Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel 20.
Objektivation des Willens im thierischen Organismus.

Dieses Kapitel bezieht sich auf §. 20 des ersten Bandes.

Ich verstehe unter Objektivation das Sichdarstellen in der realen Körperwelt. Inzwischen ist diese selbst, wie im ersten Buch und dessen Ergänzungen ausführlich dargethan, durchaus bedingt durch das erkennende Subjekt, also den Intellekt, mithin außerhalb seiner Erkenntniß, schlechterdings als solche undenkbar: denn sie ist zunächst nur anschauliche Vorstellung und als solche Gehirnphänomen. Nach ihrer Aufhebung würde das Ding an sich übrig bleiben. Daß dieses der Wille sei, ist das Thema des zweiten Buchs, und wird daselbst zuvörderst am menschlichen und thierischen Organismus nachgewiesen.

Die Erkenntniß der Außenwelt kann auch bezeichnet werden als das Bewußtseyn anderer Dinge, im Gegensatz des Selbstbewußtseyns. Nachdem wir nun in diesem letztern den Willen als das eigentliche Objekt oder den Stoff desselben gefunden haben, werden wir jetzt, in derselben Absicht, das Bewußtseyn von andern Dingen, also die objektive Erkenntniß, in Betracht nehmen. Hier ist nun meine Thesis diese: was im Selbstbewußtseyn, also subjektiv, der Intellekt ist, das stellt im Bewußtseyn anderer Dinge, also objektiv, sich als das Gehirn dar: und was im Selbstbewußtseyn, also subjektiv, der Wille ist, das stellt im Bewußtseyn anderer Dinge, also objektiv, sich als der gesammte Organismus dar.

Zu den für diesen Satz, sowohl in unserm zweiten Buche, als in den beiden ersten Kapiteln der Abhandlung »Ueber den Willen in der Natur«, gelieferten Beweisen füge ich die folgenden Ergänzungen und Erläuterungen.

Zur Begründung des ersten Theiles jener Thesis ist das Meiste schon im vorhergehenden Kapitel beigebracht, indem an der Nothwendigkeit des Schlafes, an den Veränderungen durch das Alter, und an den Unterschieden der anatomischen Konformation nachgewiesen wurde, daß der Intellekt, als sekundärer Natur, durchgängig abhängt von einem einzelnen Organ, dem Gehirn, dessen Funktion er ist, wie das Greifen Funktion der Hand; daß er mithin physisch ist, wie die Verdauung, nicht metaphysisch, wie der Wille. Wie gute Verdauung einen gesunden, starken Magen, wie Athletenkraft muskulöse, sehnige Arme erfordert; so erfordert außerordentliche Intelligenz ein ungewöhnlich entwickeltes, schön gebautes, durch seine Textur ausgezeichnetes und durch energischen Pulsschlag belebtes Gehirn. Hingegen ist die Beschaffenheit des Willens von keinem Organ abhängig und aus keinem zu prognosticiren. Der größte Irrthum in Galls Schädellehre ist, daß er auch für moralische Eigenschaften Organe des Gehirns aufstellt. – Kopfverletzungen mit Verlust von Gehirnsubstanz wirken, in der Regel, sehr nachtheilig auf den Intellekt: sie haben gänzlichen oder theilweisen Blödsinn zur Folge, oder Vergessenheit der Sprache, auf immer oder auf eine Zeit, bisweilen jedoch von mehreren gewußten Sprachen nur einer, bisweilen wieder bloß der Eigennamen, imgleichen den Verlust anderer besessener Kenntnisse u. dgl. m. Hingegen lesen wir nie, daß nach einem Unglücksfall solcher Art der Charakter eine Veränderung erlitten hätte, daß der Mensch etwan moralisch schlechter oder besser geworden wäre, oder gewisse Neigungen oder Leidenschaften verloren, oder auch neue angenommen hätte; niemals. Denn der Wille hat seinen Sitz nicht im Gehirn, und überdies ist er, als das Metaphysische, das prius des Gehirns, wie des ganzen Leibes, daher nicht durch Verletzungen des Gehirns veränderlich. – Nach einem von Spallanzani gemachten und von Voltaire wiederholten Versuch Spallanzani, Risultati di esperienze sopra la riproduzione della testa nelle lumache terrestri: in den Memorie di matematica e fisica della Società Italiana, Tom. I, p. 581. – Voltaire, Les colimaçons du révérend père l'escarbotier. bleibt eine Schnecke, der man den Kopf abgeschnitten, am Leben, und nach einigen Wochen wächst ihr ein neuer Kopf, nebst Fühlhörnern: mit diesem stellt sich Bewußtseyn und Vorstellung wieder ein; während bis dahin das Thier, durch ungeregelte Bewegungen, bloßen blinden Willen zu erkennen gab. Auch hier also finden wir den Willen als die Substanz, welche beharrt, den Intellekt hingegen bedingt durch sein Organ, als das wechselnde Accidenz. Er läßt sich bezeichnen als der Regulator des Willens.

Vielleicht ist es Tiedemann, welcher zuerst das cerebrale Nervensystem mit einem Parasiten verglichen hat (Tiedemann und Treviranus Journal für Physiologie, Bd. 1, S. 62). Der Vergleich ist treffend, sofern das Gehirn, nebst ihm anhängenden Rückenmark und Nerven, dem Organismus gleichsam eingepflanzt ist und von ihm genährt wird, ohne selbst seinerseits zur Erhaltung der Oekonomie desselben direkt etwas beizutragen; daher das Leben auch ohne Gehirn bestehen kann, wie bei den hirnlosen Mißgeburten, auch bei Schildkröten, die nach abgeschnittenem Kopfe noch drei Wochen leben; nur muß dabei die medulla oblongata, als Organ der Respiration, verschont seyn. Sogar eine Henne, der Flourens das ganze große Gehirn weggeschnitten hatte, lebte noch zehn Monate und gedieh. Selbst beim Menschen führt die Zerstörung des Gehirns nicht direkt, sondern erst durch Vermittlung der Lunge und dann des Herzens den Tod herbei ( Bichat, Sur la vie et la mort, part. II, art. 11, §. 1). Dagegen besorgt das Gehirn die Lenkung der Verhältnisse zur Außenwelt: dies allein ist sein Amt, und hiedurch trägt es seine Schuld an den es ernährenden Organismus ab; da dessen Existenz durch die äußern Verhältnisse bedingt ist. Demgemäß bedarf es, unter allen Theilen allein, des Schlafes: weil nämlich seine Thätigkeit von seiner Erhaltung völlig gesondert ist, jene bloß Kräfte und Substanz verzehrt, diese vom übrigen Organismus, als seiner Amme, geleistet wird: indem also seine Thätigkeit zu seinem Bestande nichts beiträgt, wird sie erschöpft, und erst wann sie pausirt, im Schlaf, geht seine Ernährung ungehindert von Statten.

Der zweite Theil unserer obigen Thesis wird einer ausführlicheren Erörterung bedürfen, selbst nach Allem, was ich bereits in den angeführten Schriften darüber gesagt habe. – Schon oben, Kapitel 18, habe ich nachgewiesen, daß das Ding an sich, welches jeder, also auch unserer eigenen Erscheinung zum Grunde liegen muß, im Selbstbewußtseyn die eine seiner Erscheinungsformen, den Raum, abstreift, und allein die andere, die Zeit, beibehält; weshalb es hier sich unmittelbarer als irgendwo kund giebt, und wir es, nach dieser seiner unverhülltesten Erscheinung, als Willen ansprechen. Nun aber kann, in der bloßen Zeit allein, sich keine beharrende Substanz, dergleichen die Materie ist, darstellen; weil eine solche, wie §. 4 des ersten Bandes dargethan, nur durch die innige Vereinigung des Raumes mit der Zeit möglich wird. Daher wird, im Selbstbewußtseyn, der Wille nicht als das bleibende Substrat seiner Regungen wahrgenommen, mithin nicht als beharrende Substanz angeschaut; sondern bloß seine einzelnen Akte, Bewegungen und Zustände, dergleichen die Entschließungen, Wünsche und Affekte sind, werden, successiv und während der Zeit ihrer Dauer, unmittelbar, jedoch nicht anschaulich, erkannt. Die Erkenntniß des Willens im Selbstbewußtseyn ist demnach keine Anschauung desselben, sondern ein ganz unmittelbares Innewerden seiner successiven Regungen. Hingegen für die nach außen gerichtete, durch die Sinne vermittelte und im Verstande vollzogene Erkenntniß, die neben der Zeit auch den Raum zur Form hat, welche Beide sie, durch die Verstandesfunktion der Kausalität, aufs Innigste verknüpft, wodurch sie eben zur Anschauung wird, stellt sich Dasselbe, was in der innern unmittelbaren Wahrnehmung als Wille gefaßt wurde, anschaulich dar, als organischer Leib, dessen einzelne Bewegungen die Akte, dessen Theile und Formen die bleibenden Bestrebungen, den Grundcharakter des individuell gegebenen Willens veranschaulichen, ja, dessen Schmerz und Wohlbehagen ganz unmittelbare Affektionen dieses Willens selbst sind.

