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Kapitel 25.
Transzendente Betrachtungen über den Willen als Ding an sich.

Schon die bloß empirische Betrachtung der Natur erkennt, von der einfachsten und nothwendigsten Aeußerung irgend einer allgemeinen Naturkraft an, bis zum Leben und Bewußtseyn des Menschen hinauf, einen stetigen Uebergang, durch allmälige Abstufungen und ohne andere, als relative, ja meistens schwankende Gränzen. Das diese Ansicht verfolgende und dabei etwas tiefer eindringende Nachdenken wird bald zu der Ueberzeugung geführt, daß in allen jenen Erscheinungen das innere Wesen, das sich Manifestirende, das Erscheinende, Eines und das Selbe sei, welches immer deutlicher hervortrete; und daß demnach was sich in Millionen Gestalten von endloser Verschiedenheit darstellt und so das bunteste und barockeste Schauspiel ohne Anfang und Ende aufführt, dieses Eine Wesen sei, welches hinter allen jenen Masken steckt, so dicht verlarvt, daß es sich selbst nicht wiedererkennt, und daher oft sich selbst unsanft behandelt. Daher ist die große Lehre vom ἑν χαι παν, im Orient wie im Occident, früh aufgetreten und hat sich, allem Widerspruche zum Trotz, behauptet, oder doch stets erneuert. Wir nun aber sind jetzt schon tiefer in das Geheimniß eingeweiht, indem wir durch das Bisherige zu der Einsicht geleitet worden sind, daß, wo jenem, allen Erscheinungen zum Grunde liegenden Wesen, in irgend einer einzelnen derselben, ein erkennendes Bewußtseyn beigegeben ist, welches in seiner Richtung nach innen zum Selbstbewußtseyn wird, diesem sich dasselbe darstellt als jenes so Vertraute und so Geheimnisvolle, welches das Wort Wille bezeichnet. Demzufolge haben wir jenes universelle Grundwesen aller Erscheinungen, nach der Manifestation, in welcher es sich am unverschleiertesten zu erkennen giebt, den Willen benannt, mit welchem Worte wir demnach nichts weniger, als ein unbekanntes x, sondern im Gegentheil Dasjenige bezeichnen, was uns, wenigstens von einer Seite, unendlich bekannter und vertrauter ist, als alles Uebrige.

Erinnern wir uns jetzt an eine Wahrheit, deren ausführlichsten und gründlichsten Beweis man in meiner Preisschrift über die Freiheit des Willens findet, an diese nämlich, daß, kraft der ausnahmslosen Gültigkeit des Gesetzes der Kausalität, das Thun oder Wirken aller Wesen dieser Welt, durch die dasselbe jedesmal hervorrufenden Ursachen, stets streng necessitirt eintritt; in welcher Hinsicht es keinen Unterschied macht, ob es Ursachen im engsten Sinne des Worts, oder aber Reize, oder endlich Motive sind, welche eine solche Aktion hervorgerufen haben; indem diese Unterschiede sich allein auf den Grad der Empfänglichkeit der verschiedenartigen Wesen beziehen. Hierüber darf man sich keine Illusion machen: das Gesetz der Kausalität kennt keine Ausnahme; sondern Alles, von der Bewegung eines Sonnenstäubchens an, bis zum wohlüberlegten Thun des Menschen, ist ihm mit gleicher Strenge unterworfen. Daher konnte nie, im ganzen Verlauf der Welt, weder ein Sonnenstäubchen in seinem Fluge eine andere Linie beschreiben, als die es beschrieben hat, noch ein Mensch irgend anders handeln, als er gehandelt hat: und keine Wahrheit ist gewisser als die, daß Alles was geschieht, sei es klein oder groß, völlig nothwendig geschieht. Demzufolge ist, in jedem gegebenen Zeitpunkt, der gesammte Zustand aller Dinge fest und genau bestimmt, durch den ihm