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... Liebe ist der Seele Sonne! Auf diesem Erdenrund, wo alles schwindet, Gibt's nur ein Göttliches: es ist die Liebe! Das Leben ist nur einer Blüte gleich, Ihr Honig ist die Liebe; eine Taube, Die mit dem Adler sich im Himmel eint. |
Victor Hugo. |
Erschüttre meine Seele nicht, die du Nach deinem Willen nicht bewegen kannst. Du machst dir Müh' und mir erregst du Schmerzen: Vergebens beides; darum laß mich nun. |
Goethe. |
Nachdem die Versammlung, wie eben erwähnt worden, ihrer Zufriedenheit mit dem Ausgange der Okippe Luft gemacht hatte, versank sie wieder in ihre frühere ernste und schweigsame Haltung.
Mit dem Abtreten der Gemarterten vom Schauplatze verstummte auch die Musik, und Stille breitete sich über die Szene aus.
Der Ober-Powow richtete sodann abermals ein Dankgebet an den guten Geist, durchschritt hierauf den Platz und ging auf die Stelle zu, welche Metakom, einer sitzenden Bildsäule gleich, noch immer inne hatte.
Wer den Häuptling näher ins Auge gefaßt hätte, würde bemerkt haben, daß seine Züge mehr gefurcht waren, sein Auge weniger stolz leuchtete als vor wenigen Monaten, zur Zeit, wo er seinen ersten Sieg über die verhaßten Blaßgesichter davongetragen. Wie schwer die Hand des Unglücks seither auf seinem Haupt gewuchtet, mochte ein aufmerksamer Beobachter schon daran erkennen, daß die von uns früher erwähnte Falte zwischen seinen Brauen jetzt eine fingertiefe Höhlung bildete und so von der Nasenwurzel an fast über die ganze Höhe der Stirn hinlief. Seine hohe, muskulöse Gestalt war nicht gebeugt, aber um seinen Mundwinkel lief jener Zug, wie ihn verbissener Schmerz dorthin zu schreiben pflegt, und wenn er den Ausdruck seines Auges nicht gerade beherrschte, so zeugte derselbe von einer innerlich kochenden Verbitterung, von einem verzweifelten Ingrimm, welcher Furcht einzuflößen wohl geeignet war.
König Philipps Lage war trostlos genug, um eine solche Stimmung zu rechtfertigen. Die Nachricht von der Niederlage und dem Ausgange seines Bundesgenossen, des Sachems der Naragansetter, hatte ihm die traurige Überzeugung aufdringen müssen, daß sein umfassend angelegter, mit jahrelanger Mühwaltung geförderter Plan eines Vernichtungskrieges gegen die weißen Eindringlinge gescheitert wäre, und daß ihm nichts mehr übrig bliebe, als auf die Rettung der Überbleibsel seines eigenen Stammes bedacht zu sein. Wenigstens für jetzt. Denn nachdem er, um Zeit zu gewinnen, den gefangenen Standish mit Friedensvorschlägen an die Kolonisten abgeordnet, hatte sein ruheloser Geist sogleich wieder die Möglichkeit, den Kampf zu erneuern, ins Auge gefaßt. In erster Linie stand hierbei die Aussicht, die Schiffsmannschaft De Lussans zu sofortiger und direkter Teilnahme an dem Kriege herbeiziehen zu können, aber wenn es auch der Flibustier mit den Mitteln, seine Absichten zu erreichen, nicht gar zu genau zu nehmen gewohnt war, so hatte sich sein ritterlicher Sinn doch zu tief verletzt gefühlt durch die Art und Weise der indianischen Kriegführung, als daß er, zudem noch durch persönlich erfahrene Unbill gereizt, den Vorschlägen des Sachems ein geneigtes Ohr geliehen hätte. Indessen war es dem Scharfblicke Metakoms nicht entgangen, daß der Flibustier zu Lovely und den Ihrigen in Beziehungen stand, welche er, Metakom, zwar nicht völlig zu enträtseln vermochte, welche aber jedenfalls der Art waren, daß sich aus denselben zugunsten seiner Forderung Vorteil ziehen ließ. Deshalb behandelte er nicht nur