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Sub rosa.

Novelle.


I.

Es ging ihm unter den Kameraden ein Gerede nach. Zwar kannte man durchaus nichts Ehrenrühriges von ihm, doch wurde er, wenn man unter sich war, » Sub rosa« genannt und dabei auch wohl mit einer gewissen Anzüglichkeit gelächelt. Er trug eben gern irgend eine Blüthe, besonders eine Rose, im Knopfloch und beschenkte die Damen seiner Freunde und Bekannten zu jeder schicklichen Gelegenheit mit den kostbarsten Sträußen. Da er wohlhabend war, konnte er diesem Hange nach Gefallen nachgeben. Ob übrigens bei Dem und Jenem nicht ein verschwiegener Zug des Neides die spitzen Bemerkungen darüber mit hervorrief, soll unerörtert bleiben.

Lieutenant Bernoth selbst wußte natürlich, daß er in der Meinung seiner Kameraden nicht ganz auf derselben Höhe stand, wie einige Auserwählte; das schmerzte ihn auch wohl einmal, da er nicht ohne Ehrgeiz war, doch empfand er im Ganzen wieder zu harmlos und war von Gemüth zu wohlwollend, als daß ihn diese Erkenntniß bitter gemacht hätte. Er war und blieb sogar stets bereit, seinen persönlichen Widersachern mit all seinen reichen Mitteln zur Verfügung zu stehen. Seine Schwächen – zu denen man neuerdings noch eine starke Vorliebe für den Philosophen von Frankfurt am Main Arthur Schopenhauer. rechnete – wurden schließlich auch als etwas Ursprüngliches, nicht Abzulegendes hingenommen; unter den älteren Kameraden, die seine Frische und gelegentliche Ernsthaftigkeit anzog, fand er lebhafte Vertheidiger, kurz, selbst die häufigen Neckereien mit ihm, welche unter so zahlreichen Genossen nicht ausbleiben konnten, überschritten niemals eine gewisse Grenze. – Wie es gleichfalls selbstverständlich ist, wußte man in dem kleinen Brünnberg auch unter der Damenwelt, daß der reiche Lieutenant Bernoth allerdings ein liebenswerther Mensch sei, doch neben seiner fast zu großen Gutmüthigkeit auch aus allerlei nicht recht zum Kriegsmann passenden Eigenschaften zusammengesetzt wäre. Zwar hätte ihn trotzdem wohl jedes junge Mädchen, namentlich des Militärkreises, sofort zu seinem Eheherrn erwählt, wenn er ernstlich gefragt hätte; da er jedoch sehr wählerisch schien, sich nur zu besonderem Liebreiz oder Vornehmheit hielt, was auch zu seinen Schwächen gehörte, so blieb den übrigen Mädchen reichlich Gelegenheit, über sein Treiben die Achseln zu zucken und wohl auch einmal gegen ihn oder wenigstens seine Vorschläge als Vergnügungskommissarius Front zu machen. In's Vergnügungscomité der Garnison wurde Sub-Rosa nämlich ein- für allemal gewählt; wer hätte auch mit ähnlicher Lust und Liebe wie er darin gewirkt und nebenbei wie er die durch eine ungewöhnliche Ausgabe etwa nothwendig gewordenen kleinen Ueberschreitungen des Budgets begleichen können, ohne nur ein Wort darüber zu verlieren. –

Erst für heute, den letzten Sonntag des November, war von der hohen Kasinodirektion das erste der diesjährigen Tanzvergnügen ausgeschrieben worden. Der Herbst hatte lange mit Sonnenschein wie duftigstem Blauhimmel erfreut und dadurch den Beginn der Wintersaison verzögert.

Nun war aber seit einigen Tagen eine empfindliche Kälte eingetreten, allerlei Pelzsachen hatten bereits Dienste gethan, und man empfand sich in den vollen Winter versetzt. Hierfür paßte der bevorstehende Tanzabend vortrefflich und alle Welt, besonders die junge, rüstete sich dazu mit einer Freude, die jetzt noch etwas von dem Glücke an sich hatte, lange Entbehrtes wieder genießen zu sollen.

Gerade die Tanzvergnügen wurden ihrer weniger ceremoniellen Form wegen überhaupt vielseitig den Bällen vorgezogen, der Besuch derselben war jedenfalls verhältnißmäßig größer, und gar heute mußte sich Alles, was zum Offizierkasino Zutritt hatte, hier ein Stelldichein gegeben haben. Der ganze mächtige Saal war überfüllt, selbst die polnischen Familien der Nachbarschaft schienen insgesammt gekommen zu sein, und es war darum wie ein wohlberechtigter Stolz, mit dem König Friedrich Wilhelm IV. aus seinem blitzenden Goldrahmen auf die Seinigen und deren Gäste niederblickte. Die vollzählig beorderte Regimentsmusik ließ von der Empore ihre kräftigen Weisen erschallen, der haut-pas rings um den Saal war von den plaudernden Müttern und den jüngeren Frauen eingenommen, tief in die Nebenzimmer hinein standen Offiziere und sonstige Herren, die sich zwar nicht mehr am Tanze betheiligten, ihrer Anerkennung oder ihren Pikanterieen über die Tänzerinnen jedoch freien Lauf ließen, bis sie ein stärkerer Magnet, der Spieltisch oder der gemüthliche Kneipwinkel im Rauchzimmer, unwiderstehlich anzog.

Eben war eine Pause eingetreten, und Lieutenant Bernoth, sehr erhitzt von dem Walzer, den er mit der gestrengen Kommandeuse »exekutirt« hatte, drängte sich eilig durch die Herren, welche in der Hauptthür standen; er hatte während der Tour einen lieben Bekannten gesehen, einen Premier von dem Ulanenregiment, das in der nächsten Garnison lag, und wollte ihm nur die Hand drücken, bevor der Tanz wieder begann. Der Premier war aber verschwunden und Bernoth fand ihn erst nach längerem Suchen im Lesezimmer.

Ein Wort gab das andere – Lieutenant von Rydstedt war vor Kurzem aus Dänemark zurückgekehrt und hatte noch allerlei Reiseerlebnisse zu berichten – als sich die Thür hastig öffnete und ein Offizier hereinblickte. Bernoth wußte sofort, um was es sich handle, da er mit der Schwester desselben zum nächsten Tanze engagirt war, verabschiedete sich also rasch von Rydstedt und folgte dem voranschreitenden Mahner.

»Ist denn das Signal schon gegeben worden?« fragte er, als er an dem Offizier rasch vorüberschritt.

Dieser erwiderte in gereizter Weise: »Natürlich! Alles ist bereits angetreten, blos Liddy wartet.«

»O!«

Bernoth knöpfte hastig die Handschuhe zu und stand gleich darauf vor Liddy von Hattenheim, einer mehr fraulich üppigen als mädchenhaften Erscheinung, deren unregelmäßiges Gesicht große dunkle Augen voll beherrschten. Sonst pflegten diese Augen fast nur umschleierte Blicke zu haben, die immerwährend Räthsel aufgaben; jetzt waren alle Schleier wie fortgestreift, ein unruhiges, kaum beherrschtes Feuer brannte darin. Auch Bernoth's Entschuldigungen wurden kaum angehört, Fräulein von Hattenheim erhob sich auf's Lässigste und ließ sich von ihm mit den Airs einer verletzten Prinzessin auf ihren Platz in der Lancier-Quadrille führen.

Zum Glück standen die beiden Gräfinnen Hysenthal, ihre vertrautesten Freundinnen, in derselben Quadrille, auch an ihrem vis-à-vis hatte sie nichts auszusetzen, so nahmen ihre Züge allmälig den gewohnten Ausdruck an, nur Bernoth fühlte ihre Ungnade noch jeden Augenblick scharf durch, da sie heute auf all' seine Unterhaltungsversuche entweder gar nicht einging oder dieselben durch ein paar kühle Ja oder Nein bald ihrem Ende zuführte.

Bernoth, bei seinem wirklichen Schuldbewußtsein, welches auf ihn stets lähmend wirkte und ihn doch zugleich immer von Neuem anspornte, das Verbrochene gut zu machen, verstummte schließlich ganz. Bevor die letzte Tour begann, knüpfte er jedoch wieder an seine ersten Entschuldigungen an und sagte bittend: »Aber, gnädiges Fräulein, habe ich denn etwas so Furchtbares begangen?« Bei ihrem Schweigen fuhr er mit seinem treuherzigen Lächeln fort: »Ist nicht eher der Rydstedt an Allem schuld? Warum muß er sich bis in's Lesezimmer verirren! Dorthin dringt einmal kein Ton mehr! Und sprechen mußte ich ihn doch, er war seine vollen fünfundvierzig Tage fort und kommt so wie so immer selten herüber!«

»Lassen wir das endlich, Herr Lieutenant!« erwiderte Liddy Hattenheim scheinbar müde, oder gelangweilt. »Wenn Sie Ihr Unrecht nicht fühlen –«

»Aber ich fühle es ja bis in den tiefsten Herzenswinkel hinein!«

»So ist es recht schade, daß Sie es nicht vorher gefühlt haben!« versetzte sie, auf ihren Fächer blickend. »Bisher war ich es eben nicht gewöhnt, die Letzte im Saale zu sein, an welche gedacht wurde. Uebrigens haben Sie mich eigentlich verbunden. Ich vermag nun doch zu beurtheilen, wie es solchen Vergessenen zu Muth ist.«

»Sie wollen heute grausam sein!« verantwortete sich Bernoth eifrig. »Wie gäbe es da eine Spur von Aehnlichkeit gerade im Vergleich mit Ihnen?«

»Warten bleibt immer Warten!« fuhr sie hartnäckig fort. »Ob man noch gar nicht aufgefordert worden oder, hübsch und rund auf Deutsch gesagt, sitzen gelassen wird,« – sie betrachtete auch dabei noch fortdauernd die Bildchen ihres Fächers – »das ist für uns selbst wie für die übrige Gesellschaft vollständig gleichbedeutend, nur vielleicht noch bitterer, da bei den Mauerblümchen die Gewohnheit wohl längst jeden Stachel genommen hat. Doch nun Attention, die Tour beginnt!«

Sie tanzte den Mazurkapas mit einer ganz darin aufgehenden Hingabe und machte dann ebenso ihre tiefen Hofdiener mit dem Aplomb der vollendeten Weltdame.

Als die Quadrille beendigt war, dankte ihrem Tänzer ein ebensolcher Diener und sie nahm rasch den Arm der älteren Gräfin Hysenthal zu einem Rundgange durch den Saal.

Bernoth fühlte, daß augenblicklich auf keine Aussöhnung zu rechnen sei, so gedachte er, halb beunruhigt, halb verstimmt, wieder nach der Bibliothek zu gehen. Rydstedt hatte aber, wie er beim Durchschreiten des Spielzimmers sah, eine Whistpartie angenommen; er kehrte also an den Eingang des Saales zurück und schaute unwillkürlich von Neuem nach Liddy Hattenheim aus.

Sie promenirte noch mit der Gräfin und schien wie sonst zu lachen und allerlei Muthwillen zu treiben. Als sie in seiner Nähe vorüberkam, war es ihm aber, als würde sie plötzlich ernst und ein beinahe trauriger Blick träfe ihn wie vorwurfsvoll. Er sah ihr betroffen nach, was sich bald zu der alten Anwandelung von Eifersucht steigerte, als er den eleganten, ihm noch nie so einnehmend erschienenen Baron Lorch an die Damen herantreten und in seiner ungezwungenen Weise mit ihnen scherzen sah. Sonst war meistens er ihr Partner gewesen! Dieses kleine Versäumniß so aufzubauschen! Oder? Es setzte eigentlich etwas voraus, etwas, das er bisher trotz seiner heißen Wünsche noch kaum empfunden hatte. Lag nun etwa Tieferes darin? Fühlte sie sich bloß so verletzt, weil er es sich hatte zu Schulden kommen lassen? Nein, nicht so! Und doch eben wieder trotz der Nähe Lorch's – dieser lange Blick?

Bernoth gerieth nach und nach in eine immer wachsende Aufregung und es war gut, daß ihn die schmetternden Klänge, welche zur Galoppade riefen, jedes weiteren Sinnens enthoben. Die Polka vor dem Souper tanzte er mit Liddy, da mußte sich Alles klären.

Die Pause vor diesem Tanz blieb Bernoth im Saale. Er suchte zwar Liddy selbst nicht auf, unterhielt sich aber auch nicht mit anderen Damen, sondern stand träumerisch in einer Fensternische, indem er nur den hier und da herantretenden Kameraden Rede und Antwort stand. Sobald die Engagements begannen, schritt er auf Liddy zu und sagte mit eigenthümlich bedeckter Stimme: »Wahrscheinlich ist es von Ihnen gar nicht bemerkt worden, dennoch habe ich diesmal keinen Augenblick den Saal verlassen, um schon vor der Zeit zur Stelle sein zu können!«

»Aber, Herr Lieutenant,« erwiderte sie sehr verwundert, »diese Polka –«

»Wurde mir längst zugesagt!« fiel Baron Lorch ein, der rasch herangetreten war und Liddy den Arm reichte, auf welchen diese, ohne zu zögern, ihre Hand legte.

»Das ist unmöglich!« rief Bernoth, indem er nach seiner Tanzkarte suchte.

Baron Lorch lächelte moquant und entgegnete: »Unmöglich wäre nur, daß ich mein Recht auf diesen Tanz aufgäbe! Fräulein von Hattenheim dürfte sich dessen ebenso genau wie ich erinnern, daß sie mir gerade diese Souperpolka bereits auf unserer letzten Probe versprach!«

Liddy hatte sich von ihrem jüngern Bruder, der unweit stand, ihre Tanzkarte geben lassen und reichte dieselbe nun gleichfalls Bernoth. Er sah zerstreut auf die Stelle, wo der Tanz verzeichnet war, fand dort auch mit sogar auffallend starker Schrift den Namen seines Gegners eingetragen, es mußte also seinerseits ein Irrthum obwalten. Mit einer Verbeugung gab er Raum und das Paar eröffnete den Tanz.

Fast unbewußt folgte er ihm mit den Blicken und es fiel ihm an Beiden eine Art leichten Hohnes in den Zügen auf; hatte er sich etwa nicht geirrt und war da falsches Spiel getrieben worden? Er fand endlich auch seine Tanzkarte: an der Polka war nur der Strich, den er bei solchen Tänzerinnen machte, die er nicht zu vergessen fürchtete. Heiß flog das Blut bis in die Stirn, wie drückend auf einmal die Luft im Saale war! So verließ er denselben, wie bald darauf auch das Kasino, da nach dem Abendessen nur noch ein Damenwalzer und der Cotillon auf dem Programm standen, welchen Liddy Hattenheim, wie er eben gesehen hatte, gleichfalls mit Lorch tanzte. In der kleinen Weinstube bei Pfister wußte er nun ja Rydstedt und er eilte förmlich, dorthin zu kommen, um auf diese Weise seiner Verstimmung zu entrinnen.

Vor dem Essen kam Erich, der jüngere Bruder Liddy's, welcher Bernoth vorher zum Tanze geholt hatte, zu dieser heran und raunte ihr erregt zu: »Was sollte das wieder sein? Du bist ganz unbegreiflich! Bernoth ist fortgegangen!«

Liddy lächelte befriedigt und sagte, ihm mit dem Fächer auf die Schulter klopfend: »Vertraue mir doch, ich weiß genau, wie weit ich gehen darf!«

* * *

Außerhalb Brünnbergs, aber noch dicht an der Promenade, welche auf dieser Seite die Stadt umgibt, theilt sich der Brünn in zwei Arme, die eine langgestreckte, nur von Schilf und Weidengebüsch bestandene Insel umfließen, welche die Brünnau heißt. Hier gab es bei einiger Kälte fast die ganzen Wintermonate hindurch eine vorzügliche Schlittschuhbahn. Dieses Geschenk der gütigen Natur wurde seit jeher von ganz Brünnberg auf's Bereitwilligste anerkannt, und so blühte hier gerade der Eissport mit seinen gesammten Abarten. Groß und Klein, Alt und Jung lief Schlittschuhe oder schlidderte wenigstens und ließ sich Stuhlschlitten fahren; auch gehörte es zu den stehenden Vergnügungen des Winters, daß ganze Schlittenfahrten auf dem Fluß stattfanden, deren Ziel immer das eine Stunde südwärts gelegene, mit einem respektablen Saal ausgestattete Gasthaus war. Doch benützte man, für solche Fahrten besonders, mehr die rechte Seite des Flusses, die linke nur bei ungewöhnlich strengem Frost; der Brünn hatte Gefälle und sein tiefer Hauptstrom floß auf dieser letzteren Seite, welche in Folge dessen selten ganz zufror. Namentlich an der Brünnau war die Bahn darum verpönt und man sah da nur Wagehälse oder Fremde auf dem Eise, so blank und glau und spiegelglatt es sich gerade dort auch hinzubreiten pflegte. –

Einige Tage nach jenem ersten Tanzvergnügen im Kasino, die Kälte hatte ein wenig nachgelassen und die Sonne rüstete sich eben zu einem ihrer gloriosen Untergänge des Frühwinters, gingen oder schlenderten vielmehr längs des Ufers Liddy Hattenheim, ihr älterer Bruder Wolf und Bernoth auf das Gehöft des Schloßfischers zu, der auch am linken Arm des Flusses und fast der Brünnau gegenüber wohnte.