soeben vorhergegangenen; und so den Zeitstrom aufwärts, ins Unendliche hinauf, und so ihn abwärts, ins Unendliche herab. Folglich gleicht der Lauf der Welt dem einer Uhr, nachdem sie zusammengesetzt und aufgezogen worden: also ist sie, von diesem unabstreitbaren Gesichtspunkt aus, eine bloße Maschine, deren Zweck man nicht absieht. Auch wenn man, ganz unbefugter Weise, ja, im Grunde, aller Denkbarkeit, mit ihrer Gesetzlichkeit, zum Trotz, einen ersten Anfang annehmen wollte; so wäre dadurch im Wesentlichen nichts geändert. Denn der willkürlich gesetzte erste Zustand der Dinge, bei ihrem Ursprung, hätte den ihm zunächst folgenden, im Großen und bis auf das Kleinste herab, unwiderruflich bestimmt und festgestellt, dieser wieder den folgenden, und so fort, per secula seculorum; da die Kette der Kausalität, mit ihrer ausnahmslosen Strenge, – dieses eherne Band der Nothwendigkeit und des Schicksals, – jede Erscheinung unwiderruflich und unabänderlich, so wie sie ist, herbeiführt. Der Unterschied liefe bloß daraus zurück, daß wir, bei der einen Annahme, ein Mal aufgezogenes Uhrwerk, bei der andern aber ein perpetuum mobile vor uns hätten, hingegen die Nothwendigkeit des Verlaufs bliebe die selbe. Daß das Thun des Menschen dabei keine Ausnahme machen kann, habe ich in der angezogenen Preisschrift unwiderleglich bewiesen, indem ich zeigte, wie es aus zwei Faktoren, seinem Charakter und den eintretenden Motiven, jedesmal streng nothwendig hervorgeht: jener ist angeboren und unveränderlich, diese werden, am Faden der Kausalität, durch den streng bestimmten Weltlauf nothwendig herbeigeführt.

Demnach also erscheint, von einem Gesichtspunkt aus, welchem wir uns, weil er durch die objektiv und a priori gültigen Weltgesetze festgestellt ist, schlechterdings nicht entziehen können, die Welt, mit Allem was darin ist, als ein zweckloses und darum unbegreifliches Spiel einer ewigen Nothwendigkeit, einer unergründlichen und unerbittlichen Αναγχη. Das Anstößige, ja Empörende dieser unausweichbaren und unwiderleglichen Weltansicht kann nun aber durch keine andere Annahme gründlich gehoben werden, als durch die, daß jedes Wesen auf der Welt, wie es einerseits Erscheinung und durch die Gesetze der Erscheinung nothwendig bestimmt ist, andererseits an sich selbst Wille sei, und zwar schlechthin freier Wille, da alle Nothwendigkeit allein durch die Formen entsteht, welche gänzlich der Erscheinung angehören, nämlich durch den Satz vom Grunde in seinen verschiedenen Gestalten: einem solchen Willen muß dann aber auch Aseität zukommen, da er, als freier, d. h. als Ding an sich und deshalb dem Satz vom Grunde nicht unterworfener, in seinem Seyn und Wesen so wenig, wie in seinem Thun und Wirken, von einem Andern abhängen kann. Durch diese Annahme allein wird so viel Freiheit gesetzt, als nöthig ist, der unabweisbaren strengen Nothwendigkeit, die den Verlauf der Welt beherrscht, das Gleichgewicht zu halten. Demnach hat man eigentlich nur die Wahl, in der Welt entweder eine bloße, nothwendig ablaufende Maschine zu sehen, oder als das Wesen an sich derselben einen freien Willen zu erkennen, dessen Aeußerung nicht unmittelbar das Wirken, sondern zunächst das Daseyn und Wesen der Dinge ist. Diese Freiheit ist daher eine transscendentale, und besteht mit der empirischen Nothwendigkeit so zusammen, wie die transscendentale Idealität der Erscheinungen mit ihrer empirischen