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Novelle.
Es ist ein wilderhabenes Landschaftsbild, das sich vor dem kleinen zierlichen Kurhause des Schwefelbades und Luftkurortes Arkos hinbreitet. Jenseits sanft abfallender Matten, welche in sattem Grün prangen und mit großsternigen Blumen wahrhaft übersät sind, steigen scheinbar unvermittelt Kolosse von Felsen auf, die sich zu einem beinahe regelrechten Halbkreise um die gewaltige Pyramide der Schneespitze reihen, welche den Abschluß des Thalkessels bildet.
Eine Dame, welche einsam in der vordersten Reihe der Stühle vor dem Kurhause saß, blickte zwar mechanisch auf das grandiose Bild – der Gleichgiltigkeit, ja Leerheit ihrer Blicke fühlte man es jedoch an, daß sie längst an diese Aussicht gewöhnt war, oder sich mit etwas ganz Anderem beschäftigte. Beides war der Fall. Die Baronin Gerhardtstein hatte mit ihrem Gatten bereits sechs Wochen in Arkos zugebracht, stand im Begriff abzureisen und ließ nun unwillkürlich den verlebten Zeitabschnitt in seinen kleinen Ereignissen noch einmal an sich vorüberziehen. Besonderen Anlaß zu Mißmut oder Sorgen irgend welcher Art konnte sie wohl nicht haben, da sich die Gespanntheit ihrer Gesichtszüge allmählig verringerte und einem weichen Ernst Platz machte – zu einer noch gewinnenderen Miene kam es allerdings nicht, und doch mußte das vornehm schöne, regelmäßige Gesicht der Baronin mit seinen großen, tiefdunkeln, geheimnisvollen Augen noch eines ganz andern, viel anziehenderen Ausdrucks fähig sein. Da wurde ihr Nachsinnen durch Tritte, die sich schnell näherten, unterbrochen und sie wandte den Kopf lässig nach der Richtung, woher das Geräusch kam. Als sie ihren Gatten erkannte, glitt ein müder Zug, der zugleich aber auch von einer gewissen Abwehr sprach, über ihr Gesicht.
Der Baron, welcher in derbem Gegensatz zu der modisch eleganten Toilette seiner Gattin einen Gebirgsanzug, Lodenjoppe und Kniehosen, Wadenstrümpfe und genagelte Schuhe trug, hatte wohl die Veränderung ihres Gesichtsausdruckes nicht bemerkt; er reichte ihr voll Herzlichkeit die Hand und ließ sich, indem er ihr warm in die Augen sah, auf den nächsten Stuhl nieder.
»Du bist lange ausgeblieben,« begann sie in leichtem Hohne. »Wieder auf einer Almhütte? Fast scheint es so! Die Trophäen hängen wenigstens am Ärmel.«
Baron Gerhardtstein faßte nach dem Ärmel.
»Wilhelm hat mich doch abgebürstet!« Während er dann auf einige trockene Halme sah, die an einem derselben haften geblieben waren, fuhr er fort: »Sie sind aus keiner Almhütte! Fühle, wie glatt und hart: es ist Gras vom Ribulaun.«
Ohne die Halme zu berühren, nur flüchtig darauf sehend, erwiderte sie: »Selbst dieser Versuch mußte also noch gemacht werden! Wie hoch bist Du denn gekommen?«
»Nicht weit über das letzte Marterl hinaus! Ich wollte unbedachterweise nach hierher hinübersehen, betrat den perfiden trocknen Hochrasen, kam sofort ins Gleiten und wäre Dir zur Abwechslung, statt selbst zu kommen, wohl ins Haus gebracht worden, wenn nicht der Sepp'l, welcher dort zufällig auf der Suche nach Edelweiß für unsern Abschiedsstrauß war, rechtzeitig hinzugesprungen wäre. Sage dem Burschen auch ein freundliches Wort darüber!« Der Baron hatte Alles in scheinbar sorglosester Weise hingesprochen, und wohl nur ein Herz, das ihm sehr zugethan war, hätte am Klange der Stimme verspürt, daß noch eine Aufregung in ihm nachzittere.
Frau Arabella erwiderte völlig unbefangen: »Gewiß! Erinnere mich nur daran.«
»An wie viel Du zu denken hast!«
»Wieso?«
»Es fiel mir auf, weiter nichts!« antwortete Gerhardtstein!
»Wenn Du nicht deutlicher wirst,« versetzte sie, sich in den Stuhl zurücklehnend, »so begreife ich trotz des Tadels in Deinem Tone nicht, worauf sich das beziehen soll. Aber Du liebst einmal geheimnisvolle Andeutungen!«
»Dabei sollte ein Geheimnis sein?« fragte er gereizt. »Mir würde es im Grunde selbstverständlich erscheinen, daß die Frau auch ohne Mahnung daran dächte, dem Lebensretter ihres Mannes –«
»Lebensretter?« sagte sie ein wenig wärmer. »Wie hätte ich nach Deinem einfachen Berichte auf eine wirkliche Gefahr schließen können! Um so mehr fordere ich nun, Genaueres zu erfahren!«
Gerhardtstein blickte sie forschend an, schwieg aber.
»Sei nicht nervös!«
Der Gatte sah vor sich zu Boden, beharrte jedoch auf seinem Schweigen.
»Ich bitte darum!« sagte sie nun mit einer gewissen Überwindung.
Der Baron sprang auf und ging einige Male auf und nieder, bevor er, sich von neuem setzend, wie unter einer Art von Zwang entgegnete:
»Da ist nichts weiter zu berichten! Das Ganze spielte sich in kaum einer Minute ab; ich geriet, wie gesagt, ein paar Schuh über der Teufelswand ins Rutschen und wäre ohne Seppl's Geistesgegenwart rettungslos abgestürzt. Er kletterte da zwischen den Schrofen herum, sah mein Ausgleiten, hielt sich selbst blitzschnell an einer dieser Stacheldiesteln, die unsereins nicht einmal anzufassen wagt, und packte mich mit eiserner Faust, als ich an ihm vorbeischoß, noch kurz vor dem Abgrunde. Ich hatte übrigens bei der Fahrt gar kein unangenehmes Gefühl; allerdings war sie ein wenig atemraubend. Mit Seppl's Hilfe kam ich bald auf die Füße – die Lust zum Steigen war mir freilich vergangen; ich nahm ihn mit herunter.«
»Du hast Dich aber nicht verletzt?«
Gerhardtstein verneinte. »Die Kniee haben sich von der Überrumpelung noch nicht ganz erholt – das ist Alles!«
»Es ist jedoch recht gut, daß unsere Zeit hier abläuft; Deine Steigerei wurde nachgerade zur Passion!«
»Eine muß man doch haben!«
»Im Gegenteil,« erwiderte Arabella, die Augen halb schließend; »ich glaube, man fühlt sich niemals glücklicher, als wenn Alles in uns schweigt.«
»Auch die Liebe?« fragte der Baron rasch.
»Sie vor Allem!«
»Das könnte in dem Munde einer Frau, die kaum ein Jahr verheiratet ist, als ein recht wenig schmeichelhaftes Bekenntnis gelten!«
»Natürlich sprach ich im Allgemeinen!« antworte sie gleichgültig.
»Auch der Einzelfall pflegt bei solcher Gelegenheit stillschweigend unter das Allgemeine mit einbegriffen zu werden.«
»Doch nur von Einem, der es liebt, sich mit Absicht zu quälen? Jener Gedanke lag mir nahe, da ich, bevor Du kamst, mit einer wirklich angenehmen Empfindung an die hier vergangenen Wochen dachte: es war eben eine freundliche, wohlthätige Stille ohne die Einsamkeit des Landlebens. Ich fühlte mich Dir sogar aufs dankbarste verbunden!«
»Wie gnädig!«
»Jedenfalls gnädiger,« entgegnete sie kurz, »als Deine heutige Laune zu sein scheint! Wir müssen freilich mit dem Unfall rechnen!«
»Was hätte der damit zu thun? – Als ob es nicht immer auf mir läge!« fuhr Gerhardtstein fort. »Er rief es freilich stärker – faßlicher herauf, weil der Gedanke so nahe trat, wie es wohl kommen würde, wenn ich einmal plötzlich gehen müßte!«
»Was Dich beschäftigt!«
»Davon weiß nur ein Herz nichts, in dem Alles schweigt!«
»So sind wir denn glücklich wieder beim Grübeln und Philosophieren angelangt!« sagte Arabella, indem sie that, als ob sie ein Gähnen unterdrücke. »Du weiß, wie mich das interessiert! – Ach, Ihr klugen Herren! daß Ihr Euch stets so viel pikanter zu geben wißt, wenn man Euch kennen lernt, als wenn man erst die Ehre hat, Euch nahe zu stehen! Wie heiter und voller Einfälle konnte noch vor einem Jahre ein gewisser Kavalier sein! Wie verstand er es, die ganze Gesellschaft fröhlich zu stimmen! Heute?«
»Was liegt auch zwischen dem Damals und Heute!« rief Gerhardtstein schmerzlich aus.
»Daß ich nicht wüßte!« fuhr sie leichthin fort, »höchstens die Gewohnheit des Besitzes!«
»Du hast ein nicht ausgelassen!« warf er finster ein.
»Für mich wieder unverständlich!«
»Weil Du nicht verstehen willst! Aber ich –«
»Leider kommt da die Alsleben!« unterbrach ihn Arabella mit malitiösem Lächeln. »Doch Du wirst Dein interessantes Aber nicht vergessen? Es bleibt mir wohl für ein künftiges Mal aufgehoben!« Um ihren Mund blieb ein herber Zug haften.
Während sich Gerhardtstein erhob und der Dame entgegenschritt, trat ein Herr hinter dem seitwärts befindlichen Musik-Kiosk hervor und ging langsam der Hauptthür im Mittelrisalit des Kurhauses zu, deren beide Flügel geöffnet waren. Er blickte scharf nach der Baronin hinüber, dann aber ihrem Gatten nach, der eben von der Dame unter sichtlich lebhaften Äußerungen der Teilnahme begrüßt wurde. In diesem Momente wandte Arabella zufällig den Kopf und bemerkte den Herrn, der aber im Kurhause verschwand. Sie schien sehr erschreckt. Indessen war der Baron mit seiner Begleiterin herangekommen und Arabella zog den Stuhl, auf dem er gesessen hatte, für den Besuch näher zu sich heran. Gerhardtstein nahm den Damen gegenüber Platz, so daß er nun dem Kurhause das Gesicht zuwendete.
»Mit rechter Freude,« sagte Fräulein von Alsleben herzlich zu Arabella, »habe ich eben gehört, wie glücklich der Sturz des Barons abgelaufen ist: das Gerücht wußte schon von einem schwer verletzten Arme!«
»O!« erwiderte diese und fügte dann zerstreut hinzu: »Nein! heute scheint es noch einmal gut gegangen zu sein.«
»Es scheint nur?« fragte das Fräulein.
Arabella schüttelte den Kopf. »Es ist gut gegangen! Wenigstens hat er mich dessen versichert.«
Der Gatte nickte: »Seine Durchlaucht« – Arabella blickte unwillkürlich nach dem Kiosk – »der Berggeist, waren in huldvoller Stimmung.«
»Ist er nicht undankbar,« fragte Frau von Gerhardtstein mit gezwungenem Scherze, »einen Berggeist zu einer bloßen Durchlaucht zu machen?
Majestät wäre doch das mindeste!«
»Gewiß!« stimmte das Fräulein zu, »schon um künftiger Fälle willen! Denn wie mir Herr von Velen sagte, haben Sie, Baron, das Klettern hier geradezu als Sport betrieben!«
»Trotzdem,« antwortete er achselzuckend, »bin ich auch darin der reine Dilettant geblieben! Deutlicher als heute konnte sich das gar nicht zeigen!«
»Er will nur gelobt sein!« warf Arabella ein, »drüben« – sie wies nach der Bergkette zur Rechten – »die dritte von den Spitzen, das Silberhorn, hat er sogar bestiegen!«
Der Baron hatte inzwischen den Herrn, der vorher in das Kurhaus gegangen und jetzt von neuem in die Thür desselben getreten war, bemerkt. Auch er schien tief erschreckt, ja fassungslos. Wie eine unheimliche, völlig rätselhafte Erscheinung starrte er den jungen, eleganten Mann an. Als derselbe auf die kleine Gesellschaft zukam, erhob er sich und ging ihm zögernd entgegen.
»Sie zittern ja, Baron?« sagte der Herr, nachdem er die tiefe Verbeugung Gerhardtsteins kaum mit einem Kopfnicken erwidert. »So greift Sie eine Überraschung an? Doch nicht irgend eines Leidens wegen hier?«
»Bewahre, gnädigster Herr!« antwortete dieser befangen, »zufällig begegnete mir vorher ein kleiner Unfall – nur darum stehe ich noch nicht fest auf den Füßen.«
»Unfall! Welcher Art?« fragte der Fremde kurz und der Baron erzählte den Verlauf seines Sturzes.
Fräulein von Alsleben hatte wiederholt nach dem Herrn gesehen, als wolle sie sich über etwas vergewissern. »Kann ich mich so täuschen?« sagte sie dann. »Es ist Prinz Isselhorst!«
»Ich glaube wohl,« erwiderte Frau von Gerhardtstein apathisch.
»Sie glauben nur? Ei – ei! Welch ein Gedächtnis, beste Frau? Im vorigen Jahre wann waren wir doch in Wiesbaden zusammen? April, Mai erst! – da meinten Verschiedene unseres Kreises, eigentlich wohl Informierte, bald zur Prinzessin gratulieren zu dürfen!«
»Nichts als eine leere Kombination!« versetzte Arabella mit einer geringschätzigen Bewegung.
