Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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6.

Wir sehen hier ein zahlreiches Volk, dessen Ursprung in undurchdringliches Dunkel gehüllt, dessen frühere Geschichte unbekannt ist, dessen nationale Existenz sich ihrem Ende naht, von dessen Gebiet in dem kurzen Zeitraum von 250 Jahren drei Viertel in den Besitz der weißen Männer gekommen sind, von dem zwölf Millionen dem Feuerwasser, den Blattern und dem Bajonett zum Opfer gefallen sind und von dem nur noch ein kleiner Teil übrig ist, in der gewissen Voraussicht, bald demselben Schicksal anheimzufallen.

Katlin.

Aus kleinen Anfängen sind schon große Dinge hervorgegangen, und wie ein kleines Licht Tausenden leuchten kann, so hat auch das Licht, das hier angezündet wurde, vielen geschienen.

Bradford.

Eins der traurigsten Schauspiele, welches dem Auge des Philanthropen sich bieten kann, ist unstreitig das schreckliche und unaufhaltsame Geschick der Eingebornen von Nordamerika. Schneller, weit schneller als die Urwälder ihrer Heimat verschwinden die Söhne der roten Rasse vom Erdboden. Für sie ist die Zivilisation, welche die Weißen über das Atlantische Meer getragen hat, nur ein fressendes Feuer gewesen, welches sie von Zufluchtsort zu Zufluchtsort verfolgte und noch verfolgt, sie elend macht, entwürdigt und aufreibt. Die gänzliche Vertilgung, das Aussterben der Indianer läßt sich sozusagen mit mathematischer Genauigkeit vorherbestimmen. Bald werden sie nur noch in Lied und Sage leben. Die Flut der Weltgeschichte wird sie hinwegschwemmen und die Kunde von ihnen wird den Menschen späterer Jahrhunderte so seltsam klingen, wie jetzt uns die Erzählung der Naturforscher von den Bewohnern der antediluvianischen Erde.

Was wir von der Geschichte der roten Männer mit Bestimmtheit wissen, geht nicht weiter zurück als die Geschichte der europäischen Entdeckungen und Ansiedlungen in Amerika. Die Eingebornen selbst besitzen keine schriftlichen Denkmäler ihrer früheren Geschichte, die berühmteste ihrer Überlieferungen aber weist auf die Sage von jener großen Flut hin, welche auch in der Urgeschichte der kaukasischen und semitischen Rasse eine so große Rolle spielt. Man vermutet, daß Amerika mittels der Beringstraße von Asien her zuerst bevölkert worden sei, daß die Urbewohner Amerikas Stammverwandte der Mongolen des östlichen Asien seien. Gewichtige Gründe unterstützen die Annahme, daß das Mississippital in früher Zeit von einem zivilisierteren Volke bewohnt worden sei, welches dann, von roheren Feinden südwärts gedrängt, in Mexiko, Zentralamerika und Peru sich niedergelassen habe. Die drei letztgenannten Länder haben bekanntlich Denkmale alter Baukunst aufzuweisen, deren Entstehung einen höhern Grad von Kultur mit Notwendigkeit voraussetzt. Auch beweist die Geschichte des Untergangs der Kaisertümer Peru und Mexiko, wie sie uns von den spanischen Konquistadoren erzählt wird, mit Evidenz, daß die kupferfarbene Rasse dort politische und soziale Institute gegründet, welche an Umfang und Kompliziertheit gleichzeitigen europäischen keineswegs nachstanden.