Zunächst werden wir dieser Identität des Leibes mit dem Willen inne in den einzelnen Aktionen Beider; da in diesen was im Selbstbewußtseyn als unmittelbarer, wirklicher Willensakt erkannt wird, zugleich und ungetrennt sich äußerlich als Bewegung des Leibes darstellt, und Jeder seine, durch momentan eintretende Motive eben so momentan eintretenden Willensbeschlüsse alsbald in eben so vielen Aktionen seines Leibes so treu abgebildet erblickt, wie diese selbst in seinem Schatten; woraus dem Unbefangenen auf die einfachste Weise die Einsicht entspringt, daß sein Leib bloß die äußerliche Erscheinung seines Willens ist, d. h. die Art und Weise wie, in seinem anschauenden Intellekt, sein Wille sich darstellt; oder sein Wille selbst, unter der Form der Vorstellung. Nur wenn wir dieser ursprünglichen und einfachen Belehrung uns gewaltsam entziehen, können wir, auf eine kurze Weile, den Hergang unserer eigenen Leibesaktion als ein Wunder anstaunen, welches dann darauf beruht, daß zwischen dem Willensakt und der Leibesaktion wirklich keine Kausalverbindung ist: denn sie sind eben unmittelbar identisch, und ihre scheinbare Verschiedenheit entsteht allein daraus, daß hier das Eine und Selbe in zwei verschiedenen Erkenntnißweisen, der innern und der äußern, wahrgenommen wird. – Das wirkliche Wollen ist nämlich vom Thun unzertrennlich, und ein Willensakt im engsten Sinn ist nur der, welchen die That dazu stämpelt. Hingegen bloße Willensbeschlüsse sind, bis zur Ausführung, nur Vorsätze und daher Sache des Intellekts allein: sie haben als solche ihre Stelle bloß im Gehirn und sind nichts weiter, als abgeschlossene Berechnungen der relativen Stärke der verschiedenen, sich entgegenstehenden Motive, haben daher zwar große Wahrscheinlichkeit, aber nie Unfehlbarkeit. Sie können nämlich sich als falsch ausweisen, nicht nur mittelst Aenderung der Umstände, sondern auch dadurch, daß die Abschätzung der respektiven Wirkung der Motive auf den eigentlichen Willen irrig war, welches sich alsdann zeigt, indem die That dem Vorsatz untreu wird: daher eben ist vor der Ausführung kein Entschluß gewiß. Also ist allein im wirklichen Handeln der Wille selbst thätig, mithin in der Muskelaktion, folglich in der Irritabilität: also objektivirt sich in dieser der eigentliche Wille. Das große Gehirn ist der Ort der Motive, woselbst, durch diese, der Wille zur Willkür wird, d. h. eben durch Motive näher bestimmt wird. Diese Motive sind Vorstellungen, welche auf Anlaß äußerer Reize der Sinnesorgane, mittelst der Funktionen des Gehirns entstehen und auch zu Begriffen, dann zu Beschlüssen verarbeitet werden. Wann es zum wirklichen Willensakt kommt, wirken diese Motive, deren Werkstätte das große Gehirn ist, unter Vermittlung des kleinen Gehirns, auf das Rückenmark und die von diesem ausgehenden motorischen Nerven, welche dann aus die Muskeln wirken, jedoch bloß als Reize der Irritabilität derselben; da auch galvanische, chemische und selbst mechanische Reize die selbe Kontraktion, die der motorische Nerv hervorruft, bewirken können. Also was im Gehirn Motiv war, wirkt, wenn es durch die Nervenleitung zum Muskel gelangt, als bloßer Reiz. Die Sensibilität an sich ist völlig unvermögend einen Muskel zu kontrahiren: dies kann nur dieser selbst, und seine Fähigkeit hiezu heißt Irritabilität, d. h. Reizbarkeit: sie ist ausschließliche Eigenschaft des Muskels; wie Sensibilität ausschließliche Eigenschaft des Nerven ist. Dieser giebt zwar dem Muskel den Anlaß zu seiner Kontraktion; aber keineswegs ist er es, welcher, irgendwie mechanisch, den Muskel zusammenzöge: sondern dies geschieht ganz allein vermöge der Irritabilität, welche des Muskels selbst-eigene Kraft ist. Diese ist, von außen aufgefaßt, eine Qualitas occulta; und nur das Selbstbewußtseyn revelirt sie als den Willen. In der hier kurz dargelegten Kausalkette, von der Einwirkung des außen liegenden Motivs bis zur Kontraktion des Muskels, tritt nicht etwan der Wille als letztes Glied derselben mit ein; sondern er ist das metaphysische Substrat der Irritabilität des Muskels: er spielt also hier genau dieselbe Rolle, welche, in einer physikalischen oder chemischen Kausalkette, die dabei dem Vorgange zum Grunde liegenden geheimnißvollen Naturkräfte spielen, welche als solche nicht selbst als Glieder in der Kausalkette begriffen sind, sondern allen Gliedern derselben die Fähigkeit zu wirken verleihen; wie ich dies in §. 26 des ersten Bandes ausführlich dargelegt habe. Daher würden wir eine dergleichen geheimnißvolle Naturkraft eben auch der Kontraktion des Muskels unterlegen; wenn diese uns nicht durch eine ganz anderweitige Erkenntnißquelle, das Selbstbewußtseyn, aufgeschlossen wäre, als Wille. Dieserhalb erscheint, wie oben gesagt, unsere eigene Muskelbewegung, wenn wir vom Willen ausgehen, uns als ein Wunder; weil zwar von dem außen liegenden Motiv bis zur Muskelaktion eine strenge Kausalkette fortgeht, der Wille selbst aber nicht als Glied in ihr begriffen ist, sondern als das metaphysische Substrat der Möglichkeit einer Aktuirung des Muskels durch Gehirn und Nerv, auch der gegenwärtigen Muskelaktion zum Grunde liegt; daher diese eigentlich nicht seine Wirkung, sondern seine Erscheinung Ist. Als solche tritt sie ein in der, vom Willen an sich selbst ganz verschiedenen, Welt der Vorstellung, deren Form das Kausalitätsgesetz ist; wodurch sie, wenn man vom Willen ausgeht, für die aufmerksame Reflexion, das Ansehn eines Wunders erhält, für die tiefere Forschung aber die unmittelbarste Beglaubigung der großen Wahrheit liefert, daß was in der Erscheinung als Körper und ihr Wirken auftritt, an sich Wille ist. – Wenn nun etwan der motorische Nerv, der zu meiner Hand leitet, durchschnitten ist; so kann mein Wille sie nicht mehr bewegen. Dies liegt aber nicht daran, daß die Hand aufgehört hätte, wie jeder Theil meines Leibes, die Objektität, die bloße Sichtbarkeit, meines Willens zu seyn, oder mit andern Worten, daß die Irritabilität verschwunden wäre; sondern daran, daß die Einwirkung des Motivs, in Folge deren allein ich meine Hand bewegen kann, nicht zu ihr gelangen und als Reiz auf ihre Muskeln wirken kann, da die Leitung vom Gehirn zu ihr unterbrochen ist. Also ist eigentlich mein Wille, in diesem Theil, nur der Einwirkung des Motivs entzogen. In der Irritabilität objektivirt sich der Wille unmittelbar, nicht in der Sensibilität.

Um über diesen wichtigen Punkt allen Mißverständnissen, besonders solchen, die von der rein empirisch betriebenen Physiologie ausgehen, vorzubeugen, will ich den ganzen Hergang etwas gründlicher auseinandersetzen. – Meine Lehre besagt, daß der ganze Leib der Wille selbst ist, sich darstellend in der Anschauung des Gehirns, folglich eingegangen in dessen Erkenntnißformen. Hieraus folgt, daß der Wille im ganzen Leibe überall gleichmäßig gegenwärtig sei; wie dies auch nachweislich der Fall ist; da die organischen Funktionen nicht weniger als die animalischen sein Werk sind. Wie nun aber ist es hiemit zu vereinigen, daß die willkürlichen Aktionen, diese unleugbarsten Aeußerungen des Willens, doch offenbar vom Gehirn ausgehen, sodann erst, durch das Mark, in die Nervenstämme gelangen, welche endlich die Glieder in Bewegung setzen, und deren Lähmung, oder Durchschneidung, daher die Möglichkeit der willkürlichen Bewegung aufhebt? Danach sollte man denken, daß der Wille, eben wie der Intellekt, seinen Sitz allein im Gehirn habe und, eben wie dieser, eine bloße Funktion des Gehirns sei.

