Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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Zweites Buch.

1.

Da saß die holde Wilde sanft und lind,
An Wuchs ein Weib, an Jahren noch ein Kind,
Kind einer Unschuldswelt, ganz ohne Harm,
Rein von Natur, frühreif und hold und warm.
Byron.
Weh, Minne, was verschont nicht deine Kraft die Kinder!
Einer, der nicht Augen hat, würde dich doch spüren, ein Blinder.

Zu vielfach, Minne, bist du stets gewesen;
Alle Schreiber schrieben deine Art nicht aus noch dein Wesen.

Wolfram von Eschenbach.

Jeden Menschen, welcher nicht ganz ohne Natursinn ist, wandelt ein zugleich feierliches und frohes Gefühl an, wenn er an einem schönen Sommermorgen in die Stille und Einsamkeit eines weiten Waldes sich verliert. Mit der Andacht weckenden Dämmerung eines ungeheuren gotischen Doms umfängt ihn der kühle Forst. Das Auge badet sich mit Wollust in den harmonisch ineinanderfließenden Schattierungen saftigen Grüns, der frische Harzgeruch schmeichelt den Sinnen wie entzündeter Weihrauch, durch die Kreuzbogendecke der tausendfach verschlungenen Wipfel rieselt verstohlen grüngoldnes Licht herab, rings in Moos und Busch regt sich leise schwirrend zahlloses Insektenleben, ein entzückend kühles Säuseln macht die Blätter kaum hörbar rauschen; dann hebt da drüben im schattigsten Dickicht die Drossel ihr schmelzendes Morgenlied an, und dort hämmert der muntere Specht den Takt dazu. Deine Brust hebt und weitet sich, du fühlst dich beglückt, wieder einmal in recht unmittelbaren Verkehr mit der Natur getreten zu sein, und mischst stillselig deinen Odem mit dem ihrigen. Zu solcher Stunde und auf solchem Gange spürst du so deutlich wie sonst nie jenes geheimnisvolle Etwas dich anhauchen, was die Menschen Begeisterung, Andacht, Poesie zu nennen pflegen, jenes Emporgehobensein über die Schranken kleinlich konventioneller Verhältnisse in die Sphäre süßbestrickender Naturgewalten, welche nun und nimmer müde werden, fortzudichten an ihrem ewigen Wundermärchen. Du träumst, du dichtest es mit, ein Gefühl uranfänglicher Freiheit kommt über dich, der elastische Schritt der Jugend beflügelt wieder deine Füße, liebste Erinnerungen harmloser Kinderzeit umgaukeln dich, und dir ist, als müßtest du dich einspinnen für immer und allzeit in die grüne, duftige Waldeinsamkeit.

Solche Empfindungen mochten auch den Busen des jungen Mädchens heben, welches an einem hellen Junimorgen einsam auf einem schmalen, vielfach kaum wahrnehmbaren Fußpfad durch einen der Urforste Neuenglands dahinschritt.

Wir erkennen in der Wandelnden unschwer das schöne Kind, welches wir dem Leser im ersten Buch unsrer Geschichte unter dem Namen Lovely vorgestellt.

Lieblich, wie ihr Name bedeutsam ankündigte, und voll unbewußter Grazie war ihr Gang. Die Anstrengung eines weiten, labyrinthischen Wegs hatte ihre Wangen mit einem höheren Inkarnat gefärbt, und ihre Augen wetteiferten an feuchter Frische mit der taufunkelnden Waldgenziane. Sie hatte, um ungehinderter ausschreiten zu können, das lange dunkle Gewand aufgeschürzt, mit der rechten Hand hielt sie den Henkel eines großen tönernen Krugs, und am linken Arm trug sie einen mit einem Deckel verschlossenen, aus Schilf geflochtenen Korb, dessen Schwere die zarte Gestalt seiner Trägerin manchmal aus dem Gleichgewichte bringen zu wollen schien.