De Lussan selber, sondern auch die beiden Obersten und Lovely, wenn er sie auch gefangen und sogar gefesselt hielt, immer noch mit Rücksicht und hatte auch das Ansinnen Mortons, ihm die beiden Engländer auszuliefern, ausweichend beantwortet. Was dagegen Thorkil betrifft, so hatte der Sachem beschlossen, sich des jungen Jägers zu entledigen, sobald ihm dieser bei seiner Ankunft im Lager die Anklage des Meuchelmords, begangen an seinem Vater, ins Gesicht geschleudert hatte. Diese Anklage war eine nur zu wohl begründete. Das Motiv dieser Untat, welche übrigens in dem indianischen Moralkodex nicht für eine solche galt, war einfach das Verlangen gewesen, sich des Schatzes zu bemächtigen, dessen Vorhandensein Pe-toh-pi-kiß, welchen Metakom allerdings als Kundschafter in das Haus Eatons gesandt, dem Häuptling verraten hatte. Schon damals war der Sachem von seinem großen Lebenszwecke ganz erfüllt gewesen, und er hatte von den Weißen gelernt, daß der Besitz von Gold zur Realisierung seiner kriegerischen Pläne bedeutend mitzuwirken imstande sein würde. Die Art, wie er sich Thorkil für immer vom Halse schaffen wollte, war übrigens charakteristisch für seinen Haß gegen das ganze Geschlecht der Blaßgesichter, insofern er zum Werkzeuge des beabsichtigten Mordes einen Weißen, den brüllenden Tom, ausersehen hatte, den die eigene Rachgier dazu ganz willig machte. Der Blick des Sachems reichte jedoch über das Zunächstliegende, über dieses finstere Gewirre von Mißgeschick und Leidenschaft, weit hinaus. Er wandte – und darum hauptsächlich lag ihm soviel daran, daß er durch einen günstigen Erfolg seines Friedensbotschafters Standish Zeit gewänne – das Auge seines Geistes den Ländern gegen Sonnenuntergang zu, in deren unermeßlichen Wildnissen Tausende und aber Tausende von roten Kriegern hausten, die er für seine, wir müssen sagen, patriotischen Absichten gewinnen zu können hoffte. Ungesäumt wollte er an diesen Versuch gehen, sowie er aus der Klemme des Augenblicks heraus wäre – sicherlich ein Beweis, daß in diesem Manne eine Energie lebte, welche nicht einer besseren Sache, denn in indianischen Augen war sie ja die beste, aber eines besseren Erfolges würdig genannt werden muß.
Der Ober-Powow blieb vor dem Häuptlinge stehen und wartete der indianischen Etikette gemäß, bis er zum Reden aufgefordert wurde.
»Metakoms Ohren sind offen,« sagte der Sachem nach einer Pause. »Was hat mein Vater mir zu sagen?«
»Mahtoiohpah,« entgegnete der Powow, »hat die Gebräuche der Okippe erfüllt, wie die Überlieferungen der Kinder des Manitu sie vorschreiben.«
»Und ist der Manitu seinem Volke gnädig gewesen?«
»Der Sachem hat gesehen, wie der Ochkih-Häddäh es unternahm, die heiligen Bräuche zu stören. Er hat gesehen, wie der böse Geist mittels der Wunderkraft der Medizinpfeife, welche Numank-Machana an Mahtotohpah gegeben, in die Flucht getrieben wurde. Er hat gesehen, wie meine jungen Männer dem Ochkih-Häddäh zum Trotze den Bellohknähpick tanzten, wie sie dem Pohkhong sich unterwarfen und das Ehkenahkanahpick aushielten. Meine jungen Männer sind sehr wacker, echte Sprößlinge vom Wampanogenstamm. Der Manitu hat sich ihnen gnädig erwiesen. Der Sachem mag sich freuen: wann morgen das große Gestirn aufgeht, werden zwölf Krieger mehr bereit sein, auf seinen Wink den Tomahawk in den Kriegspfahl zu schlagen.«
»Es ist gut,« erwiderte Metakom, indem er eine achtungsvolle Gebärde mit der Hand machte.
Die ganze Versammlung lauschte dieser Unterredung mit lautloser Aufmerksamkeit.
