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Dieses Kapitel bezieht sich auf §. 29 des ersten Bandes.
Unser zweites Buch schließt mit der Frage nach dem Ziel und Zweck jenes Willens, der sich als das Wesen an sich aller Dinge der Welt ergeben hatte. Die dort im Allgemeinen gegebene Beantwortung derselben zu ergänzen, dienen die folgenden Betrachtungen, indem sie den Charakter jenes Willens überhaupt darlegen.
Eine solche Charakteristik ist darum möglich, weil wir als das innere Wesen der Welt etwas durchaus Wirkliches und empirisch Gegebenes erkannt haben. Hingegen schon die Benennung »Weltseele«, wodurch Manche jenes innere Wesen bezeichnet haben, giebt statt desselben ein bloßes ens rationis: denn »Seele« besagt eine individuelle Einheit des Bewußtseyns, die offenbar jenem Wesen nicht zukommt, und überhaupt ist der Begriff »Seele«, weil er Erkennen und Wollen in unzertrennlicher Verbindung und dabei doch unabhängig vom animalischen Organismus hypostasirt, nicht zu rechtfertigen, also nicht zu gebrauchen. Das Wort sollte nie anders als in tropischer Bedeutung angewendet werden: denn es ist keineswegs so unverfänglich, wie ψνχη oder anima, als welche Athem bedeuten. –
Noch viel unpassender jedoch ist die Ausdrucksweise der sogenannten Pantheisten, deren ganze Philosophie hauptsächlich darin besteht, daß sie das innere, ihnen unbekannte Wesen der Welt »Gott« betiteln; womit sie sogar viel geleistet zu haben meynen. Danach wäre denn die Welt eine Theophanie. Man sehe sie doch nur ein Mal darauf an, diese Welt beständig bedürftiger Wesen, die bloß dadurch, daß sie einander auffressen, eine Zeitlang bestehen, ihr Daseyn unter Angst und Noth durchbringen und oft entsetzliche Quaalen erdulden, bis sie endlich dem Tode in die Arme stürzen: wer dies deutlich ins Auge faßt, wird dem Aristoteles Recht geben, wenn er sagt: ἡ φνσις δαιμονια, αλλ ον ϑεια εστι (natura daemonia est, non divina); de divinat., c. 2, p. 463; ja, er wird gestehen müssen, daß einen Gott, der sich hätte beigehen lassen, sich in eine solche Welt zu verwandeln, doch wahrlich der Teufel geplagt haben müßte. – Ich weiß es wohl, die vorgeblichen Philosophen dieses Jahrhunderts thun es dem Spinoza nach und halten sich hiedurch gerechtfertigt. Allein Spinoza hatte besondere Gründe, seine alleinige Substanz so zu benennen, um nämlich wenigstens das Wort, wenn auch nicht die Sache, zu retten. Giordano Bruno's und Vanini's Scheiterhaufen waren noch in frischem Andenken: auch Diese nämlich waren jenem Gott geopfert worden, für dessen Ehre, ohne allen Vergleich, mehr Menschenopfer geblutet haben, als auf den Altären aller heidnischen Götter beider Hemisphären zusammengenommen. Wenn daher Spinoza die Welt Gott benennt; so ist es gerade nur so, wie wenn Rousseau, im Contrat social, stets und durchgängig mit dem Wort le souverain das Volk bezeichnet: auch könnte man es damit vergleichen, daß einst ein Fürst, welcher beabsichtigte, in seinem Lande den Adel abzuschaffen, auf den Gedanken kam, um Keinem das Seine zu nehmen, alle seine Unterthanen zu adeln. Jene Weisen unserer Tage haben freilich für die in Rede stehende Benennung noch einen andern Grund, der aber um nichts triftiger ist. Sie alle nämlich gehen, bei ihrem Philosophiren, nicht von der Welt oder unserm Bewußtseyn von dieser aus, sondern von Gott, als einem Gegebenen und Bekannten: er ist nicht ihr quaesitum, sondern ihr datum. Wären sie Knaben, so würde ich ihnen darthun, daß dies eine petitio principii ist: jedoch sie wissen es, so gut wie ich. Allein nachdem Kant bewiesen hat, daß der Weg des frühern, redlich verfahrenden Dogmatismus, von der Welt zu einem Gott, doch nicht dahin führe; – da meynen nun diese Herren, sie hätten einen feinen Ausweg gefunden und machten es pfiffig. Der Leser späterer Zeit verzeihe, daß ich ihn von Leuten unterhalte, die er nicht kennt.