»Immerhin eine ganz annehmbare,« entschuldigte sich das Fräulein.
Der Prinz that einen Schritt vorwärts, blieb dann aber wieder stehen und sagte: »Auch Komtesse Bodenburg hier? Noch blasser – doch nur um so interessanter!«
»Sie ist – –«
»Was, Baron?«
»Sie ist meine Frau geworden!«
»Ihre Frau!« Der Fürst preßte die Worte mühsam hervor; es war ein Ton des Schmerzes, des Zorns, der Verachtung. Aber sofort faßte er sich wieder und fuhr in leichtem Spotte fort: »Sie wissen Überraschungen sehr prompt heimzuzahlen! Und an einem so großen Glücke ließen Sie Ihre alten Bekannten nicht teilnehmen! Seit wann sind Sie so egoistisch geworden?«
»Durchlaucht –«
» Ihnen,« fiel Prinz Isselhorst eisig ein, »dürfte es schwer fallen, mich mit dieser Heimtücke, möchte ich beinahe sagen, auszusöhnen. Lassen Sie uns also gleich die Baronin fragen, wie sie sich damit abzufinden denkt! Wer ist die andere Dame?«
»Fräulein von Alsleben aus dem Stifte Neuen-Kirburg.«
»Alsleben?« wiederholte der Fürst. »Dina Alsleben, welche damals auch in Wiesbaden war?«
»Dieselbe!«
Prinz Isselhorst trat mit Gerhardtstein an die Damen heran, welche sich bei seiner Begrüßung erhoben. »Hier kommt noch ein verspäteter Gratulant, Erlaucht!« wandte er sich zuerst an Arabella, indem er sie fest ansah. »Doch wenn ein glückliches, junges Paar das Bedürfnis hat, sich so ganz allein zu gehören, daß es in seiner Einsamkeit nicht einmal durch gute Wünsche gestört sein will, dann werden leider auch die Teilnehmendsten zu faux-pas gezwungen.«
»Wie mir Gerhard bezeugen wird,« erwiderte Arabella, die seinem Blicke kalt Stand gehalten hatte, »bin ich daran schuldlos. Es war einzig seine Laune, von unserer Verheiratung nur die engste Familie in Kenntnis zu setzen.«
Der Prinz sah auf den Baron. »Merkwürdig! Früher hätte Niemand dergleichen Neigungen zum Versteckspiel bei Herrn von Gerhardtstein entdecken können!« Dann bemerkte er zu Fräulein von Alsleben: »Ich hatte doch schon in Wiesbaden die Freude?«
»Durchlaucht haben ein vortreffliches Gedächtnis!«
»Es kommt immer darauf an, was uns zu behalten aufgegeben wird!« antwortete Prinz Isselhorst. »Auch war ja das vorige Frühjahr wirklich unvergeßlich. Um wie viel rauher, winterlicher ist dieser letzte Frühling gewesen! Sie sehen ganz verwundert drein,« wandte er sich wieder an Arabella, »als überrasche es Sie, daß ich noch jener Lenztage gedenke? Es gehört eben eine eigene Kunst dazu, teure Erinnerungen wie seine Handschuhe abzustreifen. – Was halten Sie davon, Baron?«
»Wovon, gnädiger Herr?« Gerhardtstein fuhr aus tiefem Brüten empor. » Mille pardons! ich bin« –
»Wir vergeben!« unterbrach ihn der Fürst. »Einem beinahe Abgestürzten darf Zerstreutheit nachgesehen werden!«
Da näherte sich abermals ein Herr der Gruppe, dessen behäbige Gestalt mit dem jovialen Gesichte einen angenehmen Eindruck machte. Er begrüßte Arabella: »Also für hier zum vorletzten Mal, meine gnädigste Frau!« Arabella nickte, dann stellte der Baron die Herren einander vor: »Major von Velen, im preußischen Dienst! Seine Durchlaucht, Prinz Albrecht von Isselhorst-Spor.«
Arabella ließ sich nieder, die anderen folgten.
»Herr von Velen kam bald nach uns an und hat seitdem hier Leid und Freude mit uns geteilt.«
»Von Leid weiß ich glücklicherweise nichts!« versicherte Velen.
»Damals nach dem Wolkenbruch!« erinnerte Arabella, »als sich alle Wege in förmliche Bäche verwandelt hatten und Sie uns auf unserer Insel wie der berühmte Rabe mit Speise und Trank versahen?!«
»Das ging so rasch vorüber!«
»War aber sehr behaltenswert! Hätten Sie das miterlebt, Durchlaucht, so würde es Ihnen noch weit unvergeßlicher geblieben sein, als solch ein immerhin schon ein wenig banaler Frühlingstraum!«
»Das wäre einfach unmöglich!« entgegnete der Fürst rasch. »Grade von jenem banalen Frühlingstraum ist Tag für Tag in mein Gedächtnis eingegraben. Sie sind überhaupt kaum gerecht. Einen Mai in Wiesbaden banal zu nennen – nicht wahr, gnädige Frau,« – er wandte sich an die Stiftsdame – »das bringt man nur durch eine Art von Selbsttäuschung fertig?«
Dina lächelte, während Arabella kühl erwiderte: »Zu einer solchen fehlte jede Veranlassung!«
Das Gespräch nahm eine gleichgiltige Wendung; man sprach von dem schlechten Wetter der letzten Wochen. »Es war auch anderwärts nicht besser.« meinte Dina. »In München z. B. verdarb mir vorgestern ein abscheulicher ›Schnürlregen‹ den ganzen Tag. Zum Glück,« fügte sie hinzu, »entschädigte mich der Abend. Ich sah im Residenztheater ein neues Trauerspiel von Paul Heyse ›Elfriede‹.«
Baron Gerhardtstein, der die Notwendigkeit empfinden mochte, auch ein Wort in die Unterhaltung zu werfen, fragte spöttisch: »Gab es viel schöne Leichen?«
»Nur eine!« erwiderte sie. »Darin pflegt mein lieber Heyse mit uns schonend umzugehen. Es ist ein recht guter Stoff, den er da behandelt hat, und regt allerlei Fragen an.«
»Sie machen uns neugierig!« sagte der Prinz höflich. »Natürlich handelt es sich um unglückliche Liebe?«
»Gewiß!« räumte Dina ein. »Es ist aber eine Ehegeschichte. Sie wollen den Inhalt hören? Also: es war einmal in grauen Zeiten« –
»Wie Schade!« fiel Velen ein. »Nichts aus der Gegenwart?«
Sie verneinte. »Da könnte eine solche Geschichte gar nicht spielen: dazu fehlen die selbstherrlichen Könige, die Ritterburgen in Waldeinsamkeit – ein heutiger Kavalier wagte auch nicht mehr, was Ritter Ethelwold wagte! Sein König, ein Eduard oder Edgar, – die Namen der Tragödie fangen alle mit E an, – hört von einer großen Schönheit seines Reiches, Elfriede, und da er ein sehr empfängliches Herz hat, sendet er sofort den getreuen Ethelwold aus, sich dieses Wunder anzusehen, und, falls es halten sollte, was die Welt von ihr rühmt, sofort die Hand der Schönsten für den König zu fordern. Ethelwold findet in Elfriede einen Ausbund an Anmut und Schönheit und liebt sie auf den ersten Blick. Darum verschweigt er seine Sendung, täuscht den König durch falsche Berichte und führt Elfriede als Gattin in seine düstere, weltabgeschiedene Burg.«
»Das ist ja ein Schurke!« sagte Velen in seiner ruhigen Bestimmtheit.
Der Prinz wandte, wie zufällig, den Kopf nach dem Baron, der bei den Worten des Majors zusammengezuckt war und zu Boden sah.
»Sie urteilen schnell!« warnte Arabella.
»Zu schnell!« sagte nun auch der Baron langsam, als koste ihn jedes Wort Mühe. »Er liebte Elfriede!«
Der Major hob leicht die Schultern. »Liebte! Er war aber der Diener, vielleicht sogar der Freund seines Königs! Im Ernst kann da wohl nicht für mildernde Umstände plädiert werden! Oder thut das der Dichter?«
»Solche Umstände werden allerdings angeführt!« erwiderte Dina. »Einmal, wie eben der Baron bemerkte, seine ihn völlig überwältigende Leidenschaft und ferner der Charakter des königlichen Don Juans, der es sicher erscheinen läßt, daß auch Elfriede nur eine der vielen Perlen seines Diadems sein würde – nichts weiter! wenn sie nicht etwa das seltenste aller Talente besäße, einen derartigen Gebieter für immer zu fesseln.«
»Das war denn doch nicht ausgeschlossen!« wendete der Major ein. »Nein, Monsieur Ethelwold durfte sich durch nichts, was es auch sei, von seiner Pflicht abwendig machen lassen! Wäre das zu rigoros gedacht, Durchlaucht?«
»Im Gegenteil!« stimmte ihm der Prinz zu, »ich bin fast erstaunt, bei der einfachen Lage der Dinge einer Verschiedenheit der Ansichten zu begegnen. Natürlich habe ich nur unsere Kreise im Auge, wo es sich in solchen Affairen doch um bloße Fragen der Ehre handelt! – Dieser Herr Ritter betrügt seinen königlichen Freund – das ist der Kern.« Prinz Isselhorst hatte bei den letzten Worten seine Stimme erhoben, nun fuhr er in seiner gewöhnlichen Weise, nur mit einem fatalen Lächeln fort: »Vorher wurde auch behauptet, dergleichen könnte in der Gegenwart nicht vorkommen! Warum nicht? Fehlt es uns an Königen? an schönen Frauen? Oder haben die Fürsten nicht noch immer ihre sogenannten Freunde?« –
Arabella war durch die pointierte Art, in welcher der Prinz sprach, aufmerksam geworden, und dieser richtete seine Worte nun auch gleichsam allein an sie: »Ein einfaches Beispiel! Irgendwo, meinetwegen in einem Weltbade, finden sich Zwei zusammen, die ganz für einander geschaffen sind und die sich lieben, ohne daß es zu Erklärungen gekommen wäre. Da wird der Fürst – ein solcher muß es ja wohl sein! – plötzlich, auf die Stunde, abberufen und autorisiert seinen Freund und Kavalier, sobald sich irgend eine notwendige Bedingung noch erfülle, ganz statt seiner zu handeln. Warum sollte nun dieser Mann, der sich vielleicht auch zu lieben einbildet, nicht an dem Abwesenden – wie Herr von Velen sagt – zum Schurken werden können? Was wäre daran unmöglich?«
Eine Pause entstand, bis Arabella, deren Blicke noch immer an den Lippen des Prinzen hingen, als müsse sie noch weit mehr hören, und deren Gesicht eine Frage war, wie wenn sie begriffen und doch auch nicht begriffen hätte; mit einem ihr völlig unnatürlichen, dumpfen Klange der Stimme sagte: »Der Abgrund, Prinz, im Herzen dieses Mannes – eines Kavaliers, wie Sie ihn nannten – der wäre eine Unmöglichkeit!«
Dina blickte überrascht auf Arabella, dann auf den Baron, der bleich, ja fahl geworden war. Velen aber fragte: »Wie endigt Elfriedens Geschichte?«
»In jener guten alten Zeit,« fiel der Prinz ein, »stieß der König den Burschen wohl einfach nieder oder begnadigte er ihn zum Schwert?«
»Viel zu autokratisch geurteilt, Durchlaucht!« erwiderte Dina. »Als der König durch einen Zufall hinter Ethelwolds Schliche kommt, schenkt er ihm auf Elfriedens Fürbitte sogar Leben und Freiheit.«
»Und wer ist nun der Tote?« sagte der Prinz wie belustigt. »Bringt sich etwa der König aus Edelmut um, damit das Pärchen seine Schäferjahre unbehelligt weiter spinne?«
»Nein, nein!« Dina lachte auf. »Elfriede stirbt. Da Ethelwold, der heimlich flüchtet, für tot gilt, wird sie des Königs Gemahl, ohne ihn eigentlich zu lieben; bald reut es sie denn auch, und als Ethelwold voller Sehnsucht zurückkehrt, flieht sie mit ihm bei Nacht und Nebel nach seiner Burg. Natürlich verfolgt Majestät das Paar – und so läßt sich Elfriede, um ihren Frieden wieder zu gewinnen, von ihrem Burgvogt, den sie zu täuschen weiß, durch einen Pfeilschuß töten. Sterbend legt sie die Hände der beiden Männer ineinander!«
»Was halten Sie von dieser Heldin, Frau Baronin?« fragte der Prinz Arabella.
»Ich?« Arabella schrak aus schweren Gedanken auf.
»Wo waren Sie?« fragte er von neuem, aber in ganz verändertem, weichem Tone.
Arabella hatte sich gefaßt. – »O, ich habe aufmerksam zugehört. Elfriede stirbt.«
»Statt des Schurken!‹ setzte der Fürst in demselben weichen Tone hinzu. – »Ihr Ausdruck, Herr von Velen,« wandte er sich darauf an den Major, »ist wirklich zu treffend, um ihn nicht immer schlicht zu wiederholen! Wenn ich es mir denke, die Hände dieser beiden Männer ineinander zu legen!« Er lachte höhnisch auf. »Nicht wahr, Erlaucht, eine so weichmütige Heldin wäre auch nicht nach Ihrem Geschmack? – so weit ich wenigstens die Ehre habe, denselben zu kennen? Der Geschmack ändert sich freilich!«
»Aber der Sinn für Kraft und Mut.« rief Arabella mit scheinbar unvermitteltem Auflodern, »könnte sich niemals zu einer Anerkennung der Schwäche erniedrigen! Ich finde Elfriedens That lächerlich!«
Der Fürst nickte und wandte sich an Gerhardtstein. »Selbst Ihre Mienen, Baron, scheinen uns jetzt einzuräumen, daß die Liebe keinen Milderungsgrund in Ehrensachen abgeben darf?«
»Wenn selbst unsere Damen,« entgegnete dieser mit einem düsteren Blick auf seine Gattin, »so hart zu urteilen vermögen, dann habe ich mich allerdings zu fügen!«
»Vollster Friede also um Elfriede!« schloß Prinz Isselhorst, während er sich gleich den Anderen erhob.
