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Als die Flotte Marc Antons sich Brindisi nähert, fährt ihr vom italischen Festlande eine Schaluppe entgegen. Die Freunde Octavians, die einzigen treuen, die er besitzt, Maecen, der Sproß uralter etrurischer Könige, und Agrippa, der geniale Flottenführer, der den jungen Herrn schon wiederholt in bedrängtester Lage herausgehauen hat, preschen den feindlichen Triremen entgegen.
Zurückhaltend, Verrat witternd, begrüßt sie an Bord des Flaggschiffes Antonius.
»Wir kommen als Friedensboten«, eröffnet der geschmeidige Zivilist die Unterhandlung. »Octavian hat alle Truppen zurückgezogen. Meilenweit steht kein Soldat. Deinen Legionen liegt das Land offen. Octavian will dir seinen guten Willen beweisen.«
»Was ist die Absicht?« murrt Antonius, unberührt von soviel Herzlichkeit.
»Italien den Frieden zu geben.«
»Etwas plötzlich kommt ihm dieser treffliche Einfall.«
»Das Land hat zuviel gelitten. Es kann einen neuen Bürgerkrieg nicht überdauern.«
»Diese Erkenntnis kommt ihm etwas spät.«
»Besser spät als nie«, lächelt Maecen. Agrippa spricht nicht. Er ist ein Mann raschen wirksamen Handelns.
»Octavian ist drüben in Brindisi.« Maecen streckt deutend den Arm aus zur Küste. »Er ist gekommen, dich zu begrüßen und lädt dich ein, in seinem Hause sein Gast zu sein.«
In Marc Antons großen, dunklen Augen glimmt der Argwohn auf. Agrippa sieht es. Er spricht das erste Wort. »Nimm eine Leibwache mit – so stark du willst«, brummt er.
»Das werde ich tun«, ruft Antonius hell, »darauf kannst du dich verlassen.«
Am nächsten Tage zieht Antonius mit fünftausend Mann in Brindisi ein. Vor dem Magistratsgebäude empfängt ihn Maecen. Geleitet ihn und sein Gefolge in die bereiteten Gemächer. Entschuldigt Octavian. Er fühle sich unpäßlich und bitte Antonius, ihn in seinem Zimmer aufzusuchen. Allein, Mann zu Mann, wolle er mit ihm verhandeln. Man führt den Imperator in ein prunkvolles Gemach.
Unruhig, voller Trotz, geht Antonius in dem Zimmer auf und nieder. Was plant der Schleicher? Warum ist er nicht zum Empfang erschienen? Welcher neue Verrat spukt in diesem strohgelben jungen Verbrecherschädel?
Da heben sich die Vorhänge. Auf der Schwelle steht Octavia. In weißem Festgewande. Ohne die Zeichen ihrer Trauer. Antonius kennt sie nicht, blickt mißtrauisch und überrascht auf die hohe, schlanke, königliche Frau mit den schönen, gütigen Zügen.
»Sei gegrüßt, Marcus Antonius«, sagt ihre wohltuende Stimme. »Ich bin Octavia. Mein Bruder wird sofort erscheinen. Der Arzt ist noch bei ihm. Seine Gesundheit ist nicht zum besten. Er hat mich beauftragt, dich zu unterhalten.«
Er erwidert ernst ihren Gruß. Die Frau macht auf sein Herz, in dem Kleopatra thront, keinen Eindruck.
Sie setzt sich, deutet auf einen Sessel in ihrer Nähe. Als er Platz genommen hat, noch immer in einer mißtrauischen Gespanntheit, beteuert sie: »Ich freue mich über die Gelegenheit, mit dir zu sprechen, Marc Anton.«
»Weshalb?« fragt er gleichgültig.
Zur Antwort stellt sie eine Gegenfrage: »Weißt du, wie es in Italien aussieht?«
»Ich denke doch«, erwidert er verwundert.
»Du warst lange im Ausland. Inzwischen hat sich hier manches geändert. Italien ist ein Trümmerfeld geworden. Nicht nur in der Zeit, die du fort warst. Doch die Folgen der langen Bürgerkriege werden immer offenbarer.« Sie schweigt.
»Inwiefern?« fragt er mit geringer Teilnahme.