Jeder Blick auf die Welt, welche zu erklären die Aufgabe des Philosophen ist, bestätigt und bezeugt, daß Wille zum Leben, weit entfernt eine beliebige Hypostase, oder gar ein leeres Wort zu seyn, der allein wahre Ausdruck ihres innersten Wesens ist. Alles drängt und treibt zum Daseyn, wo möglich zum organischen, d. i. zum Leben, und danach zur möglichsten Steigerung desselben: an der thierischen Natur wird es dann augenscheinlich, daß Wille zum Leben der Grundton ihres Wesens, die einzige unwandelbare und unbedingte Eigenschaft desselben ist. Man betrachte diesen universellen Lebensdrang, man sehe die unendliche Bereitwilligkeit, Leichtigkeit und Ueppigkeit, mit welcher der Wille zum Leben, unter Millionen Formen, überall und jeden Augenblick, mittelst Befruchtungen und Keimen, ja, wo diese mangeln, mittelst generatio aequivoca, sich ungestüm ins Daseyn drängt, jede Gelegenheit ergreifend, jeden lebensfähigen Stoff begierig an sich reißend: und dann wieder werfe man einen Blick auf den entsetzlichen Allarm und wilden Aufruhr desselben, wann er in irgend einer einzelnen Erscheinung aus dem Daseyn weichen soll; zumal wo dieses bei deutlichem Bewußtseyn eintritt. Da ist es nicht anders, als ob in dieser einzigen Erscheinung die ganze Welt auf immer vernichtet werden sollte, und das ganze Wesen eines so bedrohten Lebenden verwandelt sich sofort in das verzweifelteste Sträuben und Wehren gegen den Tod. Man sehe z. B. die unglaubliche Angst eines Menschen in Lebensgefahr, die schnelle und so ernstliche Theilnahme jedes Zeugen derselben und den gränzenlosen Jubel nach der Rettung. Man sehe das starre Entsetzen, mit welchem ein Todesurtheil vernommen wird, das tiefe Grausen, mit welchem wir die Anstalten zu dessen Vollziehung erblicken, und das herzzerreißende Mitleid, welches uns bei dieser selbst ergreift. Da sollte man glauben, daß es sich um etwas ganz Anderes handelte, als bloß um einige Jahre weniger einer leeren, traurigen, durch Plagen jeder Art verbitterten und stets ungewissen Existenz; vielmehr müßte man denken, daß Wunder was daran gelegen sei, ob Einer etliche Jahre früher dahin gelangt, wo er, nach einer ephemeren Existenz, Billionen Jahre zu seyn hat. – An solchen Erscheinungen also wird sichtbar, daß ich mit Recht als das nicht weiter Erklärliche, sondern jeder Erklärung zum Grunde zu Legende, den Willen zum Leben gesetzt habe, und daß dieser, weit entfernt, wie das Absolutum, das Unendliche, die Idee und ähnliche Ausdrücke mehr, ein leerer Wortschall zu seyn, das Allerrealste ist, was wir kennen, ja, der Kern der Realität selbst.
Wenn wir nun aber, von dieser aus unserm Innern geschöpften Interpretation einstweilen abstrahirend, uns der Natur fremd gegenüber stellen, um sie objektiv zu erfassen; so finden wir, daß sie, von der Stufe des organischen Lebens an, nur eine Absicht hat: die der Erhaltung aller Gattungen. Auf diese arbeitet sie hin, durch die unermeßliche Ueberzahl von Keimen, durch die dringende Heftigkeit des Geschlechtstriebes, durch dessen Bereitwilligkeit sich allen Umständen und Gelegenheiten anzupassen, bis zur Bastarderzeugung, und durch die instinktive Mutterliebe, deren Stärke so groß ist, daß sie, in vielen Thierarten, die Selbstliebe überwiegt, so daß die Mutter ihr Leben opfert, um das des Jungen zu retten. Das Individuum hingegen hat für die Natur nur einen indirekten Werth, nämlich nur