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Der Weg führte wiederholt über ansehnliche Zuflüsse des Nil und durch Landschaften von malerischer Schönheit. Entzückend war vor allem die Seriba Mwolo der östlichste Punkt meiner Rundreise. Keine andere Gegend trug ein so eigenartiges Gepräge. Soweit das Auge reichte, war die Fläche mit riesigen Steinblöcken abenteuerlichster Gestalt, vereinzelten Gebüschgruppen und Bäumen und dazwischen mit freien Grasflächen bedeckt. Die reiche Farbenpracht der Landschaft prangte im bunten Laubschmuck des Herbstes. Aus den Baumgruppen schossen zierliche Fächerpalmen hervor, und jeder Felsblock, von Schlinggewächsen aller Art umfangen, lud zum Zeichnen ein. Die Seriba selbst, ein fürchterlich verworrener Pfahlbau, war einzig in ihrer Art. Die dichtgedrängte Masse der Hütten lehnte sich an haushohe Granitblöcke an, zwischen denen die stolzen Säulen der Fächerpalmen sich erhoben. Die kegelförmigen Hütten waren auf mit Ton bestrichene Gerüste gestellt, wie Papiertüten auf einen Tisch; davor der große Viehhof mit Hunderten von Rindern. Unter den Sonnendächern saßen die Viehhüter vom Dinkastamm um glühende Dunghaufen geschart; wonnig lagen sie in der weichen Asche und sogen mit Behagen den ihnen so lieben Duft ein.
Zu dem fremdartigen Wesen der Umgebung stimmte nicht nur der merkwürdige Baustil der Seriba, auch die vierfüßigen Bewohner der Gneisfelsen, die auf meiner Zeichnung rechts im Vordergrund erschienen, waren Sonderlinge ersten Rangs. Klippschliefer trieben dort ihr Wesen und konnten, sobald es dunkelte oder am frühen Morgen, bequem beobachtet werden. Wie Murmeltiere sitzen sie am Eingang ihrer Schlupfwinkel, in die sie sich bei nahender Gefahr grunzend und schnalzend zurückziehen.
Eine halbe Stunde im Nordosten zwängt sich der Rohlfluß durch ein Bett wild übereinandergewürfelter Granitblöcke und gliedert sich in drei Arme. Die zwei größern Inseln sind mit dichtem Buschwald bestanden. Ein bezauberndes Vegetationsbild boten die Fächerpalmenhaine, die die Ufer beschatteten. Der nördliche Arm bildet einen jähen Sturz von 15 Metern, wildschäumend wirft er sich in die Höhlung der Felsblöcke, die von moosartigem Polster überzogen sind. Der gesamte Fall innerhalb der Stromschnellen beträgt mindestens 30 Meter. Weiter oberhalb fließt der Rohl wieder in regelmäßigem Bett von 30 Meter Breite. Zwischen den Blöcken, die so glatt und rein waren wie Marmorbänke, befanden sich Becken mit kristallhellem Wasser. Hohe Fächerpalmen und dichtes Gebüsch verbreiteten kühlen Schatten; es war ein Ort, geweiht den Nymphen des Waldes und der Quelle.
Die Seriba Kuraggera, wie der Ort nach dem Dorfältesten genannt wurde, war der südlichste Punkt meiner Rundreise. Hier traf ich mit meinem Beschützer Mohammed Abd-es-Ssammat zusammen, der sich bei dieser Gelegenheit von einer neuen überraschenden Seite zeigte. Er bestimmte einen ganzen Tag zu Festlichkeiten in großartigem Stil. Seine Völker, in Gruppen von je 500 Mann nach den Stämmen abgesondert, sollten Kriegstänze zum besten geben, würdig ihres Gebieters. Er selbst war überall mitten unter ihnen. Seine Lustigkeit ging soweit, daß er sich selbst wie ein »Wilder« ausputzte, wozu sich kein anderer Nubier verstanden hätte. Bald war er mit Lanze und Schild, bald mit Pfeil und Bogen in der Hand unermüdlich bis zum Abend als Vortänzer der einzelnen Gruppen tätig. So war er ein echter Njere-Goio, ein Festordner. Hier tanzte er als Bongo, dort als Mittu; bald erschien er als Niamniam aufgeputzt im bunten Fellschurz, bald ahmte er den Mangbattu nach, denn überall war er zu Hause, und die nötigen Kostüme waren leicht beschafft. Unter den Bongo von Ssabbi gab es mehrere; die für theatralische Darstellungen ein besonderes Geschick an den Tag legten. Zum Ergötzen der umstehenden Nubier veranschaulichten sie die Szene, wie Abd-es-Ssammat einen Gegner überfallen und geprügelt hatte. Dazwischen ertönte ein unaufhörliches Knallen bei Gewehre, und die Donnerbüchsen, die handvollweise mit Pulver geladen wurden, umhüllten für einige Minuten die Gruppen der Tanzenden mit dichten Rauchwolken. Der Lärm und Staub, der den ganzen Tag über währte, ermüdete mich mehr als der stärkste Tagesmarsch.