Wir können uns jedoch hier nicht dabei aufhalten, die verworrenen Sagen und Traditionen der nordamerikanischen Indianer, welche im Gegensatz zu ihren Rassegenossen in Peru und Mexiko stets ein Naturvolk geblieben sind, zusammenzustellen und zu erläutern. Uns genügt anzugeben, daß zur Zeit des Beginns der Kolonisation Neuenglands durch die Puritaner dieses Land von fünf Nationen oder vielmehr Völkerbündnissen der roten Männer bewohnt war, die unter sich wieder in eine große Anzahl einzelner Stamme zerfielen. Jeder dieser Stämme befand sich unter der Leitung eines Häuptlings, um welchen sich die angesehensten Krieger als Unterhäuptlinge oder Berater gruppierten. An der Spitze der Konföderation stand der Häuptling des mächtigsten der konföderierten Stämme. Die Gewalt der Häuptlinge war jedoch durchaus keine despotische, wie denn die Verfassung der Indianer überhaupt mehr eine aristokratisch-republikanische als eine monarchische war und ist. Die Stellung der Häuptlinge, deren Würde bei einigen Stämmen auch in weiblicher Linie sich forterbte, ähnelte sehr der Stellung der altgermanischen Stammherzöge. Oberste Anführerschaft im Kriege war ihr wichtigstes und allgemeinst anerkanntes Prärogativ.

Fünf indianische Konföderationen also bewohnten bei der Ankunft der Pilgrime die Küsten, Inseln, Wälder und Savannen von Neuengland. Es waren erstens die Pokanoketen, unter denen der Stamm der Wampanogen die führende Stelle einnahm, im südöstlichen Teile des jetzigen Staates Massachusetts und in einem kleinen Teile von Rhode-Island; zweitens die Naragansetter, westlich von den Wampanogen im letztgenannten Staate; drittens die Stämme von Konnektikut, unter welchen die Pequoden und die unter der Oberherrschaft derselben stehenden Mohikaner vorragten; viertens die Massachusetter; fünftens die Pawtucketter, deren Hauptsitz am Flusse Merrima im Süden von Neuhampshire aufgeschlagen war. Mit diesen fünf »Nationen« kamen die Neuengländer während der ersten fünfzig Jahre ihrer Niederlassung in häufige Berührung; in die Geschichte der Kolonien eingegriffen aber haben vornehmlich die Wampanogen, die Naragansetter und die Pequoden. Auch in vorliegender Erzählung wird von diesen Stämmen mehrfach die Rede sein.

Das Ziel der Pilger, welche sich, wie wir oben berichtet haben, zu Southampton 1620 auf der Maiblume eingeschifft hatten, war die Mündung des Hudson. Allein ungünstige Winde trieben das Schiff nordwärts, so daß es bei der Ankunft an der Küste Nordamerikas in der Bai von Kap Kod Anker warf. Angesichts des Ufers, welches dicht mit Eichen, Tannen, Wacholderbäumen und wilden Weinstöcken besetzt war, vereinigten sich die Wandrer in der Kajüte zur Aufsetzung einer Schrift, welche das Fundament ihres Gemeinwesens werden sollte und deren Bestimmungen sie alle getreulich nachleben wollten. Zugleich wählten sie zum Governor der zu gründenden Kolonie für das erste Jahr den John Karver. Die eigentliche Landung fand am 22. Dezember neuen Stils statt, welcher Tag noch heute im ganzen Umkreis der Vereinigten Staaten festlich begangen wird. Zum Andenken an den letzten Ort, welchen die Pilger im Mutterlande verlassen, nannten sie den Landungsplatz und die auf demselben zu errichtende Niederlassung Neuplymouth.

