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Dieses Kapitel steht in Beziehung zu §. 15 des ersten Bandes.
Den Menschen ausgenommen, wundert sich kein Wesen über sein eigenes Daseyn; sondern ihnen Allen versteht dasselbe sich so sehr von selbst, daß sie es nicht bemerken. Aus der Ruhe des Blickes der Thiere spricht noch die Weisheit der Natur; weil in ihnen der Wille und der Intellekt noch nicht weit genug auseinandergetreten sind, um bei ihrem Wiederbegegnen sich über einander verwundern zu können. So hängt hier die ganze Erscheinung noch fest am Stamme der Natur, dem sie entsprossen, und ist der unbewußten Allwissenheit der großen Mutter theilhaft. – Erst nachdem das innere Wesen der Natur (der Wille zum Leben in seiner Objektivation) sich durch die beiden Reiche der bewußtlosen Wesen und dann durch die lange und breite Reihe der Thiere, rüstig und wohlgemuth, gesteigert hat, gelangt es endlich, beim Eintritt der Vernunft, also im Menschen, zum ersten Male zur Besinnung: dann wundert es sich über seine eigenen Werke und frägt sich, was es selbst sei. Seine Verwunderung ist aber um so ernstlicher, als es hier zum ersten Male mit Bewußtseyn dem Tode gegenübersteht, und neben der Endlichkeit alles Daseyns auch die Vergeblichkeit alles Strebens sich ihm mehr oder minder aufdringt. Mit dieser Besinnung und dieser Verwunderung entsteht daher das dem Menschen allein eigene Bedürfniß einer Metaphysik: er ist sonach ein animal metaphysicum. Im Anfang seines Bewußtseyns freilich nimmt auch er sich als Etwas, das sich von selbst versteht. Aber dies währt nicht lange; sondern sehr früh, zugleich mit der ersten Reflexion, tritt schon diejenige Verwunderung ein, welche dereinst Mutter der Metaphysik werden soll. – Diesem gemäß sagt auch Aristoteles im Eingang seiner Metaphysik: Δια γαϱ το ϑαυμαζειν οἱ ανϑϱωποι χαι νυν χαι το πϱωτον ηϱξαντο φιλοσοφειν. ( Propter admirationem enim et nunc et primo inceperunt homines philosophari.) Auch besteht die eigentliche philosophische Anlage zunächst darin, daß man über das Gewöhnliche und Alltägliche sich zu verwundern fähig ist, wodurch man eben veranlaßt wird, das Allgemeine der Erscheinung zu seinem Problem zu machen; während die Forscher in den Realwissenschaften sich nur über ausgesuchte und seltene Erscheinungen verwundern, und ihr Problem bloß ist, diese auf bekanntere zurückzuführen. Je niedriger ein Mensch in intellektueller Hinsicht steht, desto weniger Räthselhaftes hat für ihn das Daseyn selbst: ihm scheint vielmehr sich Alles, wie es ist, und daß es sei, von selbst zu verstehen. Dies beruht darauf, daß sein Intellekt seiner ursprünglichen Bestimmung, als Medium der Motive dem Willen dienstbar zu seyn, noch ganz treu geblieben und deshalb mit der Welt und Natur, als integrirender Theil derselben, eng verbunden, folglich weit entfernt davon ist, sich vom Ganzen der Dinge gleichsam ablösend, demselben gegenüber zu treten und so einstweilen als für sich bestehend, die Welt rein objektiv aufzufassen. Hingegen ist die hieraus entspringende philosophische Verwunderung im Einzelnen durch höhere Entwickelung der Intelligenz bedingt, überhaupt jedoch nicht durch diese allein; sondern ohne Zweifel ist es das Wissen um den Tod, und neben diesem die Betrachtung des Leidens und der Noth des Lebens, was den stärksten Anstoß zum philosophischen Besinnen und zu metaphysischen Auslegungen der Welt giebt. Wenn unser Leben endlos und schmerzlos wäre, würde es vielleicht doch Keinem einfallen zu fragen, warum die Welt dasei und gerade diese Beschaffenheit habe; sondern eben auch sich Alles von selbst verstehen. Dem entsprechend finden wir, daß das Interesse, welches philosophische, oder auch religiöse Systeme einflößen, seinen allerstärksten Anhaltspunkt durchaus an dem Dogma irgend einer Fortdauer nach dem Tode hat: und wenn gleich die letzteren das Daseyn ihrer Götter zur Hauptsache zu machen und dieses am eifrigsten zu vertheidigen scheinen; so ist dies im Grunde doch nur, weil sie an dasselbe ihr Unsterblichkeitsdogma geknüpft haben und es für unzertrennlich von ihm halten: nur um dieses ist es ihnen eigentlich zu thun. Denn wenn man ihnen dasselbe anderweitig sicher stellen könnte; so würde der lebhafte Eifer für ihre Götter alsbald erkalten, und er würde fast gänzlicher Gleichgültigkeit Platz machen, wenn, umgekehrt, die völlige Unmöglichkeit einer Unsterblichkeit ihnen bewiesen wäre: denn das Interesse am Daseyn der Götter verschwände mit der Hoffnung einer nähern Bekanntschaft mit ihnen, bis auf den Rest, der sich an ihren möglichen Einfluß auf die Vorfälle des gegenwärtigen Lebens knüpfen möchte. Könnte man aber gar die Fortdauer nach dem Tode, etwan weil sie Ursprünglichkeit des Wesens voraussetzte, als unverträglich mit dem Daseyn von Göttern nachweisen; so würden sie diese bald ihrer eigenen Unsterblichkeit zum Opfer bringen und für den Atheismus eifern. Auf demselben Grunde beruht es, daß die eigentlich materialistischen Systeme, wie auch die absolut skeptischen, niemals einen allgemeinen, oder dauernden Einfluß haben erlangen können.
Tempel und Kirchen, Pagoden und Moscheen, in allen Landen, aus allen Zeiten, in Pracht und Größe, zeugen vom metaphysischen Bedürfniß des Menschen, welches, stark und unvertilgbar, dem physischen auf dem Fuße folgt. Freilich könnte wer satirisch gelaunt ist hinzufügen, daß dasselbe ein bescheidener Bursche sei, der mit geringer Kost vorlieb nehme. An plumpen Fabeln und abgeschmackten Mährchen läßt er sich bisweilen genügen: wenn nur früh genug eingeprägt, sind sie ihm hinlängliche Auslegungen seines Daseyns und Stützen seiner Moralität. Man betrachte z. B. den Koran: dieses schlechte Buch war hinreichend, eine Weltreligion zu begründen, das metaphysische Bedürfniß zahlloser Millionen Menschen seit 1200 Jahren zu befriedigen, die Grundlage ihrer Moral und einer bedeutenden Verachtung des Todes zu werden, wie auch, sie zu blutigen Kriegen und den ausgedehntesten Eroberungen zu begeistern. Wir finden in ihm die traurigste und ärmlichste Gestalt des Theismus. Viel mag durch die Uebersetzungen verloren gehen; aber ich habe keinen einzigen werthvollen Gedanken darin entdecken können. Dergleichen beweist, daß mit dem metaphysischen Bedürfniß die metaphysische Fähigkeit nicht Hand in Hand geht. Doch will es scheinen, daß in den frühen Zeiten der gegenwärtigen Erdoberfläche diesem anders gewesen sei und daß Die, welche der Entstehung des Menschengeschlechts und dem Urquell der organischen Natur bedeutend näher standen, als wir, auch noch theils größere Energie der intuitiven Erkenntnißkräfte, theils eine richtigere Stimmung des Geistes hatten, wodurch sie einer reineren, unmittelbaren Auffassung des Wesens der Natur fähig und dadurch im Stande waren, dem metaphysischen Bedürfniß auf eine würdigere Weise zu genügen: so entstanden in den Urvätern der Brahmanen, den Rischis, die fast übermenschlichen Konceptionen, welche später in den Upanischaden der Veden niedergelegt wurden.
Niemals hingegen hat es an Leuten gefehlt, welche auf jenes metaphysische Bedürfniß des Menschen ihren Unterhalt zu gründen und dasselbe möglichst auszubeuten bemüht waren; daher es unter allen Völkern Monopolisten und Generalpächter desselben giebt: die Priester. Ihr Gewerbe mußte ihnen jedoch überall dadurch gesichert werden, daß sie das Recht erhielten, ihre metaphysischen Dogmen den Menschen sehr früh beizubringen, ehe noch die Urtheilskraft aus ihrem Morgenschlummer erwacht ist, also in der ersten Kindheit: denn da haftet jedes wohl eingeprägte Dogma, sei es auch noch so unsinnig, auf immer. Hätten sie zu warten, bis die Urtheilskraft reif ist; so würden ihre Privilegien nicht bestehen können.
Eine zweite, wiewohl nicht zahlreiche Klasse von Leuten, welche ihren Unterhalt aus dem metaphysischen Bedürfniß der Menschen zieht, machen die aus, welche von der Philosophie leben: bei den Griechen hießen sie Sophisten, bei den Neueren Professoren der Philosophie. Aristoteles zählt ( Metaph., II, 2) den Aristipp unbedenklich den Sophisten bei: den Grund dazu finden wir bei Diogenes Laertius (II, 65), daß nämlich er der Erste unter den Sokratikern gewesen, der sich seine Philosophie bezahlen ließ; weshalb auch Sokrates ihm sein Geschenk zurücksandte. Auch bei den Neueren sind die, welche von der Philosophie leben, nicht nur, in der Regel und mit den seltensten Ausnahmen, ganz Andere, als die, welche für die Philosophie leben; sondern sogar sind sie sehr oft die Widersacher, die heimlichen und unversöhnlichen Feinde dieser: denn jede ächte und bedeutende philosophische Leistung wird auf die ihrigen zu viel Schatten werfen und überdies den Absichten und Beschränkungen der Gilde sich nicht fügen; weshalb sie allezeit bemüht sind, eine solche nicht aufkommen zu lassen, wozu dann, nach Maaßgabe der jedesmaligen Zeiten und Umstände, bald Verhehlen, Zudecken, Verschweigen, Ignoriren, Sekretiren, bald Verneinen, Verkleinern, Tadeln, Lästern, Verdrehen, bald Denunziren und Verfolgen die üblichen Mittel sind. Daher hat denn auch schon mancher große Kopf, unerkannt, ungeehrt, unbelohnt, sich keuchend durchs Leben schleppen müssen, bis endlich nach seinem Tode die Welt über ihn enttäuscht wurde, und über sie. Inzwischen hatten sie ihren Zweck erreicht, hatten gegolten, dadurch daß sie ihn nicht gelten ließen, und hatten mit Weib und Kind von der Philosophie gelebt, während Jener für diese lebte. Ist er aber todt; da kehrt die Sache sich um: die neue Generation jener stets Vorhandenen wird nun der Erbe seiner Leistungen, schneidet sie nach ihrem Maaßstab sich zurecht und lebt jetzt von ihm. Daß jedoch Kant zugleich von und für die Philosophie leben konnte, beruhte auf dem seltenen Umstande, daß, zum ersten Male wieder, seit dem Divo Antonino und Divo Juliano, ein Philosoph auf dem Throne saß: nur unter solchen Auspicien konnte die Kritik der reinen Vernunft das Licht erblicken. Kaum war der König todt, so sehen wir auch schon Kanten, weil er zur Gilde gehörte, von Furcht ergriffen, sein Meisterwerk in der zweiten Ausgabe modifiziren, kastriren und verderben, dennoch aber bald in Gefahr kommen, seine Stelle zu verlieren; so daß ihn Campe in Braunschweig einlud, zu ihm zu kommen, um als das Oberhaupt seiner Familie bei ihm zu leben ( Ring, Ansichten aus Kants Leben, S. 68). Mit der Universitätsphilosophie ist es in der Regel bloße Spiegelfechterei: der wirkliche Zweck derselben ist, den Studenten, im tiefsten Grunde ihres Denkens, diejenige Geistesrichtung zu geben, welche das die Professuren besetzende Ministerium seinen Absichten angemessen hält. Daran mag dieses, im staatsmännischen Sinn, auch ganz Recht haben: nur folgt daraus, daß solche Kathederphilosophie ein nervis alienis mobile lignum ist und nicht für ernstliche, sondern nur für Spaaßphilosophie gelten kann. Auch bleibt es jedenfalls billig, daß eine solche Beaufsichtigung, oder Leitung, sich bloß auf die Kathederphilosophie erstrecke, nicht aber auf die wirkliche, welche es ernstlich meint. Denn, wenn irgend etwas auf der Welt wünschenswerth ist, so wünschenswert, daß selbst der rohe und dumpfe Haufen, in seinen besonneneren Augenblicken, es höher schätzen würde, als Silber und Gold; so ist es, daß ein Lichtstrahl fiele auf das Dunkel unsers Daseyns und irgend ein Aufschluß uns würde über diese räthselhafte Existenz, an der nichts klar ist, als ihr Elend und ihre Nichtigkeit. Dies aber wird, gesetzt es sei an sich erreichbar, durch aufgedrungene und aufgezwungene Lösungen des Problems unmöglich gemacht.