sofern es das Mittel ist, die Gattung zu erhalten. Außerdem ist ihr sein Daseyn gleichgültig, ja, sie selbst führt es dem Untergang entgegen, sobald es aufhört zu jenem Zwecke tauglich zu seyn. Wozu das Individuum dasei, wäre also deutlich: aber wozu die Gattung selbst? dies ist eine Frage, auf welche die bloß objektiv betrachtete Natur die Antwort schuldig bleibt. Denn vergeblich sucht man, bei ihrem Anblick, von diesem rastlosen Treiben, diesem ungestümen Drängen ins Daseyn, dieser ängstlichen Sorgfalt für die Erhaltung der Gattungen, einen Zweck zu entdecken. Die Kräfte und die Zeit der Individuen gehen auf in der Anstrengung für ihren und ihrer Jungen Unterhalt, und reichen nur knapp, bisweilen selbst gar nicht dazu aus. Wenn aber auch hier und da ein Mal ein Ueberschuß von Kraft und dadurch von Wohlbehagen – bei der einen vernünftigen Gattung, auch wohl von Erkenntniß – bleibt; so ist dies viel zu unbedeutend, um für den Zweck jenes ganzen Treibens der Natur gelten zu können. – Die ganze Sache so rein objektiv und sogar fremd ins Auge gefaßt, sieht es gerade aus, als ob der Natur bloß daran gelegen wäre, daß von allen ihren (Platonischen) Ideen, d. i. permanenten Formen, keine verloren gehen möge; danach hätte sie in der glücklichen Erfindung und Aneinanderfügung dieser Ideen (zu der die drei vorhergegangenen Thierbevölkerungen der Erdoberfläche die Vorübung gewesen) sich selber so gänzlich genug gethan, daß jetzt ihre einzige Besorgniß wäre, es könne irgend einer dieser schönen Einfälle verloren gehen, d. i. irgend eine jener Formen könne aus der Zeit und Kausalreihe verschwinden. Denn die Individuen sind flüchtig, wie das Wasser im Bach, die Ideen hingegen beharrend, wie dessen Strudel: nur das Versiegen des Wassers würde auch sie vernichten. – Bei dieser räthselhaften Ansicht müßten wir stehen bleiben, wenn die Natur uns allein von außen, also bloß objektiv gegeben wäre, und wir sie, wie sie von der Erkenntniß aufgefaßt wird, auch als aus der Erkenntniß, d.i. im Gebiete der Vorstellung, entsprungen annehmen und demnach, bei ihrer Enträthselung, auf diesem Gebiete uns halten müßten. Allein es verhält sich anders, und allerdings ist uns ein Blick ins Innere der Natur gestattet: sofern nämlich dieses nichts Anderes, als unser eigenes Inneres ist, woselbst gerade die Natur, auf der höchsten Stufe, zu welcher ihr Treiben sich hinaufarbeiten konnte, angekommen, nun vom Lichte der Erkenntniß, im Selbstbewußtseyn, unmittelbar getroffen wird. Hier zeigt sich uns der Wille, als ein von der Vorstellung, in der die Natur, zu allen ihren Ideen entfaltet, dastand, toto genere Verschiedenes, und giebt uns jetzt, mit Einem Schlage, den Aufschluß, der auf dem bloß objektiven Wege der Vorstellung nie zu finden war. Das Subjektive also giebt hier den Schlüssel zur Auslegung des Objektiven.
Um den oben, zur Charakteristik dieses Subjektiven, oder des Willens, dargelegten, überschwänglich starken Hang aller Thiere und Menschen, das Leben zu erhalten und möglichst lange fortzusetzen, als ein Ursprüngliches und Unbedingtes zu erkennen, ist noch erfordert, daß wir uns deutlich machen, daß derselbe keineswegs das Resultat irgend einer objektiven Erkenntniß vom Werthe des Lebens, sondern von aller Erkenntniß unabhängig sei; oder, mit andern Worten, daß jene Wesen nicht als von vorne gezogen, sondern als von hinten getrieben sich darstellen.