Diesem ist jedoch nicht so; sondern der ganze Leib ist und bleibt die Darstellung des Willens in der Anschauung, also der, vermöge der Gehirnfunktionen, objektiv angeschaute Wille selbst. Jener Hergang, bei den Willensakten, beruht aber darauf, daß der Wille, welcher, nach meiner Lehre, in jeder Erscheinung der Natur, auch der vegetabilischen und unorganischen, sich äußert, im menschlichen und thierischen Leibe als ein bewußter Wille auftritt. Ein Bewußtseyn aber ist wesentlich ein einheitliches und erfordert daher stets einen centralen Einheitspunkt. Die Nothwendigkeit des Bewußtseyns wird, wie ich oft auseinandergesetzt habe, dadurch herbeigeführt, daß, in Folge der gesteigerten Komplikation und dadurch der mannigfaltigeren Bedürfnisse eines Organismus, die Akte seines Willens durch Motive gelenkt werden müssen, nicht mehr, wie aus den tieferen Stufen, durch bloße Reize. Zu diesem Behuf mußte er hier mit einem erkennenden Bewußtseyn, also mit einem Intellekt, als dem Medio und Ort der Motive, versehen auftreten. Dieser Intellekt, wenn selbst objektiv angeschaut, stellt sich dar als das Gehirn, nebst Dependenzien, also Rückenmark und Nerven. Er nun ist es, in welchem, auf Anlaß äußerer Eindrücke, die Vorstellungen entstehen, welche zu Motiven für den Willen werden. Im vernünftigen Intellekt aber erfahren sie hiezu überdies noch eine weitere Verarbeitung durch Reflexion und Ueberlegung. Ein solcher Intellekt nun also muß zuvörderst alle Eindrücke, nebst deren Verarbeitung durch seine Funktionen, sei es zu bloßer Anschauung, oder zu Begriffen, in einen Punkt vereinigen, der gleichsam der Brennpunkt aller seiner Strahlen wird, damit jene Einheit des Bewußtseyns entstehe, welche das theoretische Ich ist, der Träger des ganzen Bewußtseyns, in welchem selbst es mit dem wollenden Ich, dessen bloße Erkenntnißfunktion es ist, als identisch sich darstellt. Jener Einheitspunkt des Bewußtseyns, oder das theoretische Ich, ist eben Kants synthetische Einheit der Apperception, auf welche alle Vorstellungen sich wie auf eine Perlenschnur reihen und vermöge deren das »Ich denke«, als Faden der Perlenschnur, »alle unsere Vorstellungen muß begleiten können« Vgl. Kap. 22.. – Dieser Sammelplatz der Motive also, woselbst ihr Eintritt in den einheitlichen Fokus des Bewußtseyns Statt hat, ist das Gehirn. Hier werden sie im vernunftlosen Bewußtseyn bloß angeschaltet, im vernünftigen durch Begriffe verdeutlicht, also noch allererst in abstracto gedacht und verglichen; worauf der Wille sich, seinem individuellen und unwandelbaren Charakter gemäß, entscheidet, und so der Entschluß hervorgeht, welcher nunmehr, mittelst des Cerebellums, des Marks und der Nervenstämme, die äußeren Glieder in Bewegung setzt. Denn, wenn gleich auch in diesen der Wille ganz unmittelbar gegenwärtig ist, indem sie seine bloße Erscheinung sind; so bedurfte er, wo er nach Motiven, oder gar nach Ueberlegung, sich zu bewegen hat, eines solchen Apparats, zur Auffassung und Verarbeitung der Vorstellungen zu solchen Motiven, in deren Gemäßheit seine Akte hier als Entschlüsse auftreten; – eben wie die Ernährung des Bluts, durch den Chylus, eines Magens und der Gedärme bedarf, in welchen dieser bereitet wird und dann als solcher ihm zufließt durch den ductus thoracicus, welcher hier die Rolle spielt, die dort das Rückenmark hat. – Am einfachsten und allgemeinsten läßt die Sache sich so fassen: der Wille ist in allen Muskelfasern des ganzen Leibes als Irritabilität unmittelbar gegenwärtig, als ein fortwährendes Streben zur Thätigkeit überhaupt. Soll nun aber dieses Streben sich realisiren, also sich als Bewegung äußern; so muß diese Bewegung, eben als solche, irgend eine Richtung haben: diese Richtung aber muß durch irgend etwas bestimmt werden: d. h. sie bedarf eines Lenkers: dieser nun ist das Nervensystem. Denn der bloßen Irritabilität, wie sie in der Muskelfaser liegt und an sich purer Wille ist, sind alle Richtungen gleichgültig: also bestimmt sie sich nach keiner, sondern verhält sich wie ein Körper, der nach allen Richtungen gleichmäßig gezogen wird; er ruht. Indem die Nerventhätigkeit als Motiv (bei Reflexbewegungen als Reiz) hinzutritt, erhalt die strebende Kraft, d. i. die Irritabilität, eine bestimmte Richtung und liefert jetzt die Bewegungen. – Diejenigen äußeren Willensakte jedoch, welche keiner Motive, also auch nicht der Verarbeitung bloßer Reize zu Vorstellungen im Gehirn, daraus eben Motive werden, bedürfen, sondern unmittelbar auf Reize, meistens innere, erfolgen, sind die Reflexbewegungen, ausgehend vom bloßen Rückenmark, wie z. B. die Spasmen und Krämpfe, in denen der Wille ohne Theilnahme des Gehirns wirkt. – Auf analoge Weise betreibt der Wille das organische Leben, ebenfalls aus Nervenreiz, welcher nicht vom Gehirn ausgeht. Nämlich der Wille erscheint in jedem Muskel als Irritabilität und ist folglich für sich im Stande, diesen zu kontrahiren; jedoch nur überhaupt: damit eine bestimmte Kontraktion, in einem gegebenen Augenblick, erfolge, bedarf es, wie überall, einer Ursache, die hier ein Reiz seyn muß. Diesen giebt überall der Nerv, welcher in den Muskel geht. Hängt dieser Nerv mit dem Gehirn zusammen; so ist die Kontraktion ein bewußter Willensakt, d. h. geschieht auf Motive, welche, in Folge äußerer Einwirkung, im Gehirn, als Vorstellungen, entstanden sind. Hängt der Nerv nicht mit dem Gehirn zusammen, sondern mit dem sympathicus maximus; so ist die Kontraktion unwillkürlich und unbewußt, nämlich ein dem organischen Leben dienender Akt, und der Nervenreiz dazu wird veranlaßt durch innere Einwirkung, z. B. durch den Druck der eingenommenen Nahrung auf den Magen, oder des Chymus auf die Gedärme, oder des einströmenden Blutes auf die Wände des Herzens: er ist demnach Magenverdauung, oder motus peristalticus, oder Herzschlag u. s. w.

