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Marc Antons Eilboot hat bald die ägyptische Flotte eingeholt. Vergeblich hat Kleopatra in zorniger Ahnung, wer ihr da über die Wasser nachfegt, den Befehl zur Höchstgeschwindigkeit gegeben. Doch ihre Dreiruderer vermögen der Macht dieser fünf Ruderreihen nicht zu entrinnen.
Das verfolgende Schiff kommt näher und näher. Alle wissen, es ist der schnellste Renner aus Marc Antons Flotte. Wissen, es ist Freund, nicht Feind.
Antonius hält auf das Admiralsschiff zu. Gibt Zeichen, Signale. Sie bleiben unbeachtet. Das Flaggschiff stoppt nicht ab. Da rauscht das Expreßboot gefahrdrohend dicht an das Königsschiff heran, mit einem verwegenen Todessprung setzt ein Mann über. Dann wendet der Fünfruderer ab, folgt der ägyptischen Flotte.
Antonius sucht die Königin. Sie ist unten in der Kabine. Ist dorthin geflüchtet, als sie den Wahnwitzsprung der Liebe über die Reeling sah. Hat sich eingeschlossen. Will ihn nicht sehen. Will ihn nicht sprechen.
Er fleht, poltert, rast, beschwört draußen vor der Kabinentür. Droht, sie einzutreten. Wagt es nicht, wagt diese Gewalttat nicht der Frau gegenüber, die ihn bis ins Mark, bis in Schmach und Schande beherrscht.
Er barmt und bettelt um Aufklärung, um Mitteilung, weshalb sie mitten aus der unentschiedenen, fast günstigen Schlacht entflohen ist. Weshalb sie alles hingeworfen hat, wofür sie beide seit jenem Abend in Tarsus gelebt und gestritten haben: die Entscheidung zwischen Ost und West, die Königskrone Roms und des Okzidents.
Er begreift nichts mehr. Er versteht nichts mehr. Das Himmelsgewölbe ist über ihm zusammengestürzt, jede Vernunft des Daseins über ihm zerborsten. Er verlangt von ihr Erleuchtung und Rettung seines verwüsteten Verstandes.
Nach der ersten Weigerung, ihn zu sehen, bleibt es still in der Kabine. Auf sein Flehen und Bitten und Klopfen antwortet zerrüttendes Schweigen.
Kleopatra steht inmitten der Kabine. Ihre grünen Augen schillern mordlustig. Sie möchte die Tür aufreißen und ihm an die Kehle springen. Sie haßt ihn in diesem Augenblicke, wie sie nie einen Menschen in ihrem an allen Begierden und Gefühlen heißen Leben gehaßt hat.
Alles hat er ihr verdorben, alles hat dieser Tölpel ihr vernichtet. Alles hat sie bis ins einzelste vorausbedacht. Mit seiner Verfolgung hat sie nicht gerechnet. Viel hat sie seiner Hörigkeit und Schwäche zugetraut – das nicht. Hat es nie für möglich gehalten – darum ist es ihr auch nie in den Sinn gekommen und hat nicht den Weg in ihre taktische Vorbereitung des Verrates gefunden –, daß er als Oberfeldherr das Schmachvolle tun würde, das er so oft höhnend dem Octavian vorgeworfen hat: inmitten der Schlacht seine Truppe zu verlassen.
Diese Tollheit seiner Liebe wirft ihren Plan über den Haufen. Ihre Flucht war eine Flucht in die Huld und Gnade Octavians. Am nächsten Morgen, wenn sie Kunde von dem Ausgang der Seeschlacht empfangen hatte, wollte sie die Schiffe wenden und zurückkehren. Ist Octavian besiegt, um so besser. Dann ist ihm ihre Flotte ein hochwillkommener Machtzuwachs. Ist er Sieger, desto besser für ihre Zukunftspläne. Sie wollte Boten voraussenden und langsam mit dem Gros folgen. Wollte ihm sagen lassen: »Ich liebe und achte dich und deine Größe und Weisheit. Ich konnte nicht länger auf der andern Seite bleiben. Ich muß dort sein, wo der stärkste und erleuchtetste Mann steht. Da bin ich. Empfange mich in deinem Zelte.«
Der Rest lag dann in ihrer Hand, in ihrer Frauenmacht, in ihren Reizen, in ihrer Verführung.
Aber jetzt! Da jagt dieser lästige, aufdringliche Mensch hinter ihr her! Kompromittiert damit sie und ihre Absicht. Macht jeden weiteren Schritt unmöglich. Wie kann sie jetzt, mit dem alten Liebhaber, dem Todfeinde Octavians, dem Manne, der erst vor wenigen Wochen Octavians Schwester brutal aus seinem Hause in Rom hat vertreiben lassen – wie kann sie mit diesem Menschen an Bord zu Octavian übergehen?! Grotesk, lächerlich, unmöglich!
Endlich hört sie ihn den Kabinengang entlangschlurfen. Er ist fort. Aber sie weiß, er bleibt an Bord. Der bleibt! Wie ein Blutegel hängt er saugend und ekel an ihr.