Realität. Daß allein unter Annahme derselben die That eines Menschen, trotz der Nothwendigkeit, mit der sie aus seinem Charakter und den Motiven hervorgeht, doch seine eigene ist, habe ich in der Preisschrift über die Willensfreiheit dargethan: eben damit aber ist seinem Wesen Aseität beigelegt. Das selbe Verhältniß nun gilt von allen Dingen der Welt. – Die strengste, redlich, mit starrer Konsequenz durchgeführte Nothwendigkeit und die vollkommenste, bis zur Allmacht gesteigerte Freiheit mußten zugleich und zusammen in die Philosophie eintreten: ohne die Wahrheit zu verletzen konnte dies aber nur dadurch geschehen, daß die ganze Nothwendigkeit in das Wirken und Thun ( Operari), die ganze Freiheit hingegen in das Seyn und Wesen ( Esse)verlegt wurde. Dadurch löst sich ein Räthsel, welches nur deshalb so alt ist wie die Welt, weil man bisher es immer gerade umgekehrt gehalten hat und schlechterdings die Freiheit im Operari, die Nothwendigkeit im Esse suchte. Ich hingegen sage: jedes Wesen, ohne Ausnahme, wirkt mit strenger Nothwendigkeit, dasselbe aber existirt und ist was es ist, vermöge seiner Freiheit. Bei mir ist also nicht mehr und nicht weniger Freiheit und Nothwendigkeit anzutreffen, als in irgend einem frühern System; obwohl bald das Eine, bald das Andere scheinen muß, je nachdem man daran, daß den bisher aus reiner Nothwendigkeit erklärten Naturvorgängen Wille untergelegt wird, oder daran, daß der Motivation die selbe strenge Nothwendigkeit, wie der mechanischen Kausalität, zuerkannt wird, Anstoß nimmt. Bloß ihre Stellen haben beide vertauscht: die Freiheit ist in das Esse versetzt und die Nothwendigkeit auf das Operari beschränkt worden.

Kurzum, der Determinismus steht fest: an ihm zu rütteln haben nun schon anderthalb Jahrtausende vergeblich sich bemüht, dazu getrieben durch gewisse Grillen, welche man wohl kennt, jedoch noch nicht so ganz bei ihrem Namen nennen darf. In Folge seiner aber wird die Welt zu einem Spiel mit Puppen, an Drähten (Motiven) gezogen; ohne daß auch nur abzusehen wäre, zu wessen Belustigung: hat das Stück einen Plan, so ist ein Fatum, hat es keinen, so ist die blinde Nothwendigkeit der Direktor. – Aus dieser Absurdität giebt es keine andere Rettung, als die Erkenntniß, daß schon das Seyn und Wesen aller Dinge die Erscheinung eines wirklich freien Willens ist, der sich eben darin selbst erkennt: denn ihr Thun und Wirken ist vor der Nothwendigkeit nicht zu retten. Um die Freiheit vor dem Schicksal oder dem Zufall zu bergen, mußte sie aus der Aktion in die Existenz versetzt werden. –

Wie nun demnach die Nothwendigkeit nur der Erscheinung, nicht aber dem Dinge an sich, d. h. dem wahren Wesen der Welt, zukommt; so auch die Vielheit. Dies ist §. 25 des ersten Bandes genügend dargethan. Bloß einige, diese Wahrheit bestätigende und erläuternde Betrachtungen habe ich hier hinzuzufügen.

Jeder erkennt nur ein Wesen ganz unmittelbar: seinen eigenen Willen im Selbstbewußtseyn. Alles Andere erkennt er bloß mittelbar, und beurtheilt es dann nach der Analogie mit jenem, die er, je nachdem der Grad seines Nachdenkens ist, weiter durchführt. Selbst Dieses entspringt im tiefsten Grunde daraus, daß es eigentlich auch nur ein Wesen giebt: die aus den Formen der äußern, objektiven Auffassung herrührende Illusion der Vielheit (Maja) konnte nicht bis in das innere, einfache Bewußtseyn dringen: daher dieses immer nur Ein Wesen vorfindet.

