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Kapitel 50.
Epiphilosophie.

Am Schlusse meiner Darstellung mögen einige Betrachtungen über meine Philosophie selbst ihre Stelle finden. – Dieselbe maaßt sich, wie schon gesagt, nicht an, das Daseyn der Welt aus seinen letzten Gründen zu erklären: vielmehr bleibt sie bei dem Tatsächlichen der äußern und innern Erfahrung, wie sie Jedem zugänglich sind, stehen, und weist den wahren und tiefsten Zusammenhang derselben nach, ohne jedoch eigentlich darüber hinauszugehen zu irgend außerweltlichen Dingen und deren Verhältnissen zur Welt. Sie macht demnach keine Schlüsse auf das jenseit aller möglichen Erfahrung Vorhandene, sondern liefert bloß die Auslegung des in der Außenwelt und dem Selbstbewußtseyn Gegebenen, begnügt sich also damit, das Wesen der Welt, seinem innern Zusammenhange mit sich selbst nach, zu begreifen. Sie ist folglich immanent, im Kantischen Sinne des Worts. Eben deshalb aber läßt sie noch viele Fragen übrig, nämlich warum das tatsächlich Nachgewiesene so und nicht anders sei, u. s. w. Allein alle solche Fragen, oder vielmehr die Antworten darauf, sind eigentlich transscendent, d. h. sie lassen sich mittelst der Formen und Funktionen unsers Intellekts nicht denken, gehen in diese nicht ein; er verhält sich daher zu ihnen wie unsere Sinnlichkeit zu etwanigen Eigenschaften der Körper, für die wir keine Sinne haben. Man kann z. B., nach allen meinen Auseinandersetzungen, noch fragen, woraus denn dieser Wille, welcher frei ist sich zu bejahen, wovon die Erscheinung der Welt, oder zu verneinen, wovon wir die Erscheinung nicht kennen, entsprungen sei? welches die jenseit aller Erfahrung liegende Fatalität sei, welche ihn in die höchste mißliche Alternative, als eine Welt, in der Leiden und Tod herrscht, zu erscheinen, oder aber sein eigenstes Wesen zu verneinen, versetzt habe? oder auch, was ihn vermocht haben möge, die unendlich vorzuziehende Ruhe des säligen Nichts zu verlassen? Ein individueller Wille, mag man hinzufügen, kann zu seinem eigenen Verderben allein durch Irrthum bei der Wahl, also durch Schuld der Erkenntniß, sich hinlenken: aber der Wille an sich, vor aller Erscheinung, folglich noch ohne Erkenntniß, wie konnte er irre gehen und in das Verderben seines jetzigen Zustandes gerathen? woher überhaupt der große Mißton, der diese Welt durchdringt? Ferner kann man fragen, wie tief, im Wesen an sich der Welt, die Wurzeln der Individualität gehen? worauf sich allenfalls noch antworten ließe: sie gehen so tief, wie die Bejahung des Willens zum Leben; wo die Verneinung eintritt, hören sie auf: denn mit der Bejahung sind sie entsprungen. Aber man könnte wohl gar die Frage aufwerfen: »Was wäre ich, wenn ich nicht Wille zum Leben wäre?« und mehr dergleichen. – Auf alle solche Fragen wäre zunächst zu antworten, daß der Ausdruck der allgemeinsten und durchgängigsten Form unsers Intellekts der Satz vom Grunde ist, daß aber dieser eben deshalb nur auf die Erscheinung, nicht auf das Wesen an sich der Dinge Anwendung findet: auf ihm allein aber beruht alles Woher und Warum. In Folge der Kantischen Philosophie ist er nicht mehr eine aeterna veritas, sondern bloß die Form, d. i. Funktion, unsers Intellekts, der wesentlich ein cerebraler und ursprünglich ein bloßes Werkzeug zum Dienste unsers Willens ist, welchen, nebst allen seinen Objektivationen, er daher voraussetzt. An seine Formen aber ist unser gesammtes Erkennen und Begreifen gebunden: demzufolge müssen wir Alles in der Zeit, mithin als ein Vorher oder Nachher, sodann als Ursach und Wirkung, wie auch als oben, unten, Ganzes und Theile u. s. w. auffassen und können aus dieser Sphäre, worin alle Möglichkeit unsers Erkennens liegt, gar nicht heraus. Diese Formen nun aber sind den hier aufgeworfenen Problemen durchaus nicht angemessen, noch deren