Gehen wir nun aber, in diesem Hergang, noch einen Schritt weiter zurück; so finden wir, daß die Muskeln das Produkt und Verdichtungswerk des Blutes, ja gewissermaaßen nur festgewordenes, gleichsam geronnenes oder krystallisirtes Blut sind; indem sie den Faserstoff (Fibrine, Cruor) und den Färbestoff desselben fast unverändert in sich aufgenommen haben (Burdach, Physiologie, Bd. 5, S. 686). Die Kraft aber, welche aus dem Blute den Muskel bildete, darf nicht als verschieden angenommen werden von der, die nachher, als Irritabilität, auf Nervenreiz, welchen das Gehirn liefert, denselben bewegt; wo sie alsdann dem Selbstbewußtseyn sich als Dasjenige kund giebt, was wir Willen nennen. Zudem beweist den nahen Zusammenhang zwischen dem Blut und der Irritabilität auch dieses, daß wo, wegen Unvollkommenheit des kleinen Blutumlaufs, ein Theil des Blutes unoxydirt zum Herzen zurückkehrt, die Irritabilität sogleich ungemein schwach ist; wie bei den Batrachiern. Auch ist die Bewegung des Blutes, eben wie die des Muskels, eine selbstständige und ursprüngliche, sie bedarf nicht ein Mal, wie die Irritabilität, des Nerveneinflusses, und ist selbst vom Herzen unabhängig; wie dies am deutlichsten der Rücklauf des Blutes durch die Venen zum Herzen kund giebt, da bei diesem nicht, wie beim Arterienlauf, eine vis a tergo es propellirt, und auch alle sonstigen mechanischen Erklärungen, wie etwan durch eine Saugekraft der rechten Herzkammer, durchaus zu kurz kommen. (Siehe Burdachs Physiologie, Bd. 4, §. 763, und Rösch »Ueber die Bedeutung des Bluts«, S. 11 fg.) Merkwürdig ist es zu sehen, wie die Franzosen, welche nichts, als mechanische Kräfte kennen, mit unzureichenden Gründen auf beiden Seiten, gegen einander streiten, und Bichat den Rücklauf des Blutes durch die Venen dem Druck der Wände der Kapillargefäße, Magendie dagegen dem noch immer fortwirkenden Impuls des Herzens zuschreibt ( Précis de physiologie par Magendie, Vol. 2, p. 389). Daß die Bewegung des Blutes auch vom Nervensystem, wenigstens vom cerebralen, unabhängig ist, bezeugen die Fötus, welche (nach Müllers Physiologie) ohne Gehirn und Rückenmark, doch Blutumlauf haben. Und auch Flourens sagt: Le mouvement du coeur, pris en soi, et abstraction faite de tout ce qui n'est pas essentiellement lui, comme sa durée, son énergie, ne dépend ni immédiatement, ni coinstantanément, du système nerveux central, et consequemmeut c'est dans tout autre point de ce système que dans les centres nerveux eux-mêmes, qu'il faut chercher le principe primitif et immédiat de ce mouvement (Annales des sciences naturelles p. Audouin et Brongniard, 1828, Vol. 13). – Auch Cuvier sagt: La circulation survit à la déstruction de tout l'encéphale et de toute la moëlle épiniaire (Mém. de l'acad. d. sc., 1823, Vol. 6; Hist. d. l'acad. p. Cuvier, p. cxxx). Cor primum vivens et ultimum morieus, sagt Haller. Der Herzschlag hört im Tode zuletzt auf. – Die Gefäße selbst hat das Blut gemacht; da es im Ei früher als sie erscheint: sie sind nur seine freiwillig eingeschlagenen, dann gebahnten, endlich allmälig kondensirten und umschlossenen Wege; wie dies schon Kaspar Wolff gelehrt hat: »Theorie der Generation«, §. 30 35. Auch die von der des Blutes unzertrennliche Bewegung des Herzens ist, wenn gleich durch das Bedürfniß Blut in die Lunge zu senden veranlaßt, doch eine ursprüngliche, sofern sie vom Nervensystem und der Sensibilität unabhängig ist: wie Burdach dies ausführlich darthut. »Im Herzen«, sagt er, »erscheint, mit dem Maximum von Irritabilität, ein Minimum von Sensibilität« ( 1. c., §. 769). Das Herz gehört sowohl dem Muskel- als dem Blut- oder Gefäß-System an; woran abermals ersichtlich ist, daß Beide nahe verwandt, ja ein Ganzes sind. Da nun das metaphysische Substrat der Kraft, die den Muskel bewegt, also der Irritabilität, der Wille ist; so muß dasselbe es auch von der seyn, welche der Bewegung und den Bildungen des Blutes zum Grunde liegt, als durch welche der Muskel hervorgebracht worden. Der Lauf der Arterien bestimmt zudem die Gestalt und Größe aller Glieder: folglich ist die ganze Gestalt des Leibes durch den Lauf des Blutes bestimmt. Ueberhaupt also hat das Blut, wie es alle Theile des Leibes ernährt, auch schon, als Urflüssigkeit des Organismus, dieselben ursprünglich aus sich erzeugt und gebildet; und die Ernährung der Theile, welche eingeständlich die Hauptfunktion des Blutes ausmacht, ist nur die Fortsetzung jener ursprünglichen Erzeugung derselben. Diese Wahrheit findet man gründlich und vortrefflich auseinandergesetzt in der oben erwähnten Schrift von Rösch: »Ueber die Bedeutung des Blutes«, 1839. Er zeigt, daß das Blut das ursprünglich Belebte und die Quelle sowohl des Daseyns, als der Erhaltung aller Theile ist; daß aus ihm sich alle Organe ausgeschieden haben, und zugleich mit ihnen zur Lenkung ihrer Funktionen das Nervensystem, welches theils als plastisches, dem Leben der einzelnen Theile im Innern, theils als cerebrales, der Relation zur Außenwelt ordnend und leitend vorsteht. »Das Blut«, sagt er S. 25, »war Fleisch und Nerv zugleich und in demselben Augenblick, da der Muskel sich von ihm löste, blieb der Nerv, eben so getrennt, dem Fleische gegenüberstehen.« Hiebei versteht es sich von selbst, daß das Blut, ehe jene festen Theile von ihm ausgeschieden sind, auch eine etwas andere Beschaffenheit hat als nachdem: es ist alsdann, wie Rösch es bezeichnet, die chaotische, belebte, schleimige Urflüssigkeit, gleichsam eine organische Emulsion, in welcher alle nachherigen Theile implicite enthalten sind: auch die rothe Farbe hat es nicht gleich Anfangs. Dies beseitigt den Einwurf, den man daraus nehmen könnte, daß Gehirn und Rückenmark sich zu bilden anfangen, ehe die Cirkulation des Blutes sichtbar ist und das Herz entsteht. In diesem Sinne sagt auch Schultz (System der Cirkulation, S. 297): »Wir glauben nicht, daß die Ansicht Baumgärtners, nach welcher sich das Nervensystem früher, als das Blut bildet, sich wird durchführen lassen; da Baumgärtner die Entstehung des Blutes nur von der Bildung der Bläschen an rechnet, während schon viel früher, im Embryo und in der Thierreihe Blut in Form von reinem Plasma erscheint.« – Nimmt doch das Blut der wirbellosen Thiere nie die rothe Farbe an; weshalb wir dennoch nicht, wie Aristoteles, es ihnen absprechen. – Es verdient wohl, angemerkt zu werden, daß, nach dem Berichte Justinus Kerner's (Geschichte zweier Somnambulen, S. 78) eine im höchsten Grade hellsehende Somnambule sagt: »Ich bin so tief in mir, als je ein Mensch in sich geführt werden kann: die Kraft meines irdischen Lebens scheint mir im Blute ihren Ursprung zu haben, wodurch sie sich, durch das Auslaufen in die Adern, vermittelst der Nerven, dem ganzen Körper, das Edelste desselben aber, über sich, dem Gehirn mittheilt.«