Jetzt aber wollen wir die verschiedenen Weisen der Befriedigung, welche diesem so starken metaphysischen Bedürfnisse wird, einer allgemeinen Betrachtung unterwerfen.
Unter Metaphysik verstehe ich jede angebliche Erkenntniß, welche über die Möglichkeit der Erfahrung, also über die Natur, oder die gegebene Erscheinung der Dinge, hinausgeht, um Aufschluß zu ertheilen über Das, wodurch jene, in einem oder dem andern Sinne, bedingt wäre; oder, populär zu reden, über Das, was hinter der Natur steckt und sie möglich macht. – Nun aber setzt die große ursprüngliche Verschiedenheit der Verstandeskräfte, wozu noch die der viele Muße erfordernden Ausbildung derselben kommt, einen so großen Unterschied zwischen Menschen, daß, sobald ein Volk sich aus dem Zustande der Rohheit herausgearbeitet hat, nicht wohl eine Metaphysik für Alle ausreichen kann; daher wir bei den civilisirten Völkern durchgängig zwei verschiedene Arten derselben antreffen, welche sich dadurch unterscheiden, daß die eine ihre Beglaubigung in sich, die andere sie außer sich hat. Da die metaphysischen Systeme der ersten Art, zur Rekognition ihrer Beglaubigung, Nachdenken, Bildung, Muße und Urtheil erfordern; so können sie nur einer äußerst geringen Anzahl von Menschen zugänglich seyn, auch nur bei bedeutender Civilisation entstehen und sich erhalten. Für die große Anzahl der Menschen hingegen, als welche nicht zu denken, sondern nur zu glauben befähigt und nicht für Gründe, sondern nur für Autorität empfänglich ist, sind ausschließlich die Systeme der zweiten Art: diese können deshalb als Volksmetaphysik bezeichnet werden, nach Analogie der Volkspoesie, auch der Volksweisheit, worunter man die Sprichwörter versteht. Jene Systeme sind indessen unter dem Namen der Religionen bekannt und finden sich bei allen Völkern, mit Ausnahme der allerrohesten. Ihre Beglaubigung ist, wie gesagt, äußerlich und heißt als solche Offenbarung, welche dokumentirt wird durch Zeichen und Wunder. Ihre Argumente sind hauptsächlich Drohungen mit ewigen, auch wohl mit zeitlichen Uebeln, gerichtet gegen die Ungläubigen, ja schon gegen die bloßen Zweifler: als ultima ratio theologorum finden wir, bei manchen Völkern, den Scheiterhaufen, oder dem Aehnliches. Suchen sie eine andere Beglaubigung, oder gebrauchen sie andere Argumente; so machen sie schon einen Uebergang in die Systeme der ersten Art und können zu einem Mittelschlag beider ausarten; welches mehr Gefahr als Vortheil bringt. Denn ihnen giebt die sicherste Bürgschaft für den fortdauernden Besitz der Köpfe ihr unschätzbares Vorrecht, den Kindern beigebracht zu werden, als wodurch ihre Dogmen zu einer Art von zweitem angeborenen Intellekt einwachsen, gleich dem Zweige auf dem gepfropften Baum; während hingegen die Systeme der ersten Art sich immer nur an Erwachsene wenden, bei diesen aber allemal schon ein System der zweiten Art im Besitz der Ueberzeugung vorfinden. – Beide Arten der Metaphysik, deren Unterschied sich kurz durch Ueberzeugungslehre und Glaubenslehre bezeichnen läßt, haben Dies gemein, daß jedes einzelne System derselben in einem feindlichen Verhältniß zu allen übrigen seiner Art steht. Zwischen denen der ersten Art wird der Krieg nur mit Wort und Schrift, zwischen denen der zweiten auch mit Feuer und Schwert geführt: manche von diesen haben ihre Verbreitung zum Theil dieser letztern Art der Polemik zu danken, und alle haben nach und nach die Erde unter sich getheilt, und zwar mit so entschiedener Herrschaft, daß die Völker sich mehr nach ihnen, als nach der Nationalität, oder der Regierung unterscheiden und sondern. Nur sie sind, jede in ihrem Bezirke, herrschend, die der ersten Art hingegen höchstens tolerirt, und auch dies nur, weil man, wegen der geringen Anzahl ihrer Anhänger, sie meistens der Bekämpfung durch Feuer und Schwerdt nicht werth hält; wiewohl, wo es nöthig schien, auch diese mit Erfolg gegen sie angewendet worden sind: zudem finden sie sich bloß sporadisch. Meistens hat man sie jedoch nur in einem Zustande der Zähmung und Unterjochung geduldet, indem das im Lande herrschende System der zweiten Art ihnen vorschrieb, ihre Lehren seinen eigenen, mehr oder weniger eng, anzupassen. Bisweilen hat es sie nicht nur unterjocht, sondern sogar dienstbar gemacht und als Vorspann gebraucht; welches jedoch ein gefährliches Experiment ist; da jene Systeme der ersten Art, weil ihnen die Gewalt genommen ist, sich durch List helfen zu dürfen glauben und eine geheime Tücke nie ganz ablegen, die sich dann bisweilen unvermuthet hervorthut und schwer zu heilenden Schaden stiftet. Denn überdies wird ihre Gefährlichkeit dadurch erhöht, daß sämmtliche Realwissenschaften, sogar die unschuldigsten nicht ausgenommen, ihre heimlichen Alliirten gegen die Systeme der zweiten Art sind, und, ohne selbst mit diesen in offenem Kriege zu stehen, plötzlich und unerwartet großen Schaden auf dem Gebiete derselben anrichten. Zudem ist der durch die erwähnte Dienstbarmachung bezweckte Versuch, einem System, welches ursprünglich eine Beglaubigung außerhalb hat, dazu noch eine von innen geben zu wollen, seiner Natur nach, mißlich: denn, wäre es einer solchen Beglaubigung fähig; so hätte es keiner äußern bedurft. Und überhaupt ist es stets ein Wagestück, einem fertigen Gebäude ein neues Fundament unterschieben zu wollen. Wie sollte überdies eine Religion noch des Suffragiums einer Philosophie bedürfen! Sie hat ja Alles auf ihrer Seite: Offenbarung, Urkunden, Wunder, Prophezeiungen, Schutz der Regierung, den höchsten Rang, wie er der Wahrheit gebührt, Beistimmung und Verehrung Aller, tausend Tempel, in denen sie verkündigt und geübt wird, geschworene Priesterschaaren, und, was mehr als Alles ist, das unschätzbare Vorrecht, ihre Lehren dem zarten Kindesalter einprägen zu dürfen, wodurch sie fast zu angeborenen Ideen werden. Um bei solchem Reichthum an Mitteln noch die Beistimmung armsäliger Philosophen zu verlangen, müßte sie habsüchtiger, oder, um den Widerspruch derselben zu besorgen, furchtsamer seyn, als mit einem guten Gewissen vereinbar scheint.
