Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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3.

Und als wir watend durch die Furt nun setzten,
Voran den Führer, den vorsicht'gen Schreiter,
Da spornte jenseits einen schaumbenetzten,
Langmähn'gen Rappen ein Savannenreiter.
Gedrungne Formen, Glieder wie von Erze,
Lichtblaues Jagdhemd mit scharlachner Franse,
Buntfarb'ges Tüchlein um des Haares Schwärze,
So kam er näher mit gefällter Lanze.
Im Flug nur, schien es, wollt' er uns betrachten;
Umsonst hinüber sandt' ich Ruf und Zeichen.
Er sah mich winken, ohne drauf zu achten,
Wandte sein Roß und trat es in die Weichen.
Freiligrath.

Der Herankommende war, schon seiner äußern Erscheinung wegen, von Standish nicht mit Unrecht als ein wunderlicher Geselle bezeichnet worden.

Eine lange, hagere Greisengestalt, saß er auf einem kleinen, munter ausschreitenden Ochsen, welchen er mittels eines durch den Nasenring des Tieres gezogenen Strickes lenkte. Das gehörnte Roß und sein Reiter schienen sich gegenseitig vortrefflich zu verstehen und durch die Gewohnheit eines langen Umgangs miteinander vertraut worden zu sein. Wenn sein Alter nicht im Wege gestanden, hätte unser Reisender kein übles Bild von einem Johannes in der Wüste dargeboten, so primitiv sah sein Anzug aus, so abgewettert sein Gesicht, von welchem ein langer grauer Bart in zwei nicht sehr gepflegten Strängen bis auf den Ledergürtel herabfiel, welcher seinen abgetragenen, ehemals schwarzen, jetzt aber in allen Farben spielenden Leibrock zusammenhielt. Seine langen Beine staken in Beinkleidern von Hirschhaut und die ungeschlacht großen, fast den Boden berührenden Füße in Mokassins desselben Stoffes. Er hatte eine alte langläufige Büchse auf dem Rücken hängen und trug in der Hand einen kurzen Stab mit eiserner Spitze, welcher die Dienste von Reitpeitsche und Sporen versehen mußte.

Lange Jahre hindurch war der Vater Blackstone – so wurde er allgemein genannt – in diesem Aufzuge im Innern der Kolonien von Neuengland eine bekannte und überall willkommene Erscheinung. Früher daheim in England ein wohlbestallter Pfarrer der bischöflichen Kirche, hatten ihn die ungerechten Plackereien von seiten des Oberhauptes seiner Diözese veranlaßt, jenseits des Ozeans nach einer friedlicheren Existenz sich umzusehen. Er schloß sich zwar keiner der puritanischen Gemeinden an, lebte aber mit allen im besten Einverständnis, das um so leichter aufrecht zu erhalten war, als Blackstone mit den Kolonisten nur selten in nähere Berührung kam. Von ungewöhnlicher Liebe zur Einsamkeit getrieben, hatte er sich in die dichtesten Forste südlich vom Charlesflusse zurückgezogen. Dort lebte er in einer eigenhändig erbauten Blockhütte vom Ertrage eines Gartens, welchen er mit unendlicher Mühe und Sorgfalt angelegt und in welchem er eine Obstkultur zuwege gebracht, die im ganzen Lande nicht ihresgleichen hatte. Zwei junge Ochsen hatte er sich, den einen zum Lasttier, den andern zum Reitpferd, abgerichtet, und man wußte außerdem Wunderdinge zu erzählen von der Geschicklichkeit, womit er junge Bären, Elentiere, Vögel und anderes Getier zu zähmen und zu anstelligen Genossen seines einsamen Lebens zu machen verstand. Nur ein paarmal im Jahre pflegte er in den Ansiedlungen zu erscheinen, um sein Obst, seine Sämereien, seine Honigwaben gegen sonstige Bedürfnisse der höchst einfachen Lebensweise, welche er führte, auszutauschen, und bei solchen Gelegenheiten wurde er namentlich von den Kindern, welchen er allerlei hübsche Raritäten und gute Sächelchen mitzubringen pflegte, jubelnd begrüßt. Im übrigen war er trotz seiner Menschenscheu durchaus kein sauertöpfischer, sondern im Gegenteile ein heiterer, jovialer, dem Scherze geneigter Mann.

Als der des schwierigen Terrains ungeachtet rüstig vorwärts trabende Bukephalos – diesen klassischen Namen hatte der Einsiedler seinem Ochsen gegeben – in einer Entfernung von einigen hundert Schritten die beiden Männer erblickte, stand er still, wandte den Kopf nach seinem Reiter zurück und ließ ein dumpfes Gemuhe hören. Ein leichtes Schütteln mit dem Stricke von seiten Blackstones setzte aber das Tier sogleich wieder in Gang, und in der nächsten Minute trafen die drei zusammen.

Die Begegnung war von beiden Seiten eine höchst freundliche. Selbst Eatons strenge Züge milderten sich beim Anblick des alten Bekannten, und er sagte in einem leichteren Tone, als ihm gewöhnlich eigen war:

»Willkommen Vater Blackstone, willkommen in Swanzey. Welcher gute Wind hat Euch denn so weit nach Süden herabgeweht?«

»Hm, Richter,« versetzte der Anachoret, das rechte Bein mit großer Gelenkigkeit über den rohgearbeiteten Holzsattel hebend und absteigend, »hm, vermute fast, der Wind, der mich so weit südwärts trieb, möchte Euch nicht viel Gutes bringen.«

»Wie meint Ihr das, alter Freund?«

»Ja, das ist nicht so bald gesagt, und wir täten vielleicht gut, in Euer Haus zu gehen, denn ich möchte meinen Neuigkeitssack nicht so ohne alles weitere auf öffentlichem Felde ausleeren.«

Ein zweifelhafter Blick auf Standish begleitete diese Worte Blackstones.