Jetzt stand sie unter einer vielhundertjährigen Lebenseiche, deren dunkles Blätterwerk über und über mit silbergrau blinkenden Büscheln spanischen Mooses behangen war, einen Augenblick still, um auszuruhen. Ihre rotschwellenden Lippen sogen mit Begierde den frischen Waldhauch ein, und wie sie ihre schimmernden Augen ringsher in die prächtige Wildnis tauchte, verriet der Ausdruck ihrer Blicke, daß ihre Seele erfüllt sei von jener Waldpoesie, deren Zauber wir oben mit schwachen Worten anzudeuten versuchten.

Alle Reisenden stimmen darin überein, daß dieser Zauber den Urforsten der neuen Welt in erhöhtem Maße innewohne. Die geheimnisvollen Schauer unbetretener Waldnacht vereinigen sich hier mit der Macht und Fülle einer Vegetation, zu welcher die gebändigte, allüberall den Schranken und Bedürfnissen der Zivilisation unterworfene Natur Europas es nicht mehr bringen kann.

Die Neuengland-Staaten wetteifern heutzutage an ausgedehnter und emsiger Bodenkultur mit manchem der bestbestellten Ackerbauländer unsres Erdteils. Zur Zeit aber, in welche unsre Erzählung fällt, waren alle die Länderstrecken, die der Hudson, der Lorenzstrom und der Atlantische Ozean einschließen, noch ein Wäldermeer, aus dessen dunklem Grün die Dörfer der Indianer und die Ansiedlungen der Kolonisten wie Inseln hervortauchten. Wie aber die grandiose Monotonie der See den Stempel der Erhabenheit trägt, so auch die Unermeßlichkeit des Urwaldes, welcher zwar in den nördlicheren Gegenden des amerikanischen Kontinents der exotisch üppigen Pracht und Mannigfaltigkeit der Tropenländer nicht teilhaft ist, immerhin aber vor zweihundert Jahren noch eine Frische und Größe der Vegetation entfaltete, die auf ein jugendlich empfängliches Gemüt ihre Wirkung nicht verfehlen konnten.

Nur ungern entzog sich Lovely dem beschaulichen Sinnen, in welches die Waldmorgenstille sie versenken wollte. Nachdenklich schritt sie weiter, mit dem Instinkt der Gewohnheit leicht durch das Baumlabyrinth hingleitend und gewandt die Hindernisse vermeidend, welche dichtverschlungenes Schlingpflanzengeranke ihr häufig in den Weg legte. Am Ufer eines Baches angekommen, welcher lautrauschend in felsigem Bette einherfloß, verließ sie ihre bisherige Richtung, die geradeaus von Osten nach Westen gegangen, und stieg eine jäh ansteigende Anhöhe hinan, das von dort herabfallende Wasser zum Führer nehmend. Oben angelangt, sprang sie über ein zweites Bächlein hinweg, welches sich, aus dichtem Buschwerk hervorschleichend, hier mit dem größeren Gießbach vereinigte, umging dann den Stamm einer ungeheuren Fichte, und drang rasch und sicher in das Gestrüpp hinein. Es öffnete sich nach wenigen Schritten, und Lovely befand sich jetzt auf einer schmalen eirunden Lichtung, welche von hochwipfeligen Eichen, Fichten und Ahornbäumen so eng umschlossen war, daß der Schein des Tages nur dämmernd den kleinen Platz erfüllte. Am Ende desselben erhob sich das Terrain zu einer wildzerrissenen Felsengruppe von mäßiger Höhe, über welche himmelhohe Tannen finster hereinblickten. Aus einer Spalte des verwitterten, von Efeu üppig umwucherten Gesteins rieselte mit dumpfem Gemurmel der Abfluß einer reichen Quelle hervor.

Der Platz war so still, so einsam, so schattenheimlich, als hätte ihn niemals noch der Fuß eines lebenden Wesens betreten.

Dem war aber nicht so. Schon manchen Morgen war Lovely in Erfüllung einer heiligen Pflicht hier gewesen, um ihren Krug mit der klaren Flut des verborgenen Brunnens zu füllen. Obgleich demnach mit der wilden Schönheit des Orts vertraut, ließ das Mädchen, vor dem Felsspalt stillstehend, den Zauber derselben abermals mit erneutem Behagen einige Sekunden lang auf sich wirken. Dann stellte sie ihren Korb auf das Moos und bückte sich nieder, um ihren Krug in das kühle Wasserbecken zu tauchen.

