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Heil, klarer Glaub', und dir, weißhänd'ge Hoffnung, du goldbeschwingtes flatternd Engelskind, Und dir, untadelig Gebild der Keuschheit! Ich seh' mit Augen euch und glaube jetzt, Daß er, das höchste Gut, dem alles Böse Nur sklavisch Werkzeug seiner Strafhand ist, So 's nötig war', den glanzerfüllten Wachtel Zu Ehr- und Lebensschutz mir senden würde. |
Milton |
Wer die Gazelle in der Jungle jagt, dem springt oft plötzlich der Löwe entgegen. |
Sprichwort der Hindu |
»Ein grober Gesell, Gott verdamm mich!« brummte der Zurückgebliebene, als er das schallende Hohngelächter seines weggegangenen Freundes vernahm. »Da steht man doch, wie sich in diesem heillosen Lande, wo nur Puritaner gedeihen können, alles verschlechtert. Da ist dieser Tom Mortun, der zu seiner Zeit ein so firmer Gentleman war, als nur je einer über die Londonbrücke ging oder im Elsaß zechte oder die Würfel schüttelte oder hübsche Dirnen küßte, und was für ein gemeiner, bäuerischer Kerl ist er auf dieser Seite des großen Wassers geworden! Großvatermäßig nannte mich der Hund – ich will ihn begroßvatern! Soviel er sich auch auf seine Schlauheit einbilden mag, er soll sich gewaltig verrechnen, wenn er meint, Tom Kellond sei einfältig genug, die schönen Rosenobles König Karls mit ihm zu teilen. Teilen? Ich will verdammt sein, wenn ich mit irgend jemand teilen will. Den andern Hund, den Gelbschnabel Kirk, hat der Teufel zur rechten Zeit geholt; er kann mir nun nicht mehr wegen Effies in den Ohren liegen. Aber ich muß verdammt gescheit zu Werke gehen, um den brüllenden Tom über die Ohren zu hauen, con prudentia, wie die Spanier sagen, soviel ist sicher. Für jetzt brauch ich ihn noch, brauch' ihn sehr. – Wollte, ich wäre erst mit heiler Haut und meinem Fang aus diesem höllischen Lande hinweg.«
In dieser Weise monologisierte er noch eine gute Weile fort, bis seine Pfeife ausgeraucht und der Weinkrug bis auf den letzten Tropfen geleert war. Dann stand er auf, und als sich ihm bei dieser Operation das Gefühl aufdrang, daß es mit seinem Gleichgewicht nicht ganz war, wie es hätte sein sollen, murmelte er:
»Na, Gott verdamm mich! Ich glaube fast, du hast ein bißchen zuviel geladen, Tom Kellond. Hörte einmal 'nen Versmacher sagen, Bacchus und Diana, nein, Bacchus und Venus vertrügen sich schlecht. Aber 's muß doch gehen, und hält' ich allen Wein, der je gezapft wurde, im Leibe – 's muß doch gehen! Nur gescheit, Tom Kellond, con sagitad y prudencia, wie die Spanier sagen.«
Und er reckte und schüttelte sich, als hätte er sich mittels dessen des Weindunstes, der ihm den Kopf einnahm, entledigen wollen.
Während er dann in der Halle auf und ab ging, um sich eine feste Haltung zu geben, zuckte draußen ein Blitz auf, welcher in das dämmerige Gemach eine grelle Helle warf, und zeigte ein dumpfer Donnerschlag den Ausbruch des Gewitters an.
»Hei,« rief Kellond mit wilder Luftigkeit aus, »das kommt ja wie gerufen! Beleuchtung und Musik gehören zu so 'ner kapitalen Frolik. Vorwärts, vorwärts! Wollen doch sehen, ob der Blitzkerl, der kleine Chiffinch, recht hatte.«
Mit diesen Worten verließ er das Zimmer, tappte sich durch den Gang bis zur Treppe hin und stieg diese langsam aufwärts. Droben stand er vor einer Tür still, durch deren Schlüsselloch ein schwacher Lichtstrahl fiel. Er zog sofort einen Schlüssel hervor, öffnete die Tür, trat ein und verschloß den Eingang sorgfältig hinter sich.
