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»Ihr folget falscher Spur,
Denkt nicht, wir scherzen!
Ist nicht der Kern der Natur
Menschen im Herzen?«
Goethe.
Zum Zweiten Buch.
Dieses Kapitel steht in Beziehung zu §. 18 des ersten Bandes.
Zu diesem Buche, welches den eigenthümlichsten und wichtigsten Schritt meiner Philosophie, nämlich den von Kant als unmöglich aufgegebenen Uebergang von der Erscheinung zum Dinge an sich, enthält, habe ich die wesentlichste Ergänzung schon 1836 veröffentlicht, unter dem Titel »Ueber den Willen in der Natur« (Zweite Auflage, 1854). Man würde sehr irren, wenn man die fremden Aussprüche, an welche ich dort meine Erläuterungen geknüpft habe, für den eigentlichen Stoff und Gegenstand jener dem Umfang nach kleinen, dem Inhalt nach wichtigen Schrift halten wollte: vielmehr sind diese bloß der Anlaß, von welchem ausgehend ich daselbst jene Grundwahrheit meiner Lehre mit so großer Deutlichkeit, wie sonst nirgends, erörtert und bis zur empirischen Naturerkenntniß herabgeführt habe. Und zwar ist dies am erschöpfendesten und stringentesten unter der Rubrik »Physische Astronomie« geschehen; so daß ich nicht hoffen darf, jemals einen richtigeren und genaueren Ausdruck jenes Kernes meiner Lehre zu finden, als der daselbst niedergelegte ist. Wer meine Philosophie gründlich kennen und ernstlich prüfen will, hat daher vor Allem die besagte Rubrik zu berücksichtigen. Ueberhaupt also würde Alles in jener kleinen Schrift Gesagte den Hauptinhalt gegenwärtiger Ergänzungen ausmachen, wenn es nicht, als ihnen vorangegangen, ausgeschlossen bleiben müßte; wogegen ich es nun aber hier als bekannt voraussetze, indem sonst gerade das Beste fehlen würde.
Zunächst will ich jetzt, von einem allgemeinen Standpunkt aus, über den Sinn, in welchem von einer Erkenntniß des Dinges an sich die Rede seyn kann und über die nothwendige Beschränkung desselben einige Betrachtungen vorausschicken.
Was ist Erkenntniß? – Sie ist zunächst und wesentlich Vorstellung. – Was ist Vorstellung? – Ein sehr komplicirter physiologischer Vorgang im Gehirne eines Thieres, dessen Resultat das Bewußtseyn eines Bildes ebendaselbst ist. – Offenbar kann die Beziehung eines solchen Bildes auf etwas von dem Thiere, in dessen Gehirn es dasteht, gänzlich Verschiedenes nur eine sehr mittelbare seyn. – Dies ist vielleicht die einfachste und faßlichste Art, die tiefe Kluft zwischen dem Idealen und Realen aufzudecken. Diese nämlich gehört zu den Dingen, deren man, wie der Bewegung der Erde, nicht unmittelbar inne wird: darum hatten die Alten sie, wie eben auch diese, nicht bemerkt. Hingegen, von Cartesius zuerst, ein Mal nachgewiesen, hat sie seitdem den Philosophen keine Ruhe gegönnt. Nachdem aber zuletzt Kant die völlige Diversität des Idealen und Realen am allergründlichsten dargethan, war es ein so kecker, wie absurder, jedoch auf die Urteilskraft des philosophischen Publikums in Deutschland ganz richtig berechneter und daher von glänzendem Erfolg gekrönter Versuch, durch, auf angebliche intellektuale Anschauung sich berufende, Machtsprüche, die absolute Identität Beider behaupten zu wollen. – In Wahrheit hingegen ist ein subjektives und ein objektives Daseyn, ein Seyn für sich und ein Seyn für Andere, ein Bewußtseyn des eigenen Selbst und ein Bewußtseyn von andern Dingen, uns unmittelbar gegeben, und Beide sind es auf so grundverschiedene Weise, daß keine andere Verschiedenheit dieser gleich kommt. Von sich weiß Jeder unmittelbar, von allem Andern nur sehr mittelbar. Dies ist die Thatsache und das Problem.