Wenn man, in dieser Absicht, zuvörderst die unabsehbare Reihe der Thiere mustert, die endlose Mannigfaltigkeit ihrer Gestalten betrachtet, wie sie, nach Element und Lebensweise, stets anders modificirt sich darstellen, dabei zugleich die unerreichbare und in jedem Individuo gleich vollkommen ausgeführte Künstlichkeit des Baues und Getriebes derselben erwägt, und endlich den unglaublichen Aufwand von Kraft, Gewandtheit, Klugheit und Thätigkeit, den jedes Thier, sein Leben hindurch, unaufhörlich zu machen hat, in Betrachtung nimmt; wenn man, näher darauf eingehend, z. B. die rastlose Emsigkeit kleiner, armsäliger Ameisen, die wundervolle und künstliche Arbeitsamkeit der Bienen sich vor Augen stellt, oder zusieht, wie ein einzelner Todtengräber (
Necrophorus Vespillo) einen Maulwurf von vierzig Mal seine eigene Größe in zwei Tagen begräbt, um seine Eier hineinzulegen und der künftigen Brut Nahrung zu sichern (
Gleditsch, Physik. Bot. Oekon., Abhandl. III, 220), hiebei sich vergegenwärtigend, wie überhaupt das Leben der meisten Insekten nichts als eine rastlose Arbeit ist, um Nahrung und Aufenthalt für die aus ihren Eiern künftig erstehende Brut vorzubereiten, welche dann, nachdem sie die Nahrung verzehrt und sich verpuppt hat, ins Leben tritt, bloß um dieselbe Arbeit von vorne wieder anzufangen; dann auch, wie, dem ähnlich, das Leben der Vögel größtentheils hingeht mit ihrer weiten und mühsamen Wanderung, dann mit dem Bau des Nestes und Zuschleppen der Nahrung für die Brut, welche selbst, im folgenden Jahre, die nämliche Rolle zu spielen hat, und so Alles stets für die Zukunft arbeitet, welche nachher Bankrott macht; – da kann man nicht umhin, sich umzusehen nach dem Lohn für alle diese Kunst und Mühe, nach dem Zweck, welchen vor Augen habend die Thiere so rastlos streben, kurzum zu fragen: Was kommt dabei heraus? Was wird erreicht durch das thierische Daseyn, welches so unübersehbare Anstalten erfordert? – Und da ist nun nichts aufzuweisen, als die Befriedigung des Hungers und des Begattungstriebes, und allenfalls noch ein wenig augenblickliches Behagen, wie es jedem thierischen Individuo, zwischen seiner endlosen Noth und Anstrengung, dann und wann zu Theil wird. Wenn man Beides, die unbeschreibliche Künstlichkeit der Anstalten, den unsäglichen Reichthum der Mittel, und die Dürftigkeit des dadurch Bezweckten und Erlangten neben einander hält; so dringt sich die Einsicht auf, daß das Leben ein Geschäft ist, dessen Ertrag bei Weitem nicht die Kosten deckt. Am augenfälligsten wird Dies an manchen Thieren von besonders einfacher Lebensweise. Man betrachte z. B. den Maulwurf, diesen unermüdlichen Arbeiter. Mit seinen übermäßigen Schaufelpfoten angestrengt zu graben, – ist die Beschäftigung seines ganzen Lebens: bleibende Nacht umgiebt ihn: seine embryonischen Augen hat er bloß, um das Licht zu fliehen. Er allein ist ein wahres
animal nocturnum; nicht Katzen, Eulen und Fledermäuse, die bei Nacht sehen. Was aber nun erlangt er durch diesen mühevollen und freudenleeren Lebenslauf? Futter und Begattung: also nur die Mittel, die selbe traurige Bahn fortzusetzen und wieder anzufangen, im neuen Individuo. An solchen Beispielen wird es deutlich, daß zwischen den Mühen und Plagen des Lebens und dem Ertrag oder Gewinn desselben kein Verhältniß ist. Dem Leben der sehenden Thiere giebt das Bewußtseyn der anschaulichen Welt, obwohl es bei ihnen durchaus subjektiv und auf die Einwirkung der Motive beschränkt ist, doch einen Schein von objektivem Werth des Daseyns. Aber der
blinde Maulwurf, mit seiner so vollkommenen Organisation und seiner rastlosen Thätigkeit, auf den Wechsel von Insektenlarven und Hungern beschränkt, macht die Unangemessenheit der Mittel zum Zweck augenscheinlich. – In dieser Hinsicht ist auch die Betrachtung der sich selber überlassenen Thierwelt, in menschenleeren Ländern, besonders belehrend. Ein schönes Bild einer solchen und der Leiden, welche ihr, ohne Zuthun des Menschen, die Natur selbst bereitet, giebt
Humboldt in seinen »Ansichten der Natur«, zweite Auflage, S. 30 fg.: auch unterläßt er nicht, S. 44, auf das analoge Leiden des mit sich selbst allezeit und überall entzweiten Menschengeschlechts einen Blick zu werfen. Jedoch wird am einfachen, leicht übersehbaren Leben der Thiere die Nichtigkeit und Vergeblichkeit des Strebens der ganzen Erscheinung leichter faßlich. Die Mannigfaltigkeit der Organisationen, die Künstlichkeit der Mittel, wodurch jede ihrem Element und ihrem Raube angepaßt ist, kontrastirt hier deutlich mit dem Mangel irgend eines haltbaren Endzweckes; statt dessen sich nur augenblickliches Behagen, flüchtiger, durch Mangel bedingter Genuß, vieles und langes Leiden, beständiger Kampf,
bellum omnium, Jedes ein Jäger und Jedes gejagt, Gedränge, Mangel, Noth und Angst, Geschrei und Geheul darstellt: und das geht so fort, in
secula seculorum, oder bis ein Mal wieder die Rinde des Planeten bricht.