Liddy, von ihrem langem Schlittschuhlauf ermüdet, war bisher sehr einsilbig gewesen; als ihr Bruder jedoch bei einem Kameraden, der sie auf dem Eise begleitet hatte und der nun nicht weiter vorwärts laufen wollte, zurückblieb, wandte sie sich plötzlich mit der Frage an Bernoth: »Warum sind Sie heute denn so spät gekommen? Hatten Sie Dienst?«

»Nein!«

»Dann ist es ganz unverantwortlich, eine so selten gute Bahn nicht auszunützen! Ich will es dabei nicht einmal rügen, daß man seine Freundinnen mit ihren kleinen Eisnöthen im Stich läßt.«

»War nicht Wolf bei Ihnen?«

»Wie es um brüderliche Hilfe bestellt ist,« erwiederte sie achselzuckend, »müßten Sie doch eigentlich schon wissen. Am liebsten würden sie uns noch ihre Schlittschuhe aufhängen und sich unter dem Vorwande des Scherzes von uns fahren lassen. Das geht den Hysenthals ebenso wie mir!«

»Wenigstens bei Ihnen,« antwortete Bernoth ungläubig, »habe ich dergleichen noch nie bemerkt!«

»Weil man sich zu wehren pflegt!«

»Das wissen die Götter!« rief er mit einer Ueberzeugtheit, daß Liddy auflachte und neckend fragte: »Dabei denken Sie wohl an die neuliche Polka? Uebrigens hat der sehr empfindliche Herr das vollständig wett gemacht, indem er mich sowohl beim Damenwalzer als im Cotillon umsonst die Nebenzimmer durchirren ließ, und ich hatte zur Versöhnung einen Ordensstern ersten Ranges ausgesucht!«

»Nun, jedenfalls haben Sie doch einen Würdigeren für ihn gefunden!« erwiderte Bernoth mit einer gewissen Hast.

»Wenn Sie Baron Lorch dafür halten!« warf Liddy in gleichgültigem Tone hin. »O, sehen Sie da drüben! Immer die alte Erfahrung, sobald man an Jemand denkt –«

»Schlägt er vor uns eine wahrhaft bewunderungswürdige Volte!« vollendete Bernoth nicht ohne Schärfe.

Beide erwiederten dann den Gruß des Offiziers, der einen Augenblick in seinem Lauf inne gehalten und sich tief verneigt hatte. Als derselbe noch weiter vorwärts lief, sagte Bernoth mißbilligend: »Das ist wieder einmal der ganze Lorch! Wenn er sich auch dicht am Ufer hält, da sind gewiß noch offene Stellen!«

Liddy folgte dem Offizier mit Blicken verschwiegener Freude, oder war es Stolz? und entgegnete: »Aber gerade auf dem dunklen Eise dort, wie prächtig muß es sich dahinfahren!«

»Und wie prächtig macht sich der Läufer, nicht wahr?« fügte Bernoth nach einer Pause hinzu. »So von der Abendsonne bestrahlt, Gold zu Füßen, Gold zu Häupten! Neidenswerth!«

»Wenn Sie das auch in gar nicht hübscher Weise sagen,« versetzte Liddy, »jedenfalls ist es der Fall!«

»Gewiß! Und ahnte Lorch, mit welcher Bewunderung Sie ihm nachsehen, thäte er sicher noch ein Uebriges und versuchte sein gut Glück sogar auf unserer Seite.«

»O, es ist etwas um den Muth!« Herbe, fast in einer Art von Herausforderung klangen die Worte.

Bernoth sah auf seine Begleiterin und sie wandte ihm rasch das Gesicht zu; wieder war das Verhüllte des Blickes einem blitzhaften Aufleuchten gewichen, das ihn seltsam unheimlich berührte. Sie mochte das fühlen und meinte darum lächelnd: »Ich bin eben eine Soldatentochter de pur sang, und all' die Meinigen wurden von jeher daran gewöhnt, sich ein wenig tollkühn zu betragen.«

In diesem Augenblick grollte gleichsam ein eigenthümlicher, langgedehnter Hall herüber, dann mußte es irgendwo im Eise brechen. Erschrocken sahen Beide nach der Brünnau, der kühne Läufer, welcher dort noch eben seine Kreise gezogen hatte, war verschwunden.

Mit einem Blick, einer Bewegung nach Liddy hin, die stumm zu sagen schienen: »Das ist dieser gepriesene Muth!« stürzte Bernoth, indem er sich seines Degens und Paletots entledigte, an das Ufer des Brünn. Eben, tauchte Lorch in der Mitte des Stromes wieder auf brach aber, wo er sich auch auf die Eisdecke zu stützen versuchte, stets von Neuem durch, und wurde dabei augenscheinlich rasch matt und matter, da ihn die schwere Kleidung an jeder Bewegung hinderte. Mit einem Ausdruck des Entsetzens, wie keines rechten Gedankens mehr fähig, starrte Liddy auf den immer wieder Versinkenden.

Bernoth hatte erst durch das Weidengebüsch hindurch aufrecht vorzudringen versucht, doch sofort gefühlt, daß ihn das Eis nicht tragen würde, so kehrte er um und wollte eine Strecke weiter nach oben zu den Versuch wagen. Dabei fiel ihm ein altes, nur an der Spitze abgebrochenes Ruder in die Augen, das im Gebüsche lag; von einem Gedanken erfaßt, nahm er das Ruder mit und schob sich dann vermittelst desselben, indem er sich auf die Seite legte, über das Eis hin, der Mitte des Stromes zu. Es glückte; zwar ächzte und dröhnte es im Eise, doch trug es ihn.

Auch Lorch hatte schließlich eine festere Stelle gefunden; allerdings wagte er nicht, sich an derselben emporzuschwingen, er sammelte aber neue Kraft. Noch eine kurze Strecke trennte die Offiziere; schon glaubte sich Lorch gerettet, da brach das Eis unter Bernoth in weitem Bogen in die Tiefe. Immer darauf vorbereitet und dabei ein tüchtiger Schwimmer, hielt dieser trotzdem das Ruder krampfhaft fest und näherte sich Lorch auch bald von Neuem, halb Wasser tretend, halb schwimmend. Noch ein paar angstvolle Minuten vergingen, dann war er wieder nahe genug gekommen: Lorch, der kein Schwimmer war, klammerte sich an das Ruder und Bernoth, das gebrochene Eis unter sich stampfend oder zur Seite schiebend, vermochte es, ihn trotz der Stromschnellen bis an das festere Eis zu ziehen. Auf dieses selbst brachte er ihn nur noch mit höchster Anstrengung, da Lorch nun fast unbeweglich geworden.

Indessen waren viel Leute zusammengeströmt, man hatte vom Schloßfischer Stricke geholt, warf diese Bernoth zu, so zog er sich und Lorch allmälig an's Ufer. Sobald er dies betrat, lüftete einer der herumstehenden Herren den Hut und rief laut: »Ein Hurrah dem Retter!«

Als hätte man darauf nur gewartet, so brauste ein begeistertes, dreimaliges Hoch in die Lüfte.

Bernoth verneigte sich voller Verwirrung, nahm seinen Degen aus Wolf's Hand und eilte dann wie beschämt dem Fischerhause zu, in welches man sich eben anschickte auch Lorch hinüber zu tragen.

* * *

Eine wahrhafte Fülle des Erfreulichen strömte in der nächsten Zeit über Bernoth hin; er kam aus einer gelinden Aufregung kaum mehr heraus. Daheim verhätschelte ihn die Mutter, welche in Folge des jüngsten Ereignisses vom Gut hereingekommen war, und selbst der Vater sah dann und wann mit Blicken einer Zufriedenheit auf ihn, an welche er durchaus nicht gewöhnt war; draußen zeichnete ihn der größere Theil der Kameraden sogar aus. Von so Manchem kam es ihm vor, als solle seine gleichfalls ungewohnte Aufmerksamkeit und Wärme ihm für irgend etwas Abbitte leisten. Der Oberst, so wurde ihm mitgetheilt, habe gleich mehrere der Zuschauer zu Protokoll vernehmen lassen, und so stehe ihm die Rettungsmedaille, dieser neben dem Orden pour le merite edelste aller Orden, in sicherer Aussicht. Kurz, es war in der kleinen Stadt, wo sich selten etwas Ungewöhnliches zutrug, als habe der Lieutenant Bernoth mindestens eine Schlacht gewonnen und es gelte nun, ihn dafür mit allen Ehren zu überschütten, welche eine werkthätige Anerkennung zulasse.

Gerade für Bernoth war ein solcher Zustand ein gänzlich unbekannter; am ersten Tage nahm er ihn denn auch dankbar hin, doch schon am zweiten litt seine Bescheidenheit darunter und er entfloh Jedem, der nochmals von der Rettung sprechen wollte. – So hatte auch ein mit Lorch, im Beisein Anderer, stumm getauschter Händedruck äußerlich Alles erledigt, was dem Retter und dem Geretteten auf dem Herzen liegen mußte. Lorch hütete übrigens momentan das Bett, schien sonst aber ohne bleibenden Schaden für seine Bravade davonzukommen. –

Da auch in den nächsten Tagen weicheres Wetter anhielt, stand an der Brünnau schon über manchen Strecken des Eises wieder Wasser – es hatte nur einzelne Besucher herausgelockt, und selbst diese tummelten sich nicht auf der Eisbahn, sondern gingen plaudernd die Ufer entlang.

Zu diesen gehörte die ganze Familie Hattenheim: Liddy, deren Vater, welchem sie die Stelle der Rettung zeigen wollte, und ihre Brüder Wolf und Erich. Auch Bernoth hatte versprechen müssen, mit seinen Eltern dorthin zu kommen, war aber noch nicht eingetroffen.

Während Liddy jedoch die verschiedenen Stadien des Rettungswerkes auf's Eifrigste beschrieb, näherte er sich, seine Mutter führend, vom Fischerhause her, wo er nochmals seinen Dank für die mancherlei Hülfen ausgesprochen hatte, und wurde nun, sobald man seiner ansichtig wurde, mit einem förmlichen Hallo empfangen. Selbst Liddy küßte seiner Mutter in einer wärmeren Weise als sonst die Hand und legte die ihre dann mit einer Art von Feierlichkeit in die seinige.

Bernoth, der Alles mit verlegenem Auflachen hingenommen, drängte bald zum Vorwärtsgehen, und da auch der Vater Bernoth's, dem der Schloßfischer eine Strecke weit das Geleite gegeben hatte, herankam, brach die ganze Gesellschaft auf. Man gedachte, den gewohnten Spaziergang am Strom entlang zu machen und später über die Eisenbahnbrücke nach der Stadt zurückzukehren. Der alte Major von Hattenheim ging mit der Mutter Bernoth's voran, während die Uebrigen vereint folgten. Da kehrte sich Liddy, ehe man die Biegung des Brünn erreichte, scheinbar unwillkürlich noch einmal um und blieb dadurch hinter den Anderen zurück. Bernoth hatte es im ersten Augenblick nicht bemerkt, bald verhielt er aber gleichfalls den Schritt und wartete auf ihr Herankommen.

Sie hatte heute mehr Farbe als gewöhnlich, so hob sich ihr Gesicht in wahrhaft reizender Frische von dem braunen Plüschbaret mit seinem silbergrauen Pelzbesatz ab, und ähnlich trat die Figur in dem sich eng anschmiegenden, ebenfalls braunen Plüschkostüm in jeder Linie wie gemeißelt hervor. Dabei gaben die seidenhaarigen Pelzbesätze der ganzen Erscheinung etwas phantastisch Beschwingtes, das an slavische Nationaltrachten erinnerte.

Bernoth's Blicke mußten auf's Deutlichste davon sprechen, wie bezaubert er war. Liddy lächelte auch in leiser Genugthuung, sagte aber natürlich, als sie ihn erreicht hatte: »Es paßt wieder gar nicht zu Ihrer Bravheit vom Sonnabend, daß Sie Einen gleichsam Revue passiren lassen! Ich mußte eben daran denken, wie einem armen Rekruten zu Muth sein muß, der sich so gemustert sieht und nicht ganz genau weiß, ob jeder Knopf auch geschlossen sei!«

Kurt Bernoth lachte. »Vergeben Sie! Uebrigens wenn auch Ihr Vorwurf am Platz gewesen wäre, welcher Vergleich aber! Ein Rekrut und Sie, die gefeierte, stolze –«

»Ah, bitte!«

»Lassen Sie mich meine Beweisführung zu Ende bringen!« fuhr er lebhaft fort. »Ich versuche ja ganz objektiv zu sein, sonst möchten die Eigenschaftswörter viel voller –«

»Zum Beispiel?« rief Liddy. »Es interessirt mich, solche Steigerungen kennen zu lernen, vielleicht zu späterem Gebrauch.«

»Wem gegenüber?«

»Wie soll ich das jetzt wissen?«

»Nun, ich will großmüthig sein und Ihnen nichts von dem vorenthalten, was mich in solchem Falle das Herz lehren würde.«

»Das Herz?« fragte Liddy leise.

»Gewiß!« versetzte er, seine Stimme gleichfalls dämpfend. »Bei der Wahl von Eigenschaftswörtern ist dieß immer am nächsten betheiligt; erkennt man doch auch den Dichter, den Herzenskünder, daran, welches unter den unzähligen er gerade wählt!«

»So genügte ihm ein einziges?«

»In den meisten Fällen – ja!«

»O, dann bitte,« rief Liddy, indem ihre Augen ihren unbestimmbarsten Ausdruck annahmen, »seien Sie auch einmal Dichter, daß Dichterblut in Ihnen stecke, habe ich, wie Sie wissen, immer behauptet, und bilden oder wählen Sie solch' ein einziges Wort für mich!«

»Das ist schwer!«

»Ertappt!« lachte sie auf. »Eben versicherten Sie noch, und zwar mit einer Großartigkeit, die etwas Bestechendes hatte, wie dabei immer das Herz betheiligt wäre, und doch schweigt Ihr Herz jetzt, denn sonst müßte Ihnen das rechte Wort gleich, wie vom Instinkt geschenkt, einfallen!«

»Dagegen könnte ich viel einwenden!« verantwortete sich Bernoth.

»Nun?«

»Vor Allem bin ich kein Dichter, und Sie sind gerade eine Erscheinung, die Etwas, ich möchte sagen, ungewöhnlich Komplizirtes an sich hat.«

»Ich? O! Verkennen Sie mich auch nicht?«

»Ich glaube kaum!« erwiderte er, sie voll anblickend. »Zwar sind wir erst seit kurzer Zeit bekannt –«

»Doch nun schon seit Jahr und Tag!« warf Liddy verwundert ein.

Bernoth verneinte. »So lange ist es unbedingt nicht her!«

»Papa kam bereits im vorigen Dezember!«

»Sie aber erst zum Fastnachtsball, wenigstens sah ich Sie an dem Abende zum ersten Mal.«

»Was Sie Alles behalten!«

»Wie sollte ich nicht!«versetzte Bernoth treuherzig. »Ich traf Sie ja mit Ihrem Herrn Vater im Vorzimmer, bat gleich um den ersten Walzer und durfte Sie zu demselben in den Saal führen! Wissen Sie nicht mehr, wie alle Welt auf uns sah, und wir dann ganz allein tanzten? Schienen die Kameraden doch von dem ersten Anblick der neuen Fey –«

»Ah, sehr gut!« unterbrach Liddy, indem sie ihren kleinen grauen Muff mit einer graziösen Bewegung an die Lippen drückte, als solle das auch etwas Verbindliches bedeuten. In demselben Augenblick fuhr sie zusammen und blickte erblassend nach dem Flusse hinüber; der gleiche, starke, grollende Hall wie neulich kam hinter ihnen her und dröhnte und sprang gleichsam im Eise vorwärts. Dann war in der Landschaft wieder die frühere müde Stille, als sei sie durch nichts unterbrochen worden.

»Meine Nerven haben sich wohl noch nicht völlig beruhigt!« begann Liddy das Gespräch von Neuem. »Es war ihnen auch ein wenig viel zugemuthet! Dennoch bin ich glücklich, das Alles miterlebt zu haben. Ein gutes Ende tilgt immer die ausgestandene Angst und Qual, um uns nichts als das Große, das unvergeßlich Große zurückzulassen!« Ihre Augen strahlten.

»Wollen Sie mich nun auch noch erröthen machen?« rief Bernoth, der trotzdem ihre Blicke durch die seinigen zu bannen suchte. »Ich war Ihnen vorher so dankbar, daß sie gar nichts sagten, mich nur so freundlich wie jetzt ansahen und damit Holla! Ja, ja, mir fehlte es in den letzten Tagen beinahe an Athem, bedrückt war ich, ah, ich hätte nicht geglaubt, daß eine an sich ja rechte, und gut abgelaufene That eine arme Seele nachträglich so peinigen könnte!«

»Diese arme Seele hat sich aber noch Blicke bewahrt, deren, –« Liddy stockte, fuhr dann aber rasch fort: »Mir fällt eben wieder der Anfang unseres Gespräches ein! Sie sind mir noch das allumfassende Wort für mich schuldig!«

»Und das fiel Ihnen ein,« fragte Bernoth gepreßt, »weil sich nicht das rechte Wort für den Ausdruck meiner Blicke einstellen wollte? Wenn Sie das Wort finden, verspreche ich Ihnen jenes! Wahrscheinlich hatten Sie es auch gefunden, Sie mochten es nur nicht gebrauchen.«

»Heucheln ist meine Sache nicht!« entgegnete Liddy, indem sie mit der Hand über ein paar dürre Schilfhalme, die am Ufer standen, hinstrich. »Ich bin auf Ihren Ausdruck zu neugierig, um nicht den meinigen dafür preiszugeben! Ihre Blicke hatten etwas Warmes, Glühendes sogar, ganz unmotivirt, ich gebe dies gern zu!«

»Glauben Sie?« Eine Erregtheit sprach aus der Betonung der Worte, daß sich Liddy unwillkürlich abwandte. Vielleicht fühlte sie auch, ohne daß sie die Augen vom Boden hob, mit welchem neu auflodernden Feuer Bernoth's Blicke wieder an ihr hingen und nicht blos an dem feinen Oval des Gesichtchens – sie umfaßten die ganze Gestalt.

Liddy beugte sich herab, um eine trockene Schilfblüthe zu brechen; die Blüthe wehrte sich gleichsam, da kam Bernoth zu Hülfe, brach den Stengel durch und überreichte sie ihr; dabei berührten sich ihre Hände.

Wollte Liddy sie ihm dankbar drücken, wollte er es thun? Augenblicke vergingen, sie standen noch Hand in Hand. Und nichts weckte sie; die Vorangegangenen waren schon in der Nähe der Brücke, der Nebel seitwärts auf den Wiesen wallte und brodelte lautlos, selbst das Seufzen des Abendwindes in Rohr und Weide war verstummt.