»Laßt Euch die Gegenwart meines Freundes hier nicht anfechten, Vater Blackstone,« sagte der Richter. »Es ist der Kapitän Sir Miles Standish von der Plymouthbai, dessen Name Euch wohl auch schon zu Ohren gedrungen ist.«

»Freilich, freilich, müßte ja taub sein, so ich noch nie von dem kleinen Feuerspeier gehört hätte. Verzeiht, Kapitän, so nennen Euch die Roten, und versichere Euch, sie tun's mit dem gehörigen Respekt. Sie haben einen tüchtigen Zahn auf Euch, fürchten Euch aber ganz passabel.«

Standish gab dem Alten lachend die Hand und sagte: »Habt Ihr mir vielleicht Grüße von meinen rothäutigen Freunden zu bestellen?«

»Das nicht, nein, aber ich fürchte fast, sie möchten Euch diese Grüße demnächst persönlich überbringen, und ihre Ansprache dürfte nicht die freundlichste sein. Doch genug des Scherzes,« fuhr der Einsiedler fort, und sein Gesicht wurde ernst. »Es geziemt mir nicht, in spaßhaftem Tone zu sprechen, da ich der Überbringer bedenklicher Neuigkeiten bin.«

»Sprecht Freund,« sagte Eaton. »Was führt Euch hierher?«

»Die Besorgnis um das Heil der Kolonisten, Richter. Ihr wißt, ich gelte etwas bei den Roten, weil ich mich allen jederzeit freundlich erwiesen und vielen in Krankheitsfällen beigestanden bin. Außerdem halten sie mich für einen großen Medizinmann oder Powow, was freilich unter Christenmenschen keine große Ehre ist, denn so, wißt Ihr, nennen die armen verblendeten Leute ihre armseligen Gaukler. Indessen verleiht mir der Ruf, in welchem ich stehe, Ruhe und Sicherheit in meiner Zurückgezogenheit, und so halte ich mich nicht für verpflichtet, gegen den Titel eines Medizinmannes ausdrücklich zu protestieren. – Ich sehe an Eurer gefurchten Stirn, was Ihr darüber denkt, Richter, allein erinnert Euch an den Spruch Christi: Seid klug wie die Schlangen. – Nun wohl, schon den ganzen Winter über hatte ich Gelegenheit zu bemerken, daß ein ungewöhnlich bewegtes Leben unter den Eingeborenen angefangen habe. Meine Siedelei ist eine Art neutraler Boden für alle Weißen und Roten, welche zwischen dem Charlesfluß, dem Pawtucket und dem Taunton nord- oder südwärts, ost- oder westwärts wandern, und die häufige Einkehr hätte mich schon längst dazu gebracht, mein Zelt abzubrechen und es weiter westwärts in die Wälder hineinzutragen, wenn ich's über mich gewinnen könnte, meine prächtig herangewachsenen Obstbäume zu verlassen.«

»Ja, man weiß, daß Ihr lieber mit Bäumen und Tieren umgeht als mit Menschen, alter Freund,« warf hier der Richter ein.

»Und warum nicht? Sind Bäume und Tiere doch auch Geschöpfe Gottes und dann, wißt Ihr? die haben mir nie Verdruß gemacht. Doch ich fahre in meiner Historie fort. Es war da die letzten Monate her ein Hin- und Hergehen von Boten und Läufern, ein Anzünden von Ratsfeuern, ein geheimnisvolles Getue und Wispern unter den Roten, daß ich bei mir denken mußte: Alter Blackstone, die Heiden haben etwas vor, etwas, was den Ansiedlern gilt; denn der friedliche und freundschaftliche Verkehr, welcher sich sozusagen unter meinen Augen zwischen Stämmen angesponnen, welche sich früher bitter haßten und verfolgten, läßt die Annahme nicht zu, daß es sich nur um eine der gewöhnlichen Familienzänkereien der Indianer handle. Während ich mich nun anstrengte, zu ergattern, warum, wie und wann der Tomahawk gegen die Weißen erhoben werden sollte, wurde in voriger Woche meine Siedelei mit einem Besuche beehrt, der mich anfangs ganz perplex machte, hernach aber mir die Überzeugung beibrachte, daß ein umfassender, höchst feindseliger Plan gegen die Kolonien im Werke sein müßte. Denkt Euch, ich war gerade in meinem Garten beschäftigt, einen jungen Birnbaumstamm zu veredeln, als ich meine Hunde anschlagen, meine Bären brummen und fast zu gleicher Zeit eine Frauenstimme von wunderbar lieblichem Klange zu mir sagen hörte: ›Guten Morgen, Vater Blackstone.‹ Ich schaute auf und über die Fenz, herein blickte eine Dame, die auf einem hübschen Pony saß und mir freundlich zunickte, wie einem alten Bekannten. Hatte sie aber mein Lebtag noch nie gesehen, hatte überhaupt noch nie eine so schöne Lady gesehen. Mußte auch ihrem Anzug und ihrer ganzen Haltung nach eine wirkliche und wahrhafte Lady sein. Nahm sich ganz prächtig aus in ihren Gewändern von Sammet und Seide, hatte etwas so Anmutiges und doch auch wieder etwas so Majestätisches an sich.«