Lösung, gesetzt sie wäre gegeben, zu fassen irgend geeignet und fähig. Darum stoßen wir mit unserm Intellekt, diesem bloßen Willens-Werkzeug, überall an unauflösliche Probleme, wie an die Mauer unsers Kerkers. – Ueberdies aber läßt sich wenigstens als wahrscheinlich annehmen, daß von allem jenen Nachgefragten nicht bloß für uns keine Erkenntniß möglich sei, sondern überhaupt keine, also nie und nirgends; daß nämlich jene Verhältnisse nicht bloß relativ, sondern absolut unerforschlich seien; daß nicht nur niemand sie wisse, sondern daß sie an sich selbst nicht wißbar seien, indem sie in die Form der Erkenntniß überhaupt nicht eingehen. (Dies entspricht Dem, Was Skotus Erigena sagt, de mirabili divina ignorantia, qua Deus non intelligit quid ipse sit. Lib. II. ) Denn die Erkennbarkeit überhaupt, mit ihrer wesentlichsten, daher stets nothwendigen Form von Subjekt und Objekt, gehört bloß der Erscheinung an, nicht dem Wesen an sich der Dinge. Wo Erkenntniß, mithin Vorstellung ist, da ist auch nur Erscheinung, und wir stehen daselbst schon aus dem Gebiete der Erscheinung: ja, die Erkenntniß überhaupt ist uns nur als ein Gehirnphänomen bekannt, und wir sind nicht nur unberechtigt, sondern auch unfähig, sie anderweitig zu denken. Was die Welt als Welt sei, läßt sich verstehen: sie ist Erscheinung, und wir können unmittelbar aus uns selbst, vermöge des wohlzerlegten Selbstbewußtseyns, das darin Erscheinende erkennen: dann aber läßt sich, mittelst dieses Schlüssels zum Wesen der Welt, die ganze Erscheinung, ihrem Zusammenhange nach, entziffern; wie ich glaube dies geleistet zu haben. Aber verlassen wir die Welt, um die oben bezeichneten Fragen zu beantworten; so haben wir auch den ganzen Boden verlassen, auf dem allein nicht nur Verknüpfung nach Grund und Folge, sondern selbst Erkenntniß überhaupt möglich ist: dann ist Alles instabilis tellus, innabilis unda. Das Wesen der Dinge vor oder jenseit der Welt und folglich jenseit des Willens, steht keinem Forschen offen; weil die Erkenntniß überhaupt selbst nur Phänomen ist, daher nur in der Welt Statt findet, wie die Welt nur in ihr. Das innere Wesen an sich der Dinge ist kein erkennendes, kein Intellekt, sondern ein erkenntnißloses: die Erkenntniß kommt erst als ein Accidenz, ein Hilfsmittel der Erscheinung jenes Wesens, hinzu, kann daher es selbst nur nach Maaßgabe ihrer eigenen, auf ganz andere Zwecke (die des individuellen Willens) berechneten Beschaffenheit, mithin sehr unvollkommen, in sich aufnehmen. Hieran liegt es, daß vom Daseyn, Wesen und Ursprung der Welt ein vollständiges, bis auf den letzten Grund gehendes und jeder Anforderung genügendes Verständniß unmöglich ist. So viel von den Gränzen meiner und aller Philosophie. – Wenn wir diese S. 734 36 dargelegte wesentliche Immanenz unsrer und jeder Erkenntniß im Auge behalten, welche daraus entspringt, daß sie ein Sekundäres, bloß zu den Zwecken des Willens Entstandenes ist; – dann wird es uns erklärlich, daß alle Mystiker aller Religionen zuletzt bei einer Art Ekstase anlangen, in der alle und jede Erkenntniß, mit sammt ihrer Grundform Objekt und Subjekt, gänzlich aufhört, und erst in diesem jenseit aller Erkenntniß Liegenden ihr höchstes Ziel erreicht zu haben versichern, indem sie da angelangt sind, wo es kein Subjekt und Objekt, mithin keine Art von Erkenntniß mehr giebt, eben weil es keinen Willen mehr giebt, welchem zu dienen die alleinige Bestimmung der Erkenntniß ist.
Wer nun Dies begriffen hat, wird es nicht mehr so über alle Maaßen toll finden, daß Fakire sich hinsetzen und, auf ihre Nasenspitze sehend, alles Denken und Vorstellen zu bannen versuchen, und daß in manchen Stellen des Upanischads Anleitung gegeben wird, sich, unter stillem innern Aussprechen des mysteriösen Oum , in das eigene Innere zu versenken, wo Subjekt und Objekt und alle Erkenntniß wegfällt.