Nach einer Weile nahm Metakom wieder das Wort und sagte zu dem Medizinmann:
»Mein Vater weiß, der Manitu hatte sein Angesicht hinter Wolken verborgen, so daß es seinen Kindern nicht, leuchtete. Trauer zog in unsere Herzen ein, und unsere Füße strauchelten auf dem dunkeln Pfade. Kummer beulte unsere Häupter zur Erde, wie der Winterschnee die Äste der Schirlingstanne. Wir trauerten still, wie das vom Pfeil getroffene Elentier, oder brüllten vor Schmerz, wie der von Wölfen eingehegte und von ihren Zähnen zerfleischte Büffel. – Mein Vater Mahtotohpah ist ein großer Powow. Er raunte Metakom in die Ohren, der Manitu verlange nach einer Okippe zur Sühnung seines Zorns, und Metakom zauderte nicht, den Willen des großen Geistes zu erfüllen. Die Okippe hat stattgefunden; sie ist wohl bestanden worden. Meine jungen Männer zeigten, daß sie die Sehnen und den Mut ihrer Väter geerbt haben. Der Stamm der Wampanogen treibt noch immer kräftige Zweige. Doch mein Vater helfe mir, den Sinn des Manitu zu verstehen. Mahtotohpah ist ein großer Powow, sein Blick dringt über die Nebel hinaus, welche Metakoms Blick umdunkeln. Mein Vater sage mir: Ist der Zorn des Manitu gesühnt? Ist die Wolke von seinem Angesicht entfernt? Ist seine Hand wieder segnend über mein Volk erhoben?«
Der Powow zögerte einige Sekunden mit seiner Antwort. Dann, nachdem er den Kopf gegen den Himmel gerichtet, wie um dessen unendliche Tiefen zu prüfen, versetzte er:
»Ich sehe den Manitu seine Hand erheben, um die Wolke wegzutun von seinem Antlitz.«
»Und was sieht mein Vater weiter?«
»Mahtotohpah sieht –«
Eine leise Bewegung in der Reihe der hinter Metakom sitzenden Häuptlinge unterbrach den Powow und machte den Sachem umschauen.
Er bemerkte, daß Annawon, welcher dort seinen Platz hatte, aufgestanden war, ohne jedoch zu sprechen.
»Mahtotohpah sieht,« fuhr der Powow fort, »daß der Ochkih-Häddäh auf neuen Trug gegen die Kinder des Manitu sinnt, aber die Kraft der Medizinpfeife hält ihn fern.«
»Ugh!« machte Annawon und streckte seinen Arm gegen das Gebüsch aus, welches die westliche Seite des Platzes begrenzte.
Metakoms Blick richtete sich ebenfalls dorthin. Dann berührte der Sachem mit dem Zeigefinger seiner Rechten den Zauberstab des Powows und sagte:
»Mein Vater ist ein großer Medizinmann, seine Medizin ist stark, aber die Macht des bösen Geistes ist noch nicht gebrochen. Mein Vater mag sich umkehren und seine Augen öffnen.«
Der Powow gehorchte dieser Weisung und rief alsbald im Tone der Überraschung:
»Ochkih-Häddäh!«
»Ochkih-Häddäh!« echote das Angstgeschrei der Weiber seinen Ausruf.
Die gräßliche Gestalt des bösen Geistes war wieder aus dem Dickicht aufgetaucht, und schon stürzte er hervor, rannte auf die Medizinhütte zu, umkreiste sie in rasenden Sprüngen dreimal, stieß ein rauhes Gebrüll aus und schüttelte dräuend seinen schwarzen Stab mit der roten Kugel gegen die Versammlung.
»Die Wolke dunkelt noch vor dem Angesichte des Manitu,« sagte Metakom. »Sein Zorn ist noch nicht gesühnt. Die Medizin der Medizinpfeife ist groß, aber der Ochkih-Häddäh spottet ihrer.«
Der Powow machte sich sogleich daran, diese Meinung zu widerlegen. Er faßte die Pfeife wieder mit beiden Händen, hielt sie aufrecht vor sich hin und schritt auf den brüllenden Vertreter des bösen Prinzips los.
Nun wiederholte sich die schon einmal abgespielte Szene. Der Ochkih-Häddäh vermochte vor dem Talisman nicht standzuhalten. Er blieb stehen, gab durch groteske Verrenkungen seiner Glieder sein Unbehagen zu erkennen, retirierte, von Mahtotohpah verfolgt, und verschwand endlich wieder in dem Buschwerk, aber nicht ohne sein Gebiß greulich zu fletschen und durch ein drohendes Geheul anzudeuten, daß er nur geschlagen, nicht aber besiegt sei.