Am nächsten Tag rief Mohammed die neuunterworfenen Häuptlinge der Madi zusammen, um ihnen ihre Obliegenheiten einzuschärfen. Ich war Zeuge dieser charakteristischen Szene, und da der Dolmetscher in sehr umständlicher Weise Satz für Satz den Negerhäuptlingen übertrug, so entging mir kein Wort. Mohammed begann mit schrecklichen Drohungen und Flüchen; dann malte er mit den grellsten Farben die fürchterlichsten Strafen aus, die ihrer harrten, falls sie ihm ungehorsam werden sollten. Auf der andern Seite brüstete er sich mit seiner Großmut.
»Seht,« so sprach er, »eure Weiber und Kinder will ich nicht, euer Korn nehme ich nicht, aber ihr müßt für die Fortschaffung meiner Vorräte Sorge tragen, damit die Leute in der Seriba nicht verhungern. Du, Kuraggera, gehst jetzt in die Dörfer und rufst die Männer und Jünglinge zusammen, die Weiber und Jungfrauen, die Wasser holen vom Bach, und dann befiehlst du ihnen, daß sie samt und sonders in der Frühe sich hier einfinden. Sie müssen das Korn nach Derago schaffen. Die Ballen sind von allen Größen, den Kräften des Einzelnen entsprechend. Und wenn einer der Träger unterwegs davonläuft und seine Last wegwirft, dann – sieh! reiße ich dir dies Auge aus. Und wenn eine Last abhanden kommt oder gestohlen wird, hacke ich dir mit diesem Schwert den Kopf ab!« Bei diesen Worten sauste das riesige altdeutsche Ritterschwert an dem Haupt des Madi-Ältesten vorbei.
»Und nun zu dir, Kaffulukku. Ich weiß, die Leute Poncets sind neulich gekommen und haben sich zwei Elefanten geholt. Du hast ihnen Boten geschickt um des Lohnes willen, den sie dir versprachen! Du aber, Goggo, warum ließest du das zu auf deinem Gebiet? Wenn die Leute Poncets wiederkommen, so schlagt sie tot! Und wenn sich das noch einmal wiederholt, so müßt ihr es mit dem Leben büßen, und wenn einer von euch Elfenbein hinträgt zu den Nachbarn in die fremden Seriben, so lasse ich ihn lebendig verbrennen! Daß ihr es euch nicht einfallen lasset, einem meiner Leute ein Leid zuzufügen: da zieht ein Türke allein des Wegs, und die Neger schleichen nebenher im Gras und schießen mit Pfeilen, und der Türke stirbt – seht! die Ratten vergraben sich in der Erde, und die Frösche und Krabben haben ihre Löcher, aber man gräbt sie aus, und die Schlangen verkriechen sich im Stroh, aber man zündet es an. Und wollt ihr uns die Steppe über den Köpfen in Brand stecken, dann mache ich ein Gegenfeuer, und euer Verrat wird zuschanden. Wollt ihr aber in die Höhlen von Derago fliehen, dann schieße ich mit Schiteta, mit Paprika, aus Elefantenbüchsen in eure Schlupfwinkel, und ihr müßt hervorkriechen und mich um Gnade anflehen. Oder aber: Das Wasser hier im Bach fließt spärlich, da kommen die Neger und legen böse Wurzeln in den Chor, in den Bach, und die Türken trinken, und die Türken sterben – glaubt ihr denn, ihr seid wie die Vögel, daß ihr davonfliegen könnt, um meiner Rache zu entgehen?« In diesem Ton ging es noch eine Weile fort.
Kurz vor dem Abmarsch erlebte ich in Kuraggera noch eine komische Szene. Mohammed mühte sich ab, den Madi-Ältesten die Zahl der erforderlichen Träger begreiflich zu machen. Die Madi können, wie die meisten Völker von Afrika, nur bis zehn zählen. Rohrhalme waren bündelweise zu zehn und zehn zusammengebunden, und der Neger, hatte er sie einmal in Händen, begriff ganz gut die Zahl, er konnte sie nur nicht aussprechen. »Hast du jetzt begriffen?«, wurde Kuraggera gefragt, der 1530 Leute zu stellen hatte. Er machte eine bejahende Geste, dann erhob er sich und schritt, das mächtige Paket Rohrstäbe unter dem Arm, seinem Dorf zu.