Das Gemach, welches er betreten, war ziemlich groß, sah aber so vernachlässigt aus wie der ganze Haushalt auf Merry-Mount. In einer Ecke stand ein plumper Tisch und auf diesem eine brennende Lampe, in einer andern ein kolossales Bett, dessen Vorhänge aber in Fetzen niederhingen. Die Fensteröffnungen waren von außen her durch schwere Laden verschlossen. Gegenüber der Tür, durch welche Kellond eingetreten, befand sich eine zweite, welche auf die oben erwähnte Galerie zu führen schien, aber ebenfalls von außen verschlossen war.
Zur Seite des Tisches saß auf einem Schemel ein junges Mädchen, welches, den Kopf mit den auf die Knie gestemmten Armen stützend, die Augen auf die Blätter der Taschenbibel geheftet hatte, welche aufgeschlagen auf seinem Schoße lag.
Auf dem Tische stand die Schüssel, welche wir in den Händen der alten indianischen Vettel bemerkten. Ihr Inhalt schien unberührt zu sein.
Bei dem Geräusche, welches der Eintritt Kellonds verursachte, schrak die Andächtige leicht zusammen und hob den Kopf.
Es war Lovely, wie der Leser nach den zwischen Morton und Kellond gefallenen Äußerungen bereits geahnt haben wird.
Das arme Kind war sehr blaß geworden seit dem Tage, wo wir es im Walde von Swanzey mit Hih-lah-dih an der Quelle zusammentreffen sahen.
Lovely hatte seither Schreckliches erlebt, aber das Bitterste war gewesen, als man sie auf Merry-Mount ihrem Vater und Großvater von der Seite riß und die beiden samt dem Kapitän Standish wegführte, sie wußte nicht wohin. Seither war sie in das Gemach, in welchem wir sie jetzt finden, eingeschlossen gewesen und hatte niemand zu Gesicht bekommen, als die alte Indianerin, welche ihre schüchternen Fragen entweder gar nicht beachtete oder nur mit einem mürrischen Gebrumm erwiderte.
Trotz der qualvollen Sorgen aber, denen sie hingegeben war, trotz der Verlassenheit, in welcher sie sich befand, glimmte in den Augen Lovelys eine Funke von Mut und Vertrauen.
Seit sie mit den Ihrigen aus ihrem Heimatlande geflohen, hatte sie eine lange, lange Reihe von Gefahren und Schrecknissen durchgemacht. Die menschliche Natur besitzt ungeachtet ihrer Schwäche auch wieder eine Zähigkeit, die aus dem Übermaß der Leiden eine gewisse stoische Resignation schöpft, eine Resignation, welche in edleren Gemütern gleichsam mit den sie bedrängenden Gefahren und Schmerzen wächst. Ist der Mensch erst über jene gefährliche Phase des Kummers hinaus, wo die Erschlaffung seiner Seele ihn der Verzweiflung in die Arme schleudert, so regt sich in ihm immer wieder jenes elastische Gefühl, welches man Hoffnung nennt. Sie flüstert ihm zu: Das Unglück wird seine Wut erschöpfen, der Sturm wird vertoben, nach dem Gewitter lächelt die Sonne wieder durch die Wolken. Sie hebt ihn über die Schmerzen der Gegenwart hinweg, tut die Zukunft vor ihm auf und gestaltet seine Wünsche zu frohen Ahnungen. So kann es unmöglich fortgehen, also muß es anders werden, sagt sich der Unglückliche, und wie oft auch diese Folgerung als eine trügerische sich erweist, immer ist sie tröstlich und ermutigend. Lovely schöpfte jedoch ihre Kraft nicht aus derartigen scheinbaren Vernunftgründen, sondern aus einer andern Quelle, aus ihrem religiösen Glauben. Wie wir schon früher erwähnten, war sie streng in den Grundsätzen des Puritanismus erzogen worden, der mit seiner unbedingten Ergebung in die Ratschlüsse Gottes eine starke Ähnlichkeit mit dem Fatalismus des Islam hatte. Wenn je ein Christ den Ausspruch der Schrift, daß ohne Wissen und Zulassung Gottes kein Haar vom Haupte eines Menschen falle, wörtlich nahm und mit allen seinen Konsequenzen festhielt, so tat es der Puritaner, welcher sich demzufolge stets im unmittelbaren Schutze des Höchsten wußte. Alles Mißgeschick, welches ihn traf, sah er nur als eine Prüfung und Läuterung seiner Überzeugung von der Gerechtigkeit Gottes an, um so mehr, da seine Vorstellungen von Gott durchweg eine alttestamentliche Färbung trugen. Sein Gott war der Jahve der Kinder Israel, der in Wetterwolken einherfährt und die Schalen seines Zorns ausgießt über das schwache, sündhafte Menschengeschlecht, welches sich ohne Murren seinem unerforschlichen Willen zu fügen hat. Wie man auch über diese religiöse Anschauungsweise denken mag, so viel ist gewiß, daß die von ihr erfüllten Puritaner Dinge vollbrachten, welche zu den größten der Weltgeschichte gehören. Wir wollen uns jedoch hier nicht des näheren darauf einlassen, sondern das uns Zunächstliegende ins Auge fassend, nur sagen, daß, so jung und zart und schmerzerfüllt auch Lovely war, sie aus dem puritanischen Gottvertrauen eine Stärke schöpfte, welche sie aufrecht erhielt.