Mahtotohpah ging nachdenklich in die Medizinhütte und winkte seine Kollegen herbei, um eine Beratungspfeife mit ihnen zu rauchen.
Weder der Sachem noch sonst jemand aus der Versammlung ließ sich beikommen, diese Beratung stören zu wollen. Mit der Geduld ihres Volkes harrten alle dessen, was noch kommen sollte.
Die murmelnd gefühlte Unterredung der Medizinmänner währte etwa eine halbe Stunde, worauf der Ober-Powow aus der Hütte trat und sich wieder schweigend vor den Häuptling hinstellte.
Metakom ließ einige Minuten verstreichen, bevor er den Powow ansprach mit den Worten:
»Mahtotohpah,« lautete die Antwort, »sieht den Ochkih-Häddäh in der Ferne lauern, bereit, neues Unheil über das Volk der Wampanogen zu bringen. Mahtotohpah hat sich getäuscht, als er sagte, der Manitu sei im Begriffe, die Wolke wegzutun von seinem Antlitz. Der Zorn des großen Geistes ist noch nicht vollständig gesühnt. Er will, daß sein Wille vollzogen werde, bevor er dem Ochkih-Häddäh die Macht zu schaden entzieht.«
»Gut. Hat mein Vater den Willen des Manitu erforscht?«
»Mahtotohpah tat so und hat dabei seine Brüder, die Powows, zu Hilfe gerufen.«
»Und was will der Manitu?«
»Er will ein großes Opfer.«
»Welches?«
»Den Tod des Goldhaars.«
Ohne einen Zug seines Gesichtes zu verändern, wandte sich Metakom zu den hinter ihm sitzenden Häuptlingen und sagte:
»Meine Brüder haben den Willen des Manitu vernommen. Was soll geschehen?«
»Das junge Blaßgesicht sterbe!« versetzte Annawon nachdrücklich.
»Es sterbe!« stimmte ein Dutzend Krieger bei.
»Das Goldhaar sterbe!« murmelte es wie ein Widerhall weiterhin durch die Reihen.
»Aha,« brummte Tom Morton in den Bart, »jetzt kommt die Reihe an mich, in dieser Komödie eine Rolle zu spielen.«
Er hatte recht, denn der Sachem wandte sich sofort an ihn mit der Frage:
»Ist mein weißer Bruder bereit, sein Werk zu tun?«
»Fix und fertig, Häuptling,« versetzte Tom. »Aber weil es doch einmal sein muß, so macht schnell. Die Faxen eurer Hokuspokusmacher da haben allbereits lange genug gewährt, denk ich.«
»Aber ist meines Bruders Herz stark genug zu dem Werke?«
»Fragt nicht lange. Ich habe gesagt, daß ich es tun werde, und ich werde es tun. Der junge Hund war mit dabei, als der verdammte Knochenberg von holländischem Bankert, dessen Seele der Teufel vom Marterpfahl der Nipmuken weggeholt hat, den Merry-Mount in die Luft sprengte und meinen guten Gesellen Kellond erschlug – ich will die Rechnung tilgen oder verdammt sein. Drum macht vorwärts, sag' ich.«
Nach diesem kurzen in englischer Sprache geführten Zwiegespräche kehrte sich der Sachem wieder dem Powow zu und sagte:
»Mein Vater hörte, daß meine Krieger bereit sind, den Willen des Manitu zu erfüllen. Mein Vater gehe, zu tun, was ihm zukommt.«
»Gut,« entgegnete der Powow. »Und welcher von des Sachems Kriegern soll die Opferkeule führen?«
»Keiner von meinen Kriegern, sondern dieses Blaßgesicht da.«
»Das Blaßgesicht komme mit mir.«
Der Sachem gab Morton einen Wink, und dieser stand auf, um dem Powow zu folgen.
Die beiden lenkten ihre Schritte zu dem Eichenstumpf, dessen wir weiter oben gedachten, und blieben bei demselben stehen. Der Powow blies aus der Medizinpfeife drei Rauchwolken über die auf dem Stumpfe liegende Keule hin, ergriff sie dann und gab sie Morton in die Hand mit den Worten:
»Das junge Blaßgesicht wird seinen Kopf auf Block von Eiche legen. Wenn Mahtotohpah die Medizinpfeife erhebt, erhebe mein Bruder die Keule und –«
»Schon gut, schon gut, Master Pickelhering,« unterbrach der brüllende Tom den Priester ungeduldig. »Bringt den Burschen her und überlaßt das weitere mir. Will ihn gehörig abfertigen, Gott verdamm mich!«
Der Powow verschwand in der Medizinhütte und kam nach einer kurzen Weile wieder heraus, an der Spitze eines kleinen Zuges, welcher bei dem Eichenstumpf Halt machte.