Aus diesem Allen geht hervor, daß der Wille sich am unmittelbarsten im Blute objektivirt, als welches den Organismus ursprünglich schafft und formt, ihn durch Wachsthum vollendet und nachher ihn fortwährend erhält, sowohl durch regelmäßige Erneuerung aller, als durch außerordentliche Herstellung etwan verletzter Theile. Das erste Produkt des Blutes sind seine eigenen Gefäße und dann die Muskeln, in deren Irritabilität der Wille sich dem Selbstbewußten kund giebt, hiemit aber auch das Herz, als welches zugleich Gefäß und Muskel, und deshalb das wahre Centrum und primum mobile des ganzen Lebens ist. Zum individuellen Leben und Bestehen in der Außenwelt bedarf nun aber der Wille zweier Hülfssysteme: nämlich eines zur Lenkung und Ordnung seiner innern und äußern Thätigkeit, und eines andern zur steten Erneuerung der Masse des Bluts; also eines Lenkers und eines Erhalters. Daher schafft er sich das Nerven- und das Eingeweide-System: also, zu den functiones vitales, welche die ursprünglichsten und wesentlichsten sind, gesellen sich subsidiarisch die functiones animales und die functiones naturales. Im Nervensystem objektivirt der Wille sich demnach nur mittelbar und sekundär; sofern nämlich dieses als ein bloßes Hülfsorgan auftritt, als eine Veranstaltung, mittelst welcher die theils inneren, theils äußeren Veranlassungen, auf welche der Wille sich, seinen Zwecken gemäß, zu äußern hat, zu seiner Kunde gelangen: die inneren empfängt das plastische Nervensystem, also der sympathische Nerv, dieses cerebrum abdominale, als bloße Reize, und der Wille reagirt darauf an Ort und Stelle, ohne Bewußtseyn des Gehirns; die äußeren empfängt das Gehirn, als Motive, und der Wille reagirt durch bewußte, nach außen gerichtete Handlungen. Mithin macht das ganze Nervensystem gleichsam die Fühlhörner des Willens aus, die er nach innen und außen streckt. Die Gehirn- und Rückenmarks-Nerven zerfallen, an ihren Wurzeln, in sensibele und motorische. Die sensibeln empfangen die Kunde von außen, welche nun sich im Heerde des Gehirns sammelt und daselbst verarbeitet wird, woraus Vorstellungen, zunächst als Motive, entstehen. Die motorischen Nerven aber hinterbringen, wie Kouriere, das Resultat der Gehirnfunktion dem Muskel, auf welchen dasselbe als Reiz wirkt und dessen Irritabilität die unmittelbare Erscheinung des Willens ist. Vermutlich zerfallen die plastischen Nerven ebenfalls in sensibele und motorische, wiewohl auf einer untergeordneten Skala. – Die Rolle, welche im Organismus die Ganglien spielen, haben wir als eine diminutive Gehirnrolle zu denken, wodurch die eine zur Erläuterung der andern wird. Die Ganglien liegen überall, wo die organischen Funktionen des vegetativen Systems einer Aussicht bedürfen. Es ist als ob daselbst der Wille, um seine Zwecke durchzusetzen, nicht mit seinem direkten und einfachen Wirken ausreichen konnte, sondern einer Leitung und deshalb einer Kontrole desselben bedurfte; wie wenn man, bei einer Verrichtung, nicht mit seiner bloßen Besinnung ausreicht, sondern was man thut allemal notiren muß. Hiezu reichen, für das Innere des Organismus, bloße Nervenknoten aus; eben weil alles im eigenen Bereich desselben vorgeht. Hingegen für das Aeußere bedurfte es einer sehr komplicirten Veranstaltung derselben Art: diese ist das Gehirn mit seinen Fühlfäden, welche es in die Außenwelt streckt, den Sinnesnerven. Aber selbst in den mit diesem großen Nervencentro kommunizirenden Organen braucht, in sehr einfachen Fällen, die Angelegenheit nicht vor die oberste Behörde gebracht m werden; sondern eine untergeordnete reicht aus, das Nöthige zu verfügen: eine solche ist das Rückenmark, in den von Marshall Hall entdeckten Reflexbewegungen, wie das Niesen, Gähnen, Erbrechen, die zweite Hälfte des Schlingens u. a. m. Der Wille selbst ist im ganzen Organismus gegenwärtig, da dieser seine bloße Sichtbarkeit ist: das Nervensystem ist überall bloß da, um eine Direktion seines Thuns möglich zu machen, durch eine Kontrole desselben, gleichsam dem Willen als Spiegel zu dienen, damit er sehe was er thue; wie wir beim Rasiren uns eines Spiegels bedienen. Dadurch entstehen kleine Sensoria im Innern, für specielle und deshalb einfache Verrichtungen, die Ganglien: das Hauptsensorium aber, das Gehirn, ist der große und künstliche Apparat für die komplicirten und vielseitigen, auf die unaufhörlich und unregelmäßig wechselnde Außenwelt bezüglichen Verrichtungen. Wo im Organismus Nervenfäden in ein Ganglion zusammenlaufen, da ist gewissermaaßen ein eigenes Thier vorhanden und abgeschlossen, welches mittelst des Ganglions, eine Art von schwacher Erkenntniß hat, deren Sphäre jedoch beschränkt ist auf die Theile, aus denen diese Nerven unmittelbar kommen. Was nun aber diese Theile auf solche quasi Erkenntniß aktuirt, ist offenbar Wille, ja, wir vermögen gar nicht es anders auch nur zu denken. Hierauf beruht die vita propria jedes Theils, wie auch, bei Insekten, als welche, statt des Rückenmarks, einen doppelten Nervenstrang mit Ganglien in regelmäßigen Entfernungen haben, die Fähigkeit jedes Theils, nach Trennung vom Kopf und übrigen Rumpf, noch tagelang zu leben; endlich auch die, in letzter Instanz, nicht vom Gehirn aus motivirten Handlungen, d. i. Instinkt und Kunsttrieb. Marshall Hall, dessen Entdeckung der Reflexbewegungen ich oben erwähnte, hat in derselben uns eigentlich die Theorie der unwillkürlichen Bewegungen geliefert. Diese sind theils normale oder physiologische: dahin gehören die Verschließung der Ein- und Ausgänge des Leibes, also der sphincteres vesicae et ani (ausgehend von Rückenmarksnerven), der Augenlider im Schlaf (vom fünften Nervenpaare aus), des Larynx (vom N. vagus aus), wenn Speisen an ihm vorübergehen, oder Kohlensäure eindringen will, sodann das Schlucken, vom Pharynx an, das Gähnen, Niesen, die Respiration, im Schlafe ganz, im Wachen zum Theil, endlich die Erektion, Ejakulation, wie auch die Konception u. a. m.: theils sind sie abnormale und pathologische: dahin gehören das Stottern, der Schluchzen, das Erbrechen, wie auch die Krämpfe und Konvulsionen aller Art, zumal in der Epilepsie, im Tetanus, in der Hydrophobie und sonst, endlich die durch galvanischen oder andern Reiz hervorgerufenen, ohne Gefühl und Bewußtseyn geschehenden Zuckungen paralysirter, d. h. außer Verbindung mit dem Gehirn gesetzter Glieder, eben so die Zuckungen enthaupteter Thiere, endlich alle Bewegungen und Aktionen hirnlos geborener Kinder. Alle Krämpfe sind eine Rebellion der Nerven der Glieder gegen die Souveränität des Gehirns: hingegen sind die normalen Reflexbewegungen die legitime Autokratie untergeordneter Beamten. Diese sämmtlichen Bewegungen also sind unwillkürlich, weil sie nicht vom Gehirn ausgehen und daher nicht auf Motive geschehen, sondern auf bloße Reize. Die sie veranlassenden Reize gelangen bloß zum Rückenmark, oder zur medulla oblongata, und von da aus geschieht unmittelbar die Reaktion, welche die Bewegung bewirkt. Das selbe Verhältniß, welches das Gehirn zu Motiv und Handlung hat, hat das Rückenmark zu jenen unwillkürlichen Bewegungen, und was der sentient and voluntary nerv für jenes, ist für dieses der incident and motor nerv. Daß dennoch, in den Einen wie in den Andern, das eigentlich Bewegende der Wille ist, fällt um so deutlicher in die Augen, als die unwillkürlich bewegten Muskeln großentheils die selben sind, welche, unter andern Umständen, vom Gehirn aus bewegt werden, in den willkürlichen Aktionen, wo ihr primum mobile uns durch das Selbstbewußtseyn als Wille intim bekannt ist. Marshall Halls vortreffliches Buch On the diseases of the nervous system ist überaus geeignet, den Unterschied zwischen Willkür und Wille deutlich zu machen und die Wahrheit meiner Grundlehre zu bestätigen.

Erinnern wir uns jetzt, zur Veranschaulichung alles hier Gesagten, an diejenige Entstehung eines Organismus, welche unserer Beobachtung am zugänglichsten ist. Wer macht das Hühnchen im Ei? etwan eine von außen kommende und durch die Schaale dringende Macht und Kunst? O nein! das Hühnchen macht sich selbst, und eben die Kraft, welche dieses über allen Ausdruck komplicirte, wohlberechnete und zweckmäßige Werk ausführt und vollendet, durchbricht, sobald es fertig ist, die Schaale, und vollzieht nunmehr, unter der Benennung Wille, die äußeren Handlungen des Hühnchens. Beides zugleich konnte sie nicht leisten: vorher mit Ausarbeitung des Organismus beschäftigt, hatte sie keine Besorgung nach außen. Nachdem nun aber jener vollendet ist, tritt diese ein, unter Leitung des Gehirns und seiner Fühlfäden, der Sinne, als eines zu diesem Zweck vorhin bereiteten Werkzeuges, dessen Dienst erst anfängt, wann es im Selbstwußtseyn als Intellekt aufwacht, der die Laterne der Schritte des Willens, sein ἡγεμονιχον, und zugleich der Träger der objektiven Außenwelt ist, so beschränkt auch der Horizont dieser im Bewußtseyn eines Huhnes seyn mag. Was aber jetzt das Huhn, unter Vermittlung dieses Organs, in der Außenwelt zu leisten vermag, ist, als durch ein Sekundäres vermittelt, unendlich geringfügiger, als was es in seiner Ursprünglichkeit leistete, da es sich selbst machte.