Junghuhn erzählt, daß er auf Java ein unabsehbares Feld ganz mit Gerippen bedeckt erblickt und für ein Schlachtfeld gehalten habe: es waren jedoch lauter Gerippe großer, fünf Fuß langer, drei Fuß breiter und eben so hoher Schildkröten, welche, um ihre Eier zu legen, vom Meere aus, dieses Weges gehen und dann von wilden Hunden (
Canis rutilans) angepackt werden, die, mit vereinten Kräften sie auf den Rücken legen, ihnen den untern Harnisch, also die kleinen Schilder des Bauches, aufreißen und so sie lebendig verzehren. Oft aber fällt alsdann über die Hunde ein Tiger her. Dieser ganze Jammer nun wiederholt sich tausend und aber tausend Mal, Jahr aus, Jahr ein. Dazu werden also diese Schildkröten geboren. Für welche Verschuldung müssen sie diese Quaal leiden? Wozu die ganze Gräuelscene? Darauf ist die alleinige Antwort: so objektivirt sich der
Wille zum Leben
Die Geschichte eines Eichhörnchens, von einer Schlange
magisch bis in ihren Rachen gezogen, sehr schön beschrieben, steht im
Siècle, 10. Avril 1859, und daraus in Dupotets
Journal du Magnetisme, v. 25. Mai 1859: »Un voyageur qui vient de parcourir plusieurs provinces de l'île de Java cite un exemple remarquable du pouvoir fascinateur des serpens ... Il commençait à gravir le Junjind, un des monts appelés par les Hollandais Pepergebergte. Après avoir pénétré dans une épaisse forêt, il aperçut sur les branches d’un kijatile un écureuil de Java à tête blanche, folâtrant avec la grâce et l'agilité qui distinguent cette charmante espèce de rongeurs. Un nid sphérique, formé de brins flexibles et de mousse, placé dans les parties les plus élevées de l'arbre, à l'enfourchure de deux branches, et une cavité dans le tronc, semblaient les points de mire de ses jeux. A peine s'en était-il éloigné qu’il y revenait avec une ardeur extrême. On était dans le mois de juillet, et probablement l'écureuil avait en haut ses petits, et dans le bas le magasin à fruits. Bientôt il fut comme saisi d’effroi, ses mouvemens devinrent désordonnés, on eut dit qu'il cherchait toujours à mettre un obstacle entre lui et certaines parties des l'arbre: puis il se tapit et resta immobile entre deux branches. Le voyageur eut le sentiment d'un danger pour l'innocente bête, mais il ne pouvait deviner lequel. Il approcha, et un examen attentif lui fit découvrir dans un creux du tronc une couleuvre lien, dardant ses yeux fixes dans la direction de l'écureuil ... Notre voyageur trembla donc pour le pauvre écureuil. – L’appareil destiné à la perception des sons est peu parfait chez les serpents et ils ne paraissent pas avoir l'ouïe très fine. La couleuvre était d'ailleurs si attentive à sa proie qu’elle ne semblait nullement remarquer la présence d’un homme. Notre voyageur, qui était armé, aurait donc pu venir en aide à l'infortuné rongeur en tuant le serpent. Mais la science l'emporta sur la pitié, et il voulut voir quelle issue aurait le drame. Le dénoûment fut tragique. L'écureuil ne tarda point à pousser un cri plaintif qui, pour tous ceux qui le connaissent, dénote le voisinage d'un serpent. Il avança un peu, essaya de reculer, revint encore en avant, tâcha de retourner en arrière, mais s'approcha toujours plus du reptile. La couleuvre, roulée en spirale, la tête au dessus des anneaux, et immobile comme un morceau de bois, ne le quittait pas du regard. L'écureuil, de branche en branche, et descendant toujours plus bas, arriva jusqu'à la partie nue du tronc. Alors le pauvre animal ne tenta même plus de fuir le danger. Attiré par une puissance invincible, et comme poussé par le vertige, il se précipita dans la gueule du serpent, qui s'ouvrit tout à coup démesurément pour le recevoir. Autant la couleuvre avait été inerte jusque là, autant elle devint active dès qu'elle fut en possession de sa proie. Déroulant ses anneaux et prenant sa course de bas en haut avec une agilité inconcevable, sa reptation la porta en un clin d’oeil au sommet de l'arbre, où elle alla sans doute digérer et dormir.«
Diese Geschichte ist nicht bloß in magischer Hinsicht wichtig, sondern auch als Argument zum
Pessimismus: daß ein Thier vom andern überfallen und gefressen wird, ist schlimm, jedoch kann man sich darüber beruhigen: aber daß so ein armes unschuldiges Eichhorn, neben dem Neste mit seinen Jungen sitzend, gezwungen ist, schrittweise, zögernd, mit sich selbst kämpfend und wehklagend dem weit offenen Rachen der Schlange entgegenzugehn und mit Bewußtseyn sich hineinzustürzen, – ist so empörend und himmelschreiend, daß man fühlt wie Recht Aristoteles hat zu sagen: ἡ φυσις δαιμονια μεν εστι, ου δε ϑεια. – Was für eine entsetzliche Natur ist diese, der wir angehören!
