Friedrich Schiller
Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande
Friedrich Schiller

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Philipp der Zweite, Beherrscher der Niederlande.

Philipp der Zweite empfing die Niederlande in der höchsten Blüthe ihres Wohlstandes. Er war der erste ihrer Fürsten, der sie vollzählig antraf. Sie bestanden nunmehr aus siebenzehn Landschaften: den vier Herzogtümern Brabant, Limburg, Luxemburg, Geldern, den sieben Grafschaften Artois, Hennegau, Flandern, Namur, Zütphen, Holland und Seeland, der Markgrafschaft Antwerpen und den fünf Herrlichkeiten Friesland, Mecheln, Utrecht, Oberyssel und Gröningen, welche verbunden einen großen und mächtigen Staat ausmachten, der mit Königreichen wetteifern konnte. Höher, als er damals stand, konnte ihr Handel nicht mehr steigen. Ihre Goldgruben waren über der Erde, aber sie waren unerschöpflicher und reicher, als alle Minen in Amerika. Diese siebenzehn Provinzen, die zusammengenommen kaum den fünften Theil Italiens betragen und sich nicht über dreihundert flandrische Meilen erstrecken, brachten ihrem Beherrscher nicht viel weniger ein, als ganz Britannien seinen Königen trug, ehe diese noch die geistlichen Güter zu ihrer Krone schlugen. Dreihundert und fünfzig Städte, durch Genuß und Arbeit lebendig, viele darunter ohne Bollwerke fest, und ohne Mauern geschlossen, sechstausend dreihundert größere Flecken, geringere Dörfer, Maiereien und Bergschlösser ohne Zahl vereinigen dieses Reich in eine einzige blühende Landschaft.Strad. Dec. I. L. I. 17. 18.  Thuan. II. 482. Eben jetzt stand die Nation im Meridian ihres Glanzes; Fleiß und Ueberfluß hatten das Genie des Bürgers erhoben, seine Begriffe aufgehellt, seine Neigungen veredelt; jede Blüthe des Geistes erschien mit der Blüthe des Landes. Ein ruhigeres Blut, durch einen strengeren Himmel gekältet, läßt die Leidenschaften hier weniger stürmen; Gleichmuth, Mäßigkeit und ausdauernde Geduld, Geschenke dieser nördlichern Zone; Redlichkeit, Gerechtigkeit und Glaube, die notwendigen Tugenden seines Gewerbes; und seiner Freiheit liebliche Früchte, Wahrheit, Wohlwollen und patriotischer Stolz spielen hier in sanftern Mischungen mit menschlicheren Lastern. Kein Volk auf Erden wird leichter beherrscht durch einen verständigen Fürsten, und keines schwerer durch einen Gaukler oder Tyrannen. Nirgends ist die Volksstimme eine so unfehlbare Richterin der Regierung, als hier. Wahre Staatskunst kann sich in keiner rühmlichern Probe versuchen, und sieche gekünstelte Politik hat keine schlimmere zu fürchten.

