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Die Handarbeitslehrerin.

Skizze.


Die nimmermüde Menschenliebe hatte sich wieder einmal mit den Künsten zusammengethan. So war zum Besten des Kinderhortes in die beiden großen Säle des Schützenhauses zu Königsberg in Preußen das prächtige ›Nürenberg‹ aus Haus Sachsens Zeit hineingezaubert worden. Natürlich bestand hier das anmutvolle Brautthor der Sebalduskirche, sogar der ›Marterturmb‹ und das Fuggerhaus bis zum Bratwurstglöcklein herab aus schlichtem Holz und schlichterer Pappe – doch war dieses minderwertige Material gar köstlich bemalt worden und machte in der glühenden Beleuchtung der zumeist rot verhängten elektrischen Sonnen und Gaskronleuchter einen wunderlich naturgetreuen Eindruck. Gleich beim Eintritt ging jedem, der Nürnberg kannte, das Herz auf, und eine freundliche Erinnerung gab der anderen lächelnd die Hand.

Doch die Phantastik wuchs noch für die Eintretenden, als von da und dort die minniglichsten Dirnlein und ›Frawen‹, alle in Trachten des sechzehnten Jahrhunderts, hervortraten und auf Majolikatellern Leckereien zum Kaufe boten: Süße Nürnberger Lebkuchen, Makronengebäck, sowie allerlei Obst des Südens, selbst Ananas und Almeria-Trauben.

Jedermann begann eifrig zu kaufen. Und bald hatten sich auch die Kneipstübchen und lauschigen Erker mit Gästen gefüllt, die gewichtigeren Dingen – Bratwürsteln und Nürnberger Bier – unermüdlich zusprachen. Da schmetterten plötzlich Trompetenstöße durch die Säle. Ein stattlicher Ehrenhold, vorn auf der Sammetschaube einen goldenen Löwen gestickt und auf dem blonden Gelock einen Goldhelm mit Adlerflügeln, berief erst seine »lebenden Bilder«, zu denen er den verbindenden Text zu sprechen hatte, später die Spieler in dem Hans Sachsschen Fastnachtsschwank »Das Heyß Eyßen«. –

Auf einer Art von Beischlag, der einem der mehr zurückgelegenen Häuser vorgebaut war, saßen eine ältere Dame und ein junges Mädchen, unverkennbar Mutter und Tochter: letztere in altdeutscher Tracht. Sie wurden eben von einem vornehmen, auffallend hübschen Mann begrüßt.

Das Gesicht der älteren Dame, der Oberregierungsrätin von Orseln, legte sich in die freundlichsten Falten, und sie bewillkommnete den Ankömmling in auszeichnender Weise. Die Tochter gab sich kühler und fügte selbst der wortreichen mütterlichen Beglückwünschung zu Herrn von Werdensteins junger Landratswürde nur die Worte bei: »Auch meine Gratulation! Das ist ja rasch gekommen.«

»Ganz über Erwarten!« antwortete der Landrat mit einem Lächeln, das seine edlen Züge gleichsam beglänzte.

»Was hat Sie aber jetzt schon nach Königsberg geführt?« fragte die Rätin. »Etwa unser Nürnberger Bazar?«

Baron Werdenstein schüttelte den Kopf. »Ich bin zu meinen Meldungen hergekommen. Als ich von Ihrem Nürnberg hörte, machte ich mich aber selbstverständlich für den Abend frei. – War übrigens Ihr vorjähriger Bazar nicht auch in dieser Zeit? Sogar auf den Tag?«

»Ei, ei, Baron!« rief Frau von Orseln, »das hat etwas zu bedeuten! Herren pflegen für dergleichen Kleinigkeiten sonst kein Gedächtnis zu haben.«

Bei ihrem scharfen Blicke röteten sich in der That die schon immer gesund gefärbten Wangen Werdensteins noch mehr, und er sagte in einer Art von Verlegenheit: »Gnädigste Frau, welche Annahme! Der 9. November ist mein Geburtstag Der 9. November war auch der Geburtstag von Karl Theodor Schultz., den ich damals hier mit Bekannten feierte – so behält man es doch, wenn man am 8. einen Bazar, noch dazu im Landeshause, mitmachte.«

»Und in der Schießbude,« warf Fräulein Adine neckend hin, »zwei Schüsse mit hundert Mark honorierte. Nachträglich noch meinen Dank! Durch diese großmütige Gabe hatte die Schießbude die höchste Einnahme erzielt.«

Es war, als wollte der Landrat eine rasche Frage thun; doch mußte ihn irgend etwas daran hindern – er verbeugte sich nur.