An den oben aufgestellten Unterschied zwischen Metaphysik der ersten und der zweiten Art knüpft sich noch folgender. Ein System der ersten Art, also eine Philosophie, macht den Anspruch und hat daher die Verpflichtung, in Allem, was sie sagt, sensu stricto et proprio wahr zu seyn: denn sie wendet sich an das Denken und die Ueberzeugung. Eine Religion hingegen, für die Unzähligen bestimmt, welche, der Prüfung und des Denkens unfähig, die tiefsten und schwierigsten Wahrheiten sensu proprio nimmermehr fassen würden, hat auch nur die Verpflichtung sensu allegorico wahr zu seyn. Nackt kann die Wahrheit vor dem Volke nicht erscheinen. Ein Symptom dieser allegorischen Natur der Religionen sind die vielleicht in jeder anzutreffenden Mysterien, nämlich gewisse Dogmen, die sich nicht ein Mal deutlich denken lassen, geschweige wörtlich wahr seyn können. Ja, vielleicht ließe sich behaupten, daß einige völlige Widersinnigkeiten, einige wirkliche Absurditäten, ein wesentliches Ingredienz einer vollkommenen Religion seien: denn diese sind eben der Stämpel ihrer allegorischen Natur und die allein passende Art, dem gemeinen Sinn und rohen Verstände fühlbar zu machen, was ihm unbegreiflich wäre, nämlich daß die Religion im Grunde von einer ganz andern, von einer Ordnung der Dinge an sich handelt, vor welcher die Gesetze dieser Erscheinungswelt, denen gemäß sie sprechen muß, verschwinden, und daß daher nicht bloß die widersinnigen Dogmen, sondern auch die begreiflichen, eigentlich nur Allegorien und Akkommodationen zur menschlichen Fassungskraft sind. In diesem Geiste scheint mir Augustinus und selbst Luther die Mysterien des Christenthums festgehalten zu haben, im Gegensatz des Pelagianismus, der Alles zur platten Verständlichkeit herabziehen möchte. Von diesem Gesichtspunkte aus wird auch begreiflich, wie Tertullian, ohne zu spotten, sagen konnte: Prorsus credibile est, quia ineptum est: – – certum est, quia impossibile. (De carne Christi, c. 5.) – Diese ihre allegorische Natur entzieht auch die Religionen den der Philosophie obliegenden Beweisen und überhaupt der Prüfung; statt deren sie Glauben verlangen, d. h. eine freiwillige Annahme, daß es sich so verhalte. Da sodann der Glaube das Handeln leitet, und die Allegorie allemal so gestellt ist, daß sie, in Hinsicht auf das Praktische, eben dahin führt, wohin die Wahrheit sensu proprio auch führen würde: so verheißt die Religion Denen, welche glauben, mit Recht die ewige Säligkeit. Wir sehen also, daß die Religionen die Stelle der Metaphysik überhaupt, deren Bedürfniß der Mensch als unabweisbar fühlt, in der Hauptsache und für die große Menge, welche nicht dem Denken obliegen kann, recht gut ausfüllen, theils nämlich zum praktischen Behuf, als Leitstern ihres Handelns, als öffentliche Standarte der Rechtlichkeit und Tugend, wie Kant es vortrefflich ausdrückt; theils als unentbehrlicher Trost in den schweren Leiden des Lebens, als wo sie die Stelle einer objektiv wahren Metaphysik vollkommen vertreten, indem sie, so gut wie diese nur irgend könnte, den Menschen über sich selbst und das zeitliche Daseyn hinausheben: hierin zeigt sich glänzend der große Werth derselben, ja, ihre Unentbehrlichkeit. Denn φιλόσοφον πλῆϑος ἀδύνατον εἶναι ( vulgus philosophum esse impossibile est) sagt schon Plato und mit Recht ( De Rep., VI, p. 89, Bip.). Der einzige Stein des Anstoßes hingegen ist dieser, daß die Religionen ihre allegorische Natur nicht eingestehen dürfen, sondern sich als sensu proprio wahr zu behaupten haben. Dadurch thun sie einen Eingriff in das Gebiet der eigentlichen Metaphysik, und rufen den Antagonismus dieser hervor, der daher zu allen Zeiten, in denen sie nicht an die Kette gelegt worden, sich äußert. – Auf dem Verkennen der allegorischen Natur jeder Religion beruht auch der in unsern Tagen so anhaltend geführte Streit zwischen Supernaturalisten und Rationalisten. Beide nämlich wollen das Christenthum sensu proprio wahr haben: in diesem Sinne wollen die ersteren es ohne Abzug, gleichsam mit Haut und Haar, behaupten; wobei sie, den Kenntnissen und der allgemeinen Bildung des Zeitalters gegenüber, einen schweren Stand haben. Die anderen hingegen suchen alles eigentümlich Christliche hinauszuexegesiren; wonach sie etwas übrig behalten, das weder sensu proprio noch sensu allegorico wahr ist, vielmehr eine bloße Platitüde, beinahe nur Judenthum, oder höchstens seichter Pelagianismus, und, was das Schlimmste, niederträchtiger Optimismus, der dem eigentlichen Christenthum durchaus fremd ist. Ueberdies versetzt der Versuch, eine Religion aus der Vernunft zu begründen, sie in die andere Klasse der Metaphysik, in die, welche ihre Beglaubigung in sich selbst hat, also auf einen fremden Boden, auf den der philosophischen Systeme, und sonach in den Kampf, den diese, auf ihrer eigenen Arena, gegen einander führen, folglich unter das Gewehrfeuer des Skepticismus und das schwere Geschütz der Kritik der reinen Vernunft: sich aber dahin zu begeben, wäre für sie offenbare Vermessenheit.
Beiden Arten der Metaphysik wäre es am zuträglichsten, daß jede von der andern rein gesondert bliebe und sich auf ihrem eigenen Gebiete hielte, um daselbst ihr Wesen vollkommen entwickeln zu können. Statt dessen ist man schon das ganze Christliche Zeitalter hindurch bemüht, vielmehr eine Fusion beider zu bewerkstelligen, indem man die Dogmen und Begriffe der einen in die andere überträgt, wodurch man beide verdirbt. Am unverholensten ist dies in unsern Tagen geschehen in jenem seltsamen Zwitter oder Kentauren, der sogenannten Religionsphilosophie, welche, als eine Art Gnosis, bemüht ist, die gegebene Religion zu deuten und das sensu allegorico Wahre durch ein sensu proprio Wahres auszulegen. Allein dazu müßte man die Wahrheit sensu proprio schon kennen und besitzen: alsdann aber wäre jene Deutung überflüssig. Denn bloß aus der Religion die Metaphysik, d. i. die Wahrheit sensu proprio, durch Auslegung und Umdeutung erst finden zu wollen, wäre ein mißliches und gefährliches Unternehmen, zu welchem man sich nur dann entschließen könnte, wenn es ausgemacht wäre, daß die Wahrheit, gleich dem Eisen und andern unedlen Metallen, nur im vererzten, nicht im gediegenen Zustande vorkommen könne, daher man sie nur durch Reduktion aus der Vererzung gewinnen könnte. –
Religionen sind dem Volke nothwendig, und sind ihm eine unschätzbare Wohlthat. Wenn sie jedoch den Fortschritten der Menschheit in der Erkenntniß der Wahrheit sich entgegenstellen wollen; so müssen sie mit möglichster Schonung bei Seite geschoben werden. Und zu verlangen, daß sogar ein großer Geist – ein Shakespeare, ein Goethe – die Dogmen irgend einer Religion impliciter, bona fide et sensu proprio zu seiner Ueberzeugung mache, ist wie verlangen, daß ein Riese den Schuh eines Zwerges anziehe.
Religionen können, als auf die Fassungskraft der großen Menge berechnet, nur eine mittelbare, nicht eine unmittelbare Wahrheit haben: diese von ihnen verlangen, ist, wie wenn man die im Buchdruckerrahmen aufgesetzten Lettern lesen wollte, statt ihres Abdrucks. Der Werth einer Religion wird demnach abhängen von dem größern oder geringern Gehalt an Wahrheit, den sie, unter dem Schleier der Allegorie, in sich trägt, sodann von der größern oder geringern Deutlichkeit, mit welcher derselbe durch diesen Schleier sichtbar wird, also von der Durchsichtigkeit des letztern. Fast scheint es, daß, wie die ältesten Sprachen die vollkommensten sind, so auch die ältesten Religionen. Wollte ich die Resultate meiner Philosophie zum Maaßstabe der Wahrheit nehmen, so müßte ich dem Buddhaismus den Vorzug vor den anderen zugestehen. Jeden Falls muß es mich freuen, meine Lehre in so großer Uebereinstimmung mit einer Religion zu sehen, welche die Majorität auf Erden für sich hat; da sie viel mehr Bekenner zählt, als irgend eine andere. Diese Uebereinstimmung muß mir aber um so erfreulicher seyn, als ich, bei meinem Philosophiren, gewiß nicht unter ihrem Einfluß gestanden habe. Denn bis 1818, da mein Werk erschien, waren über den Buddhaismus nur sehr wenige, höchst unvollkommene und dürftige Berichte in Europa zu finden, welche sich fast gänzlich auf einige Aufsätze in den früheren Bänden der Asiatic researches beschränkten und hauptsächlich den Buddhaismus der Birmanen betrafen. Erst seitdem ist nach und nach eine vollständigere Kunde von dieser Religion zu uns gelangt, hauptsächlich durch die gründlichen und lehrreichen Abhandlungen des verdienstvollen Petersburger Akademikers I. J. Schmidt, in den Denkschriften seiner Akademie, und sodann allmälig durch mehrere Englische und Französische Gelehrte, so daß ich habe ein ziemlich zahlreiches Verzeichniß der besten Schriften über diese Glaubenslehre liefern können, in meiner Schrift »Ueber den Willen in der Natur«, unter der Rubrik Sinologie. – Leider ist uns Csoma Körösi, dieser beharrliche Ungar, der, um die Sprache und die heiligen Schriften des Buddhaismus zu studiren, viele Jahre in Tibet und besonders in den Buddhaistischen Klöstern zugebracht hat, gerade dann durch den Tod entrissen, als er anfieng, den Ertrag seiner Forschungen für uns auszuarbeiten. Ich kann inzwischen die Freude nicht verleugnen, mit welcher ich in seinen vorläufigen Berichten manche unmittelbar aus dem Kahgyur selbst referirte Stellen lese, z. B. folgende Unterredung des sterbenden Buddha mit dem ihm huldigenden Brahma: There is a description of their conversation on the subject of creation, – by whom was the world made. Shakya asks several questions of Brahma, – whether was it he, who made or produced such and such things, and endowed or blessed them with such and such virtues or properties, – whether was it he who caused the several revolutions in the destruction and regeneration of the world. He denies that he had ever done anything to that effect. At last he himself asks Shakya how the world was made, – by whom? Here are attributed all changes in the world to the moral works of the animal beings, and it is stated that in the world all is illusion, there is no reality in the things; all is empty. Brahma being instructed in his doctrine, becomes his follower. (Asiatic researches, Vol. 20, p. 434.) »Es findet sich eine Beschreibung ihrer Unterredung, deren Gegenstand die Schöpfung ist, – durch wen die Welt hervorgebracht sei? Buddha richtet mehrere Fragen an Brahma: ob er es gewesen, der dies oder jenes Ding gemacht, oder hervorgebracht, und es mit dieser oder jener Eigenschaft begabt habe? ob er es gewesen, der die verschiedenen Umwälzungen zur Zerstörung und Wiederherstellung der Welt verursacht habe? – Brahma leugnet, daß er jemals irgend etwas dergleichen gethan habe. Endlich frägt er selbst den Buddha, wie die Welt hervorgebracht sei, – durch wen? Nun werden alle Veränderungen der Welt den moralischen Werken animalischer Wesen zugeschrieben, und wird gesagt, daß Alles in der Welt bloße Illusion sei, keine Realität in den Dingen, Alles leer. Der also in Buddha's Lehre unterrichtete Brahma wird sein Anhänger.«
Den Fundamentalunterschied aller Religionen kann ich nicht, wie durchgängig geschieht, darin setzen, ob sie monotheistisch, polytheistisch, pantheistisch, oder atheistisch sind; sondern nur darin, ob sie optimistisch oder pessimistisch sind, d. h. ob sie das Daseyn dieser Welt als durch sich selbst gerechtfertigt darstellen, mithin es loben und preisen, oder aber es betrachten als etwas, das nur als Folge unserer Schuld begriffen werden kann und daher eigentlich nicht seyn sollte, indem sie erkennen, daß Schmerz und Tod nicht liegen können in der ewigen, ursprünglichen, unabänderlichen Ordnung der Dinge, in Dem, was in jedem Betracht seyn sollte. Die Kraft, vermöge welcher das Christenthum zunächst das Judenthum und dann das Griechische und Römische Heidenthum überwinden konnte, liegt ganz allein in seinem Pessimismus, in dem Eingeständniß, daß unser Zustand ein höchst elender und zugleich sündlicher ist, während Judenthum und Heidenthum optimistisch waren. Jene von Jedem tief und schmerzlich gefühlte Wahrheit schlug durch und hatte das Bedürfniß der Erlösung in ihrem Gefolge. –
Ich wende mich zur allgemeinen Betrachtung der andern Art der Metaphysik, also derjenigen, welche ihre Beglaubigung in sich selbst hat und Philosophie genannt wird. Ich erinnere an den oben erörterten Ursprung derselben aus einer Verwunderung über die Welt und unser eigenes Daseyn, indem diese sich dem Intellekt als ein Räthsel aufdringen, dessen Lösung sodann die Menschheit ohne Unterlaß beschäftigt. Hier nun will ich zuvörderst darauf aufmerksam machen, daß Diesem nicht so seyn könnte, wenn die Welt im Spinozischen, in unsern Tagen unter modernen Formen und Darstellungen als Pantheismus so oft wieder vorgebrachten Sinn, eine » absolute Substanz«, mithin ein schlechthin nothwendiges Wesen wäre. Denn dies besagt, daß sie mit einer so großen Nothwendigkeit existire, daß neben derselben jede andere, unserm Verstande als solche faßliche Nothwendigkeit wie ein Zufall aussehen müßte: sie wäre nämlich alsdann Etwas, das nicht nur alles wirkliche, sondern auch alles irgend mögliche Daseyn dergestalt in sich begriffe, daß, wie Spinoza eben auch angiebt, die Möglichkeit und die Wirklichkeit desselben ganz und gar Eins wären, dessen Nichtseyn daher auch die Unmöglichkeit selbst wäre, also Etwas, dessen Nichtseyn, oder Andersseyn, völlig undenkbar seyn müßte, welches mithin sich so wenig wegdenken ließe, wie z. B. der Raum oder die Zeit. Indem ferner wir selbst Theile, Modi, Attribute oder Accidenzien einer solchen absoluten Substanz wären, welche das Einzige wäre, was, in irgend einem Sinne, jemals und irgendwo daseyn könnte; so müßte unser und ihr Daseyn, nebst der Beschaffenheit desselben, weit entfernt, sich uns als auffallend, problematisch, ja, als das unergründliche, uns stets beunruhigende Räthsel darzustellen, sich, im Gegentheil, noch viel mehr von selbst verstehen, als daß 2 Mal 2 vier ist. Denn wir müßten gar nicht anders irgend zu denken fähig seyn, als daß die Welt sei, und so sei, wie sie ist: mithin müßten wir ihres Daseyns als solchen, d. h. als eines Problems zum Nachdenken, so wenig uns bewußt werden, als wir die unglaublich schnelle Bewegung unsers Planeten empfinden.