Wir haben oben das cerebrale Nervensystem als ein Hülfsorgan des Willens kennen gelernt, in welchem dieser sich daher sekundär objektivirt. Wie also das Cerebralsystem, obgleich nicht direkt eingreifend in den Kreis der Lebensfunktionen des Organismus, sondern nur dessen Relationen nach außen lenkend, dennoch den Organismus zur Basis hat und zum Lohn seiner Dienste von ihm genährt wird, wie also das cerebrale oder animale Leben als Produkt des organischen Lebens anzusehen ist; so gehört das Gehirn und dessen Funktion, das Erkennen, also der Intellekt, mittelbar und sekundär zur Erscheinung des Willens: auch in ihm objektivirt sich der Wille und zwar als Wille zur Wahrnehmung der Außenwelt, also als ein Erkennenwollen. So groß und fundamental daher auch der Unterschied des Wollens vom Erkennen in uns ist; so bleibt dennoch das letzte Substrat Beider das selbe, nämlich der Wille, als das Wesen an sich der ganzen Erscheinung: das Erkennen aber, der Intellekt, welcher im Selbstbewußtseyn sich durchaus als das Sekundäre darstellt, ist nicht nur als sein Accidenz, sondern auch als sein Werk anzusehen und also durch einen Umweg, doch wieder auf ihn zurückzuführen. Wie der Intellekt physiologisch sich ergiebt als die Funktion eines Organs des Leibes; so ist er metaphysisch anzusehen als ein Werk des Willens, dessen Objektivation, oder Sichtbarkeit, der ganze Leib ist. Also der Wille zu erkennen, objektiv angeschaut, ist das Gehirn; wie der Wille zu gehen, objektiv angeschaut, der Fuß ist; der Wille zu greifen, die Hand; der Wille zu verdauen, der Magen; zu zeugen, die Genitalien u. s. f. Diese ganze Objektivation ist freilich zuletzt nur für das Gehirn da, als seine Anschauung: in dieser stellt sich der Wille als organischer Leib dar. Aber sofern das Gehirn erkennt, wird es selbst nicht erkannt; sondern ist das Erkennende, das Subjekt aller Erkenntniß. Sofern es aber in der objektiven Anschauung, d. h. im Bewußtseyn anderer Dinge, also sekundär, erkannt wird, gehört es, als Organ des Leibes, zur Objektivation des Willens. Denn der ganze Proceß ist die Selbsterkenntniß des Willens, geht von diesem aus und läuft auf ihn zurück, und macht Das aus, was Kant die Erscheinung, im Gegensatz des Dinges an sich benannt hat. Was daher erkannt, was Vorstellung wird, ist der Wille: und diese Vorstellung ist, was wir den Leib nennen, der als ein räumlich Ausgedehntes und sich in der Zeit Bewegendes nur mittelst der Funktionen des Gehirns, also nur in diesem, existirt. Was hingegen erkennt, was jene Vorstellung hat, ist das Gehirn, welches jedoch sich selbst nicht erkennt, sondern nur als Intellekt, d. h. als Erkennendes, also nur subjektiv sich seiner bewußt wird. Was von Innen gesehen das Erkenntnißvermögen ist, das ist, von Außen gesehen, das Gehirn. Dieses Gehirn ist ein Theil eben jenes Leibes, weil es selbst zur Objektivation des Willens gehört, nämlich das Erkennenwollen desselben, seine Richtung auf die Außenwelt, in ihm objektivirt ist. Demnach ist allerdings das Gehirn, mithin der Intellekt, unmittelbar durch den Leib bedingt, und dieser wiederum durch das Gehirn, – jedoch nur mittelbar, nämlich als Räumliches und Körperliches, in der Welt der Anschauung, nicht aber an sich selbst, d. h. als Wille. Das Ganze also ist zuletzt der Wille, der sich selber Vorstellung wird, und ist jene Einheit, die wir durch Ich ausdrücken. Das Gehirn selbst ist, sofern es vorgestellt wird, – also im Bewußtseyn anderer Dinge, mithin sekundär, – selbst nur Vorstellung. An sich aber und sofern es vorstellt, ist es der Wille, weil dieser das reale Substrat der ganzen Erscheinung ist: sein Erkennenwollen objektivirt sich als Gehirn und dessen Funktionen. – Als ein zwar unvollkommenes, aber doch einigermaaßen das Wesen der menschlichen Erscheinung, wie wir es hier betrachten, veranschaulichendes Gleichniß kann man allenfalls die Volta'sche Säule ansehen: die Metalle, nebst Flüssigkeit, wären der Leib; die chemische Aktion, als Basis des ganzen Wirkens, wäre der Wille, und die daraus hervorgehende elektrische Spannung, welche Schlag und Funken hervorruft, der Intellekt. Aber omne simile claudicat.

In der Pathologie hat sich in neuester Zeit endlich die physiatrische Ansicht geltend gemacht, welcher zufolge die Krankheiten selbst ein Heilproceß der Natur sind, den sie einleitet, um eine irgendwie im Organismus eingerissene Unordnung durch Ueberwindung der Ursachen derselben zu beseitigen, wobei sie, im entscheidenden Kampf, der Krisis, entweder den Sieg davonträgt und ihren Zweck erreicht, oder aber unterliegt. Ihre ganze Rationalität gewinnt diese Ansicht erst von unserm Standpunkt aus, welcher in der Lebenskraft, die hier als vis naturae medicatrix auftritt, den Willen erkennen läßt, der im gesunden Zustand allen organischen Funktionen zum Grunde liegt, jetzt aber, bei eingetretenen, sein ganzes Werk bedrohenden Unordnungen, sich mit diktatorischer Gewalt bekleidet, um durch ganz außerordentliche Maaßregeln und völlig abnorme Operationen (die Krankheit) die rebellischen Potenzen zu dämpfen und Alles ins Gleis zurückzuführen. Daß hingegen, wie Brandis, in den Stellen seines Buches »Ueber die Anwendung der Kälte«, die ich im ersten Abschnitt meiner Abhandlung »Ueber den Willen in der Natur« angeführt habe, sich wiederholt ausdrückt, der Wille selbst krank sei, ist ein grobes Mißverständnis Wenn ich dieses erwäge und zugleich bemerke, daß Brandis in seinem frühern Buch »Ueber die Lebenskraft«, von 1795, keine Ahndung davon verräth, daß diese Kraft an sich der Wille sei, vielmehr daselbst S. 13 sagt: »Unmöglich kann die Lebenskraft das Wesen seyn, welches wir nur durch unser Bewußtseyn kennen, da die meisten Bewegungen ohne unser Bewußtseyn vorgehen. Die Behauptung, daß dieses Wesen, dessen einziger uns bekannter Charakter Bewußtseyn ist, auch ohne Bewußtseyn auf den Körper wirke, ist wenigstens ganz willkürlich und unbewiesen«; und S. 14: »Gegen die Meinung, daß alle lebendige Bewegung Wirkung der Seele sei, sind, wie ich glaube, Haller's Einwürfe unwiderleglich«: – wenn ich ferner bedenke, daß er sein Buch »Ueber die Anwendung der Kälte«, worin der Wille mit einem Male so entschieden als Lebenskraft austritt, im siebzigsten Jahre geschrieben hat, einem Alter, in welchem wohl noch Niemand originelle Grundgedanken zuerst gefaßt hat: – wenn ich dabei noch berücksichtige, daß er sich gerade meiner Ausdrücke »Wille und Vorstellung«, nicht aber der sonst viel gebräuchlicheren »Begehrungs- und Erkenntniß-Vermögen« bedient: – bin ich, meiner frühern Voraussetzung entgegen, jetzt der Ueberzeugung, daß er seinen Grundgedanken von mir entlehnt und, mit der heut zu Tage in der gelehrten Welt üblichen Redlichkeit, davon geschwiegen hat. Das Nähere hierüber findet man in der zweiten Auflage der Schrift »Ueber den Willen in der Natur«, S. 14.