»Spiegelfechterei der Hölle!« murmelte Eaton und sagte dann laut und mit großem Ernste: »Vater Blackstone, ich fürchte, Ihr habt in letzter Zeit unter Euren Bäumen und Bestien allzusehr vergessen, daß der Christ unablässig mit Wachen und Gebet wider die Versuchungen des bösen Feindes ringen soll. Darum hat er Euch denn heimgesucht mit seinen höllischen Gaukeleien.«

»Nein, Richter, es war keine höllische Gaukelei. Die fremde Dame war, wenn auch engelschön, dennoch ein Wesen von Fleisch und Blut, so gut wie Ihr und ich.«

»Wie sollte ein solches Weib in Eure wilden Hinterwälder kommen?«

»Die Fremde kam nicht allein. Sie hatte tapfere und in den Wäldern wohlbekannte Männer zum Geleite. Mit ihr kamen zwei berühmte Jäger, ein alter von furchtbarem Aussehen, den die Rothäute Mato, das ist der graue Bär, nennen –«

»Mato?« fragte Standish. »Mir ist, als hätte ich drunten an der Naragansettbai den Namen nennen hören.«

»Das kann wohl sein, Kapitän. Der Jäger ist weitum bekannt, bei den Naragansettern und Wampanogen sehr geachtet und beliebt, von den Pequoden dagegen gefürchtet wie der Teufel. Übrigens ist er ein alter Bekannter von mir, ein Holländer von Geburt, Willem Klopper, sonst auch Groot Willem geheißen.«

»Groot Willem?« schrie der Richter auf, seine Selbstbeherrschung für einen Augenblick vergessend. Ja, nun handelt es sich fürwahr um ein teuflisches Werk, da dieser Ungläubige und Gottesleugner mit dabei ist.«

Blackstone sah den Aufgeregten verwundert an, dieser aber bemeisterte sich rasch wieder und sagte:

»Fahre fort, Freund.« »Den jüngeren Jäger, welchen Willem wie seinen Sohn hält, nennen die Indianer das Goldhaar, weil das Haar des stattlichen Jünglings in der Tat einen goldblonden Schimmer hat. Ich weiß weiter nichts von ihm, obgleich er schon früher dann und wann bei mir einsprach.« »Also mit diesen beiden kam die fremde Lady?«

»Ja, aber nicht mit diesen allein. Es war bei ihr auch ein Mann von seemännischem Gebaren und einer so gebieterischen Haltung, daß mir schien, er sei gewohnt, vom Hinterdeck eines Orlogschiffes herab Befehle zu erteilen. Ich weiß nicht recht, war er der Bruder oder der Mann der Lady, jedenfalls behandelte er sie mit außerordentlicher Zartheit und Achtung. Seine Manieren waren die eines Franzmanns, und als solchen verriet ihn auch die Art und Weise, wie er das Englische sprach. Groot Willem redete ihn mit Kapitän an, aber der jüngere Jäger nannte ihn einmal – ja, wartet – richtig, er nannte ihn einmal De Lussan.«

»De Lussan?« fuhr nun seinerseits Standish auf, als hätte ihn unversehens eine Natter gebissen. »De Lussan? Wie, Mann, hörtet Ihr recht?«

Die Lippen des Fragenden zuckten, und seine Augen schossen Blitze unter den zusammengezogenen Brauen hervor.

»De Lussan?« fragte auch Eaton. »Wie, ist das nicht der Name des Franzosen, welcher –«

»Still, mein Freund,« fiel ihm Standish mit einer abwehrenden Gebärde ins Wort. »Und Ihr, Vater Blackstone, besinnt Euch, habt Ihr wirklich den fraglichen Namen deutlich gehört?«

»So deutlich, wie gerade jetzt der meinige aus Eurem Munde ging. Der Mann scheint aber mehrere Namen zu führen.«

»Welchen noch?«

»Ihr sollt es sogleich hören. Zuvörderst aber muß ich berichten, daß die Dame noch einen weiteren Begleiter hatte. Wer der war, würdet Ihr wohl schwerlich erraten.« »Haltet uns nicht auf, sprecht, sprecht!« sagte Slandish in heftiger Aufregung.

»Es war kein anderer als der kühne Kanonchet, Sachem der Naragansetter.«

Das Erstaunen der Zuhörer des Einsiedlers steigerte sich immer mehr.

»Die Lady,« fuhr Blackstone fort, »sprach mich um Gastfreundschaft an und rastete in meiner Hütte, während sich die Männer im Garten unter einem Baume niederließen und ein flüsterndes Gespräch führten. Nach einigen Stunden erschien ein Läufer Kanonchets mit einer Meldung, und wenige Minuten darauf hielt ein ziemlich starker Indianertrupp am Eingange der Lichtung, auf welcher meine Siedelei steht. Ein Häuptling von imponierendem Aussehen sonderte sich von dem Haufen und kam auf die Hütte zu. Ich erkannte ihn auf der Stelle: es war der Sachem der Wampanogen, Metakom, welchen wir König Philipp zu nennen pflegen. Der Naragansett ging ihm entgegen, um ihn zu empfangen, und die beiden mächtigen Häuptlinge begrüßten sich mit würdevoller Freundlichkeit, worüber ich mich höchlich verwunderte, denn die beiden Stämme haben sich ja seit alter Zeit gehaßt und befehdet. Nach geschehener Begrüßung schritten sie nebeneinander dem Garten zu, und da hörte ich Metakom seinen Begleiter fragen: ›Ist el Exterminador angekommen?‹ – ›Ja,‹ erwiderte Kanonchet, ›der Häuptling des Donnerschiffes ist hier und erwartet meinen Bruder Metakom.‹«

