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Kapitel 13.
Zur Methodenlehre der Mathematik.

Dieses Kapitel bezieht sich auf §. 15 des ersten Bandes.

Die Eukleidische Demonstrirmethode hat aus ihrem eigenen Schooß ihre treffendeste Parodie und Karikatur geboren, an der berühmten Streitigkeit über die Theorie der Parallelen und den sich jedes Jahr wiederholenden Versuchen, das elfte Axiom zu beweisen. Dieses nämlich besagt, und zwar durch das mittelbare Merkmal einer schneidenden dritten Linie, daß zwei sich gegen einander neigende (denn dies eben heißt »kleiner als zwei rechte seyn«), wenn genugsam verlängert, zusammentreffen müssen; welche Wahrheit nun zu komplicirt seyn soll, um für selbstevident zu gelten, daher sie eines Beweises bedarf, der nun aber nicht aufzubringen ist; eben weil es nichts Unmittelbareres giebt. Mich erinnert dieser Gewissensskrupel an die Schillersche Rechtsfrage:

»Jahre lang schon bedien' ich mich meiner Nase zum Riechen:
Hab' ich denn wirklich an sie auch ein erweisliches Recht?«

ja, mir scheint, daß die logische Methode sich hiedurch bis zur Niaiserie steigere. Aber gerade durch die Streitigkeiten darüber, nebst den vergeblichen Versuchen, das unmittelbar Gewisse als bloß mittelbar gewiß darzustellen, tritt die Selbstständigkeit und Klarheit der intuitiven Evidenz mit der Nutzlosigkeit und Schwierigkeit der logischen Ueberführung in einen Kontrast, der nicht weniger belehrend, als belustigend ist. Man will hier nämlich die unmittelbare Gewißheit deshalb nicht gelten lassen, weil sie keine bloß logische, aus dem Begriffe folgende, also allein auf dem Verhältniß des Prädikats zum Subjekt, nach dem Satze vom Widerspruch, beruhende ist. Nun ist aber jenes Axiom ein synthetischer Satz a priori und hat als solcher die Gewährleistung der reinen, nicht empirischen Anschauung, die eben so unmittelbar und sicher ist, wie der Satz vom Widerspruch selbst, von welchem alle Beweise ihre Gewißheit erst zur Lehn haben. Im Grunde gilt dies von jedem geometrischen Theorem, und es ist willkürlich, wo man hier die Gränze zwischen dem unmittelbar Gewissen und dem erst zu Beweisenden ziehen will. – Mich wundert, daß man nicht vielmehr das achte Axiom angreift. »Figuren, die sich decken, sind einander gleich«. Denn das Sichdecken ist entweder eine bloße Tautologie, oder etwas ganz Empirisches, welches nicht der reinen Anschauung, sondern der äußern sinnlichen Erfahrung angehört. Es setzt nämlich Beweglichkeit der Figuren voraus: aber das Bewegliche im Raum ist allein die Materie. Mithin verläßt dies Provociren auf das Sichdecken den reinen Raum, das alleinige Element der Geometrie, um zum Materiellen und Empirischen überzugehen. –

Die angebliche Ueberschrift des Platonischen Lehrsaals, Αγεωμετϱητος μηδεις εισιτω, auf welche die Mathematiker so stolz sind, war ohne Zweifel dadurch motivirt, daß Plato die geometrischen Figuren als Mittelwesen zwischen den ewigen Ideen und den einzelnen Dingen ansah, wie dies Aristoteles in seiner Metaphysik öfter erwähnt (besonders  I, c. 6, S. 887, 998 et Scholia., S. 827, Ed. Berol.). Ueberdies ließ der Gegensatz zwischen jenen für sich bestehenden, ewigen Formen, oder Ideen, und den vergänglichen einzelnen Dingen sich an den geometrischen Figuren am leichtesten faßlich machen und dadurch der Grund legen zur Ideenlehre, welche der Mittelpunkt der Philosophie Plato's, ja, sein einziges ernstliches und entschiedenes theoretisches Dogma ist: beim Vortrag desselben ging er darum von der Geometrie aus. In gleichem Sinn wird uns gesagt, daß er die Geometrie als Vorübung betrachtete, durch welche der Geist der Schüler sich an die Beschäftigung mit unkörperlichen Gegenständen gewöhnte, nachdem derselbe bis dahin, im praktischen Leben, es nur mit körperlichen Dingen zu thun gehabt hatte ( Schol. in Aristot., p. 12, 15). Dies also ist der Sinn, in welchem Plato die Geometrie den Philosophen empfahl: man ist daher nicht berechtigt, denselben weiter auszudehnen. Vielmehr empfehle ich, als Untersuchung des Einflusses der Mathematik aus unsere Geisteskräfte und ihres Nutzens für wissenschaftliche Bildung überhaupt, eine sehr gründliche und kenntnißreiche Abhandlung, in Form der Recension eines Buches von Whewell, in der Edinburgh' Review vom Januar 1836: ihr Verfasser, der sie später, zusammen mit einigen andern Abhandlungen, unter seinem Namen herausgegeben hat, ist W.  Hamilton, Professor der Logik und Metaphysik in Schottland. Dieselbe hat auch einen Deutschen Uebersetzer gefunden und ist für sich allein erschienen, unter dem Titel: »Ueber den Werth und Unwerth der Mathematik«, aus dem Englischen, 1836. Das Ergebniß derselben ist, daß der Werth der Mathematik nur ein mittelbarer sei, nämlich in der Anwendung zu Zwecken, welche allein durch sie erreichbar sind, liege; an sich aber lasse die Mathematik den Geist da, wo sie ihn gefunden hat, und sei der allgemeinen Ausbildung und Entwickelung desselben keineswegs förderlich, ja sogar entschieden hinderlich. Dies Ergebniß wird nicht nur durch gründliche dianoiologische Untersuchung der mathematischen Geistesthätigkeit dargethan, sondern auch durch eine sehr gelehrte Anhäufung von Beispielen und Autoritäten befestigt. Der einzige unmittelbare Nutzen, welcher der Mathematik gelassen wird, ist, daß sie unstäte und flatterhafte Köpfe gewöhnen kann, ihre Aufmerksamkeit zu fixiren. – Sogar Kartesius, der doch selbst als Mathematiker berühmt war, urtheilte eben so über die Mathematik. In der Vie de Descartes par Baillet, 1693, heißt es, Liv. II, ch. 6, p. 54: Sa propre expérience l'avait convaincu du peu d'utilité des mathématiques, surtout lorsqu' on ne les cultive que pur elles mêmes.– – – Il ne voyait rien de moins solide, que de s'occuper de nombres tout simples et de figures imaginaires u. s. f.

 


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