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Aber da sollte er in seinem fast vollendeten achten Lebensjahr die Bruhnsleute kennenlernen.
Die Amalie Bruhns war vor Jahren bei der Frau Kommerzienrätin Hausmädchen gewesen. Sie war damals ein angenehmes, bescheidenes, gewissenhaftes und aufmerksames Mädchen gewesen und hatte eine gute Anzahl von Jahren in der Frau Kommerzienrat Diensten gestanden, als sie sich in ein Liebesverhältnis eingelassen hatte, das nicht ohne Folgen geblieben war. Daraufhin war sie nun zwar entlassen worden, doch hatte die Frau Kommerzienrat sich ihrer trotzdem in anderer Weise angenommen und auch später und all die Jahre her Anschluß an sie behalten.
Von jeher war der alten Dame die Schwäche eigen gewesen, Schmeicheleien und zutunlichem Wesen zugänglich zu sein und sich durch sie zu Mitleid und Freigebigkeit stimmen zu lassen. Und so hatte sie, obgleich in gewissen Grundsätzen streng und unnachgiebig, auch den verzweifelten Tränen Amaliens nicht widerstehen können und ihr tätige Anteilnahme bewahrt. Und Amalie Bruhns hatte sich, mit den Schwächen ihrer ehemaligen Dienstherrin vertraut, außerdem durch gelegentliche freiwillige Dienstleistungen und sonstige Erkenntlichkeit die wertvolle Unterstützung all die Jahre her zu erhalten gewußt. So hatte die Frau Kommerzienrat es ihr zum Beispiel ermöglicht, sich kaum ein Jahr nach ihrer Entbindung mit einem auf den Werften beschäftigten Maschinenmeister zu verheiraten. Als der später aber durch einen Unglücksfall ums Leben gekommen war, und Amalie mit drei Söhnen wieder mittellos dastand, hatte sie ihr nicht nur selber gelegentlich Arbeit gegeben, sondern ihr auch in ihren Bekanntenkreisen welche verschafft und ihr damit ihre Zukunft sichergestellt.
Amalie Bruhns war in ihren jungen Jahren ein anziehendes, bildschönes Mädchen gewesen. Jetzt, wo sie über die Mitte der Vierziger heraus war, bot sie sich als eine mittelgroße Frau mit breiten Hüften, aber äußerlich immer noch einnehmend. Ihr Gesicht war länglich und braun, von einem dichten schwarzen Haarwuchs umrahmt, und sie hatte schöne, schwarze Augen, die einen freundlichen, manchmal aber etwas lauernden, nicht ganz steten Blick hatten. Die Unterlippe ihres sinnlichen Mundes zeigte sich jetzt, wo sie nun schon bei Jahren war, noch mehr vorgeschoben und von den Sorgen, die sie auszustehen gehabt, etwas verwulstet. Auch hatte ihr Kopf eine etwas sonderbar vorgereckte Haltung gewonnen.
Eines Tages war sie nun in irgendeiner Angelegenheit zu der Frau Kommerzienrat gekommen, als gerade Tom bei dieser war, und hatte ihren neunjährigen Sohn Oswald bei sich.
Oswald Bruhns war ein hochaufgeschossener blasser Junge mit einem reichlichen dunkelaschblonden Haarwuchs, der von einem Mittelscheitel in zwei dick und starr aufgesträubten, dachähnlichen Bogen gegen die Ohren herabgekämmt war. Seine kleinen, blaßblauen Augen, die wohl ein Erbteil seines verstorbenen Vaters, des Werkmeisters waren, hatten einen bescheidenen, zuvorkommenden, gescheiten und doch verschlossen selbstbewußten Ausdruck, und den zeigte auch sein meist halb offenstehender, dicklippiger Mund. Die von der Mutter ererbte aufrecht vorgereckte Haltung des Kopfes verstärkte ihn noch. Ganz von der Mutter hatte er auch den nicht unansprechend adretten Gang und die artige, bescheiden gewandte Sprechweise.
