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Die zwanzig Tage unsers Aufenthalts verstrichen mir nur zu schnell. Überraschungen auf Überraschungen folgten. Große Festlichkeiten in den Hallen des Königs, allgemeiner Jagdalarm, tributbringende Vasallen, die mit ihren Kriegern feierlichen Einzug hielten: immer wieder zeigte sich mir das Volk der Mangbattu von einer neuen Seite. Wiederholt besuchte ich den König, den ich bald in seinen Vorratskammern mit Austeilen von Lebensmitteln, bald in den innern Gemächern seines engern Hofhalts antraf. Eines Nachmittag, wurde mir die Erlaubnis zuteil, an Mohammeds Seite alle Teile der »Hofburg« zu durchmustern. Der Zeremonienmeister und der oberste Küchenmeister geleiteten uns. Hofburg nenne ich eine abgeschlossene Vereinigung von Hütten, Hallen und Schuppen, die, von einem Palisadenzaun umfriedigt, nur vom König und den Beamten seines Haushalts betreten werden durften. Bäume waren in Reihen um den Zaun gepflanzt. Ich wurde zu einem runden Haus mit einem riesenhaften Kegeldach geführt, das als Zeughaus mit Waffenvorräten aller Art angefüllt war. Hier durfte ich eine Anzahl Klingen und Lanzen, die mir besonders gefielen, aussuchen. Die Hofbeamten und Waffenaufseher beeinträchtigten mich indes sehr in der freien Auswahl. Ich mußte die königliche Freigebigkeit anrufen, um Prachtstücke behalten zu dürfen.
Alle Versuche, von Munsa geographische Aufschlüsse über die Länder im Süden seines Reichs zu erlangen, scheiterten an der Geheimtuerei der afrikanischen Herrscherpolitik – auch seine Untergebenen schwiegen wie das Grab.
Bei einer spätern Begegnung machte mir Munsa Vorwürfe darüber, daß ich ihm so wenig Kupfersachen geschenkt habe. Eine solche Nachforderung hatte ich längst erwartet und mich nur gewundert, daß sie nicht früher gekommen war. »Mohammed,« sprach Munsa, »hat mir viel Kupfer gegeben; der ist ein großer Sultan, aber ich weiß, du bist auch ein großer Sultan.« »Ja, ich brauche aber auch kein Elfenbein,« fiel ich ihm in die Rede. Der König entließ mich in Gnaden, sandte aber bald darauf Boten, die um meine beiden Hunde baten; es waren zwei ganz gemeine Bongoköter. Vergeblich beteuerte ich, die Hunde seien meine Kinder, um keinen Preis seien sie mir feil. Es half nichts – täglich wurde die Forderung wiederholt und mir allerlei absonderliche Geschenke ins Zelt geschickt. Als sogar Sklaven und Sklavinnen vorgeführt wurden, brachten diese mich auf einen neuen Gedanken. Ich beschloß nachzugeben und den einen Hund gegen einen Eingeborenen des Zwergvolks der Akka einzutauschen. Munsa sandte mir zwei dieser Zwerge. Ich behielt den kleinen Akka, der ein Alter von 14 bis 15 Jahren haben mochte. »Nsewue« wurde der junge Zwerg genannt, den ich als ein Adoptivkind betrachtete. Der Tausch wandte mir wieder die königliche Gnade zu, und das Verbot, das die Eingeborenen verhindert hatte, mir wie früher täglich Marktwaren und Kuriositäten zu liefern, wurde zurückgenommen. Ich erhielt jetzt solche Mengen reifer Bananen, daß ich mir einen gehörigen Vorrat von Wein aus ihnen herstellen konnte, ein liebliches, gesundes Getränk, das man nach vierundzwanzigstündiger Gärung erhält.
Da im Mangbattuland keinerlei Viehzucht bestand, so wäre ich auf die einförmigste Pflanzenkost beschränkt geblieben, wenn nicht von dem letzten Raubzug gegen die Momfu her noch viele Ziegen im Land aufzutreiben gewesen wären. Als ich ein halbes Dutzend beisammen hatte, ließ ich sie alle auf einmal schlachten. Die Fleischmasse wurde von Knochen und Sehnen sorgfältig getrennt und fein zerhackt. Dann wurde sie in großen Töpfen gekocht, die Brühe filtriert, entfettet und eingedampft. Der auf diese Art gewonnene Fleischextrakt war als Vorrat für die Rückreise bestimmt und bewährte sich aufs trefflichste. Das Erzeugnis sollte in der spätern bösen Zeit mein Leben fristen helfen, denn meiner harrten noch schwere Tage der Not und elenden Hungers.