Sie setzt sich zerschlagen auf das Bett. Alt sieht sie aus und häßlich. Besessen ist sie nur noch von dem Königsgedanken der Welt. Ganz hat er von ihr Besitz genommen, alles Zarte, Schöne, Frauliche, alles Menschentum aus ihr herausgepreßt. Versteinert ist sie in ihrem Ehrgeiz, verdorrt zu einer seelenlosen Statue ihrer großen weltpolitischen Idee.
Ihr Gefühl, ihr Empfinden ist tot. Nur das Gehirn hinter der klugen Stirn lebt und spinnt und geistert. Das weiß und schreit und klagt, daß die letzte Hoffnung auf Erfüllung des Lebenstraumes jetzt vernichtet ist durch diesen verblödeten, pflichtvergessenen Feigling, der aus der tobenden Schlacht fortgelaufen ist.
Unter den Trümmern ihres nun zum Wahnsinn entarteten Verrates sitzt sie und verflucht blindwütig den Verratenen, ihr Opfer. Denkt an Mord. Dann wäre alles gut. Dann ist sie frei für den andern. Sie umtastet die Tat. Oft hat sie den Blutbefehl gegeben – gegen andere.
Aber sie wagt es nicht vor den vielen Zeugen an Bord ihres Schiffes. Das Gerücht würde hinausspringen. Wer kann Hunderten die Zunge binden? Er ist Römer, war einst der größte, der beliebteste. Die Bluttat würde vor Rom, vor Octavian gegen sie aufstehen, gegen sie wüten. Gemeinschaft mit Octavian ist dann unmöglich. Die Tat würde er insgeheim frohlockend begrüßen, sich aber niemals durch einen Bund mit der Täterin beflecken und besudeln.
Ihr Verstand ist lichter als je, sieht scharf und hell jede Möglichkeit, jede Unmöglichkeit, durchleuchtet jeden Winkel nahen und fernen Geschehens. Sie sitzt und wütet gegen den Menschen, der an ihr hängt wie eine Klette, und gegen sich, die umsonst den gemeinen, zur Wahnsinnstat gewordenen Verrat begangen hat.
Dann wirft sie sich rücklings aufs Lager, zieht die Knie hoch empor und weint. Weint zermürbt von den furchtbaren Aufregungen des Tages und dem Zusammensturze aller stolzen Hoffnungen und schluchzt krampfig vor Zorn und Verlorenheit.
Immer wieder tastet sie nach einem Ausweg, sucht sie, trotz allem, noch eine verborgene Tür aus dem Kerker ihres Verhängnisses. Und findet keine.
Antonius ist nach dieser Flucht erledigt. Er zählt nicht mehr, politisch und militärisch. Er ist unmöglich geworden vor Heer und Flotte und vor der Welt. Und doch versperrt ihr dieser zum Nichts verblaßte Mensch den Weg zu Octavian! Solange er bei ihr ist, ist sie in aller Augen seine Geliebte, seine Gefährtin, seine Bundesgenossin. Seine verfemte Bagnogenossin ist sie!
Bebend vor Verzweiflung und Ungemach springt sie vom Lager empor, hetzt durch den kleinen Raum, schlägt mit geballten ohnmächtigen Fäusten, die eben noch eine Welt packen und meistern wollten, gegen die Wände der Kabine, daß ihr Holz wie eine Kesselpauke aufdröhnt und Eiras und Charmion verängstigt herbeieilen und verstört rufen und fragen und helfen wollen.
»Schert euch fort!« droht sie giftig heraus. Sie speit sich vor dem Spiegel ungezügelte Lästerungen ins fahle Gesicht. Sie Närrin! Sie Törin! Alles hat sie verspielt. Ihr Leben, ihr Traum, der Thron Roms, alles ist verloren – für immer. Diesmal unwiderbringlich. –
Antonius begreift ihre zähe Weigerung, ihn zu sehen, ihn zu sprechen, ihm ihr Tun zu erläutern, so wenig wie alles andere dieser unbegreiflichen Flucht. Die ungewohnte Anspannung der Schlacht hat den Fünfziger ermüdet. Marode, abgekämpft schlottert er zum Bug des Schiffes, der in den aufgescheuchten Wellen rhythmisch steigt und fällt, setzt sich schwer und kläglich aufseufzend auf eine Taurolle und starrt dumpf vor sich hin. Er begreift diese Welt nicht mehr.
Die Offiziere, die Mannschaft blicken verstohlen, gespenstisch durchweht auf den unheimlichen, stillen Mann, der noch vor wenigen Tagen der größte und mächtigste Gebieter im Osten gewesen ist.
Drei Tage und vier Nächte sitzt er so, ohne Bewegung, ohne Regung. Charmion bringt ihm gutherzig Nahrung. Er lehnt sie ab. Immer nur bittet er sie, die Herrin zu bewegen, ihn zu empfangen.
Wenn die Griechin naht, heben sich seine trüben, rotumränderten Augen fragend und hoffend zu ihr empor. Wie alte treue Hundeaugen sind sie. Charmion kann den Anblick kaum noch ertragen. Sie bestürmt ihn mit Bitten, hinunterzugehen in die Kabine, sich niederzulegen. Er sieht sie nur stumpf und unberührt an. Nur ein Wort könnte ihn beleben.