Liddy erwachte zuerst und versuchte hastig ihre Hand aus der seinigen zu ziehen, doch hielt er dieselbe nur fester und flüsterte leidenschaftlich: »Sie gaben sie mir nicht, ich habe sie nicht genommen, es war auf einmal da! Ich hielt sie, Sie wehrten nicht, darf es nicht so bleiben, Liddy? Ach, ich habe ja lange gezagt! Ich dachte wohl an mein Glück und wagte es wieder nicht zu hoffen. Der war dazwischen, den wir kämpfen sahen mit Woge und Eis. Ist Der dort für Sie versunken? und Sie wären nun mein? O, ein Wort, Liddy! Sie fühlen, daß es noch in mir krankt, ich meine noch immer, nicht glauben zu dürfen! Seien Sie ganz Sie selbst – grausam, wenn Sie es sein müssen, ich will es zu tragen versuchen, nur nehmen Sie den Zweifel von der Seele!«

Liddy, die sehr blaß geworden war, suchte sich zu fassen; noch hatte sie die Augen, welche bei Bernoth's Worten wie hülflos auf den Fluß gerichtet blieben, zwar gesenkt, um die Lider, um den Mund rann es aber bald wie ein Lächeln, nach ihrer Art weniger warm, mehr des Triumphes. Dann schlug sie auf einmal die Augen groß und voll zu Bernoth auf, nichts als Vertrauen und Hingabe in sie legend. Er, seine glühende Liebe verstand das ohne Worte, und er zog sie mit einem Jubelruf an die Brust. –

In großer, sogar ein wenig geräuschvoller Freude wurde das eben Geschehene von den beiderseitigen Familien hingenommen. Nur der Mutter Bernoth's fiel es plötzlich auf's Herz: gerade an ihrem Verlobungstag!


II.

Den nächsten Sonnabend sollte, wie alljährlich, im Offizierskasino die Theatervorstellung zum Besten des Brünnberger Unterstützungsvereines stattfinden. Häufige Proben hatten endlich selbst die zum ersten Mal Spielenden sicher gemacht, und Jeder freute sich auf die heutige Generalprobe, für welche die Losung ergangen war, bereits im Kostüm zu erscheinen. Für die mitwirkenden Damen, da Stückchen in moderner Tracht gespielt wurden, »Badekuren« und »Das Herz vergessen«, hatte es deshalb kein besonderes Kopfzerbrechen gegeben; für die Offiziere, bei welchen in einer kleinen Garnison schon jedes Civil als eine Art von Maskerade erscheint, waren erst nach mancherlei Mühen die betreffenden Anzüge in leidlicher Vollständigkeit zusammengeborgt worden. Namentlich hatte es manchen Gang gekostet, bevor der Sammetrock und das Cerevis nebst zugehörigem Bande des Studenten in den »Badekuren« Sehr beliebtes Lustspiel in einem Aufzug von Gustav zu Putlitz aus dem Jahre 1853., welchen Baron Lorch neben Liddy Hattenheim als Louise spielte, aufgetrieben war; doch durfte Lorch nun beim letzten Blick in den Spiegel demselben auch auf's Bild glauben, daß es nicht leicht einen schmuckern und dabei vornehmeren Heidelberger Korpsburschen geben konnte. Seine bleiche Stirn röthete sich bei diesem Gedanken und um seine Lippen vertiefte sich ein seltsamer Zug von Trotz und zugleich wie von verschwiegenem Leide.

An diesem Letzteren lag es wohl, daß er den »Mantel« heute nicht in seiner gewöhnlichen, herrisch hochmüthigen Weise befahl, als er den Burschen mit dem »Paletot« auf dem Arme warten sah, und selbst nicht ungeduldig wurde, daß dieser Wechsel der Kleidungsstücke ein wenig Zeit erforderte.

Wie er dann in seinen Mantel gewickelt das Haus verlassen wollte, hörte er Stimmen und Tritte, die sich rasch näherten; er erkannte zwei der Stimmen, die von Erich Hattenheim und Bernoth, und trat, wie davon nicht angenehm berührt, in den Flur zurück. Als die Gesellschaft am Hause vorüberging, sah er auch eine Dame am Arm eines der Herren, deren weißes Kleid weit unter dem Ueberwurf hervorquoll. Diesem weißen Kleide folgte er dann; im Schein jeder Gaslaterne sah er den breiten, lichten Streifen wieder. Er dachte kaum an Bestimmtes; dann und wann war es nur, als spräche er wohl irgend eine Stelle seiner Rolle vor sich hin.

Auf der Treppe, die zum Saale führte, traf er Bernoth, der eilig herabkam. Im Vorbeigehen sagte dieser auf die stumme Frage nach dem Wohin in Lorch's Blicken: »Da Münch mitspielt, muß ich heute den Unterricht revidiren!«

Es war kein liebenswürdiges Lächeln, mit welchem Lorch die Treppe vollends emporstieg; dann schwand es plötzlich, wie es gekommen war, oder ging vielmehr in ein zerstreutes Brüten über. Er begrüßte die mitspielenden Kameraden kaum, schien blos Interesse für die Oertlichkeit, besonders die Winkel und Plätze hinter den Coulissen zu haben, oder sah durch das Loch im Vorhang auf das Publikum, welches heute nur aus einigen älteren Damen, mit der Oberstin an der Spitze, bestand.

Die Probe begann. Erst unmittelbar vor derselben hatte er Liddy Hattenheim, die Arm in Arm mit der Dame stand, welche »Frau von Wangen« spielte, ganz formell begrüßt und dabei einen Glückwunsch zu ihrer Verlobung mit Bernoth wie auswendig Gelerntes hergesagt; so beschrieb es wenigstens »Frau von Wangen« mit allerdings böswilliger Uebertreibung später ihren Freundinnen.

Lorch hatte seinen »Reinhold« von Anfang an völlig inne gehabt, da er diese Rolle gleich mit höchstem Eifer vorgenommen und durchgebildet hatte; daher fiel sein feuriges Spiel Niemand weiter auf und höchstens Liddy empfand in der Liebesszene bei dem hinreißenden Ausdrucke, den er für die alten Worte fand: »Ich habe Sie immer angebetet, ich liebe Sie!« daß erst in der heutigen Probe Alles herausgekommen war, was in dieser Rolle lag.

Als die Spieler unter dem Händeklatschen ihres kleinen Publikums abtraten, war Lorch an einer der hinteren Coulissen wie durch Zufall neben Liddy zu stehen gekommen. Beide schwiegen während der ersten Augenblicke, dann sagte Liddy, indem sie noch weiter zurücktrat, scheinbar um ihr Kleid nicht an die Coulissen zu drücken: »Ich denke, es geht nun gut? Wenigstens Ihr Spiel und das Frau von Wangen's schien mir wirklich der Vollendung nahe zu kommen!«

»Daß es bloßes Spiel bleiben muß!« brach es schwer und unvermittelt aus Lorch hervor.

»Baron!« Eine dunkle Blutwelle ergoß sich über Nacken und Hals Liddy's, und doch schien sie zu frösteln; sie warf ein Tuch um, welches sie über dem Arm gehabt, ohne dabei jedoch ihren Platz zu verlassen.

Lorch sah mit heißen, flehenden Augen zu ihr nieder; ob sie die bestimmten, zu bleiben? Oder wollte nun auch sie gleichsam zerreißen, was ihr an letzten flatternden Fäden noch anhing? Nur seine Blicke vermochte sie wohl nicht zu ertragen; irrend durchflogen die ihrigen die jenseitigen Coulissen. Dort war Niemand mehr, da die Probe des zweiten Stückes angefangen hatte.

Durch Lorch's Seele ging ein folterndes Weh; daß Liddy für ihn verloren sei, hatte er noch immer nicht fassen können, und am wenigsten vermochte er es jetzt in ihrer Nähe. Kaum vernehmbar, ohne ein Wort hervorzuheben, sprach er das aus und schloß dumpf: »Wer an solchem Leide sterben könnte. Ich aber soll leben!«

Liddy fühlte sich in seiner Macht, und es war ihr, als dürfe sie diese schmerzvollen gebrochenen Laute nicht schweigen heißen, so klar sie nun auch das ihrer Unwürdige der ganzen Situation empfand. Oder spielte er nur den Unseligen? Erschrocken sah sie zu ihm auf, doch nein! Diese tief gezogenen Spuren des Leidens, dies Erzittern bei jeder Bewegung – nur Wahrheit konnte sich so geben, und Wahrheit verdiente Erbarmen, ungeachtet eigener Gefahr, die irgend ein Lauscher heraufbeschwören könnte. Ein letztes Mal durfte und mußte sie ihn anhören, und wäre es nur, um ihm Frieden zu geben. So erwiderte sie, indem sie ihn innig ansah: »Seien Sie gütig zu mir, machen Sie nichts schwerer, als es sein muß! War es uns bei unserer Vermögenslosigkeit denn beschieden, nach dem Unnennbaren die Hand ausstrecken zu dürfen?« Sie blickte starr vor sich hin und schien Alles ringsumher zu vergessen.

In Lorch kämpften Edelmuth, Haß und Eifersucht ihren wilden Kampf, dann schien jedes bessere Gefühl wenigstens für jetzt unterlegen zu sein, er entgegnete hart: »Sie vermögen so zu denken, weil ich Ihnen doch nicht war, was Sie mir gewesen sind: der Athem meiner Tage, all mein Licht und Glanz, meine Seligkeit! Hätte ich diesen Ausgang der Rettung fürchten können, o, mit einem Schrei letzten Glückes wäre ich vor Ihren Augen versunken! Ich hasse seit dem Tage, wo ich es hören mußte, verlobt, Sie, Liddy, verlobt! da haßte ich mich und den gleißnerischen Retter, dem ich nicht ein Wort des Dankes zu sagen vermochte, so frei fühlt sich mein Herz ihm gegenüber, ah, ich haßte aber auch Sie!« Bei Liddy's Zurückweichen, ihrem entsetzten Blick stöhnte er wieder in der früheren, gebrochenen Weise auf: »Es ist nur Wahnsinn, glauben Sie nichts, dieser Haß ist stets Liebe, arme, zertretene Liebe, die ihr Blut für Sie gäbe, heute und immer. Seien Sie also barmherzig, Vergebung für dieses Letzte! Ich wäre daran erstickt, hätten Sie es nie erfahren, wen Sie von sich gestoßen haben! – Ich gehe, gehe!« fügte er auf Liddy's angstvolles Umherblicken, da er nach und nach die Stimme mehr gehoben hatte, mit Anstrengung hinzu. »Nur nach den Worte verlange ich noch, ob es mich auch von Neuem bethören muß: Sie vergeben mir! Voll Milde werden Sie an mich denken, Liddy; sind Sie doch unsäglich, in Gluth, in Flammen, die verzehren, geliebt worden!«

Ueber Liddy's Züge glitt, wohl ihr unbewußt, der Ausdruck eines solchen Verlangens nach dem, was sie hörte, als ersehne sie immer neue Gewißheiten seiner Liebe.

Lorch verlor auf einen Augenblick seine Besonnenheit und drückte ihr, die ihm halb zugewandt stand, einen ungestümen Kuß auf's Haar. Sie schauerte zusammen, ebenso erregt durch den Kuß, wie durch einen Laut, der von irgendwoher gekommen und wie ein Aufschrei gewesen war. Nichts rührte sich aber in der Nähe; nur von der Bühne herüber tönten die gleichsam höhnenden Worte: »Das steht fest, sie müssen sich heirathen!«

Liddy schien dann ganz in die Probe von »Herz vergessen« vertieft; als sie sich nach einer Weile an Lorch wenden wollte, sah sie, daß sie allein war.

* * *

Der Major von Hattenheim hatte am Morgen einen Brief bekommen. Obwohl derselbe kurz war, überlas er ihn noch einmal, als vermöge er seinen Inhalt nicht zu fassen. Mit einem halben Fluch und nachdem er ein paar mächtige Rauchwolken herausgestoßen hatte, erhob er sich schwerfällig, stellte die Pfeife in eine Ecke und stapfte, so eilig er es noch vermochte, in das Zimmer der Tochter hinüber.

Diese, an dergleichen Morgenbesuche nicht gewöhnt, legte ihre Arbeit mit einem gewissen Erschrecken fort, das sich, sobald sie den Vater schärfer in's Auge faßte, nur verstärkte. Unsicher aufspringend, fragte sie voll Bestürzung: »Du hast eine unangenehme Nachricht erhalten?«

»Lies,« war die kurze Antwort, »und zwar laut!« Dabei warf er sich in die Ecke des kleinen Sophas, daß dieses ächzte und sich hin und her bewegte.

»Von Bernoth!« rief Liddy erblassend. Dann las sie, indem ihre Blicke in den Zeilen immer voraus liefen:

 

»Hochverehrter Herr Major!

Es ist mir – ich darf es Ihnen wohl nicht erst aussprechen, wie ich darunter leide, dennoch zur unumstößlichen Gewißheit geworden, daß Ihre Fräulein Tochter und ich einander nicht gehören dürfen. Fragen Sie mich nicht nach irgend welchen Gründen, Fräulein Liddy wird dasselbe fühlen und mir sicherlich, vielleicht sogar mit freudiger Erleichterung, beistimmen. Unser rasches Verlöbniß war ein Irrthum, warum sollten wir ihn durch ein langes, verfehltes Leben büßen? Natürlich übernehme ich jede Demüthigung, die auf solcher Lösung liegen könnte; Fräulein Liddy, der ich alles Höchste an Glück gönne und immer gönnen werde, hat es so gefordert, ich bin der Verstoßene vor der Welt, wie ich es in Wahrheit bin.

Gestatten Sie mir nochmals die Versicherung, dass nur der Nothwendigkeit gewichen ist

Ihr tief, tief gehorsamer

Kurt Bernoth.«

 

»Was bedeutet das? Etwas ist zwischen euch vorgefallen! Und warum hörte ich alsdann nicht früher davon?« fragte der Major in seiner strengen Weise, als Liddy geendigt hatte und den Brief nun mechanisch zusammenfaltete.

»Nichts, gar nichts ist vorgefallen!«

»Ich bitte mir es aus, jetzt keine Phrasen!« fuhr er heftig auf. »Bevor ein Kavalier, und das ist Bernoth! einen solchen Schritt thut, muß er auf's Verletzendste behandelt worden sein!«

Bei Liddy war es längst zum Gesetz geworden, den polternden Ausbrüchen des Vaters gegenüber ihre Ruhe zu bewahren; diese Gewöhnung kam ihr auch jetzt zu Statten. Sie stützte sich zwar auf den Tisch, erwiderte aber schlicht, nur mit einem natürlichen Anfluge von Befangenheit: »Lieber Vater, ich habe Dir wohl nie eine Veranlassung gegeben, meinen Worten zu mißtrauen, sobald es sich um Ernstes handelt. Ich kann nur nochmals versichern, daß zwischen uns nicht das Geringste vorgegangen ist. Wie Du ja selbst gesehen hast, holte uns Bernoth noch gestern Abend zur Probe ab. Er war auf dem Gange heiter wie immer, nur ungehalten, daß er, statt im Kasino bleiben zu können, nach der Kaserne gehen müsse; natürlich versprach er, uns abzuholen, das hat er allerdings nicht gethan, aber auch Erich meinte, ihn werde bei der Anwesenheit seiner Eltern irgend etwas Unvorhergesehenes daran gehindert haben!«

»Es sollte also wirklich an einer bloßen Klatscherei liegen?« versetzte der Major bei Weitem gelassener. »Auch das erscheint mir aber undenkbar! Es wäre geradezu ein Affront für uns Alle, wenn er sich auf ein Gerede hin, ohne Dich oder uns gehört zu haben, zu solchem Schritte hätte hinreißen lassen! Nun, da wollen wir bald auf den Grund sehen; klingle!« Er erhob sich und ging, die Stirn in schwere Falten gelegt, dem Fenster zu.

Liddy hatte unbewußt die Hände gefaltet und sie gegen die Brust gedrückt; den Befehl des Vaters schien sie zu überhören, folgte ihm und legte nun die Hand leicht auf seine Schulter: »Laß uns Beide erst allein überlegen! Erich wird gleich heftig und Wolf ging bereits, er hat Verhör. Dir will ich auch sagen, was meiner Ansicht, meinem Gefühl nach die Veranlassung sein könnte! Bernoth ist eifersüchtig, sehr eifersüchtig, glaube ich wenigstens; nun spielte Lorch gestern den Reinhold mit einer Hingabe an seine Rolle, mit einer wie verhaltenen Gluth – wenn Bernoth zufällig früher aus dem Dienst gekommen wäre –«

»Oder ihn der Probe halber verkürzt hätte!« warf der Major ein. »Das ist allerdings ein Licht! Dieses einfältige Theater-Spiel! Mir war es von Anfang an nicht recht, daß Du Dich von der Oberstin dazu einfangen ließest. Hätte noch Bernoth statt dieses Laffen von Lorch –«

»Vater!«

»Was ich gesagt habe, habe ich gesagt!« rief dieser, sich wieder in Zorn redend. »Er müßte endlich wissen, daß bei uns für seinesgleichen nichts zu holen ist, weßhalb umkreist er Dich also noch immer? Daß er den Reinhold spielt, hat er sich gewiß bei der Oberstin auch nur erschmeichelt, außerdem mag es alten Weibern freilich Spaß machen, solch' ein girrendes Paar vor sich agiren zu sehen! So ist es! Verliere nicht erst ein Wort der Entschuldigung darüber; den Eindruck, wenn man es beim wahren Schopf fassen will, macht ihr Beide, sobald ihr zusammen seid, leider Gottes, oft. Darum bliebe dieser Affront allerdings noch immer ungerechtfertigt; denn Bernoth wird und muß nöthigenfalls glauben, daß sich eine Hattenheim niemals über ein solches äußere Gethue hinaus verlieren könnte. Immerhin ist es aber denkbar, daß er in seinen spießbürgerlichen Anschauungen stark verletzt worden ist, und darüber müßte man jedenfalls erst klar werden!«

»Am liebsten spräche ich mit ihm!« versetzte Liddy in bittendem Tone. »Mich würde er hören!«

»Das geht jetzt nicht mehr! Er hat sich nicht an Dich gewandt, sondern gleich an die Familie.«

»Oder wenn ich an ihn schriebe?«

»Bliebe ganz dasselbe! Nein! All dergleichen Schritte fände ich nur demüthigend für uns; er hat die Affaire in Männerhände gelegt – nun trage er auch die Verantwortung! Denn traue mir, Deinen Brüdern, ohne einen zwingenden Grund soll er uns nicht beschimpft haben! Und gibt es, wie ich es nun ja von Dir weiß,« er strich ihr beinahe sanft über den Scheitel, »keinen solchen Grund, so dürfte er seinen Irrthum, die große Uebereilung bald einsehen und Dir jede Satisfaktion gewähren, welche Du forderst. Daß Du alsdann ganz Edeldame bleibst und ihm, wie man sagt, eine goldene Brücke baust, daran brauche ich Dich nicht erst zu erinnern.«

Liddy wollte etwas erwidern, der Vater jedoch, welcher noch irgend welche Einwände erwarten mochte, winkte abwehrend mit der Hand und verließ das Zimmer, um zu seinem Sohne zu gehen.