Voran ging Mahtotohpah und zwei seiner Kollegen, dann folgten zwei stämmige Krieger, welche den gefangenen Thorkil zwischen sich führten, und zwei Powows schlossen den Zug. Mahtotohpah schwenkte mit der einen Hand seinen Zauberstab, mit der andern die Medizinpfeife und murmelte Zaubersprüche und Gebete, deren Refrains von seinen Kollegen wiederholt und mit dem Getön ihrer Rasseln begleitet wurden.
Während dies geschah, konnte ein Auge, welches nicht ausschließlich mit dem Gefangenen beschäftigt war, an zwei verschiedenen Stellen des Platzes zwei leichte Bewegungen wahrnehmen, die in keinem Zusammenhange miteinander standen und, wie es schien, völlig unbeachtet blieben.
Von dem östlichen Ende der Reihe der Lagerwigwams her kam Hih-lah-dih gegangen und mischte sich unter die übrigen Squaws.
Zugleich verließ Ischähkohnih geräuschlos seinen Sitz und verschwand hinter dem Felsblock.
Thorkil war bleich und offenbar von physischen und psychischen Leiden sehr erschöpft. Die gräßliche Marterszene, deren Zeuge er in der Medizinhütte hatte sein müssen, war nicht geeignet gewesen, seine Verzweiflung zu schwächen, sondern im Gegenteil, sie zu steigern.
Der junge Mann war kein Romanheld, weder ein sentimentaler noch ein heroisch aufgereckter. Es war, obgleich sein Geist lebhaft und sein Gemüt tiefer Eindrücke fähig, nichts Überspanntes in ihm. Die Mißgeschicke, welche er in letzter Zeit erlebt, hatten seine Kraft nicht gebrochen, aber doch gebeugt. Er wußte, daß er dem Tode geweiht sei, und es wäre Lüge, zu sagen, des »Daseins süße Gewohnheit« hätte sich nicht mächtig in ihm gesträubt gegen den Gedanken der Vernichtung, dessen Bitterkeit noch unendlich erhöht wurde, wenn er bedachte, daß er von der Türschwelle zum höchsten Glück hinweggerafft werden sollte, oder wenn er des geliebten Mädchens dachte, das er in so trostloser Lage wußte, ohne hoffen zu dürfen, daß es daraus befreit werden konnte.
Als ihm aber der Powow das Unvermeidliche ankündigte, errang er wenigstens so viel Fassung, dem Tode mit einer Haltung entgegenzugehen, wie sie seiner Farbe anstand. Der männliche Stolz regte sich in ihm und spornte ihn an, seinen Mördern nicht den Triumph zu bereiten, daß sie sagen könnten, ein Blaßgesicht wisse nicht mit Würde zu sterben. Es war gut, daß ihm diese stolze Regung zur Hilfe kam, denn ob er auch auf seiner bisherigen Laufbahn dem Tode schon oft gegenübergestanden hatte, so fühlte er dennoch, daß es ein ungeheurer Unterschied sei, als freier Mann und mit den Waffen in der Hand dem Vernichter ins Auge zu blicken, oder aber als wehrloser Gefangener zur Schlachtbank geschleppt zu werden.
Daß er völlig wehrlos, das sagten ihm nicht nur seine mittels eines Lederstrickes auf den Rücken geschnürten Arme, er brauchte, aus der Hütte tretend, nur seine Blicke umherzuwerfen, um zu sehen, daß sogar der Gedanke der Gegenwehr eine Unmöglichkeit wäre.
Er richtete sein Auge auf den Felsblock, in dessen Höhlung er die Geliebte verwahrt wußte, aber er wandte es sogleich wieder ab, denn er fühlte sein Herz brechen und wollte doch kein Zeichen der Schwäche geben.
Er biß die Lippe mit den Zähnen, um dem Seufzer, der sich aus seiner Brust empordrängte, den Durchgang zu verwehren.