Er trat auf die Baronin zu, dann sah er scharf nach der Bergkette zur Rechten, ging einige Schritte in dieser Richtung und sagte zu Arabella, indem er diese dadurch zwang, ihn zu begleiten: »Welche pittoreske Spitze! Die schneebedeckte dort links im Hintergrunde! Sie kennen sicherlich ihren Namen?« Leise, während er dabei auf die Spitze wies, fügte er hinzu: »Ich muß Sie sprechen, Arabella – wir sind unerhört betrogen worden! – Wann? wo?«
Sie erwiderte tonlos: »Wohl!« wandte sich dann um und rief dem Gatten zu: »Durchlaucht bewundert eben das Silberhorn. Präsentiert es sich nicht aus unserem Garten am günstigsten?«
»Gewiß, Durchlaucht!« antwortete Gerhardtstein nähertretend.
»Die Herrschaften,« fuhr Arabella auf die Stiftsdame und den Major blickend fort, »wollten heute noch den Thee mit uns trinken – mein Mann hat unsere Abreise für morgen festgesetzt – vielleicht paßte es Ihnen, Prinz, uns gleichfalls zu beehren!«
»Gewiß! sehr gern!« erwiderte dieser. Ein Diener des Kurhauses trat auf ihn zu und meldete, daß das Diner serviert sei. Der Prinz sah fragend umher. »Das gilt wohl uns Allen?«
»Nur uns nicht!« erwiderte Arabella. »Eigentlich weiß ich noch heute nicht, warum – aber wir nehmen unser Mittagessen stets zu Hause.«
Man verabschiedete sich. »Nicht zu spät!« bat Arabella noch, dann gingen der Prinz, Dina und Velen dem Kurhause zu, während Arabella und ihr Gatte einen Weg einschlugen, der thalabwärts führte. Plötzlich blieb Arabella stehen und fragte mit einem heisern Flüstern:
»Elfriedens Geschichte ist auch die meinige?«
Gerhardtsteins Hand krampfte sich zusammen, er antwortete nicht.
»Wie sagte Velen?« rief Arabella mit sprühenden Blicken.
»Bella!« schrie Gerhardtstein auf. – Nach einer Stille, in der sich die Gatten nur atemlos in die Augen gesehen hatten, fragte er scheu: »Was wollte der Prinz von Dir?«
»Das fragst Du noch?«
»Und Du wirst ihn anhören?«
»Wie Elfriede ihren König! Doch bin ich keine Elfriede!« Triumph und Verachtung lagen in ihrem Tone. Dann eilte sie vorwärts, während Gerhardtstein ihr zögernd folgte, indem er immer von neuem in Gedanken verloren stehen blieb. So hatte Arabella sich schon in ihr Zimmer zurückgezogen, als er heimkehrte.
Seitwärts vom Kurhause auf einer Anhöhe, die ein wenig niedriger war, als der Bergabhang, auf dem dieses stand, lag die Villa, welche Gerhardtstein bewohnte. Um dieselbe breitete sich ein buschreicher Garten aus, der in Terrassen abfallend den Hügel umschloß. Von der obersten dieser Terrassen hatte man den gerühmten Ausblick auf den Bergzug mit dem Silberhorn inmitten. Hier saß gegen Abend in einer offenen, halbrunden Laube die Gesellschaft vom Vormittage; der Thee und eine leichte Kollation darnach waren vorüber und Prinz Isselhorst, der seine Ungeduld kaum noch zu beherrschen vermochte, erhob sich und ging mit dem Major Velen die Terrasse auf und nieder. Bei der Rückkehr wandte er sich an Arabella, verwickelte sie in ein Gespräch und schritt dann mit ihr in den Garten zurück. Sobald er durch eine dichtere Buschpartie den Übrigen aus dem Gesichtskreise gerückt war, ging er rasch vorwärts, sah sich aber bei einer Wendung des Weges doch wieder jener Laube gegenüber und rief voll wahrhaften Mißmutes aus: »Noch nicht allein?«
Arabella zeigte auf die kleine Pergola vor ihnen, die sich an die eine Seite der Villa schloß und sagte: »Dort! – Doch warum ungesehen? Wir bleiben sicherlich ungestörter, wenn man uns sieht, wenigstens mich!« Und so wählte sie einen Platz, auf dem sie von der Terrasse aus beobachtet werden konnten.
Eine Weile blieb der Prinz stumm. Als die Baronin seinen heißen Blicken ruhig begegnete, begann er erregt: »Erst muß ich zur Besinnung kommen! Mir erscheint das Ganze noch wie ein Spuk; wir beide hier, und wieder vereint und doch wären Sie die Frau eines Gerhardtstein?«
»Nicht durch meine Schuld!«
»O Gott, auch nicht durch meine! Nur vollste Offenheit kann Licht bringen. – Die eine Frage vor Allem, hat er bei Ihnen, bei Ihrem Vater für mich geworben?«
»Für Sie, Prinz?« Sie schüttelte das Haupt.
»Ich wußte es,« rief er, »so bald ich Ihren Namen neben dem seinigen fand! Vor wenigen Tagen erst, als ich aus England zurückkam. Unter andern Sendungen lag auch unser neuer Almanach – ich schlage gleich die Bodenburgs auf, da stand es! Muß es stehen bleiben?« fragte er gepreßt. »Um nichts, wenn in Ihrem Herzen noch der Schatten einer Erinnerung an jene goldenen Maitage lebt! Wie war es damals zum Sterben traurig und doch von so bestrickendem Reiz, daß ich lieber mit dem Wahnsinn spielen, als davon ablassen konnte. Dennoch durfte ich nicht sprechen, mußte blind sein und bleiben, trotzen mir Ihr Auge – sein unbewachter Glanz, die Lösung des süßesten Rätsels zu verheißen schien. Aber ich war damals nur ein zweiter Sohn, ohne Vermögen wie Sie, und meine Eltern drangen darauf, mich meiner Kousine Sophie zu nähern, die sich angeblich für mich interessierte. Woche für Woche rang ich meinem Vater die Verlängerung meines Urlaubes ab, bis er einen Machtspruch that. – Welche öden Monate dann am herzoglichen Hofe! Ich konnte mich nicht zwingen, konnte nicht heucheln, was ich nicht empfand. Sophie zog sich bald immer mehr zurück und ich durfte endlich, als mein Vater kam und die Lage der Dinge übersah, mit ihm abreisen. Man schonte mich; die Güte meiner Mutter verschaffte mir sogar einen neuen Urlaub nach Wiesbaden. Es war der 6. August, an dem ich dort wieder eintraf! Wie anders jedoch, als ich es geträumt hatte, wurde ich empfangen!«
»Nach der Art unserer Trennung im Mai –«
»Haben Sie wirklich,« unterbrach sie der Prinz schmerzlich, »trotz des Scheines, der gegen mich sprach, meine Verzweiflung nicht durchgefühlt?«
»Eine Verzweiflung,« erwiderte Arabella, »die sich nicht zum Handeln aufzuraffen vermochte!«
»Mußte ich nicht für uns Beide denken?!« entschuldigte sich der Fürst. »Hätte ich Sie, die unbestritten Erste, wo Sie sich auch zeigten, Sie, die so große Freude an Pracht und Repräsentation hatten in einem weltentlegenen Jagdschlosse verbergen sollen? Anderes wäre uns nicht übrig geblieben; mein Vater hätte unter den damaligen Umständen nur mit höchstem Widerstreben in diese Ehe gewilligt. Der Hof wäre uns verschlossen gewesen, wir wären auf Jahre hinaus wahrhaft drückenden Verhältnissen anheimgefallen. Und doch, Arabella, ich war während jener drei Tage, trotz der Süffisance und Gleichgültigkeit, durch die Sie mich straften – wie heute Mittag auch – ich war auf dem Punkt, Sie allein entscheiden zu lassen, ob Sie bei solchen Aussichten die Meine werden könnten. Ich glaubte eben doch zu wissen, daß in Ihnen etwas für mich spräche! Da brach aber das gleich von Anfang an so heftig auftretende Nervenfieber meines Bruders aus, ich mußte mit dem nächsten Zuge fort, Sie waren den Tag in Mainz, mir blieb nichts übrig – wenigstens erschien es mir in meiner gedrückten Stimmung so! – als meinen Kavalier in Alles einzuweihen und ihm den bestimmten Auftrag zu hinterlassen, wenn er von Ihnen nur ein kleinstes Zeichen der Teilnahme für mich herauslockte, völlig offen vorzugehen und sobald er Ihrer sicher wäre, bei Ihrem Vater für mich zu werben. Nach einer endlosen Woche – am Totenbette meines Bruders – kam der Bescheid dieses Kavaliers, des immer als Freund behandelten Spielgefährten: Nichts – nichts! Ich war von Schmerz zerrissen, aber arglos; Ihre Art während jener Tage ließ es nicht unnatürlich erscheinen, wenn Sie –«
»Was war mir übrig geblieben?« fiel sie noch mit derselben Herbigkeit ein. »Ihre Lage, Ihre Aussichten kannte ich nicht! Ich mußte annehmen, Sie hätten damals im Mai nur ein Spiel mit mir getrieben – wären, vielleicht mit Überlegung, einen Roman auf vier Wochen eingegangen!« Ihre Augen blitzten wie die einer gereizten Schlange. »Ich bin stolz,« setzte sie dann bereits wieder in der gewohnten Ruhe hinzu, »und will jetzt auch offen sein, Prinz. Wahrscheinlich, genau weiß ich das heute nicht mehr, war es im Beginn meinerseits wenig Tieferes als der geschmeichelte Ehrgeiz, von dem vornehmsten Mann der Gesellschaft mit Aufmerksamkeiten überschüttet zu werden, was uns so rasch einander näherte. Später, als ich Sie erst kennen, würdigen lernte –«
»Arabella!«
Sie hob mit einer raschen Bewegung die Hand. »Um so wehrloser war ich aber getroffen worden! Und allein aus diesem Gefühl heraus kann auch nur mein Benehmen bei unserem Wiedersehen beurteilt werden! Dasselbe Spiel noch einmal –«
Prinz Isselhorst nickte. »Auch Sie sind schuldlos wie ich; hier giebt es nur einen Schuldigen. An dem Tage, wo ich seine Botschaft empfing, starb mein Bruder: die Zeit danach, die unaufhörliche Sorge um meine Mutter, welche der Schmerz über den Verlust Georgs fast trübsinnig gemacht hatte und mit der ich dann von Ort zu Ort zog, ließ alle eigenen Interessen zurücktreten. So fand ich nichts Auffälliges darin, als jener Mann aus unserem Dienste trat und damit meinem Gesichtskreise entschwand. Bald darauf las ich noch den Tod Ihres Vaters – wie dachte ich wieder Ihrer und fürchtete doch, Ihnen, der ich nichts galt, selbst nur mit einem tröstenden Freundesworte zu nahen! Schon ehe ich mit meiner Mutter heimkehrte, waren auch von neuem Andeutungen gefallen, daß jener frühere Heiratsplan nicht aufgegeben sei, und jetzt, da ich der Erbe von Isselhorst geworden war, bei Sophies königlichen Verwandtschaften und ihrem Reichtum sogar für das ganze Land an Bedeutung gewonnen habe. Aber da fühlte ich mit vollster Gewalt, was Sie mir immer noch waren, wie noch nichts in mir entsagt hatte! Und als ich dann in einer schrecklichen Stunde Ihren Namen neben dem andern fand, da wußte ich, daß ich nicht Ruhe finden würde, bevor ich nicht in Allem, auch in Ihrem Herzen klar gesehen. Ich reiste sofort nach Gerhardtstein –«
»Sie waren –«
»Vor wenigen Tagen dort! Als ich im Städtchen hörte, daß Sie Beide abwesend seien, ließ ich durch einen Vertrauensmann Erkundigungen einziehen und erfuhr Vielerlei – nichts davon sprach aber gegen die furchtbare Ahnung, die nun in mir aufgedämmert war und die heute Gewißheit geworden ist! Nun weiß ich, was mir zu thun obliegt. Nur dies muß ich vorher wissen: daß Sie fühlen wie ich, daß es Ihnen seine verbrecherische Liebe nicht schon angethan hat?« – Er blickte sie beschwörend an.
»Ich habe eine Ehe ohne Liebe geschlossen!« entgegnete sie kalt.
»Warum dann aber? warum thaten Sie dies mir und sich an?«
»O, fragen Sie nicht!« erwiderte sie hastig. »Ein Irrsal von Gefühlen – Groll, Trotz, Sorgen jeder Art – die Hand voll Erde that es, die Jedem von uns mitgegeben ist. Und ich habe ihn auch nicht getäuscht: er wußte, daß er nicht geliebt wurde.«
»Dennoch wagte er es, Sie an sich zu reißen!«
»Er traute seiner Liebe zu viel zu, wie ein Anderer zu wenig.«
»Vergeben Sie mir endlich!« rief der Prinz flehend.
»Ihnen vergeben?« Unergründliches stand in ihren Augen.