Er traf Erich im Begriffe auszureiten.

»Erwartet Dich etwa Dein Major?« fragte er in der geöffneten Thür.

»Nein! Ich bin gestern nicht ausgeritten –«

»Nun, das kann auch Nachmittags noch geschehen! Lies das!« Damit reichte er ihm Bernoth's Brief. »Ich werde Franz befehlen lassen, daß er absattelt!«

»Was sagst Du dazu?« fragte er, eine Weile darauf wieder eintretend.

Erich blickte noch immer in den Brief und antwortete wie aus Gedanken heraus: »Aber das ist ja unmöglich!«

»So scheint es mir auch!« bestätigte der Major, vor ihm stehen bleibend. »Liddy, die tief erschüttert ist, hat mich versichert, völlig schuldlos zu sein, es kann sich also nur um irgend einen Klatsch handeln, und da halte ich es für am besten, daß Du ihn sofort aufsuchst und Erklärungen forderst. Wenn es angeht, mit Wolf, der freilich bei seiner Freundschaft für Bernoth wenig dazu paßt. Doch er ist der Aelteste.« Erich nickte. »Nun, ihr jungen Leute werdet wohl mit einander fertig werden, und gäbe es unerwartete Hindernisse, so stehe ich für alle Fälle noch in der Reserve!«

»Gewiß, lieber Vater!« stimmte Erich bei, der unterdessen seine Reitutensilien fortgelegt und den Degen angesteckt hatte.

»Auch beileibe nicht viel Faxen gemacht!« fuhr der Major kurz fort. »Darum habe ich mir alle Weiberfinessen oder Sentiments hierbei verbeten! Ihr fragt einfach, und verstrickt er sich, wie wahrscheinlich, in allerlei Widersprüche oder dunkles Gefühlszeug, so rückt ihr ihm direkt auf's Kollet, muß es sein, mit der Pistole! Nur schneidig und Schlag auf Schlag! Zum Teufel! Vor Kurzem hätte ich bei Sub-Rosa eine solche Andeutung bereits für ausreichend gehalten, ihn zur Vernunft zu bringen, doch seit der brillanten Rettungsgeschichte dürfen wir immerhin nicht zu massiv vorgehen, es steckt mehr in ihm, als nach außen herauskommt. Um so besser für Liddy, denn los läßt Du ihn mir nicht.«

»Ah! Dessen sei versichert! Wer sollte meine Schulden bezahlen, das heißt natürlich nur, das Geld zum Bezahlen wieder leihen?« Mit einem häßlichen Lachen hatte Erich die Worte herausgestoßen; trotz der Unschönheit aber mußte es ansteckend wirken, der Vater lachte in ebenso fataler Weise.

Unter leichtem Händedruck und nach einem raschen, verständnißvollen Blick schieden die beiden Männer und Erich ging nach dem Gerichtslokal, um zu hören, ob Wolf's Dienst nicht beendigt sei. Er traf Wolf bereits auf dem Heimwege. Im Fluge war das Nöthige mitgetheilt; so kehrten die Brüder gemeinsam um und schritten über den Marktplatz auf Bernoth's Wohnung zu.

Dieser, welcher heute zwar keinen Dienst hatte, den aber eine immerwährende Unruhe aus einem Zimmer in das andere trieb, sah die Brüder kommen. Erich's gespannte Züge erschienen völlig unbeweglich, Wolf blickte mit seiner gewohnten Freundlichkeit herauf.

»Was machst Du für Sachen?« sagte er denn auch, sobald er nach der Begrüßung seinen Paletot abgeworfen hatte. »Das ganze Haus soll im Aufstand sein, Liddy in Thränen, des Vaters sämmtliche Zustände wirst Du Dir vorstellen können – und um Gottes willen, warum, Mensch?« Er hatte Bernoth's Hände ergriffen und sah ihm in die Augen. »Wie siehst Du selbst aus? Als wärst Du nicht aus den Kleidern gekommen! Setzen wir uns nur, sonst fällst Du noch um! Und jetzt losgeschossen!«

Erich, der in jeder Bewegung steif und förmlich geblieben war, schien die Art und Weise des Bruders durchaus nicht genehm; er machte aber keine Bemerkung darüber und hörte vorläufig stumm zu.

Ueber Bernoth's Gesicht war bei Wolf's Vorwürfen und Fragen eine rasche Röthe geglitten, doch begann er ohne Verlegenheit, als wäre das so zurecht gelegt: »Von vornherein möchte ich betonen, wie es auch wohl mein Brief gethan hat – daß ich aus innerster Ueberzeugung gehandelt habe und selbst jetzt, nachdem ich wieder gefaßt bin, nicht anders hätte handeln können.«

»So wäre also kein Klatsch im Spiel?« rief Wolf, indem er Erich fragend ansah.

»Der Vater behauptete es!« entgegnete dieser mit Achselzucken.

»Da dürfte mein Wort doch wohl den Ausschlag geben!« sagte Bernoth mit derselben Ruhe und fuhr dann nach einem Augenblick des Zögerns fort: »Es ist ein eigenes Gefühl, über sein Innerstes Rechenschaft geben zu sollen, doch habt ihr nun wohl ein Recht, sie zu fordern, somit muß es geschehen!«

»Wenn es Dir schwer wird …« fiel Wolf gutmüthig ein.

»Laß ihn jetzt sprechen!« unterbrach Erich den Bruder. »Ob das schwer ist oder nicht, wir sind von ihm ebenso wenig geschont worden.«

Bernoth sah flüchtig auf, dann sagte er in Absätzen und beinahe ganz an Wolf gewandt: »Wie lange ich Liddy liebe, weißt Du am besten; ebenso genau weißt Du aber auch, daß ich einmal nicht anders kann, als von der Geliebten dieselbe ausschließliche Hingabe zu verlangen, die ich ihr widmen muß! Liddy's Güte und erhöhte Theilnahme nach dem Rettungstage rissen mich thörichterweise –«

»Du sprichst so langsam,« warf Erich gereizt ein, »daß Du Deine Worte wohl überlegen könntest!«

»Das habe ich durchaus gethan!« erwiderte ihm Bernoth kurz. »Auf dieses ›thörichterweise‹ wäre sogar aller Ton zu legen! Liddy ist sich meiner Empfindung nach ihres Gefühles nicht bewußt gewesen, wurde von meiner heißen Werbung überrascht und bedauert jetzt, wie ich annehme, bereits selbst ihre Zusage! Was war da natürlicher, als daß ich sie frei gab?«

»Worauf beziehen sich denn eigentlich Deine Zweifel?« fragte Wolf unsicher. »Meinst Du! sie liebe Dich überhaupt nicht oder nicht stark genug, oder läßt Dich am Ende doch das alte Gerede Lorch's wegen, die Aufrichtigkeit ihrer Liebe noch immer in Frage stellen?«

Mit Ueberwindung antwortete Bernoth: »Ja, ich glaube, daß sie Lorch liebt!«

»Unsinn!« rief Wolf, »den Blaubart! Er ist ihr bis jetzt nachgelaufen, was sollte sie da thun? Daß sie freundlich zu ihm war wie zu allen Anderen, forderte doch die einfache Pflicht des Anstandes! Magst Du das künftig nicht, so ist das Deine Sache, und natürlich wird sie nun den Wünschen des Bräutigams darin entgegenkommen!«

»Dein Argwohn ist auch ein bloßes Gefühl des Herzens?« fragte Erich kalt. »Jeden Beweis, daß er gerechtfertigt sei, müßtest Du uns schuldig bleiben?«

Bernoth sah an Wolf vorbei wie in die Weite, dann antwortete er fest: »Ja! Aber ich war überzeugt, daß sie meinem Entschlusse freudig zustimmen werde!«

»Wenn wir Dir jedoch versichern,« fuhr Erich, jedes Wort betonend, fort, »und ich meine das auf Parole nehmen zu dürfen, daß Deine Ansicht eine völlig irrige ist? Wenn Liddy in der Neigung, mit welcher sie Dir längst zugethan war, an Dir festhielte, sich momentan nur auf's Tiefste erschüttert und verletzt fühlte, in welcher Art würde das Deine Ansicht modifiziren?«

»Dein Wort in Ehren!« versetzte Bernoth rasch, »hast Du sie selbst gesprochen?«

»Nein!«

»Was bedeutet dann Alles?«

»Wir kommen im Auftrage des Vaters,« entgegnete Erich herausfordernd, »dem sie sich natürlich anvertraut hat! Nebenbei, so scheint uns Allen, könnten hier so wie so Gefühlssachen nicht mehr den Ausschlag geben: die Verlobung hat stattgefunden. Selbst Du dürftest, sobald man Dir das in's Gedächtniß ruft, wohl einsehen, daß sich dies nicht so für nichts und wieder nichts lösen läßt! Unser Aller Ehre ist nun mit im Spiel, und ich habe wahrlich nicht Lust, um eines bloßen Anscheins willen den geringsten Makel auf uns sitzen zu lassen! Und wie ich, denken der Vater und Wolf!«

»Das klingt seltsam!« rief Bernoth, die Brauen zusammenziehend. »Als verstiegt ihr euch zu nackter Drohung.«

»Pah!« fiel Wolf ein, »es sind Blasen, die Erich's stete Exaltirtheit –«

»Ich bitte Dich,« unterbrach dieser ungestüm, »versuche nichts abzuschwächen, selbst wenn Du, wo es die Ehre der Schwester gilt, in Deiner ebenso steten Bonhommie verharren könntest; ich nicht und der Vater auch nicht!« Er sprang auf, blieb aber, Zorn im Blicke, vor den Beiden stehen, die sich nun gleichfalls erhoben.

»Wir Aelteren fassen Alles maßvoller an, Kurt!« sagte Wolf, indem er wie begütigend die Hand auf Bernoth's Schulter legte, »und erreichen dabei dasselbe! Du liebst doch Liddy noch?« Mit einer Art von Angst suchte er in des Freundes Augen zu lesen.

Bernoth sah ihn mit einem schweren Blicke an und preßte seine Hand.

»O, dann muß Alles wieder klar werden!« fuhr Wolf freudig auf. »Traue Dir selbst nur mehr! Ich zum Beispiel, wenn ich ein Mädel wäre, wüßte partout nicht, wie ich es anfangen sollte, diesen finstern, wie stets über einem Unheil brütenden und trotzdem doch so arroganten Lorch zu lieben; während ich es Dir gegenüber auf der Stelle wissen würde, sobald ich Deinen ehrlichen Augen nur erst einmal auf den Grund geschaut hätte!«

»Die Frauen empfinden wohl anders, Wolf!« erwiderte Bernoth leise. »Gerade das Interessante, nicht offen Darliegende ist es, was sie wie mit elementarer Gewalt anzieht und fesselt.«

»Larifari!« lachte Wolf. »Liddy hat neben ihrer Herzensseite viel zu viel Verstand – warum nicht zwischen uns deutlich sein, wo es für sich doch Jeder von uns ist? als daß sie, wenn ihr Herz nicht Nein sagt, und dafür stehe auch ich, Kurt, daß sie da nicht den vorzöge, der ihr eine freundliche Zukunft verbürgt! Der Andere –!? Wir wollen großmüthig schweigen! Und nun,« er wandte sich an den Bruder »ich sehe und weiß, wie Kurt bei solcher unbarmherzigen Offenheit leidet, überlassen wir ihn wieder sich selbst!«

»Sobald er seine Entscheidung getroffen hat!« erklärte Erich unerbittlich. »Denn noch weiß ich durchaus nicht, welche Antwort ich dem Vater zu überbringen habe!«

Bernoth hob jäh den Kopf, als müsse er etwas von sich abschütteln und damit ein Ende seines Zauderns machen; doch Wolf, der mit Besorgniß auf ihn gesehen hatte, kam seinen Worten zuvor: »Es handelt sich denn doch um zu viel für uns Alle, als daß wir da eine Entscheidung des Augenblickes herausfordern dürften! Noch weiß sonst Niemand darum, selbst der Vater wird uns beistimmen, Dir noch eine Bedenkzeit bis zum Abend, ja bis morgen –«

»Bis zum Abend,« fiel Erich mißmuthig ein, »wäre doch wohl das Aeußerste; was bis dahin nicht zurecht gelegt ist, wird es überhaupt nicht! Zudem scheint mir bei einem Manne Bedenkzeit –«

»Kurt ist in Herzensdingen aber fast wie die Mädels!« unterbrach Wolf mit warmem Eifer, »und darauf haben wir Rücksicht zu nehmen! Doch meine ich auch,« fuhr er, an Bernoth gewandt, fort, »könntest Du bis dahin mit Dir im Reinen sein. Ueber die Nacht hinaus verlängert, würde die Ungewißheit dem Alten, wie Liddy und mir nicht zum wenigsten, die Nachtruhe kosten! Das wirst Du doch nicht auf Dich laden mögen?« Er lächelte überredend. »Was ist im Grunde auch zu bedenken,« fuhr er wieder ernst fort, »nachdem Dir hoch und heilig versichert wurde, daß Liddy Dich, und nur Dich lieb hat?«

Bernoth athmete kurz auf. »Ihr seid gütig,« versetzte er dann in einer gewissen mühsamen, die Worte zusammensuchenden Weise, »daß Ihr mir noch eine Frist gegeben habt. Wenn man mit etwas bereits abgeschlossen hatte, wird es schwer, sich wieder in Neues, ob dieses hier auch nur das Alte wäre, hineinzufinden! Bis zum Abend soll Euch aber meine nach bestem Wissen und Willen getroffene Entscheidung zugehen. Wie die auch ausfällt, Wolf –« Er sah diesen schmerzlich an.

»Wie soll sie denn ausfallen, Mensch, doch gut?« Und mit einer plötzlichen Bewegung den Freund an die Brust drückend, verließ er, von Erich gefolgt, das Zimmer.

* * *

Bernoth blieb in Gedanken versunken auf demselben Platz stehen. Was ihm auch schon durch den Kopf gegangen war, daß jene Scene auf der Probe, von deren Schluß er Zeuge geworden, ein Abschied zwischen den Beiden gewesen wäre, und Liddy sich nur duldend verhalten hätte, diese Ansicht schien nunmehr Boden gewinnen zu dürfen. Wolf war ihm treu ergeben, und selbst der bürgte für Liddy!

So begann sein Verstand für die Hattenheims geradezu Partei zu nehmen; das Herz freilich meinte es ungeachtet aller Versicherungen anders zu wissen. Instinktiv fühlte es, daß, trotz des äußern Scheines von Wärme, Liddy innerlich ihm gegenüber kühl sei; ob das allerdings eine Eigenschaft von ihr wäre oder eine andere Liebe die Ursache davon, wer mochte das entscheiden?

Rathlos ging er von Neuem auf und ab; ein bestimmter Grund für die Lösung des Verhältnisses müßte nun gefunden werden, und dennoch fand sich keiner! Denn den eigentlichen auszusprechen, dazu dachte er zu vornehm, nicht einmal eine Andeutung dessen, was er mitangesehen hatte, sollte oder durfte seinem Gefühl nach fallen. Wenn er nun doch noch zur Mutter hinausführe? Wie hatte er sich schon in der Nacht nach ihr gesehnt! Hätte er nicht das Aufsehen, ihr Erschrecken gefürchtet, ihn hätte nichts davon zurückgehalten. Erfahren würde sie jetzt dennoch Alles, müßte sich wohl gar gekränkt fühlen, nicht um ihren Rath gefragt worden zu sein! Mit raschem Entschluß klingelte er, ließ den Wagen, der ihn allwöchentlich zu den Eltern hinausbrachte, bestellen und eilte zu seinem Hauptmann, um für den Nachmittag Urlaub zu erhalten. Derselbe wurde ihm bereitwillig gewährt, und kaum eine Stunde später hatte er die Stadt bereits verlassen.

Mit einer Miene voll Erwartung kam ihm die Mutter, welche sein Fuhrwerk schon von fern erkannt hatte, bis in den Hausflur entgegen, doch galt ihre erste Frage nach der herzlichen Begrüßung nicht ihm, sondern dem Vater, der seit dem Morgen in der Stadt sei.

»Er war noch nicht bei mir!« erwiderte Bernoth, eigentlich nur angenehm von der Abwesenheit desselben berührt.

»So hast Du morgen wohl Dienst und kommst darum heute?« Die Mutter hatte seinen Arm genommen und ließ sich von ihm mit einem Lächeln in dem schmalen Gesichtchen, halb vor Stolz auf ihren stattlichen Sohn, halb vor Freude über seine Ankunft, durch ein paar Zimmer nach dem ihrigen führen.