Diesem Allen ist nun aber ganz und gar nicht so. Nur dem gedankenlosen Thiere scheint sich die Welt und das Daseyn von selbst zu verstehen: dem Menschen hingegen ist sie ein Problem, dessen sogar der Roheste und Beschränkteste, in einzelnen helleren Augenblicken, lebhaft inne wird, das aber Jedem um so deutlicher und anhaltender ins Bewußtseyn tritt, je heller und besonnener dieses ist und je mehr Stoff zum Denken er durch Bildung sich angeeignet hat, welches Alles endlich in den zum Philosophiren geeigneten Köpfen sich zu Platons ϑαυμαζειν, μαλα φιλοσοφιχον παϑος ( mirari, valde philosophicus affectus) steigert, nämlich zu derjenigen Verwunderung, die das Problem, welches die edlere Menschheit jeder Zeit und jedes Landes unablässig beschäftigt und ihr keine Ruhe läßt, in seiner ganzen Größe erfaßt. In der That ist die Unruhe, welche die nie ablaufende Uhr der Metaphysik in Bewegung erhält, das Bewußtseyn, daß das Nichtseyn dieser Welt eben so möglich sei, wie ihr Daseyn. Daher also ist die Spinozistische Ansicht derselben als eines absolut nothwendigen Wesens, d. h. als Etwas, das schlechterdings und in jedem Sinn seyn sollte und müßte, eine falsche. Geht doch selbst der einfache Theismus, in seinem kosmologischen Beweise, stillschweigend davon aus, daß er vom Daseyn der Welt auf ihr vorheriges Nichtseyn schließt: er nimmt sie mithin vorweg als ein Zufälliges. Ja, was mehr ist, wir fassen sehr bald die Welt auf als Etwas, dessen Nichtseyn nicht nur denkbar, sondern sogar ihrem Daseyn vorzuziehen wäre; daher unsere Verwunderung über sie leicht übergeht in ein Brüten über jene Fatalität, welche dennoch ihr Daseyn hervorrufen konnte, und vermöge deren eine so unermeßliche Kraft, wie zur Hervorbringung und Erhaltung einer solchen Welt erfordert ist, so sehr gegen ihren eigenen Vortheil geleitet werden konnte. Das philosophische Erstaunen ist demnach im Grunde ein bestürztes und betrübtes: die Philosophie hebt, wie die Ouvertüre zum Don Juan, mit einem Mollakkord an. Hieraus ergiebt sich, daß sie weder Spinozismus, noch Optimismus seyn darf. – Die so eben ausgesprochene nähere Beschaffenheit des Erstaunens, welches zum Philosophiren treibt, entspringt offenbar aus dem Anblick des Uebels und des Bösen in der Welt, welche, selbst wenn sie im gerechtesten Verhältniß zu einander ständen, ja, auch noch vom Guten weit überwogen würden, dennoch etwas sind, was ganz und gar und überhaupt nicht seyn sollte. Weil nun aber nichts aus Nichts entstehen kann; so müssen auch jene ihren Keim im Ursprunge, oder im Kern der Welt selbst haben. Dies anzunehmen wird uns schwer, wenn wir auf die Größe, Ordnung und Vollendung der physischen Welt sehen, indem wir meynen, daß was die Macht hatte, eine solche hervorzubringen, auch wohl hätte das Uebel und das Böse müssen vermeiden können. Am allerschwersten wird jene Annahme (deren aufrichtigster Ausdruck Ormuzd und Ahriman ist) begreiflicherweise dem Theismus. Daher wurde, um zuvörderst das Böse zu beseitigen, die Freiheit des Willens erfunden: diese ist jedoch nur eine versteckte Art, Etwas aus Nichts zu machen; indem sie ein Operari annimmt, das aus keinem Esse hervorginge (siehe »Die beiden Grundprobleme der Ethik«, S. 58 fg. [2. Aufl. S. 57 fg.]). Sodann das Uebel suchte man dadurch los zu werden, daß man es der Materie, oder auch einer unvermeidlichen Nothwendigkeit zur Last legte; wobei man ungern den Teufel zur Seite liegen ließ, der eigentlich das rechte Expediens ad hoc ist. Zum Uebel gehört auch der Tod: das Böse aber ist bloß das Von-sich-auf-einen-Andern-schieben des jedesmaligen Uebels. Also, wie oben gesagt, das Böse, das Uebel und der Tod sind es, welche das philosophische Erstaunen qualifiziren und erhöhen: nicht bloß, daß die Welt vorhanden, sondern noch mehr, daß sie eine so trübsälige sei, ist das punctum pruriens der Metaphysik, das Problem, welches die Menschheit in eine Unruhe versetzt, die sich weder durch Skepticismus noch durch Kriticismus beschwichtigen läßt.
Mit der Erklärung der Erscheinungen in der Welt finden wir auch die Physik (im weitesten Sinne des Worts) beschäftigt. Aber in der Natur ihrer Erklärungen selbst liegt schon, daß sie nicht genügen können. Die Physik vermag nicht auf eigenen Füßen zu stehen, sondern bedarf einer Metaphysik, sich darauf zu stützen; so vornehm sie auch gegen diese thun mag. Denn sie erklärt die Erscheinungen durch ein noch Unbekannteres, als diese selbst sind: durch Naturgesetze, beruhend auf Naturkräften, zu welchen auch die Lebenskraft gehört. Allerdings muß der ganze gegenwärtige Zustand aller Dinge auf der Welt, oder in der Natur, nothwendig aus rein physischen Ursachen erklärbar seyn. Allein eben so nothwendig müßte eine solche Erklärung, gesetzt man gelangte wirklich so weit, sie geben zu können, – stets mit zwei wesentlichen Unvollkommenheiten behaftet seyn (gleichsam mit zwei faulen Flecken, oder wie Achill mit der verwundbaren Ferse, oder der Teufel mit dem Pferdefuß), vermöge welcher alles so Erklärte doch wieder eigentlich unerklärt bliebe. Erstlich nämlich mit dieser, daß der Anfang der Alles erklärenden Kette von Ursachen und Wirkungen, d. h. zusammenhängenden Veränderungen, schlechterdings nie zu erreichen ist, sondern, eben wie die Gränzen der Welt in Raum und Zeit, unaufhörlich und ins Unendliche zurückweicht; und zweitens mit dieser, daß sämmtliche wirkende Ursachen, aus denen man Alles erklärt, stets auf einem völlig Unerklärbaren beruhen, nämlich auf den ursprünglichen Qualitäten der Dinge und den in diesen sich hervorthuenden Naturkräften, vermöge welcher jene auf bestimmte Art wirken, z. B. Schwere, Härte, Stoßkraft, Elasticität, Wärme, Elektricität, chemische Kräfte u. s. w., und welche nun in jeder gegebenen Erklärung stehen bleiben, wie eine gar nicht wegzubringende unbekannte Größe in einer sonst vollkommen aufgelösten algebraischen Gleichung; wonach es dann keine noch so gering geschätzte Thonscherbe giebt, die nicht aus lauter unerklärlichen Qualitäten zusammengesetzt wäre. Also diese zwei unausweichbaren Mängel in jeder rein physikalischen, d. h. kausalen Erklärung, zeigen an, daß eine solche nur relativ seyn kann, und daß die ganze Methode und Art derselben nicht die einzige, nicht die letzte, also nicht die genügende, d. h. nicht diejenige seyn kann, welche zur befriedigenden Lösung des schweren Räthsels der Dinge und zum wahren Verständniß der Welt und des Daseyns jemals zu führen vermag; sondern daß die physische Erklärung, überhaupt und als solche, noch einer metaphysischen bedarf, welche den Schlüssel zu allen ihren Voraussetzungen lieferte, eben deshalb aber auch einen ganz andern Weg einschlagen müßte. Der erste Schritt hiezu ist, daß man den Unterschied beider, mithin den zwischen Physik und Metaphysik, zum deutlichen Bewußtseyn bringt und festhält. Er beruht im Allgemeinen auf der Kantischen Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich. Eben weil Kant das Letztere für schlechthin unerkennbar erklärte, gab es, ihm zufolge, gar keine Metaphysik, sondern bloß immanente Erkenntniß, d. h. bloße Physik, welche stets nur von Erscheinungen reden kann, und daneben eine Kritik der nach Metaphysik strebenden Vernunft. Hier aber will ich, um den rechten Anknüpfungspunkt meiner Philosophie an die Kantische nachzuweisen, das zweite Buch anticipirend, hervorheben, daß Kant, in seiner schönen Erklärung des Zusammenbestehns der Freiheit mit der Nothwendigkeit (Kritik der reinen Vernunft, erste Auflage, S. 532 554, und Kritik der praktischen Vernunft, S. 224 bis 231 der Rosenkranzischen Ausgabe) darthut, wie eine und dieselbe Handlung einerseits aus dem Charakter des Menschen, dem Einfluß, den er im Lebenslauf erlitten, und den jetzt ihm vorliegenden Motiven, als nothwendig eintretend, vollkommen erklärbar sei, dabei aber andererseits doch als das Werk seines freien Willens angesehen werden müsse: und in gleichem Sinne sagt er, §. 53 der Prolegomena: »Zwar wird aller Verknüpfung der Ursache und Wirkung in der Sinnenwelt Naturnothwendigkeit anhangen, dagegen doch derjenigen Ursache, die selbst keine Erscheinung ist (obzwar ihr zum Grunde liegt), Freiheit zugestanden, Natur also und Freiheit eben demselben Dinge, aber in verschiedener Beziehung, ein Mal als Erscheinung, das andere Mal als einem Dinge an sich selbst, ohne Widerspruch beigelegt werden können.