»Nachdem Sie in ein Herz gesehen, dem ich auch nicht die loseste Hülle gewahrt habe!«
»Mich warnt etwas vor diesem Herzen!« erwiderte sie mit einem finstern, fast lauernden Ausdruck im Antlitz. »Ich lebte jetzt in einer gewissen Ruhe hin! Über Gerhard verfügte ich beinahe schon wie über mich selbst – fortan würde es ganz geschehen! Das ist immerhin beachtenswert und so weit sicher, wie es eine Sicherheit auf Erden giebt.«
Prinz Isselhorst, dessen Stolz tief verletzt war, sprang auf und trat mit ein paar hastigen Schritten bis an das Geländer vor; Arabella blieb ruhig auf ihrem Sitze.
»Wo so kühle Erwägungen möglich sind,« begann er nach einer Pause, »da war es doch wohl ein Irrtum, der mich hergetrieben hat! Madame scheinen ja völlig befriedigt? Ah, so dürfte ich nur um Vergebung zu bitten haben und mich so rasch als möglich –«
»Mein Prinz! Prinz Albrecht!« unterbrach ihn Arabella in einem so sanften Tone, daß er bestrickend wie Musik klang.
»Sie spielen mit mir!« klagte der Fürst, schon halb überwunden.
Arabella erhob sich, brach einen blühenden Zweig, der über das Geländer hereinhing, und sagte, indem sie ihn lächelnd emporhob und wieder senkte und ihn dann an die Brust steckte: »Doch nur, wie ich mit dieser Blüte spielte – die ich nie mehr frei gebe!« Mit einem heißen Blicke schloß sie: »Wie können Sie eine kleine Prüfung so schwer nehmen?«
»Eine Prüfung?«
»Nichts Anderes! Ihr Groll hat mir nun ja erst gezeigt, daß ich Ihnen wirklich noch etwas bin, ein Preis, um den Sie kämpfen wollen!«
»Bis zum Letzten,« rief er hingerissen.
»Ohne Kampf wird er auch nicht von mir lassen; es liegt in seinen Augen, als hätte er verzweifelte Entschlüsse gefaßt!«
»Glauben Sie?« meinte Prinz Isselhorst voll Überhebung. »Ich nicht! Aus dem Gleichmaß mag er gekommen sein – er zitterte aber, als er mir zuerst gegenübertrat – daran war nicht mehr der Unfall Schuld, sein Gewissen zitterte! Ihm ist also beizukommen.«
»Ich gebe Ihnen zu, daß er nicht verhärtet, daß er ein Neuling auf der abschüssigen Bahn ist –«
»Wer weiß?« fiel der Prinz ein.
»Sie wissen noch mehr?« fragte Arabella.
Er nickte.
»Was auch mir verborgen geblieben ist?«
»Es scheint so!« Der Prinz sah nach den Anderen hinüber. »Davon später! man hat sich auf der Terrasse erhoben – es bliebe als letztes Mittel! Er steht eben in ganz unangreifbarer Position, wenn er sich feige aufs Gesetz stützen sollte, und nicht freiwillig von Ihnen läßt. Denn was hülfe selbst das Äußerste, ein Duell, in welchem er fiele – ich kann meinem Lande keine Fürstin geben, die so gewonnen wäre! Darum kam ich selbst – plötzlich, überraschend; seine Vergangenheit, der lange Dienst in unserem Hause, ein Rest von Dankbarkeit können noch nicht vergessen sein – und wenn wir ihn nicht zur Ruhe kommen lassen, wenn er gehetzt bleibt wie ein Wild, so wäre es undenkbar, daß er nicht erliegen sollte.« Die Stimme des Fürsten hatte grell geklungen wie eine Halali-Fanfare und seine Blicke waren stechend.
»Ich fürchte seine wahnsinnige Liebe zu mir!« erwiderte sie.
»Seit sein Betrug zu Tage gekommen ist, muß er wissen, daß Sie ihm verloren sind, ob er Sie an sich fesselt, oder freigiebt!«
»Er hat es so lange getragen, mich ohne meine Liebe zu besitzen!«
»Zu besitzen!« Dem Fürsten erschien die Pergola plötzlich verdunkelt und er rief in unterdrückter Glut und Pein: »Die Luft hier erstickt mich, als atmete ich Küsse, die ich nicht geküßt habe! Arabella!«
»Fassung, Durchlaucht!« bat sie tonlos – »nur auf Stunden noch – bis unser Wild erlegt ist!« Jede Silbe atmete Haß. »Dann will auch ich glauben,« fuhr sie voll Hingebung fort, »glückselig sein zu dürfen! Mit dem Augenblick soll Alles fallen, was ich ratlos, in der Verblendung, gegen meine Liebe in mir aufgerichtet hatte: dann wird es sein, als sähe ich in das Glück selbst!«
»Wie ich es gethan habe,« versicherte der Prinz, indem er bewegt ihre Hand faßte, »seit ich Sie zum ersten Mal gesehen hatte!«
Arabella blickte ihm fest und tief in die Augen, dann sagte sie, von einem Geräusch abgezogen und sich nach der Terrasse umwendend: »Sie kommen hierher!«
»Und mögen gehen! Ich bleibe!«
»Nein, Prinz!«
»Ich ertrüge keinen Aufschub mehr!«
»Dennoch ist er notwendig! Lassen Sie mich erst sprechen! Dabei sehe ich, wie er das Ganze auffaßt, wo an ihn heranzukommen ist: fürchten Sie keine Übereilung – ich bin meiner sicher.«
»Noch eine Nacht so durchwachen, wie die letzte – ich kann es nicht!«
»Und ich darf von meiner Forderung nicht abstehen, wenn es nach unsern Wünschen endigen soll. Trauen Sie meinem Gefühl! Es ist notwendig, daß er zuerst durch mich erfährt, um was es nun geht! Zwischen Ihnen Beiden käme es sofort zu einem Ausbruch, der Alles vernichtete!«
»Sie wollen es,« antwortete der Prinz gepreßt – »erreichen werden Sie nichts! Ich komme aber noch einmal her, nach einer Stunde. Um so besser, wenn Sie noch zusammen wären! Trauen Sie auch mir – jede Verzögerung kann ihn nur starrer machen!«
»Sei es denn!« gab Arabella nach »Sie sollen die kleine Pforte an der Terrasse offen finden.«
Der Fürst zog rasch ihre Hand an die Lippen, dann traten sie in den Garten zurück; die Anderen kamen näher und man hörte den Major sagen: »Wie man diesen Ethelwold verteidigen kann –«
»Ich habe ja nur ein gewisses Mitleid mit ihm!« entschuldigte sich Gerhardtstein »Eine Liebe, welche den Bruch mit unserer ganzen Vergangenheit möglich macht, mag wohl ein Verhängnis sein, das uns in uns selbst vernichtet.«
»Wenn wir Schwächlinge sind! Ah bah!« rief Velen. »Er ist und bleibt ein –«
»Schurke!« vollendete Gerhardtstein mit einer Grimasse, »wir haben es nun schon behalten.«
Prinz Isselhorst wandte sich den Kommenden zu. »Der Baron scheint dem Stoffe jetzt selbst eine heitere Seite abgewonnen zu haben,« sagte er.
»O, die heiterste, Durchlaucht! Warum auch nicht? Bei einer so gleichgültigen Sache!«
»Bleibt es wirklich für morgen bei der Reise?« wandte sich Dina an die Baronin.
Arabella hob die Schultern und sah auf den Gatten.
»Wir müssen fahren,« sagte dieser mit ruhiger Bestimmtheit, »da wir bindende Verabredungen eingegangen sind.«
Die Gäste verabschiedeten sich und gingen.
Während ihnen der Baron sein Geleit bis zur Vortreppe gab, ging Arabella nach der Pergola zurück und blieb in Gedanken an deren Geländer stehen. »Ich darf nie vergessen, daß ich in seiner Macht bin,« dachte sie immer wieder.
Eine Thür öffnete sich und wurde geschlossen, dann trat Baron Gehardtstein aus dem Zimmer. Er streifte Arabella mit einem scheuen Blicke, sagte aber in scheinbarer Befriedigung: »Du bist ruhig? das freut mich!«
Sie schwieg.
»Ich mochte nun glauben,« fuhr er langsam fort, indem er mit der Hand dem Muster der Tischdecke folgte, »daß seine Erklärungen, denen ich galanterweise, wie Du zugeben wirst, nichts in den Weg legte, keinen Eindruck gemacht haben!«
»Das meinst Du wirklich?«
Der Baron trat dicht an sie heran. »Weil es nicht anders sein kann! Minuten können nicht töten, was beinahe ein Jahr Zeit hatte, zu wachsen und uns mit hundert Fäden aneinander zu ketten. Wir sind uns ja nicht fern geblieben, Du warst in seligen Stunden mein Weib –«
»Mein Herz aber –«
»Ich sprach nicht von Deinem Herzen!« unterbrach er sie mit bebender Stimme, »das mag nicht dabei gewesen sein, sich meinetwegen mit Phantomen getragen haben! Aber zuweilen, wenn ich dem Schlage dieses Herzens lauschen durfte –«
»Wozu das?« fiel sie eisig ein.
»Weil ich Dich daran mahnen muß. was gewesen ist, damit Du klar sehen kannst«
»Ich sehe klar!«
»Und auch ich soll davon profitieren?«
»Es bezieht sich sogar allein auf Dich!«
Er warf sich in den Korbsessel, auf dem vorher der Fürst gesessen hatte. »Was wäre also klar geworden?«
»Daß ich um mein Lebensglück betrogen wurde!« rief Arabella auflodernd.
»So, so!« Er machte eine Gebärde, als ducke er sich. »Wieder solch' ein Ausdruck, wie ein Wurf mit einem Felsblock! sie müssen heute in der Luft herumfliegen! – Um Dein Lebensglück betrogen! Doch wohl an der Seite dieses Prinzen Albrecht? Das klingt, als wäre es etwas! Dabei dürften aber eben so viele Fragen laut werden, wie die Phrase Buchstaben hat. Ich kenne diesen Prinzen! Er bildet sich heute noch ein, Dich zu lieben, wie er es sich damals einbildete – weil er Zerstreuung, Aufregungen sucht, weil ihn von jeher das schwer oder gar unmöglich Erscheinende reizte – natürlich nur so lange, bis es erreicht war. Im letzten Grunde liebt er nur sich selbst und jedenfalls das am wenigsten, was ihm in irgend welcher Beziehung unbequem wird. Wer weiß, ob diese Zeit nicht schon da wäre, wenn Du die Seinige geworden wärest? Und das wäre Dein Lebensglück?«
»Ein Tag Fürstin Isselhorst,« rief Arabella, »wägt Jahre auf von solchem« – sie stockte.
»Wovon?« fragte Gerhardtstein, der unter ihren Blicken noch blaßer geworden war.
Sie beharrte im Schweigen.
»Wirklich ein Rest von Scham?« Er trat dicht an sie heran. »Erinnerst Du Dich vielleicht doch wieder meiner Liebe? Bei Gott, ich liebe Dich so sehr, daß ich hoffen durfte, Dich glücklich zu machen und dann vergessen zu können, um welchen Preis Du erworben bist!«
»Sollte das überhaupt möglich sein?« fragte sie leidenschaftlich. »So lange Nacht über der Schande ist, so lange darf sie leben – der Tag tötet unerbittlich. Es ist für uns Alle Tag geworden. Wohlan, sei jetzt noch so viel Edelmann, wie Du es sein kannst, nimm freiwillig, vornehm das Unabänderliche auf Dich – gieb mich frei!«
Der Baron schüttelte finster das Haupt.
»Wie wollte ich Dir danken!« fuhr sie bittend fort »Auch Prinz Albrecht – ich hoffe das über ihn zu vermögen – würde es als Sühne ansehen und schweigen: Du bliebest für die übrige Welt derselbe, der Du bis jetzt warst.«
»Und Du?«
»Ich würde endlich die Stelle einnehmen, die mir bestimmt war! Eben forderte der Prinz meine Hand.« Eine Genugthuung ohne Gleichen ließ sie sich zu voller Höhe aufrichten.
»Das wäre allerdings äußerst vornehm von mir gehandelt,« entgegnete er, »aber ein Romanschluß, wie ihn sich etwa ein sentimentaler Blaustrumpf zusammen spintisiert! Wer so, wie Du erworben wurde, von dem läßt man nicht! Und vor allem nicht ein Mensch, in dessen Adern lebendiges Blut rollt. An den Galgen mit den Vorurteilen – was mein ist, bleibt mein!«
»Du würdest nicht wider Dich selbst wüten,« antwortete Arabella mit soviel Ruhe, als sie sich zu bewahren vermochte, »wenn Du nicht fühltest, eine Schuld auf Dich geladen zu haben, wie sie kaum schwerer –«
Er machte eine hastige Bewegung der Abwehr. »An mich will ich gar nicht denken! – obwohl Du es wissen müßtest, daß ich zu Grunde ginge, wenn Du mich verließest! Du bist einmal mein Alles – Glück und Leben und jede Freude; wäre ich sonst bis dahin gekommen? Und bedeutet eine solche Liebe wirklich nichts, wiegt sie diesen eiteln Glanz nicht auf?« Arabella hatte sich ganz abgewandt. »Aber Du hörst wohl nicht einmal, was ich spreche? Von ihm muß ich sprechen, wenn Du hören sollst! – Könntest Du mit ihm glücklich werden?! Das aber hatte ich ja damals schon in all den fiebernden Stunden des Kampfes mit mir selbst erkannt: niemals! Ein kaum errungenes, schon lästiges Spielzeug! Und Du warst ein Herz wert, bist es heute noch! Bella, lege mir jede Strafe auf, die Du ersinnen kannst – Du sollst mich entsühnen dürfen – dann aber Friede!«
Sie kehrte sich jäh um. »Zwischen uns? denke an unsere Devise! eine Bodenburg und ein Ehrloser!«
Auch Gerhardtstein richtete sich auf. »Ehre ist ein fein Ding,« sagte er langsam und heiter, »über Alles geht sie nicht, glaube es mir! Wenn es an den Hals geht, lebt es sich auch ohne ›Ehre!‹ Denn wird unser Blick erst durch eigenes Malheur dafür geschärft, dann sieht man Vieles: die sich am stolzesten haben, schleifen mitunter eine unsühnbare Schurkerei hinter sich her. Das ist die meinige nicht, bei Gott, nein! Ich liebte Dich, sah Dein Verderben und brachte mich zum Opfer! Ja, müßte ich's heute wieder begehen, ich beginge es wieder! Nicht ein Wort für den Andern käme mir auf die Zunge. Ich habe es ja versucht, es war aber, als würde ich stumm. Darum mußt Du vergeben!«
»Ich thue es! Du darfst in Ehren weiter leben, nur –«
»Immer wieder diese Ehre! Als hinge wirklich mein ganzes Heil daran! Es lohnt die Probe drauf zu machen. Was habe ich im Grunde gethan? Einen Befehl nicht ausgeführt, und dafür ein Weib gewonnen, um das ich eher beneidet als verurteilt werden kann. Der Jugend wenigstens, und jedem, der ein Herz hat oder doch versteht, kommen in solchem Fall keine Skrupel – ob ›Ehre‹ dabei ist, ob nicht. Der Erfolg rechtfertigt das Mittel – und unser geringes Gedächtnis hilft dazu: wie bald geht all dergleichen nur noch als Sage um!«
»Ich vergäße nie!« fuhr Arabella auf.