Kurt setzte sich zu ihr auf's Sopha und sagte, ihre Hand in der seinigen behaltend: »Nein, ich komme nur, mir Deinen Rath zu erbitten!«

Das Ohr der Mutter vernahm sofort im Klange der Stimme, daß irgend etwas unterdrückt würde, so achtete sie genauer auf ihn und bemerkte nun auch, obwohl er im Schatten saß und sich von der Fahrt seine gewohnte Röthe mitgebracht hatte, wie in den Augen, selbst im Wesen eine große Abgespanntheit lag.

Voll aufsteigender Sorge fragte sie: »Du bedarfst meines Rathes?«

Er bejahte und erzählte ihr dann rasch Alles, was vorgegangen war. Nur den Hauptgrund für sein Handeln verschwieg er auch jetzt aus Schonung für Liddy, die er noch zu sehr liebte, um sie eines Vergehens zeihen zu können, gerade der Mutter gegenüber, welcher sie von jeher wenig sympathisch gewesen war.

Frau Bernoth legte die Hand über die Augen.

Nach einer Pause fragte sie: »Und Du glaubst Dich nicht getäuscht zu haben, hattest Dich keiner Ueberreizung hingegeben?«

»Gewiß nicht, liebste Mutter! So meinte ich wenigstens.«

»Wer täuschte sich auch je darin?« sagte diese wie zu sich selbst. »Mögen sie noch so geschickt heucheln und uns hundertmal mit ihrer Art der Liebe den freien Blick trüben, immerfort können sie doch nicht auf der Hut sein, und da warnt uns dann bei einer an sich oft geringfügigen Gelegenheit ein plötzlicher Schreck bis in's Herz hinein, ihnen zu vertrauen. Ist man jung, und liebt, achtet man eines solchen Erschreckens kaum! Du aber,« fuhr sie bewegt und dringend fort, »Du hast es beachtet! Nun sei und bleibe auch stark, laß Dich durch nichts von Deinem Wissen abbringen, das Herz hat immer Recht!«

»Immer?« wiederholte Kurt befangen. Die Heftigkeit und Energie, mit welcher sie zuletzt gesprochen hatte, waren ihm an ihr völlig fremd.

Frau Bernoth suchte sich zu beherrschen, doch blieb ihre Stimme rauh und klanglos, als sie fortfuhr: »Höre auf mich, ich beschwöre Dich, Kurt, nichts Oederes in und um uns, als eine Ehe ohne gegenseitige Liebe; und was bedeutet es dabei, ob man selbst auch liebte? Mit der Zeit, in dieser Folter und Pein von Tag zu Tage, stirbt die Liebe, muß sterben, und nichts bleibt, als dumpfe, kranke Entsagung!«

Der Sohn blickte sie an; woher dieses Wissen? War das eine Lösung für so manche Frage, welche sich ihm in den letzten Jahren, seit er aus dem Kadettenkorps gekommen und den Eltern näher getreten war, oft unwillkürlich aufgedrängt, die er aus kindlicher Scheu jedoch niemals gethan hatte. Heute hatte die Mutter ihm aber das Recht zu fragen gegeben, und so neigte er sich wie demüthig zu ihr nieder und sagte: »Das sprichst Du nicht Anderen nach, liebste Mutter, Du bist es, die so traurig lebt und immer gelebt hat!«

Sie zürnte heute nicht, wie sie es wohl sonst zu thun versucht hätte; über Allem stand ihr der Sohn, das einzige Glück ihres Lebens. Und als er ihr eben sein Leid, seine Qualen gestanden hatte, da war es auch in ihr entschieden, daß sie ihm helfen müsse, selbst mit Preisgabe ihres durch ein Leben gehüteten Geheimnisses. Er durfte nicht dasselbe tragen, was sie getragen hatte, denn wie eine Nemesis erschien es ihr, daß die letzte Folge ihrer Schwäche von damals, wo sie trotz der Scheu in ihrem Innern den Mann gewählt hatte, den nur ihr Reichthum zu ihr zog, daß die letzte Folge nun derselbe Kampf bei ihrem Kinde wäre. Ohne jeden Zweifel mehr, grell und klar glaubte sie zu fühlen, daß auch die Hattenheims nichts Anderes zu Kurt zöge, als dessen Hab und Gut; und darum betrachtete sie es wie eine Gnade von oben, daß noch bei Zeiten die Binde vor seinen Augen gerissen wäre, und sie nun zu ihm stehen könne! Zu ihr hatte damals Niemand gestanden. Ohne Antwort über seine Frage weggehend, bat sie darum mit zärtlicher Hast: »Versprich mir, daß Du stark bleiben willst! Es wäre, es kann nicht zum Guten sein, wenn nach dem, was schon geschehen ist, wieder verwischt und gekittet würde! Liddy ist ein viel zu eigenwilliges, verwöhntes Geschöpf, als daß sie Dir diese Demüthigung von Herzen vergeben könnte! Du traust so gern, weil Jeder Dir vertrauen darf, hier thue es nicht! Den ganzen Sommer hindurch lebte schon diese Ungewißheit in Dir, heute glaubtest Du Dich bevorzugt, wolltest Alles wagen, morgen sahst Du sie dem Andern gegenüber und zogst Dich verwundet zurück! Was hätte ich darum gegeben, Dich sehend zu machen, Dich zu überzeugen, daß ein so hoffärtiges, nur seinem Vergnügen lebendes Mädchen kein Weib für Dich wäre! Jetzt, nach Deiner Verlobung, war es still in mir geworden, ich fügte mich, weil es doch ein höherer Wille schien, der Alles so geführt hatte; wenn es aber selbst jetzt noch, nun sie Dir zugehört, nicht ruhiger in Dir wurde und Du immer noch argwöhnen mußt, ah, da laß es ein Ende sein und bleiben, ich flehe Dich an!«

Kurt hatte Alles genau verstanden, obwohl er scheinbar in Gedanken dasaß; er hatte sich Aehnliches noch jetzt auf dem Herwege selbst gesagt, dennoch von der Mutter erwartet, oder wohl gar im Geheimen erhofft, Versöhnenderes zu hören. Ihre Art heute, ihre strenge Forderung erschreckten ihn. Er antwortete zögernd: »Ich würde Dir unbedingt folgen, wenn ich sicher wäre, daß mich Liddy nicht liebt, und wenn neben ihr nur der Vater und Erich ständen, aber unser guter, ehrlicher Wolf!«

»Er täuscht sich in Liddy oder wird getäuscht wie Du!« erwiderte die Mutter noch in derselben Erregung. »Eure Charaktere gleichen sich, auf ihn gerade darfst Du nicht bauen. Kurt, ich bin nur eine Frau,« fuhr sie in heimlicher Angst fort, »und ich mag euch Männern da nicht nachkommen, mich jedoch würde schon diese ungeschminkte Drohung, die Erich anzuwenden versuchte, tödtlich getroffen haben! Es muß etwas dunkel sein, sich irgend ein Geheimniß dahinter verbergen, wenn man in solch' einer zarten Sache so brutal vorgehen kann.«

»Es kam ja zu keiner eigentlichen Drohung!«

»Weil Wolf dazwischen trat!«

»Beste Mutter, wir müssen uns auch in die Lage der Hattenheims versetzen! Daß nicht sie die Verlobung gelöst hätten, wäre nun am Ende durch die Schritte der Brüder oder mindestens deren Folgen bekannt geworden, und gerade, wo nichts Gewisses in die Oeffentlichkeit treten konnte, da hätte leicht ein Makel auf Liddy fallen können. Nur Liebe zur Schwester riß Erich bis zum Aeußersten hin!«

»Bis zum Aeußersten?« Es war einen Augenblick, als sänne Frau Bernoth darüber nach, was das sein könne; mit eigenthümlicher Ruhe fragte sie dann: »Dieses Aeußerste, worauf ginge das hinaus; sollte er versuchen wollen, die Heirath mit der Pistole in der Hand durchzusetzen?

»Ich weiß es nicht!«

»Du weißt es, Kurt!«

»Und wenn es so wäre?«

»So würdest Du es doch darauf ankommen lassen!« rief die Mutter mit einem Ausdruck, mit einer Ueberzeugung, welche ihr einen nie gekannten Zug von Hohheit gaben. »Viel lieber Gott die Entscheidung anheimgestellt, als mit sehenden Augen ein solches Leben beginnen!«

»Mutter!« Sein Athem ging rasch und schwer. Der Gedanke war noch nicht recht an ihn herangekommen, nun ihn die Mutter ausgesprochen hatte, und zwar schlicht, wie das Natürlichste, da wollte er auch ihm einleuchten. Ja, an diesem Aeußersten brach sich Alles; war Liddy wirklich seiner unwerth, keine Macht der Erde konnte sie ihm dann aufzwingen. War sie denn aber schuldig, das Ganze nicht bloßer Schein? Er hatte sie nicht persönlich gesprochen, ihre Vertheidigung nicht gehört. Selbst ihr schwankendes Wesen früher! Hatte sie sich nicht etwa blos in dieser Weise gegeben aus mädchenhaftem Trotz, aus einer jungfräulichen Herbheit, welche einmal in ihr lag? Und Wolf, seinen treuen Wolf, Alles verlor er! Aber es war die Mutter, die sein Versprechen forderte! War er nicht im Grunde gekommen, damit seine Entscheidung von ihr gebilligt werde? Wie kraftlos war auch ein solches Schwanken; geradezu unmännlich; und dabei wußte er noch Belastenderes, als er der Mutter überhaupt gestanden hatte – im Recht war sie, tausendmal im Recht!

So erhob er mechanisch die Hand, als hätte er auch hier zu thun, was er bei jedem Schwure thun mußte; doch ehe ihm das Gelöbniß, der Mutter Bitten zu folgen, über die Lippen kommen wollte, hörten Beide Tritte im Vorzimmer.

Frau Bernoth erblaßte und ihre Augen erweiterten sich, während sie nach der Thür blickte. »Halte daran fest, was Du mir versprechen wolltest!« mahnte sie noch den Sohn, dann lehnte sie sich wie ermattet zurück und die alte Theilnahmlosigkeit sank gleich einer Hülle über ihr Wesen.

Die Thür ging auf und Herr Bernoth, Kurt's Vater, blickte suchend herein. »Bis in den äußersten Winkel haben sie sich versteckt!« rief er halb ärgerlich, halb jovial.

Der Sohn war ihm entgegen gegangen, die Mutter hatte sich erhoben. Er begrüßte Beide flüchtig und warf sich dann in die Ecke des Sophas, wo Kurt eben gesessen hatte.

»Jedenfalls gab es hier große Berathung!« begann er mit einem leichten Zusatz von Spott im Tone. »Ich bin beinahe neugierig,« wandte er sich seiner Frau zu, »ob es der Alten bereits gelungen ist, dem Muttersöhnchen mores beizubringen? Zeit war dazu! Ich kam bald, nachdem er abgefahren war, auf's leere Nest und ließ dann auch ausgreifen, doch weit und breit nichts mehr zu sehen und zu hören.«

»Ich glaube, Bernhard ist heute gut gefahren!« entgegnete Kurt.

»Ich glaube!« lachte der Vater auf. »Wo haben da wieder die Gedanken gesteckt, daß Du's nicht einmal gewiß weißt? Nun, heute läßt es sich allenfalls entschuldigen,« fuhr er, die Worte durch die Zähne ziehend, fort, »wenn man so horribles Zeug losgelassen –«

»Vater!«

»Horribles Zeug, sage ich!« rief dieser aufbrausend. »Ich war wie auf den Kopf geschlagen, als ich bei Hattenheims vorspreche, Liddy's verstörtes Gesichtchen sehe, des Alten verzwicktes Wesen, und nun auf meine Frage hören muß, was Du Dir zu Schulden kommen ließest!«

»Er hat aber die klare Empfindung,« fiel die Mutter sanft ein, »daß ihn Liddy nicht so aus ganzer Seele liebt, wie –«

»Ein Turtelchen das andere!« unterbrach sie der Gatte. »Weißt Du, daß ich mir das recht wohl denken kann? Denn Gott sei's gedankt, sind wir nicht Alle auf die Täublein zugeschnitten, und da er es einmal ist – wie glückverheißend gerade, daß sie es nicht ist! Dergleichen Paarung hält vor! Sehen wir das nicht zum Exempel an uns? Du glaubtest früher auch wohl, daß ich eigentlich vernarrter sein müßte; heute, hoffe ich, hast Du längst eingesehen, daß so wie es war, es am besten war. Nur da gibt es die stille, behagliche Ehe, welche alle Welt als Musterehe preist! Habe ich Unrecht?«

Frau Bernoth sah ihn wie geistesabwesend an, doch öffneten sich die zitternden Lippen nicht.

Mit einem erstickten Ausrufe des Zornes wandte sich der Vater an Kurt: »Was stierst Du sie an, sie ist heute wieder nicht bei Stimmung, oder hättest Du auch ihr den Kopf warm gemacht? Immer Tollheit über Tollheit! Da athmete man förmlich auf, als Du Dich einmal so brav und nett benommen hattest! Das Glück, in wahrhafter Gebelaune, wirft Dir wie aus Dank dafür das prächtigste Mädel von Brünnberg in die Arme, und heute schon fühlt sich der junge Held solcher Gabe nicht mehr gewachsen und flüchtet zur Mutter unter die Schürze; dabei ist das mein Sohn!« Aufspringend maß er das Zimmer mit weiten Schritten.

»Du kennst keine Rücksichten, Vater!« rief Kurt schmerzlich empört; »das aber wenigstens bitte ich mir zu glauben, wie mich nur ein Grund, der gleichsam mit meinem Selbst verwachsen ist, dazu treiben konnte, diese Verlobung lösen zu wollen, denn ich muß Liddy einmal lieben, wie nichts auf der Welt! Der Grund ist aber einfach, weil ich es fühle, wie qualvoll ich darunter leiden würde, wenn ich es ansehen müßte, daß sie mit Anderen –«

»Anderen?« warf der Vater endlich ein, der schon längst Miene gemacht hatte, ihn zu unterbrechen; »hüte Dich, mit Steinen zu werfen, die des Mädchens Ehre und damit die Deinige treffen! Ich habe nach Allem geforscht, Jedes geprüft; aus Liddy war anfangs nichts herauszubringen, sie blieb ganz die Edeldame, welche wir Alle in ihr ehren, stolz und schweigend hinter ihrem Recht stehend, allmälig jedoch brach es bei ihr aus Schmerz und Groll hervor, hättest Du das mit ansehen können! Ah, mich alten Burschen selbst packte es! Der Lorch,« wandte er sich, wieder losbrechend, an die Gattin, »hat in der Komödie zu verliebte Augen gemacht! Ein schöner Grund das, seine Brautschaft aufzuheben! Wie? In der Komödie! Aber hätte er es auch sonst gethan, ich sehe es euch Beiden ja an, wie ihr mir das Gräßliche entgegenschreien möchtet! was denn weiter, als der Beweis, daß man ein reizendes Bräutchen hat? Man wird doch schließlich Mann genug sein, über solchen raren Schatz zu wachen!« fuhr er, vor dem Sohn stehen bleibend, fort. »Oder fürchten wir trotz der leidlichen Larve und unserer grausen Liebe dennoch ausgestochen zu werden? Nun, danke Gott, daß Du noch einen Vater hattest, dessen Augen ungetrübt offen stehen! Ich habe schon das Anspannen bestellt; sobald Bernhard vorfährt, geht es heimwärts; und hältst Du Dich wirklich allein für zu schwach, so will ich auch das Letzte thun und Dich begleiten, denn bei Hattenheims wird unbedingt gleich vorgefahren, pater peccavi gesagt, womit dann Alles gesühnt sein soll, wie mir mein guter Hattenheim versprochen hat! Vornehm von den Leuten, daß sie bei einer so kindlich unüberlegten Geschichte nichts weiter forderten!«

Kurt sah auf die Mutter, deren traurige Augen auf ihn gerichtet waren; ihr ergebenes, stummes vor sich Hinnicken sagte ihm deutlich, daß sie jeden Widerstand für nutzlos hielte. Das spornte ihn, den Kampf noch fortzuführen, und er erwiderte heftig: »Das hast Du beschlossen, hinter meinem Rücken abgekartet, als ob es sich um ein unmündiges Kind handelte, nicht um Einen, der schon so lange mit Ehren seines Königs Rock trägt; wenn ich nun den Pakt nicht anerkenne, weil Niemand nach meinem Willen gefragt hat, weil ich – weiß ich auch kaum woher, instinktiv fühle, daß mit dieser Heirath etwas geschähe, was nimmer gut ausginge!«

»Mann!« beschwor die Mutter, indem sie aufstand und mit flehend erhobenen Händen auf den Gatten zuging, »in einem so langen Zusammenleben hat man einander Manches vorzuwerfen, Du weißt es wie ich – mag Alles ausgelöscht und verziehen sein, nur laß ihn nach seinem Herzen thun!«

Es war etwas so Erschütterndes in dem Schmerz, im Tone der Stimme von Frau Bernoth gewesen, daß sich selbst der Gatte diesem Eindrucke nicht entziehen konnte. Mit viel mehr Ruhe antwortete er: »Es geht einmal nicht, Marianne! auf eine bloße dunkle Empfindung hin, und wäre sie selbst eine richtige, darf man keine so ehrenwerthe Familie beschimpfen. Wir, Kurt vor Allem, leben in der Welt, und wer darin lebt, ist ihren Gesetzen unterthan! Er hat die Hand nach Liddy ausgestreckt, da muß er – er muß, Frau, alle Folgen tragen. Bedenke doch auch, Du verlörst ihn, wenn wir ihn thun ließen, wie es ja nur sein überspanntes Gefühl will. Ich denke hiebei gar nicht an die etwa nöthigen Duelle, versetzen müßte er sich doch aber mindestens lassen. Oder glaubst Du,« fragte er, sich an Kurt wendend, »in dem kleinen Orte neben diesen schwer gekränkten Leuten weiter leben zu können? Gerade Du, der nach kurzer Zeit wieder in seinen tausend Sentimentalitäten steckt! Verwünschen würdest Du ein solches Dasein, das sich ewig zwischen Klippen hinschleppt; und machst Du erst den Versuch zu bleiben, wie feige dann später eine Flucht an einen andern Ort! Könnt Ihr mir darauf wirklich etwas erwidern, was ernst zu nehmen wäre?«

Mutter wie Sohn schwiegen.