« Was nun also Kant von der Erscheinung des Menschen und seines Thuns lehrt, das dehnt meine Lehre auf alle Erscheinungen in der Natur aus, indem sie ihnen den Willen als Ding an sich zum Grunde legt. Dies Verfahren rechtfertigt sich zunächst schon dadurch, daß nicht angenommen werden darf, der Mensch sei von den übrigen Wesen und Dingen in der Natur specifisch, toto genere und von Grund aus verschieden, vielmehr nur dem Grade nach. – Von dieser anticipirenden Abschweifung kehre ich zurück zu unserer Betrachtung der Unzulänglichkeit der Physik, die letzte Erklärung der Dinge abzugeben. – Ich sage also: physisch ist freilich Alles, aber auch nichts erklärbar. Wie für die Bewegung der gestoßenen Kugel, muß auch zuletzt für das Denken des Gehirns eine physische Erklärung an sich möglich seyn, die dieses eben so begreiflich machte, als jene es ist. Aber eben jene, die wir so vollkommen zu verstehen wähnen, ist uns im Grunde so dunkel wie Letzteres: denn was das innere Wesen der Expansion im Raum, der Undurchdringlichkeit, Beweglichkeit, der Härte, Elasticität und Schwere sei, – bleibt, nach allen physikalischen Erklärungen, ein Mysterium, so gut wie das Denken. Weil aber bei diesem das Unerklärbare am unmittelbarsten hervortritt, machte man hier sogleich einen Sprung aus der Physik in die Metaphysik und hypostasirte eine Substanz ganz anderer Art, als alles Körperliche, – versetzte ins Gehirn eine Seele. Wäre man jedoch nicht so stumpf gewesen, nur durch die auffallendeste Erscheinung frappirt werden zu können; so hätte man die Verdauung durch eine Seele im Magen, die Vegetation durch eine Seele in der Pflanze, die Wahlverwandtschaft durch eine Seele in den Reagenzien, ja, das Fallen eines Steines durch eine Seele in diesem erklären müssen. Denn die Qualität jedes unorganischen Körpers ist eben so geheimnißvoll, wie das Leben im Lebendigen: auf gleiche Weise stößt daher überall die physische Erklärung auf ein Metaphysisches, durch welches sie vernichtet wird, d. h. aufhört Erklärung zu seyn. Nimmt man es streng, so ließe sich behaupten, daß alle Naturwissenschaft im Grunde nichts weiter leistet, als was auch die Botanik: nämlich das Gleichartige zusammenzubringen, zu klassifiziren. – Eine Physik, welche behauptete, daß ihre Erklärungen der Dinge, – im Einzelnen aus Ursachen und im Allgemeinen aus Kräften, – wirklich ausreichten und also das Wesen der Welt erschöpften, wäre der eigentliche Naturalismus. Von Leukippos, Demokritos und Epikuros an, bis herab zum Système de la nature, dann zu Delamark, Cabanis und zu dem in diesen letzten Jahren wieder aufgewärmten Materialismus können wir den fortgesetzten Versuch verfolgen, eine Physik ohne Metaphysik aufzustellen, d. h. eine Lehre, welche die Erscheinung zum Dinge an sich machte. Aber alle ihre Erklärungen suchen den Erklärern selbst und Andern zu verbergen, daß sie die Hauptsache, ohne Weiteres, voraussetzen. Sie bemühen sich zu zeigen, daß alle Phänomene, auch die geistigen, physisch sind: mit Recht; nur sehen sie nicht ein, daß alles Physische andererseits zugleich ein Metaphysisches ist. Dies ist aber auch, ohne Kant, schwer einzusehen; da es die Unterscheidung der Erscheinung vom Ding an sich voraussetzt. Dennoch hat sich, selbst ohne diese, Aristoteles, so sehr er auch zur Empirie geneigt und von Platonischer Hyperphysik entfernt war, von jener beschränkten Ansicht frei gehalten: er sagt: Ει μεν ουν μη εστι τις ἑτεϱα ουσια παϱα τας φυσει συνεστηχυιας, ἡ φυσιχη αν ειη πϱωτη επιστημη· ει δε εστι τις ουσια αχινητος, αὑτη πϱοτεϱα χαι φιλοσοφια πϱωτη, χαι χαϑολου οὑτως, ὁτι πϱωτη· χαι πεϱι του οντος ᾑ ον, ταυτης αν ειη ϑεωϱησαι. ( Si igitur non est aliqua alia substantia, praeter eas, quae natura consistunt, physica profecto prima scientia esset: quodsi autem est aliqua substantia immobilis, haec prior et philosophia prima, et universalis sic, quod prima; et de ente, prout ens est, speculari hujus est.) Metaph., V, 1. Eine solche absolute Physik, wie oben beschrieben, welche für keine Metaphysik Raum ließe, würde die Natura naturata zur Natura naturans machen: sie wäre die auf den Thron der Metaphysik gesetzte Physik, würde jedoch, auf dieser hohen Stelle, sich fast so ausnehmen, wie Holbergs theatralischer Kannengießer, den man zum Burgemeister gemacht. Sogar hinter dem an sich abgeschmackten, auch meistens boshaften Vorwurf des Atheismus liegt, als seine innere Bedeutung und ihm Kraft ertheilende Wahrheit, der dunkle Begriff einer solchen absoluten Physik ohne Metaphysik. Allerdings müßte eine solche für die Ethik zerstörend seyn, und wie man fälschlich den Theismus für unzertrennlich von der Moralität gehalten hat, so gilt Dies in Wahrheit nur von einer Metaphysik überhaupt d. h. von der Erkenntniß, daß die Ordnung der Natur nicht die einzige und absolute Ordnung der Dinge sei. Daher kann man als das nothwendige Credo aller Gerechten und Guten dieses aufstellen: »ich glaube an eine Metaphysik«. In dieser Hinsicht ist es wichtig und nothwendig, daß man sich von der Unhaltbarkeit einer absoluten Physik überzeuge; um so mehr, da diese, der eigentliche Naturalismus, eine Ansicht ist, die sich dem Menschen von selbst und stets von Neuem aufdringt und nur durch tiefere Spekulation vernichtet werden kann, als deren Surrogat, in dieser Hinsicht, allerlei Systeme und Glaubenslehren, insofern und so lange sie gelten, freilich auch dienen. Daß aber eine grundfalsche Ansicht sich dem Menschen von selbst aufdringt und erst künstlich entfernt werden muß, ist daraus erklärlich, daß der Intellekt ursprünglich nicht bestimmt ist, uns über das Wesen der Dinge zu belehren, sondern nur ihre Relationen, in Bezug auf unsern Willen, uns zu zeigen: er ist, wie wir im zweiten Buche finden werden, das bloße Medium der Motive. Daß nun in diesem die Welt sich auf eine Weise schematisirt, welche eine ganz andere, als die schlechthin wahre Ordnung der Dinge darstellt, weil sie uns eben nicht den Kern, sondern nur die äußere Schaale derselben zeigt, geschieht accidentaliter und kann dem Intellekt nicht zum Vorwurf gereichen; um so weniger, als er doch wieder in sich selbst die Mittel findet, jenen Irrthum zu rektificiren, indem er zur Unterscheidung zwischen Erscheinung und Wesen an sich der Dinge gelangt, welche Unterscheidung im Grunde zu allen Zeiten dawar, nur meistens sehr unvollkommen zum Bewußtseyn gebracht und daher ungenügend ausgesprochen wurde, sogar oft in seltsamer Verkleidung auftrat. Schon die Christlichen Mystiker z. B. erklären den Intellekt, indem sie ihn das Licht der Natur nennen, für unzulänglich, das wahre Wesen der Dinge zu erfassen. Er ist gleichsam eine bloße Flächenkraft, wie die Elektricität, und dringt nicht in das Innere der Wesen.
Die Unzulänglichkeit des reinen Naturalismus tritt, wie gesagt, zuvörderst, auf dem empirischen Wege selbst, dadurch hervor, daß jede physikalische Erklärung das Einzelne aus seiner Ursache erklärt, die Kette dieser Ursachen aber, wie wir a priori, mithin völlig gewiß wissen, ins Unendliche rückwärts läuft, so daß schlechthin keine jemals die erste seyn konnte. Sodann aber wird die Wirksamkeit jeder Ursache zurückgeführt auf ein Naturgesetz, und dieses endlich auf eine Naturkraft, welche nun als das schlechthin Unerklärliche stehen bleibt. Dieses Unerklärliche aber, auf welches alle Erscheinungen jener so klar gegebenen und so natürlich erklärbaren Welt, von der höchsten bis zur niedrigsten, zurückgeführt werden, verräth eben, daß die ganze Art solcher Erklärung nur eine bedingte, gleichsam nur ex concessis ist, und keineswegs die eigentliche und genügende; daher ich oben sagte, daß physisch Alles und nichts erklärbar sei. Jenes schlechthin Unerklärliche, welches alle Erscheinungen durchzieht, bei den höchsten, z. B. bei der Zeugung, am auffallendesten, jedoch auch bei den niedrigsten, z. B. den mechanischen, eben so wohl vorhanden ist, giebt Anweisung auf eine der physischen Ordnung der Dinge zum Grunde liegende ganz anderartige, welche eben Das ist, was Kant die Ordnung der Dinge an sich nennt und was den Zielpunkt der Metaphysik ausmacht. – Zweitens aber erhellt die Unzulänglichkeit des reinen Naturalismus aus jener philosophischen Grundwahrheit, welche wir in der ersten Hälfte dieses Buches ausführlich betrachtet haben und die eben auch das Thema der Kritik der reinen Vernunft ist: daß nämlich alles Objekt, sowohl seinem objektiven Daseyn überhaupt, als der Art und Weise (dem Formellen) dieses Daseyns nach, durch das erkennende Subjekt durchweg bedingt, mithin bloße Erscheinung, nicht Ding an sich ist; wie dies §. 7 des ersten Bandes auseinandergesetzt und daselbst dargethan worden, daß nichts täppischer seyn kann, als daß man, nach Weise aller Materialisten, das Objektive unbesehens als schlechthin gegeben nimmt, um aus ihm Alles abzuleiten, ohne irgend das Subjektive zu berücksichtigen, mittelst dessen, ja in welchem, allein doch jenes dasteht. Proben dieses Verfahrens liefert zu allernächst unser heutiger Mode-Materialismus, der eben dadurch eine rechte Barbiergesellen- und Apotheker-Lehrlings-Philosophie geworden ist. Ihm, in seiner Unschuld, ist die unbedenklich als absolut real genommene Materie das Ding an sich, und Stoßkraft die einzige Fähigkeit eines Dinges an sich, indem alle anderen Qualitäten nur Erscheinungen derselben seyn können.
