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Bis hieher waren die Provinzen der beneidenswürdigste Staat in Europa. Keiner der burgundischen Herzoge hatte sich einkommen lassen, die Constitution umzustoßen; selbst Karls des Kühnen verwegenem Geist, der einem auswärtigen Freistaat die Knechtschaft bereitete, war sie heilig geblieben. Alle diese Fürsten wuchsen in keiner höhern Erwartung auf, als über eine Republik zu gebieten, und keines ihrer Länder konnte ihnen eine andere Erfahrung geben. Außerdem besaßen diese Fürsten nichts, als was die Niederlande ihnen gaben, keine Heere, als welche die Nation für sie ins Feld stellte, keine Reichthümer, als welche die Stände ihnen bewilligten. Jetzt veränderte sich alles. Jetzt waren sie einem Herrn zugefallen, dem andere Werkzeuge und andere Hilfsquellen zu Gebote standen, der eine fremde Macht gegen sie bewaffnen konnte.Die unnatürliche Verbindung zweier so widersprechenden Nationen, wie die Niederländer und Spanier sind, konnte nimmermehr glücklich ausschlagen. Ich kann mich nicht enthalten, die Parallele hier aufzunehmen, welche Grotius in einer kraftvollen Sprache zwischen beiden angestellt hat. »Mit den anwohnenden Völkern,« sagt er, »konnten die Niederländer leicht ein gutes Vernehmen unterhalten, da jene Eines Stammes mit ihnen und auf denselben Wegen herangewachsen waren. Spanier und Niederländer aber gehen in den meisten Dingen von einander ab und stoßen, wo sie zusammentreffen, desto heftiger gegen einander. Beide hatten seit vielen Jahrhunderten im Kriege geglänzt, nur daß letztere jetzt in einer üppigen Ruhe der Waffen entwöhnt, jene aber durch die italienischen und afrikanischen Feldzüge in Uebung erhalten waren. Die Neigung zum Gewinn macht den Niederländer mehr zum Frieden geneigt, aber nicht weniger empfindlich gegen Beleidigung. Kein Volk ist von Eroberungssucht freier, aber keines vertheidigt sein Eigenthum besser. Daher die zahlreichen, in einen engen Erdstrich zusammengedrängten Städte, durch fremde Ankömmlinge und eigene Bevölkerung vollgepreßt, an der See und den größern Strömen befestigt. Daher konnten ihnen, acht Jahrhunderte nach dem nordischen Völkerzug, fremde Waffen nichts anhaben. Spanien hingegen wechselte seinen Herrn weit öfter; als es zuletzt in die Hände der Gothen fiel, hatten sein Charakter und seine Sitten mehr oder weniger schon von jedem Sieger gelitten. Am Ende aller dieser Vermischungen beschreibt man uns dieses Volk als das geduldigste bei der Arbeit, das unerschrockenste in Gefahren, gleich lüstern nach Reichthum und Ehre, stolz bis zur Geringschätzung Anderer, andächtig und fremder Wohlthaten eingedenk, aber auch so rachsüchtig und ausgelassen im Siege, als ob gegen den Feind weder Gewissen noch Ehre gälte. Alles dieses ist dem Niederländer fremd, der listig ist, aber nicht tückisch, der, zwischen Frankreich und Deutschland in die Mitte gepflanzt, die Gebrechen und Vorzüge beider Völker in einer sanftern Mischung mäßigt. Ihn hintergeht man nicht leicht, und nicht ungestraft beleidigt man ihn. Auch in Gottesverehrung gibt er dem Spanier nichts nach; von dem Christenthum, wozu er sich einmal bekannte, konnten ihn die Waffen der Normänner nicht abtrünnig machen, keine Meinung. welche die Kirche verdammt, hatte bis jetzt die Reinigkeit seines Glaubens vergiftet. Ja, seine frommen Verschwendungen gingen so weit, daß man der Habsucht seiner Geistlichen durch Gesetze Einhalt thun mußte. Beiden Völkern ist eine Ergebenheit gegen ihren Landesherrn angeboren, mit dem Unterschiede nur, daß der Niederländer die Gesetze über die Könige stellt. Unter den übrigen Spaniern wollen die Castilianer mit der meisten Vorsicht regiert sein; aber die Freiheiten, worauf sie selbst Anspruch machen, gönnen sie Andern nicht gerne. Daher die so schwere Aufgabe für ihren gemeinschaftlichen Oberherrn, seine Aufmerksamkeit und Sorgfalt unter beide Nationen so zu vertheilen, daß weder der Vorzug der Castilianer den Niederländer kränke, noch die Gleichstellung des letztern den castilianischen Hochmuth beleidige.« Grotii Annal. Belg. L. I. 4. 5. seqq. Karl der Fünfte schaltete willkürlich in seinen spanischen Staaten; in den Niederlanden war er nichts, als der erste Bürger. Die vollkommenste Unterwerfung im Süden seinem Reichs mußte ihm gegen die Rechte der Individuen Geringschätzung geben; hier erinnerte man ihn, sie zu ehren. Je mehr er dort das Vergnügen der unumschränkten Gewalt kostete, und je größer die Meinung war, die ihm von seinem Selbst aufgedrungen wurde, desto ungerner mußte er hier zu der bescheidenen Menschheit heruntersteigen, desto mehr mußte er gereizt werden, dieses Hinderniß zu besiegen. Schon eine große Tugend wird verlangt, die Macht, die sich unsern liebsten Wünschen widersetzt, nicht als eine feindliche zu bekriegen.