Draußen hörte man einen Wagen vorfahren.

Herr Bernoth wies nach dem Fenster und setzte in derselben Gelassenheit hinzu: »Und nun das Kehrbild! Kurt macht ein Unrecht, zum mindesten eine Uebereilung, gut, wird wieder in den Schooß dieser vornehmen Familie aufgenommen, nennt bald das reizendste Weibchen sein, mit dem er in Ehren und Glück lebt und so weiter. Dabei noch gar nicht zu gedenken, daß er uns, wenigstens seinem Vater, eine Freude ohnegleichen macht! Denn mögt ihr es im Grunde bespötteln oder nicht, ich kann nicht anders als mich geehrt fühlen, daß Kurt's Braut gerade eine Hattenheim ist. Wäre ihr Oheim noch am Leben, wie hätte ich den hochmüthigen Narren, der auf den damaligen ›Pächter‹ Bernoth so tief herabsah, diese Ueberraschung von Herzen gegönnt!« Er lachte behaglich. »Also nimm auch auf meine Schwäche Rücksicht! Könntest Du es übrigens jetzt noch über Dich gewinnen,« schloß er dann streng, fast drohend, »mir diesen Stolz nehmen zu wollen, hier heraus kämst Du mir fortan auch nicht mehr! Ich ertrüge einen solchen Sohn nicht, es wäre eben der alte Schnitt durch's Tischtuch, Du aber machtest ihn, nicht ich!«

»Vater! Mutter!« rief Kurt außer sich.

»Er zwingt uns, Kind, wie er es immer gethan hat!«. sagte Frau Marianne fröstelnd. »Geh'! Gott verläßt Dich nicht!«


III.

Nach der einzigen Bedingung Kurt's, die er natürlich auch nur in Form einer Bitte bei der Aussöhnung mit Hattenheims vorgebracht hatte, war die Hochzeit des jungen Paares so sehr beschleunigt worden, als es die Erlangung des Heirathskonsenses überhaupt möglich machte. Sie hatte im Anfange des neuen Jahres mit einem Pomp und einer Großartigkeit stattgefunden, wie sie Brünnberg vielleicht nie gesehen; es war das auf Wunsch der Braut wie des Vaters Bernoth, deren Geschmack sich hierin begegnete, geschehen, und damit jedenfalls den guten Brünnbergerinnen ein unendlicher Redestoff für diesen Winter beschert worden.

Zu Liddy's Bedauern war ihrem Gatten aus Dienstgründen ein nur vierwöchentlicher Hochzeitsurlaub gewährt worden, doch hatte sie sich schließlich darüber beruhigt, als sie es gegen Kurt's Absichten durchsetzte, denselben ganz in Berlin zu verleben, statt wie er es wollte, auch theilweise in einem Städtchen am Harz, wo die Wittwe jenes Bruders seiner Mutter wohnte, der ihm einen Haupttheil seines bedeutenden Vermögens vermacht hatte. Kurt verehrte zwar diese Tante und hätte ihr gern schon jetzt seine Frau vorgestellt, doch war ihm Liddy als Bittende eine zu neue Erscheinung gewesen, als daß er ihren Schmollkünsten und ihrem holden Gebettel hätte widerstehen können. So wurde denn bis zum Schluß des Urlaubes in Berlin geblieben und alsdann wieder direkt nach Hause gefahren.

In der ersten Zeit nach dieser Rückkehr sonnten sich übrigens Beide wahrhaft im Besitz ihrer von Frau Marianne bei aller Gediegenheit traulich und bequem eingerichteten Wohnung. Kurt's Hauptmann nahm auch freundliche Rücksicht, that viel statt seiner den Dienst, dadurch konnte recht zu Liddys Behagen den angenehmen Pflichten solches jungen Paares – seinen zahlreichen Visiten, ersten Aufnahmen, eigenen Erwiderungen und dergleichen volles Genügen geschehen.

Doch die Wochen des bloßen heitern Müßigganges gingen rasch zu Ende, weit rascher, als es Liddy genehm erschien, deren lebhaftes, vergnügungssüchtiges Temperament stets schwer zu befriedigen gewesen war, jetzt aber in den zum Theil neuen Kreisen noch mehr Anregung gefunden hatte. In ihrem Köpfchen steckte ein wahres Erfindungsgenie für immerwährende Abwechslungen und sie behauptete dabei, durchaus nicht einsehen zu können, warum es in dieser Art nicht fortgehen solle, wenigstens vorderhand, wo ihr das Fremde noch Freude mache. Es sei doch einfache Pflicht des Mannes, einer jungen Frau zu Gefallen zu leben, und dürfe selbst auf die Gefahr eines gewissen Opfers desselben hin beansprucht werden. Sie mindestens habe nicht geheirathet, um sich mehr als früher zurückzuziehen.

Anfangs hatte Kurt zu diesen Beweisführungen, so bedingte Liebe zu ihm sich darin auch offenbarte, gute Miene gemacht und Liddy in seiner Liebenswürdigkeit wohl noch getröstet und durch sonstige erfüllte Wünsche entschädigt, wenn einmal Dienst oder ein nicht zu überwindendes Hinderniß ihre Pläne für den Tag gekreuzt hatten; bald jedoch, als er fühlte, wie diese ewige Ruhelosigkeit seiner Frau alles eigene Behagen zu untergraben drohte und er also bei Zeiten durchgreifen müsse, um nicht völlig die Herrschaft über den Haushalt zu verlieren – bald beugte er trotz seiner Liebe zu Liddy dennoch jeder zu großen Ausschreitung vor. Er nahm nicht mehr alle Einladungen an, versäumte sogar einen Theaterabend im Kasino und bevorzugte dagegen Spaziergänge mit ihr allein, kurz, versuchte sie ein wenig dem bloßen Gesellschaftstreiben zu entziehen und ihr auf jede Weise das eigene Haus lieb zu machen; denn an solchen Abenden war er ihr gegenüber noch aufmerksamer als sonst, ließ sich von keiner ihrer Launen seine Stimmung trüben, las, spielte Piano mit ihr, kramte selbst allerlei vergessene Scherze hervor, nur um ihr zu zeigen, welches Glück es für ihn sei, zu Haus und mit ihr allein zu sein.

Liddy war die ersten Male, wo solche Verweigerungen an sich unschuldiger Vergnügen eintraten, mehr verwundert als erzürnt, und der Abend zu Zweien verging immerhin leidlich. Als sich diese einsamen Abende jedoch immer öfter wiederholten, ja Kurt noch nicht davon gesprochen hatte, das morgige Tanzvergnügen zu besuchen, brach endlich volle Ungnade durch und sie sagte, als Beide nach dem Mittagessen in's Wohnzimmer hinübergegangen waren: »Ich habe noch keine Silbe darüber gehört, denkst Du etwa morgen wieder zu Hause zu bleiben?«

»Ja, Liddy!« erwiderte Kurt, indem er sie bittend und schalkhaft zugleich ansah. »Ich preise jetzt sogar den Paragraphen, der den Verheiratheten aus dem Vergnügungskomité ausstößt und mich daher frei gemacht hat!«

Sie empfand heute keine Lust, das Gespräch in solcher halben Neckerei zu führen und versetzte schroff: »Dann zwingst Du mich, mit Anderen hinzugehen!«

»Gegen meinen Willen, ohne allerhöchste Erlaubniß?«

»Ich bin jetzt nicht zum Scherze aufgelegt! Alles hat seine Grenzen!«

»Eine unbestreitbare Wahrheit!«

»Willst Du nun die Güte haben, sehr Ernsthaftes auch so zu behandeln, oder muß ich für jetzt darauf verzichten?« Sie hatte sich erhoben und schien im Begriffe, das Zimmer zu verlassen.

Kurt fühlte, daß es diesmal also wieder Kämpfe geben würde, ein Seufzer wollte in ihm aufsteigen, doch unterdrückte er denselben und antwortete in voller Wahrung seiner Ruhe: »Natürlich habe ich meine Gründe, nicht hinzugehen!«

»Ich wäre wahrhaft neugierig!« entgegnete Liddy mit sprühendem Blick und setzte sich von Neuem.

»Wie ich Dir schon sagte, ist Münch erkrankt und ich habe ihn von morgen ab, wer weiß auf wie lange, bei den Freiwilligen zu vertreten!«

»Das ist Alles? Wolf hat jetzt auch die Freiwilligen und würde wohl nie auf den Gedanken kommen, deshalb morgen zu fehlen!«

»Wolf tanzt gern und –«

»Du nicht?«

»Gewiß, wenn man aber sechs bis sieben Stunden draußen gestanden hat, ist man gerade am ersten Tage Abends todmüde. Dabei ist der Anfang schon um Sieben, ich habe bis dahin den Unterricht mindestens zu revidiren, wenn nicht selbst abzuhalten, vor Acht könnten wir nicht im Kasino sein!«

»Das wäre mir gerade recht!« versetzte sie kurz.

Er sah sie an.

»Ja, ja!« fuhr Liddy fort. »Ich komme, wie Du weißt, mit Passion spät.«

»Ein paar Toiletten sind allerdings noch zu präsentiren!« warf Kurt mit leichtem Spott hin.

Sie überhörte den spöttischen Ton und erwiderte, sich ihm nähernd und die Hand auf seine Schulter legend: »Also nicht wahr, Du überwindest mir zuliebe Deine etwaige Müdigkeit, und der Wagen wird um Acht bestellt?«

»Heute kann ich das unbedingt noch nicht bestimmen,« sagte Kurt in unverhohlenem Mißbehagen. »Du warst gestern aus, in nächster Woche ist der Ball beim Kommandanten, vielleicht das Diner beim Oberst –«

»Getanzt,« unterbrach Liddy, auf ihren Platz zurückkehrend, »wird aber nur noch beim Kommandanten! Uebrigens bin ich zu morgen bereits engagirt und muß daher unter allen Umständen hin!«

»Du mußt?«

»So sagte ich!«

»Welcher Tänzer ist denn so glücklich, Dir näher als Dein Mann zu stehen?« fragte Kurt anscheinend lässig, aber mit einem Ausdrucke in den Augen, der eine nervöse Spannung verrieth.

»Mit Dir ist wieder nicht zu sprechen!«

»Wieder nicht?« sagte er nun gereizt. »Worauf das wohl gehen mag, für Dich nicht zu sprechen! Alles, was sich zu Deiner Freude ersinnen ließe, von wo würde es mir wohl zu schwer, es herbeizuschaffen? Wenn Du Wünsche hast, laß mich sie wissen, Jedes gönne ich Dir, nur dieses immerwährende Leben nach außen ist mir einmal ein Greuel! In einer Beziehung darf ich doch verlangen, daß Du mich schonst. Sieh', auch früher hielt ich stets auf meine stillen Abende, wo ich Allerlei trieb, was mir Freude machte, darum gerade genoß ich dann jedes Vergnügen aus vollster Seele und war mit weit mehr Interesse dabei, als Die, welche täglich dasselbe oder doch Aehnliches mitmachten, respektive ausstanden.«

»Wir sind nun ja häufig allein zu Hause gewesen!« warf Liddy grollend dazwischen. »Wenn Papa oder die Brüder kommen, das kannst Du unmöglich als Besuch rechnen. Darum handelt es sich aber auch gar nicht! Es kommt mir vor, als sollte ich nicht mehr tanzen, und ich will tanzen! Tanz ist mir mehr als ein Vergnügen, darin lebe und athme ich erst!«

»Du bist ungerecht!« sprach Kurt ernst, »ich verlor sicherlich noch kein Wort über Dein Tanzen! Uebrigens habe ich bisher nie bemerkt, daß Dir der Tanz mehr war, als jede andere Zerstreuung auch; freilich hast Du für Alles, was Vergnügen heißt, ein kaum zu stillendes Verlangen!«

»Doch kein anderes, als jedes junge Mädchen unserer Stände? Lebten die Cousinen in Berlin nicht in derselben Weise?«

»Du bist aber kein Mädchen mehr!« antwortete er begütigend. »Liddy, liebstes Frauchen!« Er trat zu ihr.

»Das bin ich auch nicht mehr, wohl nie gewesen!« wehrte sie ihn ab und stand auf. »Sonst müßte ich nicht um eine so einfache Sache geradezu betteln! Ich verliere nun aber auch kein Wort weiter und thue, was ich für Recht halte.«

»Das wäre – nöthigenfalls ohne mich hin zu gehen?«

»Ich bin des Schutzes von Papa noch nicht entwöhnt!« Ihre Lippen zuckten.

»Papa hält aber sehr auf Formen!«

»Kurt!« rief sie mit einem Erschrecken, das zugleich Schmerz schien. »Halte von mir, was Du willst,« fuhr sie dann stürmisch fort, »diesen einen Wunsch darfst Du mir nicht versagen. Ich gebe für morgen selbst den Ball beim Kommandanten preis!«

Bernoth sah sie sprachlos an. War das nur das verzogene, eigenwillige Kind oder lag wieder einmal ein tieferer Grund vor? Er sann: in Augenblicken flogen die erregten Gedanken durch Zeiten rückwärts und vorwärts, was konnte an diesem Tanzvergnügen so Besonderes sein? – Da, da drang aus beinahe vergessener Ferne eine Erinnerung heran, grell, blitzhaft; der Lorch mußte heute oder morgen vom Urlaube zurückkehren, der Lorch! War das ein Aufschluß? So lange hatte er an den nicht gedacht, weil er sich während des kurzen Brautstandes völlig zurückgehalten hatte und seit ihrer Wiederkehr abwesend war. Sollte nun die alte Qual wieder beginnen? Doch nur schwache Menschen sind eifersüchtig und er wollte ihr gegenüber immer stark sein – sie hatte ein solches Feingefühl dafür – ihre Achtung nicht verlieren! Nieder mit dieser Schwäche!

»Wenn Dir wirklich so viel daran liegt …« begann er.

»Ja!« rief Liddy wie erlöst, und dankbar nach seiner Hand fassend; »nenne es meinetwegen Eitelkeit, es ist aber mehr! O, es wäre mir geradezu wie eine unverdiente Strafe vorgekommen, hätte ich zu Hause bleiben müssen! Als Frau bin ich ja noch gar nicht im Kasino gewesen; bedenke doch, in den lieben Räumen, wo ich mich als Mädchen immer so glücklich fühlte! Man muß sich doch überzeugen, was davon geblieben ist!«

»Gewiß, das ist sogar sehr wichtig!« gab Kurt mit zerstreutem Lächeln zu.

»Du lächelst darüber, was weißt Du aber, was in solchem Frauenherzen Alles neben einander Platz hat? Man kann ganz zufrieden sein, und doch noch in Glück oder Wehmuth an die Träume der Mädchenjahre zurückdenken; und gar den Ort, wo so Manches spielte, was allerlei Gedanken wie Hoffnungen, oder selbst Täuschungen über uns gebracht hat, der Ort steht uns nahe wie ein Freund, zu dem man immer gern zurückkehrt.«

»Wie beredt Du sein kannst, wenn es sich um Vergnügungen handelt; da muß selbst der alte Kasinosaal zum ›Freunde‹ werden! Nun, ich will Dir also wieder einmal beweisen, was Du über mich vermagst! Doch, wie Du vorher auch sagtest, Alles hat seine Grenzen; um halb Elf, nach dem Abendessen, ist der Wagen wieder vor der Thür. Ich werde versuchen, vor Acht fertig zu sein, drei Stunden Herumstehens sind dann wohl jeder Ehre werth, wenn man den Tag über im Drill war.«

Ueber Liddy's Gesicht schien ein Schatten zu gleiten, jedoch war zu viel erreicht, um das wieder in Frage stellen zu dürfen; so beugte sie die Stirn zum Kusse und öffnete dann mit einem schelmischen Knix das Kästchen mit Cigaretten, deren Rauchen auch in ihren Zimmern gestattet war. –

Am nächsten Tage sahen sich die Gatten eigentlich nur Mittags. Liddy hatte noch eine kleine, lebhafte Erörterung mit ihrem Bruder Erich, der auf ein Billet von ihr vorgesprochen war, dann nahmen sie die Toilettesorgen vollständig in Anspruch. –

Kurt hielt Wort; ein wenig erschöpft, sonst aber scheinbar in bester Stimmung, nur ein sehr Vertrauter hätte mitunter eine seltsame Ruhelosigkeit im Blicke entdeckt, erwartete er bereits vor Acht das Vorfahren des Wagens. Mit dem Näherrollen desselben trat auch Liddy in's Zimmer; in ihrer Robe aus weißer Seide und Tüll mit dem Kränzchen von Kleeblüthen im Haar und mit den an einer Seite des Kleides herabsinkenden Guirlanden blaßgrüner Vierklees sah sie einfach, aber wahrhaft vornehm aus. Nacken und Wangen waren dabei zwar kaum von Farbe angehaucht, dennoch hatte die ganze Erscheinung etwas berückend Jugendfrisches. Ja, sie gehört in die Gesellschaft! drängte es sich Kurt förmlich auf, und wer Anderes von ihr erwartet oder fordert, begehrt er nicht ein Unrecht?