»El Exterminador?« rief Standish aus. »Ihr erzählt uns Rätsel über Rätsel. El Exterminador, der Häuptling des Donnerschiffes? Das Wort ist spanisch und bedeutet: der Vertilger. Diesen Namen aber führt der verwegene Flibustier, welcher sich in der westindischen und mexikanischen See einen furchtbaren Ruf erworben hat. Die Kolonien sind voll von Erzählungen seiner Taten, und es kommt kaum ein Schiff aus dem Süden her in unsere Häfen, ohne eine neue Geschichte von dem Piraten mitzubringen, welchem die Spanier, seine Todfeinde, jenen bezeichnenden Namen gegeben. De Lussan und el Exterminador eine und dieselbe Person? Wunderbar, wunderbar! Doch sagt, hattet Ihr nicht Gelegenheit, den Namen der Lady zu vernehmen?«

»O doch! Der Franzmann nannte sie Ih-nis-kin.«

»Ih-nis-kin? Mit diesem wunderlichen Namen weiß ich nichts zu machen.«

»Es ist ein indianischer Name, müßt Ihr wissen, Kapitän. Ich bin mit dem Kauderwelsch der Rothäute ziemlich gut bekannt, und so kann ich Euch sagen, daß Ih-nis-kin Kristall bedeutet.«

»Kristall? Vater Blackstone, erinnert Ihr Euch nicht, von welcher Farbe die Haare und die Augen der Lady waren?«

»Freilich, wenn Euch das Vergnügen macht. Ihre Augen hatten den dunkelbraunen Schmelz der Augen einer jungen Hindin, ihr Haar aber war rabenschwarz,«

»Das trifft zu, das trifft zu,« murmelte Standish in sich hinein. »Sollte es wahr, sollte es möglich sein?«

»Was Kapitän?«

»Nichts, Freund. Erzählt weiter.«

»Ja, ich habe nicht eben viel noch zu erzählen. Die Fremden hielten alle zusammen eine Beratung, welcher auch die Lady beiwohnte. Ich konnte aber die Gesellschaft bloß aus der Ferne beobachten, denn eine gebieterische Bewegung Metakoms verbot mir, näher zu treten. Nur so viel bemerkte ich, daß die Verhandlung lange dauerte, daß zuerst Uneinigkeit in der Gesellschaft zu herrschen schien, daß die beiden Häuptlinge der einen, die übrigen der andern Meinung waren, daß der Franzmann und der junge Jäger lebhaft auf die beiden Sachems hineinsprachen, noch lebhafter aber die Lady, die endlich die Hände der Wilden ergriff und ihnen ein Versprechen abzunötigen schien, welches sie zuletzt auch zu geben schienen, Metakom jedoch nur nach langem Widerstreben. Gegen Abend zu verließ die ganze Gesellschaft, nachdem sie ein Mahl eingenommen, wie ich es zu geben vermochte, meine Siedelei. Die Lady dankte mir mit holdseligen Worten, und der Franzmann warf beim Weggehen ein halb Dutzend goldener Louis auf den Tisch. Metakom aber winkte mich noch beiseite und sagte mit der ihm eigenen nachdrücklichen Betonung zu mir: ›Mein Vater war stets ein Freund der roten Männer. Er bleibe es. Er vergesse, wen er heute in seinem Wigwam gesehen. Sein Haupt ist grau, und er ist weise: er denke daran, wie es dem Hund Sasamon erging, der den Blaßgesichtern von Plymouth Lügen über seine Stammgenossen in die Ohren flüsterte.‹ – ›Sasamon?‹ entgegnete ich. ›Ich weiß nichts von Sasamon, Sachem. Wie erging's ihm denn?‹ – ›Der Tomahawk der Wampanogen fand den Weg zum Gehirne des Verräters,‹ erwiderte der Häuptling mit einem seiner schrecklichen Blicke und eilte den andern nach. – Als das Grün des Waldes meine Gäste verschlungen hatte, ward mir wahrhaftig ganz wirbelig in meinem alten Kopfe. Ich wußte mir nicht zu raten, noch zu helfen, aber der Gedanke ließ mir keine Ruhe, daß aus der Vereinigung so vieler fremdartiger Elemente, wie sie heute in meiner Siedelei stattgefunden, den Kolonien Unheil entstehen müsse. Die Drohung Metakoms bestärkte mich noch in dieser Vorstellung, und so sattelte ich am andern Morgen in aller Frühe meinen Bukephalos und machte mich nach den Ansiedlungen auf, damit den Bewohnern derselben die Erzählung des von mir Erlebten vielleicht zu rechtzeitiger Warnung dienen möchte. Ich nahm meinen Weg über Providence, denn mir war unklar im Geiste, und ich wollte vor allem den Rat meines Freundes Roger Williams einholen.«

»Da wart Ihr auf dem unrechten Wege, Bruder Blackstone,« sagte Eaton streng. »Es geziemt sich nicht für einen Mann in Euren Jahren, Gemeinschaft mit solchen zu haben, welche der Bund der Gläubigen als Irrlehrer und Unruhstifter ausgestoßen hat.«