Da endlich, am vierten Tage, fliegt die Griechin herbei. Er ahnt schon. Taumelt auf. Ja, die Herrin will ihn sprechen. Er will gehen, eilen. Kann sich vor Entkräftung nicht aufrecht halten. Sie stützt und führt ihn.
In ihrer Kabine kauert Kleopatra auf dem Bette. Alt und ungepflegt und verwahrlost sieht sie aus. Ihr Haar ist wirr, voll grauer Strähnen. Ihre Züge sind von Kummer entstellt. Ihre Augen brennen. Auch sie hat vier Nächte nicht geschlafen, drei Tage nicht gegessen. Zwei vom Geschick Niedergebrochene begegnen sich in Verzweiflung und Not.
»Kleopatra«, will er dankbar, trotz allem, in höriger Dankbarkeit flüstern. Die Stimme ist erloschen. Demütig sinkt er vor ihr auf die Knie, demütig und bis zur Ohnmacht erschöpft. Sie sieht einen alten, zitternden, verwüsteten Mann vor sich liegen. Mitleid war in ihr. Auf das Drängen der Dienerinnen hat sie ihn rufen lassen. Wozu? Sie weiß es nicht mehr, als er zerknirscht, demutsvoll zu ihren Füßen liegt. Was hat sie noch gemein mit diesem Haufen Elend da unten? Das Mitleid verfliegt. Sie wird wieder bitter und hart.
»Steh auf«, sagt sie rauh und verächtlich.
»Warum bist – du – geflohen?« ächzt er, ohne sich zu rühren.
Sie hat die lügenhafte Ausrede längst bereit.
»Ich glaubte, alles sei verloren. Die vielen Brände – – Von meinem Standpunkt aus – ich konnte nicht alles übersehen – die enge Ausfahrt – sah es aus, als wäre deine Flotte vernichtet. Da wollte ich retten, was zu retten war. Mein Land. Ich glaubte – wenn du nicht gefallen wärst, würdest du die Niederlage – nicht überleben.«
Es ist ein arglistiger Hinweis, eine Andeutung. Vielleicht befolgt er die Anspielung. Denn jetzt ist es ja die schwerste Niederlage geworden, die ein Römer, ein Imperator, ein Mann erleiden kann.
Handelt er endlich wie ein Römer, wie ein Mann, dann ist noch nichts verloren. Vielleicht hat auch dieser Gedanke mitgespielt, als sie ihn endlich hat rufen lassen. Sie weiß es selbst nicht. Sie ist schon weit geflohen nach Süd-Osten. Doch in drei Tagen kann sie immer noch Octavian wieder erreichen.
Doch er ist kein Feldherr mehr und kein Mann. Er versteht die böse Mahnung nicht.
»Deshalb«, nickt er greisenhaft vor sich hin, »deshalb also!« Jetzt begreift er wenigstens diese unselige, dunkle, übereilte Tat.
»Steh auf!« befiehlt sie wieder, überreizt und nervös.
Er gehorcht. Steht unschlüssig in der Kabine. Die Beine tragen ihn nicht. Er bricht auf einen Sessel nieder, ungeschickt, plump. Ihr Zorn steigt.
»Wie denkst du dir die Zukunft?« herrscht sie ihn an.
»Ich weiß – nicht«, stöhnt er hilflos.
Er weiß nichts mehr. Jetzt, da auch das Rätsel ihrer Flucht einfach, allzu menschlich gelöst ist, ist nichts mehr in seinem Hirn. Nichts. Er schüttelt den weißen Schädel in der berauschenden Ohnmacht des Hungers.
Da gischtet ihre Verachtung und ihre Wut über dieses unselige Wrack hin.
»Nichts weißt du, nichts kannst du! Was willst du eigentlich noch von mir? Was hängst du dich an mich? Ich durfte mich irren. Aber du durftest dich nicht, wie ein Schuljunge, der sich von seiner Aufgabe drückt, aus der Schlacht fortstehlen. Feigling – Verräter an deinen Leuten! Ich verachte dich! Ich hasse dich!«
Ihr maßloser Zorn spricht die Wahrheit. Sie haßt ihn, der ihre letzte Gelegenheit vernichtet hat.
Er starrt sie irr aus seinen blutunterlaufenen Hundeaugen an. Unwillkürlich denkt sie an den schönen herkulischen Mann, den sie am ersten Abend in Tarsus in ihre Schlafkabine gelockt hat. Den neuen Dionysos! Den schönsten Mann seiner Zeit! Etwas wie Jammer quillt in ihr auf, Jammer mit ihm, Jammer mit sich. Auch sie ist keine Venus mehr.
»Geh. Iß. Schlaf dich aus!« sagt sie leise.
Er nickt. Steht mühsam auf, geht, ißt und schläft.
Zwei vom Geschick zusammengekettete, zertretene Menschen trägt das Schiff mit den königlichen Purpursegeln nach Alexandrien.