Außerdem aber regte sich in ihr noch ein Gefühl, welches sie freilich sittsam vor sich selber zu verbergen bemüht war, das Gefühl, daß der junge Mann, welcher in einem entscheidenden Augenblicke schon einmal ihr und der Ihrigen Retter geworden, abermals hilfreich in die düsteren Wirrsale, von denen sie umgeben war, eingreifen würde. Sie konnte nicht müde werden, an jene Szene an der Seebucht, welche Groot Willem seine Vrolykheid nannte, zurückzudenken und sich dieselbe in allen ihren Einzelheiten auszumalen. Dabei trat ihr freilich auch der schreckliche Mensch entgegen, welcher damals nahe daran gewesen, sie und die Ihrigen zu ergreifen, und der sie unlängst auf Merry-Mount mit teuflischem Triumphlachen empfangen hatte. Sie befand sich jetzt, während die Ihrigen in der Gewalt des furchtbaren Zerstörers von Swanzey geblieben, in den Händen jenes Menschen, vor dessen Absichten sie, ohne dieselben zu ahnen, dennoch eine dunkle Furcht hegte. Den ganzen Tag hatte diese unheimliche Empfindung ihr das Herz beschwert, bis sie endlich, nachdem die indianische Alte ihre Lampe angezündet, in dem Buch, welches sie von Kindheit an als Quelle alles Trostes anzusehen gewohnt war, Beruhigung gesucht und gefunden.
Aufgestört durch den Eintritt Kellonds, warf sie einen scheuen Blick auf ihn. Dann ließ sie den Kopf wieder sinken und verharrte unbeweglich in ihrer Stellung.
Draußen begann das Gewitter zu tosen, ohne jedoch schon sein ganzes Ungestüm zu entfalten. Kellond blieb an der Tür stehen und betrachtete Lovely mit Kennerblicken.
Sie fühlte instinktmäßig die Frechheit dieser Blicke, das Rot der Beklemmung und Scham färbte ihre bleichen Wangen, sie legte die Bibel auf den Tisch und verhüllte sich das Gesicht mit den Händen.
Den Mund des graubärtigen Wüstlings umzog ein lüsternes Lächeln, seine Augen blinzelten, und er murmelte für sich:
»Ein appetitliches Dingelchen und ganz wie ein Nönnchen, Gott verdamm mich!«
Das Mädchen war in der Tat reizend, nur zu reizend anzusehen. Von ihrem gesenkten Kopf wallten ihre schönen dunkelbraunen Haare halb aufgelöst über Nacken und Arme herab, und es lag in ihrer Stellung jenes jungfräuliche Entsetzen, welches für alte Sünder so lockend sein soll.
Endlich ging er vorwärts mit einem Schritt, welchen die Anstrengung, womit seine aufgestachelte Begierde gegen den Taumel der Trunkenheit ankämpfte, zu einem ziemlich festen machte, ergriff die Hand des Mädchens und versuchte sie an seine Lippen zu führen.
Lovely stand mit einem leisen Angstruf auf, öffnete erschrocken ihre Augen und entzog ihm ihre Hand.
Kellond zwang sich einen Anschein von Mäßigung auf, als er den verwirrten und entsetzten Blick sah, welcher unter ihren langen seidenen Wimpern hervorkam.