So stand er vor dem Eichenstumpf und sah die Keule, welche sein Haupt zerschmettern sollte, in der Hand des brüllenden Tom, dessen Mund ein häßlich boshaftes Grinsen verzerrte. Er kehrte dem Elenden den Rücken zu und schickte sich, von dem Powow bedeutet, an, seinen Kopf auf den Block zu legen, indem er, eingedenk der Lehren seines Glaubens, zu Gott flehte, seine Seele gnädig entgegennehmen zu wollen.
Es herrschte rings eine atemlose Stille, und wir wollen zur Ehre des menschlichen Geschlechtes annehmen, daß mehr als ein Mitglied der Versammlung nicht ohne Beklemmung den Zurüstungen zu dem kaltblütigen Mord eines Mannes zusah, mit welchem viele der Anwesenden auf Jagdzügen und am Beratungsfeuer so oft freundschaftlich verkehrt hatten.
Metakom saß unbeweglich mit auf die Brust gesenktem Kopf, als berührte ihn die Sache nicht im entferntesten, und als wären seine Gedanken weit von hier.
Der Powow stellte sich Morton zur Seite und faßte die Medizinpfeife mit beiden Händen, um sie zu erheben.
In diesem Augenblick glitt ein weibliches Wesen pfeilschnell aus den Reihen der Indianer hervor und eilte auf den Eichstumpf zu.
Es geschah eine Tat der rührendsten Aufopferung, und die Liebe feierte einen jener Triumphe, welche dem Dichter vorschwebten, als er die schönen, wie für unsern Fall gedichteten Zeilen schrieb:
... »Es lebt, der Erde Räumen
Entrückt, der Fromme ganz in seinen Träumen;
Nicht Zeit und Welt ficht den Verzückten an,
Zum Himmel flog sein Geist dem Staub voran.
Ist Liebe minder mächtig? Nein! hinauf
Zu Gott lenkt sie auch den erhabnen Lauf!
Mit allem, was uns von dem sel'gen Droben
Hienieden wird bekannt, ist sie verwoben;
Das andre, bessre Ich ist sie, des Lust
Und Schmerz mehr als den eignen fühlt die Brust;
Sie ist der Zug, der die geschiednen Flammen
Zu einer Lohe mächtig zwingt zusammen;
Das Leichenfeuer, drin mit heitern Mienen
Dem Tod sich Herzen weihen wie Brahminen.
Weg mit der falschen Zärtlichkeit zum Ich!
Wer, auf zum Himmel schau'nd, denkt noch an sich?
Und wer hat je in seinen jungen Jahren,
Eh' Zeit und Leben seine Lehrer waren,
Bedacht, welch schnöd Geschöpf der Erdensohn?
Sein Reich ist die Natur – Liebe sein Thron!«
Indem Thorkil, wie schon gesagt, sich anschickte, den Todesstreich zu empfangen, fühlte er, wie zwei weiche Arme sich nm seinen Nacken legten.
Umschauend gewahrte er Hih-lah-dih.
Das Mädchen schmiegte sich fest an seine Brust, sah ihm mit unendlicher Zärtlichkeit in die Augen und flüsterte zu ihm empor:
»»Mein Blaßgesichtbruder nicht allein gehen in die glücklichen Jagdgründe. Wenn das Goldhaar sterben, seine Rothautschwester mit ihm sterben.«
Und sie drängte sich zwischen ihn und Morton, flocht ihren linken Arm fest um den Nacken des Jünglings und streckte den rechten gegen den Schlächter aus, als wollte sie den Streich der Keule auffangen.
»Gutes Kind, du bemühst dich umsonst,« sagte Thorkil zu ihr, aber seine Worte wurden verschlungen von dem Schrei der Überraschung, welchen der Powow ausstieß und den alsbald die ganze Versammlung wiederholte.
Das Getöse störte den Sachem aus seinem Brüten auf. Er erhob sich, und ein greller Zornblitz entfuhr seinem Auge, als er es auf die Gruppe bei dem Eichenstumpf warf. Ein Blick genügte ihm, um die Sachlage zu verstehen.
Eine furchtbare Wallung des Grimms jagte ihm das Blut ins Gesicht, aber er kämpfte sie mit der Selbstbeherrschung eines großen Häuptlings nieder, gebot mittels eines Winkes der Versammlung, ruhig zu bleiben, und schritt dann langsam auf die Gruppe zu.
Hih-lah-dih erwartete das Herankommen ihres Bruders festen Fußes. Ohne Thorkil loszulassen, richtete sie ihre schlanke Gestalt auf, und ihr Blick hielt den Metakoms aus.