[Variante:] An diesem Beispiel ersieht man, welcher Geist die Natur belebt, indem er sich darin offenbart, und wie sehr wahr der oben (S. 399) angeführte Ausspruch des Aristoteles ist.. Man betrachte ihn wohl und fasse ihn auf, in allen seinen Objektivationen: dann wird man zum Verständniß seines Wesens und der Welt gelangen; nicht aber wenn man allgemeine Begriffe konstruirt und daraus Kartenhäuser baut. Die Auffassung des großen Schauspiels der Objektivation des
Willens zum Leben und der Charakteristik seines Wesens erfordert freilich etwas genauere Betrachtung und größere Ausführlichkeit, als die Abfertigung der Welt dadurch, daß man ihr den Titel Gott belegt, oder, mit einer Niaiserie, wie sie nur das Deutsche Vaterland darbietet und zu genießen weiß, erklärt, es sei die »Idee in ihrem Andersseyn«, – woran die Pinsel meiner Zeit zwanzig Jahre hindurch ihr unsägliches Genügen gefunden haben. Freilich: nach dem Pantheismus oder Spinozismus, dessen bloße Travestien jene Systeme unsers Jahrhunderts sind, haspelt das Alles sich wirklich ohne Ende, die Ewigkeit hindurch so fort. Denn da ist die Welt ein Gott,
ens perfectissimum: d. h. es kann nichts Besseres geben, noch gedacht werden. Also bedarf es keiner Erlösung daraus; folglich giebt es keine. Wozu aber die ganze Tragikomödie da sei, ist nicht entfernt abzusehen; da sie keine Zuschauer hat und die Akteurs selbst unendliche Plage ausstehen, bei wenigem und bloß negativem Genuß.
Nehmen wir jetzt noch die Betrachtung des Menschengeschlechts hinzu; so wird die Sache zwar komplicirter und erhält einen gewissen ernsten Anstrich: doch bleibt der Grundcharakter unverändert. Auch hier stellt das Leben sich keineswegs dar als ein Geschenk zum Genießen, sondern als eine Aufgabe, ein Pensum zum Abarbeiten, und dem entsprechend sehen wir, im Großen wie im Kleinen, allgemeine Noth, rastloses Mühen, beständiges Drängen, endlosen Kampf, erzwungene Thätigkeit, mit äußerster Anstrengung aller Leibes- und Geisteskräfte. Viele Millionen, zu Völkern vereinigt, streben nach dem Gemeinwohl, jeder Einzelne seines eigenen wegen; aber viele Tausende fallen als Opfer für dasselbe. Bald unsinniger Wahn, bald grübelnde Politik, hetzt sie zu Kriegen auf einander: dann muß Schweiß und Blut des großen Haufens fließen, die Einfälle Einzelner durchzusetzen, oder ihre Fehler abzubüßen. Im Frieden ist Industrie und Handel thätig, Erfindungen thun Wunder, Meere werden durchschifft, Leckereien aus allen Enden der Welt zusammengeholt, die Wellen verschlingen Tausende. Alles treibt, die Einen sinnend, die Andern handelnd, der Tumult ist unbeschreiblich. – Aber der letzte Zweck von dem Allen, was ist er? Ephemere und geplagte Individuen eine kurze Spanne Zeit hindurch zu erhalten, im glücklichsten Fall mit erträglicher Noth und komparativer Schmerzlosigkeit, der aber auch sogleich die Langeweile aufpaßt; sodann die Fortpflanzung dieses Geschlechts und seines Treibens. – Bei diesem offenbaren Mißverhältniß zwischen der Mühe und dem Lohn, erscheint uns, von diesem Gesichtspunkt aus, der Wille zum Leben, objektiv genommen, als ein Thor, oder subjektiv, als ein Wahn, von welchem alles Lebende ergriffen, mit äußerster Anstrengung seiner Kräfte, auf etwas hinarbeitet, das keinen Werth hat. Allein bei genauerer Betrachtung werden wir auch hier finden, daß er vielmehr ein blinder Drang, ein völlig grundloser, unmotivirter Trieb ist.
