Friedrich Schiller
Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande
Friedrich Schiller

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Die Geusen.

Der Senat war noch nicht auseinander, als ganz Brüssel schon von der Nachricht erschallte, die Verbundenen näherten sich der Stadt. Sie bestanden nur aus zweihundert Pferden; aber das Gerücht vergrößerte ihre Zahl. Die Regentin, voll Bestürzung, wirft die Frage auf, ob man den Eintretenden die Thore schließen oder sich durch die Flucht retten sollte. Beides wird als entehrend verworfen; auch widerlegt der stille Einzug der Edeln bald die Furcht eines gewaltsamen Ueberfalls. Den ersten Morgen nach ihrer Ankunft versammeln sie sich im Kuilemburgischen Hause, wo ihnen Brederode einen zweiten Eid abfordert, des Inhalts, daß sie sich unter einander, mit Hintansetzung aller andern Pflichten, und mit den Waffen selbst, wenn es nöthig wäre, beizustehen gehalten sein sollten. Hier wurde ihnen auch ein Brief aus Spanien vorgezeigt, worin stand, daß ein gewisser Protestant, den sie alle kannten und schätzten, bei langsamem Feuer lebendig dort verbrannt worden sei. Nach diesen und ähnlichen Präliminarien ruft er Einen um den Andern mit Namen auf, ließ sie in ihren eigenen und in der Abwesenden Namen den neuen Eid ablegen und den alten erneuern. Gleich der folgende Tag, als der fünfte April 1566, wird zur Ueberreichung der Bittschrift angesetzt.Strada 126.

Ihre Anzahl war jetzt zwischen drei- und vierhundert. Unter ihnen befanden sich viele Lehenleute des vornehmen Adels, wie auch verschiedene Bediente des Königs selbst und der Herzogin.Hopper. 73. Den Grafen von Nassau und Brederoden an ihrer Spitze, traten sie gliederweise, immer vier und vier, ihren Zug nach dem Palaste an; ganz Brüssel folgte dem ungewöhnlichen Schauspiel in stillem Erstaunen. Es wurde hier Menschen gewahr, die kühn und trotzig genug auftraten, um nicht Supplikanten zu scheinen, von zwei Männern geführt, die man nicht gewohnt war bitten zu sehen; auf der andern Seite so viel Ordnung, so viel Demuth und bescheidene Stille, als sich mit keiner Rebellion zu vertragen pflegt. Die Oberstatthalterin empfängt den Zug, von allen ihren Räthen und den Rittern des Vließes umgeben. »Diese edeln Niederländer,« redet Brederode sie mit Ehrerbietung an, »welche sich hier vor Ew. Hoheit versammeln, und noch weit mehrere, welche nächstens eintreffen sollen, wünschen Ihnen eine Bitte vorzutragen, von deren Wichtigkeit so wie von ihrer Demuth dieser feierliche Aufzug Sie überführen wird. Ich, als Wortführer der Gesellschaft, ersuche Sie, diese Bittschrift anzunehmen, die nichts enthält, was sich nicht mit dem Besten des Vaterlands und mit der Würde des Königs vertrüge.« –

»Wenn diese Bittschrift,« erwiderte Margaretha, »wirklich nichts enthält, was mit dem Wohl des Vaterlands und mit der Würde des Königs streitet, so ist kein Zweifel, daß sie gebilligt werden wird.« – »Sie hätten,« fuhr der Sprecher fort, »mit Unwillen und Bekümmerniß vernommen, daß man ihrer Verbindung verdächtige Absichten unterlege und ihnen bei Ihrer Hoheit nachtheilig zuvorgekommen sei; darum lägen sie Ihr an, ihnen die Urheber so schwerer Beschuldigungen zu nennen und solche anzuhalten, ihre Anklage in aller Form und öffentlich zu thun, damit Derjenige, welchen man schuldig finden würde, die verdiente Strafe leide.« – »Allerdings,« antwortete die Regentin, »könne man ihr nicht verdenken, wenn sie auf die nachtheiligen Gerüchte von den Absichten und Allianzen des Bundes für nöthig erachtet habe, die Statthalter der Provinzen aufmerksam darauf zu machen; aber nennen würde sie die Urheber dieser Nachrichten niemals; Staatsgeheimnisse zu verrathen,« setzte sie mit einer Miene des Unwillens hinzu, »könne mit keinem Rechte von ihr gefordert werden.« Nun beschied sie die Verbundenen auf den folgenden Tag, um die Antwort auf ihre Bittschrift abzuholen, worüber sie jetzt noch einmal mit den Rittern zu Rathe ging.Hopper. 73.  Strada 126. 127.  Burg. 182. 183.