Hingegen ob, durch fernere Vorgänge im Innern eines Gehirns, aus den darin entstandenen anschaulichen Vorstellungen oder Bildern Allgemeinbegriffe ( Universalia) abstrahirt werden, zum Behuf fernerer Kombinationen, wodurch das Erkennen ein vernünftiges wird und nunmehr Denken heißt, – dies ist hier nicht mehr das Wesentliche, sondern von untergeordneter Bedeutung. Denn alle solche Begriffe entlehnen ihren Inhalt allein aus der anschaulichen Vorstellung, welche daher Urerkenntniß ist und also bei Untersuchung des Verhältnisses zwischen dem Idealen und dem Realen allein in Betracht kommt. Demnach zeugt es von gänzlicher Unkenntniß des Problems, oder ist wenigstens sehr ungeschickt, jenes Verhältniß bezeichnen zu wollen als das zwischen Seyn und Denken. Das Denken hat zunächst bloß zum Anschauen ein Verhältniß, das Anschauen aber hat eines zum Seyn an sich des Angeschauten, und dieses Letztere ist das große Problem, welches uns hier beschäftigt. Das empirische Seyn hingegen, wie es vorliegt, ist nichts Anderes, als eben nur das Gegebenseyn in der Anschauung: dieser ihr Verhältniß zum Denken ist aber kein Räthsel; da die Begriffe, also der unmittelbare Stoff des Denkens, offenbar aus der Anschauung abstrahirt sind; woran kein vernünftiger Mensch zweifeln kann. Beiläufig gesagt, kann man, wie wichtig die Wahl der Ausdrücke in der Philosophie sei, daran sehen, daß jener oben gerügte, ungeschickte Ausdruck und das aus ihm entstandene Mißverständniß die Grundlage der ganzen Hegelschen Afterphilosophie geworden ist, welche das Deutsche Publikum fünfundzwanzig Jahre hindurch beschäftigt hat. –
Wollte man nun aber sagen: »die Anschauung ist schon die Erkenntniß des Dinges an sich: denn sie ist die Wirkung des außer uns Vorhandenen, und wie dies wirkt, so ist es: sein Wirken ist eben sein Seyn«; so steht dem entgegen: 1) daß das Gesetz der Kausalität, wie genugsam bewiesen, subjektiven Ursprungs ist, so gut wie die Sinnesempfindung, von der die Anschauung ausgeht: 2) daß ebenfalls Zeit und Raum, in denen das Objekt sich darstellt, subjektiven Ursprungs sind: 3) daß wenn das Seyn des Objekts eben in seinem Wirken besteht, dies besagt, daß es bloß in den Veränderungen, die es in Andern hervorbringt, besteht, mithin selbst und an sich gar nichts ist. – Bloß von der Materie ist es wahr, wie ich im Text gesagt und in der Abhandlung über den Satz vom Grunde, am Schlusse des §. 21, ausgeführt habe, daß ihr Seyn in ihrem Wirken besteht, daß sie durch und durch nur Kausalität, also die objektiv angeschaute Kausalität selbst ist: daher ist sie aber eben auch nichts an sich (ἡ ὑλη το αληϑινον ψευδος, materia mendacium verax), sondern ist, als Ingrediens des angeschauten Objekts, ein bloßes Abstraktum, welches für sich allein in keiner Erfahrung gegeben werden kann. Weiter unten wird sie, in einem eigenen Kapitel, ausführlich bettachtet werden. – Das angeschaute Objekt aber muß etwas an sich selbst seyn und nicht blos etwas für Andere: denn sonst wäre es schlechthin nur Vorstellung, und wir hätten einen absoluten Idealismus, der am Ende theoretischer Egoismus würde, bei welchem alle Realität wegfällt und die Welt zum bloßen subjektiven Phantasma wird. Wenn wir inzwischen, ohne weiter zu fragen, bei der Welt als Vorstellung ganz und gar stehen bleiben; so ist es freilich einerlei, ob ich die Objekte für Vorstellungen in meinem Kopfe, oder für in Zeit und Raum sich darstellende Erscheinungen erkläre: weil eben Zeit und Raum selbst nur in meinem Kopfe sind. In diesem Sinne ließe sich alsdann eine Identität des Idealen und Realen immerhin behaupten: jedoch wäre, nachdem Kant dagewesen, nichts Neues damit gesagt. Ueberdies aber wäre dadurch das Wesen der Dinge und der erscheinenden Welt offenbar nicht erschöpft; sondern man stände damit noch immer erst auf der idealen Seite. Die reale Seite muß etwas von der Welt als Vorstellung toto genere Verschiedenes seyn, nämlich Das, was die Dinge an sich selbst sind: und diese gänzliche Diversität des Idealen und Realen ist es, welche Kant am gründlichsten nachgewiesen hat.