Das Uebergewicht Karls weckte zu gleicher Zeit das Mißtrauen bei den Niederländern auf, das stets die Ohnmacht begleitet. Nie waren sie für ihre Verfassung empfindlicher, nie zweifelhafter über die Rechte des Souveräns, nie vorsichtiger in ihren Verhandlungen gewesen. Wir finden unter seiner Regierung die gewaltthätigsten Ausbrüche des republikanischen Geists und die Anmaßungen der Nation oft bis zum Mißbrauch getrieben, welches die Fortschritte der königlichen Gewalt mit einem Schein von Rechtmäßigkeit schmückte. Ein Souverän wird die bürgerliche Freiheit immer als einen veräußerten Distrikt seines Gebiets betrachten, den er wieder gewinnen muß. Einem Bürger ist die souveräne Herrschaft ein reißender Strom, der seine Gerechtsame überschwemmt. Die Niederländer schützten sich durch Dämme gegen ihren Ocean, und gegen ihre Fürsten durch Constitutionen. Die ganze Weltgeschichte ist ein ewig wiederholter Kampf der Herrschsucht und Freiheit um diesen streitigen Fleck Landes, wie die Geschichte der Natur nichts anderes ist, als ein Kampf der Elemente und Körper um ihren Raum.
Die Niederlande empfanden bald, daß sie die Provinz einer Monarchie geworden waren. So lange ihre vorigen Beherrscher kein höheres Anliegen hatten, als ihren Wohlstand abzuwarten. näherte sich ihr Zustand dem stillen Glück einer geschlossenen Familie, deren Haupt der Regent war. Karl der Fünfte führte sie auf den Schauplatz der politischen Welt. Jetzt machten sie ein Glied des Riesenkörpers aus, den die Ehrsucht eines Einzigen zu ihrem Werkzeug gebrauchte. Sie hörten auf, ihr eigener Zweck zu sein; der Mittelpunkt ihres Daseins war in die Seele ihres Regenten verlegt. Da seine ganze Regierung nur eine Bewegung nach außen, oder eine politische Handlung war, so mußte er vor allen Dingen seiner Gliedmaßen mächtig sein, um sich ihrer mit Nachdruck und Schnelligkeit zu bedienen. Unmöglich konnte er sich also in die langwierige Mechanik ihres innern bürgerlichen Lebens verwickeln oder ihren eigentümlichen Vorrechten die gewissenhafte Aufmerksamkeit widerfahren lassen, die ihre republikanische Umständlichkeit verlangte. Mit einem kühnen Monarchenschritt trat er den künstlichen Bau einer Würmerwelt nieder. Er mußte sich den Gebrauch ihrer Kräfte erleichtern durch Einheit. Das Tribunal zu Mecheln war bis jetzt ein unabhängiger Gerichtshof gewesen; er unterwarf ihn einem königlichen Rath, den er in Brüssel niedersetzte und der ein Organ seines Willens war. In das Innerste ihrer Verfassung führte er Ausländer, denen er die wichtigsten Bedienungen anvertraute. Menschen, die keinen Rückhalt hatten, als die königliche Gnade, konnten nicht anders, als schlimme Hüter einer Gerechtsame sein, die ihnen noch dazu wenig bekannt war. Der wachsende Aufwand seiner kriegerischen Regierung nöthigte ihn, seine Hilfsquellen zu vermehren. Mit Hintansetzung ihrer heiligsten Privilegien legte er den Provinzen ungewöhnliche Steuern auf; die Staaten, um ihr Ansehen zu retten, mußten bewilligen, was er so bescheiden gewesen war nicht ertrotzen zu wollen; die ganze Regierungsgeschichte dieses Monarchen in den Niederlanden ist beinahe nur ein fortlaufendes Verzeichniß eingeforderter, verweigerter und endlich doch bewilligter Steuern. Der Constitution zuwider führte er fremde Truppen in ihr Gebiet, ließ in den Provinzen für seine Armeen werben und verwickelte sie in Kriege, die ihrem Interesse gleichgültig, wo nicht schädlich waren, und die sie nicht gebilligt hatten. Er bestrafte die Vergehungen eines Freistaats als Monarch, und Gents fürchterliche Züchtigung kündigte ihnen die große Veränderung an, die ihre Verfassung bereits erlitten hatte.