»Ich will nicht von dem Grauen des Brudermordens sprechen. Du kennst Krieg und Schlacht besser als ich. Nur von den wirtschaftlichen Folgen will ich reden, die dir auf deiner hohen stolzen Warte vielleicht entgehen.«
Sie holt tief Atem und fährt fort:
»In diesen Kriegen der Generäle, die seit Jahren in unserem unseligen Vaterlande toben, sinnt jeder der Führer nur darauf, seine Soldaten zu befriedigen. Die Veteranen werden angesiedelt, um sie für ihre Dienste zu belohnen, die stehenden Heere von den letzten erpreßten Pfennigen der Bürger besoldet.«
Er macht eine gelangweilte Bewegung. Das weiß er alles. Das ist ihm nichts Neues.
Doch sie läßt sich nicht entmutigen. Sie hat die hohe Mission übernommen, ihrem Lande den Frieden zu bringen. Sie wird sie mit allem Mut und aller Hingabe durchführen.
»Den Gutsbesitzern, den kleinen Bauern wird ihr Land ohne Recht und Billigkeit, ohne jede Entschädigung entrissen und den Soldaten ausgeliefert. Die Bauern und Gutsbesitzer werden Bettler. Die Bürger erliegen unter dem Steuerdruck, der ihnen das Letzte raubt, die Soldaten zu besolden.«
Sie weiß, daß sie sich wiederholt. Doch sie will ihm diese vernichtenden Tatsachen ins Hirn trommeln. »Die großen Vermögen von einst sind längst dahingeschwunden, von den wechselnden Machthabern konfisziert und an die Soldaten verteilt. Alles lebt, alles schafft nur für die Soldaten – alles nur für die Soldaten, diesen unfruchtbarsten, grausigsten Stand. In Rom ist es wie in den Landstädten. Alles bettelarm. Die ewigen Kriege, die Unsicherheit haben Handel und Wandel erstickt. Plünderungen haben den Rest ehemaligen Wohlstandes vernichtet. Der Reichtum, der Mittelstand haben aufgehört zu sein. Ein Volk von Bettlern, Hungernden, Elenden sind die Römer geworden. Die Handwerker sind zugrunde gegangen, weil keiner mehr für sie Arbeit hatte. Infolge der Kriege sind alle öffentlichen und alle privaten Arbeiten eingestellt worden und liegengeblieben. Der Kaufmannsstand ist verschwunden. Die Kaufkraft ist dahin. Aber nicht nur dem Kleinkaufmann, auch dem großen Handelsherrn haben die ewigen Bürgerkriege den Garaus gemacht. Den Reedern hat man ihre Flotten geraubt, sie zu Kriegszwecken, zu Truppentransporten, als Kriegsschiffe zu verwenden. Jeder Export, jeder Import ist damit abgeschnitten.
»Verzeih, wenn ich dich mit dieser langen Aufzählung langweile. Ich will dir Italien schildern, wie es ist, in seiner unerträglichen Not. Hunger und Elend ist die allgemeine Losung.«
Sie schweigt erschöpft. Aber da er nichts erwidert, fährt sie fort:
»Durch den Niederbruch des Reichtums und des Mittelstandes sind auch alle die zugrunde gegangen, die ihm dienten: die Künstler – wer hat heute Geld für Kunst?! –, die Luxushändler. Und alles, alles zieht nach Rom, nach dieser einen Stadt, in dem fanatischen verängstigten Glauben, dort Hilfe, dort Arbeit, dort Unterstützung zu finden. In Rom drängt sich Italien zusammen, ein zerfetztes, zerlumptes, verhungerndes Volk, das nach Brot und Obdach schreit. Verbrechen wachsen zum Himmel empor. Alle Glücksritter, Banditen, Räuber jagen den Verzweifelten das Allerletzte ab. Das Land wimmelt von Briganten, die, was etwa doch noch übriggeblieben ist, rauben, die morden und sengen in ihrer hungrigen Wut. Ein Volk am Abgrund bewohnt dieses schöne Land, ein Volk im Untergang.«
Ihre Stimme versagt. Ehrlich und groß ist ihr Leid und ihr Mitgefühl.
Er schweigt. Ihre Worte, ihre Schilderung haben ihn gepackt. So hat er das Elend der Heimat nie gesehen.