»Nie,« lautete diese Bittschrift (die nach Einigen den berühmten Balduin zum Verfasser haben soll), »nie hätten sie es an der Treue gegen ihren König ermangeln lassen, und auch jetzt wären sie weit davon entfernt; doch wollten sie lieber die Ungnade ihres Herrn Gefahr laufen, als ihn noch länger in der Unwissenheit der übeln Folgen verharren lassen, womit die gewaltsame Einsetzung der Inquisition und die längere Beharrung auf den Edikten ihr Vaterland bedrohen. Lange Zeit hätten sie sich mit der Hoffnung beruhigt, eine allgemeine Staatenversammlung würde diesen Beschwerden abhelfen; jetzt aber, da auch diese Hoffnung erloschen sei, hielten sie es für ihre Pflicht, die Statthalterin vor Schaden zu warnen. Sie bäten daher Ihre Hoheit, eine wohlgesinnte und wohlunterrichtete Person nach Madrid zu senden, die den König vermögen könnte, dem einstimmigen Verlangen der Nation gemäß die Inquisition aufzuheben, die Edikte abzuschaffen und statt ihrer auf einer allgemeinen Staatenversammlung neue und menschlichere verfassen zu lassen. Unterdessen aber, bis der König seine Entschließung kund gethan, möchte man die Edikte ruhen lassen und die Inquisition außer Wirksamkeit setzen. Gäbe man,« schlossen sie, »ihrem demüthigen Gesuch kein Gehör, so nehmen sie Gott, den König, die Regentin und alle ihre Räthe zu Zeugen, daß sie das Ihre gethan, wenn es unglücklich ginge.«Hopper. 74.  Burg. 162. 166.

Den folgenden Tag erschienen die Verbundenen in eben demselben Aufzug, aber in noch größerer Anzahl (die Grafen von Bergen und Kuilemburg waren mit ihrem Anhang unterdessen zu ihnen gestoßen), vor der Regentin, um ihre Resolution in Empfang zu nehmen. Sie war an den Rand der Bittschrift geschrieben und enthielt: »Die Inquisition und die Edikte ganz ruhen zu lassen, stehe nicht in ihrer Gewalt; doch wolle sie, dem Wunsche der Verbundenen gemäß, Einen aus dem Adel nach Spanien senden und ihr Gesuch bei dem Könige nach allen Kräften unterstützen. Einstweilen solle den Inquisitoren empfohlen werden, ihr Amt mit Mäßigung zu verwalten; dagegen aber erwarte sie von dem Bunde, daß er sich aller Gewalttätigkeiten enthalten und nichts gegen den katholischen Glauben unternehmen werde.« So wenig diese allgemeine und schwankende Zusage die Verbundenen befriedigte, so war sie doch alles, was sie mit irgend einem Schein von Wahrscheinlichkeit fürs erste hatten erwarten können. Die Gewährung oder Nichtgewährung der Bittschrift hatte mit dem eigentlichen Zweck des Bündnisses nichts zu schaffen. Genug für jetzt, daß es überhaupt nur errichtet war; daß nunmehr etwas vorhanden war, woran sich der Geist des Aufruhrs ins künftige festhalten, wodurch man die Regierung, so oft es nöthig war, in Furcht setzen konnte. Die Verbundenen handelten also ihrem Plane gemäß, daß sie sich mit dieser Antwort beruhigten und das Uebrige auf die Entscheidung des Königs ankommen ließen. Wie überhaupt das ganze Gaukelspiel dieser Bittschrift nur erfunden gewesen war, die verwegeneren Plane des Bundes hinter dieser Supplikantengestalt so lange zu verbergen, bis er genugsam zu Kräften würde gekommen sein, sich in seinem wahren Lichte zu zeigen; so mußte ihnen weit mehr an der Haltbarkeit dieser Maske und weit mehr an einer günstigen Aufnahme der Bittschrift als an einer schnellen Gewährung liegen. Sie drangen daher in einer neuen Schrift, die sie drei Tage darauf übergaben, auf ein ausdrückliches Zeugniß der Regentin, daß sie nichts als ihre Schuldigkeit gethan, und daß nur Diensteifer für den König sie geleitet habe. Als die Herzogin einer Erklärung auswich. schickten sie noch von der Treppe Jemand an sie ab, der dieses Gesuch wiederholen sollte. »Die Zeit allein und ihr künftiges Betragen,« antwortete sie diesem, »würden ihrer Absichten Richter sein.«Hopper. §. 94.  Strada 127.

