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XXII.

Canidius Crassus ist der älteste Freund Marc Antons. Sie sind zusammen aufgewachsen, haben alle Dummejungenstreiche gemeinsam verübt, haben Seite an Seite unter Cäsar gedient. Auf keinen hält Antonius größere Stücke als auf ihn. Auch bei den anderen Senatoren steht er in Ansehen wegen seiner politischen Schlauheit und seines angenehmen, gefälligen Wesens.

Daß er sich dem Zuge nach Ephesus weder aus Freundschaft für Antonius, noch aus Feindschaft gegen Octavian angeschlossen hat, sondern aus sehr persönlichen Gründen, ahnt keiner. Er hat stets über seine Verhältnisse gelebt, Unsummen mit Frauen, mit Frauen erster Familien, vergeudet. In diesen Zeiten allgemeiner Verarmung sind zahlungslustige Freunde in Rom rar. Es hat Canidius gut geschienen, auf einige Zeit aus dem Gesichtskreise seiner ungebärdigen Gläubiger zu verschwinden.

Den Anfang der Sitzung hat er verpaßt. Unpünktlichkeit ist seine zuverlässigste Eigenschaft. Seine Toilette erfordert stets viel Zeit. Er ist ein Stutzer, ein sehr hübscher, das muß man ihm lassen, selbst heute noch an der Grenze der Fünfzig. Ein sehr gepflegter, vornehmer Herr.

Auf dem hastigen Weg zu der Sitzung begegnet er im Korridor des Palastes einer Dame. Einer phantastisch, mit seltsam theatralischem Kopfschmuck bekleideten Dame. Als er an ihr zögernd vorbeieilt, mustert sie ihn auffällig und sonderbar. Er ist es gewöhnt, von Frauen liebevoll und aufmerksam gemustert zu werden. Es ist ihm nichts Neues. Aber diese reizende, kleine, zierliche – nicht mehr ganz junge – Frau mit der drolligen hohen Mütze hat etwas Fremdes, Hoheitsvolles, Bizarres, das ihn überrascht und anzieht.

Er bleibt stehen, schaut ihr nach. Auch sie hat den Schritt verlangsamt, schielt nach ihm aus wunderbar kristallhellen grünen Augen zurück. Hallo, er hat, wie immer, Eindruck gemacht! Kurz entschlossen macht er kehrt. Canidius Crassus läßt eine solch seltene Lockung nicht ungeprüft an sich vorüber.

Er geht, eitel lächelnd, näher. Wohl irgendeine vornehme, liebeshungrige Eingeborene dieser exotischen Gegend. Da – sapperment! Er erkennt sie. Das ist doch die Geliebte des alten Cäsar, die er oft genug in Rom gesehen hat. Das ist doch Kleopatra! Die ist hier? So – so! Freilich, freilich. Antonius hat ja mit ihr dieses vielbeschnüffelte Verhältnis. Kleopatra macht ihm verliebte Augen!

Er steht vor ihr. Sie hat sich wartend ihm voll zugewandt.

»Sei gegrüßt, Königin!« lächelt er devot und vertraulich.

»Sei gegrüßt, Senator!« lächelt sie zurück.

Heilige Venus, die Frau kann lächeln!

»Würdest du mir wohl einige Minuten schenken?«

»Stunden!« erwidert er scherzhaft.

»Folge mir.«

Er folgt. Donnerwetter, denkt er eingebildet, die berühmteste Frau der Erde vergafft sich in dich im Vorübergehen! Allerdings, mit dem braven Antonius nimmt man es jetzt noch lange auf. Viel ist nicht mehr an ihm. Enorm gealtert.

Canidius stelzt wie ein geblähter Hahn neben der kleinen Frau dahin. Sie kommen in ihre Gemächer. Sie verscheucht die Dienerinnen. Legt den Kopfschmuck ab und flüstert mit Charmion. »Für keinen zu sprechen! Hörst du, keinen!« Sie bietet dem Gast einen Sessel an. Er wartet höflich, bis sie sitzt. Dann eröffnet er routiniert das Schäferstündchen.

»Viel schöner und verführerischer bist du jetzt noch, als damals in Rom, Königin.«

»Ach«, lächelt sie ihr kokettestes Lächeln – » die Zeiten sind lange vorbei.«

Er widerspricht leidenschaftlich und rückt, wie im Eifer seiner Widerrede, näher an sie heran. Sie weicht nicht zurück. Ihre Knie berühren sich.