Das Gespräch wandte sich von neuem dem Heute zu, und die Rätin erging sich in nicht gerade ungewöhnlichen Erklärungen von dieser oder jener merkwürdigen Baulichkeit, auf die ihre Blicke fielen. Öfters benutzte sie dabei auch den »Wegewyser«, der in der Druck- und Redeweise jener Dürerzeit in ebenso formgewandten, wie anmutigen Reimereien alle hier dargestellten Bauwerke schilderte.

Der Landrat hatte sich inzwischen bei den Damen niedergelassen und bat nun um die Erlaubnis, als geringen Dank für den belehrenden Vortrag ›Nürenberger Kringeleyn‹ und vom ›schäumigen Weyne‹, der nebenan im Landsknecht-Zelte geschenkt wurde, ein paar Becher beordern zu dürfen. Frau von Orseln willigte freundlich ein, so trugen denn zwei flinke Dirnen einen kleinen, geschnitzten Tisch herbei und setzten das Gebäck und den Sekt darauf.

Bekannte kamen plaudernd und lachend heran und gingen wieder. Nach einer längeren Pause, und ganz wie beiläufig, wandte sich Werdenstein mit der Frage an Fräulein von Orseln: »Hat übrigens die junge Dame, die damals mit Ihnen die Pflichten in der Schießbude teilte, in diesem Jahre nichts übernommen? Ich habe sie in keinem der Bilder gesehen! oder hätte ich sie nur nicht wiedererkannt?«

»Ach, Fräulein von Brünn?« erwiderte Adine mit einer hochmütigen Nachlässigkeit. »Die ist längst aus der Gesellschaft geschieden!«

»Geschieden? Warum?« Ein gewisser Schreck malte sich auf Werdensteins Gesicht.

»Ihr Vater starb gleich darauf und ließ sie ja wohl ganz mittellos zurück?« Adine sah nach der Mutter hinüber. »Ich war damals nicht hier!«

Frau von Orseln nickte und erzählte weiter:

»Der alte Rat hatte schon längere Zeit gekränkelt. Aber denken Sie sich, was das Fräulein nun angegeben hat! Statt das Asyl anzunehmen, das ihre Tante, die Witwe des Hofpredigers, ihr aus wahrhaft christlicher Gesinnung anbot, hat sie sich auf die eigene Kraft gestellt. So sagt man ja heutzutage! – Ein Mädchen von Familie und kaum zwanzig Jahre alt! Sie wohnt allein, ißt wohl auch allein in Restaurants herum, wenigstens ist sie dort gesehen worden, jeder Verkehr in der Gesellschaft wurde von ihr abgebrochen – und wir begegnen ihr wohl mit älteren Frauen, die augenscheinlich nur Lehrerinnen oder dergleichen sind. Ihr Betragen hat im ganzen Regierungskollegium, bei dem der alte Rat sehr beliebt war, geradezu Anstoß erregt.«

»Woran stößt man sich eigentlich?« fragte Werdenstein verwundert. »Daß Fräulein von Brünn es vorzieht, selbständig dazustehen? Ein bloßes Gnadenbrot ist nicht nach jedermanns Geschmack.«

»Lieber Baron,« entgegnete die Rätin, »das nennt man in unseren Kreisen doch niemals Gnadenbrot? Es gehört einfach zu unseren Standespflichten, daß wir für die armen Familienmitglieder eintreten. Denken Sie an unsere Edelhöfe! Wo leben da nicht ein paar schutzlose Fräulein, die sich in der Wirtschaft nach Gutdünken nützlich machen, sonst aber vollständig standesgemäß behandelt werden! Das hätte auch Fräulein Gertrud bis an ihr Lebensende haben können. Die Frau Hofprediger würde sie ausreichend im Testament bedacht haben. Und nun arbeitet sie – – für Geld!« Unwillkürlich hatte Frau von Orseln die beiden letzten Worte fast tonlos gesprochen.

Werdenstein machte eine Bewegung des Mitleids.