Die Thesis, welche uns in gegenwärtigem Kapitel beschäftigt, zu bestätigen und zu erläutern, ist nichts geeigneter, als Bichats mit Recht berühmtes Buch Sur la vie et la mort. Seine und meine Betrachtungen unterstützen sich wechselseitig, indem die seinigen der physiologische Kommentar der meinigen, und diese der philosophische Kommentar der seinigen sind und man uns beiderseits zusammengelesen am besten verstehen wird. Vornehmlich ist hier von der ersten Hälfte seines Werkes, betitelt Recherches physiologiques sur la vie, die Rede. Seinen Auseinandersetzungen legt er den Gegensatz von organischem und animalischem Leben zum Grunde, welcher dem meinigen von Willen und Intellekt entspricht. Wer auf den Sinn, nicht auf die Worte sieht, wird sich nicht dadurch irre machen lassen, daß er den Willen dem animalischen Leben zuschreibt; da er darunter, wie gewöhnlich, bloß die bewußte Willkür versteht, welche allerdings vom Gehirn ausgeht, wo sie jedoch, wie oben gezeigt worden, noch kein wirkliches Wollen, sondern die bloße Ueberlegung und Berechnung der Motive ist, deren Konklusion, oder Facit, zuletzt als Willensakt hervortritt. Alles was ich dem eigentlichen Willen zuschreibe, legt er dem organischen Leben bei, und Alles was ich als Intellekt fasse, ist bei ihm das animale Leben: dieses hat bei ihm seinen Sitz allein im Gehirn nebst Anhängen; jenes hingegen im ganzen übrigen Organismus. Der durchgängige Gegensatz, in welchem er Beide gegen einander nachweist, entspricht dem, welcher bei mir zwischen Willen und Intellekt vorliegt. Er geht dabei, als Anatom und Physiolog, vom Objektiven, d. h. vom Bewußtseyn anderer Dinge, aus; ich, als Philosoph, vom Subjektiven, dem Selbstbewußtseyn: und da ist es nun eine Freude zu sehen, wie wir, gleich den zwei Stimmen im Duetto in Harmonie mit einander fortschreiten, obgleich Jeder etwas Anderes vernehmen läßt. Daher lese, wer mich verstehen will, ihn; und wer ihn gründlicher verstehen will, als er sich selbst verstand, lese mich. Da zeigt uns Bichat, im Artikel 4, daß das organische Leben früher anfängt und später erlischt als das animale, folglich, da dieses auch im Schlafe feiert, beinahe eine doppelt so lange Dauer hat; dann, im Artikel 8 und 9, daß das organische Leben Alles sogleich und von selbst vollkommen leistet, das animale hingegen einer langen Uebung und Erziehung bedarf. Aber am interessantesten ist er im sechsten Artikel, wo er darthut, daß das animale Leben gänzlich auf die intellektuellen Operationen beschränkt ist, daher kalt und antheilslos vor sich geht, während die Affekte und Leidenschaften ihren Sitz im organischen Leben haben, wenn gleich die Anlässe dazu im animalen, d. h. cerebralen Leben liegen: hier hat er zehn köstliche Seiten, die ich ganz abschreiben möchte. S. 50 sagt er: Il est sans doute étonnant, que les passions n'ayent jamais leur terme ni leur origine dans les divers organes de la vie animale; qu'au contraire les parties servant aux fonctions internes, soient constamment affectées par elles, et même les déterminent suivant l'état où elles se trouvent. Tel est cependant ce que la stricte observation nous prouve. Je dis d'abord que l'effet de toute espèce de passion, constamment étranger à la vie animale, est de faire naître un changement, une altération quelconque dans la vie organique. Dann führt er aus, wie der Zorn auf Blutumlauf und Herzschlag wirkt, dann wie die Freude, und endlich wie die Furcht; hierauf, wie die Lunge, der Magen, die Gedärme, Leber, Drüsen und Pankreas von eben jenen und den verwandten Gemüthsbewegungen affizirt werden, und wie der Gram die Nutrition vermindert; sodann aber, wie das animale, d. h. das Gehirnleben, von dem Allen unberührt bleibt und ruhig seinen Gang fortgeht. Er beruft sich auch darauf, daß wir, um intellektuelle Operationen zu bezeichnen, die Hand zum Kopfe führen, diese hingegen an das Herz, den Magen, die Gedärme legen, wenn wir unsere Liebe, Freude, Trauer oder Haß ausdrücken wollen, und bemerkt, daß es ein schlechter Schauspieler seyn müßte, der, wenn er von seinem Gram redete, den Kopf, und wenn von seiner Geistesanstrengung, das Herz berührte; wie auch daß, während die Gelehrten die sogenannte Seele im Kopfe wohnen ließen, das Volk den wohlgefühlten Unterschied zwischen Intellekt und Willensaffektionen allemal durch richtige Ausdrücke bezeichne, indem es z. B. von einem tüchtigen, gescheuten, feinen Kopfe rede, hingegen sage: ein gutes Herz, ein gefühlvolles Herz; so auch »der Zorn kocht in meinen Adern, bewegt mir die Galle, – vor Freude hüpfen mir die Eingeweide, die Eifersucht vergiftet mein Blut« u. s. w. Les chants sont le langage des passions, de la vie organique, comme la parole ordinaire est celui de l'entendement, de la vie animale: la déclamation tient le milieu, elle anime la langue froide du cerveau, par la langue expressive des organes intérieurs, du coeur, du foie, de l'estomac etc. – Sein Resultat ist: La vie organique est le terme où aboutissent, et le centre d'où partent les passions. Nichts ist mehr als dieses vortreffliche und gründliche Buch geeignet, zu bestätigen und deutlich zu machen, daß der Leib nur der verkörperte (d. h. mittelst der Gehirnfunktionen, also Zeit, Raum und Kausalität, angeschaute) Wille selbst ist, woraus folgt, daß der Wille das Primäre und Ursprüngliche, der Intellekt hingegen, als bloße Gehirnfunktion, das Sekundäre und Abgeleitete ist. Aber das Bewunderungswürdigste und für mich Erfreulichste im Gedankengange Bichats ist, daß dieser große Anatom, auf dem Wege seiner rein physiologischen Betrachtungen, sogar dahin gelangt, die Unveränderlichkeit des moralischen Charakters daraus zu erklären, daß nur das animale Leben, also die Funktion des Gehirns, dem Einfluß der Erziehung, Uebung, Bildung und Gewohnheit unterworfen ist, der moralische Charakter aber dem von außen nicht modifikabeln organischen Leben, d. h. dem aller übrigen Theile, angehört. Ich kann mich nicht entbrechen, die Stelle herzusetzen: sie steht Artikel 9, §. 2. Telle est donc la grande différence des deux vies de l'animal (cerebrales oder animales, und organisches Leben) par rapport à l'inégalité de perfection des divers systèmes de fonctions, dont chacune résulte; savoir, que dans l'une la prédominance ou l'infériorité d'un système, relativement aux autres, tient presque toujours à l'activité ou à l'inertie plus grandes de ce système, à l'habitude d'agir ou de ne pas agir; que dans l'autre, au contraire, cette prédominance ou cette infériorité sont immédiatement liées à la texture des organes, et jamais à leur éducation. Voilà pourquoi le tempérament physique et le caractère moral ne sont point susceptibles de changer par l'éducation, qui modifie si prodigieusement les actes de la vie animale; car, comme nous l'avons vu, tous deux appartiennent à la vie organique. Le caractère est, si je puis m'exprimer ainsi, la physionomie des passions; le tempérament est celle des fonctions internes: or les unes et les autres étant toujours les mêmes, ayant une direction que l'habitude et l'exercise ne dérangent jamais, il est manifeste que le tempérament et le caractère doivent être aussi soustraits à l'empire de l'education. Elle peut modérer l'influence du second, perfectionner assez le jugement et la réflexion, pour rendre leur empire supérieur au sien, fortifier la vie animale, afin qu'elle résiste aux impulsions de l'organique. Mais vouloir par elle dénaturer le caractère, adoucir ou exalter les passions dont il est l'expression habituelle, agrandir ou resserrer leur sphère, c'est une entreprise analogue à celle d'un médecin qui essaierait d'élever ou d'abaisser de quelques degrés, et pour toute la vie, la force de contraction ordinaire au coeur dans l'état de santé, de précipiter ou de ralentir habituellement le mouvement naturel aux artères, et qui est nécessaire à leur action etc. Nous observerions à ce médecin, que la circulation, la respiration etc. ne sont point sous le domaine de la volonté (Willkür), qu'elles ne peuvent être modifiées par l'homme, sans passer à l'état maladif etc. Faisons la même observation à ceux qui croient qu'on change le caractère, et par-là même les passions, puisque celles-ci sont un produit de l'action de tous les organes internes, ou qu'elles y ont au moins spécialement leur siège. Der mit meiner Philosophie vertraute Leser mag sich denken, wie groß meine Freude gewesen ist, als ich in den auf einem ganz andern Felde gewonnenen Ueberzeugungen des der Welt so früh entrissenen, außerordentlichen Mannes gleichsam die Rechnungsprobe zu den meinigen entdeckte.

Einen speciellen Beleg zu der Wahrheit, daß der Organismus die bloße Sichtbarkeit des Willens ist, giebt uns auch noch die Thatsache, daß wenn Hunde, Katzen, Haushähne, auch wohl noch andere Thiere, im heftigsten Zorn beißen, die Wunde tödtlich werden, ja, wenn von einem Hunde kommend, Hydrophobie im Menschen, den sie traf, hervorbringen kann, ohne daß der Hund toll sei, oder es nachher werde. Denn der äußerste Zorn ist eben nur der entschiedenste und heftigste Wille zur Vernichtung seines Gegenstandes: dies erscheint nun eben darin, daß alsdann augenblicklich der Speichel eine verderbliche, gewissermaaßen magisch wirkende Kraft annimmt, und zeugt davon, daß Wille und Organismus in Wahrheit Eins sind. Eben Dies geht auch aus der Thatsache hervor, daß heftiger Aerger der Muttermilch schleunig eine so verderbliche Beschaffenheit geben kann, daß der Säugling alsbald unter Zuckungen stirbt. ( Most, Ueber sympathetische Mittel, S. 16.)

 

Anmerkung zu dem über Bichat Gesagten.