Der Wohlstand des Landes war in so weit gesichert, als er den Staatsentwürfen seines Beherrschers nothwendig war, als Karls vernünftige Politik die Gesundheitsregel des Körpers gewiß nicht verletzte, den er anzustrengen sich genöthigt sah. Glücklicherweise führen die entgegengesetztesten Entwürfe der Herrschsucht und der uneigennützigsten Menschenliebe oft auf Eins, und die bürgerliche Wohlfahrt, die sich ein Marcus Aurelius zum Ziele setzt, wird unter einem August und Ludwig gelegentlich befördert.
Karl der Fünfte erkannte vollkommen, daß Handel die Stärke der Nation war, und ihres Handels Grundfeste – Freiheit. Er schonte ihrer Freiheit, weil er ihrer Stärke bedurfte. Staatskundiger, nicht gerechter, als sein Sohn, unterwarf er seine Maximen dem Bedürfniß des Orts und der Gegenwart und nahm in Antwerpen eine Verordnung zurücke, die er mit allen Schrecken der Gewalt in Madrid würde behauptet haben.
Was die Regierung Karls des Fünften für die Niederlande besonders merkwürdig macht, ist die große Glaubensrevolution, welche unter ihr erfolgte und welche uns, als die vornehmste Quelle des nachfolgenden Aufstands, etwas umständlicher beschäftigen soll. Sie zuerst führte die willkürliche Gewalt in das innerste Heiligthum ihrer Verfassung, lehrte sie ein schreckliches Probestück ihrer Geschicklichkeit ablegen und machte sie gleichsam gesetzmäßig, indem sie den republikanischen Geist auf eine gefährliche Spitze stellte. So wie der letztere in Anarchie und Aufruhr hinüber schweifte, erstieg die monarchische Gewalt die äußerste Höhe des Despotismus.
Nichts ist natürlicher, als der Uebergang bürgerlicher Freiheit in Gewissensfreiheit. Der Mensch, oder das Volk, die durch eine glückliche Staatsverfassung mit Menschenwerth einmal bekannt geworden, die das Gesetz, das über sie sprechen soll, einzugehen gewöhnt worden sind oder es auch selber erschaffen haben, deren Geist durch Thätigkeit aufgehellt, deren Gefühle durch Lebensgenuß aufgeschlossen, deren natürlicher Muth durch innere Sicherheit und Wohlstand erhoben worden, ein solches Volk und ein solcher Mensch werden sich schwerer, als andere, in die blinde Herrschaft eines dumpfen despotischen Glaubens ergeben und sich früher, als andere, wieder davon emporrichten. Noch ein anderer Umstand mußte das Wachsthum der neuen Religion in diesen Ländern begünstigen. Italien, damals der Sitz der größten Geistesverfeinerung, ein Land, wo sonst immer die heftigsten politischen Faktionen gewüthet haben, wo ein brennendes Klima das Blut zu den wildesten Affekten erhitzt, Italien, könnte man einwenden, blieb unter allen europäischen Ländern beinahe am meisten von dieser Neuerung frei. Aber einem romantischen Volk, das durch einen warmen und lieblichen Himmel, durch eine üppige, immer junge und immer lachende Natur und die mannigfaltigsten Zaubereien der Kunst in einem ewigen Sinnengenusse erhalten wird, war eine Religion angemessener, deren prächtiger Pomp die Sinne gefangen nimmt, deren geheimnisvolle Räthsel der Phantasie einen unendlichen Raum eröffnen, deren vornehmste Lehren sich durch malerische Formen in die Seele einschmeicheln. Einem Volke im Gegentheil, das, durch die Geschäfte des gemeinen bürgerlichen Lebens zu einer undichterischen Wirklichkeit herabgezogen, in deutlichen Begriffen mehr als in Bildern lebt und auf Unkosten der Einbildungskraft seine Menschenvernunft ausbildet – einem solchen Volk wird sich ein Glaube empfehlen, der die Prüfung weniger fürchtet, der weniger auf Mystik als auf Sittenlehre dringt, weniger angeschaut als begriffen werden kann. Mit kürzern Worten: Die katholische Religion wird im Ganzen mehr für ein Künstlervolk, die protestantische mehr für ein Kaufmannsvolk taugen.