Gastmähler gaben dem Bund seinen Ursprung, und ein Gastmahl gab ihm Form und Vollendung. An dem nämlichen Tag, wo die zweite Bittschrift eingereicht wurde, traktierte Brederode die Verschworen im Kuilemburgischen Hause; gegen 300 Gäste waren zugegen; die Trunkenheit machte sie muthwillig, und ihre Bravour stieg mit ihrer Menge. Hier nun erinnerten sich Einige, daß sie den Grafen von Barlaimont der Regentin, die sich bei Ueberreichung der Bittschrift zu entfärben schien, auf französisch hatten zuflüstern hören: »Sie solle sich vor einem Haufen Bettler (Gueux) nicht fürchten.« Wirklich war auch der größte Theil unter ihnen durch eine schlechte Wirthschaft so weit herabgekommen, daß er diese Benennung nur zu sehr rechtfertigte. Weil man eben um einen Namen der Brüderschaft verlegen war, so haschte man diesen Ausdruck begierig auf, der das Vermessene des Unternehmens in Demuth versteckte, und der zugleich am wenigsten von der Wahrheit entfernte. Sogleich trank man einander unter diesem Namen zu, und: es leben die Geusen! wurde mit allgemeinem Geschrei des Beifalls gerufen. Nach aufgehobener Tafel erschien Brederode mit einer Tasche, wie die herumziehenden Pilger und Bettelmönche sie damals trugen, hing sie um den Hals, trank die Gesundheit der ganzen Tafel aus einem hölzernen Becher, dankte Allen für ihren Beitritt zum Bunde und versicherte hoch, daß er für Jeden unter ihnen bereit stehe, Gut und Blut zu wagen. Alle riefen mit lauter Stimme ein gleiches, der Becher ging in der Runde herum, und ein Jedweder sprach, indem er ihn an den Mund setzte, dasselbe Gelübde nach. Nun empfing Einer nach dem Andern die Bettlertasche und hing sie an einem Nagel auf, den er sich zugeeignet hatte. Der Lärm, den dieses Possenspiel verursachte, zog den Prinzen von Oranien, die Grafen von Egmont und von Hoorn, die der Zufall so eben vorbeiführte, in das Haus, wo ihnen Brederode, als Wirth vom Hause, ungestüm zusetzte, zu bleiben und ein Glas mitzutrinken.»Aber,« versicherte nachher Egmont in seiner Verantwortungsschrift, »wir tranken nur ein einziges kleines Glas, und dabei schrieen sie: es lebe der König und es leben die Geusen! Es war dies zum ersten Mal, daß ich diese Benennung hörte, und gewiß, sie mißfiel mir. Aber die Zeiten waren so schlimm, daß man manches gegen seine Neigung mitmachen mußte, und ich glaubte eine unschuldige Handlung zu thun.« Procès criminels des Comtes d'Egmont etc.  T. I.  Egmonts Verantwortung. Die Ankunft dieser drei wichtigen Männer erneuerte den Jubel der Gäste, und ihre Freude fing an, bis zur Ausgelassenheit zu steigen. Viele wurden betrunken; Gäste und Aufwärter ohne Unterschied, Ernsthaftes und Possierliches, Sinnentaumel und Angelegenheit des Staats vermengten sich auf eine burleske Art mit einander, und die allgemeine Noth des Landes bereitete ein Bacchanal. Hierbei blieb es nicht allein; was man im Rausche beschlossen hatte, führte man nüchtern aus. Das Dasein seiner Beschützer mußte dem Volke versinnlicht und der Eifer der Partei durch ein sichtbares Zeichen in Athem erhalten werden; dazu war kein besseres Mittel, als diesen Namen der Geusen öffentlich zur Schau zu tragen und die Zeichen der Verbrüderung davon zu entlehnen. In wenig Tagen wimmelte die Stadt Brüssel von aschgrauen Kleidern, wie man sie an Bettelmönchen und Büßenden sah. Die ganze Familie mit dem Hausgesinde eines Verschwornen warf sich in diese Ordenstracht. Einige führten hölzerne Schüsseln mit dünnem Silberblech überzogen, eben solche Becher, oder auch Messer, den ganzen Hausrath der Bettlerzunft, an den Hüten, oder ließen sie an den Gürtel herunterhängen. Um den Hals hingen sie eine goldene oder silberne Münze, nachher der Geusenpfennig genannt, deren eine Seite das Brustbild des Königs zeigte, mit der Inschrift: Dem Könige getreu. Auf der andern sah man zwei zusammengefaltete Hände, die eine Provianttasche hielten, mit den Worten: Bis zum Bettelsack. Daher schreibt sich der Name der Geusen, den nachher in den Niederlanden alle Diejenigen trugen, welche vom Papstthum abfielen und die Waffen gegen den König ergriffen.Hopper. §. 94.  Strada 127–130. Burgund. 185. 187.