Der Gatte sah sie an. »Du willst mit mir so hart ins Gericht – und Du selbst?«
»Was träfe mich dabei?«
»Dabei nichts! Bist Du denn aber so rein, so vorwurfsfrei, daß Du nur schlichtweg verurteilen darfst? Warum hast Du Dich mir gegeben? Giebt sich ein Weib, das so streng denkt, einem Manne, den es nicht liebt?«
Sie zuckte zusammen.
»Ist das nicht auch ein Bruch mit einer Vergangenheit?« schloß er mild, gleichsam entschuldigend, »nicht anders, wie bei mir?«
Sie hatte sich gefaßt. »Aber auch das geschah durch Deine Schuld!« rief sie heftig. »Du benutztest meine unglückliche Lage, die Wirnisse nach meines Vaters Tode, der mich anfangs scheinbar dem Nichts gegenüberstellte, so wurde mir das Jawort entrissen!«
»Täusche Dich doch nicht absichtlich,« versetzte er in derselben Milde. »Wenn Du nicht selbst bereit gewesen wärst, wer hätte Dich zu zwingen vermocht?«
Eine dunkle Röte stieg bis in ihre Stirn empor. »Aber es wäre unmenschlich,« schrie sie auf, »den Irrtum, die Schwäche einer Stunde durch ein ganzes Leben voll Qual büßen zu sollen! Mein Herz reißt mich ihm nach, laß mich nicht untergehen – gieb mich frei!«
Er starrte sie an, dann sagte er langsam: »Es gäbe nur ein Mittel, Dich frei zu machen! Soll ich es Dir verraten?«
»Sprich, sprich!«
»Nur eines!« wiederholte er, »da sich Durchlaucht kaum zu einem Duell mit dem früheren Diener seines Hauses herablassen dürfte. Dingt Einen, der mich mordet! Fasse es wohl – mich mordet!« Er wandte sich ab, schlug die Hände vor's Antlitz und ging.
Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder regen konnte und mit schleppendem Schritt nach dem nächsten Stuhle schritt, um sich zu setzen: sie kauerte dann mehr darauf, als daß sie saß. Nicht die letzte Äußerung des Gatten beschäftigte sie – was er ihr aber vorgeworfen, das bitterte und quälte in ihr nach. Wie sie es auch wandte, er behielt immer Recht – er! So nackt gedacht hatte sie es sich nie, aus Mitleid mit sich. Ihr Stolz – gewiß, der brach damals, als sie sich wie eine aus der Menge fortwarf und ihn nahm. Hätte sie es noch gethan, von seiner Liebe gerührt, aus irgend welchem entschuldbaren Grunde – doch die bloße elende Furcht vor der Not hatte sie dazu getrieben, Feigheit also, und das andere, ebenso elende Gefühl – der Groll und der Stachel in der Brust, den zu strafen, den sie abtrünnig wähnte.
Sie streckte mit einer Bewegung der Qual die Hand aus, erhob sich dann und ging, bald zuschreitend, bald stehen bleibend auf und nieder. Nach einer Weile trat sie in das beinahe dunkle, nur von den Kerzen eines Armleuchters matt erleuchtete Gartenzimmer, wo sie sich wieder auf einen der niedrigen Sessel am Kamin hinkauerte.
Ihre Gedanken trieben auch jetzt noch in demselben Kreise: sie waren aber nun ganz auf den Gatten gerichtet, der ihr nichts geworden war, wie er ihr niemals etwas gewesen. Und er gerade mußte der einzige sein, der sie in ihrer ganzen Blöße kannte! Wie sie ihn haßte! Blut allein konnte die Schande fortwischen, Blut – das fließt aber nicht von selbst … Was hatte er nur zuletzt gesagt?!
Wirr und dunkel trieb es in ihrem Sinnen fort; zuweilen versuchte sie es auch, gar nicht zu denken. Da hörte sie ihren Gatten im Nebenzimmer gehen: umwillkürlich achtete sie auf die ungleichmäßigen Tritte, bis sie ihr geradezu wehe thaten. Im Gehirn meinte sie einen Schmerz zu fühlen – jeder Schritt hallte da gleichsam nach.
Totmüde stand sie wieder auf und trat in die Thür zur Pergola. Im Örtchen begann die Kirchenuhr zu schlagen. Sie zählte die Schläge. »Elf? Nun wird er kommen!« Sie trat noch weiter hinaus; nach einer kurzen Überlegung ging sie auf ihren vorigen Platz zurück. Mochte ihr Gatte sie hören – mit einander fertig werden mußten sie doch!
Es währte nicht mehr lange, so kamen Tritte näher und Prinz Isselhorst blickte von draußen suchend ins Zimmer. Als er Arabella erkannte, eilte er ihr entgegen und zog sie mit einer unwiderstehlichen Bewegung an sich. Einen Augenblick lang lehnte sie willenlos an seiner Brust, dann löste sie sich aus seinen Armen.
Bei der Stille hörte er ebenfalls Gerhardtsteins Tritte und fragte: »Er?«
Arabella nickte. Leise fragte er von neuem: »Und was haben Sie erreicht?«
»Nichts!«
»Ich wußte es!«
»Er sprach nur von seiner Liebe,« fuhr Arabella flüsternd fort, »und wie er nie von mir lassen würde. Auch seine Begriffe von Ehre sind hinfällig genug; eine Mahnung daran dürfte wenig fruchten.«
»Der Schurke!« rief er. »Hätte ich Ihnen damals eine Zeile geschrieben, es wäre anders gekommen. Er riet auch davon ab! Es fiel mir eben ein, als ich noch einmal überdachte, wie Alles gekommen. Und schien er Unrecht zu haben? Und sind wir nicht daran gewöhnt, unsere Diener für uns handeln zu lassen?«
»Der Elende!« flüsterte sie heiser. »Wie scharfsinnig war Alles zurecht gelegt, und wie mag er gelacht haben, als wir ihm gehorsam Schritt für Schritt den Willen thaten … Ehe man uns vorher unterbrach,« fragte sie dann hastig, »erwähnten Sie noch etwas, was Sie über ihn erfahren hätten?«
Der Fürst schien unangenehm berührt und zögerte mit der Antwort.
»Verhehlen Sie mir jetzt nichts mehr!« bat sie, »gäbe es denn auch Schwereres, als was ich bereits weiß?«
»Er ist entweder bereits ruiniert, oder dem Ruin nahe!« erwiderte er kurz.«
»Dem Ruin?« rief sie bestürzt.
»Ja!« bestätigte er. »Man schien im Städtchen aufs genaueste darüber unterrichtet. Schon zur Hochzeit, wie jetzt abermals ist auch Klein-Gerhardtstein, das noch unbelastet war, mit starken Hypotheken bedacht worden: und Sie bezogen allein noch dessen Erträge, da Ihr Hauptgut sich kaum selbst erhält.«
Arabella bedeckte die Augen mit der Hand.
»Darum die Einschränkungen – schon zu Hause, dann hier! nur darum auch dieses ewige odiöse Essen en deux, das ich für eine Laune nahm! Lachen Sie mit mir – für eine eifersüchtige Laune!« Es zuckte mehr um ihren Mund, als daß sie lachte. »Und Sie glauben wirklich ruiniert? ganz ruiniert? Mein Vermögen? Sie wissen noch mehr! selbst das hat er anzugreifen gewagt?«
»Davon weiß ich nichts!«
»Auch das wird verbraucht sein!« fuhr sie verzweifelt fort, »warum auch nicht? Er hat die Verfügung darüber, weil es mir zu gering erschien, um besondere Verklausulierungen dafür zu treffen, und er es auch war, der es rettete. Doch heute? ich hätte davon leben können!«
Der Fürst war, ohne sich genauere Rechenschaft über seine Empfindung zu geben, von Arabellas lebhafter Sorge um ihr Vermögen in solchem Augenblick – eher befremdet, als zu besonderer Teilnahme erregt. »Sie sprechen so oft von seiner Liebe,« sagte er, »und haben doch so wenig Vertrauen zu ihr!«
Arabella fühlte sofort seine Verstimmung heraus. »Ich mußte auch von seiner Liebe sprechen – aber oft? Sie wollen höhnen! bin ich noch nicht bedauernswert genug?«
»Vergeben Sie!« bat er reuig, dann rief er mit erhobener Stimme: »Ich kann es nicht hören, daß ein Anderer Sie lieben darf!« – Als die Tritte nebenan plötzlich aufhörten, wiederholte er ebenso laut: »Ich kann und ich will es nicht!« Nach einem Augenblick des Lauschens schloß er leise: »Er kommt!« Rasch öffnete sich die Thür des Nebenzimmers und Baron Gerhardtstein trat herein: nach leichter Neigung des Kopfes blieb er inmitten des Zimmers stehen. Der Fürst erwiederte den Gruß kaum und sagte nur, auf einen Sessel sich gegenüber deutend: »Sie stören uns nicht!«
»Wie gütig,« sagte der Baron höhnisch, nahm jedoch Platz.
»Ich könnte behaupten,« begann der Prinz, »wieder gekommen zu sein, um Ihre unvergleichliche Aussicht« – er blickte durch das breite, geöffnete Fenster der Rückwand – »im Mondschein zu bewundern. In der That zauberhaft, dies Flimmern des Mondlichts auf den Schneefeldern des Silberhorns!« Er sah einige Sekunden hinüber, dann blickte er den Baron voll an und fragte: »Sie würden mir das nicht glauben?«
»Nein!« erwiderte der Baron
»Also offenes Visier! Was begangen worden, und in welcher perfiden Art« – Gerhardtstein machte eine heftige Bewegung – »der Ausdruck ist mild!« fuhr Prinz Isselhorst kalt und hochmütig fort, »das dürfte uns Allen nun geläufig sein, wie der Refrain irgend eines Schelmenliedes! – Es bleibt ein sehr wundersames Gefühl, bei einer solchen Affaire engagiert zu sein; mir ist noch immer, als wäre es unmöglich, daß es so geschehen konnte – bis mich die brutale Wirklichkeit eines Schlimmeren belehrt. Dabei haben Sie noch Glück, Baron! So lange durfte Ihr Betrug im Dunkel bleiben, und ich bin gezwungen, mit Ihnen zu paktieren, statt Sie zu richten. Wohlan, so stellen Sie Ihre Forderungen!«
»Ich habe keine,« erwiderte der Baron, »da ich in Nichts etwas geändert wissen will. Bella ist meine Frau geworden; nun bleiben wir auch vereint, bis uns jener Große trennt, der selbst Fürsten kein Sonderrecht einräumt.«
»Gerhard!« rief Arabella, »ich kann –«
»Erlauben Sie,« fiel Prinz Isselhorst ein, »der Baron muß nicht weit genug hinaus gedacht haben, sonst würde er die Chancen seiner Stellung nicht so überschätzen«
»Im Gegenteil. ich glaube an Alles gedacht zu haben!«
»So hören Sie auch mich!« entgegnete der Fürst. »Könnten Sie auf Ihrer Entscheidung beharren wollen, dann müßte ich mich entschließen, alle Vorgänge, die jetzt ein Geheimnis zwischen uns Dreien sind, und es bleiben würden, sobald Sie sich vernünftig zeigen, der Welt preis zu geben. Sie verstehen? Wir beide,« er blickte auf Arabella, »sind völlig schuldlos; den kleinen Schatten einer Düpierung müssen wir allerdings auf uns fallen lassen, dafür gewinnen wir aber, daß Sie, Herr Baron, vor unser Aller Augen so dastehen, wie nach Herrn v. Velen's Ausdruck jener Heysesche Rittersmann.«
»Das wäre eben hinzunehmen!«
»Sie sagen das!« rief der Prinz, heftiger werdend. »Doch haben Sie sich die Situation auch klar gemacht? Mit dieser Entlarvung unsererseits sind Sie geächtet, wohin Sie unter Ihresgleichen treten. Und in dieses offene Grab möchten Sie eine Frau mit sich hinabreißen, die Sie zu lieben vorgeben!«
»Man geht eben in die Fremde!«
»Dazu müßte doch auch ich bereit sein,« rief die Baronin. »Doch gesetzt, ich ließe mich dazu bereit finden, wie stellst Du Dir solch' ein Roman-Asyl vor? Meinst Du noch irgendwo ein standesgemäßes Leben führen zu können? Soll ich vielleicht um Geld arbeiten lernen?!«
»Woher solche Phantasien?« fragte der Baron finster.