Das ἑν χαι παν, d. h. daß das innere Wesen in allen Dingen schlechthin Eines und dasselbe sei, hatte, nachdem die Eleaten, Skotus Erigena, Jordan Bruno und Spinoza es ausführlich gelehrt und Schelling diese Lehre aufgefrischt hatte, meine Zeit bereits begriffen und eingesehen. Aber was dieses Eine sei und wie es dazu komme sich als das Viele darzustellen, ist ein Problem, dessen Lösung man zuerst bei mir findet. – Ebenfalls hatte man, seit den ältesten Zeiten, den Menschen als Mikrokosmos angesprochen. Ich habe den Satz umgekehrt und die Welt als Makranthropos nachgewiesen; sofern Wille und Vorstellung ihr wie sein Wesen erschöpft. Offenbar aber ist es richtiger, die Welt aus dem Menschen verstehen zu lehren, als den Menschen aus der Welt: denn aus dem unmittelbar Gegebenen, also dem Selbstbewußtseyn, hat man das mittelbar Gegebene, also das der äußern Anschauung, zu erklären; nicht umgekehrt.

Mit den Pantheisten habe ich nun zwar jenes ἑν χαι παν gemein, aber nicht das παν δεος; weil ich über die (im weitesten Sinne genommene) Erfahrung nicht hinausgehe und noch weniger mich mit den vorliegenden Datis in Widerspruch setze. Skotus Erigena erklärt, im Sinne des Pantheismus ganz konsequent, jede Erscheinung für eine Theophanie: dann muß aber dieser Begriff auch auf die schrecklichen und scheußlichen Erscheinungen übertragen werden: saubere Theophanien! Was mich ferner von den Pantheisten unterscheidet, ist hauptsächlich Folgendes. 1) Daß ihr δεος ein x, eine unbekannte Größe ist, der Wille hingegen unter allem Möglichen das uns am genauesten Bekannte, das allein unmittelbar Gegebene, daher zur Erklärung des Uebrigen ausschließlich Geeignete. Denn überall muß das Unbekannte aus dem Bekannteren erklärt werden; nicht umgekehrt. – 2) Daß ihr δεος sich manifestirt animi causa, um seine Herrlichkeit zu entfalten, oder gar sich bewundern zu lassen. Abgesehen von der ihm hiebei untergelegten Eitelkeit, sind sie dadurch in den Fall gesetzt, die kolossalen Uebel der Welt hinwegsophisticiren zu müssen: aber die Welt bleibt in schreiendem und entsetzlichem Widerspruch mit jener phantasirten Vortrefflichkeit stehen. Bei mir hingegen kommt der Wille durch seine Objektivation, wie sie auch immer ausfalle, zur Selbsterkenntniß, wodurch seine Aufhebung, Wendung, Erlösung, möglich wird. Auch hat demgemäß bei mir allein die Ethik ein sicheres Fundament und wird vollständig durchgeführt, in Uebereinstimmung mit den erhabenen und tiefgedachten Religionen, also dem Brahmanismus, Buddhaismus und Christenthum, nicht bloß mit dem Judenthum und Islam. Auch die Metaphysik des Schönen wird erst in Folge meiner Grundwahrheiten vollständig aufgeklärt, und braucht nicht mehr sich hinter leere Worte zu flüchten. Bei mir allein werden die Uebel der Welt in ihrer ganzen Größe redlich eingestanden: sie können dies, weil die Antwort auf die Frage nach ihrem Ursprung zusammenfällt mit der auf die nach dem Ursprung der Welt. Hingegen ist in allen andern Systemen, weil sie sämmtlich optimistisch sind, die Frage nach dem Ursprung des Uebels die stets wieder hervorbrechende unheilbare Krankheit, mit welcher behaftet sie sich, unter Palliativen und Quacksalbereien, dahinschleppen. – 3) Daß ich von der Erfahrung und dem natürlichen, Jedem gegebenen Selbstbewußtseyn ausgehe und auf den Willen als das einzige Metaphysische hinleite, also den aufsteigenden, analytischen Gang nehme. Die Pantheisten hingegen gehen, umgekehrt, den herabsteigenden, den synthetischen: von ihrem δεος, den sie, wenn auch bisweilen unter dem Namen substantia oder Absolutum, erbitten oder ertrotzen, gehen sie aus, und dieses völlig Unbekannte soll dann alles Bekanntere erklären. – 4) Daß bei mir die Welt nicht die ganze Möglichkeit alles Seyns ausfüllt, sondern in dieser noch viel Raum bleibt für Das, was wir nur negativ bezeichnen als die Verneinung des Willens zum Leben. Pantheismus hingegen ist wesentlich Optimismus: ist aber die Welt das Beste, so hat es bei ihr sein Bewenden. – 5) Daß den Pantheisten die anschauliche Welt, also die Welt als Vorstellung, eben eine absichtliche Manifestation des ihr inwohnenden Gottes ist, welches keine eigentliche Erklärung ihres Hervortretens enthält, vielmehr selbst einer bedarf: bei mir hingegen findet die Welt als Vorstellung sich bloß per accidens ein, indem der Intellekt, mit seiner äußern Anschauung, zunächst nur das medium der Motive für die vollkommeneren Willenserscheinungen ist, welches sich allmälig zu jener Objektivität der Anschaulichkeit steigert, in welcher die Welt dasteht. In diesem Sinne wird von ihrer Entstehung, als anschaulichen Objekts, wirklich Rechenschaft gegeben, und zwar nicht, wie bei jenen, mittelst unhaltbarer Fiktionen.