Bebend spricht ihr Kummer fort. »Und was habt ihr Triumvirn, ihr drei Retter des Vaterlandes, bisher vollbracht? An Tausende von Veteranen habt ihr gestohlenes Land verteilt. Das letzte Scherflein habt ihr den Bürgern erpreßt, Sold zu zahlen – und die große Masse des Volkes verreckt im furchtbarsten Jammer. Das ist Italien. Zum Trümmerhaufen geworden – seit Cäsars Tod.«
Er schweigt noch immer. Er sieht den Adel, den Schmerz, die Leidenschaft dieser schönen Anklägerin. Und vergleicht unbewußt zum ersten Male eine Frau mit Kleopatra. Mit Kleopatra, die ihm bisher zu hoch stand für eine Gleichstellung mit irgendeinem anderen weiblichen Geschöpf.
Unwillkürlich treiben seine Gedanken zu seiner »kleinen Königin«, die auch oft so hingerissen, so hinreißend, so klug zu ihm gesprochen hat. Der Vergleich liegt zu nahe. Aber Kleopatra hat immer nur von Krieg, von Eroberung, von Herrschaft, Sieg und Unterjochung gesprochen. Diese Frau dort klagt von dem Fluche des Krieges, von seinem Weh, seinem Schrecken, seinen grausamen Folgen. Zwei Gegenpole.
Er geht nicht mit dieser Frau, dieser Römerin. Er ist Soldat und Herrscher. Er will noch erobern, noch siegen. Er will noch das große Reich des Ostens und Westens gründen. Noch muß Blut fließen und Elend herrschen. Später – nach dem großen Triumphe – wird die Zeit der Heilung der Wunden kommen.
Doch der Eindruck der Persönlichkeit Octavias auf ihn ist so stark, daß er den Wunsch fühlt, sich zu verteidigen gegen die Anklage, die auch ihn trifft.
»Diesen letzten Bürgerkrieg habe ich nicht gewollt«, bekennt er. »Ich habe nichts von ihm gewußt. Er war Schuld meiner Frau.«
Sie schweigt erhitzt und erschöpft von ihren Worten.
»Die Grausamkeiten von Perugia – Norcia –, diese Schlächtereien von Frauen und Kindern, hat dein Bruder auf dem Gewissen.«
»Auf beiden Seiten ist gefrevelt worden«, gesteht sie schmerzlich zu. »Wir wollen nicht rechten. Wir wollen alles Vergangene vergessen. Aber nun – in Zukunft – soll Friede werden. Mein Bruder ist bereit. Gib auch du Italien endlich das Glück zurück.«
Er blickt mißtrauisch auf. Aha, jetzt steuert sie auf das Ziel los. Aus ihr wimmert Octavians Angst vor ihm.
»Du liebst doch dein Vaterland?!«
»Selbstverständlich«, erwidert er lau, denkt an den Orient, seine Königin, ihre Pläne und ist auf der Hut.
»Soll nicht endlich das Blutvergießen, dieses sinnlose gegenseitige Morden ein Ende nehmen?!«
»Nimm die Hand, die Octavian dir reicht. Er ist zum Bündnis mit dir bereit. Er ersehnt den Frieden für unsere Heimat.«
Da lacht Antonius bitter auf. »Dein Herr Bruder ist so durchtrieben, daß er aus Berechnung sogar mild und friedlich sein kann.«
Er weiß nicht, welche tiefe Menschenkenntnis er mit diesen Worten verrät, auch nicht, daß er die Zukunft dieses Mannes weissagt, den die Geschichte »Augustus«, den Erhabenen, nennen wird.
»Du verkennst ihn«, verteidigt die Schwester ihn warm. »Er muß jetzt oft grausam scheinen. Die Verhältnisse sind stärker als sein Herz und vergewaltigen seine Güte. Aber laß es Frieden werden, und du wirst sehen, wie alles Gute in ihm sich befreit, das jetzt von harten Notwendigkeiten unterjocht wird.«
Auch sie kündet ahnungsvoll viel Wahres.
»Hm«, macht er zweifelnd.
