Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Als Tom am Abend zu verabredeter Zeit den oberen Billardsaal des Café Voth, eines kleineren Cafés zweiten Ranges betrat, das in einer der von der Hauptstraße sich abzweigenden Nebenstraßen gelegen war, fand er Silvercron bereits vor. Er saß an einem der Marmortischchen, die an den Wänden des mäßig großen Raumes hin standen, einem der drei Billards gegenüber, welche die Mitte des Saales einnahmen.
»Was trinkst du da, Silvercron?« fragte er, nachdem er ihn begrüßt und ihm die Hand gereicht hatte, mit Bezug auf das Getränk, das Silvercron vor sich stehen hatte. Tom hatte unter seiner Rede angefangen, sich die Glacés abzustreifen. Silvercron verfolgte das, vorgebeugt, mit einem starren, förmlich ängstlichen Ausdruck.
»Schwedischen Punsch«, gab er im übrigen Bescheid.
Tom kannte schwedischen Punsch nicht, aber er hatte sich sofort gewundert, als er das kleine, runde, fußlose Glas mit der rumähnlichen Flüssigkeit, in der zwischen obenauf schwimmenden Eisstückchen ein Strohhalm stak, gesehen hatte. Auch erstaunte es ihn, daß Silvercron eine lange, schwarzbraune, brennende Virginia, die er in diesem Augenblick allerdings zwischen den Fingern hielt, im Mund gehabt hatte. Im Fechtklub pflegten sie diese schweren Virginia »Rattenschwänze« oder auch »Friedhofsspargel« zu nennen.
»Du rauchst auch? Sogar starken Tabak?«
»Ja. – Im Café.«
»Kommst du öfters hierher?«
»Manchmal. – Ich spiele mit ein paar Freunden hier Billard.«
»Bringen Sie mir einen schwedischen Punsch«, bestellte Tom, aus Neugier auf das Getränk, beim Kellner. »Sind deine Freunde auch Schüler? Aber doch wohl nicht von unserem Gymnasium?«
»Nein. – Überhaupt keine Schüler. – Zwei ältere Leute. – Ich stehe ja selber schon im einundzwanzigsten Jahr. – Leute, mit denen ich gemeinsame Interessen habe.«
Tom steckte sich eine Zigarette an.
»Wie kommt es dann aber, daß du noch in der Obersekunda sitzst?«
Offenbar mit irgend etwas innerlich beschäftigt gewesen, antwortete Silvercron, der wieder mit dem starr ängstlichen Blick zugesehen hatte, wie Tom sich die Zigarette anzündete, endlich:
»Ich bin wegen Kränklichkeit erst spät auf die Schule gekommen. Nachher bin ich auch ein paarmal sitzengeblieben. – Ich hatte auch immer meine eigenen Interessen.«
»Der Punsch ist recht kräftig«, stellte Tom fest, der, nachdem er sein Glas bekommen, gekostet hatte. »Verträgst du ihn denn?«
»O ja.«
Es blieb ein Schweigen. Tom ließ, um sich zu orientieren, den Blick über den Saal hin gehen. Die beiden anderen Billards waren besetzt. Acht Gäste spielten. Einige andere saßen an den Marmortischchen und sahen zu. Es wurde gelacht, geplaudert, auf dem entferntesten Billard wurde Boule gespielt, die Kugeln rollten und klapperten. Tabaksqualm zog sich um die elektrischen Lampen herum.
»Ist dir's recht, wenn wir anfangen?«
»Ja, natürlich. – Ach, du meinst – Billard zu spielen?«
»Ja. – Ich habe dies Billard hier reservieren lassen.«
»Gut, ja.«
Tom erhob sich.
»Es ist zwar schon das Verständigste«, dachte er, während er das Queue kreidete. »Aber was soll es eigentlich heißen, da wir doch was anderes vorhatten?«
Silvercron war inzwischen an die Wandtafel herangetreten, sah nach der Uhr, sagte Tom die Zeit an und notierte sie zugleich mit den Anfangsbuchstaben der beiden Namen auf die Tafel. Dann trat er zu Tom hin und maß sein Queue mit dem Toms. Er hatte das längere und fing an.
Er stand aber, bevor das geschah, erst noch eine Weile, sah irgendwohin und sog mit einem halben Dutzend schnellen knappen Zügen an der Virginia; dann erst trat er an das Billard heran, stellte die Bälle zurecht und begann.
Aber Tom hatte wieder zu staunen. Silvercron hatte die Virginia sorgsam auf die Billardkante gelegt und machte nun mit einem ruhigen, sehr akkuraten Spiel eine Serie von fünfzehn Points.
»Oh, du spielst famos!«
Silvercron starrte ihn an, sagte aber weiter nichts, sondern ging zur Tafel hin, wo er mit sorgsam geraden, genau parallelen, aber spinndünnen Strichen – immer vier nebeneinander und den fünften durchgezogen – seine Points notierte.
Tom brachte es bloß auf vier Points, die er zerstreut, mit dicken Strichen, auf die Tafel unter seinen Buchstaben hinhieb.
Silvercron machte dann wieder eine Serie. Diesmal waren's sogar achtzehn Points.
»Wetter! Du bist ja ein Künstler!« rief Tom. »Noch siebzehn, und du hast das Spiel.«
Silvercron antwortete auch diesmal nichts.
Tom fing an, sich zusammenzunehmen, brachte es aber auch diesmal auf nicht mehr als acht Points. Darauf brachte Silvercron das Spiel zu Ende. Zugleich fiel es Tom aber auf, daß er sich ein zweites Glas Punsch bestellte, nachdem er den Rest des ersten gierig durch den Strohhalm eingesogen hatte.
Tom selbst mochte von dem schweren Zeug nichts mehr trinken, er steckte sich eine frische Zigarette an.
Sie hatten bis halb elf Uhr gespielt, als Silvercron vorschlug, aufzuhören und das Café zu verlassen. Tom hatte alle Spiele verloren, Silvercron hatte ihm nicht mal eines aus Höflichkeit gewinnen lassen. Gesprochen hatten sie nicht viel, Silvercron hatte sich jeder Äußerung über Tome Spiel enthalten.
»Wo willst du hin?« fragte Tom, als sie aufbrachen.
»Ist es dir recht, wenn wir noch einen Spaziergang machen?« fragte Silvercron, ohne ihn anzusehen. »Das Wetter ist so schön. Es ist warm. Wir haben Mondschein. Hast du noch Lust und Zeit?«
»O doch!« lachte Tom nach einem kleinen Überlegen.