Da, in Folge der Kantischen Kritik aller spekulativen Theologie, die Philosophirenden in Deutschland sich fast alle auf den Spinoza zurückwarfen, so daß die ganze unter dem Namen der Nachkantischen Philosophie bekannte Reihe verfehlter Versuche bloß geschmacklos aufgeputzter, in allerlei unverständliche Reden gehüllter und noch sonst verzerrter Spinozismus ist; will ich, nachdem ich das Verhältniß meiner Lehre zum Pantheismus überhaupt dargelegt habe, noch das, in welchem sie zum Spinozismus insbesondere steht, bezeichnen. Zu diesem also verhält sie sich wie das Neue Testament zum alten. Was nämlich das Alte Testament mit dem neuen gemein hat ist der selbe Gott-Schöpfer. Dem analog, ist bei mir, wie bei Spinoza, die Welt aus ihrer innern Kraft und durch sich selbst da. Allein beim Spinoza ist seine substantia aeterna, das innere Wesen der Welt, welches er selbst Deus betitelt, auch seinem moralischen Charakter und seinem Werthe nach, der Jehova, der Gott-Schöpfer, der seiner Schöpfung Beifall klatscht und findet, daß Alles vortrefflich gerathen sei, παντα χαλα λιαν. Spinoza hat ihm weiter nichts, als die Persönlichkeit entzogen. Auch bei ihm also ist die Welt und Alles in ihr ganz vortrefflich und wie es seyn soll: daher hat der Mensch weiter nichts zu thun, als vivere, agere, suum Esse conservare, ex fundamento proprium utile quaerendi (Eth. IV, pr. 67): er soll eben sich seines Lebens freuen, so lange es währt; ganz nach Koheleth, 9, 7 10. Kurz, es ist Optimismus: daher ist die ethische Seite schwach, wie im Alten Testament, ja sie ist sogar falsch und zum Theil empörend Unusquisque tantum juris habet, quantum potentiâ valet. Tract. pol. c. 2, §. 8. – Fides alicui data tamdiu rata manet, quamdiu ejus, qui fidem dedit, non mutatur voluntas. Ibid. §. 12. – Uniuscujusque jus potentiâ ejus definitur. Eth. IV, pr. 37, schol. 1.  – Besonders ist das 16. Kapitel des Tractatus theologico-politicus das rechte Kompendium der Immoralität Spinozischer Philosophie. . – Bei mir hingegen ist der Wille, oder das innere Wesen der Welt, keineswegs der Jehova, vielmehr ist es gleichsam der gekreuzigte Heiland, oder aber der gekreuzigte Schacher, je nachdem es sich entscheidet: demzufolge stimmt meine Ethik auch zur Christlichen durchweg und bis zu den höchsten Tendenzen dieser, wie nicht minder zu der des Brahmanismns und Buddhaismus. Spinoza hingegen konnte den Juden nicht los werden; quo semel est imbuta recens servabit odorem. Ganz Jüdisch, und im Verein mit dem Pantheismus obendrein absurd und abscheulich zugleich, ist seine Verachtung der Thiere, welche auch er, als bloße Sachen zu unserm Gebrauch, für rechtlos erklärt: Eth. IV., appendix, c. 27. – Bei dem Allen