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Daß, bei der Zeugung, die von den Eltern zusammengebrachten Keime nicht nur die Eigenthümlichkeiten der Gattung, sondern auch die der Individuen fortpflanzen, lehrt, hinsichtlich der leiblichen (objektiven, äußern) Eigenschaften, die alltäglichste Erfahrung, auch ist es von jeher anerkannt worden:
Naturae sequitur semina quisque suae.
Catull.
Ob dies nun ebenfalls von den geistigen (subjektiven, innern) Eigenschaften gelte, so daß auch diese sich von den Eltern auf die Kinder vererbten, ist eine schon öfter aufgeworfene und fast allgemein bejahte Frage. Schwieriger aber ist das Problem, ob sich hiebei sondern lasse, was dem Vater und was der Mutter angehört, welches also das geistige Erbtheil sei, das wir von jedem der Eltern überkommen. Beleuchten wir nun dieses Problem mit unserer Grunderkenntniß, daß der Wille das Wesen an sich, der Kern, das Radikale im Menschen; der Intellekt hingegen das Sekundäre, das Adventitium, das Accidenz jener Substanz sei; so werden wir, vor Befragung der Erfahrung, es wenigstens als wahrscheinlich annehmen, daß, bei der Zeugung, der Vater, als sexus potior und zeugendes Princip, die Basis, das Radikale des neuen Lebens, also den Willen verleihe, die Mutter aber, als sexus sequior und bloß empfangendes Princip, das Sekundäre, den Intellekt; daß also der Mensch sein Moralisches, seinen Charakter, seine Neigungen, sein Herz, vom Vater erbe, hingegen den Grad, die Beschaffenheit und Richtung seiner Intelligenz von der Mutter. Diese Annahme nun findet wirklich ihre Bestätigung in der Erfahrung; nur daß diese hier nicht durch ein physikalisches Experiment auf dem Tisch entschieden werden kann, sondern theils aus vieljähriger, sorgfältiger und feiner Beobachtung und theils aus der Geschichte hervorgeht.
Die eigene Erfahrung hat den Vorzug völliger Gewißheit und größter Specialität, wodurch der Nachtheil, der ihr daraus erwächst, daß ihre Sphäre beschränkt und ihre Beispiele nicht allbekannt sind, überwogen wird. An sie zunächst weise ich daher einen Jeden. Zuvörderst betrachte er sich selbst, gestehe sich seine Neigungen und Leidenschaften, seine Charakterfehler und Schwächen, seine Laster, wie auch seine Vorzüge und Tugenden, wenn er deren hat, ein: dann aber denke er zurück an seinen Vater, und es wird nicht fehlen, daß er jene sämmtlichen Charakterzüge auch an ihm gewahr werde. Hingegen wird er die Mutter oft von einem ganz verschiedenen Charakter finden, und eine moralische Uebereinstimmung mit dieser wird höchst selten, nämlich nur durch den besondern Zufall der Gleichheit des Charakters beider Eltern, Statt finden. Er stelle diese Prüfung an z. B. in Hinsicht auf Jähzornigkeit, oder Geduld, Geiz, oder Verschwendung, Neigung zur Wollust, oder zur Völlerei, oder zum Spiel, Hartherzigkeit, oder Güte, Redlichkeit, oder Falschheit, Stolz, oder Leutseligkeit, Muth, oder Feigheit, Friedfertigkeit, oder Zanksucht, Versöhnlichkeit, oder Groll u. s. f. Danach stelle er die selbe Untersuchung an, an allen Denen, deren Charakter und deren Eltern ihm genau bekannt geworden sind. Wenn er aufmerksam, mit richtigem Urtheil und ausrichtig verfährt, wird die Bestätigung unsers Satzes nicht ausbleiben. So z. B. wird er den, manchen Menschen eigenen, speciellen Hang zum Lügen in zwei Brüdern gleichmäßig vorhanden finden; weil sie ihn vom Vater geerbt haben: dieserhalb ist auch die Komödie »Der Lügner und sein Sohn« psychologisch richtig. – Inzwischen sind hier zwei unvermeidliche Beschränkungen zu berücksichtigen, welche nur offenbare Ungerechtigkeit als Ausflüchte deuten könnte. Nämlich erstlich: pater semper incertus. Nur eine entschiedene körperliche Aehnlichkeit mit dem Vater beseitigt diese Beschränkung; hingegen ist eine oberflächliche hiezu nicht hinreichend: denn es giebt eine Nachwirkung früherer Befruchtung, vermöge welcher bisweilen die Kinder zweiter Ehe noch eine leichte Aehnlichkeit mit dem ersten Gatten haben, und die im Ehebruch erzeugten mit dem legitimen Vater. Noch deutlicher ist solche Nachwirkung bei Thieren beobachtet worden. Die zweite Beschränkung ist, daß im Sohn zwar der moralische Charakter des Vaters auftritt, jedoch unter der Modifikation, die er durch einen andern, oft sehr verschiedenen Intellekt (dem Erbtheil von der Mutter) erhalten hat, wodurch eine Korrektion der Beobachtung nöthig wird. Diese Modifikation kann, nach Maaßgabe jenes Unterschiedes, bedeutend oder gering seyn, jedoch nie so groß, daß nicht auch unter ihr die Grundzüge des väterlichen Charakters noch immer kenntlich genug austräten; etwan wie ein Mensch, der sich durch eine ganz fremdartige Kleidung, Perrücke und Bart entstellt hätte. Ist z. B., vermöge des Erbtheils von der Mutter, ein Mensch mit überwiegender Vernunft, also der Fähigkeit zum Nachdenken, zur Ueberlegung, ausgestattet; so werden durch diese seine vom Vater ererbten Leidenschaften theils gezügelt, theils versteckt werden und demnach nur zu methodischer und planmäßiger, oder heimlicher Aeußerung gelangen, woraus dann eine von der des Vaters, welcher etwan nur einen ganz beschränkten Kopf hatte, sehr verschiedene Erscheinung hervorgehen wird: und eben so kann der umgekehrte Fall eintreten. – Die Neigungen und Leidenschaften der Mutter hingegen finden sich in den Kindern durchaus nicht wieder, oft sogar ihr Gegentheil.