Da wird sie leidenschaftlich ungestüm: »Reicht euch die Hände, ihr beiden Mächtigsten, zum Glücke und Wohle eures Landes! Denn ihr seid doch für euer Vaterland und die Tausende geboren und nicht sie als Opfer eurer Herrschsucht.«
Und unvermittelt fragt sie, glühend vor Helferwillen: »Kennst du den jungen neuen Dichter Virgil?«
Er schüttelt verblüfft über den jähen Übergang den Kopf. »Ich habe wenig Zeit für Modedichter.«
»In seinen Gesängen klagt die Not der Heimat«, belehrt sie schwärmerisch. »Er wird sicher einmal einer der größten Poeten lateinischer Zunge werden. Soeben ist die erste Ekloge eines Zyklus erschienen, den er ›Hirtengedichte‹ nennt. Wie ein Prophet sieht er in die Zukunft, die du und mein Bruder schaffen könnt und müßt. Darf ich dir eins der Gedichte vortragen?«
Mit einem galanten Lächeln willigt er ein und denkt an die altägyptischen Gedichte und Lieder, die seine kleine Königin ihm gesagt und gesungen hat.
»Zwei Hirten sprechen miteinander. Dem einen ist von den Gewalthabern alles geraubt worden, dem anderen hat ein Gott – du vielleicht –« sie lächelt ihm zu, zum ersten Male lächelt Octavia aus uralten Fraueninstinkten heraus dem Manne verlockend, verführerisch zu – »sein Gut zurückgegeben.
Der Beraubte sagt:
›Du ruhst, mein Freund, hier unter dieser Buche gründunklem Blätterdache, und du übst ein Waldesliedchen auf der Hirtenflöte. Sieh mich an! Bin ein Flüchtling. Meine Heimat und ihre trauten Fluren mußte ich verlassen. Du sitzst behaglich unter diesem Baume und träumst von deiner schönen Amaryllis, daß hell die grünen Wälder widerhallen.‹
Der andere erwidert:
›Ein Gott erschuf mir diesen tiefen Frieden, Gesegnet sei er mir für alle Zeit! Denn seine Gnade, seine Güte nur
läßt meine Rinder grasen, wo sie wollen,
läßt mich beglückt auf meiner Hirtenflöte
froh spielen, was der Mund nur spielen will.‹
Der erste spricht voll Schmerz und Erinnerung:
›Du hochbeglückter Mann, du kannst die Kühle am lieben heimatlichen Bach genießen und der Quelle leisen Laut. Hier schwärmen um den nachbarlichen Zaun zur Blütezeit der Bienen dichte Scharen und wiegen summend dich in Träume ein. Dort von dem steilen Felsen klingt zurück des Winzers Sang, und sanft umflattert ihn die wilde Taube, deine Freundin, die ihr Nest hoch auf der Ulme Höhe dort verbirgt, und gibt ihm heiter gurrend das Geleit.‹
Der Glückliche:
›Sei du mein Gast für diese Nacht. Ich biete dir grüne Blätter gern zur Lagerstatt, zum Abend reifes Obst und süße Frucht edler Kastanien und frischen Käs. Schon steigt des Rauches Säule von den Dächern der fernen Häuser, und die Berge werfen schon lange Schatten in das Tal hinab.‹«
Sie spricht wie eine Seherin. Die Friedensvision blüht aus ihrer Begeisterung.
Antonius starrt auf die Frau, eine der schönsten, die er gesehen hat. Die Heimatlaute rühren seltsam an sein Gemüt. Sein empfängliches Herz pocht im Rhythmus der Verse. Er hört kaum den Inhalt. Er sieht nur die Frau, lauscht nur dem Klange ihrer reinen, sanften Stimme, die wie ein Ruf der Heimat ist.
Eine erste leise Untreue schwelt in ihm auf. Ein erstes Verlangen nach einem Weibe, seit er Alexandrien verlassen hat. Er fühlt betörend die Ausstrahlung dieser Römerin, ihrer Sinne. Etwas wie Heimweh überwallt ihn – unbewußt noch, kaum geahnt – etwas wie nahe Zugehörigkeit – Rassengemeinschaft. – Etwas wie wesenlose Feindschaft gegen die Ferne, die Fremde.
»Schön ist das«, sagt er, als sie geendet hat und die Laute noch in dem weiten Raume nachhallen. Doch er meint sie.
»Laß diese Sehnsucht des Dichters Wahrheit und Erlebnis aller werden!«
Ihre großen, heißen Römeraugen flehen ihn beschwörend an.
Da tritt katzenhaft leise, wie ein Verräter, Octavian durch die Vorhänge.