Aber plötzlich fuhr sie, ohne ihr Geschäft verrichtet zu haben, mit einem leisen Schrei des Schreckens in die Höhe.

Sie hatte in der Felsenspalte eine dunkle menschliche Gestalt wahrgenommen.

Ihr Schrecken ging indessen rasch vorüber, als sie aus dem romantischen Verstecke eine junge Indianerin hervorkommen und auf sich zutreten sah, mit freundlicher Gebärde die rechte Hand gegen sie ausstreckend, und in fremdartig betontem und gefügtem, jedoch verständlichem Englisch die Worte sprechend:

»Nicht fürchten, junge Squaw. Hih-lah-dih Freundin sein vom jungen Weißgesichtmädchen; kein Krieger sein, der auf Skalpe ausgeht.«

Lovely gewann schnell ihre Fassung wieder, denn schon das Lächeln und die sanfte, liebliche Stimme des anmutigen Mädchens, welches vor ihr stand, mußten beruhigend wirken.

Das Indianermädchen war von mittelhohem, äußerst zierlichem und schlankem Wuchse. In der ersten Blüte der Jungfräulichkeit stehend, zeigte sie Gesichtszüge und Körperformen von vollendeter Schönheit, in allen Gebärden und Bewegungen eine unbeschreibliche Grazie. Ihre großen, schwarzen, in bläulichem Weiß schwimmenden Augen waren von seelenvoller Milde, wenn nicht etwa eine heftige Regung denselben einen funkensprühenden Glanz verlieh. Sie war einfach, aber sittsam gekleidet. An ihre mit Stickereien von Stachelschweinnadeln verzierten Mokassins schlossen sich Beinkleider von dunkelbraunem Wollenzeug an und eine Tunika vom nämlichen Stoffe verhüllte ihren Oberkörper, jedoch nicht so neidisch, daß nicht die schöngerundete Bildung der Arme, des Nackens und Busens bemerkbar gewesen wäre. Um die Fülle ihres glänzend schwarzen, hinten in einem einfachen Knoten geschürzten Haares hatte sie ein rosaseidnes Tuch turbanartig gewunden, und um ihren schlanken Hals schlang sich eine in Gold gefaßte Korallenschnur.

Wie sie so, die blühenden zarten Lippen im Lächeln etwas über die blendend weißen Zähne zurückgezogen, dastand, durfte sie auf eine Erwiderung ihres Grußes von seiten Lovelys nicht lange warten. Die letztere hatte während ihres Aufenthalts in Konnektikut häufig Gelegenheit gehabt, mit Eingeborenen zusammenzutreffen und die Redeweise wie sonstige Eigentümlichkeiten der Indianer einigermaßen kennen zu lernen. Die Anrede des roten Mädchens und die ganze Erscheinung desselben waren ganz geeignet, die Saite des Vertrauens anzuschlagen, welche in jungen Gemütern bei der leisesten Berührung so mächtig ertönt, und so zögerte Lovely nicht, die dargebotene Hand der Fremden freundlich zu ergreifen und mit Herzlichkeit zu sagen:

»Meine Schwester ist willkommen.«

Die Indianerin erwiderte den Händedruck, behielt die Hand Lovelys in der ihrigen, legte der Weißen die linke Hand auf die rechte Schulter und betrachtete die neugewonnene Bekannte vom Kopf bis zum Fuß mit scharfsichtiger Genauigkeit.

Das bescheidene Mädchen schlug vor dieser Besichtigung mit Erröten die Augen nieder.

»Nicht rot werden,« sagte die Eingeborene mit silberhellem Lachen, »nicht haben nötig zu schämen; meine weiße Schwester sehr schön sein, sehr viel schöner sein als alle die jungen Squaws in den Wigwams der Blaßgesichter, fast sein schöner noch als Ih-nis-kin auf dem großen Donnerkanoe.«

Lovely hätte müssen kein Weib sein, wenn dieser naive Ausbruch ungeheuchelter Bewunderung ihre Ohren unangenehm getroffen hätte. Der Name Ih-nis-kin jedoch erinnerte sie an jene seltsame nächtliche Szene in der Ruine auf Rhode-Island und lenkte so ihre Gedanken von sich selber ab und auf die Teilnehmer an jener Zusammenkunft. Die Indianerin ließ ihr aber nicht Zeit, nach dieser Ih-nis-kin zu fragen, wie sie beabsichtigte.