Die Frau Kommerzienrat mochte den Knaben gut leiden, zumal er auch in der Schule brave Fortschritte machte und Aussicht hatte, auf der Realschule eine Freistelle zu bekommen. Diese Angelegenheit war der Grund von Amaliens Besuch, denn die Frau Kommerzienrat hatte es übernommen, die Freistelle zu vermitteln.
Oswald trug bei dem Besuch einen nicht besonders gut sitzenden, aber sauberen dunkelblauen Jackettanzug, der offenbar sein Sonntagsanzug war, und etwas zu große, ungeschickt gearbeitete, doch blitzeblank geputzte Schuhe.
Nachdem er artig der Frau Kommerzienrat die Hand gegeben und ein paar freundliche Worte von ihr bekommen hatte, trat er, um auch ihm die Hand zu geben, zu Tom hin. Tom saß gerade an einem Tischchen, das Großmama ihm für diesen Zweck hatte ins Zimmer stellen lassen, und war mit einer Aquarellarbeit beschäftigt. Er hatte die Bruhns noch nie gesehen. Frau Bruhns mochte er nicht, weil sie ihm mit ihrem schwarzen Haar und ihren schwarzen Augen wie ein Zigeunerweib vorkam; als Oswald aber jetzt so bescheiden und freundlich mit ausgestreckter Hand zu ihm hertrat, lächelte er gleichfalls und gab ihm, wenn auch etwas zurückhaltend, die Hand.
Als Oswalds Blick dann aber, wenn auch unwillkürlich und mit Zurückhaltung, auf die Zeichnung fiel, sagte Tom:
»Ich male.«
»Ja. – Es ist schön«, antwortete Oswald, wobei aber die blasse Farbe seines Gesichtes unverändert blieb.
»Kannst du auch malen?« fragte Tom.
»Oh, ein bißchen«, antwortete Oswald.
»Mal' doch mal!« forderte Tom auf, indem er, neugierig, ihm den Pinsel hinreichte.
Nach einem anfänglichen Zögern nahm Oswald den Pinsel und sagte:
»Oh, wenn ich soll?«
Aber dann wartete er doch unentschlossen, weil er wohl nicht wagte, um den Tisch herum zu Tom hinzugehen.
Tom, der sein Zögern nicht verstand, sah ihn an, schob ihm dann aber mit einer etwas unentschiedenen Handbewegung die Zeichnung zu.
Darauf fing Oswald, nachdem er die Vorlage ein Weilchen betrachtet hatte, an zu tuschen. Mit Sorgfalt und Geschick wusch er erst den Pinsel aus, feuchtete ihn dann wieder an, nahm ihn voll Farbe und führte ihn sauber und sorgsam über die Zeichnung hin, was Tom alles aufmerksam und verwundert verfolgte.
Die Frau Kommerzienrat, die unter ihrem Gespräch mit Frau Bruhns den Vorgang beobachtet hatte, trat zu den beiden Knaben herüber.
»Oh, sieh doch!« sagte sie. »Er kann ja wirklich sehr hübsch malen. – Wer hat ihm das beigebracht?«
»Oh, eigentlich niemand, gnäd'ge Frau«, gab Frau Bruhns mit glückseligem Lächeln Bescheid, während ihre schwarzen Augen interessiert aufblitzten. »Er bringt sich alles so was von selbst bei. Wer hätte denn bei uns Zeit oder verstände sich drauf? Es ist ja eigentlich auch unnütze, brotlose Kunst für unsereinen.«
»Nun, man kann doch nicht wissen«, unterbrach die Frau Kommerzienrat, ohne ihre Aufmerksamkeit von Oswalds Beschäftigung abzuwenden.
Frau Bruhns ließ ein kleines, dankendes Lachen hören.
»Ja, oh, ich hab' ja auch gedacht; da er doch, mit gütiger Beihilfe, auf die Realschule kommen soll, könnte er's vielleicht später mal zum technischen Zeichnen gebrauchen, dacht' ich. Wie könnte man denn sonst dulden, daß er seine Zeit verliert?«
»Ja, ja, ganz recht«, sagte die Frau Kommerzienrat nebenbei, während sie eigentlich Oswald beobachtete. »Jedenfalls, sieh mal! Da bist du ja wohl so 'ne Art von Tausendkünstler, wie?« wandte sie sich an ihn.