Locke nämlich hatte den Sinnen die Erkenntniß der Dinge, wie sie an sich sind, abgesprochen; Kant aber sprach sie auch dem anschauenden Verstande ab, unter welchem Namen ich hier Das, was er die reine Sinnlichkeit nennt, und das die empirische Anschauung vermittelnde Gesetz der Kausalität, sofern es a priori gegeben ist, zusammenfasse. Nicht nur haben Beide Recht, sondern auch ganz unmittelbar läßt sich einsehen, daß ein Widerspruch in der Behauptung liegt, ein Ding werde erkannt nach dem, was es an und für sich, d. h. außer der Erkenntniß, sei. Denn jedes Erkennen ist, wie gesagt, wesentlich ein Vorstellen: aber mein Vorstellen, eben weil es meines ist, kann niemals identisch seyn mit dem Wesen an sich des Dinges außer mir. Das An- und Fürsichseyn jedes Dinges muß nothwendig ein subjektives seyn: in der Vorstellung eines Andern hingegen steht es eben so nothwendig als ein objektives da; ein Unterschied, der nie ganz ausgeglichen werden kann. Denn durch denselben ist die ganze Art seines Daseyns von Grund aus verändert: als objektives setzt es ein fremdes Subjekt, als dessen Vorstellung es existirt, voraus, und ist zudem, wie Kant nachgewiesen hat, in Formen eingegangen, die seinem eigenen Wesen fremd sind, weil sie eben jenem fremden Subjekt, dessen Erkennen erst durch dieselben möglich wird, angehören. Wenn ich, in diese Betrachtung vertieft, etwan leblose Körper von leicht übersehbarer Größe und regelmäßiger, faßlicher Form anschaue und nun versuche, dies räumliche Daseyn, in seinen drei Dimensionen, als das Seyn an sich, folglich als das den Dingen subjektive Daseyn derselben aufzufassen; so wird mir die Unmöglichkeit der Sache geradezu fühlbar, indem ich jene objektiven Formen nimmermehr als das den Dingen subjektive Seyn denken kann, vielmehr mir unmittelbar bewußt werde, daß was ich da vorstelle ein in meinem Gehirn zu Stande gebrachtes und nur für mich als erkennendes Subjekt existirendes Bild ist, welches nicht das letzte, mithin subjektive Seyn an sich und für sich auch nur dieser leblosen Körper ausmachen kann. Andererseits aber darf ich nicht annehmen, daß auch nur diese leblosen Körper ganz allein in meiner Vorstellung existirten; sondern muß ihnen, da sie unergründliche Eigenschaften und vermöge dieser Wirksamkeit haben, ein Seyn an sich, irgend einer Art, zugestehen. Aber eben dieser Unergründlichkeit der Eigenschaften, wie sie zwar einerseits auf ein von unserm Erkennen unabhängig Vorhandenes deutet, giebt andererseits den empirischen Beleg dazu, daß unser Erkennen, weil es nur im Vorstellen mittelst subjektiver Formen besteht, stets bloße Erscheinungen, nicht das Wesen an sich der Dinge liefert. Hieraus nämlich ist es zu erklären, daß in Allem, was wir erkennen, uns ein gewisses Etwas, als ganz unergründlich, verborgen bleibt, und wir gestehen müssen, daß wir selbst die gemeinsten und einfachsten Erscheinungen nicht von Grund aus verstehen können. Denn nicht etwan bloß