Wir müßten viel zu weitschweifig werden, wollten wir das Wachstum der Kolonie Schritt für Schritt verfolgen und alle die furchtbaren Leiden, Prüfungen und Anstrengungen berichten, von welchen dieses Wachstum begleitet war. Auch die Gründung der Kolonien von Massachusetts, deren Hauptstadt Boston sich schnell zur Blüte hob, von Konnektikut, von Rhode-Island, welche der von Plymouth folgten, können wir nur erwähnen, nicht erzählen. Der Ursprung dieser Niederlassungen war derselbe wie der der älteren Schwesterkolonie. Die im Mutterlande fortdauernde Verfolgung der Nichtkonformisten führte alljährlich Hunderte, ja Tausende der Verfolgten übers Meer und in das Land, wo ihre vorangegangenen Brüder eine freie Heimat gefunden. Unter der Leitung von weisen, klugen und mutigen Männern aus den Geschlechtern der Bradford, Winslow, Wintrop, Eaton, Endekott, Hooker und andrer gediehen nach Überwindung unsäglicher Schwierigkeiten und bedeutender Hindernisse aller Art die Kolonien von Neuengland. Die strengen Grundsätze, welche ihre Gründer in religiöser und sittlicher Beziehung geübt hatten, blieben fortwährend in Kraft und Ansehen, und wenn die Kolonisten in bürgerlichen Dingen von Anfang an und unablässig jenes Selfgovernment, welches der Stolz und das Palladium von Nordamerika geblieben ist, handhabten und festhielten, so war die Gesetzgebung dieses Selfgovernments eine so strenge und ernste, daß anarchische Gelüste in den Kolonien niemals auftauchen oder gar Wurzel schlagen konnten. Diese eisernen Männer, welche der Zivilisation eine neue Welt eroberten, waren eher geneigt, zu große Strenge als zu große Milde walten zu lassen gegenüber allen Störungen, welche ihr Kirchen- und Gemeinwesen beeinträchtigen konnten. Eine Kirchenzucht, welche dem finstern Glaubenseifer des Puritanismus gemäß war und weltliche Strafgewalt sich angeeignet hatte, überwachte und regelte das ganze Leben und hatte eine Unduldsamkeit in ihrem Gefolge, die erleuchteten und weiterblickenden Geistern ebenso mißfällig war, als sie widerspenstigen und leidenschaftlichen Brechern ihrer Vorschriften unnachsichtig und furchtbar sich erwies. Sie drückte dem ganzen Dasein der Kolonisten den Stempel der Eintönigkeit, der Entsagung, der Schwermut auf, allein sie beförderte auch die häuslichen und öffentlichen Tugenden und stattete Männer und Frauen mit jener Standhaftigkeit und Energie aus, welche die Kolonisten befähigte, inmitten der Entbehrungen und Gefahren der Wildnis einen neuen und glücklichen Staat zu gründen, dessen Anfänge ebenso klein und unbedeutend waren, als seine Fortschritte wunderbar und riesenhaft werden sollten.

Der Verkehr mit den Eingebornen war lange Zeit, kurze Unterbrechungen abgerechnet, ein friedlicher, da die puritanischen Ansiedler in ihren Beziehungen zu den roten Männern der Vorschriften strengster Redlichkeit eingedenk waren. Sie berücksichtigten die Eigentumsrechte der Indianer weit gewissenhafter, als andre Europäer es zu tun pflegten. Es wurde darauf gesehen, daß Ländereien der Eingebornen nur auf dem Wege des Kaufs und Tausches in die Hände der Weißen übergingen, wobei freilich gesagt werden muß, daß ungeheure Strecken indianischer Jagdgründe von ihren Eigentümern oft um kindisches Spielzeug verhandelt wurden. Allerdings darf dabei nicht außer acht gelassen werden, daß diese wohlfeil erworbenen Ländereien aus Urwald und Prärie bestanden und demnach von dem Käufer zum zweitenmal erkauft werden mußten und zwar um den Preis seines Schweißes und der anstrengendsten Tätigkeit seiner Hände.