bleibt Spinoza ein sehr großer Mann. Aber um seinen Werth richtig zu schätzen, muß man sein Verhältniß zum Cartesius im Auge behalten. Dieser hatte die Natur in Geist und Materie, d. i. denkende und ausgedehnte Substanz, scharf gespalten, und eben so Gott und Welt im völligen Gegensatz zu einander aufgestellt: auch Spinoza, so lange er Kartesianer war, lehrte das Alles, in seinen Cogitas metaphysicis, c. 12, i. J. 1665. Erst in seinen letzten Jahren sah er das Grundfalsche jenes zwiefachen Dualismus ein: und demzufolge besteht seine eigene Philosophie hauptsächlich in der indirekten Aufhebung jener zwei Gegensätze, welcher er jedoch, theils um seinen Lehrer nicht zu verletzen, theils um weniger anstößig zu seyn, mittelst einer streng dogmatischen Form, ein positives Ansehen gab, obgleich der Gehalt hauptsächlich negativ ist. Diesen negativen Sinn allein hat auch seine Identifikation der Welt mit Gott. Denn die Welt Gott nennen heißt nicht sie erklären: sie bleibt ein Räthsel unter diesem Namen, wie unter jenem. Aber jene beiden negativen Wahrheiten hatten Werth für ihre Zeit, wie für jede, in der es noch bewußte, oder unbewußte Kartesianer giebt. Mit allen Philosophen vor Locke hat er den Fehler gemein, von Begriffen auszugehen, ohne vorher deren Ursprung untersucht zu haben, wie da sind Substanz, Ursach u. s. w., die dann bei solchem Verfahren eine viel zu weit ausgedehnte Geltung erhalten. – Die, welche, in neuester Zeit, sich zum aufgekommenen Neo-Spinozismus nicht bekennen wollten, wurden, wie z. B. Jacobi, hauptsächlich durch das Schreckbild des Fatalismus davon zurückgescheucht. Unter diesem nämlich ist jede Lehre zu verstehen, welche das Daseyn der Welt, nebst der kritischen Lage des Menschengeschlechts in ihr, aus irgend eine absolute, d. h. nicht weiter erklärbare Nothwendigkeit zurückführt. Jene hingegen glaubten, es sei Alles daran gelegen, die Welt aus dem freien Willensakt eines außer ihr befindlichen Wesens abzuleiten; als ob zum voraus gewiß wäre, welches von Beiden richtiger, oder auch nur in Beziehung auf uns besser wäre. Besonders aber wird dabei das non datur tertium vorausgesetzt, und demgemäß hat jede bisherige Philosophie das Eine oder das Andere vertreten. Ich zuerst bin hievon abgegangen, indem ich das Tertium wirklich aufstellte: der Willensakt, aus welchem die Welt entspringt, ist unser eigener. Er ist frei! denn der Satz vom Grunde, von dem allein alle Nothwendigkeit ihre Bedeutung hat, ist bloß die Form seiner Erscheinung. Eben darum ist diese, wenn ein Mal da, in ihrem Verlauf durchweg nothwendig: in Folge hievon allein können wir aus ihr die Beschaffenheit jenes Willensaktes erkennen und demgemäß eventualiter anders wollen.