»Mich täuschest Du nicht mehr!« antwortete sie voll Hohn, »ich bin nun auch darin eingeweiht worden. Du bist ruiniert!«
»Sehr fürstlich, Durchlaucht!« rief Gerhardtstein verachtungsvoll.
»Daß der Fürst,« erwiderte dieser gelassen, »zwischen uns beiden nicht mehr zum Wort kommen darf – hätte ich das zu vertreten? In Gerhardtstein ist Ihre Lage ein öffentliches Geheimnis! Außerdem muß jetzt Alles und Jedes, was den Schuldigen angeht, ans Tageslicht, damit er einsieht, daß ihm kein Ausweg bleibt, als sich zu fügen.«
»Wie fein sich das Blatt gewandt hat!« warf der Baron mit höhnischem Auflachen hin. »Noch vor Minuten sollte dieser große Schuldige fordern, jetzt hätte er sich nur noch Ihren Forderungen zu fügen! Im Grunde wäre es ein Handel, weiter nichts! Wenn ich von ihr ließe, wollen beide Herrschaften schweigen, vielleicht sich sogar später ›dankbar erweisen.‹ Sei's drum!« er richtete sich hoch auf – »wenn der fürstliche Käufer sich nicht zu gering achtet, auf den Marktplatz hinabzusteigen. Aber nun möchte ich wissen, was mir als Tauschobjekt für dieses hier geboten wird.« Er wies mit einer trotzigen Bewegung nach Arabella hin.
»Mir das?« Wie ein Zischen drangen diese Worte aus den geschlossenen Lippen der Frau.
»Dir!« Der Baron nickte. Darauf wandte er sich wieder an den Fürsten: »Sind Sie wirklich dessen sicher, Durchlaucht, was Sie erhandeln wollen? Glauben Sie etwa, es wäre ein Herz? Ein Herz für Sie, weil keines für mich spricht? Sie irren, in dieser Brust kann überhaupt nichts sprechen, weil nichts darin ist, als Leere, Leere – Leere!«
»Auch tückisch, nicht bloß ehrlos?« rief Arabella außer sich. »Mein Fürst« –
»Ja, der Fürst!« höhnte Gerhardtstein. »Das war es! Wann hätte je ein Herz gefragt, ob es sich einem Fürsten oder einem Bettler schenkte?«
Arabella rang nach Worten; endlich sagte sie mit matter Stimme: »Ich vermag es nicht, mich in seiner Gegenwart zu verteidigen!«
»Bedarf es dessen?« suchte sie der Prinz nun zu beruhigen: »Wenn ich Ihnen, mir nicht glaubte, stände ich dann hier? In Einem freilich,« fuhr er, zu Gerhardtstein gewandt, fort, »haben Sie leider Recht! Es ist ein Fluch, der auf jeder schlechten That liegt, daß sie selbst den, der sie gut zu machen kommt, ohne sein Verschulden mit befleckt. Das muß getragen werden, da es kein Gesetz giebt, das Wort- und Treubruch ahndet und uns Betrogenen zur Seite steht. Aber haben Sie keine Erinnerung für Ihre lange Vergangenheit in unserm Hause, kein Mitleid, das Sie treibt, Ihr grausames Unrecht an uns gut zu machen, so müßten Sie doch wenigstens davor zurückschrecken, eine Frau, die Sie zu lieben vorgeben, und gerade eine Frau, wie diese, mit sich ins Elend hinabzuzerren!«
»Sie haben zu viel gehört!« sagte Gerhardtstein gemessen. »So weit sind wir noch nicht trotz Allem, was meine Ahnen unseren Gütern auferlegt haben. Doch stünde ich auch schon am Abgrunde – Bella bleibt mein Weib, mit meinem Weibe treibe ich keinen Handel.«
»Das wäre ein letztes Wort?« fragte der Fürst.
»Mein letztes!«
Prinz Isselhorst ging, die Gatten blieben allein.
Als sich Gerhardtstein in einen Sessel warf, ließ sich Arabella scheinbar erschöpft neben ihm nieder und sagte in leidendem Tone, zu welchem die oft – sobald sie der Gatte nicht ansah – aufleuchtenden Zornesblitze in ihren Augen einen unheimlichen Gegensatz bildeten: »Du wirst jetzt Nachsicht üben müssen, große Nachsicht! Es will mit meinen Kräften zu Ende gehen. Gleichwohl muß ich sprechen. Wäge aber meine Worte nicht! Du mußt allein auf ihren Sinn achten – auf ihre Beweiskraft.«
»Beweiskraft? wofür?«
»Daß es nicht bleiben kann, wie es jetzt geworden ist!«
Wie ein einziger unterdrückter Schrei hatte es geklungen.
Gerhardtstein hob abwehrend die Hand, doch sie drückte dieselbe nieder und fuhr mit Beherrschung fort: »Ich will so ruhig sprechen, wie ich es vermag! Daß Du mich anhörst, darf ich doch verlangen?«
»Die unnütze Qual!« rief er gepeinigt.
»O nein!« Sie schüttelte den Kopf. »Bis jetzt haben wir uns in bloßen Gegensätzen bewegt: Du verweigertest einfach, was wir forderten! Wenn Du nun aber selbst anderer Ansicht würdest, ich Deine Ueberzeugung erschütterte – lächle nicht, wenn mir das Herz brechen will!« rief sie in heftigem, befehlendem Tone.
» Dein Herz?« Er blickte sie voll an. »Gewisse Herzen sind übrigens wie Schlangenköpfe – sie leben auch zertreten fort. Ich weiß davon.«
»Wenn das wäre,« erwiderte sie hastig, »wenn Du ein solches Gefühl kenntest, so vermöchtest Du doch ein anderes Herz, eines, das Du liebst, nicht zu solchem lebendigen Tode zu verurteilen. Es muß Dich seiner erbarmen! Gerhard, ich bekenne es ja. Du bist immer gütig zu mir gewesen, mild selbst gegen meine Launen, nun sei Dir auch im Großen getreu! Was wären die Herzlichkeiten von Einst, wenn Du jetzt nicht die Kraft zu entsagen fändest? Und wem entsagst Du? Einem Schemen, einem Nichts, das nie Dein eigen war! Du hast einmal des Edelmannes vergessen, zeige, daß Du Dich wieder erheben kannst!«
Gerhardtstein blickte starr vor sich nieder. »Hast Du,« fragte er nun plötzlich, »dem Sepp'l gedankt, daß er mich rettete!«
»Wie kommst Du darauf?« versetzte sie ungeduldig, »ich habe ihn nicht gesehen.«
»Wie ich darauf komme?« Er fuhr sich über die Stirn. »Ist Dir der Nachmittag so leicht vergangen? Mir – ach! Sieh einmal genauer zu: bin ich nicht grau geworden in den Stunden? Wir Gerhardtsteins werden immer früh grau, sterben auch früh! Leider hat das Schicksal es heute bei einem Versuche bewenden lassen: aber denke, was uns Alles erspart geblieben wäre, wenn der Sepp'l mich hätte rollen lassen – rollen.« Er machte eine ähnliche, erst langsam, dann rasch hingleitende Bewegung mit der Hand.
In Arabellas Augen kam wieder ihr Funkeln. Als der Gatte aufsah, war es aber erloschen. So fragte er nur: »Du wartest auf eine Antwort! Wovon sprachst Du?«
»Wie Du von neuem der werden könntest, der Du warst! Ein Mann, den man wieder achtet.«
»Achten!« rief er bewegt, »und ich hoffte einmal, Dich zur Liebe zwingen zu können, weil meine Liebe, diese innigste auf der Welt, die ihr Selbst verleugnete, auch Liebe wecken sollte. Es giebt ja wohl noch Schönere und viel Gütigere als Dich! Du aber gerade bist mir Reiz und Rausch in jedem Augenblick: selbst Dein häufiges Versagen, wie der Groll jetzt, selbst der ist noch Leben für mich. Und von dem Allen sollte ich freiwillig lassen? Für ein so siegesgewisses Prinzlein, das sich dabei gebärdete, als hätte es den Diener von früher vor sich? Es wird einen freien Mann kennen lernen! – Und Du hilfst mir dazu!« fuhr er flehend fort. »Wohl haben wir uns eben weh gethan – sehr weh, doch das vergißt sich! Dein kleines Vermögen ist unangetastet!« Arabella that einen tiefen Atemzug der Befriedigung. »O, ich hätte es ja nicht übers Herz gebracht, mich daran zu vergreifen! Nun mag Gerhardtstein verloren gehen, der Prinz sich durch die Preisgabe unseres Geheimnisses rächen – wir trotzen irgendwo im Verborgenen Allem. Allem. Durch Deine bloße Zustimmung wäre ich entsühnt! Du wirst – Du mußt wollen! Es bedeutet etwas, einen Menschen glückselig machen zu können: jetzt weißt Du erst, wie grenzenlos ich Dich liebe!« Er ergriff ihre Hände.
Arabella entzog sie ihm. »Davon weiß ich nichts!« sagte sie, »wäre es so, dann würdest Du mir endlich glauben, daß ich nicht bei Dir bleiben kann. Nichts, nichts vermöchte mich zu halten! Meine Zukunft liegt freilich in Deiner Hand, Du vermagst sie zu vernichten. Es müßte zum Wahnsinn treiben!«
An Gerhardtstein rann ein Frösteln nieder; er sah sie völlig entgeistert an, ihr grauenhafter Blick hatte ihn mit der Wucht einer Offenbarung plötzlich hell sehen gemacht. Es war so, wie sie sagte. Und in seinen Augen erlosch allmählig etwas, das sie noch eben mit Leben erfüllt hatte – auch sie blickten nun starr wie die Arabellas. Dennoch fragte er noch einmal: »Dich? Dich triebe ich zum Wahnsinn?«
»Ja!« flammte sie auf, »heute ja!«
»Das ist nicht mehr Groll – das ist Haß!«
Arabella blieb stumm.
»Sie schweigt?« flüsterte Gerhardtstein. »Sie kann schweigen?«
»Ich will nicht lügen!« versetzte Arabella grausam, »die Fessel hasse ich nun.«
»Ah!« Er zuckte wie unter einem tötlichen Schlage zusammen.
Unbewegt, mit derselben schneidenden Härte fuhr sie fort: »Weil ich ihn liebe, jetzt darf ich es auch gestehen, seit er sich mir näherte. Du höhntest vorher – nur seine Krone! Wie ließe sich die aber von einem Fürsten trennen? Denke ich an ihn, ist sie mitgedacht. Und ebenso ist es Selbsttäuschung von Dir, wenn Du behauptest, er vermöge nichts zu fühlen. Wäre er sonst wiedergekehrt – ein drittes Mal? ließe er von einer Herzogin, von einer der reichsten Prinzessinnen, wenn er mich nicht liebte? Und bin ich erst die Seine, so überlaß es mir, ihm zu fesseln – lebenslang!« Ihre Augen leuchteten voll Triumphes, ihr Atem flog. »Nichts Anderes hat mehr Raum in mir! Und mit einem Worte kannst Du mir alle Herrlichkeit der Erde zu Füßen legen. Sei dankbar! ich gab Dir auch, was ich zu geben vermochte. Du hast das oft anerkannt! Nun rette mich vor mir selbst. Ich ertrüge kein solches Weiterleben wie bisher!«
»Wenn das aber mein Tod wäre?« fragte er.
»Tod um Tod! Ich darf von meinem Flehen nicht lassen!«
Gerhardtstein stand mit einer müden, schlaffen Bewegung auf. Während er schwankend durchs Zimmer schritt, sagte er: »Jetzt will es kommen, wie ich es mir schon damals als Ende gedacht habe, sobald Alles zu Tage käme! Ich stellte mir das Scheiden nur leichter vor, wenn Du erst mein gewesen wärst: in Gedanken kann man Vieles – in Wirklichkeit! – Und ich hatte mich wohl mit Absicht getäuscht: nun es keinen Kampf mehr gilt, da fasse ich, wie es liegt. Wenn Du nicht von selbst bleibst, so hat auch der Eid, obwohl Du ihn mir einst freiwillig geschworen hast, keine Kraft mehr, Dich zu halten? Darauf hoffte ich!« Er blieb stehen und sah auf sie; als sie verneinend den Kopf bewegte, nickte er nur: »Und es ist also nicht bloß seine Krone, die es Dir angethan hat – er ist Dir etwas?«
Sie faltete die Hände. »Er ist mir Alles!«
Gerhardtstein nickte wieder. »Auch hast Du Recht: daß er immer wiederkommt, daß er um Deinetwillen der Herzogin Sophie entsagt, das spricht wirklich für ihn. Warum solltest Du auch nicht die erste sein, der es gelingt, ihn zu fesseln? Du bist eben Du! wen Du in Deiner Nähe duldest, um den ist es geschehen. Einer steht Euch allein im Wege, sonst nichts auf der Welt: und um den Einen ist es Nacht geworden. Kein Ausweg mehr: umstellt – ganz umstellt!« Er lehnte sich schwerfällig an die Wand und fuhr mit den Fingern die Tapete lang, immer in derselben Bewegung – einmal hin, einmal her.
Arabella folgte stumm seinem Treiben; nach einer langen Weile sagte sie in weichstem Tone: »Lieber Gerhard!«
Er schrak aus seinem Brüten auf. »Wer? Du bist es noch?« Seine Blicke schweiften an ihr vorüber nach der Standuhr. »Es geht auf Mitternacht!«
Sie erhob sich. »Du bleibst?«
»Sorgst Du Dich etwa?«
Sie ging dem Schlafzimmer zu. Da schrie er auf: »Bella!« stürzte auf sie zu und bedeckte ihr Augen und Haar und Mund mit glühenden, wilden Küssen. Sie blieb steinern, dann riß sie sich aus seinen Armen und floh.
