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Fünfzehntes Kapitel.

Sie hatten die Franzosen nicht bezwungen.

Der Bauernaufstand, so geheimnisvoll geplant und vorbereitet, so vorsichtig ins Werk gesetzt mit den besten Kräften des Landes, gehoben von edelster Vaterlandsliebe, war verlaufen, wie eine ungeheure Blutlache im Seesande verläuft, wenn die hohe Flut darüber hinwegbraust. Das Insurgentenheer in alle vier Winde zerstoben; die Franzmänner wieder am Ruder, und wie am Ruder! Als ob sie der Mahnung des Geschickes, die da sprach: »es soll ein Ende mit euch haben!« ins Gesicht schlagen wollten!

Welche Tage für die Wurster Seemarsch, die zwischen dem vierzehnten und sechsundzwanzigsten März Achtzehnhundertunddreizehn! Zuerst ging alles der zitternden Rachgier des Volkes nach Wunsch und Willen. Die Huissiers und Douaniers, die Gendarmen und die Küstenbesatzung; alles ward zu Paaren getrieben. Ja, auch die Greffiers aus der Mairie und die Receveurs in den Einnehmerhäuschen gaben Fersengeld. Der Reinigungsbesen schien kräftige Borsten und leichte Arbeit zu haben.

Hinter jedem Deiche, aus den Dörfern und Gehöften brachen die Verfolger hervor wie aus dem Boden gestampft, scharten sich in Horden zusammen und machten Hasenjagd mit Flinte und Nachtwächterspieß, Stoßdegen und Hiebschwert, zackigem Morgenstern, Knittel und Mistgabel. Tönjes Biehl hatte das Kommando; Jan Grön und seine Kumpane trieben ihr unheimliches Wesen an Bake und Leuchtschiff draußen am Watt, und dann gesellte sich, nachdem diese Arbeit getan, die wilde Bande zu den übrigen. Jan Grön selbst schwang die zerschlissene Standarte des Landes, die er hinter dem Altare einer der ehrwürdigen Granitkirchen hervorgeholt hatte, mit dem Staube von Jahrhunderten bedeckt. Beherzte Dirnen, die von Dienst und Brot gekommen waren, als ihre Bauern zu Feld zogen, liefen mit, und leichtfertige, die das Ganze als einen Spaß ansahen und sich an jeden hängten, der ihnen im Vorbeimarsch unters Kinn griff.

So war auch, während sie auf die Karlstadt-Batterie marschierten, ein bekanntes Gesicht vor Leberecht aufgetaucht, verwildert und verkommen; das hatte sich bei dieser unvermuteten Begegnung mit dunklem Rot übergossen. Gesche Redlefs! Mit Gewalt regte sich der einstige Seelsorger im Herzen des Bauernsoldaten, allein die magere Gestalt der Verdorbenen duckte in der Menge unter und blieb verschwunden.

In die Karlstadt-Batterie waren die Franzosen geflüchtet und verbarrikadierten sich in Hast. Als aber der wuchtige Ansturm nahte, kamen sie hervor und warfen sich den Bauern und dem englischen Militär tapfer entgegen, das vor der kleinen Plate in der Wesermündung an Land gestiegen war, den Wurstern zu Hilfe. Diese ungeordnete Streitmacht drängte ihre Feinde auf die Karlstadt zurück, und nun gings an ein regelrechtes Belagern. Knisternde Feuer loderten auf den Deichen; Gruppen, die Thomas Münzers Scharen Ehre gemacht hätten, lagerten darum her. Die bunt zusammengewürfelten Waffen steckten im feuchten Grunde und ragten gespenstisch auf. Hin und wieder tönten die Signalrufe, aus Wächterhorn und Hirtenpfeife und der Posaune des Turmbläsers, durch die laue, sternhelle Frühlingsnacht, und schneidend klangen die Clairons, dumpf die leisen Trommelwirbel von der Batterie her. Und dann, bald nach Mitternacht, begann ein geheimnisvolles Heranschleichen und Hineinhuschen ins Lager der Insurgenten. Da kauerte sich's zu Boden vor den heranschwirrenden Kugeln aus den Bauernflinten und bettelte um Pardon, und schwor und fluchte, und ward im Triumph ausgenommen. Französische Überläufer, lauter derbe Westfalen, die zu den deutschen Brüdern halten wollten.