Mit dem Naturalismus, oder der rein physikalischen Betrachtungsart, wird man demnach nie ausreichen: sie gleicht einem Rechnungsexempel, welches nimmermehr aufgeht. End- und Anfangslose Kausalreihen, unerforschliche Grundkräfte, unendlicher Raum, anfangslose Zeit, endlose Theilbarkeit der Materie, und dieses Alles noch bedingt durch ein erkennendes Gehirn, in welchem allein es dasteht, so gut wie der Traum, und ohne welches es verschwindet, – machen das Labyrinth aus, in welchem sie uns unaufhörlich herumführt. Die Höhe, zu welcher in unsern Zeiten die Naturwissenschaften gestiegen sind, stellt in dieser Beziehung alle früheren Jahrhunderte in tiefen Schatten, und ist ein Gipfel, den die Menschheit zum ersten Mal erreicht. Allein, wie große Fortschritte auch die Physik (im weiten Sinn der Alten verstanden) je machen möge: so wird damit noch nicht der kleinste Schritt zur Metaphysik geschehen seyn; so wenig, wie eine Fläche, durch noch so weit fortgesetzte Ausdehnung, je Kubikinhalt gewinnt. Denn solche Fortschritte werden immer nur die Kenntniß der Erscheinung vervollständigen; während die Metaphysik über die Erscheinung selbst hinausstrebt, zum Erscheinenden. Und wenn sogar die gänzlich vollendete Erfahrung hinzukäme; so würde dadurch in der Hauptsache nichts gebessert seyn. Ja, wenn selbst Einer alle Planeten sämmtlicher Fixsterne durchwanderte; so hätte er damit noch keinen Schritt in der Metaphysik gethan. Vielmehr werden die größten Fortschritte der Physik das Bedürfniß einer Metaphysik immer fühlbarer machen; weil eben die berichtigte, erweiterte und gründlichere Kenntniß der Natur einerseits die bis dahin geltenden metaphysischen Annahmen immer untergräbt und endlich umstößt, andererseits aber das Problem der Metaphysik selbst deutlicher, richtiger und vollständiger vorlegt, dasselbe von allem bloß Physischen reiner absondert, und eben auch das vollständiger und genauer erkannte Wesen der einzelnen Dinge dringender die Erklärung des Ganzen und Allgemeinen fordert, welches, je richtiger, gründlicher und vollständiger empirisch erkannt, nur desto räthselhafter sich darstellt. Dies Alles wird freilich der einzelne, simple Naturforscher, in einem abgesonderten Zweige der Physik, nicht sofort deutlich inne: vielmehr schläft er behaglich bei seiner erwählten Magd im Hause des Odysseus, sich aller Gedanken an die Penelopeia entschlagend (siehe Kap. 12 am Ende). Daher sehen wir heut zu Tage die Schaale der Natur auf das genaueste durchforscht, die Intestina der Intestinalwürmer und das Ungeziefer des Ungeziefers haarklein gekannt: kommt aber Einer, wie z. B. ich, und redet vom Kern der Natur, so hören sie nicht hin, denken eben es gehöre nicht zur Sache und klauben an ihren Schaalen weiter. Jene überaus mikroskopischen und mikrologischen Naturforscher findet man sich versucht, die Topfkucker der Natur zu nennen. Die Leute aber, welche vermeynen, Tiegel und Retorte seien die wahre und einzige Quelle aller Weisheit, sind in ihrer Art eben so verkehrt, wie es weiland ihre Antipoden, die Scholastiker waren. Wie nämlich diese, ganz und gar in ihre abstrakten Begriffe verstrickt, mit diesen sich herumschlugen, nichts außer ihnen kennend, noch untersuchend; so sind Jene ganz in ihre Empirie verstrickt, lassen nichts gelten, als was ihre Augen sehen, und vermeynen damit bis auf den letzten Grund der Dinge zu reichen, nicht ahndend, daß zwischen der Erscheinung und dem sich darin Manifestirenden, dem Dinge an sich, eine tiefe Kluft, ein radikaler Unterschied ist, welcher nur durch die Erkenntniß und genaue Gränzbestimmung des subjektiven Elements der Erscheinung aufgeklärt wird, und durch die Einsicht, daß die letzten und wichtigsten Aufschlüsse über das Wesen der Dinge allein aus dem Selbstbewußtseyn geschöpft werden können; – ohne welches Alles man nicht einen Schritt über das den Sinnen unmittelbar Gegebene hinauskann, also nicht weiter gelangt, als bis zum Problem. – Jedoch sei auch andererseits bemerkt, daß die möglichst vollständige Naturerkenntniß die berichtigte Darlegung des Problems der Metaphysik ist: daher soll Keiner sich an diese wagen, ohne zuvor eine, wenn auch nur allgemeine, doch gründliche, klare und zusammenhängende Kenntniß aller Zweige der Naturwissenschaft sich erworben zu haben. Denn das Problem muß der Lösung vorhergehen. Dann aber muß der Blick des Forschers sich nach innen wenden: denn die intellektuellen und ethischen Phänomene sind wichtiger, als die physischen, in demselben Maaße, wie z. B. der animalische Magnetismus eine ungleich wichtigere Erscheinung, als der mineralische ist. Die letzten Grundgeheimnisse trägt der Mensch in seinem Innern, und dieses ist ihm am unmittelbarsten zugänglich; daher er nur hier den Schlüssel zum Räthsel der Welt zu finden und das Wesen aller Dinge an Einem Faden zu erfassen hoffen darf. Das eigenste Gebiet der Metaphysik liegt also allerdings in Dem, was man Geistesphilosophie genannt hat.
»Du führst die Reihen der Lebendigen
Vor mir vorbei, und lehrst mich meine Brüder
Im stillen Busch, in Luft und Wasser kennen:
Dann führst Du mich zur sichern Höhle, zeigst
Mich dann mir selbst, und meiner eignen Brust
Geheime tiefe Wunder öffnen sich.«
Was nun endlich die Quelle, oder das Fundament der metaphysischen Erkenntniß betrifft; so habe ich schon weiter oben mich gegen die, auch von Kant wiederholte, Voraussetzung erklärt, daß es in bloßen Begriffen liegen müsse. Begriffe können in keiner Erkenntniß das Erste seyn: denn sie sind allemal aus irgend einer Anschauung abgezogen. Was aber zu jener Annahme verleitet hat, ist wahrscheinlich das Beispiel der Mathematik gewesen. Diese kann, wie besonders in der Algebra, Trigonometrie, Analysis geschieht, die Anschauung ganz verlassend, mit bloßen abstrakten, ja nur durch Zeichen statt der Worte repräsentirten Begriffen operiren, und doch zu einem völlig sichern und dabei so fern liegenden Resultate gelangen, daß man, auf dem festen Boden der Anschauung verharrend, es nicht hätte erreichen können. Allein die Möglichkeit hievon beruht, wie Kant genugsam gezeigt hat, darauf, daß die Begriffe der Mathematik aus den allersichersten und bestimmtesten Anschauungen, nämlich aus den a priori und doch intuitiv erkannten Größenverhältnissen, abgezogen sind und daher durch diese stets wieder realisirt und kontrolirt werden können, entweder arithmetisch, mittelst Vollziehung der durch jene Zeichen bloß angedeuteten Rechnungen, oder geometrisch, mittelst der von Kant so genannten Konstruktion der Begriffe. Dieses Vorzugs hingegen entbehren die Begriffe, aus welchen man vermeint hatte, die Metaphysik aufbauen zu können, wie z. B. Wesen, Seyn, Substanz, Vollkommenheit, Nothwendigkeit, Realität, Endliches, Unendliches, Absolutes, Grund, u. s. w. Denn ursprünglich, wie vom Himmel gefallen, oder auch angeboren, sind dergleichen Begriffe keineswegs; sondern auch sie sind, wie alle Begriffe, aus Anschauungen abgezogen, und, da sie nicht, wie die mathematischen, das bloß Formale der Anschauung, sondern mehr enthalten; so liegen ihnen empirische Anschauungen zum Grunde: also läßt sich aus ihnen nichts schöpfen, was nicht auch die empirische Anschauung enthielte, d. h. was Sache der Erfahrung wäre und was man, da jene Begriffe sehr weite Abstraktionen sind, viel sicherer und aus erster Hand von dieser empfienge. Denn aus Begriffen läßt sich nie mehr schöpfen, als die Anschauungen enthalten, aus denen sie abgezogen sind. Verlangt man reine Begriffe, d. h. solche, die keinen empirischen Ursprung haben; so lassen sich bloß die aufweisen, welche Raum und Zeit, d. h. den bloßen formalen Theil der Anschauung betreffen, folglich allein die mathematischen, und höchstens noch der Begriff der Kausalität, welcher zwar nicht aus der Erfahrung entsprungen ist, aber doch nur mittelst derselben (zuerst in der Sinnesanschauung) ins Bewußtseyn tritt; daher zwar die Erfahrung nur durch ihn möglich, aber auch er nur in ihrem Gebiete gültig ist; weshalb eben Kant gezeigt hat, daß derselbe bloß dient, der Erfahrung Zusammenhang zu ertheilen, nicht aber sie zu überfliegen, daß er also bloß physische Anwendung gestattet, nicht metaphysische. Apodiktische Gewißheit kann einer Erkenntniß freilich nur ihr Ursprung a priori geben: eben dieser aber beschränkt sie auf das bloß Formelle der Erfahrung überhaupt, indem er anzeigt, daß sie durch die subjektive Beschaffenheit des Intellekts bedingt sei. Dergleichen Erkenntniß also, weit entfernt uns über die Erfahrung hinauszuführen, giebt bloß einen Theil dieser selbst, nämlich den formellen, ihr durchweg eigenen und daher allgemeinen, mithin bloße Form ohne Gehalt. Da nun die Metaphysik am allerwenigsten hierauf beschränkt seyn kann; so muß auch sie empirische Erkenntnißquellen haben: mithin ist jener vorgefaßte Begriff einer rein a priori zu findenden Metaphysik nothwendig eitel. Es ist wirklich eine petitio principii Kants, welche er §. 1 der Prolegomena am deutlichsten ausspricht, daß Metaphysik ihre Grundbegriffe und Grundsätze nicht aus der Erfahrung schöpfen dürfe. Dabei wird nämlich zum voraus angenommen, daß nur Das, was wir vor aller Erfahrung wissen, weiter reichen könne, als mögliche Erfahrung. Hieraus gestützt kommt dann Kant und beweist, daß alle solche Erkenntniß nichts weiter sei, als die Form des Intellekts zum Behuf der Erfahrung, folglich über diese nicht hinausleiten könne; woraus er dann die Unmöglichkeit aller Metaphysik richtig folgert. Aber erscheint es nicht vielmehr geradezu verkehrt, daß man, um die Erfahrung, d. h. die uns allein vorliegende Welt, zu enträthseln, ganz von ihr wegsehen, ihren Inhalt ignoriren und bloß die a priori uns bewußten, leeren Formen zu seinem Stoff nehmen und gebrauchen solle? Ist es nicht vielmehr der Sache angemessen, daß die Wissenschaft von der Erfahrung überhaupt und als solcher, eben auch aus der Erfahrung schöpfe? Ihr Problem selbst ist ihr ja empirisch gegeben; warum sollte nicht auch die Lösung die Erfahrung zu Hülfe nehmen? Ist es nicht widersinnig, daß wer von der Natur der Dinge redet, die Dinge selbst nicht ansehen, sondern nur an gewisse abstrakte Begriffe sich halten sollte? Die Aufgabe der Metaphysik ist zwar nicht die Beobachtung einzelner Erfahrungen, aber doch die richtige Erklärung der Erfahrung im Ganzen. Ihr Fundament muß daher allerdings empirischer Art seyn. Ja sogar die Apriorität eines Theils der menschlichen Erkenntniß wird von ihr als eine gegebene Thatsache aufgefaßt, aus der sie auf den subjektiven Ursprung desselben schließt. Eben nur sofern das Bewußtseyn seiner Apriorität ihn begleitet, heißt er, bei Kant, transscendental zum Unterschiede von transscendent, welches bedeutet »alle Möglichkeit der Erfahrung überfliegend«, und seinen Gegensatz hat an immanent, d. h. in den Schranken jener Möglichkeit bleibend. Ich rufe gern die ursprüngliche Bedeutung dieser von Kant eingeführten Ausdrücke zurück, mit welchen, eben wie auch mit dem der Kategorie u. a. m., heut zu Tage die Affen der Philosophie ihr Spiel treiben. – Ueberdies ist nun die Erkenntnißquelle der Metaphysik nicht die äußere Erfahrung allein, sondern eben sowohl die innere; ja, ihr Eigenthümlichstes, wodurch ihr der entscheidende Schritt, der die große Frage allein lösen kann, möglich wird, besteht, wie ich im »Willen in der Natur«, unter der Rubrik »Physische Astronomie« ausführlich und gründlich dargethan habe, dann, daß sie, an der rechten Stelle, die äußere Erfahrung mit der innern in Verbindung setzt und diese zum Schlüssel jener macht.