»Es ist seltsam«, raunt sie versonnen, »daß ich gerade dir begegnen mußte.«

»Weshalb seltsam?«

»Auch ich habe dich in Rom gesehen«, gesteht sie bedeutungsvoll.

»Du erinnerst dich meiner?!« ruft er geschmeichelt.

Sie schweigt, nur die Augen sprechen, verraten lange verborgene Gefühle.

»Wo hast du mich gesehen?« will er berauscht wissen.

Aufs Geratewohl lügt sie: »Im Gefolge Cäsars.«

»Das weißt du noch?!«

Seltsam! Seltsam! Freilich, Canidius Crassus vergißt keine Frau so leicht.

Sie nickt. Ihre Augen lechzen nach ihm, als hätten sie diese letzten langen Jahre nach ihm gehungert.

»Und schon damals –?« Er traut dieser treuen, geheimen Liebe doch nicht recht. Faßt ihre Hand. Sie ist heiß von der Erregung im Kriegsrate. Er deutet die feuchte Wärme ihrer Hand persönlicher. Er kennt das. Er hat in vielen Frauengemächern gesessen und schwüle Frauenhände gehalten. Er zieht Kleopatra an sich. Sie widerstrebt nicht. Der Duft ihres noch immer tiefschwarzen Haares, ihr diskretes Parfüm verwirren und reizen ihn.

»Das Glück ist auch diesmal gegen uns«, schluchzt sie.

»Gegen uns?!«

»Man will mich aus Ephesus verjagen.«

»Wer will das?!«

»Alle. Ich komme aus dem Kriegsrat. Sie haben mich dort hinausgewiesen.«

»Wer hat das gewagt?!«

»Domitius Ahenobarbus, Gajus Sosius – alle.«

»Und Antonius?!«

Sie verzieht bitter spöttisch den Mund und sagt nur: »Antonius!« Dieses eine Wort ist ein Schrei der Verachtung.

Er begreift. Eine Ruine, dieser Mensch. Er hat es gleich bei der Begrüßung am Hafen heute morgen bemerkt. Ein Schwächling. Nichts für diese sinnenstarke, köstliche Frau. Er begreift. Sie verachtet ihn. Sie ist längst fertig mit ihm.

Und da platzt es in seinem verschlagenen Kopfe auf. Beim Zeus, eine Chance! Eine unerhörte, unerträumte Chance. Ungeahnte Möglichkeiten. Diese Frau hungert nach einem Manne. Hier sitzt ein Mann. Sie liebt ihn seit langen Jahren. Jetzt glaubt er es fest und zuversichtlich. Das Geschick hat sie zusammengeführt, gerade in diesem Augenblicke, in dem ihr ein Mann und ein Helfer bitter not tut. Wenn er klug und vorsichtig ist – König von Ägypten kann er werden – Antonius war ja auch so etwas Ähnliches – konnte aber nicht heiraten, weil er die Dummheit mit Octavia begangen hat. Heiliger Castor, welche Perspektiven! Die Gesichter seiner Gläubiger möchte er mal sehen, wenn ihr bedrängter Schuldner plötzlich auf dem Thron der Pharaonen sitzt!

»Ich werde für dich eintreten«, ruft er heroisch. »Dich fortjagen! Solch eine Frechheit. Laß mich nur machen.«

Er springt auf. Auch sie erhebt sich, tritt dicht an ihn heran, lehnt sich hilflos an ihn und raunt: »Alles würde ich dafür hingeben, wenn ich hierbleiben dürfte.«

»Du wirst hierbleiben«, versichert er, hingerissen von seinen Hoffnungen. Ein Thron winkt einem Bankrotteur.

Sie wird deutlicher. »Nicht nur meine alte – – Freundschaft wird dir dankbar sein –« ein betörender Augenaufschlag –, »alles, was ich besitze, wird dem Manne zu Füßen liegen, der mir die Erlaubnis der Senatoren bringt, in Ephesus zu bleiben.«

Er reißt sie überwältigt an sich, küßt sie und stürmt, ihren Kuß wie eine Flamme auf den Lippen, davon.

Er tritt in den Kriegsrat. Man begrüßt ihn mit gutmütig wohlwollendem Spott.