Außer Mohammed pflegten auch zwei andere Gesellschaften das Gebiet der Mangbattu zu besuchen. Dem Abkommen gemäß mußten sie ihren Elfenbeinhandel auf die östlichen Mangbattulande beschränken, wo Degberra König war. Alle pflegten nach ihrem Abzug eine kleine Anzahl Söldner zurückzulassen, damit diese die Handelsinteressen ihrer Gesellschaft wahrten.
Mohammed hatte ebenfalls eine Anzahl seiner Leute bei Munsa untergebracht; sie durften eine Seriba bauen, auch war ihnen Land angewiesen, das sie bestellen konnten. Weiter erstreckten sich ihre Vorrechte nicht, und über die Einwohner hatten die Fremden in keiner Weise irgendwelche Macht.
Als die Elfenbeinvorräte des Königs erschöpft waren, begann Mohammed auf Mittel zu sinnen, weiter nach Süden vorzudringen, um einen neuen Markt zu eröffnen. Begeistert schloß ich mich seinen Plänen an. Diesem Vorhaben standen aber leider die größten Hindernisse im Weg. Es stieß vor allem auf den entschiedensten Widerspruch des Königs.
Eine Zeitlang stand mein Entschluß fest, allein bei Munsa zurückzubleiben. Dies wollte aber mein Beschützer durchaus nicht zugeben; auch von meinen eigenen Leuten hätte sich wohl keiner dazu entschließen können, bei mir auszuhalten. Meine nötigste Ausrüstung reichte kaum für die Rückreise, der Salzvorrat war erschöpft. Die Aussicht, beim weitern Vordringen in Abhängigkeit von den Mangbattu zu kommen, hatte etwas Verzweifeltes. Ich hätte ihren Raubzügen nach Menschenfleisch beiwohnen müssen.
Ganz andere Aussichten würden sich mir freilich eröffnet haben, wenn ich über große Geldmittel verfügt hätte. Eine Expedition im Maßstab der seinerzeit von den Engländern Speke und Grant ausgerüsteten hätte von Munsa aus ohne Aufenthalt in südwestlicher Richtung vordringen können. Mit 200 Chartumer Soldaten, denen kein Fieber etwas anhat und die jede Kost vertragen, und mit den für alle Schliche afrikanischer Häuptlinge gewappneten Anführern könnte man überhaupt in jeder beliebigen Richtung vordringen; es handelte sich nur darum, diese unersetzlichen Strolche für sich zu gewinnen.
Munsas Besuch im Lager und große Festlichkeiten, die sich an die siegreiche Rückkehr des Häuptlings Mummeri von einem Zug gegen die Momfu anschlossen, brachten viel Abwechselung in unser Lagerleben.
Es war ein kühler und regnerischer Tag, als mit dem frühen Morgen der Lärm einer jauchzenden Menge herüberzuschallen begann. Gegen Nachmittag eilte ich durch den feinen Sprühregen hinüber und betrat den Festsaal. Hier erwartete mich ein großartiges Schauspiel. Im Innern der Halle war ein weiter Raum freigelassen worden. Achtzig Weiber des Königs saßen auf ihren kleinen Schemeln in einem ein- bis zweireihigen Viereck um Munsa herum und klatschten in die Hände. Hinter den Weibern, die in abenteuerlichster Weise bemalt waren, standen die Krieger im vollen Waffenschmuck, und ein Wald von Lanzen starrte zur Decke. Alle musikalischen Kräfte, über die der König verfügte, waren aufgeboten worden, Kesselpauken und Holzpauken, Hörner und Pfeifen aller Art, Schellen und Glocken. In solcher Umgebung tanzte König Munsa. Welch ein Anblick!
Diesmal beschattete sein Haupt ein gewaltiger Aufsatz von langhaarigem Pavianfell, der Bärenmütze eines Grenadiers der alten Zeit vergleichbar. Von der Spitze flatterten lange Federbüschel herab, die Arme waren mit Schwänzen der Ginsterkatze behangen und an den Handgelenken baumelten große Bündel von Eberschwänzen. Ein dichter Schurz von verschiedenen Tierschwänzen umgürtete die Hüften, die nackten Beine waren mit klirrenden Ringen besetzt. In solchem Aufzug sah man den König in rasendem Tanz umherspringen; die Arme schlenkerte er im Takt der Musik nach allen Richtungen. Mit erhobenen Armen begleiteten alle Weiber diese Klänge und klatschten den Takt dazu. Munsa raste durch die Halle in einer Ekstase, die an die Wut eines tanzenden Derwisches erinnerte. Alle halbe Stunden etwa wurde eine Pause gemacht, dann ging es von neuem los, unerschöpflich, unermüdlich!