»Mein liebes Täubchen,« sagte er, »du brauchst dich gar nicht zu fürchten. Ich bin der gutmütigste Mensch von der Welt und komme her, dir zu sagen, daß ich dein Beschützer sein will und die Absicht habe, dich sicher zu den Deinigen zu geleiten, welche für kurze Zeit von dir zu trennen Umstände geboten, die ich dir seinerzeit auseinandersetzen werde.« Einen Moment, aber auch nur einen Moment lang beruhigte diese Sprache das Mädchen. Sie hob den Blick, um ihn fragend auf Kellond zu richten, aber alsbald schlug sie ihr Auge wieder zu Boden. Denn sie hatte auf den Zügen des Mannes ein Lächeln wahrgenommen, dessen Bedeutung ihre Unschuld zwar nicht erraten konnte, das aber ihre Seele mit hoher Bangigkeit erfüllte.
Es war ein Lächeln, welches den Verteidigungsinstinkt, der in jungfräulichen Wesen schlummert, wachruft.
Kellond fühlte, daß er nicht ganz leicht zum Ziele kommen würde. Seine Brutalität war überdies großen und feinen Umschweifen abhold.
»Hör, mein Schätzchen,« hob er wieder an, »das Wetter draußen orgelt so laut, daß das Schwatzen beschwerlich ist. Wollen daher damit nicht die Zeit verlieren. Du bist ein schmuckes Dämchen, Gott verdamm mich, und mir geht nichts über schmucke Dämchen. Noch keins hat mirs aber so angetan wie du, kleine Hexe. Ich bin dir heftig, allmächtig heftig zugetan, siehst du. Ich will dich zu den Deinigen bringen, das will ich, Gott verdamm mich! Aber du wirst begreifen, daß meine Güte auch ihres Lohnes wert ist. Das begreifst du, Kleine, nicht wahr? Ja, mit ein bißchen Liebe, die meinethalb nicht länger zu währen braucht als 'ne Nacht, kann man mit mir alles anfangen.«
Und er langte nach der Hand Lovelys.
Sie verbarg die eine ihrer Hände hinter sich und preßte die andere fest auf ihr von Angst zusammengeschnürtes Herz. Zwei große Tränen rollten aus ihren Augen über ihre Wangen herab.
Kellond verschlang sie mit seinen Blicken.
»Wie herzig du bist, mein Täubchen,« sagte er, »ja allerliebst, Gott verdamm mich! Aber auch wie närrisch! Was ist denn da zu weinen, wenn ein Mann dich schön findet und es dir beweisen will?«
Damit streckte er die Arme aus, um sie um ihren schlanken Leib zu legen.
Lovely entschlüpfte ihm, trat einige Schritte zurück und richtete sich hoch auf.
Ein furchtbarer Donnerschlag machte die Wände des Hauses schüttern.
»Hört,« sagte sie mit einem Anflug von religiösem Enthusiasmus, »hört Ihr, wie der Herr im Wetter spricht? Demütigt Euch vor seiner Stimme!«
Ihr Busen hob sich, ihre Wangen färbten sich purpurn, keine Spur von Tränen hing mehr an ihren Wimpern, und auf ihrer Stirn thronte ein edler Stolz.
Allein unter diesem Stolz der Jungfrau barg sich die Schwäche des Kindes, welches durch das Gefühl der Verlassenheit fast zu Boden gedrückt wird. Sie senkte ihr schönes Köpfchen wieder unter der Wucht ihrer Angst, und ein schwerer Seufzer entströmte ihren Lippen.
»Ich höre und sehe nichts, gar nichts als dich, mein Täubchen,« versetzte Kellond, abermals auf sie zuschreitend und mit seinen dreisten Händen eine Liebkosung versuchend.
Lovely schwankte, als müßte sie vor Scham zu Boden sinken. Da plötzlich in ihrem Entsetzen Kraft findend, stürzte sie vorwärts, und ihre ausgestreckten Hände trafen die Brust des rohen Menschen so heftig, daß er das Gleichgewicht verlor und schwerfällig rücklings hinfiel.
»Verdammt sei dieser spanische Wein!« murmelte der Elende, indem er sich nicht ohne Anstrengung erhob. Die Adern seiner Schläfen schwollen an, sein Gesicht war braunrot.
»Warte, Närrchen,« rief er aus, auf das Mädchen losfahrend, »wir wollen dem Spiel ein Ende machen. Deine Sprödigkeit ist größer, als die einer Nonne sein kann, und ich will dir zeigen, daß Tom Kellond nicht der Mann ist, welcher sich Faxen vormachen läßt.«
Und nun begann zwischen dem Mädchen und dem Manne ein Ringen und Jagen, welches eine furchtbare Katastrophe vorhersehen ließ.