»Spät, wie immer! Dafür sieht er aber auch aus wie der leibhaftige Adonis! Hast allerlei versäumt, mein Lieber. Kleopatra hat sich den Vorsitz hier im Kriegsrat angemaßt. Wir haben sie in ihre Schranken zurückgewiesen. Eben hat Antonius eingewilligt, sie aus dem Lager zu entfernen.«

»Kleopatra aus dem Lager entfernen?!« heuchelt Canidius bestürzten Unglauben.

»Ja«, sagt Domitius.

»Aber seid ihr denn allesamt toll geworden!« übertreibt Canidius seine Entrüstung.

»Du gebrauchst starke Ausdrücke«, verweist Domitius streng und hochfahrend.

Die andern drängen heran. Von Crassus, der klug und meist herzlich teilnahmslos ist, haben sie keine Schwierigkeiten erwartet. Antonius bleibt außerhalb des verblüfften Kreises. Seine Gedanken sind schmerzvernebelt.

»Ich begreife euch nicht. Wie kann man so töricht übereilt handeln! Wir sind doch auf den Beistand dieser Orientalen angewiesen!«

»Weshalb?« fragt Sosius verdrießlich.

»Weil die neunzehn Legionen Marc Antons allein zu schwach sind. Deshalb.«

»Kaum«, schnaubt Domitius, erbittert über diesen verspäteten jähen Widerstand.

»Ich halte diese Brüskierung der Königin für eine bodenlose Dummheit – ich verstehe sie überhaupt nicht. Wegen einer Lappalie – Vorsitz angemaßt! Lächerlich! – sich Tausende von hilfsbereiten Bundestruppen zu verscherzen.« Sein blinder Eifer nimmt dem liebenswürdigen Manne jede Verbindlichkeit. »Denn daß diese orientalischen Herrschaften sich alle in der Mächtigsten von ihnen, in Kleopatra, empfindlich beleidigt fühlen werden, ist euch doch wohl allen klar.«

Die empörte Stimme fängt Marc Antons Aufmerksamkeit ein. Er tritt näher.

»Die Sache ist entschieden«, will ihm Domitius das Wort abschneiden. »Wir können unmöglich die Frage noch einmal aufrollen und diskutieren, bloß weil einer von uns geruht, eine Stunde nach Anfang der Beratung zu erscheinen.«

Die anderen Senatoren billigen eifrig die Entscheidung.

Doch Canidius Crassus läßt sich mit diesem mageren Argumente nicht abspeisen. Ein Königsthron steht auf dem Spiele.

»Die Sache scheint mir wichtig genug, zweimal beraten zu werden«, erwidert er kalt. »Euer Beschluß ist übereilt, unbedacht und für unsere Sache geradezu eine Katastrophe. Doch ganz abgesehen davon, ist sie auch ein flammendes Unrecht, das ich jedenfalls nicht mitmache. Es ist eine Schmach für uns Römer und eine Unritterlichkeit sondergleichen, eine Frau, die soviel zu diesem Kriege beigesteuert hat, ohne jeden triftigen Grund tödlich zu kränken. Und dann –«

»Wir haben vor allen Dingen auf den Eindruck in Rom Rücksicht zu nehmen«, fällt ihm Domitius schneidend ins Wort. » Der wäre katastrophal.«

»Lächerliche Übertreibung«, höhnt der geköderte Mann. »Jetzt begreife ich langsam. Also wegen des albernen Geredes in Rom wollt ihr auf viele Tausende tapferer Hilfstruppen verzichten! Mir bleibt der Verstand stehen. Antonius, was sagst denn du dazu? Willst du diese selbstmörderische Unbill gegen eine treue Bundesgenossin zulassen?«

»Ja, er will! Er hat schon eingewilligt!« schallt es triumphierend durcheinander.

»Hm«, macht Antonius. Die Worte eines Römers, eines Freundes, haben ihn in neue Zweifel und Bedenken geschleudert.

»Ich begreife dich nicht!« ereifert sich Canidius und tritt dicht an den Kameraden der Knabenjahre heran.