»Mein Blaßgesichtbruder, das Goldhaar –« fuhr die Tochter der Wildnis fort.

»Das Goldhaar? Thorkil Wikingson?« unterbrach Lovely lebhaft die Sprecherin.

»Thorkil Wikingson«, versetzte die Indianerin, den Namen mit Mühe aussprechend, »nicht sein guter Name für Indianermund, Goldhaar schöner klingen.«

Lovely bemerkte trotz ihrer Verwirrung den etwas gedehnten Ton, womit die Indianerin dies sprach, und fühlte, ungeachtet ihrer gesenkten Lider, daß die Augen der Fremden mit brennendem Forschen auf ihr ruhten.

»Mein Bruder, das Goldhaar,« begann die Indianerin wieder mit dem ganzen ungezwungen herzlichen Ton ihrer Stimme, »hat mir gesagt, so würde ich meine Schwester finden, so würden sein ihre Haare, ihre Augen, ihr Mund. Aber wie sein der Name von meiner Schwester?«

»Man hat mir in der heiligen Taufe den Namen gegeben: Lieblich vor dem Angesicht des Herrn Kordelia.«

Die Indianerin schlug mit der Naivität des Naturkindes über diesen langen Namen ein lautes Lachen auf.

Wir besorgen nicht ohne Grund, daß unsere Leser ziemlich geneigt sein möchten, die Heiterkeit des Indianermädchens über den seltsamen Namen zu teilen, müssen jedoch unsrerseits bemerken, daß mit Anführung desselben durchaus nicht etwa ein schlechter Spaß beabsichtigt war. Es gehörte nämlich in Wahrheit zu den auffallendsten der vielen Geschmacklosigkeiten der Puritaner, daß sie nicht nur mit Vorliebe alttestamentliche Namen wählten, wie Zorobabel, Obededom, Jedediah, Mirjam usf., sondern als Tauf- und Vornamen förmliche Bibelsprüche und andere fromme Sentenzen führten, welchen der Geschlechtsname als bescheidenes Anhängsel folgte. Da gab es denn Namen, wie diese: »Lebe du der Auferstehung Jerobeam Emer«; »Was auch der Ungerechte mag beginnen, den Herrn preise Ezechiel Pimpleton.« Außerdem waren moralische Begriffe als Frauennamen sehr beliebt, wie Hope (Hoffnung), Temperance (Mäßigkeit), Love (Liebe) u. dgl. m. Lovelys Vater nun hatte seiner Tochter jenen langatmigen frommen Namen beigelegt, um den seiner Meinung nach zu weltlich klingenden Kordelia, welchen die Mutter ihrem Kinde gegeben wünschte, möglichst zu verdecken. Gewöhnlich wurde aber das Mädchen nur mit dem Anfangswort ihres Namens bezeichnet und angeredet, und dabei wollen auch wir wie bisher es bewenden lassen.

»Langer Name, lang wie der Konnektikutfluß,« sagte die Indianerin, noch immer lachend; »zu lang für indianisch Gedächtnis. Lovely gut sein, Lovely schön sein, Lovely mein Bruder, das Goldhaar, meine Blaßgesichtschwester nennen. Aber nicht böse sein, daß Hih-lah-dih lachen ob langem Namen.«

»Ach nein doch,« entgegnete Lovely, welche das reizende junge Wesen, das sich so unerwartet zu ihr gefunden, von Augenblick zu Augenblick mehr liebgewann. »Und du nennst dich Hih-lah-dih?«

»Ja, Hih-lah-dih. Sieh, der Brunnen da viel berühmt sein bei meinem Volke, heißen Hih-lah-dih bei roten Leuten, das ist bei Englischleuten die reine Quelle. Da bei der Quelle hat Mutter geboren mich und die Squaws mir darum den Namen Hih-lah-dih gaben. Wir uns Lovely und Hih-lah-dih nennen, so uns verstehen gut.«

»Wohl, Hih-lah-dih klingt gut und ist ein Name von guter Vorbedeutung. Aber meine Schwester sage mir, ob sie in die Nähe der Ansiedlungen gekommen, um die Stätte ihrer Geburt wieder einmal zu besuchen.«

»Hih-lah-dih,« erwiderte die Indianerin, in liebkosender Weise ihren linken Arm um den Nacken Lovelys schlingend, »Hih-lah-dih kam, nicht um Stätte der Geburt, sondern weiße Schwester zu suchen.«

»Wie?« entgegnete Lovely verwundert und die Liebkosung des lieblichen Wesens unwillkürlich erwidernd.