Die historischen Beispiele haben vor denen des Privatlebens den Vorzug, allgemein bekannt zu seyn; wogegen sie freilich durch die Unsicherheit und häufige Verfälschung aller Ueberlieferung, zudem auch dadurch beeinträchtigt werden, daß sie in der Regel nur das öffentliche, nicht das Privatleben und demnach nur die Staatshandlungen, nicht die feineren Aeußerungen des Charakters enthalten. Inzwischen will ich die in Rede stehende Wahrheit durch einige historische Beispiele belegen, zu denen Die, welche aus der Geschichte ein Hauptstudium gemacht haben, ohne Zweifel noch eine viel größere Anzahl eben so treffender werden hinzufügen können.
Bekanntlich brachte P. Decius Mus, mit heroischem Edelmuth, sein Leben dem Vaterlande zum Opfer, indem er, sich und die Feinde feierlich den unterirdischen Göttern weihend, mit verhülltem Haupte, in das Heer der Lateiner sprengte. Ungefähr vierzig Jahre später that sein Sohn, gleiches Namens, genau das Selbe, im Kriege gegen die Gallier ( Liv., VIII, 6; X, 28.) Also ein rechter Beleg zu dem Horazischen: fortes creantur fortibus et bonis: – dessen Kehrseite Shakespeare liefert:
Cowards father cowards and base things sire base
Memmen zeugen Memmen, und Niederträchtiges. .
Cymb., IV, 2.
Die ältere Römische Geschichte führt uns ganze Familien vor, deren Glieder, in zahlreicher Succession, sich durch hingebende Vaterlandsliebe und Tapferkeit auszeichnen: so die gens Fabia und die gens Fabricia. –Wiederum Alexander der Große war herrsch- und eroberungssüchtig, wie sein Vater Philipp. – Sehr beachtenswerth ist der Stammbaum des Nero, welchen Suetonius ( c. 4 et 5), in moralischer Absicht, der Schilderung dieses Ungeheuers voransetzt. Es ist die gens Claudia, die er beschreibt, welche sechs Jahrhunderte hindurch in Rom geblüht und lauter thätige, aber übermüthige und grausame Männer hervorgebracht hat. Ihr ist Tiberius, Caligula und endlich Nero entsprossen. Schon in seinem Großvater und noch stärker im Vater zeigen sich alle die entsetzlichen Eigenschaften, welche ihre völlige Entwickelung erst im Nero erhalten konnten, theils weil sein hoher Standplatz ihnen freiern Spielraum gestattete, theils weil er noch dazu die unvernünftige Mänade Agrippina zur Mutter hatte, welche ihm keinen Intellekt verleihen konnte, seine Leidenschaften zu zügeln. Ganz in unserm Sinn erzählt daher Suetonius, daß bei seiner Geburt praesagio fuit etiam Domitii, patris, vox, inter gratulationes amicorum, negantis, quidquam ex se et Agrippina, nisi detestabile et malo publico nasci potuisse. – Hingegen war Kimon der Sohn des Miltiades, und Hannibal des Hamilkars, und die Scipionen bilden eine ganze Familie von Helden und edlen Vertheidigern des Vaterlandes. – Aber des Papstes Alexanders VI. Sohn war sein scheußliches Ebenbild Cäsar Borgia. Der Sohn des berüchtigten Herzogs von Alba ist ein eben so grausamer und böser Mensch gewesen, wie sein Vater. –Der tückische, ungerechte, zumal durch die grausame Folterung und Hinrichtung der Tempelherren bekannte Philipp IV. von Frankreich hatte zur Tochter Isabella, Gemahlin Eduards II. von England, welche gegen diesen feindlich auftrat, ihn gefangen nahm und, nachdem er die Abdankungsakte unterschrieben hatte, ihn im Gefängniß, da der Versuch ihn durch Mißhandlungen zu tödten erfolglos blieb, auf eine Weise umbringen ließ, die zu schauderhaft ist, als daß ich sie wiedererzählen möchte. – Der blutdürstige Tyrann und defensor fidei Heinrich VIII. von England hatte zur Tochter erster Ehe die durch Bigotterie und Grausamkeit gleich ausgezeichnete Königin Maria, welche durch ihre zahlreichen Ketzerverbrennungen sich die Bezeichnung bloody Mary erworben hat. Seine Tochter zweiter Ehe, Elisabeth, hatte von ihrer Mutter, Anna Bullen, einen ausgezeichneten Verstand überkommen, welcher die Bigotterie nicht zuließ und den väterlichen Charakter in ihr zügelte, jedoch nicht aufhob; so daß er immer noch gelegentlich durchschimmerte und in dem grausamen Verfahren gegen die Maria von Schottland deutlich hervortrat. – Van Geuns Disputatio de corporum habitudine, animae, hujusque virium Indice Haderov. 1789, §. 