»Ich kenne Kleopatra nicht persönlich. Aber ich muß annehmen, daß sie durch den langen Umgang mit dir soviel von deinem Geiste und deinem Wesen in sich aufgesogen hat, daß man sie kaum noch als ›Fremde‹ ansehen und behandeln kann. Für mich ist sie, durch die lange – Freundschaft mit dir, fast ein Teil von dir, meinem besten Freunde, geworden. Für mich ist sie eine Römerin!«

Auf diesen Trumpf folgt bestürztes, befangenes Schweigen. Dann rasseln Vorwürfe, Anklagen, Schmähungen auf gegen den Abtrünnigen. Sie begreifen ihn nicht. Aber Antonius begreift ihn. Die grobe Schmeichelei hat bei ihm durchgeschlagen.

Also doch einer der Freunde, der für die arme, gehetzte, geschmähte, geliebte Frau eintritt. Eine Römerin! Wie recht Canidius hat! Natürlich ist sie fast zur Römerin geworden – durch ihn. Daher hat er es auch immer für möglich gehalten, sie zur Königin von Rom zu erheben! Es ist, als zerrissen Dunstschwaden in seinem gequälten Kopf. Befreiung, Erlösung bricht wie Sonne durch die Wolkenmassen in seinem Hirn. Er sieht endlich klar. Steht nicht mehr allein, der einzige Römer gegen alle Römer. Hier ist ein unbefangener, völlig neutraler, unbeeinflußter Römer aus alter Familie, der für die geliebte mißhandelte Frau eine Lanze bricht! Er selbst war betört, umnachtet und umnarrt von Jugenderinnerungen und Freundschaftsgefühl. Jetzt sind die Scheuklappen gefallen. Jetzt sieht er das furchtbare Unrecht, das er, übertölpelt, hat begehen wollen.

»Liebster alter Freund«, sagt er erschüttert und faßt Canidius' Hand, »ich danke dir. Du hast uns alle vor einer unauslöschlichen Schande bewahrt. Du hast recht. Du allein.«

Widerspruch loht auf. Doch Antonius übertönt alle andern. »Kleopatra ist auf unserer Seite, wie nur eine echte Römerin sein könnte. Du hast das erlösende Wort gesprochen. Ihr Freunde –« er hat jetzt etwas von der früheren unbezwinglichen Kraft des Wortes und des Wesens – »wir wollen nicht miteinander streiten. Ich bin so glücklich in eurer Mitte. Aber Canidius hat tausendmal recht. Ihr habt mich mit euren Bedenken verwirrt. Sie gehört –«

Domitius, Sosius, alle wollen unterbrechen. Doch nun ist Antonius allen überlegen. Er hat sich gefunden. Der alte Zauber ist über ihn gekommen.

»Nein, nein! Ihr habt unrecht. Die Stimmung in Rom mag wichtig sein. Gebe ich zu, obwohl diese Stimmung selbst eine Kränkung für die Königin ist. Viel wichtiger aber, als die Stimmung in Rom, ist die Stimmung hier im Heere. Denn von ihr hängt die Schlagkraft der Armee ab. Die Stimmung unter den Hilfstruppen, auf die wir, wie Canidius sehr richtig bemerkt hat, angewiesen sind, wäre verdorben, völlig vernichtet, wenn wir die Angesehenste der verbündeten Fürsten entehrend verjagen. Es würde so gedeutet werden, als fühlten wir Römer uns erhaben über die Ausländer. Als nähmen wir ihre Truppen willig an, die Fürsten aber trieben wir dünkelhaft in ihre Länder zurück. Diese Überheblichkeit mache ich nicht mit.«

»Ich auch nicht«, schreit Canidius.

Noch einmal suchen alle mit den alten Gründen zu überreden, zu überzeugen, umzustimmen. Vergeblich. Sie kämpfen gegen Liebe und gegen egoistische Sucht nach einem Königsthrone. Antonius ist nicht mehr zu verwirren. Er kennt endlich wieder seinen eigenen Willen. Er hat einen Römer, den ältesten, vertrautesten Freund, auf seiner Seite.

Und als Domitius ihn abermals vor die Wahl stellt: sie oder wir, wählt er niedergeschlagen, schmerzlich, doch ohne Schwanken: – Kleopatra.

Am nächsten Tage ziehen die Freunde ab, auf die er sich so herzlich gefreut hat. Sie gehen über zu Octavian. Nur Canidius Crassus bleibt zurück. Antonius ist gebeugt, entmutigt. Doch er weiß, daß er richtig entschieden hat. Was er nicht erkennt, ist: daß er den Orient gegen den Okzident gewählt hat.


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