Ein Staat, wie dieser, konnte mit Riesenstärke handeln und ausdauern, wenn das dringende Bedürfniß seine Kraft aufbot, wenn eine kluge und schonende Verwaltung seine Quellen eröffnete. Karl der Fünfte verließ seinem Nachfolger eine Gewalt in diesen Ländern, die von einer gemäßigten Monarchie wenig verschieden war. Das königliche Ansehen hatte sich merklich über die republikanische Macht erhoben, und diese zusammengesetzte Maschine konnte nunmehr beinahe so sicher und schnell in Bewegung gesetzt werden, als ein ganz unterwürfiger Staat. Der zahlreiche, sonst so mächtige Adel folgte dem Souverän jetzt willig in seinen Kriegen oder buhlte in Aemtern des Friedens um das Lächeln der Majestät. Die verschlagene Politik der Krone hatte neue Güter der Einbildung erschaffen, von denen sie allein die Vertheilerin war. Neue Leidenschaften und neue Meinungen von Glück verdrängten endlich die rohe Einfalt republikanischer Tugend. Stolz wich der Eitelkeit, Freiheit der Ehre, dürftige Unabhängigkeit einer wollüstigen lachenden Sklaverei. Das Vaterland als unumschränkter Satrap eines unumschränkten Herrn zu drücken oder zu plündern, war eine mächtigere Reizung für die Habsucht und den Ehrgeiz der Großen, als den hundertsten Theil der Souveränetät auf dem Reichstag mit ihm zu theilen. Ein großer Theil des Adels war überdies in Armuth und schwere Schulden versunken. Unter dem scheinbaren Vorwand von Ehrenbezeugungen hatte schon Karl der Fünfte die gefährlichsten Vasallen der Krone durch kostbare Gesandtschaften an fremde Höfe geschwächt. So wurde Wilhelm von Oranien mit der Kaiserkrone nach Deutschland und Graf von Egmont nach England geschickt, die Vermählung Philipps mit der Königin Maria zu schließen. Beide begleiteten auch nachher den Herzog von Alba nach Frankreich, den Frieden zwischen beiden Kronen und die neue Verbindung ihres Königs mit Madame Elisabeth zu stiften. Die Unkosten dieser Reise beliefen sich auf dreihunderttausend Gulden, wovon der König auch nicht einen Heller ersetzte. Als der Prinz von Oranien, an der Stelle des Herzogs von Savoyen, Feldherr geworden war, mußte er allein alle Unkosten tragen, die diese Würde nothwendig machte. Wenn fremde Gesandte oder Fürsten nach Brüssel kamen, lag es den niederländischen Großen ob, die Ehre ihres Königs zu retten, der allein speiste und niemals öffentliche Tafel gab. Die spanische Politik hatte noch sinnreichere Mittel erfunden, die reichsten Familien des Landes nach und nach zu entkräften. Alle Jahre erschien einer von den castilianischen Großen in Brüssel, wo er eine Pracht verschwendete und einen Aufwand machte, der sein Vermögen weit überstieg. Ihm darin nachzustehen, hätte in Brüssel für einen unauslöschlichen Schimpf gegolten. Alles wetteiferte, ihn zu übertreffen, und erschöpfte in diesen theuern Wettkämpfen sein Vermögen, indessen der Spanier noch zur rechten Zeit wieder nach Hause kehrte und die Verschwendung eines einzigen Jahres durch eine vierjährige Mäßigkeit wieder gut machte. Mit jedem Ankömmling um den Preis des Reichthums zu buhlen, war die Schwäche des niederländischen Adels, welche die Regierung recht gut zu nutzen verstand. Freilich schlugen diese Künste nachher nicht so glücklich für sie aus, als sie berechnet hatte; denn eben diese drückenden Schuldenlasten machten den Adel jeder Neuerung günstiger, weil Derjenige, welcher alles verloren, in der allgemeinen Verwüstung nur zu gewinnen hat.Reidanus L. I. 2.

Die Geistlichkeit war von jeher eine Stütze der königlichen Macht und mußte es sein. Ihre goldene Zeit fiel immer in die Gefangenschaft des menschlichen Geistes, und wie jene sehen Wir sie vom Blödsinn und von der Sinnlichkeit ernten. Der bürgerliche Druck macht die Religion notwendiger und theurer; blinde Ergebung in Tyrannengewalt bereitet die Gemüther zu einem blinden, bequemen Glauben, und mit Wucher erstattet dem Despotismus die Hierarchie seine Dienste wieder. Die Bischöfe und Prälaten im Parlamente waren eifrige Sachwalter der Majestät und immer bereit, dem Nutzen der Kirche und dem Staatsvortheil des Souveräns das Interesse des Bürgers zum Opfer zu bringen. Zahlreiche und tapfere Besatzungen hielten die Städte in Furcht, die zugleich noch durch Religionsgezänke und Faktionen getrennt und ihrer mächtigsten Stütze so ungewiß waren. Wie wenig erforderte es also, dieses Uebergewicht zu bewahren, und wie ungeheuer mußte das Versehen sein, wodurch es zu Grunde ging!