Ehe die Verbundenen auseinander gingen, um sich in den Provinzen zu zerstreuen, erschienen sie noch einmal vor der Herzogin, um sie in der Zwischenzeit, bis die Antwort des Königs aus Spanien anlangte, zu einem gelinden Verfahren gegen die Ketzer zu ermahnen, damit es mit dem Volk nicht aufs Aeußerste käme. Sollte aber, fügten sie hinzu, aus einem entgegengesetzten Betragen Schlimmes entstehen, so wollten sie als Leute angesehen sein, die ihre Pflicht gethan hätten.

Darauf erwiederte die Regentin: sie hoffe solche Maßregeln zu ergreifen, daß keine Unordnung vorfallen könnte; geschehe dieses aber dennoch, so würde sie es Niemand anders als den Verbundenen zuzuschreiben haben. Sie ermahne sie also ernstlich, auch ihren Verheißungen gleichfalls nachzukommen, vorzüglich aber keine neuen Mitglieder mehr in ihren Bund aufzunehmen, keine Privatzusammenkünfte mehr zu halten und überhaupt keine Neuerung anzufangen. Um sie einstweilen zu beruhigen, wurde dem Geheimschreiber Berti befohlen, ihnen die Briefe vorzuzeigen, worin man den Inquisitoren und weltlichen Richtern Mäßigung gegen alle Diejenigen empfahl, die ihre ketzerische Verschuldung durch kein bürgerliches Verbrechen erschwert haben würden. Vor ihrem Abzug aus Brüssel ernannten sie noch vier Vorsteher aus ihrer Mitte,Burgundius gibt zwölf solcher Vorsteher an, welche das Volk spottweise die zwölf Apostel genannt haben soll. 188. welche die Angelegenheiten des Bundes besorgen mußten, und noch überdies eigene Geschäftsverweser für jede Provinz. In Brüssel selbst wurden einige zurückgelassen, um auf alle Bewegungen des Hofs ein wachsames Auge zu haben. Brederode, Kuilemburg und Bergen verließen endlich die Stadt, von 550 Reitern begleitet, begrüßten sie noch einmal außerhalb den Mauern mit Musketenfeuer und schieden dann von einander, Brederode nach Antwerpen, die beiden Andern nach Geldern. Dem Ersten schickte die Regentin einen Eilboten nach Antwerpen voran, der den Magistrat dieser Stadt vor ihm warnen sollte; über tausend Menschen drängten sich um das Hotel, wo er abgestiegen war. Er zeigte sich, ein volles Weinglas in der Hand, am Fenster. »Bürger von Antwerpen,« redete er sie an, »ich bin hier, mit Gefahr meiner Güter und meines Lebens, euch die Last der Inquisition abzunehmen. Wollt ihr diese Unternehmung mit mir theilen und zu eurem Führer mich erkennen, so nehmt die Gesundheit an, die ich euch hier zutrinke, und streckt zum Zeichen eures Beifalls die Hände empor.« Damit trank er, und alle Hände flogen unter lärmendem Jubelgeschrei in die Höhe. Nach dieser Heldenthat verließ er Antwerpen.Strada 131.