»Ja, ja!« fuhr die Rätin noch erregter fort. »Ich habe das für ganz bestimmt gehört. Sie arbeitete ja schon immer sehr niedliche Gold-und Seidenstickereien: darin soll sie jetzt ihren Hauptverdienst finden! Neben Unterrichtsstunden.«

»Welcher Art?« fragte der Baron.

Mit einem spöttischen Auflachen versetzte Fräulein Adine: »Sie ist seit einem Vierteljahr Handarbeitslehrerin! hier in der Folleninsschen höheren Mädchenschule!«

»Wahrhaft lächerlich, nicht wahr?« Frau von Orseln öffnete in nervöser Hast den Fächer.

»Da vermag ich nicht zuzustimmen!« gab Werdenstein ruhig zur Antwort. »Denn ich kann doch nicht annehmen, daß Sie an sich etwas gegen Arbeit und Thätigkeit haben?«

»Durchaus,« entgegnete Frau von Orseln, »wo diese Thätigkeit ganz unnötigerweise eine nicht standesgemäße Form annimmt. Ein Fräulein von Brünn hat Rücksichten auf ihre Standesgenossen zu nehmen!«

Werdenstein lächelte. »Es dürfte wohl nur wenige Arbeiten geben, die unstandesgemäß sind!« Er betonte das Wort ironisch. »Denn arbeiten thun wir doch alle und fühlen uns im Grunde glücklich dabei, weil der liebe Herrgott die Arbeit einmal zu dem eigentlichen Attribut des Menschen gemacht hat. Ist Ihr Befehlen in Haus und Garten nicht auch eine Arbeit? – Wahrhaft rührend erscheint mir aber dieser Bienenfleiß im kleinen! Wenn die Tausende von Frauen und Mädchen tagein, tagaus für andere nähen und sticken und ihre Augen blind machen um des bißchen Lebens willen, – wieviel Entsagung, wieviel bittere Stunden mögen da mit unterlaufen, sobald es einmal an Arbeit fehlt, oder das arme Wesen sich durch die Launen und Bosheiten seiner Arbeitgeber quälen lassen muß. – Darum wahrhafte Ehrerbietung einer Natur gegenüber wie der von Fräulein von Brünn!«

»Um Gottes willen, hören Sie auf, Baron!« warnte Fräulein Adine scherzhaft. »Sehen Sie doch Mama an! So viel Revolutionäres zu hören, ist sie nicht gewöhnt. Ganz außer Fassung haben Sie sie gebracht! Ärmste Mama!« Sie hob ihren Becher und stieß an den der Mutter an. Diese ließ sich dadurch bewegen, zu trinken und der kühle Trunk milderte in der That ihre Erregtheit. Sie versetzte nur in bedauerndem Tone: »Ich muß es beklagen, lieber Baron, daß selbst Sie sich an solche moderne Sentiments gefangen geben. Gott hat einmal Herren und Diener geschaffen! und niemand, der als Herr geboren wurde, soll ohne Nötigung in die dienende Klasse hinabsteigen. Fräulein von Brünn verdient durchaus keine Ehrerbietung! Mußte sie aber ihrem thörichten Geschmacke folgen, so hätte sie mindestens in eine andere Stadt ziehen sollen.«

»Und ihren alten Namen ablegen?« fragte der Landrat scheinbar ernst.

»Gewiß! Besäße sie die echte Feinfühligkeit, so würde auch das geschehen!« Frau von Orseln, nun wieder in gleichmütiger Stimmung, tauchte ein drittes Kringeleyn in den Sekt.

»Mama, Du hast beinahe gesiegt!« triumphierte Adine. »Der Ritter aller lehrhaften und bienenfleißigen Damen scheint vor Deinen Gründen wenigstens verstummt!« – Als der Baron sprechen wollte, fuhr sie rasch fort: »Davon wohl genug? Bitte! – Übrigens pflegte unsere Köchin zu sagen: Kinder, wer die Arbeit kennt, reißt sich nicht danach. – Also giebt selbst die Volkesstimme Mama recht!«

Werdenstein mußte lachen.

Da kamen wieder Bekannte heran, und das Trompetenzeichen zu den neuen lebenden Bildern, in denen Adine Goldschmieds Töchterlein darzustellen hatte, erklang. So begab sie sich, von Werdenstein geleitet, nach dem Podium.