»Freund,« entgegnete der Einsiedler lebhaft, »ich will über Euer Verfahren gegen Roger Williams nicht mit Euch rechten. Aber niemand soll je von dem alten Blackstone sagen, daß er alten Freundschaften untreu geworden. Williams hat mir große Dienste erwiesen, und ich ehre und liebe ihn. So sollten auch billig die Leute in den Ansiedlungen tun, denn Williams ist auch jetzt noch mehr für ihr als für sein eigenes Wohl besorgt und hat diese Gesinnung bei jeder Gelegenheit durch die Tat erwiesen.«

»Das ist wahr,« bestätigte der Kapitän. »Williams hat sich große Verdienste um die Kolonien erworben, und manchmal will mir scheinen, er sei von den Leitern unserer Kirche mit mehr Härte als christlicher Liebe behandelt worden.«

Eaton wollte etwas erwidern, aber Blackstone schnitt ihm das Wort ab, indem er in seiner Erzählung fortfuhr:

»Ich traf Williams krank und leidend. Wäre er das nicht gewesen, so hätt' ich ihn gar nicht getroffen, denn er würde sich, wie er sagte, selber aufgemacht haben, um seine Brüder in den Ansiedlungen vor den Gefahren zu warnen, welche von seiten der Indianer sie bedrohten. Mancherlei Symptome hatten ihm das Herannahen dieser Gefahr angezeigt und er hatte sie, gestützt auf das hohe Ansehen, dessen er bei allen Stämmen der Eingeborenen von Neuengland genießt, zu beschworen versucht, namentlich mittels seines sonst so bedeutenden Einflusses auf den Sachem der Naragansetter. Aber er fand diesen verschlossen und unzugänglich, obwohl ihm persönlich noch immer sehr freundlich gesinnt. Williams ist überzeugt, daß Metakom mit den Schlingen seiner Schlauheit den Naragansett umgarnt und den kühnen Ehrgeiz des letzteren zum Verderben der Kolonie benutzen will. Er wurde sehr traurig, als ich ihm von der Zusammenkunft sprach, welche in meinem Hause stattgefunden, sowie von dem kleinen Abenteuer, welches ich unterwegs noch gehabt.«

»Was war das?« fragte Standish.

»Ich kam am Mount Wallaston vorüber, welchen Ort die törichten Leute, die dort ihr ausgelassenes Wesen treiben, Merry-Mount (der lustige Berg) genannt haben.«

»Mount Dagon sollte er heißen,« murmelte Eaton zornig.

»Ich mag mit Tom Morton und seiner tollen Bande nichts zu schaffen haben, und so trieb ich den Bukephalos an, rasch an der Ansiedlung vorüberzugehen. Allein Morton stand gerade unter der Tür und nötigte mich fast mit Gewalt zur Einkehr, um, wie er sich ausdrückte, einen Becher Hippokras auf das Wohl König Karls und einen zweiten auf den Untergang aller psalmierenden Nasenfistulierer zu trinken.«

»Verderben über die Söhne Moabs und Amaleks!« sagte der Richter.

»Es herrschte ein heilloser Lärm in dem Fort,« fuhr Blackstone fort. »Sie hielten gerade wieder eine ihrer zügellosen Schlemmereien. Trunkene Indianer taumelten durch die Gänge, und im Hofe tanzten Mortuns Spießgesellen mit indianischen Weibern einen unzüchtigen Tanz um einen frischgepflanzten Maibaum her.«

»Greuel der Abgötterei!« rief Eaton ingrimmig aus. »Da seht Ihr, Kapitän, die Folgen der unzeitigen und sündlichen Nachsicht, welche die Regierung der Kolonien gegen diese Rotte Korah hegte und hegt. Ist nicht jede Heimsuchung, die der Herr uns bereitet, eine nur allzu verdiente, wenn wir es dulden, daß der Boden des Landes der Pilgrime mit solchem heidnischen Frevel befleckt wird? Fürwahr, eine strenge Züchtigung ist uns vonnöten, um uns zu dem Eifer und der Lauterkeit der Gründer dieser Ansiedlungen zurückzuführen.«

»Ihr habt recht, Freund,« versetzte der Kapitän. »Es ist ein großer Fehler begangen worden, fürcht' ich, daß der verworfene Morton und seine schändlichen Gesellen so lange im Lande geduldet wurden.«

»Ja, es ist eine verderbliche und gefährliche Bande,« sagte Blackstone. »Sie ziehen nicht nur alles Gesindel von ganz Neuengland an sich, stecken nicht nur die Eingeborenen mit ihren Lastern an, sondern treiben auch dem Verbot der Kolonialregierungen zum Trotz einen Handel mit Feuergewehren, Pulver und Blei, so daß bei den Indianern immer mehr die Büchse an die Stelle des Bogens tritt. Außerdem haben sie ihrer feindseligen Gesinnungen gegen die Kolonisten gar kein Hehl mehr, und ein prahlerisches Wort Mortons hat mich sehr besorgt gemacht. Der Mann war freilich stark betrunken, wie er es fast immer zu sein pflegt. Er ließ nicht ab, bis ich, um nur wieder von ihm loszukommen, einen Becher angenommen. Dann führte er mich im Hause umher und zeigte mir drei oder vier Kisten voll neuer und, soviel ich davon verstehe, trefflich gearbeiteter Feuergewehre und sagte: ›Seht, alter Pfaffenbart, diese Dinger da sollen die näselnden Psalmenorgler aus Neuengland wegblasen, und dann wollen wir das lustige Leben von Altengland überall etablieren.‹ – ›Bah,‹ entgegnete ich, ›Feuergewehre bedürfen geschickter Hände.‹ – ›O,‹ sagte er, ›macht Euch keine Sorge drum. Die Hände werden sich finden, weiße und rote, versichere Euch. Habt Ihr schon einmal vom el Exterminador gehört?‹ – ›Nein,‹ erwiderte ich möglichst unbefangen. – ›Nicht? Nun Ihr werdet wohl bald von ihm hören und von Tom Morton und sonst noch von allerlei Leuten.‹«