Liddy mochte dergleichen in Kurt's Blick lesen, sie sagte in ihrer wärmsten Weise: »Ich sehe, daß Du mit mir zufrieden bist, und das freut mich! Aus Dankbarkeit schon mußte ich mich doch zusammennehmen, um Dir keine Unehre zu machen und heute etwa die Letzte zu sein!«

»Ich wünschte fast, Du wärest weniger die Erste!« flüsterte ihr Kurt mit einem heißen Händedruck zu. »Der Wagen hält! Ah, da bringt Flore auch Deinen Mantel; nur recht warm machen, der Frost ist im Steigen!«

Als das junge Paar dann noch während der Pause nach dem ersten Tanze in den Saal treten konnte, waren alle vorläufigen Wünsche Liddy's erfüllt; da Jeder unbeschäftigt war, richteten sich natürlich sämmtliche Blicke auf die neu Ankommenden, und Liddy wußte ja bestimmt, daß selbst das kritischeste Auge entwaffnet werden mußte. – Gleich beim Eintritt hatte sie unweit der Thür Baron Lorch entdeckt, und wie durch eine unwillkürliche Bewegung, indem sie ihre Schritte ein wenig beschleunigte, Kurt die Richtung nach dieser Seite gegeben. Da bemerkte auch er den Baron, sah jedoch gleich wieder geradeaus, und dachte so ohne weiteren Gruß an ihm vorübergehen zu können, aber eine Verbeugung Lorch's, die Liddy erwiderte, verhinderte den Erfolg seiner Taktik des Ausweichens. Man begrüßte sich also auf's Verbindlichste; Liddy, welche überzeugt war, wie nun erst recht jeder Blick auf ihnen ruhte, war ganz Unbefangenheit und Anmuth.

Nach ein paar gleichgültigen Fragen und Beantwortungen sagte Lorch, welcher fühlte, daß sich Bernoth verabschieden wollte: »Und Sie haben mir den ersten Contre gewährt, gnädige Frau?« Er verbeugte sich dankbar dabei.

Liddy nickte und erwiderte scherzend: »Erich ist immer ein guter Anwalt!« Sie schien es nicht gefühlt zu haben, daß des Gatten Arm zitterte. Durch Kurt's Gedanken lief es aber schneidend: er war also der Tänzer, der sie schon im Voraus engagirt hatte!

Doch die Frau Oberst schritt vorüber, alle Drei machten der liebenswürdigen Dame ihre Reverenz, und sie entführte Liddy bald zu anderen Bekannten. –

Auch dieser Abend ging schließlich zu Ende; für die Meisten rasch, für Kurt langsam. Besonderes, Ungewohntes hatte er trotzdem weder gesehen noch gehört; als er einmal an der Thür lehnte, war von einer der beiden älteren Frauen, welche dicht daneben saßen, allerdings das leise Wort gefallen: »Sie ist dieselbe Kokette geblieben!« Liddy stand, von Offizieren umgeben, in der Nähe, und als er sich umwandte, waren die Frauen scheinbar befangen gewesen, doch wer konnte gewiß sagen, daß gerade von Liddy die Rede war? Wie dehnbar ist in den verschiedenen Köpfen auch der Begriff »Kokette«!

Das Abendbrod war eingenommen, Einzelne hatten sich bereits wieder in den Tanzsaal begeben, nun brachen auch Hattenheims und wer mit ihnen zusammen saß, dahin auf. Bernoth trat an's Flurfenster, um nach dem Wagen auszuschauen; als er keinen erblickte, sah er auf die Uhr – halb Elf vorbei und Wilhelm war sonst die Pünktlichkeit selbst? Während er noch über einen Grund der Verspätung nachsann, trat Erich Hattenheim lächelnd aus dem Saale: »Sei dem Wilhelm nur nicht böse, er kann nichts dafür; Wir sind der Attentäter!«

»Ich verstehe Dich nicht!«

»Hu, welche Amtsmiene! Dann nur ehrliches Bekenntniß: ich hatte Liddy zur nächsten Polka engagirt, Du weißt, wie gern sie mit mir Polka tanzt! Freund Lorch hat den Cotillon bekommen, Liddy wollte auch gern bleiben, da habe ich den Geniestreich auf mich genommen, den Wagen fortzuschicken. Doch gleich nach Zwölf wird er wieder hier sein!«

»Dergleichen nennst Du einen Geniestreich?« entgegnete Bernoth empört, »ich kann das nur eine unerhörte –«

»Wie Du das weiter nennst, Bester,« fiel Erich ein, »will ich lieber nicht erfahren! Du scheinst nicht bei Laune, meiner Geistesgegenwart die gehörige Bewunderung zollen zu können, und da möchte man sich den so nett begonnenen Abend doch nicht verderben!«

»Für alle Fälle verbitte ich mir,« rief Bernoth laut, »daß Du je wieder –«

»Ich bin durchaus nicht taub!« unterbrach ihn Erich von Neuem. »Oder willst Du die Ordonnanzen zu Zeugen haben? Momentan läßt sich ja doch nichts mehr ändern,« versuchte er dann zu beschwichtigen, »also bonne mine! Morgen kannst Du auch nach Herzenslust über mich herfallen, ich verspreche, das traurigste Armensündergesicht aufzustecken!« Damit öffnete er die Thür zum Speisesaal und trat hinein, ohne Bernoth's Erwiderung abzuwarten.

Dieser blickte ihm durch die halb offen gebliebene Thür nach und sah, wie er sich neben Lorch auf einen Stuhl warf und lachend auf denselben einsprach, auf den Cotillontänzer! Eine wilde Blutwelle stieg Bernoth bis in die Schläfe; er ballte die Faust und stützte sich fest gegen den Pfosten der Thür. Nach einer Weile kam Jemand hinter ihm die Treppe herauf; als er sich umdrehte, sah er, daß es eine Ordonnanz war. Hastig gab er derselben einen Auftrag, empfahl nochmals Eile und ging nach dem Lesezimmer. Was er aber auch vornahm oder aufschlug, alle Buchstaben verschwammen in einander, selbst die Bilder der Journale verzerrten sich, so schloß er die Augen und saß still da. Nach einiger Zeit wurde aber auch das unerträglich und er ging langsam nach dem Tanzsaal.

Liddy stand im Kreise der Freundinnen wie sonst, scherzte wie sonst und schien vom Abende so unberührt, als wäre sie eben erst hereingetreten. Wie sie Kurt's ansichtig wurde, schritt sie ihm mit glücklichem Lächeln entgegen und wollte der Welt augenscheinlich beweisen, welch' eine beneidenswerthe Frau sie sei. Doch ein schärferer Blick auf das blasse Gesicht des Gatten mochte ihr etwas zeigen, was mit Lachen nichts zu thun hatte; so erstarb auch das ihrige. Die Art, wie Kurt ihren Arm nahm, ließ ihr dann auch keine Täuschung darüber aufkommen, daß er das Komplot wenig liebenswürdig aufgenommen hatte. Er sprach übrigens nichts, sondern führte sie, während sie sich umsonst nach Erich oder dem Vater umsah, direkt nach dem Garderobezimmer.

Als sie leise Einwendungen versuchte, antwortete er allerdings, doch so kurz abweisend, daß sie sich, um hier in Gegenwart der Garderobiere keine Szene zu machen, von derselben in ihre Umhänge hüllen ließ.

Kurt zog ihren Arm wieder fest unter den seinigen und stieg mit ihr die Treppe hinab; unten angekommen, sah sie keinen Wagen und wollte daher wieder in den Flur zurücktreten, Kurt ließ ihren Arm jedoch nicht los und zwang sie, vorwärts schreitend, ihm zu folgen.

Bebend, halb vor aufwallendem Zorn, halb vor Frost rief sie: »Das ist Wahnsinn! bei dieser Kälte in bloßen Atlaßschuhen!«

»Wilhelm muß uns gleich entgegenkommen!« erwiderte er vollkommen ruhig. »Ich habe ihm sagen lassen, daß er Alles mitbringen soll.«

»Es kann mein Tod sein!«

»Nicht doch! Da kommt Wilhelm schon.«

* * *

Der nächste Tag war ein Sonntag. In der Nacht, als Kurt, der sich noch längere Zeit in seinen Räumen zu schaffen machte, das Schlafzimmer betrat, hatte Liddy scheinbar schon geschlafen, heute, wo nach der durchwachten Nacht gegen Morgen ein unruhiger Halbschlummer über ihn gekommen war, fand er beim Erwachen ihr Bett leer. Im ersten Augenblick nur verwundert, fiel ihm plötzlich das ganze Gestern wieder auf's Herz, und so viel drang vereint auf ihn ein, daß es wie betäubend wirkte. Eine Weile dachte er eigentlich nichts und doch Alles; scharf hoben sich, wie das Bitterste des Ganzen, die einzelnen Hindeutungen auf Lorch und dessen Verhalten Liddy gegenüber heraus. Daß sich da nichts fortleugnen ließ, fühlte sich weh und wonnig zugleich; über ihn triumphirt hatte er ja endlich nach Qualen und Demüthigungen, nun aber auch wahren, was er sich um so schweren Preis gewonnen! Denn daß Liddy nicht völlig zu ihm paßte – empfunden hatte er es immer, wenn auch dunkel! Das Alles war aber erträglich, sie würde, sie mußte sich gewöhnen; es bedurfte im Grunde nur so geringen Nachgebens von ihr, da er eine Frohnatur war wie sie! Auch das übermüthige, gedankenlose Wesen Erich's, durch schlichte Festigkeit ließ es sich wohl in Schranken halten, jenes Eine aber, da konnte er nicht heran, wenn sie nicht mit ihm ging; und er mußte darauf wie voll Schauderns sehen und war kaum mehr fähig, sich etwas Anderes vorzustellen, als Schuld und Grauen und Sühne.

Gewaltsame Fassung war nothwendig, um nur wieder zu begreifen, wie bis jetzt ja nichts verloren, Alles noch licht um ihn sei, und wohl allein tückische Eifersucht ihr Spiel mit ihm treibe.

Sich hastig erhebend, zog er sich ebenso hastig an und ging in's Wohnzimmer hinüber. Liddy hatte ihren Kaffee augenscheinlich schon getrunken und lag in ihrem Amerikaner, wie ganz in Nachdenken verloren; auch schmiegte sie sich so in den Stuhl, daß es wohl unmöglich war, des Gatten Hand anzunehmen, als er ihr dieselbe mit einem Morgengruß entgegenstreckte. Ein halbes, müdes Senken der Lider war ihre Erwiderung.

Kurt schob sich einen Sessel an den Tisch. Während er eine Tasse Kaffee eingoß, unterbrach er die peinigende Stille mit den Worten: »Auch Du hast wenig geschlafen?«

»O nein!« antwortete sie leichthin. »Nachdem der anfängliche Frost überwunden war, bin ich bald eingeschlafen.«

»Und jetzt fühlst Du Dich wohl?«

»Körperlich ja!«

»Auch ich bin nur körperlich wohl!« Er hatte sich ihr jäh zugewandt. »Wer trägt die Schuld daran, Du oder ich?«

Sie bewegte kaum bemerkbar die Schultern.

»Du wirst aber mit mir die Ueberzeugung gewonnen haben,« fuhr er mit bedeckter und doch eigenthümlich durchdringender Stimme fort, »wie dergleichen niemals wieder vorkommen darf! Du verlierst dabei, und ich werde zu allerlei Thun gedrängt, das mir im tiefsten Herzen zuwider ist. Ich bin eben eine friedfertige Natur; alles Gehässige, was man mir anthut, darüber werde ich im Grunde nur traurig und muß mich erst durch den Verstand belehren lassen, daß ich zu zürnen habe, statt daß sich das Herz auf der Stelle Genugthuung verschafft! Meine erste Frage ist eben immer, was ich selbst dabei verschuldet hätte, und finde ich das Geringste, so möchte ich eher um Vergebung bitten, als in den groben Klotz einen gröberen Keil treiben. Gestern habe ich das wieder einmal gethan; auf Erich's kecke, nichtachtende Art und Weise einen Trumpf gesetzt, mein Lohn war eine jämmerlich verbrachte Nacht und das Bewußtsein einer Niederlage trotz des Trumpfes! Zu dem Ganzen hast Du aber jedenfalls beigetragen!« schloß er mit sanftem Vorwurf.

»Ich?«

»Vielleicht nur insofern,« erläuterte er in derselben Milde, »daß Du Erich gegenüber allzu lebhaft Dein Verlangen, da zu bleiben, ausgesprochen hast.«

»Das habe ich allerdings gethan!«

»Ich wäre dafür wohl der Nächste gewesen.«

»Du wolltest ja nicht länger bleiben!« versetzte sie trotzig. »Uebrigens hatte Erich den Gedanken schon am Vormittag, als er hier war!«

»Und für Lorch um den Contre bat?«

»Das war schon frü –« Sie hatte nach ihm hinübergesehen und hielt bei dem Blick inne, der sie traf.

Kurt aber fühlte wieder, daß er die Herrschaft über seine Gedanken verlor und sie alle gleichsam auf einen Punkt zuliefen und wieder das Eine heraushoben, nur das Eine! Aufstöhnend schnellte er empor und drückte die Stirn in die Hand, als könne diese still machen, was im Gehirn zuckte und stach. Ohne Gefaßtheit fand er sich aber nicht zurecht, wurde nichts klar, und das mußte es doch werden, gleich im Beginn! – So ließ er sich wieder nieder und sagte mit einer Handbewegung nach Liddy hin: »Vergib, die schlechte Nacht spukt in den Gliedern, es ist schon vorüber. – Erich hat sich für seinen Schützling also bereits früher diesen Contre erbeten?« fragte er dann mit einer Grimasse von Lächeln, jedoch scheinbar gleichmüthig. »Was für eine begehrte Tänzerin Du noch bist! Ah, das muß mich freuen, und doch hast Du es mir vorenthalten?«

»Eine solche Bagatelle noch erwähnen!« erwiderte Liddy lässig.

»Wäre es eine Bagatelle!« rief Kurt in ausbrechendem Schmerze. »Wenn es mir nun aber plötzlich zur Gewißheit wird, weßhalb Du Dich auf diesen Abend kaprizirtest; wenn der Tänzer, der meinem Bitten, mir vorging, gerade der war, den ich nicht wieder nennen mag?«

»Und was da weiter?«

»Du vergißt Dich, das ist –«

»O nichts!« unterbrach sie mit frivolem Lachen. »Was soll ich endlich antworten, wenn Du immer die alten Geschichten hervorzerrst! Außerdem könnte ich Dir auch höchstens über meine Person ein Recht zuerkennen, die Gedanken, mein Herz sind und werden ewig mein bleiben!«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Ganz nach Gefallen!« rief sie und erhob sich, um ins Nebenzimmer zu gehen.

Doch Kurt trat ihr in den Weg. »Unser Gespräch hat eine zu interessante Wendung genommen, um es jetzt plötzlich endigen zu lassen!« Sie war stehen geblieben und hielt die Augen auf den Boden geheftet. »Zwischen Frau und Mann ist wohl nichts so nothwendig, als daß sie wissen, ob sie dasselbe gut, dasselbe schlecht nennen! Alle Mißverständnisse scheinen mir aus der Unkenntniß der gegenseitigen Gewissen hervorzugehen! So muß ich Dich fragen, ob Du es wirklich, nicht für recht, daran könnte ich nicht zweifeln, aber doch für erlaubt hältst, Dich in Deinen Gedanken, in Deinem Herzen mit einem Andern als mit Deinem Manne zu beschäftigen?« Er blickte sie athemlos an.

»Wenn der Mann es uns so schwer macht, an ihn zu denken, da mag uns wohl dies oder jenes Freundlichere einfallen!« Sie sah nach der Seite.

»Schwer macht er es Dir?« fragte Kurt dumpf. »Das ist freilich sehr unrecht von ihm! – Aber fort mit aller Verstellung, wie Scham,« fuhr er plötzlich auf; »nun wir so weit gekommen sind, möchte ich auch in alles Letzte sehen! Daß ich Dich liebe, unsäglich liebe, weißt Du! Du bist zu klug, um es nicht bemerkt zu haben, wie ich lange wider mein Herz kämpfte, weil mir immer etwas Fremdes zwischen uns stehen zu bleiben schien, das sich bei offenen Augen nicht bannen ließ; doch meine Liebe war stärker als mein eigenes Selbst, Anderes kam hinzu, ich meinte viel eher, Dich nicht ganz zu kennen, meinte hoffen zu dürfen, daß Du großmüthig genug wärest, meiner Schwächen zu schonen, so warf ich mich Dir zu Füßen. Du hobst mich auf, Liddy, damit übernahmst Du aber auch Pflichten. Was Du Dir früher, als Dich nichts band, gestatten konntest, von Deiner Güte unter zwei zu theilen, heute wäre das ein Verbrechen, ein Schimpf, den Du mir, aber auch Dir selbst anthätest! Und den ertrüge ich nicht, nie, niemals! Um Gott, halte mich nicht für so schwach, den gefälligen Ehemann spielen zu können, der zu Niedrigem Ja und Amen sagt. Und ich müßte es schon für erniedrigend und meiner unwürdig halten, wenn es so fortginge – mit diesem süßlichen Lächeln ihm gegenüber, dem Aufundnieder Deiner Augen, o, ich weiß nicht mehr, was ich Alles gestern den Abend über sah. Liddy, sei barmherzig, ich habe so tief in mich hineinblicken lassen, damit Du, wenn Du es willst, und Du willst es doch, es kann nur äußerer Firlefanz gewesen sein! damit Du wieder heilst, was seit gestern wie Wunde bei Wunde in mir schmerzt!«

Liddy hatte dieser Erguß aus tief erschüttertem Herzen beinahe wohlgethan; sie lebte und webte einmal in solcher Art von Erregungen. So überzeugend war ihr seine Liebe auch niemals nahe getreten und sie fühlte sich davon in gewissem Sinne gerührt, doch lag es über dem Allem auch wie eine Drohung und aus Kurt's Blicken hatte es wieder wie vorher gewetterleuchtet, Blitz und Funkeln gleichsam eines Raubthierauges. Furcht aber kannte sie ja nicht, nur Trotz und Widerstand; zudem mußte er von vornherein gezogen werden, vor Allem in einem Fall, wo es sich um etwas handelte, was sie stets für erlaubt angesehen hatte! So antwortete sie nach scheinbarem Sinnen: »Du verlangst viel von mir!«

»Das wäre viel?«

Sie nickte. »Eine Umwandelung meines ganzen Wesens, und was wäre wohl schwerer für Den, dem dieses Wesen lieb und mit ihm eins geworden ist. Deine Ansicht darüber, was Dich schon erniedrigend dünkt, kann ich nicht einmal theilen; erniedrigend für Dich würde mir nur eine Verletzung der Treue erscheinen.«

»Und Du glaubst, immer die Herrschaft über Dich wahren zu können, wenn Du Jemand das Recht gibst, Dir so nahe zu treten, daß zwischen euch Vertraulichkeit entsteht? Du glaubst das?« Liddy erblich unwillkürlich; ob sie wie er an den Abend der Theaterprobe denken mußte? »Aber wahrtest Du Dich auch vor dem brutalen Letzten,« fuhr er schneidend fort, »neben Deinen Pflichten als Frau könntest Du wirklich dieses Spiel fortsetzen wollen? So gering schätztest Du mich auch? denn für Liebe wäre dergleichen überhaupt undenkbar!«

»Wohinaus es Dich treibt!« suchte sie nun zu beschwichtigen. »Von dem Allem ist nicht die Rede; ich glaube mich selbst Lorch gegenüber, den meinst Du doch wohl? nicht anders zu geben, als den Uebrigen –«

»Nicht anders?« flammte er auf. »Das willst Du mir sagen, mir? O Gott, daß Du schon zu Lügen Deine Zuflucht nimmst –«

»Nun denn, keine Lüge!« unterbrach sie ihn, indem sie sich hochmüthig aufrichtete. »Liebe ist ein unfreiwillig' Ding, und wo man vielleicht nie geliebt hat oder nicht mehr lieben kann, da zwingt man uns jetzt förmlich, unsere Quäler auch noch verachten zu lernen!« Sie ging lohenden Blickes an ihm vorüber.