Von Angst beflügelt, floh Lovely leicht wie ein Vogel durch das Gemach.
Kellond verfolgte sie und erschöpfte seine Kräfte bei dieser Verfolgung. Seine Kehle schnaubte, und keuchend mischte er in gemeine Schmeichelworte die Eingebungen seines Zorns.
Lovely war auf die Tür zugeeilt, welche der, durch die der Schändliche eingetreten, gegenüberlag. Sie stemmte sich mit der ganzen Kraft ihres armen schwachen Körpers dagegen und stieß einen herzzerreißenden Hilferuf aus. Aber nur das Geroll des Donners antwortete ihr, und die von außen verriegelte Tür wich und wankte nicht.
Kellond stürzte auf sie zu, und es gelang ihm, sie für einen Augenblick zu fassen.
Aber wieder entwischte sie ihm, und die schreckliche Jagd begann abermals.
Doch die Kräfte des Mädchens schwanden, ihr Schluchzen benahm ihr den Atem, die Tränen verdunkelten ihren Blick, sie schwankte und hielt sich nur mit äußerster Anstrengung aufrecht.
Der Frevler, welcher seinen Sieg nahe sah, bot alles auf, denselben zu beschleunigen. Sein Keuchen war entsetzlich anzuhören, er lachte und fluchte in einem Atem und stieß abscheuliche Schimpfworte und niederträchtige Drohungen aus. Seine blutunterlaufenen Augen traten aus ihren Höhlen, sein grauer Bart sträubte sich, sein abwechselnd mit Bleifarbe und mit Violett bedecktes Gesicht verzerrte sich. Als Lovelys irrer Blick diesem Gesicht begegnete, diesem Gesicht, welches nichts Menschliches mehr hatte, sondern einer wütenden Bestie anzugehören schien, da verließ sie ihr Mut und ihre Kraft.
Sie fiel mit einem Klageruf zu Boden.
Aber auch seine Kräfte waren zu Ende. Der Weindunst wirbelte in seinem Gehirn, und die krampfhafte Begierde schüttelte seinen Körper. Unfähig, sich länger auf den Beinen zu halten, schlug er wenige Schritte vor Lovely plump auf den Boden hin.
Draußen hatte das Toben des Ungewitters für einen Augenblick nachgelassen. Das Gebell der Wolfshunde drang in die Stille des Gemaches.
Das Schnauben und Keuchen Kellonds erweckte Lovely aus ihrer Lethargie. Sie sah, wie der Nichtswürdige sich auf seine Knie aufrichtete und sich ihr näher schleppte.
Ein häßliches Lächeln des Triumphs lag auf seinen verzerrten Zügen.
Schon berührte seine Hand den Saum von Lovelys Kleid, als sie vom Boden sich emporschnellte. Der namenlose Abscheu, womit der Anblick des wüsten Menschen sie erfüllte, gab ihr Kraft und Geistesgegenwart zurück.
»Sei verflucht und verdammt!« schrie Kellond mit schäumendem Munde und raffte sich auf, um die Verfolgung von neuem zu beginnen, während draußen das Gewitter wieder mit verstärkter Macht losbrach.
Ein glücklicher Einfall durchblitzte Lovely. Sie flog auf den Tisch zu und stürzte die Lampe um, daß sie erlosch.
Kellond stieß ein Gebrüll der Wut aus.
»Und es soll dir doch nichts helfen, vermaledeite Hexe!« schrie er im Paroxysmus seines Wahnsinns. »Ich will dich zur Metze machen, und stellte sich euer puritanischer Herrgott leibhaftig zwischen mich und dich.« Ein Donnerschlag übertönte die Stimme des Schurken, welcher mit ausgestreckten Armen in dem finstern Gemach umherraste, sein Opfer zu ergreifen.
Lovely zwang den Atem in ihre wogende Brust zurück, um durch keinen Laut ihre Stellung zu verraten.
Da verriet sie ein Blitz, dessen Schwefellicht durch die Spalte eines der Fensterladen züngelte.
Sie lehnte an der Tür, welche auf die Galerie führte.
»Hab' ich dich?« schrie der Wütende und warf sich mit dämonischem Lachen auf sie.