Dieser hatte sich Frau von Orseln gleich empfohlen und irrte nun auch durch die Räume, worin er noch nicht gewesen war. Doch blieb er zerstreut und hätte selbst den Augenblick darauf nicht mehr sagen können, was er eben noch bewundert hatte. Das Bild von Gertrud Brünn verfolgte ihn fortdauernd: wie er sie vor einem Jahre gesehen – die schlanke und doch volle Gestalt mit den fragenden dunkeln Augen und der Fülle seidenen Haares. Wie hold erschrocken sie zu ihm aufgeblickt hatte, als er den Hundertmarkschein nicht gewechselt haben wollte!

Wohl hätte er sie wiedersehen mögen! War er nicht eigentlich nur deshalb nach Königsberg gefahren? Und was er da eben von ihr gehört, reizte ihn nur noch mehr dazu! – Wie könnte das aber geschehen? Sie aufsuchen? Unter welchem Vorwande?

Werdenstein war, ohne auch davon recht zu wissen, schon auf der Straße angelangt und ging in Grübeln verloren den Tragheim hinunter. Die Folleninssche Schule lag in der Pulverstraße: dort mußte man die Adresse des Fräuleins kennen. Es war erst einige Minuten nach sechs! einer Bestellung wegen konnte er sie noch recht gut aufsuchen.

In der Schule erhielt er natürlich die Adresse: bei einer Professorswitwe nahebei in der Kesselstraße. Er solle nur scharf klingeln, die Dame sei schwerhörig! war ihm von dem Dienstmädchen nachgerufen worden. – Das hatte ihn eigentümlich lächeln gemacht, halb weich, halb verschmitzt – und er zog ein paar Minuten darauf die bezeichnete Glocke noch mit demselben Lächeln um die Lippen.

Eine würdevolle Dame, aus deren blütenweißer Haube auf jeder Seite des Kopfes drei graue Löckchen wie gedrechselt herabhingen, machte die Thür auf und fragte in der lauten Weise der Schwerhörigen, wer da wäre. Der Baron nannte sich in ebenso lautem Tone und fügte den Wunsch bei, Fräulein von Brünn einer Stickarbeit wegen zu sprechen.

Die Frau Professor hakte eifrig die Sicherheitskette aus und führte Werdenstein in ein Zimmer – augenscheinlich ihr Wohnzimmer. Dann klopfte sie an eine Nebenthür, öffnete sie und rief den Titel und Namen des späten Besuchers hinein.

Gertrud von Brünn, die über eine Weißstickerei gebeugt saß, erhob sich rasch und trat bis in die Öffnung der Thür. In ihren Augen lag ein frohes Erstaunen, das sogar in eine liebliche, offen gezeigte Freude überging, als sie sich vergewissert hatte, wer der Besucher war.

Diesem Gefühl gab sie auch zuerst Ausdruck, indem sie nach der Begrüßung, und während der Baron sich in einem der roten Plüschsessel ihr gegenüber niederließ, mit der vollen Beherrschung der Dame von Welt sagte: »Ihr Titel, Herr von Werdenstein. machte mich im ersten Augenblick unsicher, ob Sie es sein könnten. Er ist wohl noch sehr jung? Denn erst vor kurzem hörte ich noch wie sonst von dem Herrn Assessor sprechen.«

»Kaum vierzehn Tage trage ich an meiner neuen Würde! – Wer hat sich aber hier meiner erinnert?« Über das Gesicht Gertruds flog ein Erröten, da sie sich gestehen mußte, selbst nach ihm gefragt zu haben; doch antwortete sie ruhig: »Eine meiner Schülerinnen, Marie Freysing, deren Eltern ja wohl Nachbarn von Ihnen sind, erwähnte beiläufig, daß Sie von Berlin heimgekehrt wären.«

Eine Pause entstand. Werdenstein blickte nach der offen gebliebenen Thür, dann auf Gertrud, die wieder nach ihrer Arbeit langte. Ihm fiel jetzt ihr schwarzer Anzug auf, und er bemerkte teilnahmsvoll: »Seit wir uns nicht gesehen haben, hat sich für Sie viel geändert.«

»Sehr viel!« erwiderte sie schlicht. »In der ersten Zeit kam es mir auch beinahe nicht tragbar vor: jetzt aber, seit ich nicht mehr einsam bin – meine liebe Frau Professor hält mich wie das eigene Kind! und nun ich wieder Pflichten habe und so viel Arbeit, daß Sie mir gestatten müssen, selbst jetzt darin fortzufahren, nun geht es mir so gut, wie es einer Waise überhaupt gehen kann. Auf eine richtige Heimat hat die ja kein Recht mehr.« Sie hielt den Myrtenzweig, woran sie stickte, ein wenig von sich ab und begann dann, ihn noch um einige Blättchen zu vergrößern.