Als sie verschwunden war, ließ seine Überreizung ein wenig nach; er trat ans Fenster und blickte in die Nacht hinaus. Vor ihm lag die schöne Landschaft, welche jetzt vom Licht des höher gestiegenen Mondes noch duftiger, noch verklärter überglänzt war.
Lange stand er so da, wohl eine Stunde lang, und nach und nach wurde es immer stiller in seiner Seele. Leise ging er in den Garten hinaus; unter Arabella's Fenstern, die schon dunkel waren, stand er still. »Mich hassest Du?« murmelte er. »Ich will Dich heilen von Deinem Haß und mich! –«
Er barg den fiebernden Kopf in den Händen; dann schritt er langsam, ohne den Kopf zu wenden, aus dem Garten.
Arabella war spät, erst gegen Morgen eingeschlafen: ihre innere Unruhe hatte sie aber auch dann keinen rechten Schlaf finden lassen, so war sie matt und überwacht aufgestanden. Ziellos, dabei immer wie auf irgend etwas lauschend, ging sie aus den Zimmern ins Freie, kehrte von der Terrasse wieder in den Salon zurück, ja, stand heute wiederholt an Plätzen des weitläufigen Gartens, wo sie noch nie hingekommen war.
Als sie wieder einmal in sich zusammengeschmiegt in einer Ecke des Salons saß und regungslos auf die am Boden spielenden Sonnenstrahlen sah, wurde ihr Fräulein von Alsleben gemeldet.
Sie begrüßte sie mit wahrhaft dankbarer Freude, und ließ sich eine Zeit lang durch das kleine Allerlei, das bei der Ankunft an einem fremden Orte jedem neu Ankommenden zu begegnen pflegt, aufs trefflichste, wie es schien, unterhalten. Bald begann sie aber augenscheinlich zerstreuter zuzuhören, so daß Dina direkt fragte: »Sie erwarten etwas, beste Frau?«
»Ich?«
»Ja, ja! nach Ihrer Unruhe zu schließen?«
»O!« rief Arabella gezwungen, »bei meiner Unruhe! Da müßte es sich wohl gar um etwas Furchtbares handeln! – Wollen Sie etwa wieder kombinieren, wie damals in Wiesbaden? Nehmen Sie sich in Acht – ich verklage Sie beim Prinzen!«
»Das also ist es!« warf Dina befriedigt hin. »Durchlaucht wollten sich noch empfehlen kommen! Auch Ihr langes Duo gestern – am Ende ist in jenen wunderschönen Wiesbadener Mai doch nicht völlig grundlos medisiert worden?«
»Vielleicht!«
»Da Sie dazu lächeln können – wenn ein Lächeln auch vieldeutig ist, so bin ich zufrieden!« fuhr Dina fort. »Übrigens, wenn sich Prinz Albrecht auch stets liebenswürdig giebt, wer reicht an unsern guten, prächtigen Baron heran! Wie oft haben wir über ihn und mit ihm gelacht, daß uns alle Welt darum beneidete. Gestern freilich war er merkwürdig ernst.«
»Fanden Sie?« fragte Arabella. »Warum erzählten Sie uns auch Trauerspiele?«
»So wäre ich nur schuld daran!« rief Dina lächelnd, »nun das geht vorüber.« Sie sah durchs Zimmer und zum Fenster hinaus, und schloß mit dem Seufzer: »Wenn ich so reizend wohnte!«
»Gerhard hatte gut gewählt!« bemerkte Arabella gleichmütig.
Diese Kühle verletzte Dina, darum antwortete sie schärfer, als es ihre Gewohnheit war: »Und gewiß nur für Sie! Schon von Kousine Hertha hörte ich, wie er Sie auf Händen trägt!«
Arabella hob leicht die Schultern.
»Der Eine thut's, liebste Frau, der Andere nicht!« setzte Dina Alsleben noch gereizter hinzu: »Hertha weiß ein böses Lied vom Gegenteil zu singen, und hat vielleicht darum so viel Verständnis für Ihr Glück!«
»Unsere weise Hertha!« Es war unverborgener Hohn.
Dina erhob sich. »Gewiß haben Sie aber noch beaux restes zu packen? Ich komme nun doch zur Post, da ich auch dem Baron Adieu sagen möchte!« Arabella die Hand reichend, fiel sie in ihre gewohnte Art und meinte voll herzlicher Sorge: »Sie hätten ihn gar nicht mehr in die Berge lassen dürfen! Nach dem gestrigen Unfall – ich würde mich totängstigen!«
»Weil diese schöne Hand noch keinem Manne bewilligt worden ist!« antwortete Arabella gelassen. »Wenn das geschehen sein wird, werden Sie erfahren, daß wir Frauen gänzlich machtlos sind, wo es sich um Passionen der Männer handelt. Somit Glück zu! – Ich glaube auch, daß er nur von einem seiner Lieblingspunkte Abschied nimmt – Wilhelm sprach davon!« – Sie schrak zusammen, als in diesem Augenblick die Thür aufging und Wilhelm, dieselbe weit öffnend, meldete: »Seine Durchlaucht!« Nach der Begrüßung wandte sich der Fürst an Dina: »Schon wieder auf der Flucht?«
»Ich war im Aufbrechen« versetze diese; dann drückte sie Arabella nochmals die Hand: »Um elf bin ich an der Post!« – und empfahl sich mit tiefer zeremoniöser Verbeugung. –
»Sie reisen also dennoch?« rief der Prinz bekümmert. »Es wäre nichts gewonnen?«
Arabella sah ihn durchdringend an und erwiderte mit kaum beherrschter Genugthuung: »Ich weiß es nicht, und glaube doch mehr zu wissen: bis ins Innerste erschüttert war er!«
»So findet er sich in den Gedanken einer Trennung?«
»Wenigstens muß er begriffen haben, daß es für uns vereint kein Weiterleben giebt.«
»Dessen wären Sie sicher?«
»Als er mich gestern verließ,« erklärte Arabella fest, »ja!«
»Und heute?« fragte der Prinz mit vibrierender Stimme.
»Ich habe ihn nicht mehr gesehen.« Sie ließ sich auf eines der Ecksofas nieder, während der Prinz sich einen Sessel heranzog. »Stundenlang hallten seine Schritte aus dem Garten herauf,« fuhr sie nach einer Weile mit ihrem eisigen Lächeln fort, »gehend und kommend, als triebe ihn ein großer Entschluß fort, und Schwäche, jammervolle Schwäche zöge ihn immer von neuem zurück. Selbst für mich wurde es qualvoll! Und doch war es mir« – sie sah vor sich nieder – »als ob ich seine Gedanken durch die Nacht leuchten sähe! Ich hätte sie aber nicht wenden mögen – nicht um Alles in der Welt.« Hastig schloß sie: »Erst um vier soll er aufgebrochen sein!«
»Wohin?«
»Bestimmtes weiß Niemand darüber.«
»Und was vermuten Sie?«
»Daß er,« erwiderte sie zögernd »es noch einmal versuchte, dem Ribulaun den Meister zu zeigen.«
»Dem Ribulaun?« wiederholte der Prinz überrascht, »auf dem er gestern gestürzt ist?«
Sie bejahte und wies nach einem der Seitenfenster. »Dort, der überhängende gigantische Felskegel vornan!«
»Und in seiner Stimmung?«
»Ich hoffe Alles!« Die Worte durchschnitten geradezu die Luft.
»Was?« fragte der Prinz betroffen.
Sie zog ihre Augenbrauen zusammen, schwieg aber.
»Sprechen Sie!« rief Prinz Isselhorst befehlend, »ich muß es wissen!«
Arabella streifte ihn mit einem scheuen Blick, worauf sie einlenkend sagte: »Dort oben ist es einsam, und die Einsamkeit lehrt uns das Unabänderliche fassen. Mir träumte, er könne gerade dort den Mut finden, das nun einzig Richtige zu thun«
»Sie frei zu geben!« fiel der Fürst ein. »Ach, Arabella, ich zweifle, daß Ihr Traum in Erfüllung geht: Wie ich Sie jetzt vor mir sehe, so schön, so begehrungswürdig, da erscheint es mir selbst wie Wahnsinn, es erhoffen zu wollen, daß er Sie freiwillig hingebe!«
»Ich habe ihm meinen ganzen Haß gezeigt,« entgegnete Arabella, »und da habe ich gesehen, wie er davor zurücktaumelte, der Schwächling – auf einen Weg, auf jenen Weg, von dem ihn nur ein Wort der Liebe noch zurückgerufen hätte! Das kleine Mitleid der Liebe habe ich aber niemals begriffen: wenn Gedanken töten könnten – er lebte nicht mehr!«
»Töten? Arabella!«
»Was starren Sie mich an?« rief sie außer sich, während er sich langsam erhob. »Verstehen Sie die Frau, die Sie zu Ihrem Thron erheben wollen, so wenig? Gäbe es nicht auch für Sie Dinge, welche Sie geschehen wünschten, ohne dazu selbst die Hand bieten zu können: Dinge, die man mit Würde beklagt, wenn sie gethan sind? Hier bedurfte es übrigens keiner anderen Hand: sein weichliches Herz zerschellte an meinem Willen!«
»Sie sprechen in Rätseln!« versetzte der Prinz düster, »oder wage ich es nur nicht, sie zu lösen?«
»Noch Rätsel, Fürst?« fuhr sie auf. »Nun denn – wie er gestern von mir ging, las ich es in seinen Augen: er kehrt nicht wieder!«
»Nein, o nein!« wehrte der Prinz mit einer heftigen Gebärde ab. »Nicht so! er soll, er muß wiederkehren.«
»Da ist er schon!« Wilde Befriedigung klang aus ihren Worten.
Und da drang auch das Geräusch, welches draußen laut geworden war, bereits näher, die Hauptthür wurde rasch geöffnet, in demselben Moment an die Zimmerthür geklopft. Auf des Fürsten » Entrez!« trat Major Velen ein. In seinen Blicken lag eine tiefe Traurigkeit und seine Stimme war bedeckt, als er mit äußerer Gefaßtheit sagte: »Vergebung! Leider muß ich der Überbringer einer Unglücksbotschaft sein.«
Arabella blieb stumm.
»Der Major darf sprechen?« fragte der Prinz.
Sie nickte.
»Eben wurde am Fuße der Teufelswand, bei nahe an derselben Stelle, wo sich gestern der Unfall ereignete« –
»Mein Mann ist?« –
»Abgestürzt!« vollendete der Major, seine Ergriffenheit nicht mehr verbergend.
»Und –?« Arabellas Augen standen weit offen.
»Sie müssen jetzt hier sein!« antwortete Velen die Thür öffnend. »Ich war noch vorher beim Arzte.«
Arabella wandte sich ab: auf ihrem verzerrten Gesichte lag ein furchtbarer Ausdruck, als sie vor sich hinsprach: »Er lebt!« –
»Trafen Sie den Arzt nicht?« fragte der Prinz voller Sorge.
Velen verneinte. »Er ist schon seit Stunden von Hause fort! Ich will jetzt noch einmal hin.«
Indessen war die Hausthür von neuem geöffnet worden, die kräftigen Gestalten zweier Gebirgsjäger wurden sichtbar; bald kam auch eine rohe, von Baumstämmen gebildete Trage zum Vorschein, ungleichmäßiges Stapfen von Fußtritten wurde laut – noch zwei ähnliche Gestalten tauchten auf, und das Ganze schob sich schwerfällig vorwärts, dabei aber ohne Worte, ohne Zuruf seltsam stumm. Nach einem Drängen durch die Thür hielt Alles, bis auf einen Wink des Majors die Trage mitten im Zimmer niedergesetzt wurde. Ein paar Kinder hatten sich mit hineingedrängt; eins davon trug Gerhardtsteins Hut, ein anderes seinen Gebirgsstock – Velen nahm beides an sich, dann verließen auf seinen neuen Wink alle Eingetretenen das Zimmer. Einer der Träger, der Sepp'l, sah sich, bevor er die Thür schloß, noch einmal kopfschüttelnd nach der Trage um: der arme Herr, der darauf lag, dauerte ihn augenscheinlich.
Man hatte Gerhardtstein bis zur Brust hin mit einem Plaid bedeckt. Die Farbe seines Gesichtes war völlig fahl; seine blonden lockigen Haare, von denen ein Tuch herabgeglitten war, klebten hier und da zusammen – aus einer Stirnwunde sickerte noch Blut, dennoch machte der feingeschnittene, jugendliche Kopf mit seinen geschlossenen Augen den Eindruck tiefsten Friedens. Ganz vermochte sich selbst Arabella diesem Eindrucke nicht zu entziehen; sie faltete unwillkürlich die Hände und rief mit einem Ton des Mitleids: »Gerhard!«
Velen deutete dem Prinzen an, daß er gehen wollte, und verließ geräuschlos das Zimmer.
Der Prinz trat Arabella gegenüber an die Trage heran und sagte, als Gerhardtstein matt die Augen aufschlug, in warmer Teilnahme: »Sie fühlen sich besser?«
Gerhardtstein versetzte mit Anstrengung: »O nein! und Gott Dank dafür! – Ich hoffte daß es nicht so lange dauern würde.« – Seine Blicke irrten zu Arabella hinüber, doch wandten sie sich bald wieder von ihr ab und schienen Jemand zu suchen. »Sepp'l! – Ist Sepp'l nicht hier?«
»Bedürfen Sie etwas?« fragte der Fürst.