»Richter,« sagte der Kapitän, als Blackstone seine Erzählung beendigt hatte, »dieser Schurke Morton hat in seinem Rausche Worte gesprochen, die für uns kostbar sind. Alles zusammengehalten, was unser Freund hier uns mitteilte und was wir außerdem noch in Erfahrung gebracht, scheint es keinem Zweifel zu unterliegen, daß ein Komplott gefährlichster Art gegen die Kolonien existiert und vielleicht eher, als wir glauben möchten, zum Ausbruche kommen wird.«

»Dies ist auch die Meinung von Roger Williams,« bemerkte der Einsiedler. »Er hat daher ungesäumt Eilboten nach Konnektikut hinüber und nach Massachusetts hinauf abgesendet, um Warnungen in die Ansiedlungen zu bringen; mich aber bat er, zum nämlichen Zwecke in die Niederlassungen von Plymouth herüberzugehen, und da bin ich.«

»Ihr habt Euch durch Euren Botenritt verdient gemacht um die Gemeinde des Herrn,« sagte Eaton, »und er wird an dem Tage der großen Rechenschaftsablegung dessen eingedenk sein. – Kapitän, was ist bei so bewandten Umständen an unserer Stelle zunächst von uns zu tun?«

»Wir müssen zunächst,« lautete die Antwort des Gefragten, »die angeordnete Musterung beschleunigen. Der Zusammentritt der waffenfähigen Mannschaft von Swanzey und von den kleineren, weiter gegen Osten und Süden zerstreuten Ansiedlungen, welche zur hiesigen Gemeinde gehören, muß statt erst übermorgen schon morgigen Tages stattfinden –«

»Morgen, Kapitän?« fiel der Richter dem Kriegsmann ins Wort. »Ihr vergeßt, daß morgen Sabbat ist, an welchem alle weltlichen Geschäfte ruhen müssen.«

»Mein Freund, ich vergaß das nicht. Aber ich denke, ein so dringender Fall gestattet eine Abweichung von dem Buchstaben des Gesetzes.«

»Zuerst Gott die Ehre immer und allezeit!« sagte Eaton nachdrücklich. »Gefahr ist im Anzuge, ich verkenne es nicht. Ob sie aber so dringend sei, um eine sündhafte Entweihung des Sabbats zu entschuldigen, das ist noch zu untersuchen und soll untersucht werden, bevor ich in eine Störung der Sabbatsfeier willige. Eine Anzahl verläßlicher, mit den Zeichen der Wälder vertrauter Männer soll sofort in der Nachbarschaft auf Kundschaft ausgehen. Wir inzwischen wollen uns vor allem mit dem Rüstzeug des Gebetes antun, und ich will mit unserem würdigen Prediger Rücksprache nehmen, daß der morgige Sabbat als ein außerordentlicher Buß- und Bettag gefeiert werde. Ist erst der Geist vorbereitet zum Streite, wird er den Leib nur desto kräftiger und eifriger machen.«

Standish kannte seinen Mann zu gut, um nicht zu wissen, daß eine Opposition von seiner Seite hier nichts bezwecken würde. Daher begnügte er sich zu sagen:

»Handelt nach Eurem Gutdünken, aber Ihr werdet mir, falls wir die Erfahrung machen sollten, daß unsere Gegner ihrerseits ganz und gar nichts um die Sabbatsruhe sich kümmern, bezeugen, daß ich meinerseits die Anstalten zum Widerstand gegen ihre Pläne beschleunigen wollte. Und damit genug hiervon. Übrigens will ich wenigstens den heutigen Tag nach Kräften nützen. Ich werde die Waffen- und Munitionsvorräte untersuchen, welche, wie Ihr mir sagtet, in Eurem Hause verwahrt sind, und dann werde ich die Führung der Streifpartie übernehmen, welche in den Wäldern ihre Runde machen soll.«

»Gut,« versetzte Eaton, »und nun laßt uns ins Dorf zurückkehren. Unser Freund Blackstone wird das Bedürfnis fühlen, nach seinem Morgenritte einige leibliche Stärkung zu sich zu nehmen.«

So gingen sie langsam die Anhöhe hinab, gefolgt vom Bukephalos, welcher seinem Herrn wie ein Hund nachschritt. Alle drei waren schweigsam, denn ein Versuch des gesprächigen Einsiedlers, die Unterhaltung wieder anzuknüpfen, mißlang, weil Eaton sowohl als Standish vollauf mit ihren Gedanken zu tun hatten. Der greise Puritaner versenkte sich in seine schwärmerischen Vorstellungen von der Heimsuchung, welche ja Gott selbst durch Wunderzeichen angekündigt hatte, und dem Kapitän gab ein Umstand, dessen Blackstone in seiner Erzählung erwähnt hatte, viel zu denken.