Werdenstein folgte den Bewegungen der zarten Finger mit einer gewissen Ergriffenheit, bis er hastig sagte: »Da werde ich meinen Wunsch wohl für mich behalten müssen! Sie hätten gar keine Zeit für eine neue Bitte?«

Gertrud blickte auf. »Handelt es sich um etwas sehr Eiliges?«

»Nein und ja!« versetzte er zögernd. »Ich möchte ein kleines Eckzimmer mit Seidenstickereien ausgestattet haben, ähnlich den Tapisserien von Beauvais. In Compiègne sah ich eine solche Einrichtung, die mir als das Urbild aller Eleganz vorschwebt. Es war ein Hochzeitsgeschenk der Normandie oder der Bretagne für die Kaiserin Eugenie.«

»Dafür, Herr Baron, dürfte meine Kunstfertigkeit kaum ausreichen!«

»Ich meine doch!« entgegnete er zuversichtlich, »wenn Sie eine so zeitraubende Arbeit überhaupt annehmen wollten. Ich denke übrigens auch nicht an eine vollständige Zimmerausstattung wie in Compiègne: nur an die Stickereien für ein Sofa etwa und drei bis vier Sessel. Selbst das Muster von dort würde ich am meisten bevorzugen: lauter Sträuße von Mohn, Blüten, Knospen und Blätter auf einem blaßgelben Untergrunde.« Gertrud sah nachdenklich vor sich hin. »Gerade Mohnsträuße müssen sich allerdings gut machen, und ihre Ausführung ist auch nicht die schwierigste.«

»Sehen Sie wohl,« rief Werdenstein erfreut, »nun bekommen Sie bereits Lust dazu! Ja, besonders der rosa und der süß lila Mohn waren entzückend. Und gar erst deren Knospen in ihrem bleichen Olivengrün! Wie verstreut lagen sie auf den Lehnen herum.«

»Vor Jahresfrist, oder wahrscheinlich noch darüber hinaus,« bemerkte das Fräulein, »würde ich aber die Arbeit nicht liefern können. Ganz darf ich meinen bisherigen Auftraggebern nicht absagen; sonst lassen sie mich später auch im Stich. Auf jeden, der sich zurückzieht, wartet ein ganzes Heer von Nachfolgern.«

»Dennoch bin ich überzeugt,« warf der Baron ein, »daß niemand die Nachfolge antreten wird. Im Gegenteil! Sobald nämlich die Möbel fertig sind, stellen wir sie hier irgendwo aus, und Sie sollen sehen, wie diese Mohnsträuße Ihre Aufträge vermehren werden.« Er begegnete ihren Blicken und sagte leise: »Wenn das dann noch notwendig ist!«

»O sehr!« erwiderte sie heiter. »Ich gebe hier in einer Mädchenschule Unterricht – als wohlbestallte Handarbeitslehrerin! nicht wahr, ein langer Titel? Mit dem Gehalt allein vermag ich aber nicht auszukommen; es reicht gerade für Wohnung und Pension aus. So muß nach Nebenverdienst ausgeschaut werden. – Übrigens meinen Dank, meinen herzlichen Dank für Ihre gütige Erinnerung an mich! Gerade eine solche große Bestellung, die uns nicht fortdauernd zwingt, uns nach Arbeit umzusehen, ist eine zwiefache Wohlthat. – Wenn Sie meine Ausführung nur befriedigen wird? – Und wir hier annähernd so hübsche Dessins finden werden? Ach, erlauben Sie, eins kann ich Ihnen zeigen!« Sie eilte in das Zimmer der Professorin.

Werdenstein folgte ihr mit den Blicken. Wie reizend natürlich sie war! Und ganz ohne Bitterkeit oder Weltschmerz! sogar nicht ohne Humor. Diese tief innerliche Liebenswürdigkeit – welch ein Gegensatz zu den Orselns! und die wagten es, sie herabzusetzen und ihr allerlei Makel anzuheften!