9. erzählt, nach Markus Donatus, von einem Schottischen Mädchen, deren Vater, als sie erst ein Jahr alt gewesen, als Straßenräuber und Menschenfresser verbrannt worden war: obwohl sie unter ganz andern Leuten aufwuchs, entwickelte sich, bei zunehmendem Alter, in ihr die selbe Gier nach Menschenfleisch, und bei deren Befriedigung ertappt, wurde sie lebendig begraben. – Im »Freimüthigen«, vom 13. Juli 1821, lesen wir die Nachricht, daß im Departement de l'Aube die Polizei ein Mädchen verfolgt habe, weil sie zwei Kinder, die sie ins Findelhaus bringen sollte, gemordet hatte, um das wenige, den Kindern beigelegte Geld zu behalten. Endlich fand die Polizei das Mädchen, auf dem Wege nach Paris, bei Romilly ersäuft, und als ihr Mörder ergab sich ihr eigener Vater. – Endlich seien hier noch ein Paar Fälle aus der neueren Zeit erwähnt, welche demgemäß nur die Zeitungen zu Gewährsmännern haben. Im Oktober 1836 wurde in Ungarn ein Graf Belecznai zum Tode verurtheilt, weil er einen Beamten gemordet und seine eigenen Verwandten schwer verwundet hatte: sein älterer Bruder war früher als Vatermörder hingerichtet worden und sein Vater ebenfalls ein Mörder gewesen. (Frankfurter Postzeitung, den 26. Okt. 1836.) Ein Jahr später hat der jüngste Bruder jenes Grafen auf eben der Straße, wo dieser den Beamten ermordet hatte, auf den Fiskalagenten seiner Güter ein Pistol abgeschossen, jedoch ihn verfehlt. (Frankfurter Journal, den 16. Sept. 1837.) In der Frankfurter Postzeitung vom 19. Nov. 1857 meldet ein Schreiben aus Paris die Verurtheilung eines sehr gefährlichen Straßenräubers Lemaire und seiner Gesellen zum Tode, und fügt hinzu: »Der verbrecherische Hang erscheint als erblich in seiner und seiner Genossen Familie, indem mehrere ihres Geschlechts auf dem Schaffot gestorben sind« Daß schon den Griechen ähnliche Fälle bekannt waren, geht hervor aus einer Stelle in den Gesetzen des Platon. ( Stob. Flor. Vol. 2. p. 213.). – Die Annalen der Kriminalistik werden gewiß manche ähnliche Stammbäume aufzuweisen haben. – Vorzüglich erblich ist der Hang zum Selbstmord.
Sehen wir nun aber andererseits den vortrefflichen Mark Aurel den schlechten Kommodus zum Sohne haben; so macht uns Dies nicht irre; da wir wissen, daß die Diva Faustina eine uxor infamis war. Im Gegentheil, wir merken uns diesen Fall, um bei analogen einen analogen Grund zu vermuthen: z. B. daß Domitian der vollständige Bruder des Titus gewesen sei, glaube ich nimmermehr, sondern daß auch Vespasian ein betrogener Ehemann gewesen. –
Was nun den zweiten Theil des aufgestellten Grundsatzes, also die Erblichkeit des Intellekts von der Mutter, betrifft, so genießt dieser einer viel allgemeineren Anerkennung als der erste, als welchem an sich selbst das liberum arbitrium indifferentiae seiner gesonderten Auffassung aber die Einfachheit und Untheilbarkeit der Seele entgegensteht. Schon der alte und populäre Ausdruck »Mutterwitz« bezeugt die frühe Anerkennung dieser zweiten Wahrheit, welche auf der an kleinen, wie an großen intellektuellen Vorzügen gemachten Erfahrung beruht, daß sie die Begabung Derjenigen sind, deren Mütter sich verhältnißmäßig durch ihre Intelligenz auszeichneten. Daß hingegen die intellektuellen Eigenschaften des Vaters nicht auf den Sohn übergehen, beweisen sowohl die Väter als die Söhne der durch die eminentesten Fähigkeiten ausgezeichneten Männer, indem sie, in der Regel, ganz gewöhnliche Köpfe und ohne eine Spur der väterlichen Geistesgaben sind. Wenn nun aber gegen diese vielfach bestätigte Erfahrung ein Mal eine vereinzelte Ausnahme auftritt, wie z. B. Pitt und sein Vater Lord Chatham eine darbieten; so sind wir befugt, ja genöthigt, sie dem Zufall zuzuschreiben, obgleich derselbe, wegen der ungemeinen Seltenheit großer Talente, gewiß zu den außerordentlichsten gehört. Hier gilt jedoch die Regel: es ist unwahrscheinlich, daß das Unwahrscheinliche nie geschehe. Zudem sind große Staatsmänner (wie schon Kap. 22 erwähnt) es eben so sehr durch die Eigenschaften ihres Charakters, also durch das väterliche Erbtheil, wie durch die Vorzüge ihres Kopfes. Hingegen von Künstlern, Dichtern und Philosophen, deren Leistungen allein es sind, die man dem eigentlichen Genie zuschreibt, ist mir kein jenem analoger Fall bekannt. Zwar war Raphaels Vater ein Maler, aber kein großer; Mozarts Vater, wie auch sein Sohn, waren Musiker, jedoch nicht große. Wohl