Oswald sah sie, doch nur für einen Augenblick, an. Er lächelte, und seine kleinen, blaßblauen Augen zeigten dabei unter ihrem stark vorspringenden Stirnknochen und dicken, aschblonden Brauen ein kurzes Blitzen. Doch dann wandte er sich wieder der Zeichnung zu, wollte fortfahren zu malen, schien sich's aber nicht recht mehr zu getrauen.
»Nun, mal' doch weiter!« ermutigte die Frau Kommerzienrat, worauf er, nachdem er aber auch jetzt noch einen Augenblick gezögert, fortfuhr.
Die Frau Kommerzienrat sah ihm noch eine Minute zu, dann schien ihr Interesse erschöpft und sie begab sich wieder zu Frau Bruhns zurück, um das Gespräch fortzusetzen.
»Kannst du auch Musik machen?« interessierte sich Tom, der mitteilsamer geworden war. Er dachte, daß Oswald der erste von allen Jungens war, die er bis jetzt kennengelernt hatte, der Verständnis für so etwas hatte.
»Klavier nicht«, antwortete er endlich. »Aber Gitarre kann ich spielen. Und Mundharmonika.«
»O Gitarre? Was ist das?« erkundigte sich Tom.
Oswald hörte auf zu malen, sah Tom an, lächelte, antwortete aber nicht, sondern wandte den Blick langsam zu seiner Mutter hin, die unter einem Lachen, das halb um Entschuldigung zu bitten schien und zugleich verriet, daß sie sich geschmeichelt fühlte, in diesem Augenblick zu der Frau Kommerzienrat sagte:
»Ja, er macht ja alles mögliche. Er hat sogar schon Bücher gebunden, klebt recht niedliche Pappschächtelchen und Wandkörbe aus Pappe. – Oh, na Gott, ja! Aber ich glaube ja doch, daß er wenigstens zum Technischen ein ganz brauchbares Talent hat. Vielleicht hat er's von seinem Vater geerbt. Manches, was er jetzt macht, wird ihm dann ja doch mal, so der liebe Gott will, zustatten kommen. – Er hat ja bei uns zu Hause« – wieder ließ sie das Lachen hören – »für den Hauswirt, dem seine Geschicklichkeit Spaß machte, sogar ganz allein eine elektrische Klingelleitung repariert. – Ja, all so was macht er ja woll«, schloß sie.
»Ach, so, so! – Nun, das ist sehr gut!« brach die Frau Kommerzienrat mit einem freundlichen Blick zu Oswald hin ab. Aber sie erinnerte sich, vorhin eine Absicht, ihn über den Kopf zu streicheln, im letzten Augenblicke doch nicht ausgeführt zu haben, weil ihr diese beiden starr aufgesträubten dicken Bogen seines Haares denn doch nicht recht sympathisch gewesen waren.
Als Oswald dann aber gleich darauf mit seiner Mutter aufbrach, sagte Tom, als er ihm zum Abschied die Hand reichte:
»Komm doch wieder. – Bring' doch die Gitarre mit.«
Frau Bruhns lachte und sah die Frau Kommerzienrat an, als wollte sie sie um Entschuldigung bitten.
»Nun, laß ihn doch gelegentlich mal zu Tom kommen, Amalie«, gestattete diese freundlich.
»Oh, wenn gnäd'ge Frau erlauben!«
Frau Bruhns knickste mit einem glückseligen Lächeln und beugte sich auf die Hand der Frau Kommerzienrat nieder.
»Laß ihn nur kommen. – Sie scheinen ja gute Bekanntschaft miteinander gemacht zu haben.«
»Kommst du, Oswald?« rief Tom dann noch mal.
»Ja.«
»Aber bring' die Gitarre mit, ja?«
Oswald nickte, ohne aber weiter etwas zu sagen.