Am 15. Januar 1870 betrat ich wieder die gastlichen Hütten von Ssabbi. Der Ausflug nach Osten hatte eine Gesamtlänge von 390 Kilometern erreicht. Wenn mein Weg sich auch an einigen Stellen mit den Wegen des Franzosen Poncet und des britischen Konsuls Petherick (1859 und 1863) berührte, war es mir doch vergönnt, das Gebiet eines Volkes, das bis dahin selbst dem Namen nach völlig unbekannt war, in fast allen seinen Teilen durchwandert zu haben. Die Mittu, wie die Chartumer diese Volksgruppe nennen, können sich alle untereinander verständigen, wenngleich verschiedene Dialekte gesprochen werden. Am meisten nähern sie sich den Bongo, von denen sie sich jedoch vor allem durch einen weit schwächlicheren Körper unterscheiden. Nichts erklärt in dem durchweg fruchtbaren Lande diese Schwächlichkeit; die Mittuvölker sind ebenso fleißige Ackerbauer wie die Bongo und bauen die mannigfaltigsten Getreidearten Knollengewächse, Öl- und Hülsenfrüchte. Wesentliche Unterschiede verraten die Stammeseigentümlichkeiten der Mode.
Die Frauen leisten an fratzenhafter Verunstaltung des Gesichts Unübertreffliches. Kreisrunde, talergroße Scheiben, bis drei Millimeter dick und drei Zentimeter im Durchmesser, werden in beide durchlöcherte Lippen hineingezwängt. Diese dehnen sich zu enormem Umfang wagerecht aus. Wenn die Frauen trinken wollen, müssen sie die Oberlippe mit dem Finger hochheben und das Getränk in den Schlund gießen. Auch kegelförmig geschliffene Quarzstücke, die eine Länge von sechs Zentimetern erreichen können, stoßen sie durch die Lippen. Die Madi, die nicht zu verwechseln sind mit dem gleichnamigen Stamm am obern Weißen Nil, verfertigen Kappen, die aufs zierlichste mit bunten Perlen bestickt sind und genau der Schädelwölbung angeschmiegt werden. Tätowierung spielt eine größere Rolle nur bei den Männern; man erkennt die Madi sofort an den zwei Reihen von Punkten, die von der Nabelgegend aufwärts nach den Schultern zu verlaufen. Die Frauen der meisten Stämme haben auf der Stirn gewöhnlich zwei parallele Punktreihen tätowiert. Sehr mannigfaltig sind die kleinern, aus Kupfer und Eisen hergestellten Zieraten, Glöckchen und Schellen, kleine Anker und Beile. Der Rand der Ohrmuschel ist bei allen Frauen mit einer Menge von kleinen Ringen geziert. Alles, was diese Volksstämme an Gebrauchsgegenständen auf dem Leibe tragen, muß an Ketten hängen. Die Armringe haben häufig einen scharfkantigen oben gezackten Rand, der mit Dornen versehen ist, um im Einzelkampf die Wirkung der Schläge zu verstärken. Männer und Frauen tragen fingerdicke Eisenringe eng um den Hals geschmiedet, zu zwei, drei, ja vier übereinandergeschichtet. Auch massive Halsbinden von Leder, stark genug, um Löwen an die Kette zu legen, sind in Gebrauch. Erst Tod und Verwesung erlösen die Mittu von diesen Fesseln der Mode, man müßte geradezu den Kopf abschneiden, um die Ringe vom Halse zu entfernen.
In vieler Hinsicht stehen die Mittuvölker den Bongo weit nach. Man erkennt dies am deutlichsten an den kleinen, nachlässig gebauten Hütten, deren Größe oft nur wenig die eines mäßig übertriebenen Reifrocks von anno 1856 übersteigt; nur in ihren musikalischen Leistungen übertreffen sie alle Nachbarvölker. Auf der Flöte sind namentlich die Madi Meister. Von den Mittu wird die Musik wirklich melodisch behandelt. Ich hörte sie im Chor singen, wobei sie ein genau eingehaltenes Motiv zu variieren bestrebt waren. Taktmäßig unterstützten Männer und Weiber, alt und jung, den hundertstimmigen Chor.