aber müssen wir es bewundern, daß das Schicksal, welches jenen beiden größten Männern ihrer Fächer nur eine sehr kurze Lebensdauer bestimmt hatte, gleichsam zur Kompensation, dafür sorgte, daß sie, ohne den bei andern Genies meistens eintretenden Zeitverlust in der Jugend zu erleiden, schon von Kindheit auf, durch väterliches Beispiel und Unterweisung, die nöthige Anleitung in der Kunst, zu welcher sie ausschließlich bestimmt waren, erhielten, indem es sie schon in ihrer Werkstätte geboren werden ließ. Diese geheime und räthselhafte Macht, welche das individuelle Leben zu lenken scheint, ist mir der Gegenstand besonderer Betrachtungen gewesen, welche ich in dem Aufsatze »Ueber die scheinbare Absichtlichkeit im Schicksale des Einzelnen« (Parerga, Bd. 1) mitgetheilt habe. – Noch ist hier zu bemerken, daß es gewisse wissenschaftliche Beschäftigungen giebt, welche zwar gute, angeborene Fähigkeiten voraussetzen, jedoch nicht die eigentlich seltenen und überschwänglichen, während eifriges Bestreben, Fleiß, Geduld, frühzeitige Unterweisung, anhaltendes Studium und vielfache Uebung die Haupterfordernisse sind. Hieraus, und nicht aus der Erblichkeit des Intellekts vom Vater, ist es erklärlich, daß, da überall gern der Sohn den vom Vater gebahnten Weg betritt und fast alle Gewerbe in gewissen Familien erblich sind, auch in einigen Wissenschaften, welche vor Allem Fleiß und Beharrlichkeit erfordern, einzelne Familien eine Succession von verdienten Männern aufzuweisen haben: dahin gehören die Scaliger, die Bernouillys, die Cassinis, die Herschel.
Für die wirkliche Erblichkeit des Intellekts von der Mutter würde die Zahl der Belege viel größer seyn, als sie vorliegt, wenn nicht der Charakter und die Bestimmung des weiblichen Geschlechts es mit sich brächte, daß die Frauen von ihren Geistesfähigkeiten selten öffentliche Proben ablegen, daher solche nicht geschichtlich werden und zur Kunde der Nachwelt gelangen. Ueberdies können, wegen der durchweg schwächeren Beschaffenheit des weiblichen Geschlechts, diese Fähigkeiten selbst nie bei ihnen den Grad erreichen, bis zu welchem sie, unter günstigen Umständen, nachmals im Sohne gehen: in Hinsicht auf sie selbst aber haben wir ihre Leistungen in eben diesem Verhältniß höher anzuschlagen. Demgemäß nun bieten sich mir vor der Hand nur folgende Beispiele als Belege unserer Wahrheit dar. Joseph II. war Sohn der Maria Theresia. – Cardanus sagt im dritten Kapitel De vita propria: mater mea fuit memoria et ingenio pollens. – J. J. Rousseau sagt, im ersten Buche der Confessions: la beauté de ma mère, son esprit, ses talents, – elle en avait de trop brillans pour son état u. s. w., und bringt dann ein allerliebstes Couplet von ihr bei. – D'Alembert war der uneheliche Sohn der Claudine v. Tencin, einer Frau von überlegenem Geiste und Verfasserin mehrerer Romane und ähnlicher Schriften, welche zu ihrer Zeit großen Beifall fanden und auch noch genießbar seyn sollen. (Siehe ihre Biographie in den »Blättern für litterarische Unterhaltung«, März 1845, Nr. 71 73.) – Daß Büffons Mutter eine ausgezeichnete Frau gewesen ist, bezeugt folgende Stelle aus dem Voyage à Montbar, par Hérault de Séchelles, welche Flourens beibringt, in seiner Histoire des travaux de Buffon, S. 288: Buffon avait ce principe qu’en général les enfants tenaint de leur mère leurs qualités intellectuelles et morales: et lorsqu’il l'avait développé dans la conversation, il en faisait sur-le-champ l'application à luimême, en faisant un éloge pompeux de sa mère, qui avait en effet, beaucoup d’esprit, des connaissances étendues, et une tête très bien organisée. Daß er die moralischen Eigenschaften mitnennt, ist ein Irrthum, den entweder der Berichterstatter begeht, oder der darauf beruht, daß seine Mutter zufällig den selben Charakter hatte, wie er und sein Vater. Das Gegentheil hievon bieten uns unzählige Fälle dar, wo Mutter, und Sohn den entgegengesetzten Charakter haben: daher konnten, im Orest und Hamlet, die größten Dramatiker Mutter und Sohn in feindlichem Widerstreit darstellen, wobei der Sohn als moralischer Stellvertreter und Rächer des Vaters auftritt. Hingegen würde der umgekehrte Fall, daß der Sohn als moralischer Stellvertreter und Rächer der Mutter gegen seinen