 

Praedicabilia a priori

der Zeit

  1. Es giebt nur eine Zeit, und alle verschiedenen Zeiten sind Theile derselben.
  2. Verschiedene Zeiten sind nicht zugleich, sondern nach einander.
  3. Die Zeit läßt sich nicht wegdenken, jedoch Alles aus ihr.
  4. Die Zeit hat drei Abschnitte: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, welche zwei Richtungen mit einem Indifferenzpunkt bilden.
  5. Die Zeit ist ins Unendliche theilbar
  6. Die Zeit ist homogen und ein Continuum: d. h. kein Theil derselben ist vom andern verschieden, noch durch etwas, das nicht Zeit wäre, getrennt.
  7. Die Zeit hat keinen Anfang noch Ende, sondern aller Anfang und Ende ist in ihr.
  8. Vermöge der Zeit zählen wir.
  9. Der Rhythmus ist allein in der Zeit.
  10. Wir erkennen die Gesetze der Zeit a priori.
  11. Die Zeit ist a priori, wiewohl nur unter dem Bilde einer Linie, anschaubar.
  12. Die Zeit hat keinen Bestand, sondern vergeht sobald sie da ist.
  13. Die Zeit ist rastlos.
  14. Alles was in der Zeit ist hat eine Dauer.
  15. Die Zeit hat keine Dauer, sondern alle Dauer ist in ihr, und ist das Beharren des Bleibenden, im Gegensatz ihres rastlosen Laufes.
  16. Alle Bewegung ist nur in der Zeit möglich.
  17. Die Geschwindigkeit ist, bei gleichem Raum, im umgekehrten Verhältniß der Zeit.
  18. Meßbar ist die Zeit nicht direkte, durch sich selbst, sondern nur indirekte, durch die Bewegung, als welche im Raum und Zeit zugleich ist: so mißt die Bewegung der Sonne und der Uhr die Zeit.
  19. Die Zeit ist allgegenwärtig: jedes Zeittheil ist überall, d. h. im ganzen Raum, zugleich.
  20. In der Zeit für sich allein wäre Alles nach einander.
  21. Die Zeit macht den Wechsel der Accidenzien möglich.
  22. Jeder Theil der Zeit enthält alle Theile der Materie.
  23. 23) Die Zeit ist das Principium individuationis.
  24. Das Jetzt ist ohne Dauer.
  25. Die Zeit an sich ist leer und bestimmungslos.
  26. Jeder Augenblick ist bedingt durch den vorhergegangenen, und ist nur sofern dieser aufgehört hat zu seyn. (Satz vom Grunde des Seyns in der Zeit. ‒ Siehe meine Abhandlung über den Satz vom Grunde.)
  27. Die Zeit macht die Arithmethik möglich
  28. Das Einfache der Arithmetik ist die Einheit.

des Raumes

  1. Es giebt nur einen Raum, und alle verschiedenen Räume sind Theile derselben.
  2. Verschiedene Räume sind nicht nach einander, sondern zugleich.
  3. Der Raum läßt sich nicht wegdenken, jedoch Alles aus ihm.
  4. Der Raum hat drei Dimensionen: Höhe, Breite und Länge.
  5. Der Raum ist ins Unendliche theilbar
  6. Der Raum ist homogen und ein Continuum: d. h. kein Theil desselben ist vom andern verschieden, noch durch etwas, das nicht Raum wäre, getrennt.
  7. Der Raum hat keine Gränzen, sondern alle Gränzen sind in ihm.
  8. Vermöge des Raumes messen wir.
  9. Die Symmetrie ist allein im Raume.
  10. Wir erkennen die Gesetze des Raumes a priori.
  11. Der Raum ist a priori, unmittelbar anschaubar.
  12. Der Raum kann nie vergehen, sondern besteht allezeit.
  13. Der Raum ist unbeweglich.
  14. Alles was im Raum ist hat einen Ort.
  15. Der Raum hat keine Bewegung, sondern alle Bewegung ist in ihm, und ist der Ortswechsel des Beweglichen, im Gegensatz seiner unerschütterlichen Ruhe.
  16. Alle Bewegung ist nur im Raum möglich.
  17. Die Geschwindigkeit ist, bei gleicher Zeit, in geradem Verhältniß des Raumes.
  18. Meßbar ist der Raum direkte durch sich selbst, und indirekte durch die Bewegung, als welche in Zeit und Raum zugleich ist: daher z. B. eine Stunde Weges, und die Entfernung der Fixsterne ausgedrückt durch so viel Jahre Lauf des Lichts.
  19. Der Raum ist ewig: jeder Theil desselben ist allezeit.
  20. Im Raum für sich allein wäre Alles zugleich.
  21. Der Raum macht das Beharren der Substanz möglich.
  22. Kein Theil des Raumes enthält mit dem andern die selbe Materie.
  23. Der Raum ist das Principium individuationis.
  24. Der Punkt ist ohne Ausdehnung.
  25. Der Raum an sich ist leer und bestimmungslos.
  26. Durch die Lage jeder Gränze im Raum gegen irgend eine andere ist auch ihre Lage gegen jede mögliche durchaus fixeng bestimmt. ‒ (Satz vom Grunde des Seyns im Raum.)
  27. Der Raum macht die Geometrie möglich.
  28. Das Einfache der Geometrie ist der Punkt.