die höchsten Produktionen der Natur, die lebenden Wesen, oder die komplicirten Phänomene der unorganischen Welt bleiben uns unergründlich; sondern selbst jeder Bergkrystall, jeder Schwefelkies, ist vermöge seiner krystallographischen, optischen, chemischen, elektrischen Eigenschaften, für die eindringende Betrachtung und Untersuchung, ein Abgrund von Unbegreiflichkeiten und Geheimnissen. Dem könnte nicht so seyn, wenn wir die Dinge erkennten, wie sie an sich selbst sind: denn da müßten wenigstens die einfacheren Erscheinungen, zu deren Eigenschaften nicht Unkenntniß uns den Weg versperrt, von Grund aus uns verständlich seyn und ihr ganzes Seyn und Wesen in die Erkenntniß übergehen können. Es liegt also nicht am Mangelhaften unserer Bekanntschaft mit den Dingen, sondern am Wesen des Erkennens selbst. Denn wenn schon unsere Anschauung, mithin die ganze empirische Auffassung der sich uns darstellenden Dinge, wesentlich und hauptsächlich durch unser Erkenntnißvermögen bestimmt und durch dessen Formen und Funktionen bedingt ist; so kann es nicht anders ausfallen, als daß die Dinge auf eine von ihrem selbst-eigenen Wesen ganz verschiedene Weise sich darstellen und daher wie in einer Maske erscheinen, welche das darunter Versteckte immer nur voraussetzen, aber nie erkennen läßt; weshalb es dann als unergründliches Geheimniß durchblinkt, und nie die Natur irgend eines Dinges ganz und ohne Rückhalt in die Erkenntniß übergehen kann, noch viel weniger aber irgend ein Reales sich a priori konstruiren läßt, wie ein Mathematisches. Also ist die empirische Unerforschlichkeit aller Naturwesen ein Beleg a posteriori der Idealität und bloßen Erscheinungswirklichkeit ihres empirischen Daseyns.
Diesem allen zufolge wird man auf dem Wege der objektiven Erkenntniß, mithin von der Vorstellung ausgehend, nie über die Vorstellung, d. i. die Erscheinung, hinausgelangen, wird also bei der Außenseite der Dinge stehen bleiben, nie aber in ihr Inneres dringen und erforschen können, was sie an sich selbst, d. h. für sich selbst, seyn mögen. So weit stimme ich mit Kant überein. Nun aber habe ich, als Gegengewicht dieser Wahrheit, jene andere hervorgehoben, daß wir nicht bloß das erkennende Subjekt sind, sondern andererseits auch selbst zu den zu erkennenden Wesen gehören, selbst das Ding an sich sind; daß mithin zu jenem selbst-eigenen und inneren Wesen der Dinge, bis zu welchem wir von Außen nicht dringen können, uns ein Weg von Innen offen steht, gleichsam ein unterirdischer Gang, eine geheime Verbindung, die uns, wie durch Verrath, mit Einem Male in die Festung versetzt, welche durch Angriff von außen zu nehmen unmöglich war. – Das Ding an sich kann, eben als solches, nur ganz unmittelbar ins Bewußtseyn kommen, nämlich dadurch, daß es selbst sich seiner bewußt wird: es objektiv erkennen wollen, heißt etwas Widersprechendes verlangen. Alles Objektive ist Vorstellung, mithin Erscheinung, ja bloßes Gehirnphänomen.