Die Kolonisten von Plymouth waren zuerst mit dem Sachem (Häuptling) der Wampanogen, Massasoit, in Berührung gekommen, dessen Wohnsitz Montaup – von den Engländern des ähnlichen Klangs wegen Mount Hope genannt – auf einer Landzunge gelegen war, welche weit in einen Nebenarm der Naragansettbai hineinreicht. Abgesandte der Kolonisten hatten Gelegenheit gehabt, den Häuptling von einer Krankheit zu heilen, gegen welche seine Pauwaus (Beschwörer, Zauberer, Medizinmänner) nichts vermochten, und von da ab blieb der dankbare Rote sein Leben lang ein standhafter Freund der Weißen. Mit weniger günstigen Augen betrachtete Kanonikus, das Haupt des Naragansettbundes, die weißen Eindringlinge. Er scheint geahnt zuhaben, welches Schicksal seiner Rasse von seiten der Kolonisten drohte, und beschloß daher, einen Schlag zu führen, solange die Anzahl derselben noch klein war. Als ehrlicher Mann ging er offen zu Werke und sandte dem Governor Bradford eine Kriegserklärung in Form eines mit Klapperschlangenhaut zusammengebundnen Pfeilbündels. Allein Bradford ließ sich nicht einschüchtern, sondern erwiderte die Höflichkeit dadurch, daß er die Schlangenhaut mit Pulver und Blei füllte und so zurückschickte, denn die Indianer hatten natürlicherweise vor den Feuerwaffen der Weißen, woraus Blitz und Donner entsandt werden konnten, den gehörigen Respekt, und lange hörte man nichts mehr von feindlichen Absichten der Naragansetter. Dagegen brach ein höchst blutiger Krieg zwischen den Ansiedlern von Konnektikut und den ursprünglichen Besitzern des Landes, den Pequoden, aus und erfüllte die junge Kolonie mit Schrecken und Trauer. Sassakus, der kühne und hochsinnige Sachem der Pequoden, suchte alle roten Stämme von Neuengland gegen die Weißen zu vereinigen. Es gelang ihm teilweise. Allein der Stamm der Mohikaner vermochte seinen Haß gegen die Pequoden nicht zu zähmen und leistete unter seinem Häuptling Unkas den Weißen jetzt und später wichtige Dienste. Auch Miantonomo, der Mitsachem des Kanonikus, ließ zweihundert Naragansetter als Hilfstruppen zu den Weißen stoßen. So verstärkt, unternahmen diese den Kampf gegen den Sassakus und führten denselben mit glücklichem Erfolg zu Ende. Sechzehnhundert Pequoden wurden erschlagen und Sassakus mußte bei den Mohawkern am Hudson Zuflucht suchen, wo er später eines gewaltsamen Todes starb. Die Ländereien der Pequoden wurden als erobertes Eigentum von den Weißen in Besitz genommen, die Überbleibsel des besiegten Stammes als Untertanen betrachtet und behandelt. Zwischen den Mohikanern unter Unkas und den Naragansettern unter Miantonomo schien sich unter dem Protektorate der Weißen ein festes Freundschaftsbündnis knüpfen zu wollen, allein der angeerbte Haß der beiden Stämme, jener Haß der Indianer untereinander, welcher stets eine Hauptursache ihres Unglücks war und noch ist, schlummerte nicht lange.

Die Gefahr, welche den jungen Kolonien im Pequodenkrieg von seiten der Eingebornen gedroht hatte, beschleunigte die Ausführung einer Maßregel, deren Naturgemäßheit und Notwendigkeit schon seit längerer Zeit erkannt worden war. Diese Maßregel bestand in der Vereinigung der Kolonien von Neuengland mittels eines Vertrags (1643), kraft dessen die einzelnen Gemeinwesen ein Schutz- und Trutzbündnis gegen alle äußern Feinde unter sich abschlossen.