Der hier erörterte, redlicher Weise nicht abzuleugnende Ursprung der Metaphysik aus empirischen Erkenntnißquellen benimmt ihr freilich die Art apodiktischer Gewißheit, welche allein durch Erkenntniß a priori möglich ist: diese bleibt das Eigenthum der Logik und Mathematik, welche Wissenschaften aber auch eigentlich nur Das lehren, was Jeder schon von selbst, nur nicht deutlich weiß: höchstens lassen noch die allerersten Elemente der Naturlehre sich aus der Erkenntniß a priori ableiten. Durch dieses Eingeständniß giebt die Metaphysik nur einen alten Anspruch auf, welcher, dem oben Gesagten zufolge, auf Mißverständniß beruhte und gegen welchen die große Verschiedenheit und Wandelbarkeit der metaphysischen Systeme, wie auch der sie stets begleitende Skepticismus jederzeit gezeugt hat. Gegen ihre Möglichkeit überhaupt kann jedoch diese Wandelbarkeit nicht geltend gemacht werden; da dieselbe eben so sehr alle Zweige der Naturwissenschaft, Chemie, Physik, Geologie, Zoologie u. s. f. trifft, und sogar die Geschichte nicht damit verschont geblieben ist. Wann aber ein Mal ein, soweit die Schranken des menschlichen Intellekts es zulassen, richtiges System der Metaphysik gefunden seyn wird; so wird ihm die Unwandelbarkeit einer a priori erkannten Wissenschaft doch zukommen: weil sein Fundament nur die Erfahrung überhaupt seyn kann, nicht aber die einzelnen und besondern Erfahrungen, durch welche hingegen die Naturwissenschaften stets modifizirt werden und der Geschichte immer neuer Stoff zuwächst. Denn die Erfahrung im Ganzen und Allgemeinen wird nie ihren Charakter gegen einen neuen vertauschen.
Die nächste Frage ist: wie kann eine aus der Erfahrung geschöpfte Wissenschaft über diese hinausführen und so den Namen Metaphysik verdienen? – Sie kann es nicht etwan so, wie aus drei Proportionalzahlen die vierte, oder aus zwei Seiten und dem Winkel das Dreieck gefunden wird. Dies war der Weg der vorkantischen Dogmatik, welche eben, nach gewissen uns a priori bewußten Gesetzen, vom Gegebenen auf das Nichtgegebene, von der Folge auf den Grund, also von der Erfahrung auf das in keiner Erfahrung möglicherweise zu Gebende schließen wollte. Die Unmöglichkeit einer Metaphysik auf diesem Wege that Kant dar, indem er zeigte, daß jene Gesetze, wenn auch nicht aus der Erfahrung geschöpft, doch nur für dieselbe Gültigkeit hätten. Er lehrt daher mit Recht, daß wir auf solche Art die Möglichkeit aller Erfahrung nicht überfliegen können. Allein es giebt noch andere Wege zur Metaphysik. Das Ganze der Erfahrung gleicht einer Geheimschrift, und die Philosophie der Entzifferung derselben, deren Richtigkeit sich durch den überall hervortretenden Zusammenhang bewährt. Wenn dieses Ganze nur tief genug gefaßt und an die äußere die innere Erfahrung geknüpft wird; so muß es aus sich selbst gedeutet, ausgelegt werden können. Nachdem Kant uns unwiderleglich gezeigt hat, daß die Erfahrung überhaupt aus zwei Elementen, nämlich den Erkenntnißformen und dem Wesen an sich der Dinge, erwächst, und daß sogar beide sich darin gegen einander abgränzen lassen; nämlich als das a priori uns Bewußte und das a posteriori Hinzugekommene; so läßt sich wenigstens im Allgemeinen angeben, was in der gegebenen Erfahrung, welche zunächst bloße Erscheinung ist, der durch den Intellekt bedingten Form dieser Erscheinung angehört, und was, nach dessen Abziehung, dem Dinge an sich übrig bleibt. Und wenn gleich Keiner, durch die Hülle der Anschauungsformen hindurch, das Ding an sich erkennen kann; so trägt andererseits doch Jeder dieses in sich, ja, ist es selbst: daher muß es ihm im Selbstbewußtseyn, wenn auch noch bedingterweise, doch irgendwie zugänglich seyn. Die Brücke also, auf welcher die Metaphysik über die Erfahrung hinausgelangt, ist nichts Anderes, als eben jene Zerlegung der Erfahrung in Erscheinung und Ding an sich, worin ich Kants größtes Verdienst gesetzt habe. Denn sie enthält die Nachweisung eines von der Erscheinung verschiedenen Kernes derselben. Dieser kann zwar nie von der Erscheinung ganz losgerissen und, als ein ens extramundanum, für sich betrachtet werden, sondern er wird immer nur in seinen Verhältnissen und Beziehungen zur Erscheinung selbst erkannt. Allein die Deutung und Auslegung dieser, in Bezug auf jenen ihren innern Kern, kann uns Aufschlüsse über sie ertheilen, welche sonst nicht ins Bewußtseyn kommen. In diesem Sinne also geht die Metaphysik über die Erscheinung, d. i. die Natur, hinaus, zu dem in oder hinter ihr Verborgenen (το μετα το φυσιχον), es jedoch immer nur als das in ihr Erscheinende, nicht aber unabhängig von aller Erscheinung betrachtend: sie bleibt daher immanent und wird nicht transscendent. Denn sie reißt sich von der Erfahrung nie ganz los, sondern bleibt die bloße Deutung und Auslegung derselben, da sie vom Dinge an sich nie anders, als in seiner Beziehung zur Erscheinung redet. Wenigstens ist dies der Sinn, in welchem ich, mit durchgängiger Berücksichtigung der von Kant nachgewiesenen Schranken der menschlichen Erkenntniß, das Problem der Metaphysik zu lösen versucht habe: daher lasse ich seine Prolegomena zu jeder Metaphysik auch für die meinige gelten und bestehen. Diese geht demnach nie eigentlich über die Erfahrung hinaus, sondern eröffnet nur das wahre Verständniß der in ihr vorliegenden Welt. Sie ist weder, nach der auch von Kant wiederholten Definition der Metaphysik, eine Wissenschaft aus bloßen Begriffen, noch ist sie ein System von Folgerungen aus Sätzen a priori, deren Untauglichkeit zum metaphysischen Zweck Kant dargethan hat. Sondern sie ist ein Wissen, geschöpft aus der Anschauung der äußern, wirklichen Welt und dem Aufschluß, welchen über diese die intimste Thatsache des Selbstbewußtseyns liefert, niedergelegt in deutliche Begriffe. Sie ist demnach Erfahrungswissenschaft: aber nicht einzelne Erfahrungen, sondern das Ganze und Allgemeine aller Erfahrung ist ihr Gegenstand und ihre Quelle. Ich lasse ganz und gar Kants Lehre bestehen, daß die Welt der Erfahrung bloße Erscheinung sei und daß die Erkenntnisse a priori bloß in Bezug auf diese gelten: ich aber füge hinzu, daß sie gerade als Erscheinung, die Manifestation Desjenigen ist, was erscheint, und nenne es mit ihm das Ding an sich. Dieses muß daher sein Wesen und seinen Charakter in der Erfahrungswelt ausdrücken, mithin solcher aus ihm herauszudeuten seyn, und zwar aus dem Stoff, nicht aus der bloßen Form der Erfahrung. Demnach ist die Philosophie nichts Anderes, als das richtige, universelle Verständniß der Erfahrung selbst, die wahre Auslegung ihres Sinnes und Gehaltes. Dieser ist das Metaphysische, d. h. in die Erscheinung bloß Gekleidete und in ihre Formen Verhüllte, ist Das, was sich zu ihr verhält, wie der Gedanke zu den Worten.