Kants Hauptresultat läßt sich im Wesentlichen so resumiren: »Alle Begriffe, denen nicht eine Anschauung in Raum und Zeit (sinnliche Anschauung) zum Grunde liegt, d. h. also die nicht aus einer solchen Anschauung geschöpft worden, sind schlechterdings leer, d. h. geben keine Erkenntniß. Da nun aber die Anschauung nur Erscheinungen, nicht Dinge an sich, liefern kann; so haben wir auch von Dingen an sich gar keine Erkenntniß«. – Ich gebe dies von Allem zu, nur nicht von der Erkenntniß, die Jeder von seinem eigenen Wollen hat: diese ist weder eine Anschauung (denn alle Anschauung ist räumlich) noch ist sie leer; vielmehr ist sie realer, als irgend eine andere. Auch ist sie nicht a priori, wie die bloß formale, sondern ganz und gar a posteriori; daher eben wir sie auch nicht, im einzelnen Fall, anticipiren können, sondern hiebei oft des Irrthums über uns selbst überführt werden. – In der That ist unser Wollen die einzige Gelegenheit, die wir haben, irgend einen sich äußerlich darstellenden Vorgang zugleich aus seinem Innern zu verstehen, mithin das einzige uns unmittelbar Bekannte und nicht, wie alles Uebrige, bloß in der Vorstellung Gegebene. Hier also liegt das Datum, welches allein tauglich ist, der Schlüssel zu allem Andern zu werden, oder, wie ich gesagt habe, die einzige, enge Pforte zur Wahrheit. Demzufolge müssen wir die Natur verstehen lernen aus uns selbst, nicht umgekehrt uns selbst aus der Natur. Das uns unmittelbar Bekannte muß uns die Auslegung zu dem nur mittelbar Bekannten geben; nicht umgekehrt. Versteht man etwan das Fortrollen einer Kugel auf erhaltenen Stoß gründlicher, als seine eigene Bewegung auf ein wahrgenommenes Motiv? Mancher mag es wähnen: aber ich sage: es ist umgekehrt. Wir werden jedoch zu der Einsicht gelangen, daß in den beiden so eben erwähnten Vorgängen das Wesentliche identisch ist, wiewohl so identisch, wie der tiefste noch hörbare Ton der Harmonie mit dem zehn Oktaven höher liegenden gleichnamigen der selbe ist.
Inzwischen ist wohl zu beachten, und ich habe es immer festgehalten, daß auch die innere Wahrnehmung, welche wir von unserm eigenen Willen haben, noch keineswegs eine erschöpfende und adäquate Erkenntniß des Dinges an sich liefert. Dies würde der Fall seyn, wenn sie eine ganz unmittelbare wäre: weil sie nun aber dadurch vermittelt ist, daß der Wille, mit und mittelst der Korporisation, sich auch einen Intellekt (zum Behuf seiner Beziehungen zur Außenwelt) schafft und durch diesen nunmehr im Selbstbewußtseyn (dem nothwendigen Widerspiel der Außenwelt) sich als Willen erkennt; so ist diese Erkenntniß des Dinges an sich nicht vollkommen adäquat. Zunächst ist sie an die Form der Vorstellung gebunden, ist Wahrnehmung und zerfällt, als solche, in Subjekt und Objekt. Denn auch im Selbstbewußtseyn ist das Ich nicht schlechthin einfach, sondern besteht aus einem Erkennenden, Intellekt, und einem Erkannten, Wille: jener wird nicht erkannt, und dieser ist nicht erkennend, wenn gleich Beide in das Bewußtseyn Eines Ich zusammenfließen. Aber eben deshalb ist dieses Ich sich nicht durch und durch intim, gleichsam durchleuchtet, sondern ist opak und bleibt daher sich selber ein Räthsel. Also auch in der innern Erkenntniß findet noch ein Unterschied Statt zwischen dem Seyn an sich ihres Objekts und der Wahrnehmung desselben im erkennenden Subjekt. Jedoch ist die innere Erkenntniß von zwei Formen frei, welche der äußern anhängen, nämlich von der des Raums und von der alle Sinnesanschauung vermittelnden Form der Kausalität. Hingegen bleibt noch die Form der Zeit, wie auch die des Erkanntwerdens und Erkennens überhaupt. Demnach hat in dieser innern Erkenntniß das Ding an sich seine Schleier zwar großen Theils abgeworfen, tritt aber doch noch nicht ganz nackt aus. In Folge der ihm noch anhängenden Form der Zeit erkennt Jeder seinen Willen nur in dessen successiven einzelnen Akten, nicht aber im Ganzen, an und für sich: daher eben Keiner seinen Charakter a priori kennt, sondern ihn erst erfahrungsmäßig und stets unvollkommen kennen lernt. Aber dennoch ist die Wahrnehmung, in der wir die Regungen und Akte des eigenen Willens erkennen, bei Weitem unmittelbarer, als jede andere: sie ist der Punkt, wo das Ding an sich am unmittelbarsten in die Erscheinung tritt, und in größter Nähe vom erkennenden Subjekt beleuchtet wird; daher eben der also intim erkannte Vorgang der Ausleger jedes anderen zu werden einzig und allein geeignet ist.