Vater aufträte, empörend und zugleich fast lächerlich seyn. Dies beruht darauf, daß zwischen Vater und Sohn wirkliche Identität des Wesens, welches der Wille ist, besteht, zwischen Mutter und Sohn aber bloße Identität des Intellekts, und selbst diese noch bedingter Weise. Zwischen Mutter und Sohn kann der größte moralische Gegensatz bestehen, zwischen Vater und Sohn nur ein intellektueller. Auch von diesem Gesichtspunkt aus soll man die Nothwendigkeit des Salischen Gesetzes erkennen: das Weib kann den Stamm nicht fortführen. – Hume, in seiner kurzen Selbstbiographie, sagt: Our mother was a woman of singular merit Unsere Mutter war eine Frau von ausgezeichneten Vorzügen.. Ueber Kants Mutter heißt es in der neuesten Biographie von F. W. Schubert: »Nach dem eigenen Urtheil ihres Sohnes war sie eine Frau von großem natürlichen Verstande. Für die damalige Zeit, bei der so seltenen Gelegenheit zur Ausbildung der Mädchen, war sie vorzugsweise gut unterrichtet und sorgte auch späterhin durch sich selbst für ihre weitere Ausbildung fort. – – Auf Spaziergängen machte sie ihren Sohn auf allerlei Erscheinungen der Natur aufmerksam und versuchte sie durch die Macht Gottes zu erklären.« – Welche ungemein verständige, geistreiche und überlegene Frau Goethe's Mutter gewesen, ist jetzt allbekannt. Wie viel ist nicht in der Litteratur von ihr geredet worden! von seinem Vater aber gar nicht: er selbst schildert ihn als einen Mann von untergeordneten Fähigkeiten. – Schillers Mutter war für Poesie empfänglich und machte selbst Verse, von denen ein Bruchstück zu finden ist in seiner Biographie von Schwab. – Bürger, dieses ächte Dichtergenie, dem vielleicht die erste Stelle nach Goethen unter den Deutschen Dichtern gebürt, da, gegen seine Balladen gehalten, die Schillerschen kalt und gemacht erscheinen, hat über seine Eltern einen für uns bedeutsamen Bericht erstattet, welchen sein Freund und Arzt Althof, in seiner 1798 erschienenen Biographie, mit diesen Worten wiedergiebt: »Bürgers Vater war zwar mit mancherlei Kenntnissen, nach der damaligen Studierart, versehen, und dabei ein guter, ehrlicher Mann: aber er liebte eine ruhige Bequemlichkeit und seine Pfeife Tabak so sehr, daß er, wie mein Freund zu sagen pflegte, immer erst einen Anlauf nehmen mußte, wenn er ein Mal ein Viertelstündchen auf den Unterricht seines Sohnes verwenden sollte. Seine Gattin war eine Frau von den außerordentlichsten Geistesanlagen, die aber so wenig angebaut waren, daß sie kaum leserlich schreiben gelernt hatte. Bürger meinte, seine Mutter würde, bei gehöriger Kultur, die Berühmteste ihres Geschlechts geworden seyn; ob er gleich mehrmals eine starke Mißbilligung verschiedener Züge ihres moralischen Charakters äußerte. Indessen glaubte er, von seiner Mutter einige Anlagen des Geistes, von seinem Vater aber eine Uebereinstimmung mit dessen moralischem Charakter geerbt zu haben.« – Walter Scotts Mutter war eine Dichterin und stand mit den schönen Geistern ihrer Zeit in Verbindung, wie uns der Nekrolog W. Scotts im Englischen Globe, vom 24. Sept. 1832, berichtet. Daß Gedichte von ihr 1789 im Druck erschienen sind, finde ich in einem »Mutterwitz« überschriebenen Aufsatz, in den von Brockhaus herausgegebenen »Blättern für litterarische Unterhaltung«, vom 4. Okt. 1841, welcher eine lange Liste geistreicher Mütter berühmter Männer liefert, aus der ich nur zwei entnehmen will: » Bako's Mutter war eine ausgezeichnete Sprachkennerin, schrieb und übersetzte mehrere Werke und bewies in jedem Gelehrsamkeit, Scharfsinn und Geschmack. – Boerhave's Mutter zeichnete sich durch medicinische Kenntnisse aus.« – Andererseits hat uns für die Erblichkeit der Geistesschwäche von den Müttern einen starken Beleg Haller aufbewahrt, indem er anführt: E duabus patriciis sororibus, ob divitias maritos nactis, quum tamen fatuis essent proximae, novimus in nobilissimas gentes nunc a seculo retro ejus morbi manasse seminia, ut etiam in quarta generatione, quintave, omnium posterorum aliqui fatui supersint. (Elementa physiol., lib. XXIX, § 8.) – Auch nach Esquirol vererbt der Wahnsinn sich häufiger von der Mutter, als vom Vater. Wenn er jedoch von diesem sich vererbt, schreibe ich es den Gemüthsanlagen zu, deren Wirkung ihn veranlaßt.