Gleichsam, um deshalb seine verdoppelte Achtung zu zeigen, erhob er sich, als Fräulein von Brünn, ein Stickmuster in Händen, wieder ins Zimmer trat.

»Nun bin ich neugierig,« rief sie, ihn unschuldig mit ihren sonnigen Augen anblickend, »was Sie sagen werden! Mir erscheint diese Vorlage ganz hübsch.« Sie breitete die Musterzeichnung, worin mehrfarbige große Mohnblüten die Mitte einnahmen, während Feldblumen sie umgaben, auf dem Tische aus.

»Sehr, sehr hübsch!« stimmte der Baron zu.

»Natürlich ersetzen wir die alle« – sie wies auf die Feldblumen – »durch Knospen und Blätter vom Mohn. Auch werde ich sicherlich noch andere Vorlagen auftreiben! davon wählen wir die gefälligsten.«

Werdenstein nickte zerstreut. Das Fräulein war neben ihm stehen geblieben. – So war sein Zweck denn erfüllt, und er mußte wieder aufbrechen. Doch die Sehnsucht, die ihn zu ihr gezogen hatte, war noch nicht gestillt! eher war sie gewachsen. Jetzt unter gleichgültige Bekannte? Mit diesen tausend Fragen im Kopfe und den heißen Wünschen im Herzen? – Es mußte erst klarer zwischen ihnen werden! wenigstens wollte er hören, ob sie auch seiner einmal gedacht hatte, wie er damals ihrer. Die halbe Stunde in der Schießbude, später die beiden Tänze mit ihr – der Eindruck hatte gar nicht weichen wollen! Erst seine Versetzung nach Berlin hatte ihn auslöschen können. Nicht auslöschen! nur durch die vielen neuen Eindrücke zurückdrängen.

Im Fluge waren diese Erinnerungen in ihm aufgestiegen und wieder zerronnen. Als jetzt aber nebenan ein Kleid durchs Zimmer schleppte, und Fräulein Gertrud ihn mit einer leichten Betroffenheit ansah, brach er endlich sein Schweigen, indem er mit halber Stimme sagte: »Nun soll ich wieder gehen, nicht wahr? Aber ich möchte gern noch mancherlei fragen!«

So bittend und gleichsam schmollend hatte sein Ton geklungen, daß Gertrud auflachte und sich wieder niederließ. »Mit Freude,« versicherte sie dabei, »will ich Ihnen Rede stehen.«

»Das sagen Sie so!«

»Und darf es auch sicher!« fuhr sie treuherzig fort. »Sie würden nichts fragen, worauf ich die Antwort schuldig bleiben müßte.«

»Wer weiß? Eben war ich mit den Damen Orseln zusammen, und beide haben sich sehr über Sie beklagt.«

»Adine Orseln!« Gertrud ließ die Arbeit sinken. »Über mich hat sie geklagt? Ich hätte mehr Ursache dazu. Kaum waren damals die ersten Schritte für meine neue Lebensstellung gethan, wo ich einer freundschaftlichen Zusprache oft geradezu bedurft hätte, da schien mich Adine nicht mehr kennen zu wollen. Ich sprach sie noch einmal an, jedoch war sie, wie die Mutter besonders, so verletzend in ihrer Kälte, daß ich ihnen, wie so manchen anderen Bekannten – nicht allen, fortan aus dem Wege ging.«

»Ja, wenn man nicht umsonst arbeiten kann, und gar allein Restaurants aufsuchen muß?« Seine Blicke ruhten innig auf ihr.

»Das haben sie Ihnen erzählt?« fragte Gertrud erstaunt. »Allein wäre ich dort gewesen?«

Werdenstein nickte.