Der Häuptling blieb stehen und sagte ruhig:
»Was hat die junge Squaw hier zu tun?«
»Hih-lah-dih ist gekommen,« versetzte das Mädchen, »ihren Blaßgesichtbruder zu retten oder mit ihm zu sterben.«
»O,« bemerkte Metakom mit bitterem Lachen, »Mahtotohpah sprach weise, als er sagte, der Ochkih-Häddäh umlauere das Lager der Wampanogen, um neues Unheil auszubrüten. Er hat das Herz meiner Schwester mit dem Unrat der Torheit angefüllt, daß sie, aller Scham und Zucht vergessend, sich dem Feind ihres Volkes an den Hals wirft und den Sachem, ihren Bruder, zum Gespötte der Squaws macht.«
»Nein,« entgegnete die reine Quelle mutig, »nein, nicht Ochkih-Häddäh hat mich angestiftet, zu tun, was ich tat; der Manitu hat mich angetrieben, damit das Blut meines Blaßgesichtbruders nicht über das Haupt des Sachems komme. – Metakom weiß,« fuhr sie weicheren Tones fort, »daß Hih-lah-dih ihm stets eine gute Schwester gewesen. Sein Wigwam ist öde, will er auch Hih-lah-dih noch aus demselben vertreiben? Wenn er es will, so lasse er sie mit dem Goldhaar sterben. Hih-lah-dih wird ihren Blaßgesichtbruder nicht überleben.«
»Meine Schwester mag das junge Blaßgesicht fragen, ob dasselbe es der Würde eines Mannes, der schon den Kriegspfad gewandelt ist, angemessen halte, sein Leben einer Squaw zu verdanken.«
»Sachem,« nahm Thorkil das Wort, »ich wäre ein törichter Lügner, wollte ich dazu nein sagen. Das Leben ist jedenfalls dem Lose vorzuziehen, bei euren schnöden heidnischen Bräuchen das Opfertier abzugeben, und außerdem gibt es wenige Menschen, aus deren Händen ich das Geschenk des Lebens lieber annehmen möchte, als aus denen Eurer Schwester, welche stets an mir gehandelt hat, wie nur eine Schwester handeln kann. Aber, Sachem, glaubt deswegen nicht, die Aussicht auf Rettung lasse mich die ernste Pflicht vergessen, welche ich gegen Euch zu erfüllen habe; glaubt nicht, ich sei um den Preis meines Lebens bereit, zu vergessen, daß Ihr der Mörder meines Vaters seid, dessen Tod ich zu rächen habe. Ich mag und kann nicht heucheln und lügen: ich sage Euch, Sachem, daß, falls Ihr es nicht solltet übers Herz bringen können, mich so feigerweise abzuschlachten oder durch den Schuft von Trunkenbold da abschlachten zu lassen, meine Hand gegen Euch sein wird, sobald sie wieder den Griff einer Waffe fassen kann.«
Statt zu antworten, schwieg der Sachem nachdenklich, und es trat eine Pause voll furchtbarer Spannung ein.
Metakom trug ein marmorhartes Herz im Busen, ein Herz von jener Härte, wie es nur seiner Rasse eigen ist. Aber durch die Adern dieses Marmors rollte dennoch manchmal ein Tropfen von Milde. Ein solcher Tropfen war das Gefühl, welches der Sachem für seine Schwester Hih-lah-dih hegte. Sie stand von allen menschlichen Wesen seiner Seele am nächsten, nicht einmal sein Weib, die sich beugende Weide, und seinen jungen Sohn ausgenommen, deren Verlust doch den leidenschaftlichen Mann in halbe Raserei versetzt hatte. Einen Beweis, wie hoch er die Schwester hielt, gab das Benehmen ab, welches er nach dem gelungenen Überfall von Swanzey gegen seine Gefangenen beobachtet hatte. Nur der an und für sich so geringfügige Umstand, daß damals Lovely die Korallenschnur Hih-lah-dihs um den Hals trug und sich dadurch gleichsam als die Schutzbefohlene der letzteren legitimierte, nur dieser Umstand hatte den Sachem bewogen, die Häupter der Gefangenen dem Skalpmesser seiner Krieger zu entziehen. Seit er nun Weib und Kind verloren, fühlte er in erhöhtem Maße das Bedürfnis, die Schwester sich zu erhalten, deren heitere Anmut in früheren Tagen so oft die düsteren Schatten von seiner Stirn verscheucht hatte, und deren Gefühle für den jungen Jäger seinem durchdringenden Blicke nicht verborgen geblieben waren.