Es scheint, der stolze und kluge Miantonomo, welcher von seiner Hinneigung zu den gefährlichen Weißen bald zurückgekommen war, habe sich ihr Beispiel zu Gemüte geführt und lange Zeit im stillen über Plänen gebrütet, wie der unglückliche Sassakus solche hatte ins Werk setzen wollen. Die rastlosen Fortschritte der Eindringlinge ließen ihm keine Ruhe, und die Begünstigungen, welche der Mohikaner Unkas von seiten der Weißen erfuhr, stachelten noch seinen Haß und Groll. Das Schicksal des Sassakus warnte ihn jedoch vor einem ähnlichen Unternehmen, allein er suchte die Mohawker insgeheim gegen die Kolonisten aufzureizen und ließ sich in allerlei feindliche Praktiken ein. Wenigstens behaupteten dies die Ansiedler, welche übrigens um diese Zeit auch nicht mehr durchweg das gerechte und rücksichtsvolle Benehmen der »Pilgerväter« gegen die Roten beobachteten und diesen durch willkürliche Übergriffe und Gebietsverletzungen nicht selten Veranlassung zu gegründeter Klage gaben. Durch ihre Vereinigung war die Macht der Kolonien so angewachsen, daß sie imstande waren, den Indianern Gesetze vorzuschreiben. Unkas unterwarf sich daher den Weißen ohne Rückhalt, und er sowohl als Miantonomo gelobten aufs neue, einander nicht ohne Bewilligung der Engländer zu bekriegen und diese bei etwaigen Streitigkeiten zu Schiedsrichtern zu wählen. Allein der Sachem der Naragansetter ließ darum nicht ab von seinen Verschwörungsplänen gegen die Blaßgesichter, und als alle seine Versuche, seinen Nebenbuhler Unkas für diese Pläne zu gewinnen, scheiterten, beschloß er, denselben aus dem Wege zu räumen. Diese Absicht galt bei den Kolonisten für eine ausgemachte Sache. Gewiß ist, daß ein Krieger Miantonomos auf einem Mordversuch gegen Unkas ertappt wurde. Der Naragansett wurde hierüber von den Kolonisten zur Rede gestellt und angegangen, den Mörder, welcher entkommen war, dem Unkas auszuliefern. Statt dieses zutun, erschlug Miantonomo den Schuldigen mit eigner Hand, was dem Verdachte gegen ihn nur neue Nahrung gab. Um jedoch feindlichen Maßregeln zuvorzukommen, erhob der Sachem nun offne Fehde gegen Unkas, fiel aber im ersten Treffen durch Verrat zweier Unterhäuptlinge in die Hände seines Gegners, welcher ihn zu Hartford den Kolonisten von Konnektikut überlieferte. Der Rat der Kolonie war der Ansicht, daß es für Unkas wie für die Weißen keine Sicherheit gäbe, solange Miantonomo am Leben wäre, und so wurde dessen Tod beschlossen. Charakteristisch hierbei war, daß die Meinung mehrerer angesehener Geistlichen aus Massachusetts über den Fall eingeholt wurde und daß diese Diener des Evangeliums sämtlich der Ansicht waren, der Naragansett sollte getötet werden. Weiter kam man mit einer verdammenswerten Sophisterei und Heuchelei überein, das Blut des Sachems dürfte die Kolonie nicht beflecken, und so ward er seinem über diese Christlichkeit nicht wenig erstaunten Todfeinde Unkas zum Töten übergeben, welcher dem Unglücklichen im Gebiete der Mohikaner mit