Eine solche Entzifferung der Welt in Beziehung auf das in ihr Erscheinende muß ihre Bewährung aus sich selbst erhalten, durch die Uebereinstimmung, in welche sie die so verschiedenartigen Erscheinungen der Welt zu einander setzt, und welche man ohne sie nicht wahrnimmt. – Wenn man eine Schrift findet, deren Alphabet unbekannt ist; so versucht man die Auslegung so lange, bis man auf eine Annahme der Bedeutung der Buchstaben geräth, unter welcher sie verständliche Worte und zusammenhängende Perioden bilden. Dann aber bleibt kein Zweifel an der Richtigkeit der Entzifferung; weil es nicht möglich ist, daß die Uebereinstimmung und der Zusammenhang, in welchen diese Auslegung alle Zeichen jener Schrift setzt, bloß zufällig wäre und man, bei einem ganz andern Werthe der Buchstaben, ebenfalls Worte und Perioden in dieser Zusammenstellung derselben erkennen könnte. Auf ähnliche Art muß die Entzifferung der Welt sich aus sich selbst vollkommen bewähren. Sie muß ein gleichmäßiges Licht über alle Erscheinungen der Welt verbreiten und auch die heterogensten in Uebereinstimmung bringen, so daß auch zwischen den kontrastirendesten der Widerspruch gelöst wird. Diese Bewährung aus sich selbst ist das Kennzeichen ihrer Aechtheit. Denn jede falsche Entzifferung wird, wenn sie auch zu einigen Erscheinungen paßt, den übrigen desto greller widersprechen. So z. B. widerspricht der Leibnitzische Optimismus dem augenfälligen Elend des Daseyns; die Lehre des Spinoza, daß die Welt die allein mögliche und absolut nothwendige Substanz sei, ist unvereinbar mit unserer Verwunderung über ihr Seyn und Wesen; der Wolfischen Lehre, daß der Mensch von einem ihm fremden Willen seine Existentia und Essentia habe, widerstreitet unsere moralische Verantwortlichkeit für die aus diesen, im Konflikt mit den Motiven, streng nothwendig hervorgehenden Handlungen; der oft wiederholten Lehre von einer fortschreitenden Entwickelung der Menschheit zu immer höherer Vollkommenheit, oder überhaupt von irgend einem Werden mittelst des Weltprocesses, stellt sich die Einsicht a priori entgegen, daß bis zu jedem gegebenen Zeitpunkt bereits eine unendliche Zeit abgelaufen ist, folglich Alles, was mit der Zeit kommen sollte, schon daseyn müßte; und so ließe sich ein unabsehbares Register der Widersprüche dogmatischer Annahmen mit der gegebenen Wirklichkeit der Dinge zusammenstellen. Hingegen muß ich in Abrede stellen, daß auf dasselbe irgend eine Lehre meiner Philosophie redlicherweise einzutragen seyn würde; eben weil jede derselben in Gegenwart der angeschauten Wirklichkeit durchdacht worden und keine ihre Wurzel allein in abstrakten Begriffen hat. Da es dabei dennoch ein Grundgedanke ist, der an alle Erscheinungen der Welt, als ihr Schlüssel, gelegt wird; so bewährt sich derselbe als das richtige Alphabet, unter dessen Anwendung alle Worte und Perioden Sinn und Bedeutung haben. Das gefundene Wort eines Räthsels erweist sich als das rechte dadurch, daß alle Aussagen desselben zu ihm passen. So läßt meine Lehre Uebereinstimmung und Zusammenhang in dem kontrastirenden Gewirre der Erscheinungen dieser Welt erblicken und löst die unzähligen Widersprüche, welche dasselbe, von jedem andern Standpunkt aus gesehen, darbietet: sie gleicht daher in sofern einem Rechenexempel, welches aufgeht; wiewohl keineswegs in dem Sinne, daß sie kein Problem zu lösen übrig, keine mögliche Frage unbeantwortet ließe. Dergleichen zu behaupten, wäre eine vermessene Ableugnung der Schranken menschlicher Erkenntniß überhaupt. Welche Fackel wir auch anzünden und welchen Raum sie auch erleuchten mag; stets wird unser Horizont von tiefer Nacht umgränzt bleiben. Denn die letzte Lösung des Räthsels der Welt müßte nothwendig bloß von den Dingen an sich, nicht mehr von den Erscheinungen reden. Aber gerade auf diese allein sind alle unsere Erkenntnißformen angelegt: daher müssen wir uns Alles durch ein Nebeneinander, Nacheinander und Kausalitätsverhältnisse faßlich machen. Aber diese Formen haben bloß in Beziehung auf die Erscheinung Sinn und Bedeutung: die Dinge an sich selbst und ihre möglichen Verhältnisse lassen sich durch jene Formen nicht erfassen. Daher muß die wirkliche, positive Lösung des Räthsels der Welt etwas seyn, das der menschliche Intellekt zu fassen und zu denken völlig unfähig ist; so daß wenn ein Wesen höherer Art käme und sich alle Mühe gäbe, es uns beizubringen, wir von seinen Eröffnungen durchaus nichts würden verstehen können. Diejenigen sonach, welche vorgeben, die letzten, d. i. die ersten, Gründe der Dinge, also ein Urwesen, Absolutum, oder wie sonst man es nennen will, nebst dem Proceß, den Gründen, Motiven, oder sonst was, in Folge welcher die Welt daraus hervor geht, oder quillt, oder fällt, oder producirt, ins Daseyn gesetzt, »entlassen« und hinauskomplimentirt wird, zu erkennen, – treiben Possen, sind Windbeutel, wo nicht gar Scharlatane.
Als einen großen Vorzug meiner Philosophie sehe ich es an, daß alle ihre Wahrheiten unabhängig von einander, durch die Betrachtung der realen Welt gefunden sind, die Einheit und Zusammenstimmung derselben aber, um die ich unbesorgt gewesen war, sich immer nachher von selbst eingefunden hat. Darum auch ist sie reich und hat breite Wurzeln auf dem Boden der anschaulichen Wirklichkeit, aus welchem alle Nahrung abstrakter Wahrheiten quillt: und darum wieder ist sie nicht langweilig; welche Eigenschaft man sonst, nach den philosophischen Schritten der letzten fünfzig Jahre zu urtheilen, für eine der Philosophie wesentliche halten könnte. Wenn hingegen alle Lehren einer Philosophie bloß eine aus der andern und zuletzt wohl gar aus einem ersten Satze abgeleitet sind; so muß sie arm und mager, mithin auch langweilig ausfallen; da aus keinem Satze mehr folgen kann, als was er eigentlich schon selbst besagt: zudem hängt dann Alles von der Richtigkeit eines Satzes ab, und durch einen einzigen Fehler in der Ableitung wäre die Wahrheit des Ganzen gefährdet. – Noch weniger Gewährleistung geben die Systeme, welche von einer intellektualen Anschauung, d. i. einer Art Ekstase oder Hellsehn, ausgehen: jede so gewonnene Erkenntniß muß als subjektiv, individuell und folglich problematisch, abgewiesen werden. Selbst wenn sie wirklich vorhanden wäre, würde sie nicht mittheilbar seyn: denn nur die normale Gehirnerkenntniß ist mittheilbar: wenn sie eine abstrakte ist, durch Begriffe und Worte; wenn eine bloß anschauliche, durch Kunstwerke.
Wenn man, wie so oft geschieht, der Metaphysik vorwirft, im Laufe so vieler Jahrhunderte, so geringe Fortschritte gemacht zu haben; so sollte man auch berücksichtigen, daß keine andere Wissenschaft, gleich ihr, unter fortwährendem Drucke erwachsen, keine von außen so gehemmt und gehindert worden ist, wie sie allezeit durch die Religion jedes Landes, als welche, überall im Besitz des Monopols metaphysischer Erkenntnisse, sie neben sich ansieht wie ein wildes Kraut, wie einen unberechtigten Arbeiter, wie eine Zigeunerhorde, und sie in der Regel nur unter der Bedingung tolerirt, daß sie sich bequeme ihr zu dienen und nachzufolgen. Wo ist denn je wahre Gedankenfreiheitgewesen? Geprahlt hat man genug damit: aber sobald sie weiter gehen wollte, als etwan in untergeordneten Dogmen von der Landesreligion abzuweichen, ergriff die Verkündiger der Toleranz ein heiliger Schauder über die Vermessenheit, und es hieß: keinen Schritt weiter! – Welche Fortschritte der Metaphysik waren unter solchem Drucke möglich? – Ja, nicht allein auf die Mittheilung der Gedanken, sondern auf das Denken selbst erstreckt sich jener Zwang, den die privilegirte Metaphysik ausübt, dadurch, daß ihre Dogmen dem zarten, bildsamen, vertrauensvollen und gedankenlosen Kindesalter, unter studirtem, feierlich ernsten Mienenspiel so fest eingeprägt werden, daß sie, von Dem an, mit dem Gehirn verwachsen und fast die Natur angeborener Gedanken annehmen, wofür manche Philosophen sie daher gehalten haben, noch mehrere aber sie zu halten vorgeben. Nichts kann jedoch der Auffassung auch nur des Problems der Metaphysik so fest entgegenstehen, wie eine ihm vorhergängige, aufgedrungene und dem Geiste früh eingeimpfte Lösung desselben: denn der nothwendige Ausgangspunkt zu allem ächten Philosophiren ist die tiefe Empfindung des Sokratischen: »Dies Eine weiß ich, daß ich nichts weiß.« Die Alten standen auch in dieser Rücksicht im Vortheil gegen uns; da ihre Landesreligionen zwar die Mittheilung des Gedachten etwas beschränkten, aber die Freiheit des Denkens selbst nicht beeinträchtigten, weil sie nicht förmlich und feierlich den Kindern eingeprägt, wie auch überhaupt nicht so ernsthaft genommen wurden. Daher sind die Alten noch unsere Lehrer in der Metaphysik.
Bei jenem Vorwurf der geringen Fortschritte der Metaphysik und ihres, trotz so anhaltendem Bemühen, noch immer nicht erreichten Zieles, soll man ferner erwägen, daß sie unterweilen immerfort den unschätzbaren Dienst geleistet hat, den unendlichen Ansprüchen der privilegierten Metaphysik Gränzen zu setzen und dabei zugleich doch dem, gerade durch diese als unausbleibliche Reaktion hervorgerufenen, eigentlichen Naturalismus und Materialismus entgegenzuarbeiten. Man bedenke, wohin es mit den Anmaaßungen der Priesterschaft jeder Religion kommen würde, wenn der Glaube an ihre Lehren so fest und blind wäre, wie jene eigentlich wünscht. Man sehe dabei zurück auf alle Kriege, Unruhen, Rebellionen und Revolutionen in Europa vom achten bis zum achtzehnten Jahrhundert: wie wenige wird man finden, die nicht zum Kern, oder zum Vorwand, irgend eine Glaubensstreitigkeit, also metaphysische Probleme, gehabt haben, welche der Anlaß wurden, die Völker auf einander zu Hetzen. Ist doch jenes ganze Jahrtausend ein fortwährendes Morden, bald auf dem Schlachtfeld, bald auf dem Schafott, bald auf den Gassen, – in metaphysischen Angelegenheiten! Ich wollte, ich hätte ein authentisches Verzeichniß aller Verbrechen, die wirklich das Christenthum verhindert, und aller guten Handlungen, die es wirklich erzeugt hat, um sie auf die andere Waagschaale legen zu können.
Was endlich die Verpflichtungen der Metaphysik betrifft, so hat sie nur eine einzige: denn es ist eine, die keine andere neben sich duldet: die Verpflichtung wahr zu seyn. Wollte man neben dieser ihr noch andere auslegen, wie etwan die, spiritualistisch, optimistisch, monotheistisch, ja auch nur die, moralisch zu seyn; so kann man nicht zum voraus wissen, ob diese nicht der Erfüllung jener ersten entgegenstände, ohne welche alle ihre sonstigen Leistungen offenbar werthlos seyn müßten. Eine gegebene Philosophie hat demnach keinen andern Maaßstab ihrer Schätzung, als den der Wahrheit. – Uebrigens ist die Philosophie wesentlich Weltweisheit; ihr Problem ist die Welt: mit dieser allein hat sie es zu thun und läßt die Götter in Ruhe, erwartet aber dafür, auch von ihnen in Ruhe gelassen zu werden.