So groß Philipps Einfluß in diesen Ländern war, so großes Ansehen hatte die spanische Monarchie damals in ganz Europa gewonnen. Kein Staat durfte sich mit ihr auf den Kampfboden wagen. Frankreich, ihr gefährlichster Nachbar, durch einen schweren Krieg und noch mehr durch innere Faktionen entkräftet, die unter einer kindischen Regierung ihr Haupt erhuben, ging schon mit schnellen Schritten der unglücklichen Epoche entgegen, die es, beinahe ein halbes Jahrhundert lang, zu einem Schauplatz der Abscheulichkeit und des Elends gemacht hat. Kaum konnte Elisabeth von England ihren eignen, noch wankenden Thron gegen die Stürme der Parteien, ihre neue, noch unbefestigte Kirche gegen die verborgenen Versuche der Vertriebenen schützen. Erst auf ihren schöpferischen Ruf sollte dieser Staat aus einer demüthigen Dunkelheit steigen und die lebendige Kraft, womit er seinen Nebenbuhler endlich darniederringt, von der fehlerhaften Politik dieses letztern empfangen. Das deutsche Kaiserhaus war durch die zweifachen Bande des Bluts und des Staatsvortheils an das spanische geknüpft, und das wachsende Kriegsglück Solimans zog seine Aufmerksamkeit mehr auf den Osten als auf den Westen von Europa. Dankbarkeit und Furcht versicherten Philipp die italienischen Fürsten, und das Conclave beherrschten seine Geschöpfe. Die Monarchien des Nordens lagen noch in barbarischer Nacht oder fingen nur eben an, Gestalt anzunehmen, und das Staatssystem von Europa kannte sie nicht. Die geschicktesten Generale, zahlreiche sieggewohnte Armeen, eine gefürchtete Marine und der reiche goldne Tribut, der nun erst anfing, regelmäßig und sicher aus Westindien einzulaufen – welche furchtbare Werkzeuge in der festen und steten Hand eines geistreichen Fürsten! Unter so glücklichen Sternen eröffnete König Philipp seine Regierung.

Ehe wir ihn handeln sehen, müssen wir einen flüchtigen Blick in seine Seele thun und hier einen Schlüssel zu seinem politischen Leben aufsuchen. Freude und Wohlwollen fehlten in diesem Gemüthe. Jene versagten ihm sein Blut und seine frühen finstern Kinderjahre; dieses konnten Menschen ihm nicht geben, denen das süßeste und mächtigste Band an die Gesellschaft mangelte. Zwei Begriffe, sein Ich, und was über diesem Ich war, füllten seinen dürftigen Geist aus. Egoismus und Religion sind der Inhalt und die Ueberschrift seines ganzen Lebens. Er war König und Christ, und war beides schlecht, weil er beides vereinigen wollte; Mensch für Menschen war er niemals, weil er von seinem Selbst nur aufwärts, nie abwärts stieg. Sein Glaube war grausam und finster, denn seine Gottheit war ein schreckliches Wesen. Er hatte nichts mehr von ihr zu empfangen, aber zu fürchten. Dem geringen Mann erscheint sie als Trösterin, als Erretterin; ihm war sie ein aufgestelltes Angstbild, eine schmerzhafte, demüthigende Schranke seiner menschlichen Allmacht. Seine Ehrfurcht gegen sie war um so tiefer und inniger, je weniger sie sich auf andere Wesen vertheilte. Er zitterte knechtisch vor Gott, weil Gott das Einzige war, wovor er zu zittern hatte. Karl der Fünfte eiferte für die Religion, weil die Religion für ihn arbeitete; Philipp that es, weil er wirklich an sie glaubte. Jener ließ um des Dogma willen mit Feuer und Schwert gegen Tausende wüthen, und er selbst verspottete in der Person des Papstes, seines Gefangenen, den Lehrsatz, dem er Menschenblut opferte; Philipp entschließt sich zu dem gerechtesten Kriege gegen diesen nur mit Widerwillen und Gewissensfurcht und begibt sich aller Früchte seines Sieges, wie ein reuiger Missethäter seines Raubs. Der Kaiser war Barbar aus Berechnung, sein Sohn aus Empfindung. Der Erste war ein starker und aufgeklärter Geist, aber vielleicht ein desto schlimmerer Mensch; der Zweite war ein beschränkter und schwacher Kopf, aber er war gerechter.