Bichat hat, wie oben dargelegt, einen tiefen Blick in die menschliche Natur gethan und in Folge desselben eine überaus bewunderungswürdige Auseinandersetzung gegeben, welche zu dem Tiefgedachtesten der ganzen Französischen Litteratur gehört. Dagegen tritt jetzt, sechzig Jahre später, plötzlich Herr Flourens polemisirend auf, in seiner Schrift » De la vie et de l'intelligence«, und entblödet sich nicht, Alles, was Bichat über diesen wichtigen und ihm ganz eigenthümlichen Gegenstand zu Tage gefördert hat, ohne Umstände für falsch zu erklären. Und was stellt er gegen ihn ins Feld? Gegengründe? Nein, Gegenbehauptungen »Tout ce qui est relatif à l'entendement appartient à la vie animale«, dit Bichat, et jusque-là point de doute; »tout ce qui est relatif aux passions appartient à la vie organique«, – et ceci est absolument faux. – So?! – decrevit Florentius magnus. und Autoritäten, und zwar so unstatthafte, wie wunderliche: nämlich Kartesius – und Gall! – Herr Flourens ist nämlich seines Glaubens ein Kartesianer, und ihm ist, noch im Jahre 1858, Descartes »le philosophe par excellence«. – Nun ist allerdings Kartesius ein großer Mann, jedoch nur als Bahnbrecher: an seinen sämmtlichen Dogmen hingegen ist kein wahres Wort; und sich heut zu Tage auf diese als Auktorität zu berufen, ist geradezu lächerlich. Denn im 19. Jahrhundert ist ein Kartesianer in der Philosophie eben Das, was ein Ptolemäianer in der Astronomie, oder ein Stahlianer in der Chemie seyn würde. Für Herrn Flourens nun aber sind die Dogmen des Kartesius Glaubensartikel. Kartesius hat gelehrt: les volontés sont des pensées: also ist es so; wenngleich Jeder in seinem Innern fühlt, daß Wollen und Denken verschieden sind, wie weiß und schwarz; daher ich oben im neunzehnten Kapitel Dieses habe ausführlich, gründlich und stets am Leitfaden der Erfahrung darthun und verdeutlichen können. Vor Allem aber giebt es, nach Kartesius, dem Orakel des Herrn Flourens, zwei grundverschiedene Substanzen, Leib und Seele: folglich sagt Herr Flourens, als rechtgläubiger Kartesianer: Le premier point est de séparer, même par les mots, ce qui est du corps de ce qui est de l'âme (I, 72). Er belehrt uns ferner, daß diese âme réside uniquement et exclusivement dans le cerveau (II, 137); von wo aus sie, nach einer Stelle des Kartesius, die spiritus animales als Kouriere nach den Muskeln sendet, selbst jedoch nur vom Gehirn affizirt werden kann, daher die Leidenschaften ihren Sitz ( siége) im Herzen, als welches von ihnen alterirt wird, haben, jedoch ihre Stelle ( place) im Gehirn. So, so spricht wirklich das Orakel des Herrn Flourens, welcher davon so sehr erbaut ist, daß er es sogar zwei Mal (I, 33, und II, 135) nachbetet, zu unfehlbarer Besiegung des unwissenden Bichat, als welcher weder Seele, noch Leib, sondern bloß ein animales und ein organisches Leben kennt, und den er dann hier herablassend belehrt, daß man gründlich unterscheiden müsse die Theile, wo die Leidenschaften ihren Sitz haben ( siégent), von denen, welche sie affiziren. Danach wirken also die Leidenschaften an einer Stelle, während sie an einer andern sind. Körperliche Dinge pflegen nur wo sie sind zu wirken: aber mit so einer immateriellen Seele mag es ein anderes Bewandtniß haben. Was mag überhaupt er und sein Orakel sich bei dieser Unterscheidung von place und siége, von siéger und affecter wohl so eigentlich gedacht haben? – Der Grundirrthum des Herrn Flourens und seines Kartesius entspringt eigentlich daraus, daß sie die Motive, oder Anlässe der Leidenschaften, welche, als Vorstellungen, allerdings im Intellekt, d. i. dem Gehirn, liegen, verwechseln mit den Leidenschaften selbst, die, als Willensbewegungen, im ganzen Leibe, welcher (wie wir wissen) der angeschaute Wille selbst ist, liegen. – Herrn Flourens zweite Auktorität ist, wie gesagt, Gall. Ich freilich habe am Anfang dieses zwanzigsten Kapitels (und zwar bereits in der frühern Auflage) gesagt: »Der größte Irrthum in Galls Schädellehre ist, daß er auch für moralische Eigenschaften Organe des Gehirns aufstellt.« Aber was ich tadle und verwerfe, ist gerade was Herr Mosens lobt und bewundert: denn er trägt ja das les volontés sont des pensées des Kartesius im Herzen. Demgemäß sagt er, S. 144: Le premier service que Gall a rendu à la physiologie (?) a été de rammener le moral à l'intellectuel, et de faire voir que les facultés morales et les facultés intellectuelles sont des facultés du même ordre, et de les placer toutes, autant les unes que les autres, uniquement et exclusivement dans le cerveau. Gewissermaaßen meine ganze Philosophie, besonders aber das neunzehnte Kapitel dieses Bandes besteht in der Widerlegung dieses Grundirrthums. Herr Flourens hingegen wird nicht müde, eben diesen als eine große Wahrheit und den Gall als ihren Entdecker zu preisen: z. B. S. 147: Si j'en étais à classer les services que nous a rendu Gall, je dirais que le premier a été de rammener les qualités morales au cerveau. – S. 153: Le cerveau seul est l'organe de l'âme, et de l'âme dans toute la plénitude de ses fonctions (man sieht, die Kartesianische einfache Seele steckt, als Kern der Sache, noch immer dahinter); il est le siège de toutes les facultés morales, comme de toutes les facultés intellectuelles.– – – Gall a rammené le moral à l'intellectuel, il a rammené les qualités morales au même siège, au même organe, que les facultés intellectuelles. – O wie müssen Bichat und ich uns schämen vor solcher Weisheit! – Aber, ernstlich zu reden, was kann niederschlagender, oder vielmehr empörender seyn, als das Richtige und Tiefgedachte verworfen und dagegen das Falsche und Verkehrte präkonisirt zu sehen; zu erleben, daß tief verborgene, schwer und spät errungene, wichtige Wahrheiten wieder herabgerissen und der alte, platte, spät besiegte Irrthum abermals an ihre Stelle gesetzt werden soll; ja, fürchten zu müssen, daß durch solches Verfahren die so schweren Fortschritte des menschlichen Wissens wieder rückgängig gemacht werden! Aber beruhigen wir uns: denn magna est vis veritatis et praevalebit. – Herr Flourens ist unstreitig ein Mann von vielem Verdienst, hat sich jedoch dasselbe hauptsächlich auf dem experimentalen Wege erworben. Nun aber sind gerade die wichtigsten Wahrheiten nicht durch Experimente herauszubringen, sondern allein durch Nachdenken und Penetration. So hat denn auch Bichat durch sein Nachdenken und durch seinen Tiefblick hier eine Wahrheit zu Tage gefördert, welche zu denen gehört, die den experimentalen Bemühungen des Herrn Flourens unerreichbar bleiben, selbst wenn er, als ächter und konsequenter Kartesianer, noch hundert Thiere mehr zu Tode martert. Er hätte aber hievon bei Zeiten etwas merken und denken sollen: »Hüte dich, Bock, denn es brennt.« Nun aber die Vermessenheit und Süffisance, wie nur die mit falschem Dünkel verbundene Oberflächlichkeit sie verleiht, mit der jedoch Herr Flourens einen Denker, wie Bichat, durch bloße Gegenbehauptungen, Alte-Weiber-Ueberzeugungen und futile Auktoritäten zu widerlegen, sogar ihn zurechtzuweisen, zu meistern, ja, fast zu verspotten unternimmt, hat ihren Ursprung im Akademienwesen und dessen Fauteuils, auf welchen thronend und sich gegenseitig als illustre confrère begrüßend die Herren gar nicht umhin können, sich den Besten, die je gewesen, gleich zu setzen, sich für Orakel zu halten und demgemäß zu dekretiren, was falsch und was wahr seyn soll. Dies bewegt und berechtigt mich, ein Mal gerade heraus zu sagen, daß die wirklich überlegenen und privilegirten Geister, welche dann und wann ein Mal zur Erleuchtung der übrigen geboren werden, und zu welchen allerdings auch Bichat gehört, es »von Gottes Gnaden« sind und demnach zu den Akademien (in welchen sie meistens nur den einundvierzigsten Fauteuil eingenommen haben) und zu deren illustres confrères sich verhalten wie geborene Fürsten zu den zahlreichen und aus der Menge gewählten Repräsentanten des Volkes. Daher sollte eine geheime Scheu ( a secret awe) die Herren Akademiker als welche stets schockweise vorhanden sind. warnen, ehe sie sich an einen solchen rieben, – es wäre denn, sie hätten die triftigsten Gründe aufzuweisen, nicht aber bloße Gegenbehauptungen und Berufungen auf placita des Kartesius, als welches heut zu Tage durchaus lächerlich ist.

 


 << zurück weiter >>