Aus unserm Grundsatz scheint zu folgen, daß Söhne der selben Mutter gleiche Geistesstärke haben und, wenn Einer hochbegabt wäre, auch der andere es seyn müßte. Mitunter ist es so: Beispiele sind die Carracci, Joseph und Michael Haydn, Bernhard und Andreas Romberg, Georg und Friedrich Cuvier: ich würde auch hinzusetzen, die Gebrüder Schlegel; wenn nicht der jüngere, Friedrich, durch den in seinem letzten Lebensviertel, im Verein mit Adam Müller getriebenen, schimpflichen Obskurantismus, sich der Ehre, neben seinem vortrefflichen, untadelhaften und so höchst ausgezeichneten Bruder, August Wilhelm, genannt zu werden, unwürdig gemacht hätte. Denn Obskurantismus ist eine Sünde, vielleicht nicht gegen den heiligen, doch gegen den menschlichen Geist, die man daher nie verzeihen, sondern Dem, der sich ihrer schuldig gemacht, Dies, unversöhnlich, stets und überall nachtragen und bei jeder Gelegenheit ihm Verachtung bezeugen soll, so lange er lebt, ja, noch nach dem Tode. – Aber eben so oft trifft die obige Folgerung nicht zu; wie denn z. B. Kants Bruder ein ganz gewöhnlicher Mann war. Um dies zu erklären, erinnere ich an das im 31. Kapitel über die physiologischen Bedingungen des Genies Gesagte. Nicht nur ein außerordentlich entwickeltes, durchaus zweckmäßig gebildetes Gehirn (der Antheil der Mutter) ist erfordert, sondern auch ein sehr energischer Herzschlag, es zu animiren, d. h. subjektiv ein leidenschaftlicher Wille, ein lebhaftes Temperament: dies ist das Erbtheil vom Vater. Allein eben Dieses steht nur in dessen kräftigsten Jahren auf seiner Höhe, und noch schneller altert die Mutter. Demgemäß werden die hochbegabten Söhne, in der Regel, die ältesten, bei voller Kraft beider Eltern gezeugten seyn: so war auch Kants Bruder elf Jahre jünger als er. Sogar von zwei ausgezeichneten Brüdern wird, in der Regel, der ältere der vorzüglichere seyn. Aber nicht nur das Alter, sondern jede vorübergehende Ebbe der Lebenskraft, oder sonstige Gesundheitsstörung, in den Eltern, zur Zeit der Zeugung, vermag den Antheil des Einen oder des Andern zu verkümmern und die eben daher so überaus seltene Erscheinung eines eminenten Talents zu hintertreiben. – Beiläufig gesagt, ist das Wegfallen aller soeben berührten Unterschiede bei Zwillingen die Ursache der Quasi-Identität ihres Wesens.
Wenn einzelne Fälle sich finden sollten, wo ein hochbegabter Sohn keine geistig ausgezeichnete Mutter gehabt hätte; so ließe Dies sich daraus erklären, daß diese Mutter selbst einen phlegmatischen Vater gehabt hätte, weshalb ihr ungewöhnlich entwickeltes Gehirn nicht durch die entsprechende Energie des Blutumlaufs gehörig excitirt gewesen wäre; – ein Erforderniß, welches ich oben, Kapitel 31, erörtert habe. Nichtsdestoweniger hätte ihr höchst vollkommenes Nerven- und Cerebralsystem sich auf den Sohn vererbt, bei welchem nun aber ein lebhafter und leidenschaftlicher Vater, von energischem Herzschlag, hinzugekommen wäre, wodurch dann erst hier die andere somatische Bedingung großer Geisteskraft eingetreten sei. Vielleicht ist dies Byrons Fall gewesen; da wir die geistigen Vorzüge seiner Mutter nirgends erwähnt finden. – Die selbe Erklärung ist auch auf den Fall anzuwenden, daß die durch Geistesgaben ausgezeichnete Mutter eines genialen Sohnes selbst keine geistreiche Mutter gehabt hätte; indem der Vater dieser ein Phlegmatikus gewesen.
Das Disharmonische, Ungleiche, Schwankende im Charakter der meisten Menschen möchte vielleicht daraus abzuleiten seyn, daß das Individuum keinen einfachen Ursprung hat, sondern den Willen vom Vater, den Intellekt von der Mutter überkommt. Je heterogener, unangemessener zu einander beide Eltern waren, desto größer wird jene Disharmonie, jener innere Zwiespalt seyn. Während Einige durch ihr Herz, Andere durch ihren Kopf excelliren, giebt es noch Andere, deren Vorzug bloß in einer gewissen Harmonie und Einheit des ganzen Wesens liegt, welche daraus entsteht, daß bei ihnen Herz und Kopf einander so überaus angemessen sind, daß sie sich wechselseitig unterstützen und hervorheben; welches vermuthen läßt, daß ihre Eltern eine besondere Angemessenheit und Uebereinstimmung zu einander hatten.