einer Keule von hinten den Kopf zerschmetterte. Der Ort, wo dieser Mord geschah, heißt noch jetzt die Sachemsebene. Unbeschreibliche Wut erfüllte die Naragansetter beim Empfange der Trauerbotschaft. Allein die Stunde der Rache mußte vertagt werden. Da der Sohn des Gemordeten, Kanonchet, minderjährig war, trat einstweilen der Bruder Miantonomos, Pessakus, an die Spitze des Stammes und machte sich durch einen zu Boston abgeschlossenen Vertrag anheischig, mit Unkas und den Kolonien Frieden zu halten. Am unabhängigsten von der Superiorität der Weißen hielten sich von allen Indianern Neuenglands fortwährend die Völkerschaften der Pokanoketen, an deren Spitze noch immer der Stamm der Wampanogen stand. Massasoit wurde bis zu seinem um das Jahr 1656 erfolgten Tode von den Kolonisten als Verbündeter geachtet, ohne daß ein Versuch zu seiner Unterwerfung gemacht ward. Kurz nach seinem Ableben kamen seine beiden Söhne und Erben nach Plymouth, um den Freundschaftsvertrag zu erneuern. Der ältere, Wamsuta, stand im Mannesalter, der jüngere, Metakom oder Metakumet, war erst ins Jünglingsalter eingetreten. Die Kolonisten gaben ihnen auf ihr Begehren englische Namen und nannten jenen Alexander, diesen Philipp. Mehrere Jahre verflossen in Frieden, aber 1662 ging in den Kolonien die Rede um, Wamsuta hegte feindselige Absichten und suchte die Naragansetter zu einem Bündnis mit den Pokanoketen zu bestimmen, obgleich die beiden Nationen von alters her in Feindschaft lebten. Auf dieses hin sandten die Plymouther den Milizmajor Josias Winslow, einen tapfern Mann, mit Bewaffneten aus, um Wamsuta mit Gewalt nach Plymouth zu bringen, damit er sich rechtfertigte. Winslow traf den Sachem auf der Jagd und bemächtigte sich seiner mit List. Als er ihm aber seinen Auftrag eröffnete, verfiel der stolze Wamsuta vor Zorn in ein hitziges Fieber, an welchem er – auf sein Wort, nach erfolgter Genesung sich zu stellen, von den Weißen entlassen – auf dem Heimwege starb. Jetzt war Metakom, von den Weißen König Philipp genannt und zweifelsohne einer der ausgezeichnetsten Männer, welche seine Rasse jemals hervorgebracht, alleiniges Oberhaupt der Wampanogen und Bundeshäuptling der Pokanoketen. Ihm beseelte ein glühender Haß gegen die weißen Eindringlinge, und er machte es zur Aufgabe seines Lebens, die Jagdgründe seiner Väter von den Blaßgesichtern zu säubern. Vorerst jedoch gebot ihm die Lage der Dinge, die er mit klarem Blick überschaute, seinen Gedanken tief in seiner Brust verschlossen zu halten. Mit echt indianischer Schlauheit wußte er seine Absichten zu verbergen und hielt acht Jahre lang gewissenhaften Frieden mit seinen weißen Nachbarn. Erst von 1670 an ließ er seine feindliche Gesinnung unverhohlener durchblicken, doch wurden die Zerwürfnisse, in welche er mit den Kolonisten geriet, immer wieder vermittelt, bis endlich in dem Zeitpunkte, in welchem unsre Erzählung spielt, die trügerische Ruhe plötzlich in schrecklicher Weise unterbrochen wurde.