Denn bei jedem Hervortreten eines Willensaktes aus der dunkeln Tiefe unsers Innern in das erkennende Bewußtseyn geschieht ein unmittelbarer Uebergang des außer der Zeit liegenden Dinges an sich in die Erscheinung. Demnach ist zwar der Willensakt nur die nächste und deutlichste Erscheinung des Dinges an sich; doch folgt hieraus, daß wenn alle übrigen Erscheinungen eben so unmittelbar und innerlich von uns erkannt werden könnten, wir sie für eben das ansprechen müßten, was der Wille in uns ist. In diesem Sinne also lehre ich, daß das innere Wesen eines jeden Dinges Wille ist, und nenne den Willen das Ding an sich. Hiedurch wird Kants Lehre von der Unerkennbarkeit des Dinges an sich dahin modifizirt, daß dasselbe nur nicht schlechthin und von Grund aus erkennbar sei, daß jedoch die bei Weitem unmittelbarste seiner Erscheinungen, welche durch diese Unmittelbarkeit sich von allen übrigen toto genere unterscheidet, es für uns vertritt, und wir sonach die ganze Welt der Erscheinungen zurückzuführen haben auf diejenige, in welcher das Ding an sich in der allerleichtesten Verhüllung sich darstellt und nur noch insofern Erscheinung bleibt, als mein Intellekt, der allein das der Erkenntniß Fähige ist, von mir als dem Wollenden noch immer unterschieden bleibt und auch die Erkenntnißform der Zeit, selbst bei der innern Perception, nicht ablegt.
Demzufolge läßt, auch nach diesem letzten und äußersten Schritt, sich noch die Frage aufwerfen, was denn jener Wille, der sich in der Welt und als die Welt darstellt, zuletzt schlechthin an sich selbst sei? d. h. was er sei, ganz abgesehen davon, daß er sich als Wille darstellt, oder überhaupt erscheint, d. h. überhaupt erkannt wird. – Diese Frage ist nie zu beantworten: weil, wie gesagt, das Erkanntwerden selbst schon dem Ansichseyn widerspricht und jedes Erkannte schon als solches nur Erscheinung ist. Aber die Möglichkeit dieser Frage zeigt an, daß das Ding an sich, welches Wir am unmittelbarsten im Willen erkennen, ganz außerhalb aller möglichen Erscheinung, Bestimmungen, Eigenschaften, Daseynsweisen haben mag, welche für uns schlechthin unerkennbar und unfaßlich sind, und welche eben dann als das Wesen des Dinges an sich übrig bleiben, wann sich dieses, wie im vierten Buche dargelegt wird, als Wille frei aufgehoben hat, daher ganz aus der Erscheinung herausgetreten und für unsere Erkenntniß, d. h. hinsichtlich der Welt der Erscheinungen, ins leere Nichts übergegangen ist. Wäre der Wille das Ding an sich schlechthin und absolut; so wäre auch dieses Nichts ein absolutes; statt daß es sich eben dort uns ausdrücklich nur als ein relatives ergiebt.