Zu dem Toben der Menschen gesellte sich schließlich das Toben der Elemente. Ein Orkan brach herein mit allen Schrecken der Tropengewitter, und bald peitschte der Sturmwind den strömenden Regen bis in die halbe Halle hinein. Das wirkte abkühlend, die Musik verstummte, der Donner der Paukenschläge wich dem Donner der Natur. Nach und nach verzog sich die erschöpfte Menge, selbst der rasende Cäsar war urplötzlich verschwunden.
Ich benutzte die Gelegenheit, um mir das Innere der andern größern Halle anzusehen, die gegenüber lag. Eine niedere Tür führte in den 16 Meter hohen und 50 Meter langen, nur durch wenige Spalten erhellten Raum, dessen Decke von fünf Pfostenreihen getragen wurde. Auf der einen Seite befand sich ein Balkenverschlag, der ein kleines Zimmer vom großen Raum absonderte. Hier pflegte der König ab und zu Nachtruhe zu halten. Ein derb zusammengezimmertes Gerüst diente als Bettstelle; zu beiden Seiten erhoben sich Säulen, die aus aufeinandergestapelten schmiedeeisernen Ringen von riesiger Größe und je einem halben Zentner Gewicht zusammengesetzt waren. Die Pfosten und das Gebälk waren in rohester Weise mit bunten Mustern bemalt. Der Dekorationsmaler hatte nur über drei Farben verfügen können, schwärzlichrot mit Blut, gelb mit Eisenocker und weiß mit Hundekot.
Zweimal beehrte der König in Person unser Lager mit seinem Besuch. Beim Betreten begrüßte ihn die schwarzweißrote Flagge. Ich suchte ihn durch Vorzeigen meiner Bilder zu unterhalten; unter anderm legte ich ihm sein eigenes Bildnis vor. Es waren die ersten Bilder, die ihm überhaupt je zu Gesicht gekommen. Lebhafte Grimassen verrieten die stumme Freude seines Innern, und er bedeckte den geöffneten Mund mit beiden Händen, bei allen Mangbattu ein Zeichen des Staunens und der Bewunderung. Zum Schluß mußte ich vor ihm noch meine Brust entblößen und die Hemdärmel aufstreifen. Da konnte er einen Schrei der Verwunderung nicht unterdrücken, denn auch er hatte nicht glauben können, daß mein ganzer Körper von weißer Haut bedeckt sei. Der Besuch endete, wie gewöhnlich unsere Zusammenkünfte, mit dem nicht erfüllten Wunsch, nun möchte ich mir auch noch die Stiefel ausziehen. Es ging nämlich bei den Eingeborenen wegen meines schlichten Haars das Gerücht, ich hätte an den Füßen Ziegenklauen.
Nachmittags und in den Morgenstunden unternahm ich täglich Streifzüge in die Umgegend und bereicherte meine Sammlung durch zahlreiche Funde von überraschender Neuheit. Die Mittagszeit mußte immer mit allerhand häuslichen Geschäften ausgefüllt werden. Der Tag der großen Wäsche war herangekommen. Aber ich sah mich vergeblich nach einem Gefäß um, das alle die einzuweichenden Stücke zu fassen vermochte. Da verschaffte mir Mohammed leihweise König Munsas riesige Speiseschüssel, die eher einem Trog als einem Tischgeschirr zu vergleichen war. Sie hatte über eineinhalb Meter Länge und war aus einem einzigen Holzblock gehauen.
König Munsas Herrlichkeit sollte nicht von langer Dauer sein. Schon im Jahr 1873 fiel er im Kampf gegen die Chartumer durch die Kugel eines Basinger, eines schwarzen Soldaten. An seiner Stelle wurde der A-Bangbahäuptling Niangara unter ägyptischer Militärverwaltung eingesetzt. Im Juni 1906 traf der Engländer Boyd Alexander in der ehemaligen Residenz des Munsa, im Uelledistrikt des belgischen Kongostaats, den A-Bangbahäuptling Okonda als Herrn des Landes an.