»In seinen Augen war Erbarmen!«
»Wenn Sie darnach Verlangen haben,« erwiderte Isselhorst bewegt, »ich kann Ihnen aus Grund meines Herzens sagen und Ihre Gemahlin fühlt mit mir!« – er sah Arabella drohend an »daß wir Ihr Unglück schmerzlich beklagen – –«
»Nicht – nicht beklagen!« fiel Gerhardtstein abgebrochen ein. »Das Schicksal hat es wohl – sehr wohl gemacht! Das trieb mich wieder hinauf. – Ich hätte es doch nicht getragen: das nicht – nur das nicht! – Zu lange war ich auch der Ehre vor mir selbst und – vor den Anderen gewöhnt. Und all das Übrige – so Jammervolles! Für Liebe bis zum Tode – Haß!«
Ein Zittern und zugleich ein Frost lief über seine Züge. Der Fürst vermochte jetzt nur den Gefährten so langer Jahre vor sich zu sehen, und streckte ihm in wortloser Ergriffenheit die Hände entgegen: da leuchtete es noch einmal in Gerhardtsteins Blicken auf, doch seine Hände regten sich nicht, und er murmelte nur unter leisem Stöhnen: »Sie sind – beide – gebrochen!«
»Mann!« rief der Fürst fassungslos, indem er sich über ihn beugte und ihn küßte, »unglückseliger Mann!«
»Dank!« murmelte der Sterbende. Ein leichtes Zucken – ein Hauch noch, dann lag auch Gerhardtsteins Haupt so schauerlich still, wie vorher schon der übrige Körper dagelegen hatte. –
In Arabella ging Schweres vor: der drohende Blick des Prinzen hatte sie schon beleidigt, ja bis ins Innerste verletzt – jetzt bei dieser Versöhnung der beiden Männer brach blitzartig die Erinnerung an jene Elfrieden-Szene in ihr durch, und sie fühlte sich grenzenlos gedemütigt. Der Prinz schien ihr Verhalten zu mißbilligen, war auch er nur ein Schwächling wie der andere? Könnte er wirklich vergessen, was an ihnen begangen war? Und der da, der es begangen hatte, trug auch daran die Schuld! Im Tode selbst hatte er sie noch erniedrigt! –
Ihr Stolz siedete gleichsam auf und ein Groll ohnegleichen brach wie ein ungehemmter Strom zu Tage: in diesem Augenblick war nichts als Verachtung und Zorn und Haß in ihr, daß Niemand sie begreife, Niemand hoch genug stände, ihr gerecht zu werden. Der Eine, den sie liebte, sollte sie aber begreifen!
Sie trat dicht an die Trage und beugte sich darüber hin. »Tot!« sagte sie herbe und warf mit einer kurzen, widerwilligen Bewegung ein herabhängendes Stück des Plaids über Gerhardtsteins Gesicht.
Während sie dann zurücktrat rief sie laut: »Frei! frei! Das war es, was ich hoffte und Sie mit mir, Prinz. Ich habe Schwäche nie achten können – am wenigstens die eines Mannes: so sei es denn genug der Komödie!«
Der Prinz wies empört auf den Toten.
»Und hörte seine fliehende Seele uns noch,« fuhr sie zügellos fort, »mir muß es vom Herzen, daß es nicht als Gift da versteinert und alle Zukunft vergiftet. Wäre die Welt, was sie sein sollte, so könnte es auch Jeder hören, daß ich endlich wieder frei bin. Wozu die Heuchelei bis in das Grab hinein? Denn wenn sie aufs Gewissen antworten wollten, tausend gemarterte, unselige Frauen, wie würden sie es erflehen, Den, der ihr Herr war ohne Herzensrechte, der mit seinen schändenden Küssen zu ersticken wähnte, was sich vor Abscheu in ihnen aufbäumte – Den so vor sich liegen zu sehen, wie ich ihn da vor mir liegen sehe!«
»Arabella!« rief der Prinz entsetzt »ich kann« –
»Lassen Sie mir noch die Minuten,« fiel sie ihm ins Wort, »bis die Anderen kommen und alles wieder stumm hinab muß, nicht Gericht gehalten werden darf – Totengericht, sondern die alte Farçe anhebt – Jammer in den Augen und ein lachendes Herz.«
Prinz Isselhorst starrte sie mit Grauen an.
Arabella bemerkte es. »Ich bin außer mir, ja! Aber Sie sagten oft, daß Sie die Kraft ehren? Ich vermöchte es auch nicht, mich der meinigen zu schämen: wo ich hasse, kann ich nicht vergeben.«
»Selbst wenn Gerhardtstein aus freiem Willen gegangen wäre?«
»Darüber ist für mich kein Zweifel!« antwortete Arabella kalt. »Und er hat nicht mehr als seine Pflicht gethan.«
»Weit mehr!« Der Fürst sah sie noch immer unbeweglich an. »Durch seinen Tod ist er wieder heraufgestiegen – zu mir! Sie freilich stehen auf einem anderen Boden.«
Ein Erschrecken durchfuhr Arabella. »Auch Sie, Durchlaucht! Könnten auch Sie mit der Menge gehen, die keinen freien Aufflug der Seele erträgt? nur immer in Banden halten will? Nun,« schloß sie mit schmerzlicher Bitterkeit, ich ergebe mich schon wieder, nehme sie schon an, die gewohnte Kette!«
»Um meinetwillen nicht!« erwiderte der Fürst mit bebender Stimme.
»Einzig um Ihretwillen! Vor Ihnen beuge ich mich so tief, als Sie es meiner würdig halten – weil ich Sie liebe!«
»Liebe! Sie – lieben!« fragte der Prinz mit einem Ausdruck des Entsetzens, ja der Verachtung.
»Albrecht!«
Er deutete auf den Toten. »Der sprach von einer Leere! Worte wirken nach, wenn man ihnen Zeit gönnt; jetzt mahnte mich dieses Wort und meine geblendeten Augen öffnen sich.«
»Sie könnten vergessen,« rief Arabella bestürzt, »wie er mich – uns entwürdigt hat? Nicht ein Gott würde es wagen, mich um meines Gefühls willen zu strafen!«
Der Prinz nickte. »Zu strafen! Doch in Gedanken hatte ich die Krone, die ich zu vergeben habe, auf Ihr Haupt gesetzt – und diese Krone fiel zu Boden.«
»Prinz! teuerster Prinz!«
»Mein Volk ist zwar klein,« fuhr er, von ihrem Schmeichelton ungerührt, fort, »wie es aber aus meiner Hand keine Fürstin empfangen durfte, die mit Blut erkauft war, so auch keine, die des Höchsten ermangelt, das sonst jeder Frau gegeben ist – des Mitleids eines Herzens!«
»Ich fasse nicht!« versetzte Arabella mit irren Blicken.
»Jetzt weiß ich erst, was er gelitten hat!« Der Prinz sah wieder auf den Toten. »Wer vermöchte ihm zu folgen? – Und Sie, seine Mörderin, können jubeln! – Was in mir für Sie lebte, mußte vor Grauen erstarren.«
Arabella hob die Hände empor. »Erbarmender Gott!«
»Er möge sich Ihrer erbarmen!« entgegnete Isselhorst. »Leben Sie wohl – auf ewig.«
Er trat nochmals an die Trage, hob den Plaid von Gerhardtsteins Haupte auf, grüßte stumm hinab und verließ, ohne auf Arabella noch einen Blick zu werfen, das Zimmer. Diese war, nach Worten ringend. ohne sie zu finden, den Bewegungen des Prinzen gefolgt: als nun die Thür hinter ihm zuging, schrie sie gellend auf: »Er geht? Prinz!« Dann brach sie ohnmächtig zusammen.
* * *
Der maurische Spielsaal in Monte Carlo war, trotzdem es auf Mitternacht ging, noch überfüllt. An den vier Roulettes schien jedes Plätzchen besetzt, hinter den Sitzenden standen noch Reihen von Spielern und selbst in all den Nischen ringsum lagen Pariser gommeux, das stete Monocle im Auge. Einige von ihnen erschienen ganz apathisch, Andere horchten auf die monotonen Ausrufe der Kroupiers oder plauderten lachend mit ihren Freundinnen. Die riesigen Brillanten-Boutous von » ces dames« funkelten bei jeder stärkeren Bewegung ihrer Veilchenbouquets oder Fächer, mit denen sie sich Luft zufächelten. Diese Luft war längst trübe und qualmig geworden, und ganz durchtränkt von dem Dufte nach Menschen, nach Patchouli und welkenden Veilchen. Jetzt, gegen das Ende des Spiels hin, übertönte wohl auch schon ein unbewachter Seufzer oder ein Fluch jenes seltsame, stets gleichartige Gesumme, das alle Spielsäle kennzeichnet.
Au einer der vordersten beiden Roulettes saß eine Dame von starrer, fast medusenhafter Schönheit. Eine schwere Toilette von schwarzem Sammet, die nur durch eine Diamant-Agraffe und rote Reiherfedern am Hütchen gleichsam beleuchtet wurde, hob diese Schönheit noch. Die Dame hatte ihren Platz neben den Kroupiers und war auch nach der anderen Seite durch eine elegante Kassette, die neben ihr auf dem Roulettetisch stand, von der nächsten Nähe der übrigen Spieler geschieden. Sowohl die Kroupiers bemühten sich, ihr durch kleine Höflichkeiten – indem sie die Gewinnste näher heranschoben oder irgend einen gewünschten Satz eigenhändig vollzogen – ihren Respekt zu bezeigen, als noch mehr der kleine Hofstaat von Herren, der sich hinter ihr aufgestellt hatte.
Das Glück war heute wieder einmal in seiner verschwenderischen Laune gewesen, die Kassette hatte sich mit Tausendfrank-Billets gefüllt, und die Dame schob nun, als letzten Satz, all das vor ihr liegende Geld auf treize und die entsprechenden Chancen noir und impair.
Nachdem diese »große Arbeit« in vornehmer Nonchalance gethan war, lehnte sie sich lässig in ihren Fauteuil zurück. Da ging die Thür gegenüber auf und ein hoher Mann, eine Dame am Arme, die sich befangen, beinahe scheu an ihn drückte, trat in den Saal. Seine Blicke trafen mit denen der Dame am Spieltisch zusammen; Beider Augen erweiterten sich auf einen Moment, der stolze Mann erblaßte sogar – dann schritt er jedoch mit ruhiger Würde dem Trente et quarante-Saal zu. Der Dame Blicke folgten willenslos dem Paar: diese Prinzessin Schüchternheit, welche nicht einmal die Willenskraft besaß, um einen Spielsaal mit Contenance zu betreten, war also die ihr Vorgezogene! – Und nach einer Weile erst wandten sich ihre Blicke von der Thür ab, durch welche das Paar verschwunden war, fielen dann aber zufällig auf die blauen Seidenvorhänge eines der Fenster: der Mond mußte das Fenster treffen, es erschien durchsichtig licht – und plötzlich sah sie weit, weit hinaus, bis zu einem kleinen Friedhof in den Bergen hin und zu einem Hügel darauf, der ganz von Edelweiß-Blüten bedeckt war, wie sie ihn gesehen – das einzige Mal, wo sie an ihm gestanden hatte. Schon so viele Jahre war das her – und ließ sich noch nicht immer vergessen!
Doch da schlug die Roulette-Kugel ein, die Dame fuhr leicht zusammen und der Kronpier rief: » Treize, noir, impair-manque!« – Sie dankte dem Kroupier, der ihr die gewonnenen Rouleaux von Zwanzigfrank-Stücken zuschob, warf dieselben achtlos in die Kassette, schloß sie und gab einem an der Thür wartenden Diener einen Wink.
Dieser eilte herbei – die Dame erhob sich mit wahrhaft königlichem Anstande, und schritt von zwei der Herren und dem Diener mit der Kassette gefolgt, dem Ausgange des Spielpalastes zu.
Sie behauptete heute abgespannt zu sein und darum auf die gewohnte Plauderei verzichten zu müssen: so stieg sie gleich die große Treppe zum Bahnhof hinab, ließ sich ein Koupee erster Klasse des Nizzaer Zuges öffnen und verabschiedete die Herren.
Indem diese die Treppe wieder hinaufstiegen, sagte der eine, ein junger Marseiller, welcher heute erst angekommen war: »In der That, von süperbem Chic! Und sie ist wirklich eine Deutsche?«
»Eine veritable Deutsche!« bejahte der Gefragte mit ausgesprochen schweizerischem Accent.
»Dabei Witwe!«
»Auch Witwe?«
Herr von Lucinge lachte auf. »Sie sagen das in demselben gewissen Tone, Baron, wie ich es einmal sagte und es wohl Andere vor mir gesagt haben. Dennoch hilft hier keinerlei Zuversicht! Selbst ein Hauch von Intimität heute – erweist sich gewiß schon morgen als Illusion!«
»So kalt wäre die schöne Frau?« versetzte der Baron zweifelnd. »Oder voll deutscher Sentiments? Liebt sie ihren Seligen noch?«
»Das weiß ich nicht!« erwiderte Lucinge ernster, als es sonst seine Art war. »Er soll irgendwo verunglückt sein: jedenfalls spricht sie nie von ihm. Doch – nicht Alle spielen aus Habsucht – es giebt auch deren, die etwas zu bedecken, etwas zu vergessen haben! – Dabei spielt sie mit einem unheimlichen Glück.«
»Und wenn das einmal umschlüge? Was bedeuteten bei ihrem Spiel die stärksten Ressourcen!«
»Dann ist sie wohl die Frau, ein Ende zu machen!« Einlenkend – die Herren waren in der Restauration angekommen – schloß Lucinge das Gespräch, indem er mit dem gewohnten Lächeln sagte: »Doch sie spielt nur im Glück tollkühn, ich hoffe, sie noch lange hier wieder zu finden, – vielleicht bis zuletzt. Für solchen Einsamen stirbt es sich im Spielsaal am Ende noch behaglicher, als allein mit seinen Gedanken – oder mit seiner Schuld!«