Betrachten wir die nie genug bewunderte Vollendung in den Werken der Natur, welche, selbst in den letzten und kleinsten Organismen, z. B. den Befruchtungstheilen der Pflanzen, oder dem innern Bau der Insekten, mit so unendlicher Sorgfalt, so unermüdlicher Arbeit durchgeführt ist, als ob das vorliegende Werk der Natur ihr einziges gewesen wäre, auf welches sie daher alle ihre Kunst und Macht verwenden gekonnt; finden wir dasselbe dennoch unendlich oft wiederholt, in jedem einzelnen der zahllosen Individuen jeglicher Art, und nicht etwan weniger sorgfältig vollendet in dem, dessen Wohnplatz der einsamste, vernachlässigteste Fleck ist, zu welchem bis dahin noch kein Auge gedrungen war; verfolgen wir nun die Zusammensetzung der Theile jedes Organismus, so weit wir können, und stoßen doch nie auf ein ganz Einfaches und daher Letztes, geschweige auf ein Unorganisches; verlieren wir uns endlich in die Berechnung der Zweckmäßigkeit aller jener Theile desselben zum Bestande des Ganzen, vermöge deren jedes Lebende, an und für sich selbst, ein Vollkommenes ist; erwägen wir dabei, daß jedes dieser Meisterwerke, selbst von kurzer Dauer, schon unzählige Male von Neuem hervorgebracht wurde, und dennoch jedes Exemplar seiner Art, jedes Insekt, jede Blume, jedes Blatt, noch eben so sorgfältig ausgearbeitet erscheint, wie das erste dieser Art es gewesen ist, die Natur also keineswegs ermüdet und zu pfuschen anfängt, sondern, mit gleich geduldiger Meisterhand, das letzte wie das erste vollendet: dann werden wir zuvörderst inne, daß alle menschliche Kunst nicht bloß dem Grade, sondern der Art nach vom Schaffen der Natur völlig verschieden ist; nächstdem aber, daß die wirkende Urkraft, die natura naturans, in jedem ihrer zahllosen Werke, im kleinsten, wie im größten, im letzten, wie im ersten, ganz und ungetheilt unmittelbar gegenwärtig ist: woraus folgt, daß sie, als solche und an sich von Raum und Zeit nicht weiß. Bedenken wir nun ferner, daß die Hervorbringung jener Hyperbeln aller Kunstgebilde dennoch der Natur so ganz und gar nichts kostet, daß sie, mit unbegreiflicher Verschwendung, Millionen Organismen schafft, die nie zur Reife gelangen, und jedes Lebende tausendfältigen Zufällen ohne Schonung Preis giebt, andererseits aber auch, wenn durch Zufall begünstigt, oder durch menschliche Absicht angeleitet, bereitwillig Millionen Exemplare einer Art liefert, wo sie bisher nur eines gab, folglich Millionen ihr nichts mehr kosten als Eines; so leitet auch Dieses uns auf die Einsicht hin, daß die Vielheit der Dinge ihre Wurzel in der Erkenntnißweise des Subjekts hat, dem Dinge an sich aber, d. h. der innern sich darin kund gebenden Urkraft, fremd ist; daß mithin Raum und Zeit, auf welchen die Möglichkeit aller Vielheit beruht, bloße Formen unserer Anschauung sind; ja, daß sogar jene ganz unbegreifliche Künstlichkeit der Struktur, zu welcher sich die rücksichtsloseste Verschwendung der Werke, worauf sie verwendet worden, gesellt, im Grunde auch nur aus der Art, wie wir die Dinge auffassen, entspringt; indem nämlich das einfache und untheilbare, ursprüngliche Streben des Willens, als Dinges an sich, wann dasselbe, in unserer cerebralen Erkenntniß, sich als Objekt darstellt, erscheinen muß als eine künstliche Verkettung gesonderter Theile, zu Mitteln und Zwecken von einander, in überschwänglicher Vollkommenheit durchgeführt.