Das Gesetz der Motivation nämlich erstreckt sich, wie §. 29 des ersten Bandes ausgeführt worden, nur auf die einzelnen Handlungen, nicht auf das Wollen im Ganzen und überhaupt. Hierauf beruht es, daß wenn wir das Menschengeschlecht und sein Treiben im Ganzen und Allgemeinen auffassen, dasselbe sich uns nicht, wie wenn wir die einzelnen Handlungen im Auge haben, darstellt als ein Spiel von Puppen, die nach Art der gewöhnlichen, durch äußere Fäden gezogen werden; sondern von diesem Gesichtspunkt aus, als Puppen, welche ein inneres Uhrwerk in Bewegung setzt. Denn, wenn man, wie im Obigen geschehen, das so rastlose, ernstliche und mühevolle Treiben der Menschen vergleicht mit dem, was ihnen dafür wird, ja auch nur jemals werden kann, so stellt das dargelegte Mißverhältniß sich heraus, indem man erkennt, daß das zu Erlangende, als bewegende Kraft genommen, zur Erklärung jener Bewegung und jenes rastlosen Treibens durchaus unzulänglich ist. Was nämlich ist denn ein kurzer Aufschub des Todes, eine kleine Erleichterung der Noth, Zurückschiebung des Schmerzes, momentane Stillung des Wunsches, – bei so häufigem Siege jener Allen und gewissem des Todes? Was könnten dergleichen Vortheile vermögen, genommen als wirkliche Bewegungsursachen eines, durch stete Erneuerung, zahllosen Menschengeschlechts, welches unablässig sich rührt, treibt, drängt, quält, zappelt und die gesammte tragikomische Weltgeschichte aufführt, ja, was mehr als Alles sagt, ausharrt in einer solchen Spottexistenz, so lange als Jedem nur möglich? – Offenbar ist das Alles nicht zu erklären, wenn wir die bewegenden Ursachen außerhalb der Figuren suchen und das Menschengeschlecht uns denken als in Folge einer vernünftigen Ueberlegung, oder etwas dieser Analoges (als ziehende Fäden), strebend nach jenen ihm dargebotenen Gütern, deren Erlangung ein angemessener Lohn wäre für sein rastloses Mühen und Plagen. Die Sache so genommen würde vielmehr Jeder längst gesagt haben le jeu ne vaut pas la chandelle und hinaus gegangen seyn. Aber, im Gegentheil, Jeder bewacht und beschützt sein Leben, gleichwie ein ihm bei schwerer Verantwortlichkeit anvertrautes theures Pfand, unter endloser Sorge und häufiger Noth, darunter eben das Leben hingeht. Das Wofür und Warum, den Lohn dafür sieht er freilich nicht; sondern er hat den Werth jenes Pfandes unbesehens, auf Treu und Glauben, angenommen, und weiß nicht worin er besteht. Daher habe ich gesagt, daß jene Puppen nicht von außen gezogen werden, sondern jede das Uhrwerk in sich trägt, vermöge dessen ihre Bewegungen erfolgen. Dieses ist der Wille zum Leben, sich bezeigend als ein unermüdliches Triebwerk, ein unvernünftiger Trieb, der seinen zureichenden Grund nicht in der Außenwelt hat. Er hält die Einzelnen fest auf diesem Schauplatz und ist das primum mobile ihrer Bewegungen; während die äußeren Gegenstände, die Motive, bloß die Richtung derselben im Einzelnen bestimmen: sonst wäre die Ursache der Wirkung gar nicht angemessen. Denn, wie jede Aeußerung einer Naturkraft eine Ursache hat, die Naturkraft selbst aber keine; so hat jeder einzelne Willensakt ein Motiv, der Wille überhaupt aber keines: ja, im Grunde ist dies Beides Eins und das Selbe. Ueberall ist der Wille, als das Metaphysische, der Gränzstein jeder Betrachtung, über den sie nirgends hinauskann. Aus der dargelegten Ursprünglichkeit und Unbedingtheit des Willens ist es erklärlich, daß der Mensch ein Daseyn voll Noth, Plage, Schmerz, Angst und dann wieder voll Langerweile, welches, rein objektiv betrachtet und erwogen, von ihm verabscheut werden müßte, über Alles liebt und dessen Ende, welches jedoch das einzige Gewisse für ihn ist, über Alles fürchtet Augustini de civit. Dei, L. XI, c. 27 