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Kapitel 34.
Ueber das innere Wesen der Kunst.

Dieses Kapitel steht in Beziehung zu §. 49 des ersten Bandes.

Nicht bloß die Philosophie, sondern auch die schönen Künste arbeiten im Grunde darauf hin, das Problem des Daseyns zu lösen. Denn in jedem Geiste, der sich ein Mal der rein objektiven Betrachtung der Welt hingiebt, ist, wie versteckt und unbewußt es auch seyn mag, ein Streben rege geworden, das wahre Wesen der Dinge, des Lebens, des Daseyns, zu erfassen. Denn Dieses allein hat Interesse für den Intellekt als solchen, d. h. für das von den Zwecken des Willens frei gewordene, also reine Subjekt des Erkennens; wie für das als bloßes Individuum erkennende Subjekt die Zwecke des Willens allein Interesse haben. – Dieserhalb ist das Ergebniß jeder rein objektiven, also auch jeder künstlerischen Auffassung der Dinge ein Ausdruck mehr vom Wesen des Lebens und Daseyns, eine Antwort mehr auf die Frage: »Was ist das Leben?« – Diese Frage beantwortet jedes ächte und gelungene Kunstwerk, auf seine Weise, völlig richtig. Allein die Künste reden sämmtlich nur die naive und kindliche Sprache der Anschauung, nicht die abstrakte und ernste der Reflexion: ihre Antwort ist daher ein flüchtiges Bild; nicht eine bleibende allgemeine Erkenntniß. Also für die Anschauung beantwortet jedes Kunstwerk jene Frage, jedes Gemälde, jede Statue, jedes Gedicht, jede Scene auf der Bühne: auch die Musik beantwortet sie; und zwar tiefer als alle andern, indem sie, in einer ganz unmittelbar verständlichen Sprache, die jedoch in die der Vernunft nicht übersetzbar ist, das innerste Wesen alles Lebens und Daseyns ausspricht. Die übrigen Künste also halten sämmtlich dem Frager ein anschauliches Bild vor und sagen: »Siehe hier, das ist das Leben!« – Ihre Antwort, so richtig sie auch seyn mag, wird jedoch immer nur eine einstweilige, nicht eine gänzliche und finale Befriedigung gewähren. Denn sie geben immer nur ein Fragment, ein Beispiel statt der Regel, nicht das Ganze, als welches nur in der Allgemeinheit des Begriffes gegeben werden kann. Für diesen daher, also für die Reflexion und in abstracto, eine eben deshalb bleibende und auf immer genügende Beantwortung jener Frage zu geben, – ist die Aufgabe der Philosophie. Inzwischen sehen wir hier, worauf die Verwandtschaft der Philosophie mit den schönen Künsten beruht, und können daraus abnehmen, inwiefern auch die Fähigkeit zu Beiden, wiewohl in ihrer Richtung und im Sekundären sehr verschieden, doch in der Wurzel die selbe ist.

Jedes Kunstwerk ist demgemäß eigentlich bemüht, uns das Leben und die Dinge so zu zeigen, wie sie in Wahrheit sind, aber, durch den Nebel objektiver und subjektiver Zufälligkeiten hindurch, nicht von Jedem unmittelbar erfaßt werden können. Diesen Nebel nimmt die Kunst hinweg.

Die Werke der Dichter, Bildner und darstellenden Künstler überhaupt enthalten anerkanntermaaßen einen Schatz tiefer Weisheit: eben weil aus ihnen die Weisheit der Natur der Dinge selbst redet, deren Aussagen sie bloß durch Verdeutlichung und reinere Wiederholung verdolmetschen. Deshalb muß aber freilich auch Jeder, der das Gedicht liest, oder das Kunstwerk betrachtet, aus eigenen Mitteln beitragen, jene Weisheit zu Tage zu fördern: folglich faßt er nur so viel davon, als seine Fähigkeit und seine Bildung zuläßt; wie ins tiefe Meer jeder Schiffer sein Senkblei so tief hinabläßt, als dessen Länge reicht. Vor ein Bild hat Jeder sich hinzustellen, wie vor einen Fürsten, abwartend, ob und was es zu ihm sprechen werde; und, wie jenen, auch dieses nicht selbst anzureden: denn da würde er nur sich selbst vernehmen. – Dem allen zufolge ist in den Werken der darstellenden Künste zwar alle Weisheit enthalten, jedoch nur virtualiter oder implicite: hingegen dieselbe actualiter und explicite zu liefern ist die Philosophie bemüht, welche in diesem Sinne sich zu jenen verhält, wie der Wein zu den Trauben. Was sie zu liefern verspricht, wäre gleichsam ein schon realisirter und baarer Gewinn, ein fester und bleibender Besitz; während der aus den Leistungen und Werken der Kunst hervorgehende nur ein stets neu zu erzeugender ist. Dafür aber macht sie nicht bloß an Den, der ihre Werke schaffen, sondern auch an Den, der sie genießen soll, abschreckende, schwer zu erfüllende Anforderungen. Daher bleibt ihr Publikum klein, während das der Künste groß ist. –