»Das Goldhaar,« sagte der Häuptling endlich mit ruhiger Würde und in englischer Sprache, »hat gesprochen wie ein Mann. Metakom achtet die Tapferen, auch wenn ihre Haut eine Blaßgesichthaut ist. Mein Bruder höre und erwäge seine Antwort wohl. Wenn Metakom seine Bande löst und ihn freiläßt, will dann das Goldhaar darauf verzichten, den Tomahawk ferner gegen mein Volk zu erheben, und will er Hih-lah-dih sofort als seine Squaw in sein Wigwam führen?«
Hocherrötend bedeckte die reine Quelle mit der Hand, welche sie frei hatte, das Gesicht. Der zarteste Instinkt des Weibes empörte sich in ihr gegen die dem jungen Jäger von seiten ihres Bruders gemachte Zumutung.
»Nein, nein!« rief sie aus, als sie zwischen ihren Fingern hervor den Ausdruck des Seelenkampfes sah, welcher für einen Moment das Auge des Jünglings verdüsterte, »nein, der Sachem soll nicht so sprechen. Hih-lah-dih will und kann dem Goldhaar nur Schwester sein.«
»Sachem,« sagte Thorkil, in seiner Seelenpein seinen ganzen Mut wiederfindend, »die Natur, meine Religion und meine Gefühle verwehren einen solchen Bund. Ich halte Eure Schwester zu hoch, um sie täuschen zu können. Ich bin einem andern Weibe verlobt und will meine Treue mit ins Grab nehmen. Tut Euer ärgstes an mir: ich verwerfe Euren Vorschlag.«
»Es ist gut,« erwiderte Metakom mit eisiger Kälte. »Der Mut des Goldhaars ist groß, sehr groß. Komm,« fuhr er fort, Hih-lah-dih bei der Hand ergreifend, »meine Schwester hat nichts mehr hier zu tun.«
Aber das Mädchen warf sich, statt ihm zu folgen, vor ihm nieder, umschlang seine Knie und erflehte von ihm in den rührendsten Tönen das Leben des Jünglings.
Dann, als sie sah, daß Metakom unbeweglich blieb, sprang sie auf und umklammerte Thorkil mit beiden Armen so leidenschaftlich innig, als wollte sie, mit ihm verwachsen, als sollte in Leben und Tod nichts sie von ihm trennen.
»Macht ein Ende,« brummte Morton, »das Ding wird allgemach sehr langweilig.«
Der Häuptling schritt vor, und im nächsten Augenblick hatte er das arme Kind, welches einen herzzerreißenden Schrei der Verzweiflung ausstieß, von dem Jüngling losgerissen. Dann nahm er die außer sich Gebrachte auf seine Arme und eilte so mit ihr gegen die Wigwams hinab.
Bevor er in den Reihen derselben verschwand, wandte er den Kopf und gab dem Powow und Morton einen leicht zu verstehenden Wink.
Der brüllende Tom riß den Jüngling zu dem Eichenstumpf und drückte ihn mit roher Gewalt auf denselben nieder.
Der Powow erhob die Medizinpfeife.
Morton schwang die Keule empor.
Aber der tödliche Schlag fiel nicht.
Hinter dem Felsen hervor krachte ein Schuß.
Durch den Rücken in die Lunge geschossen, sprang der brüllende Tom mit einem furchtbaren Schrei hoch auf, drehte sich um und stürzte zu Boden, sich im Todeskampfe krümmend.
Mit den Sprüngen einer Löwin, die ihren vom Jäger angefallenen Jungen zur Hilfe eilt, kommt Groot Willem über den Platz daher.
Wie vom Donner gerührt, starren die Krieger.
Dann springen sie tumultuarisch auf und stürzen herbei.
Aber schon hat der herkulische Jäger seinen Sohn, bevor dieser weiß, wie ihm geschieht, auf seinen linken Arm geschwungen und ist im nächsten Augenblicke mit der teuren Last hinter dem Felsen verschwunden, einen Triumphschrei ausstoßend, der dem Gebrüll des gefürchteten Tieres, dessen Namen er trug, zum Verwechseln ähnelt.