Gleich nach Uebergebung der Bittschrift der Edeln hatte die Regentin durch den geheimen Rath eine neue Formel der Edikte entwerfen lassen, die zwischen den Mandaten des Königs und den Forderungen der Verbundenen gleichsam die Mitte halten sollte. Die Frage war nun, ob es rathsamer sei, diese Milderung oder Moderation, wie sie gewöhnlich genannt wurde, geradezu abkündigen zu lassen, oder sie dem König erst zur Genehmhaltung vorzulegen.Hopper. §. 95. Der geheime Rath, der es für zu gewagt hielt, einen so wichtigen Schritt ohne Vorwissen, ja gegen die ausdrückliche Vorschrift des Monarchen zu thun, widersetzte sich dem Prinzen von Oranien, der für das Erste stimmte. Außerdem hatte man Grund, zu fürchten, daß die Nation mit dieser Moderation nicht einmal zufrieden sein werde, die ohne Zuziehung der Stände, worauf man doch eigentlich dringe, verfaßt sei. Um nun den Ständen ihre Bewilligung abzugewinnen oder vielmehr abzustehlen, bediente sich die Regentin des Kunstgriffs, eine Landschaft nach der andern einzeln, und diejenigen, welche die wenigste Freiheit hatten, wie Artois, Hennegau, Namur und Luxemburg, zuerst zu befragen, wodurch sie nicht nur vermied, daß eine der andern zur Widersetzlichkeit Muth machte, sondern auch noch so viel gewann, daß die freieren Provinzen, wie Flandern und Brabant, die man weidlich bis zuletzt aufsparte, sich durch das Beispiel der andern hinreißen ließen.Grot. 22.  Burgund. 196. 197 sq. Zufolge eines äußerst gesetzwidrigen Verfahrens überraschte man die Bevollmächtigten der Städte, ehe sie sich noch an ihre Gemeinheiten wenden konnten, und legte ihnen über den ganzen Vorgang ein tiefes Stillschweigen auf. Dadurch erhielt die Regentin, daß einige Landschaften die Moderation unbedingt, andere mit wenigen Zusätzen gelten ließen. Luxemburg und Namur unterschrieben sie ohne Bedenken. Die Stände von Artois machten noch den Zusatz. daß falsche Angeber dem Recht der Wiedervergeltung unterworfen sein sollten; die von Hennegau verlangten, daß statt Einziehung der Güter, die ihren Privilegien widerstreite, eine andere willkürliche Strafe eingeführt würde. Flandern forderte die gänzliche Aufhebung der Inquisition und wollte den Angeklagten das Recht, an ihre Provinz zu appellieren, gesichert haben. Brabants Stände ließen sich durch die Ränke des Hofs überlisten. Seeland, Holland, Utrecht, Geldern und Friesland, als welche durch die wichtigsten Privilegien geschützt waren und mit der meisten Eifersucht darüber wachten, wurden niemals um ihre Meinung befragt. Auch den Gerichtshöfen der Provinzen hatte man ein Bedenken über die neuentworfene Milderung abgefordert, aber es dürfte wohl nicht sehr günstig gelautet haben, weil es niemals nach Spanien kam.A. G. d. v. N. III. 72. Aus dem Hauptinhalt dieser Milderung, die ihren Namen doch in der That verdiente, läßt sich auf die Edikte selbst ein Schluß machen. »Die Schriftsteller der Sekten,« hieß es darin, »ihre Vorsteher und Lehrer, wie auch Die, welche einen von diesen beherbergten, ketzerische Zusammenkünfte beförderten und verhehlten, oder irgend sonst ein öffentliches Aergerniß gäben, sollten mit dem Galgen bestraft und ihre Güter (wo die Landesgesetze es nämlich erlaubten) eingezogen werden; schwüren sie aber ihre Irrthümer ab, so sollten sie mit der Strafe des Schwerts davon kommen und ihre Verlassenschaft ihrer Familie bleiben.« Eine grausame Schlinge für die elterliche Liebe! Leichten und bußfertigen Ketzern, hieß es ferner, könne Gnade widerfahren; unbußfertige sollten das Land räumen, jedoch ohne ihre Güter zu verlieren, es sei denn, daß sie sich durch Verführung Anderer dieses Vorrechts beraubten. Von dieser Wohlthat waren jedoch die Wiedertäufer ausgeschlossen, die, wenn sie sich nicht durch die gründlichste Buße loskauften, ihrer Güter verlustig erklärt und, wenn sie Relapsen, d. i. wiederabgefallene Ketzer wären, ohne Barmherzigkeit hingerichtet werden sollten.Burg. 190–193. Die mehrere Achtung für Leben und Eigenthum, die man in diesen Verordnungen wahrnimmt und leicht versucht werden möchte, einer anfangenden Sinnesänderung des spanischen Ministeriums zuzuschreiben, war nichts als ein nothgedrungener Schritt, den ihm die standhafte Widersetzlichkeit des Adels erpreßte. Auch war man in den Niederlanden von dieser Moderation, die im Grunde keinen einzigen wesentlichen Mißbrauch abstellte, so wenig erbaut, daß das Volk sie in seinem Unwillen anstatt Moderation (Milderung) Moorderation, d. i. Mörderung, nannte.A. G. d. v. N. 72.

Nachdem man auf diesem Wege den Ständen ihre Einwilligung dazu abgelockt hatte, wurde die Milderung dem Staatsrath vorgelegt und, von ihm unterschrieben, an den König nach Spanien gesendet, um nunmehr durch seine Genehmigung eine gesetzliche Kraft zu empfangen.Vigl. ad Hopper. VII. Brief.