Die oben zum Genuß eines Kunstwerkes verlangte Mitwirkung des Beschauers beruht zum Theil darauf, daß jedes Kunstwerk nur durch das Medium der Phantasie wirken kann, daher es diese anregen muß und sie nie aus dem Spiel gelassen werden und unthätig bleiben darf. Dies ist eine Bedingung der ästhetischen Wirkung und daher ein Grundgesetz aller schönen Künste. Aus demselben aber folgt, daß, durch das Kunstwerk, nicht Alles geradezu den Sinnen gegeben werden darf, vielmehr nur so viel, als erfordert ist, die Phantasie auf den rechten Weg zu leiten: ihr muß immer noch etwas und zwar das Letzte zu thun übrig bleiben. Muß doch sogar der Schriftsteller stets dem Leser noch etwas zu denken übrig lassen; da Voltaire sehr richtig gesagt hat: Le secret d'être ennuyeux, c'est de tout dire. In der Kunst aber ist überdies das Allerbeste zu geistig, um geradezu den Sinnen gegeben zu werden: es muß in der Phantasie des Beschauers geboren, wiewohl durch das Kunstwerk erzeugt werden. Hierauf beruht es, daß die Skizzen großer Meister oft mehr wirken, als ihre ausgemalten Bilder; wozu freilich noch der andere Vortheil beiträgt, daß sie, aus einem Guß, im Augenblick der Konception vollendet sind; während das ausgeführte Gemälde, da die Begeisterung doch nicht bis zu seiner Vollendung anhalten kann, nur unter fortgesetzter Bemühung, mittelst kluger Ueberlegung und beharrlicher Absichtlichkeit zu Stande kommt. – Aus dem in Rede stehenden ästhetischen Grundgesetze wird ferner auch erklärlich, warum Wachsfiguren, obgleich gerade in ihnen die Nachahmung der Natur den höchsten Grad erreichen kann, nie eine ästhetische Wirkung hervorbringen und daher nicht eigentliche Werke der schönen Kunst sind. Denn sie lassen der Phantasie nichts zu thun übrig. Die Skulptur nämlich giebt die bloße Form, ohne die Farbe; die Malerei giebt die Farbe, aber den bloßen Schein der Form: Beide also wenden sich an die Phantasie des Beschauers. Die Wachsfigur hingegen giebt Alles, Form und Farbe zugleich; woraus der Schein der Wirklichkeit entsteht und die Phantasie aus dem Spiele bleibt. – Dagegen wendet die Poesie sich sogar allein an die Phantasie, welche sie mittelst bloßer Worte in Thätigkeit versetzt. –

Ein willkürliches Spielen mit den Mitteln der Kunst, ohne eigentliche Kenntniß des Zweckes, ist, in jeder, der Grundcharakter der Pfuscherei. Ein solches zeigt sich in den nichts tragenden Stützen, den zwecklosen Voluten, Bauschungen und Vorsprüngen schlechter Architektur, in den nichtssagenden Läufen und Figuren, nebst dem zwecklosen Lerm schlechter Musik, im Klingklang der Reime sinnarmer Gedichte, u. s. w. –