Das Physiologische der dargelegten Theorie betreffend, will ich nur anführen, daß Burdach, welcher irrig annimmt, die selbe psychische Eigenschaft könne bald vom Vater, bald von der Mutter vererbt werden, dennoch (Physiologie als Erfahrungswissenschaft, Bd. 1, §. 306) hinzusetzt: »Im Ganzen genommen, hat das Männliche mehr Einfluß auf Bestimmung des irritabeln Lebens, das Weibliche hingegen mehr auf die Sensibilität.« – Auch gehört hieher, was Linné sagt, im Systema naturae, Tom. I, p. 8: Mater prolifera promit, ante generationem, vivum compendium medullare novi animalis, suique simillimi, carinam Malpighianam dictum, tanquam plumulam vegetabilium: hoc ex genitura Cor adsociat ramificandum in corpus. Punctum enim saliens ovi incubantis avis ostendit primum cor micans, cerebrumque cum medulla: corculum hoc, cessans a frigore, excitatur calido halitu, premitque bulla aërea, sensim dilatata, liquores, secundum canales fluxiles. Punctum vitalitatis itaque in viventibus est tanquam a prima creatione continuata medullaris vitae ramificatio, cum ovum sit gemma medullaris matris a primordio viva, licet non sua ante proprium cor paternum.
Wenn wir nun die hier gewonnene Ueberzeugung von der Erblichkeit des Charakters vom Vater und des Intellekts von der Mutter in Verbindung setzen mit unserer frühern Betrachtung des weiten Abstandes, den die Natur, in moralischer, wie in intellektueller Hinsicht, zwischen Mensch und Mensch gesetzt hat, wie auch mit unserer Erkenntniß der völligen Unveränderlichkeit sowohl des Charakters, als der Geistesfähigkeiten; so werden wir zu der Ansicht hingeleitet, daß eine wirkliche und gründliche Veredelung des Menschengeschlechts, nicht sowohl von Außen als von Innen, also nicht sowohl durch die Lehre und Bildung, als vielmehr auf dem Wege der Generation zu erlangen seyn möchte. Schon Plato hat so etwas im Sinne gehabt, als er, im fünften Buche seiner Republik, den wunderlichen Plan zur Vermehrung und Veredelung seiner Kriegerkaste darlegte. Könnte man alle Schurken kastriren und alle dummen Gänse ins Kloster stecken, den Leuten von edelem Charakter ein ganzes Harem beigeben, und allen Mädchen von Geist und Verstand Männer, und zwar ganze Männer, verschaffen; so würde bald eine Generation erstehen, die ein mehr als Perikleisches Zeitalter darstellte. – Ohne jedoch auf solche Utopische Pläne einzugehen, ließe sich in Erwägung nehmen, daß wenn, wie es, irre ich nicht, bei einigen alten Völkern wirklich gewesen ist, nach der Todesstrafe die Kastration als die schwerste Strafe bestände, ganze Stammbäume von Schurken der Welt erlassen seyn würden; um so gewisser, als bekanntlich die meisten Verbrechen schon in dem Alter zwischen zwanzig und dreißig Jahren begangen werden Lichtenberg sagt in seinen vermischten Schriften (Göttingen 1801, Bd. 2, pag. 447): »In England ward vorgeschlagen, die Diebe zu kastriren. Der Vorschlag ist nicht übel: die Strafe ist sehr hart, sie macht die Leute verächtlich, und doch noch zu Geschäften fähig; und wenn Stehlen erblich ist, so erbt es nicht fort. Auch legt der Muth sich, und da der Geschlechtstrieb so häufig zu Diebereyen verleitet, so fällt auch diese Veranlassung weg. Muthwillig bloß ist die Bemerkung, daß die Weiber ihre Männer desto eifriger vom Stehlen abhalten würden: denn so wie die Sachen jetzt stehen, riskiren sie ja sie ganz zu verlieren.«. Imgleichen ließe sich überlegen, ob es nicht, in Betracht der Folgen, ersprießlicher seyn würde, die bei gewissen Gelegenheiten auszuteilenden öffentlichen Aussteuern nicht, wie jetzt üblich, den angeblich tugendhaftesten, sondern den verständigsten und geistreichsten Mädchen zuzuerkennen; zumal da über die Tugend das Urtheil gar schwierig ist: denn nur Gott, sagt man, sieht die Herzen; die Gelegenheiten, einen edlen Charakter an den Tag zu legen, sind selten und dem Zufall anheimgestellt; zudem hat die Tugend manches Mädchens eine kräftige Stütze an der Häßlichkeit desselben: hingegen über den Verstand können Die, welche selbst damit begabt sind, nach einiger Prüfung, mit vieler Sicherheit urtheilen. – Eine andere praktische Anwendung ist folgende. In vielen Ländern, auch im südlichen Deutschland, herrscht die schlimme Sitte, daß Weiber Lasten, und oft sehr beträchtliche, auf dem Kopfe tragen. Dies muß nachtheilig auf das Gehirn wirken; wodurch dasselbe, beim weiblichen Geschlechte im Volke, sich allmälig deteriorirt, und da von ihm das männliche das seinige empfängt, das ganze Volk immer dümmer wird; welches bei vielen gar nicht nöthig ist. Durch Abstellung dieser Sitte würde man demnach das Quantum der Intelligenz im Ganzen des Volkes vermehren; welches zuverlässig die größte Vermehrung des Nationalreichthums wäre.