Die Gesandtschaft nach Madrid, worüber man mit den Verschwornen übereingekommen war, wurde anfänglich dem Marquis von BergenDieser Marquis von Bergen ist von dem Grafen Wilhelm von Bergen zu unterscheiden, der von den Ersten gewesen war, die den Compromiß unterschrieben. Vigl. ad Hopper. II. Brief. aufgetragen, der sich aber aus einem nur zu gegründeten Mißtrauen in die gegenwärtige Disposition des Königs, und weil er sich mit diesem delicaten Geschäft allein nicht befassen wollte, einen Gehilfen ausbat. Er bekam ihn in dem Baron von Montigny, der schon ehedem zu demselben Geschäfte gebraucht worden war und es rühmlich beendigt hatte. Da sich aber während dieser Zeit die Umstände sogar sehr verändert hatten, und er wegen seiner zweiten Aufnahme in Madrid in gerechter Besorgniß war, so machte er seiner mehreren Sicherheit wegen mit der Herzogin aus, daß sie vorläufig darüber an den Monarchen schreiben möchte, unterdessen er mit seinem Gesellschafter langsam genug reisen würde, um von der Antwort des Königs noch unterwegs getroffen zu werden. Sein guter Genius, der ihn, wie es schien, von dem schrecklichen Schicksal, das in Madrid auf ihn wartete, zurückreißen wollte, störte seine Reise noch durch ein unvermuthetes Hinderniß, indem der Marquis von Bergen durch eine Wunde, die er beim Ballschlagen empfing, außer Stand gesetzt wurde, sie sogleich mit ihm anzutreten. Nichtsdestoweniger machte er sich, weil die Regentin ihm anlag, zu eilen, allein auf den Weg, nicht aber, wie er hoffte, die Sache seines Volks in Spanien durchzusetzen, sondern dafür zu sterben.Strada 133. 134.

Die Stellung der Dinge hatte sich nunmehr so verändert und der Schritt, den der Adel gethan, einen völligen Bruch mit der Regierung so nahe herbeigebracht, daß es dem Prinzen von Oranien und seinen Freunden fortan unmöglich schien, das mittlere, schonende Verhältniß, das sie bis jetzt zwischen der Republik und dem Hofe beobachtet hatten, noch länger beizubehalten und so widersprechende Pflichten zu vereinigen. So viel Ueberwindung es ihnen bei ihrer Denkart schon kosten mußte, in diesem Streit nicht Partei zu nehmen; so sehr schon ihr natürlicher Freiheitssinn, ihre Vaterlandsliebe und ihre Begriffe von Duldung unter dem Zwange litten, den ihr Posten ihnen auferlegte: so sehr mußte das Mißtrauen Philipps gegen sie, die wenige Achtung, womit ihr Gutachten schon seit langer Zeit pflegte aufgenommen zu werden, und das zurücksetzende Betragen, das ihnen von der Herzogin widerfuhr, ihren Diensteifer erkälten und ihnen die Fortsetzung einer Rolle erschweren, die sie mit so vielem Widerwillen und so wenigem Danke spielten. Dazu kamen noch verschiedene Winke aus Spanien, welche den Unwillen des Königs über die Bittschrift des Adels und seine wenige Zufriedenheit mit ihrem eigenen Betragen bei dieser Gelegenheit außer Zweifel setzten und Maßregeln von ihm erwarten ließen, zu denen sie, als Stützen der vaterländischen Freiheit und größtenteils als Freunde oder Blutsverwandte der Verbundenen, nie würden die Hand bieten können.Meteren 81. Von dem Namen, den man in Spanien der Verbindung des Adels beilegte, hing es überhaupt nun ab, welche Partei sie künftig zu nehmen hatten. Hieß die Bittschrift Empörung, so blieb ihnen keine andere Wahl, als entweder mit dem Hofe vor der Zeit zu einer bedenklichen Erklärung zu kommen, oder Diejenigen feindlich behandeln zu helfen, deren Interesse auch das ihrige war und die nur aus ihrer Seele gehandelt hatten. Dieser mißlichen Alternative konnten sie nur durch eine gänzliche Zurückziehung von Geschäften ausweichen; ein Weg. den sie zum Theil schon einmal erwählt hatten und der unter den jetzigen Umständen mehr als eine bloße Nothhilfe war. Auf sie sah die ganze Nation. Das unumschränkte Vertrauen in ihre Gesinnungen und die allgemeine Ehrfurcht gegen sie, die nahe an Anbetung grenzte, adelte die Sache, die sie zu der ihrigen machten, und richtete die zu Grunde, die sie verließen. Ihr Antheil an der Staatsverwaltung, wenn er auch mehr nicht als bloßer Name war, hielt die Gegenpartei im Zügel; so lange sie dem Senat noch beiwohnten, vermied man gewaltsame Wege, weil man noch etwas von dem Wege der Güte erwartete. Ihre Mißbilligung, selbst wenn sie ihnen auch nicht von Herzen ging, machte die Faktion muthlos und unsicher, die sich im Gegentheil in ihrer ganzen Stärke aufraffte, sobald sie, auch nur entfernt, auf einen so wichtigen Beifall rechnen durfte. Dieselben Maßregeln der Regierung, die, wenn sie durch ihre Hände gingen, eines günstigen Erfolgs gewiß waren, mußten ohne sie verdächtig und unnütz werden; selbst die Nachgiebigkeit des Königs, wenn sie nicht das Werk dieser Volksfreunde war, mußte den besten Theil ihrer Wirkung verfehlen. Außerdem, daß ihre Zurückziehung von Geschäften die Regentin zu einer Zeit von Rath entblößte, wo Rath ihr am unentbehrlichsten war, gab diese Zurückziehung noch zugleich einer Partei das Uebergewicht, die, von einer blinden Anhänglichkeit an den Hof geleitet und unbekannt mit den Eigenheiten des republikanischen Charakters, nicht unterlassen haben würde, das Uebel zu verschlimmern und die Erbitterung der Gemüther aufs Aeußerste zu treiben.