Vielleicht dürfte der Leser geneigt sein, die Berichterstattung über alle diese Geschichten für überflüssig zu halten. Wenn er aber zu lesen fortfährt, so wird er finden, daß das Gesagte mit unsrer Erzählung in zu naher Beziehung steht, als daß es hätte übergangen werden dürfen. Wir müssen ihn auch noch bitten, mit uns einen raschen Blick auf die gleichzeitige Geschichte Englands zu werfen, weil nur in dieser manche Erscheinung in den Kolonien ihre Erklärung findet.

So selbständig die Kolonien im Innern ihren bürgerlichen und religiösen Haushalt einrichteten und so selbsttätig und auf sich allein angewiesen sie den Gefahren von seiten der roten Urbevölkerung die Stirn boten, so kam es ihnen doch nicht in den Sinn, ihr Untertanenverhältnis zu der Krone von England irgendwie ändern zu wollen. Sie betrachteten sich, obgleich durch das Weltmeer von dem Mutterlande getrennt, fortwährend als Angehörige und Bürger desselben und verfolgten daher den Gang der großen Ereignisse, welche England damals bewegten, mit gespanntester Aufmerksamkeit und Teilnahme. Mit der Thronbesteigung Karls I., welcher seinem Vater Jakob 1625 folgte, begann jener Kampf zwischen Krone und Parlament, welcher für den König einen so tragischen Ausgang nahm und das lustige monarchische Altengland in das biblisch-strenge puritanisch-republikanische umwandelte. Nachdem von beiden Seiten alle gesetzlichen Mittel, alle Klugheit, alle Ränke und Sophistereien umsonst erschöpft worden waren, mußte das Schwert, der alte und ewige Händelschlichter, den Streit entscheiden. Die berühmten Vorbilder gesetzlichen Widerstands und parlamentarischer Taktik, die Prynne, Pym, Hampden und ihre Genossen im sogenannten langen Parlament, mußten sich, wenn sie das Wohl ihres Landes nicht den despotischen Gelüsten Karls und seiner Ratgeber opfern wollten, doch zuletzt entschließen, den passiven Widerstand in einen aktiven zu verwandeln und den Soldaten und Feldschlangen des Königs ebenfalls Soldaten und Feldschlangen entgegenzustellen. Der Bürgerkrieg, welcher die Insel durchtobte, blieb ein blutiges Wechselspiel des Kriegsglücks, bis die alles wagende Partei der Independenten, deren Seele und Haupt Oliver Cromwell war, im Parlament und im Parlamentsheer das Übergewicht erhielt. Cromwells Schwadronen, bestehend aus den eifrigsten Sektierern, welche mit der Bibel in der einen und mit dem Schwert in der andern Hand ins Gefecht gingen und eher tot auf der Walstatt blieben, als dieselbe sieglos verließen, trieben die königlichen Kavaliere überall vor sich her und entschieden die Entscheidungsschlacht von Naseby, wie später die Schlachten von Dunbar und Worcester. König Karl hatte sich nach dem Verfall der königlichen Sache und Partei in England nach Schottland, dem angestammten Königreich seines Hauses, geflüchtet. Aber die Schotten lieferten den gedemütigten Fürsten an das englische Parlament aus, und als er auch jetzt noch seine gewohnten treulosen Ränke fortspann, wurde er auf Begehren der Armee von einem eigens dazu bestellten Gerichtshof prozessiert, zum Tode verurteilt und vor den Fenstern seines Palasts Whitehall mit dem Beile hingerichtet (9. Februar 1649 n. St.). Die Republikaner und Weichmacher waren nun entschieden obenauf. Das Oberhaus ward abgeschafft, und im Hause der Gemeinen ging der Beschluß durch: »Es ist durch die Erfahrung erwiesen worden, und dieses Haus erklärt, daß das Königsamt in diesem Lande nutzlos, lästig und für die Freiheit, Sicherheit und das Wohl des Volkes gefährlich ist. Infolge davon ist es von heute an abgeschafft.