Dies vorausgesetzt, mußte die neue Lehre, welche Luther in Deutschland und Calvin in der Schweiz verbreiteten, in den Niederlanden das günstigste Erdreich finden. Ihre ersten Keime wurden durch die protestantischen Kaufleute, die sich in Amsterdam und Antwerpen sammelten, in die Niederlande geworfen. Die deutschen und schweizerischen Truppen, welche Karl in diese Länder einführte, und die große Menge französischer, deutscher und englischer Flüchtlinge, die dem Schwert der Verfolgung, das in dem Vaterland ihrer wartete, in den Freiheiten Flanderns zu entfliehen suchten, beförderten ihre Verbreitung. Ein großer Theil des niederländischen Adels studierte damals in Genf, weil die Akademie von Löwen noch nicht in Aufnahme war, die von Douai aber noch erst gestiftet werden sollte; die neuen Religionsbegriffe, die dort öffentlich gelehrt wurden, brachte die studierende Jugend mit in ihr Vaterland zurück. Bei einem unvermischten und geschlossenen Volk konnten diese ersten Keime erdrückt werden. Der Zusammenfluß so vieler und so ungleicher Nationen in den holländischen und brabantischen Stapelstädten mußte ihr erstes Wachsthum dem Auge der Regierung entziehen und unter der Hülle der Verborgenheit beschleunigen. Eine Verschiedenheit in der Meinung konnte leicht Raum gewinnen, wo kein gemeinschaftlicher Volkscharakter, keine Einheit der Sitten und der Gesetze war. In einem Lande endlich, wo Arbeitsamkeit die gerühmteste Tugend, Bettelei das verächtlichste Laster war, mußte ein Orden des Müßiggangs, der Mönchsstand, lange anstößig gewesen sein. Die neue Religion, die dagegen eiferte, gewann daher schon unendlich viel, daß sie in diesem Stücke die Meinung des Volks schon auf ihrer Seite hatte. Fliegende Schriften voll Bitterkeit und Satire, denen die neuerfundene Buchdruckerkunst in diesen Ländern einen schnellern Umlauf gab, und mehrere damals in den Provinzen herumziehende Rednerbanden, Rederyker genannt, welche in theatralischen Vorstellungen oder Liedern die Mißbräuche ihrer Zeit verspotteten, trugen nicht wenig dazu bei, das Ansehen der römischen Kirche zu stürzen und der neuen Lehre in den Gemüthern des Volks eine günstige Aufnahme zu bereiten.A. G. d. v. Niederlande. II. Theil. 399; siehe die Note.