Indem ich nun daran gehe, die, sowohl in unserm zweiten Buche, als auch in der Schrift »Ueber den Willen in der Natur« gelieferte Begründung der Lehre, daß in sämmtlichen Erscheinungen dieser Welt sich, auf verschiedenen Stufen, eben Das objektivirt, was in der unmittelbarsten Erkenntniß sich als Wille kund giebt, noch durch einige dahin gehörige Betrachtungen zu ergänzen, will ich damit anfangen, eine Reihe psychologischer Thatsachen vorzuführen, welche darthun, daß zunächst in unserm eigenen Bewußtseyn der Wille stets als das Primäre und Fundamentale auftritt und durchaus den Vorrang behauptet vor dem Intellekt, welcher sich dagegen durchweg als das Sekundäre, Untergeordnete und Bedingte erweist. Diese Nachweisung ist um so nöthiger, als alle mir vorhergegangenen Philosophen, vom ersten bis zum letzten, das eigentliche Wesen, oder den Kern des Menschen in das erkennende Bewußtseyn setzen, und demnach das Ich, oder bei Vielen dessen transscendente Hypostase, genannt Seele, als zunächst und wesentlich erkennend, ja denkend, und erst in Folge hievon, sekundärer und abgeleiteter Weise, als wollend aufgefaßt und dargestellt habend. Dieser uralte und ausnahmslose Grundirrthum, dieses enorme πϱωτοτον ψευδος und fundamentale ὑστεϱου πϱοτεϱον ist, vor allen Dingen, zu beseitigen und dagegen die naturgemäße Beschaffenheit der Sache zum völlig deutlichen Bewußtseyn zu bringen. Da aber Dieses, nach Jahrtausenden des Philosophirens, hier zum ersten Male geschieht, wird einige Ausführlichkeit dabei an ihrer Stelle seyn. Das auffallende Phänomen, daß in diesem grundwesentlichen Punkte alle Philosophen geirrt, ja, die Wahrheit auf den Kopf gestellt haben, möchte, zumal bei denen der Christlichen Jahrhunderte, zum Theil daraus zu erklären seyn, daß sie sämmtlich die Absicht hatten, den Menschen als vom Thiere möglichst weit verschieden darzustellen, dabei jedoch dunkel fühlten, daß die Verschiedenheit Beider im Intellekt liegt, nicht im Willen; woraus ihnen unbewußt die Neigung hervorging, den Intellekt zum Wesentlichen und zur Hauptsache zu machen, ja, das Wollen als eine bloße Funktion des Intellekts darzustellen. – Daher ist auch der Begriff einer Seele nicht nur, wie durch die Kritik der reinen Vernunft feststeht, als transscendente Hypostase, unstatthaft; sondern er wird zur Quelle unheilbarer Irrthümer, dadurch, daß er, in seiner »einfachen Substanz«, eine untheilbare Einheit der Erkenntniß und des Willens vorweg feststellt, deren Trennung gerade der Weg zur Wahrheit ist. Jener Begriff darf daher in der Philosophie nicht mehr vorkommen, sondern ist den Deutschen Medicinern und Physiologen zu überlassen, welche, nachdem sie Skalpel und Spatel weggelegt haben, mit ihren bei der Konfirmation überkommenen Begriffen zu philosophiren unternehmen. Sie mögen allenfalls ihr Glück damit in England versuchen. Die französischen Physiologen und Zootomen haben sich (bis vor Kurzem) von jenem Vorwurf durchaus frei gehalten.
Die nächste, allen jenen Philosophen sehr unbequeme Folge ihres gemeinschaftlichen Grundirrthums ist diese: da im Tode das erkennende Bewußtseyn augenfällig untergeht; so müssen sie entweder den Tod als Vernichtung des Menschen gelten lassen, wogegen unser Inneres sich auflehnt; oder sie müssen zu der Annahme einer Fortdauer des erkennenden Bewußtseyns greifen, zu welcher ein starker Glaube gehört, da Jedem seine eigene Erfahrung die durchgängige und gänzliche Abhängigkeit des erkennenden Bewußtseyns vom Gehirn sattsam bewiesen hat, und man eben so leicht eine Verdauung ohne Magen glauben kann, wie ein erkennendes Bewußtseyn ohne Gehirn. Aus diesem Dilemma führt allein meine Philosophie, als welche zuerst das eigentliche Wesen des Menschen nicht in das Bewußtseyn, sondern in den Willen setzt, der nicht wesentlich mit Bewußtseyn verbunden ist, sondern sich zum Bewußtseyn, d. h. zur Erkenntniß, verhält wie Substanz zu Accidenz, wie ein Beleuchtetes zum Licht, wie die Saite zum Resonanzboden, und der von Innen in das Bewußtseyn fällt, wie die Körperwelt von Außen. Nunmehr können wir die Unzerstörbarkeit dieses unsers eigentlichen Kernes und wahren Wesens fassen, trotz dem offenbaren Untergehen des Bewußtseyns im Tode und dem entsprechenden Nichtvorhandenseyn desselben vor der Geburt. Denn der Intellekt ist so vergänglich, wie das Gehirn, dessen Produkt, oder vielmehr Aktion er ist. Das Gehirn aber ist, wie der gesammte Organismus, Produkt, oder Erscheinung, kurz Sekundäres, des Willens, welcher allein das Unvergängliche ist.