Sie schrien und hurraten am allerlautesten, als der französische Kommandant von der Batterie den Parlamentär herüberschickte: die Binde vor den Augen, das weiße Tuch in der erhobenen Rechten. »Kapitulation! freier Abzug!« Ohne Wasser und Lebensmittel, was sollten sie auf der Karlstadt machen? Elendiglich verhungern für ein paar hundert Bauerntölpel? » Ma foi! ça ne vaudrait pas la peine!« Sie lebten gern noch ein Weilchen; schon allein um ihre glorreiche › revanche‹ an diesen › maudits paysans‹ üben zu dürfen. Keine Sorge, die Stunde würde bald genug kommen!

»Kiek inns! nu könt ji Perdumm bidden, ji verdammde Schrögels! Wi sün' doch betere Saldoten as ji!« antwortete Tönjes Biehl dem schlotternden Parlamentär, beriet sich eine gute halbe Stunde lang mit seinem Stabe und gewährte gnädigst den Abzug der Besiegten.

Jetzt hatten die wackeren Wurster Oberwasser. Nun selbst hinein in die Batterie, mit Brot und Salz, Speck und Schinken und Wasser und Genever in Fülle. Bonaparte in eigener Person selbst sahen sie sich schon vor die Füße geschleift.

Die Leher Bürger mußten mittun, und sie taten mit, so lieb ihnen auch die Ruhe in ihren sauberen Häusern und Häuschen gewesen war. »Bangbükks« wollte sich doch keiner von ihnen schimpfen lassen.

Hinter der Geeste, unweit der Leher Brücke, verschanzte sich das Rebellenkorps. Der Mühlenhügel ward mit Kanonen besetzt. Kleines Kaliber; aber sie ballerten tüchtig und trafen ihren Mann, oder der Deiker mischte seine Finger ins Spiel hinein! Goddsblikks! die Dinger mußten nur ordentlich regiert werden, und dazu waren die Engländer gut und die desertierten Matrosen, die sich vor dem Teufel nicht fürchteten. Zu allererst aber mußte die Leher Brücke fallen.

Leberecht, der einzig Sprachkundige, im Bauernwams und hohen Seestiefeln, wie alle übrigen, die Pistole im Gurt, das Gewehr über der Schulter, machte den Dolmetsch des englischen Kapitäns bei den Leher Bürgern.

» Destroy the bridge –«

Was? Hörten sie recht? Ihre schöne Brücke aus hartem Holz und gefugten Bohlen zerstören? Die so gut war, wie eine steinerne?

» Watt seggt de Mann? Laat den engelschen Kärl doch snakken, watt he will, wi weet dat bäter!«

Ja, wenn die Brücke auf Abbruch gestanden hätte; dann vielleicht – aber so? –

»Nä, nä! Nicks d'rvan!« Woher sollte der Flecken das Geld zum Neubau aufbringen?

» Take advice, ye blockheads! destroy that bridge!« beharrte der Engländer; aber die Dickköpfe wollten keinen guten Rat annehmen. Leberecht mochte sich den Hals abreden; störrisch blieben sie dabei. »Hä watt! Dekksel van to! He hett good preien, He mutt dat nich betaalen – He is nich van unse Meente!«

Nein, leider Gottes in diesem Falle. Leberecht war kein Gemeindeglied, und so schwang sich die vortreffliche Brücke unversehrt über den Fluß bis zum Fünfundzwanzigsten in der Frühe. Da jedoch kam es mit Hallo, mit Pauken und Trompeten und flatternden Fahnen aus der Bremer Richtung herauf. – Franzosen! Chevaulegers, Lanciers, Infanterie. Pferde trappelten, Füße stampften taktmäßig die Erde, im Duft der Morgensonne wehten die Haarbüsche, und die schmetternden Clairons blitzten wie Gold; » Gare à vous!« »Aux armes!« – die hohen Offiziersstimmen schnarrten die Kommandos.

Sturm auf die Brücke! Im Laufschritt hinüber, das Bajonett gefällt und den geschwungenen Säbel in der Faust, die Lanze gestreckt und dem ansprengenden Rosse das Spornrad in die Weiche gedrückt! Die Gloire mußte den Sieg haben! Aber wie ein Mann standen die Wurster hinter Deichen und jenseits der Brücke und zielten gut, so daß die Toten zur Rechten und zur Linken sanken, wie gemäht, und die Verwundeten, sich hilflos überschlagend, die Böschung hinunter kugelten auf den weichen, grünen Groden.