Ihre ersten Eroberungen gingen zum Erstaunen geschwind; die Zahl Derer, die sich in kurzer Zeit, vorzüglich in den nördlicheren Provinzen, zu der neuen Sekte bekannten, ist ungeheuer; noch aber überwogen hierinnen die Ausländer bei weitem die gebornen Niederländer. Karl der Fünfte, der bei dieser großen Glaubenstrennung die Partie genommen hatte, die ein Despot nicht verfehlen kann, setzte dem zunehmenden Strome der Neuerung die nachdrücklichsten Mittel entgegen. Zum Unglück für die verbesserte Religion war die politische Gerechtigkeit auf der Seite ihres Verfolgers. Der Damm, der die menschliche Vernunft so viele Jahrhunderte lang von der Wahrheit abgewehrt hatte, war zu schnell weggerissen, als daß der losbrechende Strom nicht über sein angewiesenes Bette hätte austreten sollen. Der wiederauflebende Geist der Freiheit und der Prüfung, der doch nur in den Grenzen der Religionsfragen hätte verharren sollen, untersuchte jetzt auch die Rechte der Könige. – Da man anfangs nur eiserne Fesseln brach, wollte man zusetzt auch die rechtmäßigsten und notwendigsten Bande zerreißen. Die Bücher der Schrift, die nunmehr allgemeiner geworden waren, mußten jetzt dem abenteuerlichsten Fanatismus ebenso gut Gift, als der aufrichtigsten Wahrheitsliebe Licht und Nahrung borgen. Die gute Sache hatte den schlimmen Weg der Rebellion wählen müssen, und jetzt erfolgte, was immer erfolgen wird, so lange Menschen Menschen sein werden. Auch die schlimme Sache, die mit jener nichts als das gesetzwidrige Mittel gemein hatte, durch diese Verwandtschaft dreister gemacht, erschien in ihrer Gesellschaft und wurde mit ihr verwechselt. Luther hatte gegen die Anbetung der Heiligen geeifert – jeder freche Bube, der in ihre Kirchen und Klöster brach und ihre Altäre beraubte, hieß jetzt Lutheraner. Die Faktion, die Raubsucht, der Schwindelgeist, die Unzucht kleideten sich in seine Farbe, die ungeheuersten Verbrecher bekannten sich vor den Richtern zu seiner Sekte. Die Reformation hatte den römischen Bischof zu der fehlenden Menschheit herabgezogen – eine rasende Bande, vom Hunger begeistert, will allen Unterschied der Stände vernichtet wissen. Natürlich, daß eine Lehre, die sich dem Staate nur von ihrer verderblichen Seite ankündigte, einen Monarchen nicht mit sich aussöhnen konnte, der schon so viele Ursachen hatte, sie zu vertilgen – und kein Wunder also, daß er die Waffen gegen sie benutzte, die sie ihm selbst aufgedrungen hatte!
Karl mußte sich in den Niederlanden schon als absoluten Fürsten betrachten, da er die Glaubensfreiheit, die er Deutschland angedeihen ließ, nicht auch auf jene Länder ausdehnte. Während daß er, von der nachdrücklichen Gegenwehr unserer Fürsten gezwungen, der neuen Religion hier eine ruhige Uebung versicherte, ließ er sie dort durch die grausamsten Edikte verfolgen. Das Lesen der Evangelisten und Apostel, alle öffentlichen oder heimlichen Versammlungen, zu denen nur irgend die Religion ihren Namen gab, alle Gespräche dieses Inhalts, zu Hause und über Tische, waren in diesen Edikten bei strengen Strafen untersagt. In allen Provinzen des Landes wurden besondere Gerichte niedergesetzt, über die Vollstreckung der Edikte zu wachen. Wer irrige Meinungen hegte, war, ohne Rücksicht seines Ranges, seiner Bedienung verlustig. Wer überwiesen wurde, ketzerische Lehren verbreitet, oder auch nur den geheimen Zusammenkünften der Glaubensverbesserer beigewohnt zu haben, war zum Tode verdammt, Mannspersonen mit dem Schwert hingerichtet, Weiber aber lebendig begraben. Rückfällige Ketzer übergab man dem Feuer. Diese fürchterlichen Urtheilssprüche konnte selbst der Widerruf des Verbrechers nicht aufheben. Wer seine Irrthümer abschwur, hatte nichts dabei gewonnen, als höchstens eine gelindere Todesart.Thuan. Hist. P. I. L. VI. 300. Grot. L. 1.
Die Lehngüter eines Verurteilten fielen dem Fiscus zu, gegen alle Privilegien des Landes, nach welchen es dem Erben gestattet war, sie mit wenigem Gelde zu lösen. Gegen ein ausdrückliches kostbares Vorrecht des holländischen Bürger, nicht außerhalb seiner Provinz gerichtet zu werden, wurden die Schuldigen aus den Grenzen der vaterländischen Gerichtsbarkeit geführt und durch fremde Tribunale verurtheilt. So mußte die Religion dem Despotismus die Hand führen, Freiheiten, die dem weltlichen Arm unverletzlich waren, mit heiligem Griff ohne Gefahr oder Widerspruch anzutasten.A. G. d. v. N. II. B. 547.