Wenn wir aber jetzt, dergleichen praktische Anwendungen Andern überlassend, auf unsern eigentümlichen, also den ethisch-metaphysischen Standpunkt zurückkehren; so wird sich uns, indem wir den Inhalt des 41. Kapitels mit dem des gegenwärtigen verbinden, folgendes Ergebniß darstellen, welches, bei aller seiner Transscendenz, doch eine unmittelbare, empirische Stiche hat. – Es ist der selbe Charakter, also der selbe individuell bestimmte Wille, welcher in allen Descendenten eines Stammes, vom Ahnherrn bis zum gegenwärtigen Stammhalter, lebt. Allein in jedem derselben ist ihm ein anderer Intellekt, also ein anderer Grad und eine andere Weise der Erkenntniß beigegeben. Dadurch nun stellt sich ihm, in jedem derselben, das Leben von einer andern Seite und in einem verschiedenen Lichte dar: er erhält eine neue Grundansicht davon, eine neue Belehrung. Zwar kann, da der Intellekt mit dem Individuo erlischt, jener Wille nicht die Einsicht des einen Lebenslaufes durch die des andern unmittelbar ergänzen. Allein in Folge jeder neuen Grundansicht des Lebens, wie nur eine erneuete Persönlichkeit sie ihm verleihen kann, erhält sein Wollen selbst eine andere Richtung, erfährt also eine Modifikation dadurch, und was die Hauptsache ist, er hat, auf dieselbe, von Neuem das Leben zu bejahen, oder zu verneinen. Solchermaaßen wird die, aus der Nothwendigkeit zweier Geschlechter zur Zeugung entspringende Naturanstalt der immer wechselnden Verbindung eines Willens mit einem Intellekt zur Basis einer Heilsordnung. Denn vermöge derselben kehrt das Leben dem Willen (dessen Abbild und Spiegel es ist) unaufhörlich neue Seiten zu, dreht sich gleichsam ohne Unterlaß vor seinem Blicke herum, läßt andere und immer andere Anschauungsweisen sich an ihm versuchen, damit er, aus jede derselben, sich zur Bejahung oder Verneinung entscheide, welche beide ihm beständig offen stehen; nur daß, wenn Ein Mal die Verneinung ergriffen wird, das ganze Phänomen für ihn, mit dem Tode, aufhört. Weil nun hienach dem selben Willen gerade die beständige Erneuerung und völlige Veränderung des Intellekts, als eine neue Weltansicht verleihend, den Weg des Heils offen hält, der Intellekt aber von der Mutter kommt; so möchte hier der tiefe Grund liegen, aus welchem alle Völker (mit sehr wenigen, ja schwankenden Ausnahmen) die Geschwisterehe verabscheuen und verbieten, ja sogar eine Geschlechtsliebe zwischen Geschwistern gar nicht entsteht, es sei denn in höchst seltenen, auf einer naturwidrigen Perversität der Triebe, wo nicht auf der Unächtheit des Einen von ihnen, beruhenden Ausnahmen. Denn aus einer Geschwisterehe könnte nichts Anderes hervorgehen, als stets nur der selbe Wille mit dem selben Intellekt, wie beide schon vereint in beiden Eltern existiren, also die hoffnungslose Wiederholung der schon vorhandenen Erscheinung.
Wenn wir aber nun, im Einzelnen und in der Nähe, die unglaublich große und doch so augenfällige Verschiedenheit der Charaktere ins Auge fassen, den Einen so gut und menschenfreundlich, den Andern so boshaft, ja, grausam vorfinden, wieder Einen gerecht, redlich und aufrichtig, einen Andern voller Falsch, als einen Schleicher, Betrüger, Verräther, inkorrigibeln Schurken erblicken; da eröffnet sich uns ein Abgrund der Betrachtung, indem wir, über den Ursprung einer solchen Verschiedenheit nachsinnend, vergeblich brüten. Hindu und Buddhaisten lösen das Problem dadurch, daß sie sagen: »es ist die Folge der Thaten des vorhergegangenen Lebenslaufes«. Diese Lösung ist zwar die älteste, auch die faßlichste und von den Weisesten der Menschheit ausgegangen: sie schiebt jedoch nur die Frage weiter zurück. Eine befriedigendere wird dennoch schwerlich gefunden werden. Vom Standpunkt meiner ganzen Lehre aus bleibt mir zu sagen übrig, daß hier, wo der Wille als Ding an sich zur Sprache kommt, der Satz vom Grunde, als bloße Form der Erscheinung, keine Anwendung mehr findet, mit ihm aber alles Warum und Woher wegfällt. Die absolute Freiheit besteht eben darin, daß Etwas dem Satz vom Grunde, als dem Princip aller Nothwendigkeit, gar nicht unterworfen ist: eine solche kommt daher nur dem Dinge an sich zu, dieses ist aber gerade der Wille. Er ist demnach in seiner Erscheinung, mithin im Operari, der Nothwendigkeit unterworfen: im Esse aber, wo er sich als Ding an sich entschieden hat, ist er frei. Sobald wir daher, wie hier geschieht, an dieses kommen, hört alle Erklärung mittelst Gründen und Folgen auf, und uns bleibt nichts übrig, als zu sagen: hier äußert sich die wahre Freiheit des Willens, die ihm zukommt, sofern er das Ding an sich ist, welches aber eben als solches grundlos ist, d. h. kein Warum kennt. Eben dadurch aber hört für uns hier alles Verständniß auf; weil all unser Verstehn auf dem Satz vom Grunde beruht, indem es in der bloßen Anwendung desselben besteht.