verdient, als ein interessanter Kommentar zu dem hier Gesagten, verglichen zu werden.. – Demgemäß sehen wir oft eine Jammergestalt, von Alter, Mangel und Krankheit verunstaltet und gekrümmt, aus Herzensgrunde unsere Hülfe anrufen, zur Verlängerung eines Daseyns, dessen Ende als durchaus wünschenswerth erscheinen müßte, wenn ein objektives Urtheil hier das Bestimmende wäre. Statt dessen also ist es der blinde Wille, auftretend als Lebenstrieb, Lebenslust, Lebensmuth: es ist das Selbe, was die Pflanze wachsen macht. Diesen Lebensmuth kann man vergleichen mit einem Seile, welches über dem Puppenspiel der Menschenwelt ausgespannt wäre und woran die Puppen mittelst unsichtbarer Fäden hiengen, während sie bloß scheinbar von dem Boden unter ihnen (dem objektiven Werthe des Lebens) getragen würden. Wird jedoch dieses Seil einmal schwach, so senkt sich die Puppe; reißt es, so muß sie fallen, denn der Boden unter ihr trug sie nur scheinbar: d. h. das Schwachwerden jener Lebenslust zeigt sich als Hypochondrie, spleen, Melancholie; ihr gänzliches Versiegen als Hang zum Selbstmord, der alsdann bei dem geringfügigsten, ja, einem bloß eingebildeten Anlaß eintritt, indem jetzt der Mensch gleichsam Händel mit sich selbst sucht, um sich todtzuschießen, wie Mancher es, zu gleichem Zweck, mit einem Andern macht: – sogar wird, zur Noth, ohne allen besondern Anlaß zum Selbstmord gegriffen. (Belege hiezu findet man in Esquirol, Des maladies mentales, 1838.) Und wie mit dem Ausharren im Leben, so ist es auch mit dem Treiben und der Bewegung desselben. Diese ist nicht etwas irgend frei Erwähltes: sondern, während eigentlich Jeder gern ruhen möchte, sind Noth und Langeweile die Peitschen, welche die Bewegung der Kreisel unterhalten. Daher trägt das Ganze und jedes Einzelne das Gepräge eines erzwungenen Zustandes, und Jeder, indem er, innerlich träge, sich nach Ruhe sehnt, doch aber vorwärts muß, gleicht seinem Planeten, der nur darum nicht auf die Sonne fällt, weil eine ihn vorwärts treibende Kraft ihn nicht dazu kommen läßt. So ist denn Alles in fortdauernder Spannung und abgenöthigter Bewegung, und das Treiben der Welt geht, einen Ausdruck des Aristoteles ( de coelo, II, 13) zu gebrauchen, ον φυσει, αλλα βια ( motu, non naturali, sed violento) vor sich. Die Menschen werden nur scheinbar von vorne gezogen, eigentlich aber von hinten geschoben: nicht das Leben lockt sie an, sondern die Noth drängt sie vorwärts. Das Gesetz der Motivation ist, wie alle Kausalität, bloße Form der Erscheinung. – Beiläufig gesagt, liegt hier der Ursprung des Komischen, des Burlesken, Grottesken, der fratzenhaften Seite des Lebens: denn wider Willen vorwärts getrieben geberdet Jeder sich wie er eben kann, und das so entstehende Gedränge nimmt sich oft Possirlich aus; so ernsthaft auch die Plage ist, welche darin steckt.
An allen diesen Betrachtungen also wird uns deutlich, daß der Wille zum Leben nicht eine Folge der Erkenntniß des Lebens, nicht irgendwie eine conclusio ex praemissis und überhaupt nichts Sekundäres ist: vielmehr ist er das Erste und Unbedingte, die Prämisse aller Prämissen und eben deshalb Das, wovon die Philosophie auszugehen hat; indem der Wille zum Leben sich nicht in Folge der Welt einfindet, sondern die Welt in Folge des Willens zum Leben.
Ich brauche wohl kaum darauf aufmerksam zu machen, daß die Betrachtungen, mit welchen wir hier das zweite Buch beschließen, schon stark hindeuten auf das ernste Thema des vierten Buches, ja geradezu darin übergehen würden, wenn meine Architektonik nicht nöthig machte, daß erst, als eine zweite Betrachtung der Welt als Vorstellung, unser drittes Buch, mit seinem heitern Inhalt, dazwischenträte, dessen Schluß jedoch wieder eben dahin deutet.