Karl der Fünfte, durch den glücklichen Fortgang seiner Waffen in Deutschland kühner gemacht, glaubte nun alles wagen zu dürfen und dachte ernstlich darauf, die spanische Inquisition in die Niederlande zu pflanzen. Schon allein die Furcht dieses Namens brachte in Antwerpen plötzlich den Handel zum Stillstand. Die vornehmsten fremden Kaufleute stunden im Begriff, die Stadt zu verlassen. Man kaufte und verkaufte nichts mehr. Der Werth der Gebäude fiel, die Handwerke stunden stille. Das Geld verlor sich aus den Händen des Bürgers. Unvermeidlich war der Untergang dieser blühenden Handelsstadt, wenn Karl der Fünfte, durch die Vorstellungen der Statthalterin überführt, diesen gefährlichen Anschlag nicht hätte fallen lassen. Dem Tribunal wurde also gegen auswärtige Kaufleute Schonung empfohlen und der Name der Inquisitoren gegen die mildere Benennung geistlicher Richter vertauscht. Aber in den übrigen Provinzen fuhr dieses Tribunal fort, mit dem unmenschlichen Despotismus zu wüthen, der ihm eigentümlich ist. Man will berechnet haben, daß während Karls des Fünften Regierung fünfzigtausend Menschen, allein der Religion wegen, durch die Hand des Nachrichters gefallen sind.Meteren. I. Th. 1. Buch. 56. 57. Grot. Annal. Belg. L. I. 12. Der Letztere nennt hunderttausend. A. G. d. v. N. Th. II. 519.
Wirft man einen Blick auf das gewaltsame Verfahren dieses Monarchen, so hat man Mühe, zu begreifen, was den Aufruhr, der unter der folgenden Regierung so wüthend hervorbrach, während der seinigen in Schranken gehalten hat. Eine nähere Beleuchtung wird diesen Umstand aufklären. Karls gefürchtete Uebermacht in Europa hatte den niederländischen Handel zu einer Größe erhoben, die ihm vorher niemals geworden war. Die Majestät seines Namens schloß ihren Schiffen alle Häfen auf, reinigte für sie alle Meere und bereitete ihnen die günstigsten Handelsverträge mit auswärtigen Mächten. Durch ihn vorzüglich richteten sie die Oberherrschaft der Hansa in der Ostsee zu Grunde. Die neue Welt, Spanien, Italien, Deutschland, die nunmehr Einen Beherrscher mit ihnen theilten, waren gleichsam als Provinzen ihres eignen Vaterlands zu betrachten und lagen allen ihren Unternehmungen offen. Er hatte ferner die noch übrigen sechs Provinzen mit der burgundischen Erbschaft vereinigt und diesem Staat einen Umfang, eine politische Wichtigkeit gegeben, die ihn den ersten Monarchien Europens an die Seite setzte.Er war auch einmal Willens, ihn zu einem Königreich zu erheben; aber die wesentlichen Verschiedenheiten der Provinz untereinander, die sich von Verfassung und Sitte bis zu Maß und Gewicht erstreckten, brachten ihn von diesem Vorsatz zurück. Wesentlicher hätte der Dienst werden können, den er ihnen durch den burgundischen Vertrag leistete, worin ihr Verhältniß zu dem deutschen Reiche festgesetzt wurde. Diesem Vertrage gemäß sollten die siebenzehn Provinzen zu den gemeinschaftlichen Bedürfnisse des deutschen Reichs zweimal so viel als ein Kurfürst, zu einem Türkenkriege dreimal so viel beitragen, dafür aber den mächtigen Schutz dieses Reichs genießen und an keinem ihrer besondern Vorrechte Gewalt leiden. Die Revolution, welche unter seinem Sohne die politische Verfassung der Provinzen umänderte, hob diesen Vergleich wieder auf, der, des geringen Nutzens wegen, den er geleistet, keiner weiteren Erwähnung verdient. Dadurch schmeichelte er dem Nationalstolze dieses Volks. Nachdem Geldern, Utrecht, Friesland und Gröningen seiner Herrschaft einverleibt waren, hörten alle Privatkriege in diesen Provinzen auf, die so lange Zeit ihren Handel beunruhigt hatten; ein ununterbrochener innerer Friede ließ sie alle Früchte ihrer Betriebsamkeit ernten. Karl war also ein Wohlthäter dieser Völker. Der Glanz seiner Siege hatte zugleich ihre Augen geblendet, der Ruhm ihres Souveräns, der auch auf sie zurückfloß, ihre republikanische Wachsamkeit bestochen; der furchtbare