Die hier angedeutete, jenseit der Erscheinung liegende Einheit jenes Willens, in welchem wir das Wesen an sich der Erscheinungswelt erkannt haben, ist eine metaphysische, mithin die Erkenntniß derselben transscendent, d. h. nicht auf den Funktionen unsers Intellekts beruhend und daher mit diesen nicht eigentlich zu erfassen. Daher kommt es, daß sie einen Abgrund der Betrachtung eröffnet, dessen Tiefe keine ganz klare und in durchgängigem Zusammenhang stehende Einsicht mehr gestattet, sondern nur einzelne Blicke vergönnt, welche dieselbe in diesem und jenem Verhältniß der Dinge, bald im Subjektiven, bald im Objektiven, erkennen lassen, wodurch jedoch wieder neue Probleme angeregt werden, welche alle zu lösen ich mich nicht anheischig mache, vielmehr auch hier mich auf das est quadam prodire tenus berufe, mehr darauf bedacht, nichts Falsches oder willkürlich Ersonnenes aufzustellen, als von Allem durchgängige Rechenschaft zu geben; – auf die Gefahr hin, hier nur eine fragmentarische Darstellung zu liefern.

Wenn man die so scharfsinnige, zuerst von Kant und später von Laplace aufgestellte Theorie der Entstehung des Planetensystems, an deren Richtigkeit zu zweifeln kaum möglich ist, sich vergegenwärtigt und sie deutlich durchdenkt; so sieht man die niedrigsten, rohesten, blindesten, an die starreste Gesetzlichkeit gebundenen Naturkräfte, mittelst ihres Konflikts an einer und derselben gegebenen Materie und der durch diesen herbeigeführten accidentellen Folgen, das Grundgerüst der Welt, also des künftigen zweckmäßig eingerichteten Wohnplatzes zahlloser lebender Wesen, zu Stande bringen, als ein System der Ordnung und Harmonie, über welches wir um so mehr erstaunen, je deutlicher und genauer wir es verstehen lernen. So z. B. wenn wir einsehen, daß jeder Planet, bei seiner gegenwärtigen Geschwindigkeit, gerade nur da, wo er wirklich seinen Ort hat, sich behaupten kann, indem er, der Sonne näher gerückt, hineinfallen, weiter von ihr gestellt, hinwegfliegen müßte; wie auch umgekehrt, wenn wir seinen Ort als gegeben nehmen, er nur bei seiner gegenwärtigen und keiner andern Geschwindigkeit daselbst bleiben kann, indem er, schneller laufend, davonfliegen, langsamer gehend, in die Sonne fallen müßte; daß also nur ein bestimmter Ort zu jeder bestimmten Velocität eines Planeten paßte; und wir nun dieses Problem dadurch gelöst sehen, daß die selbe physische, nothwendig und blind wirkende Ursache, welche ihm seinen Ort anwies, zugleich und eben dadurch ihm genau die diesem Ort allein angemessene Geschwindigkeit ertheilte, in Folge des Naturgesetzes, daß ein kreisender Körper, in dem Verhältniß wie sein Kreis kleiner wird, seine Geschwindigkeit vermehrt; und vollends, wenn wir endlich verstehen, wie dem ganzen System ein endloser Bestand gesichert ist, dadurch, daß alle die unvermeidlich eintretenden, gegenseitigen Störungen des Laufes der Planeten mit der Zeit sich wieder ausgleichen müssen; wie denn gerade die Irrationalität der Umlaufszeiten Jupiters und Saturns zu einander verhindert, daß ihre gegenseitigen Perturbationen sich nicht auf einer Stelle wiederholen, als wodurch sie gefährlich werden würden, und herbeiführt, daß sie, immer an einer andern Stelle und selten eintretend, sich selbst wieder aufheben müssen, den Dissonanzen in der Musik zu vergleichen, die sich wieder in Harmonie auflösen. Wir erkennen mittelst solcher Betrachtungen eine Zweckmäßigkeit und Vollkommenheit, wie die freieste Willkür, geleitet vom durchdringendesten Verstande und der schärfsten Berechnung, sie nur irgend hätte zu Stande bringen können. Und doch können wir, am Leitfaden jener so wohl durchdachten und so genau berechneten Laplace'schen Kosmogonie, uns der