Unten am Ufer des kleinen Flusses angekommen, schaute Eaton auf und sagte:

»Wir wollen, wenn es Euch ansteht, im Vorübergehen beim Prediger einsprechen. Es ist nur ein kleiner Umweg, denn wir befinden uns hier ohnehin am Ende des Dorfes. Seht, dort unter der Föhrengruppe liegt seine Wohnung, und dieser Fußweg führt uns darauf zu.«

Da sich kein Widerspruch erhob, ging der Richter den übrigen voran noch eine Strecke am Ufer hinab. Hier erweiterte sich das Bett des Wassers, wie auch das Talbecken, und das jenseitige Ufer lief in eine verhältnismäßig große Ebene aus, in eine sorgfältig gerodete Wiese, deren Frühlingsblumenschmuck erst gestern der Heuernte zum Opfer gefallen war.

»Wir müssen über den Bach,« sagte der Richter, »aber er ist hier ganz seicht; kommt nur.«

So sprechend war er im Begriffe, seinen Fuß auf einen der großen Steine zu setzen, welche die Dorfbewohner zu ihrer Bequemlichkeit Schritt für Schritt von einem Ufer zum andern in das Wasser gelegt hatten, als ein plötzlicher Ausruf Blackstones ihn zurückhielt.

»Was gibt es?« fragte Standish, aus seinem Sinnen aufgestört und gleich Eaton stillstehend.

»Seht!« erwiderte der Einsiedler, mit der Hand nach der Wiese hinüberdeutend.

Eaton und der Kapitän wandten ihre Blicke der bezeichneten Stelle zu und sahen einen Reiter in vollem Rosseslauf über die grüne Fläche daherkommen.

Die Erscheinung eines einzelnen Reiters wäre im gewöhnlichen Laufe der Dinge kein Ereignis gewesen, welches große Beachtung erregt hätte; allein die Gemüter unserer Freunde waren von Vorstellungen und Besorgnissen erfüllt, welche sie geneigt machten, auch dem Gewöhnlichen eine ungewöhnliche Bedeutung beizulegen. Mit gespannter Erwartung sahen sie dem Näherkommen des Reiters entgegen, und ihre Unruhe steigerte sich, als sie gewahr wurden, daß es ein Indianer sei.

»Ha, 's ist eine Rothaut,« sagte der Kapitän. »Der Bursche reitet einen stattlichen Rappen. Möchte wissen, wo er den gestohlen hat. Sollte es vielleicht ein Krieger aus einem der uns befreundeten Stämme der Pequoden oder Mohikaner sein, der eine Botschaft aus den Ansiedlungen an der Naragansettbai heraufbringt?«

»Nein, 's ist ein Wampanog, verlaßt Euch drauf,« entgegnete Blackstone. »Seht nur das rote Tuch, welches die Häuptlinge seines Stammes turbanartig um den Kopf gewickelt zu tragen pflegen.«

»Ihr habt recht. Auch ist's wohl kein gemeiner Krieger, sondern ein Häuptling, wenigstens seinem rotbefransten Jagdhemd und dem Adlerfederbüschel an der Spitze seiner Lanze nach zu schließen. Außerdem hat er eine Büchse auf dem Rücken hängen. Was meint Ihr, Richter?«

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es ist lange her, seit sich einer der störrischen Heiden in Swanzey hat blicken lassen. Aber seht nur, wie er reitet! Scheinen er und sein Roß nicht mehr Gebilde von Luft als Geschöpfe von Fleisch und Blut zu sein? Fürwahr, vielleicht ist diese Erscheinung nur ein abermaliges Zeichen, daß wir Buße tun und wachsam sein sollen.«

Der Kapitän zuckte über diese schwärmerische Gespensterseherei am hellen Tage leicht die Schultern, antwortete aber nicht, sondern sah mit bohrenden Blicken dem Beginnen des Fremden zu.

Dieser galoppierte in gerader Linie auf den Bach zu. In einer Entfernung von hundert Schritten wandte er jedoch plötzlich sein Pferd, beschrieb einen Kreis auf der Wiese und jagte dann, seine Lanze über dem Kopfe schwingend, linkshin gegen das Dorf hinauf. Doch nur wenige Sekunden blieb er hinter den Baumgruppen verschwunden, dann erschien er wieder auf der Wiese, tummelte sein Roß in den kühnsten Wendungen im Kreise, spornte es abermals zum schnellsten Lauf, eilte davon, kam wieder und hielt endlich regungslos, kaum dreißig Schritte vom jenseitigen Ufer des Baches entfernt.

»Komm näher, wenn du ein Freund bist,« rief Eaton hinüber und winkte mit der Hand.

Der rote Krieger hatte sein Gesicht gerade den dreien zugekehrt, und der Ruf des Richters mußte sein Ohr erreicht haben. Allein er rührte und regte sich nicht.

»Wahrscheinlich versteht er kein Englisch,« sagte Blackstone und rief dann im Dialekt der Pokanoketen dem Indianer zu: »Was bringst du uns, Bruder Wampanog?«

Der Angerufene verharrte auch jetzt in seiner Regungslosigkeit, aber Standish schrie mit einmal auf:

»Ha, ein sauberer Bruder das! Es ist der teuflische Annawon, der Mörder Sasamons, ich erkenn' ihn. Auf ihn, der Schurke ist vogelfrei!«

Und wie er diesen zornigen Ruf ausstieß, riß der Kapitän zugleich eins seiner Faustrohre aus dem Gurt, spannte den Hahn, zielte und feuerte mit Gedankenschnelligkeit.