Ein Schrei tödlicher Angst brach aus dem Munde Lovelys.
Aber in dem Augenblicke, wo sie den heißen Atem des Rasenden ihre Wange beflecken fühlte, wich die Tür hinter ihr, und sie wäre rücklings zu Boden gestürzt, wenn sie nicht ein starker Arm aufgefangen hätte.
Mit einem schrecklichen Fluche stürzte ihr Kellond nach.
Da flimmerte es dem Mädchen vor den Augen.
Sie hörte Männerstimmen und ein Getrappel von Fußtritten. Die frische Luft schlug ihr ins Antlitz, und nun sah sie halb bewußtlos das Gesicht des Unbekannten, der sie in seinen Armen hielt, über sie gebeugt, und sah im Schein der Blitze, wie Thorkil Wikingson mit nervigen Armen ihren Verfolger an Brust und Kehle faßte, ihn emporwirbelte und über das Geländer der Galerie hinweg in den Abgrund schleuderte.
Weiter sah sie nichts mehr, aber indem sie ohnmächtig zusammenbrach, gellte ihr der furchtbare Todesschrei in die Ohren, womit der Elende in seinem Falle den Donner überbrüllte.
Das Gewitter war vorüber, die Wolken hatten sich entleert, und das bleiche Licht der Sterne erhellte die Prärie, während im Osten das erste Tagesgrauen am Horizont emporstieg. Ein paar Büchsenschüsse von Merry-Mount entfernt sah man eine kleine Gruppe in westlicher Richtung sich gegen den Wald hinbewegen.
Lovely saß auf einem Pferde, dessen Zügel von dem zur Seite schreitenden jungen Jäger gehalten wurde.
»O, Thorkil, 0, mein Retter!« hatte die Gerettete ausgerufen, als sie durch die liebevollen Bemühungen des Jünglings wieder zum Bewußtsein gebracht worden war.
Es war in diesen Worten die ganze Fülle unaussprechlichen Dankes gelegen, aber mehr noch hatten die Augen des Mädchens gesagt.
Während er jetzt mit der einen Hand das Pferd leitete, ruhte seine andere in der Lovelys. Sie hatte dieselbe nicht mehr losgelassen, seit er sie in den Sattel gehoben.
Auf der andern Seite der Reiterin ging De Lussan.
»Was hätte ich meiner Herrin sagen müssen, wenn wir eine Stunde später gekommen!« hatte der Flibustier ausgerufen, nachdem der schreckliche Auftritt auf der Galerie vorüber war.
Als die drei die Prärie durchschritten hatten und am Waldsaum angelangt waren, machten sie Halt, als warteten sie auf jemand.
»Wie ist Euch, Mistreß Kordelia?« flüsterte Thorkil. »Ihr müßt furchtbar erschöpft sein.«
»O, nein,« versetzte sie leise, den Druck seiner Hand erwidernd. »Es ist alles gut. Ihr seid ja bei mir, Thorkil.«
Und die Worte: »Ihr seid ja bei mir!« hatten jenen Klang, der das Herz eines Liebenden vor Entzücken hoch aufpochen macht.
»Wo nur Willem so lange bleibt,« sagte De Lussan nach einer Weile ungeduldig. »Wir sollten keinen Augenblick verlieren, um das arme Kind nach einem Orte zu bringen, wo es Pflege und Ruhe finden kann. Doch da kommt er ja.«
Vollen Laufs sah man den alten Trapper von seinem Hunde begleitet, über die Prärie daherkommen.
In dem Augenblick, wo er die Gruppe erreichte, hörte man von dem Hügel her ein furchtbares Gekrach, wie unterirdischen Donner. Die Erde zitterte, eine ungeheure Qualmschicht erhob sich in die Luft, und dann schlug eine rote Lohe durch die schwarze Dunstmasse und flammte prächtig himmelan.
»Was ist das?« riefen Thorkil und De Lussun wie aus einem Munde.
»Ein kleines Feuerwerk,« versetzte Groot Willem mit zornigem Lachen. »Seht, dort geht der lustige Berg zum Teufel! Ich wußte, wo das Pulver lag – 's ist aus mit der Wirtschaft des brüllenden Tom. Die Trümmer mögen ihm sagen, daß es Leute gibt, welche Übeltaten zu rächen wissen. – Doch jetzt vorwärts! Wir haben weit bis zu Vater Blackstones Einsiedelei.«