»Und endlich dem Andern zu gehören!« rief ihr Kurt mit unheimlicher Fassung nach. »Den Zusatz hattest Du vergessen! Ich werde ihn nicht vergessen, ich nicht!« murmelte er immer wieder einmal, so lange er im Zimmer auf und ab schritt. –

Gegen Mittag kamen einige Gegenvisiten. Da es höhere Offiziere waren und es den Gatten, wohl beiden, leichter erscheinen mochte, sich zuerst unter Anderen wiederzusehen, wurden dieselben angenommen. Einer der Stabsoffiziere berührte, indem er mit einem Auge zwinkerte, die Eile, in welcher Verschiedene das gestrige Fest verlassen hätten, und Liddy sagte, mit versöhnendem Lächeln auch halb zum Gatten gewandt: »Ach, Herr Major, Sie glauben es nicht, wie folgsam eine Frau sein muß!«

Als der Major hieran zu zweifeln schien, fügte sie noch hinzu: »Und was sie bisher darin nicht zu lernen brauchte, mit der Zeit lernt sie es gewiß!«

Die Kluft zwischen den Gatten war leichthin überbrückt; dabei kam Kurt heute auf Wache und zum Mittagessen hatte der Vater Liddy's ihre Einladung angenommen.

Als Bernoth die Wache aufziehen ließ, war auch Wolf mit Erich dorthin gekommen und Wolf hatte Bruder und Schwager in seiner burschikos herzlichen Art leicht dahin gebracht, sich auszusprechen und zu versöhnen. Zur Feier dieses großen Ereignisses sollte Erich den Kaffee bei Bernoths nehmen, Wolf hatte bereits eine andere Verabredung getroffen.

Beim Herannahen der fünften Stunde saß Kurt – Major Hattenheim hielt noch sein Mittagsschläfchen – nebenan im Salon, unweit von einem der Fenster des Wohnzimmers, während Liddy ab und zu ging. Als er wieder zerstreut hinausblickte, sah er quer über den Marktplatz zwei Offiziere kommen, von denen einer im Helm war; der kleinere schien Erich zu sein – und am plötzlichen Herzschlag wußte er nun auch, ohne weiter hinzusehen, daß Lorch der andere wäre. Nach ein paar Augenblicken der Ueberlegung, sobald der erste Groll vorüber war, sagte er sich übrigens, daß es so eigentlich am besten sei; die Visite Lorch's war selbstverständlich, nun konnte dieser für ihn bei der Partie Whist eintreten, war also gewissermaßen gleich gebeten worden, und damit ein erneuter Besuch desselben aus dem Wege geräumt.

Trotzdem sich Kurt auch noch vornahm, bei der Anmeldung und bei dem Eintritt Lorch's nicht auf Liddy zu sehen, sondern vornehm alle Anwandlungen von Eifersucht zu unterdrücken, blickte er doch, wie von geheimer Macht bezwungen, nach ihr hinüber. Sie blieb aber, äußerlich wenigstens, ganz Dame von Welt und empfing die Herren sogar auffallend kühler, als es sonst in ihrer Art lag. Kurt bemerkte eine gewisse Ueberraschung in Lorch's Zügen; vielleicht war darum der Händedruck, mit welchem er ihn begrüßte, wärmer als sonst.

Später, nachdem das gestrige Fest obenhin berührt war, auch Papa Hattenheim behaglich hinter dem Kaffeetisch Platz genommen hatte, kam man auf die Berliner Tage, und Erich rühmte die vortreffliche Auswahl der Photogramme, welche von dort mitgebracht wären. Diese und jene Spezialien wurden erwähnt und Erich nahm schließlich die Mappe vor, um Lorch noch am Fenster bei dem letzten Tageslicht das Besprochene zu zeigen.

Kurt blieb beim Major sitzen, der bereits seinen Kaffee trank und nun nach seiner Gewohnheit zwischen Essen und Trinken unermüdlich plauderte, ohne sehr darauf zu achten, ob man ihm auch zuhöre. Liddy nahm eine kleine, längliche Glasschale, Kurt wußte nicht, warum ihm das auffiel, es fiel ihm aber auf, setzte eine Tasse Kaffee nebst Zubehör darauf und ging nach dem Fenster, an welchem die beiden Offiziere standen.

Lorch wandte sich rasch um und griff ebenfalls nach der Glasschale; tröpfelnd goß er dem Kaffee Sahne zu, Kurt verfolgte gleichmüthig die fallenden, weißen Tropfen, dann glitten seine Blicke tiefer, der Rand der Schale glitzerte im Abendlicht und dicht darunter lagen zwei Hände! Zwei schmale Hände: aber nicht getrennt, nicht getrennt! Da drückte die untere sogar gegen die andere, wie weit herüber sich der lähmende Druck fühlt! Und Liddy regt sich nicht, schreit auch nicht auf und zieht die arme Hand zurück, auf die doch Gift tropft, tödtliches Gift! Sind sie wahnsinnig geworden, die Beiden? Noch stehen sie zusammen, noch – und seit Stunden stehen sie so! Oder waren es keine Stunden? Spukhaft erschien Bernoth Alles, nur neben ihm sprach es immerfort, was aber, was?

»Ja, der Whisttisch!« faßte er endlich ein Wort des Majors auf, erhob sich, hätte Jemand es beachtet, wie trunken, und schritt an den Möbeln entlang dem Salon zu.

Man hörte dort auch einen Tisch rücken, darauf war es eine ganze Weile still, bis auch Stühle gesetzt wurden.

Dem Major dauerte es zu lange und er fragte laut: »Bist Du noch nicht fertig?«

»Gewiß, Papa!« tönte es zurück. »Ich finde nur die richtigen Karten nicht.«

»Sie sind in dem Cedernholzkästchen!« rief Liddy.

»Ah ja!« versetzte Bernoth. »So bitte ich!«

Als die drei Herren hereintraten, besserte er noch an dem Bogen zum Ziehen, den er mit einem der Spiele Karten auf dem Tisch geschlagen hatte; nebenbei fragte er den Major nach etwaigen Wünschen und bat Liddy, die eben eintrat, Alles durch Wilhelm besorgen zu lassen. Er selbst beurlaubte sich, um seine Wachen zu revidiren und gleich die Abendrapporte zu unterschreiben.

In sein Zimmer gekommen, sank er taumelnd auf einen Stuhl und starrte fort und fort auf eine Stelle des Bodens; dabei war er eigentlich in sich ruhig und es legte sich allmälig etwas Wohlthätiges über das Geflimmer der Augen. Da sah er aber auf einmal wieder greifbar deutlich, nur waren sie jetzt schwarz, nicht weiß, zwei Hände am Boden, zwei schmale Hände, die er so gut kannte! Sah sie auch Niemand anders? Scheu blickte er sich um; sein Frösteln lief bis in die Schläfen hinauf und rann dann an ihm hinab und weiter, wie vor ihm her, daß er eine Lache aufschlagen mußte und plötzlich wach war, ganz wach. Er wollte doch etwas? Unsäglich müde sah er im Zimmer umher, da lag der Mantel neben Helm und Schärpe. Er nickte und griff nach dem Klingelzuge, aber nein, jetzt in keines Menschen Gesicht sehen! –

Auf der Straße schlug ihm ein starker Wind entgegen; er raffte den Mantel fester und ging und ging, immer geradeaus. Mit der Zeit schien der Wind noch zu wachsen, dabei nicht mehr nur von vorn zu kommen, auch von der Seite und von dort gerade am eisigsten. Bernoth blieb stehen und blickte um sich, als müsse er erst überlegen, wo er sein könne; weit drüben war ein Licht, nahe vor ihm Schilf und Weidengebüsch, also am Brünn! Wie traulich das Licht aus dem Fischerhause leuchtete, als grüße es herüber! Dicht unter dem Licht aber war es schwarz, da mußte offenes Wasser sein, das Eis daneben war heller, viel heller. Und fest und sicher war das wieder, da gingen noch Einzelne darüber hin.

Wie war er gerade hieher gekommen, was hatte ihn dazu getrieben? Er wollte ja nur ein gerechter Richter sein, war darum jetzt ohne Unterlaß wie im Gericht gewesen! Und sie war schuldig befunden worden und auch er selbst, da er nach ihr begehrt hatte: nicht der Andere, der nur nach seiner Natur that! Mußte er aber schon richten? Er schauderte. Oder lag etwa hier hinaus ein Ende, noch ein Ende in Ehren? Ganz in der Stille, jetzt noch da, und dann nicht mehr da? O seliger Friede! »Und wie viel Schneid der Bernoth im Grunde hatte! Schade um ihn!«

Er erschrack vor dem Lautwerden der eigenen Stimme, es brannte im Kopfe, er nahm den Helm ab.

Vom Aeußersten wußte die Mutter schon damals, und wen gab es sonst wohl auf der ganzen Welt, der viel nach ihm gefragt hätte?

Ihn fror, er erinnerte sich des Helmes; bevor er ihn aufsetzte, hielt er ihn träumerisch vor sich in die Luft. »Wenn du so erst über mir lägst! Ah, es kommt auch das!«

* * *

Schon in der langen Nacht auf Wache und seltsamerweise jetzt am nüchternen Tage in nur bestimmteren Zügen, dabei scheinbar auch ohne Ueberreizung trotz zweier durchwachten Nächte, war für Bernoth klar und fest geworden, was ihm noch gestern am Brünn mehr wie ein Phantom vorgeschwebt hatte oder doch als etwas, mit dem seine Gedanken erst spielten. Diese Gedanken, so dunkel und lachend zugleich! Es kam ihm nicht einmal das Gefühl, als könne es da um einen Mord gehen; nichts Anderes war es, als Gericht auf Tod und Leben über ein Weib, sein Weib. Aus uralter Zeit wurde etwas in ihm lebendig, was weiter? Er hatte sich ihr, und wer vermochte mehr? in aller Hilflosigkeit seiner Liebe gezeigt, jede Andere hätte das erbarmt oder wenigstens auf Zeiten hinaus seiner schonen lassen, sie gab ihm Lüge dafür vor Fremden und that dann wieder offen, was ihr wildes Blut sie hieß. Als wäre er nicht mehr da für sie, so mißachtet und vergessen, wie sie selbst es gesagt hatte. Und das sollte er weiter tragen, Tag für Tag, vielleicht zum Lohne einmal die Hand küssen, die ihn aus dem Wege wies, wenn der Andere kam? Sie hatte es herabbeschworen, so trage sie auch – zur Sühne, daß Gerechtigkeit bleibe auf Erden. Und er ging mit ihr, nicht um ihretwillen! wie sollte er dann aber noch leben können? Verloren so, verloren so! War er im Grunde doch nie an seinem Platze gewesen, hätte ihn aber behaupten können. Jetzt, dieser steten Qual und Marter wäre er aber nicht gewachsen, das fühlte sich unerbittlich! Da sie für seine Strenge, wie für seine Liebe nur Hohn gehabt hatte, vermochte er sie nicht zu retten: Schande heute oder morgen! Darum Ende!

Nachdem so Alles entschieden war, kam tiefste Stille über ihn, froh, in viel heimlichem, wenn auch kleinem Glücke hatte er immer gelebt, da ließ sich wohl auch mit einem Lächeln sterben! – Selbst seine Stimme klang wie sonst, als er, beim Fortgehen zur Ablösung der Wache, anscheinend beiläufig sagte: »Die Eisbahn ist gut, vielleicht könnten wir Nachmittags dorthin!«

Liddy schlug vor Freude die Hände zusammen; ein Wort gab das andere, schließlich wollte sie die Brüder benachrichtigen und Wilhelm dabei gleich ihren Stuhlschlitten mitbringen lassen.

Bernoth nickte nur und ging, von ihr bis an die Thür begleitet, fort. Heute sah sie ihm selbst nach und beinahe in der triumphirenden Empfindung, daß auch er zu ziehen sein würde, sobald er nur erst eingesehen hätte, daß sie nicht von ihrer Art lasse.

Wie zu irgend einer Feier schien es, daß eine ganze Menge von Offizieren auf dem Markt zusammen traf und gemeinsam nach dem Flusse ging. Weit voran fuhr Wilhelm den Schlitten. Als man sich dem Thor näherte, kam ein kleines Mädchen mit einem Teller voll Veilchenbouquets an Bernoth heran. Er suchte sich sorglich ein paar der duftigsten heraus, gab das eine an Liddy und steckte sich das andere in's Knopfloch. Hinter ihm flüsterte einer der Offiziere »Sub-Rosa«; er hörte das und um seinen Mund zuckte es, als hätte er sagen mögen: »Selbst das hörst du noch einmal!«

Die Eisfläche war bei der frühen Stunde noch nicht sehr belebt, so licht und schön auch der frische Märztag war. Von den jüngeren Offizieren, welche mitgekommen waren, hatten die meisten bald ihre Schlittschuhe angeschnallt und versuchten ringsum ihre besten Künste; auch Bernoth war längst fertig und schob, nachdem er in ein paar Läufen erprobt hatte, daß seine Schlittschuhe fest saßen, den leeren Schlitten, ihn bald loslassend, bald wieder an einem der hinteren Knöpfe fassend, vor sich her. Liddy war noch im Gespräch begriffen und schien mit ihrer Fahrt augenscheinlich darauf warten zu wollen, bis Lorch, der eben erst anlangte, auch gerüstet wäre. Bernoth sah es, doch war es nur noch in seinen Augen wie ein Lächeln, die gespannten Züge mochte keines mehr lösen können.

Endlich hatte Lorch die letzte Schnalle zugezogen und einen Lauf gemacht. Liddy schlidderte nun ein wenig vorwärts, das leichte Pelzwerk flog an ihr auf, die Wangen rötheten sich mehr und mehr, sie erschien wieder in ganz so berückendem Reize wie damals, als ihr ein Herz sein Leben darum gab. Heute war das Leben dieses Herzens erloschen; nur mechanisch hatte Bernoth bemerkt, daß sie zum Fahren bereit sei, und er brachte den Schlitten mit ein paar überhasteten Wendungen in ihre Nähe.

Sie stieg ein, lachend und voll Uebermuth; mit den Veilchen grüßte sie noch ringsum, dann ging die schöne Fahrt los, die sie so liebte. In raschem Dahin und wie umgeben von Trabanten flog der kleine Zug die gewöhnliche Fahrbahn entlang, rechts der Insel; er kehrte, nachdem die Insel seitwärts liegen geblieben war, auch wieder um, Bernoth lief langsamer und Alles sprach mit einander. Liddy strahlte vor Vergnügen. Als Bernoth aber, ohne sich aufzuhalten, gleich wieder von Neuem losfuhr, blieben die Meisten zurück und bald, da er wie vom Winde gejagt vorwärts stob, auch die Einzelnen, welche sie noch begleitet hatten. Am Ende der Insel waren nur noch Lorch und ein anderer Offizier, der nun auch mehr zurückblieb, in ihrer Nähe. Mit rascher Schwenkung gewann Bernoth da die andere Seite der Insel und glitt auf der spiegelglatten dunklen Fläche fast noch rascher dahin. Liddy hielt bei dem Windstrom den Muff vor's Gesicht und wandte dabei lächelnd den Kopf nach dem Gatten. Sein Aussehen erschreckte sie aber, so verzerrt war jeder Zug des Gesichtes; sie öffnete den Mund zum Sprechen, doch erstarb ihr das Wort, als er wild rief: »Ah, kein Umsehen mehr, nicht Lorch, der Tod ist hinter uns!«

Sie hatte aufgeschrieen, wollte sich erheben, aber ein eiserner Druck hielt sie nieder – – und eine einzige jähe Wendung noch, da war das Gefährt im aufspritzenden Wasser verschwunden.

Das hatte der Schloßfischer, der an seinem Boote arbeitete, gesehen; mit einem Ausruf des Entsetzens stieß er dasselbe weiter in den Fluß hinein und wartete, über den Rand gebeugt, ob nichts auftauche. Die schwarze Strömung floß unaufhaltsam, brachte aber nichts; doch da – da kam etwas, eine noch schwärzere Masse!

Der Schloßfischer faßte kräftig zu, die Masse staute sich am Boot, so zog er sie endlich über Bord. Er wartete noch eine Weile, mehr jedoch gab der Brünn nicht heraus.

Lorch, der auf dem Ufer entlang gelaufen kam, war der Erste, welcher sich den Boote näherte. Schon von Weitem rief der Fischer: »Todt, Herr, todt!« Als Lorch dann in Bernoth's bleiches Gesicht sah, auf dem nur Friede lag, entfuhr ihm der gelle Schrei: »Mörder!«

Und so ging auch dem todten Bernoth ein Gerede nach.


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