« An die Spitze der Republik trat als Lordprotektor der gewaltige Cromwell, der mit Hilfe der Armee das Land unumschränkter beherrschte, als dies die Stuarts jemals imstande gewesen waren. Allerdings herrschte er zum Besten Englands, welches unter seiner Leitung zum erstenmal eine gebietende Stellung im europäischen Staatensystem einnahm und im Innern zu Ruhe, Gewerbtätigkeit und Wohlstand, nach außen zu Machtfülle gedieh. Allein Freiheit gedieh unter dem Regiments der »Heiligen des Herrn« keineswegs. Die siegreichen Puritaner übertrafen womöglich ihre früheren Unterdrücker an Unduldsamkeit, und der Druck ihres trübseligen Fanatismus lastete um so härter, als er nicht nur das öffentliche, sondern auch das häusliche und gesellige Leben mit aberwitziger Pedanterei zu regeln sich anmaßte. Ein großer englischer Historiker unsrer Tage hat die Umwandlung, welche das lustige Altengland durch die Puritaner erfahren, und die Reaktion, welche solchem Zwange mit Notwendigkeit folgen mußte, anschaulich geschildert. »Dem strengen puritanischen Grübler,« sagt er, »erschien selbst das unschuldige Spiel der Phantasie als ein Verbrechen. Den leichten und fröhlichen Naturen lieferte das feierliche Wesen der eifrigen Brüder reichen Stoff, sich darüber lustig zu machen. Von der Reformation an bis zum Bürgerkriege hatte fast jeder mit Sinn für das Lächerliche begabte Schriftsteller irgend einen Anlaß ergriffen, die kurzhaarigen, näselnden, grinsenden »Heiligen« anzugreifen. Endlich kam für die Lacher die Zeit des Ernsthaftsehens. Nachdem die starren, ungeschlachten Eiferer zwei Generationen hindurch viel guten Stoff zum Scherz geliefert hatten, erhoben sie sich in Waffen, siegten, herrschten und traten mit grimmigem Lächeln den ganzen Haufen der Spötter unter die Füße. Die Wunden, die von der heitern und mutwilligen Bosheit geschlagen worden, wurden von der finstern und unversöhnlichen Bosheit wiedervergolten, wie sie Bigotten eigen ist, die ihren Haß für Tugend halten. Die Theater wurden geschlossen, die Schauspieler wurden gestäupt, die Presse ward unter die Vormundschaft strenger Zensoren gestellt, die Musen wurden von ihren Lieblingsstätten verbannt. Solch ein System war natürlich an Heuchelei fruchtbar. Unter schlichter Kleidung und unter einem in die Falten der Strenge gelegten Gesichte lag mehrere Jahre lang das heftige Verlangen nach Lust und Rache verborgen. Endlich ward dies Verlangen befriedigt. Die Restauration entband Tausende von Geistern von einem Joche, was unerträglich gewesen war.« In der Tat, die puritanische Maßlosigkeit bahnte der royalistischen wieder den Weg. Die soziale Tyrannei, vor welcher einzelne edlere Geister unter den Puritanern ihre Partei vergeblich gewarnt hatten, machte eine politische Reaktion möglich, wie wir sie kurz nach Cromwells Tode und nach Beseitigung seines schwachen Sohnes in England eintreten sehen (1660). Müde des trübseligen Regiments der »Heiligen«, rief die Nation die verbannten Stuarts aus dem Exile zurück, und Karls I. ältrer Sohn, Karl II., bestieg den wiederaufgerichteten Thron. Nun begann eine Periode unglaublicher Zügellosigkeit und Ausschweifung, wozu der Hof Signal und Vorbild gab, während nach außen das kaum noch so stolz gebietende England tief gedemütigt wurde. Für schnödes Geld ward Karl II. ein geschmeidiger Vasall Frankreichs, welches der übermütige Ludwig XIV. beherrschte. Die Gesetze Englands, von einem fanatisch servilen Parlamente preisgegeben, waren ein Spiel in den Händen höfischer Wüstlinge. Wütender Haß gegen alle Erinnerungen der puritanischen Herrschaft verleitete die jetzt florierende Partei zur Nichtbeachtung aller göttlichen und menschlichen Gesetze. Freche Witzlinge verhöhnten das Heiligste, und schamloseste Genußsucht, raffinierteste Liederlichkeit wurden gepflegt, aufgemuntert, belohnt. Erst nach Jahren ermannte sich die Nation wieder, um unter Karls Nachfolger, Jakob II., eine zweite glückliche Revolution durchzufechten. Unter den Opfern politischer Verfolgung, welche die Stuartsche Restauration sich ausersah, standen obenan die Mitglieder des hohen Gerichtshofs, welcher Karl I. gerichtet hatte. Mehrere dieser Männer, welche von der einen Partei als Königsrichter geehrt, von der andern als Königsmörder verabscheut wurden, erlitten den Tod durch Henkershand; andre entkamen und suchten in verschiednen Ländern Zuflucht. Die, welche nach Neuengland flohen, wurden von den Kolonisten, deren Gesinnungen wie bürgerlich-kirchliche Einrichtungen sie den Untergang der puritanischen Republik im Mutterlande höchlich bedauern ließen, gastlich aufgenommen, und wenn auch nicht öffentlich, so doch heimlich gegen die Vollstrecker der königlichen Rache, welche dem edlen Wilde gefolgt war, in Schutz genommen.


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