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»– und sinne dem edlen, schreckenden Gedanken nach
Deiner wert zu sein, mein Vaterland!«
F. G. Klopstock.
Ihr eigenes Heim!
Sie standen, sich innig umschlungen haltend, inmitten des kleinen Raumes. Gott wußte, zum wievielten Male schon, seit sie vor einer Stunde, nach dem stillsten und einfachsten aller Hochzeitsfeste, aus dem Elternhause geschieden, mitsammen durch den klaren Winterabend am Kirchhof vorbeigeschritten und ungeleitet in ihr verschwiegenes Giebelparadies hinaufgestiegen waren.
Die Küsterin bot ihnen die schwielige Hand und leuchtete an der Treppe, der Küster wagte vor lauter Taubheit, Scheu und Rücksicht seinen »devotesten Segenswunsch für Dero Ehrwürden Domine nebst vielgeliebter Ehehälfte« gar nicht anzubringen, bis das junge Paar den Alten in seinem Winkel entdeckte und selbst die Initiative ergriff. Danach erst gehörten sie einander ganz allein und hielten Umschau in ihren engen vier Wänden.
Die Küsterin, deren sauertöpfische Gemütsart Mamsell Stinchens sonnige Güte schließlich bezwungen hatte, war nicht müßig gewesen, das anspruchslose Nest nach Möglichkeit auszuschmücken, während drüben in der Pastorei nach der Trauung gegessen wurde. Ein halb Dutzend Pfauenfedern mit verblaßter Bandschleife zusammengebunden und hinter den Spiegelrahmen gesteckt, weißer Sand auf den reinlichen Dielen, ein Strauß Christrosen, unter dem Kirchhofsschnee gefunden, im Glase, und eine Weihrauchskerze, die als rotglühendes Türmchen vor dem Ofen verduftete – das war alles, was sie tun konnte. Dazu hatte Beta, die Pfarrmagd, heimlich unter der Schürze einen nagelneuen Fayencekrug für ihr gutes »Mummsellken« heraufgebracht, das ihr so manchen Bissen vom Eigenen zugesteckt. Der Krug stand, mit eiskaltem Brunnenwasser gefüllt, zwischen Christinens Blumenstöcken am Fenster, und Beta hatte ein Stück Brot und einen blanken Mariengroschen zum Heckpfennig daneben gelegt. Das brachte Segen ins Haus und hielt Mangel und Mißgunst fern.
Jede dieser geringen Aufmerksamkeiten rührte und entzückte das jugendliche Ehepaar über die Maßen. Sie waren unverwöhnt vom Leben und hatten nichts erwartet. Nun ward die Dürftigkeit ihnen zum Reichtum. Sie löschten ihren Wachsstock, mit dem sie eben im Stübchen umhergeleuchtet hatten, als sparsame Leute und blieben noch eine halbe Stunde lang ohne Licht. Einzig Christinens Hochzeitskleid – der Mutter liebes, altmodisches, mit Falbalasrock und Musselinfichu war's – schimmerte weiß durch die warme Dämmerung.
Sie saßen am Fenster auf Christinens Söller mit dem Nähtischchen; Christine auf ihres Gatten Knie, ihr Gesicht an seiner Wange, und sie flüsterten leise von ihrem Glücke, sich so umfangen und besitzen zu dürfen, immer, zu jeder Stunde, unter Sonnenlicht, Mond- und Sternenschein, bis Gott sie schied. Bis ans Ende – nein: weit weit über das Ende hinaus, bis in jene Ewigkeit, an die sie beide glaubten.
Wie herrlich funkelte der Himmel da draußen am Abende ihres festlichen Tages: Gottes ewiges Erbarmen über der sündigen Welt und der Not der Zeit. Und ob diese Not auch noch so riesengroß emporwüchse, leicht würden sie alles zu zweien tragen. Kein Mißverstehen, kein Verschweigen und Verzweifeln sollte es zwischen ihnen geben: ihre Liebe war ernst und tief, keine frivole Tändelei. Voll seliger Hoffnung standen sie am Tore der Zukunft und sahen den Schatten nicht, den das Geschick auf die Eingangsstufen warf.
Noch ein wenig schauten sie, Hand in Hand, andächtig zum Sternenhimmel empor, bis eins der goldenen Lichter sich aus seiner Stätte löste, und in strahlendem Bogen zu ihnen niederschoß in die irdische Region. Da glitten auch sie vom unermeßlichen Himmelreich zur Erde zurück in ihre eigene, beschränkte Welt, in ihr Heim.
Gemeinsam zündeten sie das einzige Hochzeitsgeschenk außer Betas Wasserkruge an, eine der zwölf herrlichen Wachskerzen, die Christinens Patin samt dem zierlichsten Messingleuchter zum Christfest schon aus der Stadt geschickt hatte. Wie hell und behaglich erschien der ganze Raum, der Wohn- und Schlafgemach in seinen niederen vier Wänden vereinte! Wie kunstvoll der Lichtschirm aus Ölpapier, in zarten Farben bemalt, mit dem Rundtanze der Horen, zwischen denen Amoretten ihren Reigen schlangen. Und nicht einmal der Putzschere bedurften die idealen Kerzen. Wie entzückend würde es morgen Abend sein, wenn Leberecht bei ihrem trauten Scheine an der Predigt arbeitete, und seine Frau ihm, dem Schreibtisch ganz nahe, mit Buch oder Nähzeug, stille Gesellschaft leisten durfte.
»Bist du froh, daß ich deine Frau geworden bin? Sag' mir's, bester Mann!«
»Meine Frau! wirklich meine Frau! Laß doch sehen, wie's meinem einzigen Mädchen zu Gesicht steht!«
Stürmisch nahm er sie in seine ungeduldigen Arme, um sich von neuem an ihrer Lieblichkeit zu berauschen und ihr, nur der beseligenden Antwort wegen, immer noch einmal ihre eigene Frage zurückzugeben: »Hast du mich lieb? Lieb mit deinem ganzen Herzen, Christine?«
»Sieh, du Ungestümer, nun hast du mir meinen Brautstrauß zerdrückt und verdorben,« rief sie zuletzt, sich ein wenig von ihm abbiegend, legte seine Hände um ihre heißen Wangen und bot ihm die Lippen zum Kuß, damit dem kleinen Vorwurfe auch der schwächste Stachel genommen werde.
Er machte eine seiner Hände los und nahm ihr das kopfhängende Myrtengrün mit den welkenden Blüten von der Brust.
»Damit ist's jetzt vorbei, Christine, meine geliebte Frau,« sagte er mit gedämpfter Stimme, und plötzlich standen sie ernst und verstummt, eins im Arm des andern, Christinens gesenktes Antlitz an des Gatten Schulter verborgen.
»Laß uns Volkmars Briefchen noch einmal lesen,« brach sie endlich das Schweigen, und er preßte die schlanke Mädchenhand mit langem Drucke in seiner kräftigen zusammen.
»Nicht heute, – wir wollen es morgen wieder lesen, – so oft du willst, mein geliebtes Kind – –!«