Beide aber, wie mich dünkt, konnten bessere Menschen gewesen sein, als sie wirklich waren, und im Ganzen nach denselben Maßregeln gehandelt haben. Was wir dem Charakter der Person zur Last legen, ist sehr oft das Gebrechen, die notwendige Ausflucht der allgemeinen menschlichen Natur. Eine Monarchie von diesem Umfang war eine zu starke Versuchung für den menschlichen Stolz und eine zu schwere Aufgabe für menschliche Kräfte. Allgemeine Glückseligkeit mit der höchsten Freiheit des Individuums zu paaren, gehört für den unendlichen Geist, der sich auf alle Theile allgegenwärtig verbreitet. Aber welche Auskunft trifft der Mensch in der Lage des Schöpfers? Der Mensch kommt durch Classification seiner Beschränkung zu Hilfe, gleich dem Naturforscher setzt er Kennzeichen und eine Regel fest, die seinem schwankenden Blick die Uebersicht erleichtert, und wozu sich alle Individuen bekennen müssen; dieses leistet ihm die Religion. Sie findet Hoffnung und Furcht in jede Menschenbrust gesäet; indem sie sich dieser Triebe bemächtigt, diese Triebe einem Gegenstande unterjocht, hat sie Millionen selbständiger Wesen in ein einförmiges Abstrakt verwandelt. Die unendliche Mannigfaltigkeit der menschlichen Willkür verwirrt ihren Beherrscher jetzt nicht mehr – jetzt gibt es ein allgemeines Uebel und ein allgemeines Gut, das er zeigen und entziehen kann, das auch da, wo er nicht ist, mit ihm einverstanden wirket. Jetzt gibt es eine Grenze, an welcher die Freiheit stille steht, eine ehrwürdige heilige Linie, nach welcher alle streitenden Bewegungen des Willens zuletzt einlenken müssen. Das gemeinschaftliche Ziel des Despotismus und des Priesterthums ist Einförmigkeit, und Einförmigkeit ist ein nothwendiges Hilfsmittel der menschlichen Armuth und Beschränkung. Philipp mußte um so viel mehr Despot sein, als sein Vater, um so viel enger sein Geist war; oder mit andern Worten, er mußte sich um so viel ängstlicher an allgemeine Regeln halten, je weniger er zu den Arten und Individuen herabsteigen konnte. Was folgt aus diesem allem? Philipp der Zweite konnte kein höheres Anliegen haben, als die Gleichförmigkeit des Glaubens und der Verfassung, weil Er ohne diese nicht regieren konnte.

Und doch würde er seine Regierung mit mehr Gelindigkeit und Nachsicht eröffnet haben, wenn er sie früher angetreten hätte. In dem Urtheil, das man gewöhnlich über diesen Fürsten fällt, scheint man auf einen Umstand nicht genug zu achten, der bei der Geschichte seines Geistes und Herzens billig in Betrachtung kommen sollte. Philipp zählte beinahe dreißig Jahre, da er den spanischen Thron bestieg, und sein frühe reifer Verstand hatte vor der Zeit seine Volljährigkeit beschleunigt. Ein Geist, wie der seinige, der seine Reife fühlte und mit größern Hoffnungen nur allzu vertraut worden war, konnte das Joch der kindlichen Unterwürfigkeit nicht anders als mit Widerwillen tragen; das überlegene Genie des Vaters und die Willkür des Alleinherrschers mußte den selbst zufriedenen Stolz dieses Sohnes drücken. Der Antheil, den ihm jener an der Reichsverwaltung gönnte, war eben erheblich genug, seinen Geist von kleineren Leidenschaften abzuziehen und den strengen Ernst seines Charakters zu unterhalten, aber auch gerade sparsam genug, sein Verlangen nach der unumschränkten Gewalt desto lebhafter zu entzünden. Als er wirklich davon Besitz nahm, hatte sie den Reiz der Neuheit für ihn verloren. Die süße Trunkenheit eines jungen Monarchen, der von der höchsten Gewalt überrascht wird, jener freudige Taumel, der die Seele jeder sanftern Regung öffnet und dem die Menschheit schon manche wohlthätige Stiftung abgewann, war bei ihm längst vorbei, oder niemals gewesen. Sein Charakter war gehärtet, als ihn das Glück auf diese wichtige Probe stellte, und seine befestigten Grundsätze widerstanden dieser wohlthätigen Erschütterung. Fünfzehn Jahre hatte er Zeit gehabt, sich zu diesem Uebergang anzuschicken, und anstatt bei den Zeichen seines neuen Standes jugendlich zu verweilen oder den Morgen seiner Regierung im Rausch einer müßigen Eitelkeit zu verlieren, blieb er gelassen und ernsthaft genug, sogleich in den gründlichen Besitz seiner Macht einzutreten und durch ihren vollständigsten Gebrauch ihre lange Entbehrung zu rächen.


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