Alle diese Gründe, unter denen es Jedem freigestellt ist, nach seiner guten oder schlimmen Meinung von dem Prinzen, denjenigen herauszusuchen, der bei ihm vorgewaltet haben möchte, bewogen ihn jetzt, die Regentin im Stich zu lassen und sich aller Staatsgeschäfte zu begeben. Die Gelegenheit, diesen Vorsatz ins Werk zu richten, fand sich bald. Der Prinz hatte für die schleunige Bekanntmachung der neuveränderten Edikte gestimmt; die Statthalterin folgte dem Gutachten des geheimen Raths und sandte sie zuvor an den König. »Ich sehe nun deutlich,« brach er mit verstellter Heftigkeit aus, »daß allen Rathschlägen, die ich gebe, mißtraut wird. Der König bedarf keiner Diener, deren Treue er bezweifeln muß, und ferne sei es von mir, meinem Herrn Dienste aufzudringen, die ihm zuwider sind. Besser also für ihn und mich, ich entziehe mich dem gemeinen Wesen.«Burgund. 189. Das Nämliche ungefähr äußerte der Graf von Hoorn; Egmont bat um Urlaub, die Bäder in Aachen zu gebrauchen, die der Arzt ihm verordnet habe, wiewohl er (heißt es in seiner Anklage) aussah wie die Gesundheit. Die Regentin, von den Folgen erschreckt, die dieser Schritt unvermeidlich herbeiführen mußte, redete scharf mit dem Prinzen. »Wenn weder meine Vorstellungen, noch das gemeine Beste so viel über Sie vermögen, Sie von diesem Vorsatz zurückzubringen, so sollten Sie wenigstens Ihres eigenen Rufes mehr schonen. Ludwig von Nassau ist Ihr Bruder. Er und Graf Brederode, die Häupter der Verschwörung, sind öffentlich Ihre Gäste gewesen. Die Bittschrift enthält dasselbe, wovon alle Ihre Vorstellungen im Staatsrath bisher gehandelt haben. Wenn Sie nun plötzlich die Sache Ihres Königs verlassen, wird es nicht allgemein heißen, daß Sie die Verschwörung begünstigen?« Es wird nicht gesagt, ob der Prinz diesmal wirklich aus dem Staatsrath getreten ist; ist er es aber, so muß er sich bald eines Andern besonnen haben, weil wir ihn kurz nachher wieder in öffentlichen Geschäften erblicken. Egmont, scheint es, ließ sich von den Vorstellungen der Regentin besiegen; Hoorn allein zog sich wirklich auf eines seiner Güter zurück, des Vorsatzes, weder Kaisern noch Königen mehr zu dienen.Wo er drei Monate außer Thätigkeit blieb.  Hoorns Anklage. 118.