In Folge der vorhergegangenen Kapitel und meiner ganzen Ansicht von der Kunst, ist ihr Zweck die Erleichterung der Erkenntniß der Ideen der Welt (im Platonischen Sinn, dem einzigen, den ich für das Wort Idee anerkenne). Die Ideen aber sind wesentlich ein Anschauliches und daher, in seinen nähern Bestimmungen, Unerschöpfliches. Die Mittheilung eines solchen kann daher nur auf dem Wege der Anschauung geschehen, welches der der Kunst ist. Wer also von der Auffassung einer Idee erfüllt ist, ist gerechtfertigt, wenn er die Kunst zum Medium seiner Mittheilung wählt. – Der bloße Begriff hingegen ist ein vollkommen Bestimmbares, daher zu Erschöpfendes, deutlich Gedachtes, welches sich, seinem ganzen Inhalt nach, durch Worte, kalt und nüchtern mittheilen läßt. Ein Solches nun aber durch ein Kunstwerk mittheilen zu wollen, ist ein sehr unnützer Umweg, ja, gehört zu dem eben gerügten Spielen mit den Mitteln der Kunst, ohne Kenntniß des Zwecks. Daher ist ein Kunstwerk, dessen Konception aus bloßen deutlichen Begriffen hervorgegangen, allemal ein unächtes. Wenn wir nun, bei Betrachtung eines Werkes der bildenden Kunst, oder beim Lesen einer Dichtung, oder beim Anhören einer Musik (die etwas Bestimmtes zu schildern bezweckt), durch alle die reichen Kunstmittel hindurch, den deutlichen, begränzten, kalten, nüchternen Begriff durchschimmern und am Ende hervortreten sehen, welcher der Kern dieses Werkes war, dessen ganze Konception mithin nur im deutlichen Denken desselben bestanden hat und demnach durch die Mittheilung desselben von Grund aus erschöpft ist; so empfinden wir Ekel und Unwillen: denn wir sehen uns getäuscht und um unsere Theilnahme und Aufmerksamkeit betrogen. Ganz befriedigt durch den Eindruck eines Kunstwerks sind wir nur dann, wann er etwas hinterläßt, das wir, bei allem Nachdenken darüber, nicht bis zur Deutlichkeit eines Begriffs herabziehen können. Das Merkmal jenes hybriden Ursprungs aus bloßen Begriffen ist, daß der Urheber eines Kunstwerks, ehe er an die Ausführung gieng, mit deutlichen Worten angeben konnte, was er darzustellen beabsichtigte: denn da wäre durch diese Worte selbst sein ganzer Zweck zu erreichen gewesen. Daher ist es ein so unwürdiges, wie albernes Unternehmen, wenn man, wie heut zu Tage öfter versucht worden, eine Dichtung Shakespeare's, oder Goethe's, zurückführen will auf eine abstrakte Wahrheit, deren Mittheilung ihr Zweck gewesen wäre. Denken soll freilich der Künstler, bei der Anordnung seines Werkes: aber nur das Gedachte, was geschaut wurde ehe es gedacht war, hat nachmals, bei der Mittheilung, anregende Kraft und wird dadurch unvergänglich. – Hier wollen wir nun die Bemerkung nicht unterdrücken, daß allerdings die Werke aus einem Guß, wie die bereits erwähnte Skizze der Maler, welche in der Begeisterung der ersten Konception vollendet, und wie unbewußt hingezeichnet wird, desgleichen die Melodie, welche ohne alle Reflexion und völlig wie durch Eingebung kommt, endlich auch das eigentlich lyrische Gedicht, das bloße Lied, in welches die tief gefühlte Stimmung der Gegenwart und der Eindruck der Umgebung sich mit Worten, deren Silbenmaaße und Reime von selbst eintreffen, wie unwillkürlich ergießt, – daß, sage ich, diese Alle den großen Vorzug haben, das lautere Werk der Begeisterung des Augenblicks, der Inspiration, der freien Regung des Genius zu seyn, ohne alle Einmischung der Absichtlichkeit und Reflexion; daher sie eben durch und durch erfreulich und genießbar sind, ohne Schaale und Kern, und ihre Wirkung viel unfehlbarer ist, als die der größten Kunstwerke, von langsamer und überlegter Ausführung. An allen diesen nämlich, also an den großen historischen Gemählden, an den langen Epopöen, den großen Opern u. s. w. hat die Reflexion, die Absicht und durchdachte Wahl bedeutenden Antheil: Verstand, Technik und Routine müssen hier die Lücken ausfüllen, welche die geniale Konception und Begeisterung gelassen hat, und allerlei nothwendiges Nebenwerk muß, als Cäment der eigentlich allein ächten Glanzpartien, diese durchziehen. Hieraus ist es erklärlich, daß alle solche Werke, die vollkommensten Meisterstücke der allergrößten Meister (wie z. B. Hamlet, Faust, die Oper Don Juan) allein ausgenommen, einiges Schaales und Langweiliges unvermeidlich beigemischt erhalten, welches ihren Genuß in etwas verkümmert. Belege hiezu sind die Messiade, die Gerusalemme liberata, sogar Paradise lost und die Aeneide: macht doch schon Horaz die kühne Bemerkung: Quandoque dormitat bonus Homerus. Daß aber Dies sich so verhält ist eine Folge der Beschränkung menschlicher Kräfte überhaupt. –

Die Mutter der nützlichen Künste ist die Noth; die der schönen der Ueberfluß. Zum Vater haben jene den Verstand, diese das Genie, welches selbst eine Art Ueberfluß ist, nämlich der der Erkenntnißkraft über das zum Dienste des Willens erforderliche Maaß.

 


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