Schon triumphierten die Bauern. Da! was war das? Die Franzosen stürzten sich in den Geestefluß und schwammen hindurch, mit Pferd und Waffen. Herr und Heiland! die unselige, verschonte Brücke! Niederreißen!? Wer riß sie noch zusammen? Da waren die Fransken schon; nun Gnade Gott den Lehern! Herunter die Brückenklappe – die Kette baumelte lose daneben – und jetzt hinein in den Flecken, trotz der pfeifenden Kugeln: » Sifflez! sifflez toujours! peu nous Importe! A nous la gloire! Vive l'Empereur!«

Und jetzt geworfen, was sich werfen ließ: Deutsche und Engländer, jung und alt, Weib und Kind.

» Pardon? Hein! Ah, coquin! nix pardon!«

Es ward ein schauriges Morden und Plündern durch den ganzen Ort, und dann den toten Engländern die Uniformen von den Leibern gerissen und angezogen: weg mit den französischen. Unter falscher Maske der arglosen Bauernbesatzung die Batterie genommen; die harten, friesischen Blondköpfe gegen die Mauer getrieben und über den Haufen geschossen.

Und nun vorwärts in die Seemarsch hinauf und die allzu kühnen Wurster unter eisernen Rutenstreichen gelehrt, daß es nicht gut und ratsam ist, mit Halbgöttern und ihren Geschöpfen Kirschen zu essen.


Sie hatten das Land wieder, blockierten seine Küste, und straften und drückten die Aufwiegler mit grausamen Kontributionen. Die Rädelsführer, Tönjes Biehl und Jan Grön, waren entkommen: ob in die offene See hinaus nach Helgoland und weiter, ob im Lande versteckt, das erfuhr keiner.

Den Überlebenden stand es frei, ihre Toten zu bestatten. Hin und her, zwischen Deichen und Feldern gingen die Suchenden. Schluchzende Weiber, bange Kinder mit dem Hofhund im Gefolge, und gebeugte Männer, die, unter der Schmach dieser fruchtlosen Erhebung, nicht aufzublicken wagten.

Ein langer, blasser Mensch, dem das Fieber noch Tag für Tag die Glieder schüttelte, war auch unter den Suchenden: Reemt Arend, der herrenlose Knecht, der matt und krank auf seiner Streu gelegen hatte, während die andern kämpfen durften. Sein Bauer, das wußte er, war mit Ehlert Wiarda und dreißig Gefährten auf der Karlstadt erschossen worden. Nun wollte er sehen, ob er seinen Domine nicht irgendwo finden konnte. Es war doch nicht möglich, daß die unmenschlichen Hunde alles und alles niedergemetzelt hatten. Todmüde schlich er bis zum Abend umher; da endlich, hart unter dem Mühlenflügel, fand er den Vermißten. Er lag, wie ein ruhig Schlafender, zwischen vielen andern in einer großen, schon halb eingesickerten Blutlache, die Schläfe mit der tödlichen Schußwunde in das zerstampfte, reifgesprenkelte Gras gedrückt. Hundert Schritte davon schaufelten ein paar gleichgültige Männer die tiefe Grube aus, die bestimmt war, morgen alle Leichen im Umkreis einer Viertelmeile aufzunehmen. Die Grabenden rauchten, unterhielten sich in Brocken, und sahen sich gar nicht nach dem kranken Menschen um, der da hinten neben einem der Toten kniete.

Er legte ihm die Hand gegen die marmorne Stirn und die starre Brust, beugte das Ohr zu ihm nieder und horchte mit verhaltenem Atem auf ein Zeichen des Lebens, das längst entflohen war. Dann schob er seine Hand in die Taschen des Wollwamses, fand aber nichts darin. Vorsichtig und schaudernd zog er den neuen, schmalen Trauring vom eisigen Goldfinger der erstorbenen Rechten, barg ihn in einen Zipfel seines Halstuches und schlich wieder von dannen.


Drei Tage später, als die verwitwete Frau seines Bauern mit ihren Kindern ins Land Hadeln zu ihrer Sippschaft fuhr und den Hof leer stehen ließ, machte Reemt Arend sich mit dem Trauringe auf den Weg nach der Insel Sankt Jürgen.


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