Unterdessen hatten sich die Geusen durch alle Provinzen zerstreut und, wo sie sich zeigten, die günstigsten Nachrichten von dem Erfolg ihres Unternehmens verbreitet. Ihren Versicherungen nach war für die Religionsfreiheit alles gewonnen, und diesen Glauben recht zu befestigen, halfen sie sich, wo die Wahrheit nicht ausreichte, mit Lügen. So zeigten sie zum Beispiel eine nachgemachte Schrift der Ritter des Vließes vor, worin diese feierlich erklärten, daß künftighin Niemand weder Gefängnis- noch Landesverweisung, noch den Tod, der Religion wegen, zu fürchten haben sollte, er hätte sich denn zugleich eines politischen Verbrechens schuldig gemacht, in welchem Fall gleichwohl die Verbundenen allein seine Richter sein würden; und dies sollte gelten, bis der König mit den Ständen des Reichs anders darüber verfügte. So sehr es sich die Ritter, auf die erste Nachricht von dem gespielten Betrug, angelegen sein ließen, die Nation aus ihrer Täuschung zu reißen, so wichtige Dienste hatte diese Erfindung der Faktion in dieser kurzen Zeit schon geleistet. Wenn es Wahrheiten gibt, deren Wirkung sich auf einen bloßen Augenblick einschränkt, so können Erdichtungen, die sich nur diesen Augenblick lang halten, gar leicht ihre Stelle vertreten. Außerdem, daß das ausgestreute Gerücht zwischen der Statthalterin und den Rittern Mißtrauen erweckte und den Muth der Protestanten durch neue Hoffnungen aufrichtete, spielte es Denen, welche über Neuerungen brüteten, einen Schein von Recht in die Hände, der, wenn sie auch selbst nicht daran glaubten, ihrem Verfahren zu einer Beschönigung diente. Wenn dieser fälschliche Wahn auch noch so bald widerrufen ward, so mußte er doch in dem kurzen Zeitraum, wo er Glauben fand, so viele Ausschweifungen veranlaßt, so viel Zügellosigkeit und Licenz eingeführt haben, daß der Rückzug unmöglich werden, daß man den Weg, den man einmal betreten, aus Gewohnheit sowohl als aus Verzweiflung fortzuwandeln sich genöthigt sehen mußte.Strada 132. 133. Gleich auf die erste Zeitung dieses glücklichen Erfolgs fanden sich die geflüchteten Protestanten in ihrer Heimath wieder ein, von der sie sich nur ungern geschieden hatten; die sich versteckt hatten, traten aus ihren Schlupfwinkeln heraus; die der neuen Religion bisher nur in ihren Herzen gehuldigt hatten, herzhaft gemacht durch diese Duldungsakte, schenken sich ihr jetzt öffentlich und laut.Grot. 22. Der Name der Geusen wurde hoch gerühmt in allen Provinzen; man nannte sie die Stützen der Religion und Freiheit; ihre Partei wuchs mit jedem Tage, und viele Kaufleute fingen an, ihre Insignien zu tragen. Diese letztern brachten auf dem Geusenpfennig noch die Veränderung an, daß sie zwei kreuzweis gelegte Wanderstäbe darauf setzten, gleichsam um anzudeuten, daß sie jeden Augenblick fertig und bereit stünden, um der Religion willen Haus und Herd zu verlassen. Die Errichtung des Geusenbundes hatte den Dingen eine ganz andere Gestalt gegeben. Das Murren der Unterthanen, ohnmächtig und verächtlich bis jetzt, weil es nur Geschrei der Einzelnen war, hatte sich nunmehr in Einen Körper furchtbar zusammengezogen und durch Vereinigung Kraft, Richtung und Stetigkeit gewonnen. Jeder aufrührerische Kopf sah sich jetzt als das Glied eines ehrwürdigen und furchtbaren Ganzen an und glaubte seine Verwegenheit zu sichern, indem er sie in diesen Versammlungsplatz des allgemeinen Unwillens niederlegte. Ein wichtiger Gewinn für den Bund zu heißen, schmeichelte dem Eiteln; sich unbeobachtet und ungestraft in diesem großen Strome zu verlieren, lockte den Feigen. Das Gesicht, welches die Verschwörung der Nation zeigte, war demjenigen sehr ungleich, welches sie dem Hofe zugekehrt hatte. Wären ihre Absichten auch die lautersten gewesen, hätte sie es wirklich so gut mit dem Throne gemeint, als sie äußerlich scheinen wollte, so würde sich der große Haufen dennoch nur an das Gesetzwidrige ihres Verfahrens gehalten haben, und ihr besserer Zweck gar nicht für ihn vorhanden gewesen sein.


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