»Nie habe ich das bis jetzt gethan!« rief sie in ehrlichem Eifer. »Zwei von unseren Lehrerinnen haben ihre Geburtstage durch ein kleines Mittagsessen im Restaurant gefeiert. Und da war ich mit dabei! Zufällig ißt dort der Hauptmann Orseln, ein Vetter der Rätin: der muß von dem großen Ereignisse Bericht erstattet haben. – Übrigens,« setzte sie tapfer hinzu, »würde ich auch keinen Anstand nehmen, wenn hier einmal nicht gekocht werden könnte, ins Restaurant essen zu gehen. Ich muß nun fast zu jeder Tages- und Abendzeit auf der Straße sein, warum also sollte ich nicht auch einmal in einem Gasthause essen? Mit dergleichen Formen hat wohl jede von uns, die alleinsteht, zu brechen. Ich lebe jetzt eben in einer anderen Welt!« schloß sie heiter. »Und wie sie mir bis heute erscheint, in keiner, die geringer ist.«

»Orselns behaupten es.«

Gertrud stimmte in sein Lächeln ein und meinte: »Sie versuchen eben, sich durch Exklusivität hervorzuthun! Die ganze Familie sind echte Junker.«

»Ich frage nun gar nicht,« versetzte Werdenstein ernst, »warum Sie das Asyl bei der Tante ausschlugen!«

»Dennoch will ich freimütig antworten!« entgegnete sie rasch. »Es geht mir dort zu fromm zu! Ich bin gewiß keine Freidenkerin – dort sind aber in den ganzen Tageslauf Gebete eingefügt, und trotzdem verbittert die Tante ihren Kindern das Leben durch allerlei Launen und ein stetes Geklage. Ach, da wäre ich vollständig verkümmert! – Und es ist mir einmal von Papa ein gewisser Frohsinn und vor allem Zufriedenheit vererbt worden. Beim besten Willen könnte ich den Kopf nicht ewig hängen lassen! Das mag ein Fehler sein – mit mir ist er nun aber verwachsen.« Sie sah in schelmischer Demut zum Baron auf, als würde sie selbst eine Rüge, ohne zu murren, über sich ergehen lassen.

Dem war aber weit anders zu Mut. Nicht tadelnswert, nur bezaubernd erschien ihm das holde Geschöpf. So verständig und schlicht, nichts schwerer nehmend als nötig, und doch so voll innerer Wärme! Welche reizende Gefährtin in Freud' und Leid! Den reinen Blicken durfte man für die Ewigkeit vertrauen!

All diese freundlichen Gedanken spiegelten sich in seinen Augen so offen wieder, daß Gertrud in einer süßen Befangenheit zu Boden sah. Die plötzliche Ahnung eines großen Glückes kam über sie, und sie erhob sich zitternd, als müsse sie fliehen. Auch Werdenstein stand auf. Und mit einem Mal streckte er ihr beide Hände entgegen. Um nichts hätte sie sie berühren können – nur einen scheuen, angsterfüllten Blick warf sie auf ihn.

Doch er ließ sich nicht täuschen: mit erstickten Lauten, die wie »mein Herzlieb!« klangen, trat er dicht an sie heran und zog sie mit sanfter Gewalt an seine Brust. »Gertrud,« flüsterte er dabei, »seit ich Dich gesehen habe, liebe ich Dich. – O, nun bist Du mein!«

Die Schlußworte hatte er so jauchzend herausgestoßen, daß im Nebenzimmer wieder ein Geräusch laut wurde und die Haube der Professorin samt den Löckchen im Hintergrunde auftauchte.

»Kommen Sie nur!« rief Werdenstein jubelnd. »Liebe gnädige Frau! Sie waren Gertruds Mutter, nun nehmen Sie auch mich zum Sohne an!«

Als die Professorin das Zimmer betrat, führte er ihr Gertrud entgegen, die mehr in seinem Arme lag, als ging. »Meine Braut! meine heißgeliebte Braut! Obwohl sie mir noch nicht das Jawort gegeben hat!«

Gertrud barg schluchzend den Kopf an seiner Schulter. »Weil er es sich genommen hat! Ja,« schloß sie, ihm durch Thränen zulächelnd, »der gewaltthätige Mann! Und doch wurde auch er längst über alles geliebt!«

Die Professorin faltete die Hände und sagte wahrhaft andächtig: »Das also war des Pudels Kern! Nur eine Stickerei sollte bestellt werden und nun giebt es eine Braut im Haus!«

* * *

Kaum ein halbes Jahr danach aber, als bei einem Feste im königlichen Schlosse die junge Landrätin von Werdenstein, am Arme ihres Gemahls in den Ballsaal trat, flog – wie von lauterer Zärtlichkeit getrieben, Adine von Orseln auf sie zu und rief, ihr die Hand fast zerdrückend: »Welche Herzensfreude, liebste Gertrud, Dich wiederzusehen!«

* * *


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