Eine plötzliche heftige Bewegung des roten Kriegers schien zu verraten, daß die Kugel ihr Ziel nicht verfehlt habe. Aber Annawon blieb dennoch fest im Sattel, warf sein Roß herum, jagte in die Wiese hinein, kehrte wieder um, sprengte am Ufer des Baches hin, schwang seine Lanze und stieß, bis jetzt so schweigsam, im herausforderndsten, fast höhnischen Tone das Kriegsgeschrei seines Stammes aus.

»Steh, Heide, steh, wenn du ein Mann bist!« schrie der tapfere Kapitän und stürzte mit gezücktem Schwerte durch den Bach dem gegenüberliegenden Ufer zu.

Als er die Wiese erreicht hatte, kam der Wilde mit gefällter Lanze auf ihn zugeflogen. Standish erwartete ihn festen Fußes. Allein der Indianer machte plötzlich wieder kehrt, zügelte dann in einer Entfernung von etwa zweihundert Schritten sein Roß, nahm die Büchse vom Rücken und schoß sie, ruhig zielend, auf den gegen ihn anrennenden Kapitän los. Die Kugel riß diesem den Hut vom Kopfe und schleuderte denselben weithin auf den Rasen. Standish wankte einen Augenblick, aber sogleich ermannte er sich wieder und entlud sein zweites Pistol auf den Gegner. Der Wilde verhöhnte die geringe Tragweite des Gewehrs mit gellendem Gelächter, schien aber keineswegs gewillt, dem mutig vorwärtseilenden Angreifer standzuhalten, denn er rückte die Zügel, ließ noch einmal sein gellendes »Huh-rup-roh-noh!« ertönen, sprengte dann schnell wie der Wind die Wiese ihrer ganzen Länge nach rechts hinab und verschwand am Ausgange des Tälchens in den Schatten des Urwalds.

Standish murmelte einen herzhaften Fluch zwischen den Zähnen, während er sein Schwert in die Scheide steckte, seinen durchlöcherten Hut aufhob und zu seinen Freunden zurückkehrte, welche inzwischen den Bach überschritten hatten.

»Hätte ich doch meinen Grauschimmel zur Stelle gehabt statt Eures Ochsen da, Meister Blackstone,« sagte er mißmutig; »der rote Schuft hätte nicht so ungestraft sein Spiel mit mir getrieben.«

»Beruhigt Euch, Freund,« ermahnte ihn der Richter. »Ihr seid soeben einer großen Gefahr entgangen und solltet dem Herrn dafür dankbar sein.«

»Das bin ich, das bin ich, Richter, aber deshalb darf ich doch wohl wünschen, daß es mir hätte vergönnt sein mögen, dem mörderischen Hund auf Schwerteslänge nahezukommen.«

»Ihr habt ihm auch aus der Ferne einen Denkzettel zugestellt, Kapitän,« sagte Blackstone, »und er hat, will mir scheinen, die Bescheinigung richtigen Empfangs mit roter Tinte hier ins Gras geschrieben. Seht, da hielt der Heide, als Ihr Euren ersten Schuß auf ihn losbranntet, und meine alternden Augen müßten mich täuschen, wenn hier nicht Blutstropfen an den Grasspitzen hingen.«

»Hm,« versetzte der Kapitän, die Stelle untersuchend, »wenn ich auch wirklich ihn und nicht bloß das Pferd getroffen, so ist's jedenfalls nur ein Streifschuß, und der schadet dem Gewürme nicht mehr als 'ne Ohrfeige. Aber sagt doch, was hatte wohl die Erscheinung des Kerls zu bedeuten?«

»Er mag als Späher gekommen sein,« meinte Blackstone.

»Als Späher?« entgegnete Standish. »Nein, Vater Blackstone. Ihr müßt, verzeiht mir, wenig vom indianischen Kriege verstehen, um zu glauben, eine Rothaut gehe am hellen Tage und in so unvorsichtiger, ja frech herausfordernder Manier auf Kundschaft. Hierzu, wie überhaupt zur Ausführung ihrer Teufeleien, wählen die Roten am liebsten die Nacht. Und doch muß dieser Besuch irgend eine Bedeutung haben, denn die Indianer, so blinde Heiden sie auch sind, tun nichts ohne Bedacht und Absicht. Was es wohl sein mag? Der Bursche, welcher sicher weiß, daß er von dem Plymouther Gericht geächtet ist, legte es ja ordentlich darauf an, angegriffen zu werden.«

»Ja,« bemerkte Eaton, »und gerade dieser Umstand scheint mir geeignet, über sein rätselhaftes Beginnen einen Fingerzeig zu geben.«

»Wieso? Sprecht!«

»In ihrer Verstocktheit gegen die Erkenntnis des wahren Gottes halten die roten Heiden viel von den abgöttischen Wahrsagereien ihrer Zauberer und Baalspriester. Ich erinnere mich, gehört zu haben, daß seit dem Pequodkriege eine Prophezeiung unter ihnen umlaufe, des Inhalts, im nächsten Kampfe der Indianer mit den Blaßgesichtern werde diejenige Partei zuletzt den Sieg davontragen, welche von der andern zuerst angegriffen und verwundet würde, und so möchte es sein, daß der Erscheinung des roten Mörders dieser götzendienerische Wahn zugrunde läge.«

»Allerdings,« bestätigte Standish. »Doch kommt, wir haben keine Zeit mehr mit Reden zu verlieren. Wir müssen sofort in die Wälder, um nach der Spur dieses Burschen zu sehen und zu erkunden, ob die Nachbarschaft nicht noch mehr derartige Besucher berge.«

So sprechend schritt er den beiden andern rasch voran dem Dorfe zu.


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