Einsicht nicht entziehen, daß völlig blinde Naturkräfte, nach unwandelbaren Naturgesetzen wirkend, durch ihren Konflikt und in ihrem absichtslosen Spiel gegen einander, nichts Anderes hervorbringen konnten, als eben dieses Grundgerüst der Welt, welches dem Werk einer hyperbolisch gesteigerten Kombination gleich kommt. Statt nun, nach Weise des Anaxagoras, das uns bloß aus der animalischen Natur bekannte und auf ihre Zwecke allein berechnete Hülfsmittel einer Intelligenz herbei zu ziehen, welche von außen hinzukommend, die ein Mal vorhandenen und gegebenen Naturkräfte und deren Gesetze schlau benutzt hätte, um ihre, diesen eigentlich fremden Zwecke durchzusetzen, – erkennen wir, in jenen untersten Naturkräften selbst, schon jenen selben und Einen Willen, welcher eben an ihnen seine erste Aeußerung hat und, bereits in dieser seinem Ziel entgegenstrebend, durch ihre ursprünglichen Gesetze selbst, auf seinen Endzweck hinarbeitet, welchem daher Alles, was nach blinden Naturgesetzen geschieht, nothwendig dienen und entsprechen muß; wie dieses denn auch nicht anders ausfallen kann, sofern alles Materielle nichts Anderes ist, als eben die Erscheinung, die Sichtbarkeit, die Objektität, des Willens zum Leben, welcher Einer ist. Also schon die untersten Naturkräfte selbst sind von jenem selben Willen beseelt, der sich nachher in den mit Intelligenz ausgestatteten, individuellen Wesen, über sein eigenes Werk verwundert, wie der Nachtwandler am Morgen über Das, was er im Schlafe vollbracht hat; oder richtiger, der über seine eigene Gestalt, die er im Spiegel erblickt, erstaunt. Diese hier nachgewiesene Einheit des Zufälligen mit dem Absichtlichen, des Nothwendigen mit dem Freien, vermöge deren die blindesten, aber auf allgemeinen Naturgesetzen beruhenden Zufälle gleichsam die Tasten sind, auf denen der Weltgeist seine sinnvollen Melodien abspielt, ist, wie gesagt, ein Abgrund der Betrachtung, in welchen auch die Philosophie kein volles Licht, sondern nur einen Schimmer werfen kann.

Nunmehr aber wende ich mich zu einer subjektiven, hieher gehörigen Betrachtung, welcher ich jedoch noch weniger Deutlichkeit, als der eben dargelegten objektiven, zu geben vermag; indem ich sie nur durch Bild und Gleichniß werde ausdrücken können. – Warum ist unser Bewußtseyn heller und deutlicher, je weiter es nach Außen gelangt, wie denn seine größte Klarheit in der sinnlichen Anschauung liegt, welche schon zur Hälfte den Dingen außer uns angehört, – wird hingegen dunkler nach Innen zu, und führt, in sein Innerstes verfolgt, in eine Finsterniß, in der alle Erkenntniß aufhört? – Weil, sage ich, Bewußtseyn Individualität voraussetzt, diese aber schon der bloßen Erscheinung angehört, indem sie als Vielheit des Gleichartigen, durch die Formen der Erscheinung, Zeit und Raum, bedingt ist. Unser Inneres hingegen hat seine Wurzel in Dem, was nicht mehr Erscheinung, sondern Ding an sich ist, wohin daher die Formen der Erscheinung nicht reichen, wodurch dann die Hauptbedingungen der Individualität mangeln und mit dieser das deutliche Bewußtseyn wegfällt. In diesem Wurzelpunkt des Daseyns nämlich hört die Verschiedenheit der Wesen so auf, wie die der Radien einer Kugel im Mittelpunkt: und wie an dieser die Oberfläche dadurch entsteht, daß die Radien enden und abbrechen; so ist das Bewußtseyn nur da möglich, wo das Wesen an sich in die Erscheinung ausläuft; durch deren Formen die geschiedene Individualität möglich wird, auf der das Bewußtseyn beruht, welches eben deshalb auf Erscheinungen beschränkt ist. Daher liegt alles Deutliche und recht Begreifliche unsers Bewußtseyns stets nur nach Außen auf dieser Oberfläche der Kugel. Sobald wir hingegen uns von dieser ganz zurückziehen, verläßt