Nimbus von Unüberwindlichkeit, der den Bezwinger Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Afrikas umgab, erschreckte die Faktionen. Und dann – wem ist es nicht bekannt, wie viel der Mensch – er heiße Privatmann oder Fürst – sich erlauben darf, dem es gelungen ist, die Bewunderung zu fesseln! Seine öftere persönliche Gegenwart in diesen Ländern, die er, nach seinem eignen Geständniß, zu zehen verschiedenen Malen besuchte, hielt die Mißvergnügten in Schranken; die wiederholten Auftritte strenger und fertiger Justiz unterhielten das Schrecken der souveränen Gewalt. Karl endlich war in den Niederlanden geboren und liebte die Nation, in deren Schooß er erwachsen war. Ihre Sitten gefielen ihm, das Natürliche ihres Charakters und Umgangs gab ihm eine angenehme Erholung von der strengen spanischen Gravität. Er redete ihre Sprache und richtete sich in seinem Privatleben nach ihren Gebräuchen. Das drückende Ceremoniell, die unnatürliche Scheidewand zwischen König und Volk, war aus Brüssel verbannt. Kein scheelsüchtiger Fremdling sperrte ihnen den Zugang zu ihrem Fürsten – der Weg zu ihm ging durch ihre eigenen Landsleute, denen er seine Person anvertraute. Er sprach viel und gerne mit ihnen; sein Anstand war gefällig, seine Reden verbindlich. Diese kleinen Kunstgriffe gewannen ihm ihre Liebe, und während daß seine Armeen ihre Saatfelder niedertraten, seine räuberischen Hände in ihrem Eigenthum wühlten, während daß seine Statthalter preßten, seine Nachrichter schlachteten, versicherte er sich ihrer Herzen durch eine freundliche Miene.
Gern hätte Karl diese Zuneigung der Nation auf seinen Sohn Philipp forterben gesehen. Aus keinem andern Grunde ließ er ihn noch in seiner Jugend aus Spanien kommen und zeigte ihn in Brüssel seinem künftigen Volk. An dem feierlichen Tag seiner Thronentsagung empfahl er ihm diese Länder als die reichsten Steine in seiner Krone und ermahnte ihn ernstlich, ihrer Verfassung zu schonen.
Philipp der Zweite war in allem, was menschlich ist, das Gegenbild seines Vaters. Ehrsüchtig, wie dieser, aber weniger bekannt mit Menschen und Menschenwerth, hatte er sich ein Ideal von der königlichen Herrschaft entworfen, welches Menschen nur als dienstbare Organe der Willkür behandelt und durch jede Aeußerung der Freiheit beleidigt wird. In Spanien geboren und unter der eisernen Zuchtruthe des Mönchthums erwachsen, forderte er auch von Andern die traurige Einförmigkeit und den Zwang, die sein Charakter geworden waren. Der fröhliche Muthwille der Niederländer empörte sein Temperament und seine Gemüthsart nicht weniger, als ihre Privilegien seine Herrschsucht verwundeten. Er sprach keine andere, als die spanische Sprache, duldete nur Spanier um seine Person und hing mit Eigensinn an ihren Gebräuchen. Umsonst, daß der Erfindungsgeist aller flandrischen Städte, durch die er zog, in kostbaren Festen wetteiferte, seine Gegenwart zu verherrlichenDie Stadt Antwerpen allein verschwendete bei dieser Gelegenheit 200,000 Goldgulden. Meteren I. Theil. I. Bd. 21. 22. – Philipps Auge blieb finster, alle Verschwendungen der Pracht, alle lauten üppigen Ergießungen der redlichsten Freude konnten kein Lächeln des Beifalls in seine Mienen locken.A. G. d. v. N. II. 512.
Karl verfehlte seine Absicht ganz, da er seinen Sohn den Flämingern vorstellte. Weniger drückend würden sie in der Folge sein Joch gefunden haben, wenn er seinen Fuß nie in ihr Land gesetzt hätte. Aber sein Anblick kündigte es ihnen an; sein Eintritt in Brüssel hatte ihm alle Herzen verloren. Des Kaisers freundliche Hingebung an dies Volk diente jetzt nur dazu, den hochmüthigen Ernst seines Sohnes desto widriger zu erheben. In seinem Angesicht hatten sie den verderblichen Anschlag gegen ihre Freiheit gelesen, den er schon damals in seiner Brust auf- und niederwälzte. Sie waren vorbereitet, einen Tyrannen in ihm zu finden, und gerüstet, ihm zu begegnen.
