann sah der Wanderer sie schrittweise übergehen in die weiten, baumlosen, aber mit ununterbrochenem Graswuchs bekleideten Steppen. Aus diesen gelangte er in die lieblichen Gefilde des Buschwaldes, wo die Gewächse sich des kummervollen Dornschmuckes der Wüste entkleideten und ihn wieder das weiche Laub der Heimat umfing. Jetzt erst betrat er dasjenige, was man mit Fug und Recht Urwald nennen konnte. Mit prachtvollen Walddickichte am Bach bei Kulenscho beschäftigten mich den ganzen Tag. Zum erstenmal erschlossen sie den vollen Zauber dieser Pflanzenwelt, die von der Flora der bisher durchforsteten Nilgebiete so ganz verschieden war.

In einer großen Seriba Mohammeds, der Seriba Ssurrur, 167 Kilometer südlich von Sfabbi, unter 4 Grad 50 Minuten nördlicher Breite, blieb ich einen halben Monat, vom 10. bis 26. Februar 1870. Hier, bereits unter den Niamniam, über die ich noch eingehend zu berichten habe, hatte Mohammed einen ehemaligen Landsknecht aus fürstlichem Geblüt als Häuptling über das gewaltsam gewonnene Gebiet eingesetzt. Er besaß solcher Landsknechte viele, die aus dem Niamniamland stammten und eine Hauptstütze seiner Macht bildeten. Unterstützt durch eine Streitkraft, die aus 40 bis 50 mit Flinten bewaffneten Nubiern bestand, beherrschte Ssurrur das gut bevölkerte, 2400 Quadratkilometer umfassende Gebiet. Das Verhältnis der Niamniam zu ihrem Beherrscher war überall ein bei weitem minder knechtisches als bei den Mittu und Bongo.

Größere Zwischenfälle ereigneten sich nicht. Die Bevölkerung zeigte sich friedlich, und Mohammeds Trägerkarawane hatte in einem halben Jahr nur zwei Tote aufzuweisen. Einer starb an einer Magenüberladung, den andern hatte ein Löwe vom nächtlichen Wachtfeuer weggeholt.

Bedenklich wurde die Lage, als man in das Gebiet des Häuptlings Uando kam. Er hatte angeblich gedroht, diesmal sollte ihm Mohammed nicht entgehen, er wolle ihn vernichten mit allen seinen Leuten; auch der »Blattfresser« – der Mbarik-päh, wie man mich wegen meiner botanischen Sammlungen zu nennen pflegte – müsse das Schicksal Mohammeds teilen. Aber Uando überlegte sich die Sache schließlich und ließ durch Boten mit versöhnenden Bierkrügen seine friedlichen Absichten aussprechen. Bei unserer Rückreise hat er dann das Versäumte nachgeholt.

Der kritische Punkt lag glücklich hinter der Karawane, die von da ab in zwei Abteilungen, Mohammed und Ghattas, marschieren konnte. Kurz darauf, am 2. März 1870, kam ich an eine Linie von der größten Bedeutung. Als der erste von Norden kommende Europäer überschritt ich die südliche Wasserscheide des Nil. An dem denkwürdigen Tag, an dem ich den Linduku verließ, den letzten von mir passierten Nilzufluß, hatte ich freilich keine Ahnung von der Bedeutung der Scholle Landes, auf der meine Füße weilten. Klar wurde mir die Wasserscheide erst, als ich mir aus den Angaben der Niamniam Aufklärung verschaffte über die Zugehörigkeit des folgenden Flusses, des Mbruole, zum System des Uelle. Südwärts vom Linduku ging es bergauf, bergab durch tiefe Einschnitte, während zu beiden Seiten kleine Hügelkuppen auftauchten, die die welligen Bodenfalten beträchtlich überragten.

Die Meereshöhe der eigentlichen Wasserscheide schätzte ich auf etwa 1000 Meter. Wir waren bei den vielfachen Störungen und Abweichungen, die die Geländeverhältnisse der Wasserscheide mit sich brachten, vom Linduku aus noch kaum sieben Kilometer vorgedrungen, als wir schon die Ufer eines Nebenflusses des Uelle, des Mbruole, erreichten. Dieser floß, von breiten Waldsäumen umgürtet, in einer wenig eingesenkten Niederung dahin, 25 Meter breit bei zweidrittel Meter Wassertiefe, mit ziemlich langsamer Strömung. An dieser Stelle war im vergangenen Jahr ein Schimpanse erlegt worden. Für die Wasserscheide war diese Tatsache von besonderm Interesse, denn in allen nördlich von hier gelegenen Uferwaldungen hatte ich nirgends den Nachweis erhalten, daß man dieser Menschenaffen ansichtig geworden wäre; der erste nicht mehr zum Nilsystem gehörige Fluß sollte nun erst Kunde von ihrem Vorkommen geben.

Nach einstündigem Marsch durch offene Steppe gelangten wir an eine große wasserreiche Niederung. Es war ein breiter Sumpfstreifen. Eine Pflanzenerscheinung neuer Art waren massige Dickichte von Pandanus, einer in den tropischen Florenbereichen der Alten Welt tonangebenden Charakterpflanze. Hier war der erste sichtbare Fingerzeig für das Betreten eines neuen Stromgebiets. Jetzt erst begannen die ernstlichen Schwierigkeiten afrikanischer Fußwanderung. Da lagen modernde Baumstämme, die beim Betreten sich tückisch drehten, andere waren glatt und boten dem Fuß keinen Halt, dann kamen tiefe, von Wasser erfüllte Löcher, oder von schwimmenden Pflanzen verräterisch überdeckte Fallgruben. Da gab es ein Springen von Erdklumpen zu Erdklumpen, wobei man balancieren und tasten mußte. Vergebens sah sich die Hand nach Hilfe um, die langen Pandanusblätter mit ihrem Sägezahnrand wiesen jeden Händedruck zurück. Des Schimpfens und Fluchens der Nubier, des Gepolters der Sklavinnen mit ihren Schüsseln, Kürbisschalen und Kalebassen im Gedränge in den stachligen Dickichten war kein Ende. Lustiges Hallo aus hundert Kehlen galt immer einer Sklavin, die mit ihrem ganzen Küchenkram in einer Lache verschwunden war, während die Kürbisschalen auf der trüben Flut schwammen. Ich war natürlich in beständiger Sorge um das Gepäck. Meine Bongoträger waren aber erprobte Männer und erfahren in dem Durchwaten solcher Sümpfe; keiner von ihnen kam zu Fall. Nach vollbrachtem Waten im Sumpf machte sich eine Reinigung notwendig von dem schwarzen Schlamm und Humusmoder, der zäh am Körper haftete. Fröstelnd stand der weiße Mann im Wind, bis hilfreiche Geister reines Wasser zum Abspülen entdeckt hatten. Dann fiel der Blick auf die dicken Blutegel, die an den Beinen hingen; mit Pulver aus dem Pulverhorn mußte man sie bestreuen, um sie zum Abfallen zu bringen, und die Kleider tränkten sich mit Blut.


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