der Materie

  1. Es giebt nur eine Materie, und alle verschiedenen Stoffe sind verschiedene Zustände derselben: als solche heißt sie Substanz.
  2. Verschiedenartige Materien (Stoffe) sind es nicht durch die Substanz, sondern durch die Accidenzien.
  3. Vernichtung der Materie läßt sich nicht denken, jedoch die aller ihrer Formen und Qualitäten.
  4. Die Materie existirt, d. i. wirkt, nach allen Dimensionen des Raumes und durch die ganze Länge der Zeit, wodurch sie beide vereinigt und dadurch erfüllt: hierin besteht ihr Wesen: sie ist also durch und durch Kausalität.
  5. Die Materie ist ins Unendliche theilbar
  6. Die Materie ist homogen und ein Continuum: d. h. sie besteht nicht aus ursprünglich verschiedenartigen (Homoiomerien), noch ursprünglich getrennten Theilen (Atmone); ist also nicht zusammengesetzt aus Theilen, die wesentlich durch etwas, das nicht Materie wäre, getrennt wären.
  7. Die Materie hat keinen Ursprung noch Untergang, sondern alles Entstehen und Vergehen ist an ihr.
  8. Vermöge der Materie wägen wir.
  9. Das Aequilibrium ist allein in der Materie.
  10. Wir erkennen die Gesetze der Substanz aller Accidenzien a priori.
  11. Die Materie wird a priori, bloß gedacht.
  12. Die Accidenzien wechseln, die Substanz beharrt.
  13. Die Materie ist gleichgültig gegen Ruhe und Bewegung, d. h. zu keinem von beiden ursprünglich geneigt.
  14. Alles Materielle hat eine Wirksamkeit.
  15. Die Materie ist das Beharrende in der Zeit und das Bewegliche im Raum: durch den Vergleich des Ruhenden mit dem Bewegten messen wir die Dauer.
  16. Alle Bewegung ist nur in der Materie möglich.
  17. Die Größe der Bewegung ist, bei gleicher Geschwindigkeit, im geraden geometrischen Verhältniß der Materie (Waffe).
  18. Meßbar, d. h. ihrer Quantität nach bestimmbar, ist die Materie als solche (die Masse) nur indirekt, nämlich allein durch die Größe der Bewegung, welche sie empfängt und giebt, indem sie fortgestoßen, oder angezogen wird.
  19. Die Materie ist absolut: d. h. sie kann nicht entstehen noch vergehen, ihr Quantum also weder vermehrt noch vermindert werden.
  20. , 21) Die Materie vereint die bestandlose Flucht der Zeit mit der starren Unbeweglichkeit des Raumes: daher ist sie die beharrende Substanz der wechselnden Accidenzien. Diesen Wechsel bestimmt, für jeden Ort zu jeder Zeit, die Kausalität, welche eben dadurch Zeit und Raum verbindet und das ganze Wesen der Materie ausmacht.
  21.  
  22. Denn die Materie ist sowohl beharrend, als undurchdringlich.
  23. Die Individuen sind materiell.
  24. Das Atom ist ohne Realität.
  25. Die Materie an sich ist ohne Form und Qualität, desgleichen träge, d. h. gegen Ruhe oder Bewegung gleichgültig, also bestimmungslos.
  26. Jede Veränderung an der Materie kann nur eintreten vermöge einer andern, ihr vorhergegangenen: daher ist eine erste Veränderung und also auch ein erster Zustand der Materie so undenkbar, wie ein Anfang der Zeit oder eine Gränze des Raums. ‒ (Satz vom Grunde des Werdens.)
  27. Die Materie, als das Bewegliche im Raum, macht die Phoronomie möglich.
  28. Das Einfache der Phoronmie ist das Atom.

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