uns das Bewußtseyn, – im Schlaf, im Tode, gewissermaaßen auch im magnetischen oder magischen Wirken: denn diese alle führen durch das Centrum. Eben aber weil das deutliche Bewußtseyn, als durch die Oberfläche der Kugel bedingt, nicht nach dem Centro hingerichtet ist, erkennt es die andern Individuen wohl als gleichartig, nicht aber als identisch, was sie an sich doch sind. Unsterblichkeit des Individui ließe sich dem Fortfliegen eines Punktes der Oberfläche in der Tangente vergleichen; Unsterblichkeit, vermöge der Ewigkeit des Wesens an sich der ganzen Erscheinung aber, der Rückkehr jenes Punktes, auf dem Radius, zum Centro, dessen bloße Ausdehnung die Oberfläche ist. Der Wille als Ding an sich ist ganz und ungetheilt in jedem Wesen, wie das Centrum ein integrirender Theil eines jeden Radius ist: während das peripherische Ende dieses Radius mit der Oberfläche, welche die Zeit und ihren Inhalt vorstellt, im schnellsten Umschwunge ist, bleibt das andere Ende, am Centro, als wo die Ewigkeit liegt, in tiefster Ruhe, weil das Centrum der Punkt ist, dessen steigende Hälfte von der sinkenden nicht verschieden ist. Daher heißt es auch im Bhagavad Gita: Haud distributum animantibus, et quasi distributum tamen insidens, animantiumque sustentaculum id cognoscendum, edax et rursus genitale (lect. 13, 16 vers. Schlegel). Freilich gerathen wir hier in eine mystische Bildersprache: aber sie ist die einzige, in der sich über dieses völlig transscendente Thema noch irgend etwas sagen läßt. So mag denn auch noch dieses Gleichniß mit hingehen, daß man sich das Menschengeschlecht bildlich als ein animal compositum vorstellen kann, eine Lebensform, von welcher viele Polypen, besonders die schwimmenden, wie Veretillum, Funiculina und andere Beispiele darbieten. Wie bei diesen der Kopftheil jedes einzelne Thier isolirt, der untere Theil hingegen, mit dem gemeinschaftlichen Magen, sie alle zur Einheit eines Lebensprocesses verbindet; so isolirt das Gehirn mit seinem Bewußtseyn die menschlichen Individuen: hingegen der unbewußte Theil, das vegetative Leben, mit seinem Gangliensystem, darin im Schlaf das Gehirnbewußtseyn, gleich einem Lotus, der sich nächtlich in die Fluth versenkt, untergeht, ist ein gemeinsames Leben Aller, mittelst dessen sie sogar ausnahmsweise kommuniziren können, welches z. B. Statt hat, wann Träume sich unmittelbar mittheilen, die Gedanken des Magnetiseurs in die Somnambule übergehen, endlich auch in der vom absichtlichen Wollen ausgehenden magnetischen, oder überhaupt magischen Einwirkung. Eine solche nämlich, wenn sie Statt findet, ist von jeder andern, durch den influx physicus geschehenden, toto genere verschieden, indem sie eine eigentliche actio in distans ist, welche der zwar vom Einzelnen ausgehende Wille dennoch in seiner metaphysischen Eigenschaft, als das allgegenwärtige Substrat der ganzen Natur, vollbringt. Auch könnte man sagen, daß, wie von seiner ursprünglichen Schöpferkraft, welche in den vorhandenen Gestalten der Natur bereits ihr Werk gethan hat und darin erloschen ist, dennoch bisweilen und ausnahmsweise ein schwacher Ueberrest in der generatio aequivoca hervortritt; eben so, von seiner ursprünglichen Allmacht, welche in der Darstellung und Erhaltung der Organismen ihr Werk vollbringt und darin aufgeht, doch noch gleichsam ein Ueberschuß, in solchem magischen Wirken, ausnahmsweise thätig werden kann. Im »Willen in der Natur« habe ich von dieser magischen Eigenschaft des Willens ausführlich geredet, und verlasse hier gern Betrachtungen, welche sich auf ungewisse Thatsachen, die man dennoch nicht ganz ignoriren oder ableugnen darf, zu berufen haben.

 


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