Die Niederlande waren der erste Thron, von welchem Karl der Fünfte herunterstieg. Vor einer feierlichen Versammlung in Brüssel löste er die Generalstaaten ihres Eides und übertrug ihn auf König Philipp, seinen Sohn. »Wenn Euch mein Tod« (beschloß er endlich gegen diesen) »in den Besitz dieser Länder gesetzt hätte, so würde mir ein so kostbares Vermächtniß schon einen großen Anspruch auf Eure Dankbarkeit geben. Aber jetzt, da ich sie Euch aus freier Wahl überlasse, da ich zu sterben eile, um Euch den Genuß derselben zu beschleunigen, jetzt verlange ich von Euch, daß Ihr diesen Völkern bezahlet, was Ihr mir mehr dafür schuldig zu sein glaubt. Andere Fürsten wissen sich glücklich, mit der Krone, die der Tod ihnen abfordert, ihre Kinder zu erfreuen. Diese Freude will ich noch selbst mit genießen, ich will Euch leben und regieren sehen. Wenige werden meinem Beispiele folgen, Wenige sind mir darin vorangegangen. Aber meine Handlung wird lobenswürdig sein, wenn Euer künftiges Leben meine Zuversicht rechtfertigt, wenn Ihr nie von der Weisheit weichet, die Ihr bisher bekannt habt, wenn Ihr in der Reinigkeit des Glaubens unerschütterlich verharret, der die festeste Säule Eures Thrones ist. Noch Eines setze ich hinzu. Möge der Himmel auch Euch mit einem Sohne beschenkt haben, dem Ihr die Herrschaft abtreten könnet – aber nicht müsset.«
Nachdem der Kaiser geendigt hatte, kniete Philipp vor ihm nieder, drückte sein Gesicht auf dessen Hand und empfing den väterlichen Segen. Seine Augen waren feucht zum letztenmal. Es weinte alles, was herum stand. Es war eine unvergeßliche Stunde.Strada. Dec. I. L. I. 4. 5. Meteren I. B. 1. Buch 28. . Thuan. Hist. P. I. L. XVI. 769.
Diesem rührenden Gaukelspiel folgte bald ein anderes. Philipp nahm von den versammelten Staaten die Huldigung an und legte den Eid ab, der ihm in folgenden Worten vorgelesen wurde: »Ich, Philipp, von Gottes Gnaden Prinz von Spanien, beiden Sicilien u. s. f., gelobe und schwöre, daß ich in den Ländern, Grafschaften, Herzogthümern u. s. f. ein guter und gerechter Herr sein, daß ich aller Edeln, Städte, Gemeinen und Unterthanen Privilegien und Freiheiten, die ihnen von meinen Vorfahren verliehen worden, und ferner ihre Gewohnheiten, Herkommen, Gebräuche und Rechte, die sie jetzt überhaupt und insbesondere haben und besitzen, wohl und getreulich halten und halten lassen, und ferner alles dasjenige üben wolle, was einem guten und gerechten Prinzen und Herrn von Rechtswegen zukommt. So müsse mir Gott helfen und alle seine Heiligen!«A. G. d. vereinigten Niederlande II. Theil. 515.
Die Furcht welche die willkürliche Regierung des Kaisers eingeflößt hatte, und das Mißtrauen der Stände gegen seinen Sohn sind schon in dieser Eidesformel sichtbar, die weit behutsamer und bestimmter verfaßt war, als Karl der Fünfte selbst und alle burgundischen Herzoge sie beschworen haben. Philipp mußte nunmehr auch die Aufrechthaltung ihrer Gebräuche und Gewohnheiten angeloben, welches vor ihm nie verlangt worden war. In dem Eide, den die Stände ihm leisteten,Ebendaselbst 516. wird ihm kein anderer Gehorsam versprochen, als der mit den Privilegien des Landes bestehen kann. Seine Beamten haben nur dann auf Unterwerfung und Beistand zu rechnen, wenn sie ihr anvertrautes Amt nach Obliegenheit verwalten. Philipp endlich wird in diesem Huldigungseid der Stände nur der natürliche, der geborne Fürst, nicht Souverän oder Herr genannt, wie der Kaiser gewünscht hatte – Beweise genug, wie klein die Erwartungen waren, die man sich von der Gerechtigkeit und Großmuth des neuen Landesherrn bildet.