»Ja,« bekräftigte die Indianerin, »Hih-lah-dih gekommen, um weiße Schwester aufzusuchen, und schon gestern sein gewesen am Brunnen hier im Verstecke, als Lovely ihren Krug füllte, um greisen weißen Häuptling und großen weißen Krieger zu tränken.«

Erschrocken entzog sich Lovely der Umarmung des roten Mädchens, dessen Worte ein Geheimnis verrieten, das, wie sie glaubte, außer ihr nur dem Richter Eaton, seinem vertrauten Knechte und seit gestern noch einer dritten Person bekannt wäre.

Hih-lah-dih erriet mit dem Instinkt ihrer Rasse den Grund der Bewegung Lovelys und sagte daher in teilnehmend beruhigendem Tone:

»Indianer haben scharfe Augen, sehen bei Tag, sehen bei Nacht alles, was in den Wäldern geschieht, sehen über die Wolken hinaus, sehen unter die Erde. Warum also nicht sehen die Spur von zwei großen Kriegern, welche im Lande der Blaßgesichter jenseits des großen Salzsees den Skalp eines großen Sachems genommen haben? Indianer auch scharfe Ohren haben, alles hören, was hören wollen. Hih-lah-dih nur schwaches Mädchen sein, aber gestern alles gehört, was meine weiße Schwester auf dem Weg nach der Höhle mit dem Plymouthkrieger, den rote Leute nennen kleinen Feuerspeier, hat geredet.«

Lovelys Beklemmung steigerte sich durch diese Worte der Indianerin außerordentlich. Sie faltete bittend die Hände und sah das rote Mädchen stehend an.

»Nicht sein bange, nicht haben Furcht!« sagte Hih-lah-dih lebhaft. »Rote Leute keinem Blaßgesicht die Höhle verraten. Wampanogen, Pokanoketen, Naragansetter treu sein ihren Freunden, Hahdoh-Manitu Freund sein von rotem Mann, und roter Mann gern sein bereit, die Freunde der Zunge des guten Geistes zu schützen.«

»Meine Schwester kommt von Roger Williams, welchen ihr Volk die Zunge des guten Geistes nennt?« fragte Lovely aufatmend. »Hih-lah-dih horcht gern der Stimme des Hahdoh-Manitu, die sanft klingt wie Säuseln des Frühlingswindes im jungen Laube,« entgegnete die Indianerin mit einem jener poetischen Bilder, welche der Sprache ihres Volks bis auf den heutigen Tag herab eine so charakteristische Färbung verleihen. »Aber,« fuhr sie fort, »Hih-lah-dih die Zunge des guten Geistes seit vielen Sonnen nicht gesehen haben, sie kommen herauf von der Salzsee, sie kommen als Botin eines jungen Blaßgesichtkriegers, schlank wie die Schillingstanne, stark wie die Eiche, hellsehend wie der Luchs, rasch wie der Panther, großer Jäger, großer Krieger, so groß wie der graue Bär, wie der Sachem der Naragansetter, wie der Sachem der Wampanogen!«

Der Busen des reizenden Geschöpfes hob sich, während sie in solcher Steigerung das Lob eines Mannes anstimmte, dessen Namen Lovelys lautpochendes Herz erriet, so daß sie nicht überrascht war, als die Indianerin hinzufügte: »Hih-lah-dih kommen als Botin des Goldhaars.«

Trotzdem aber, daß sie auf dieses Wort gefaßt war, schoß ihr das Blut verräterisch ins Antlitz und bedeckte dasselbe über und über mit Purpur.

Dieses Symptom entzündete eine helle Lohe in den Augen der Indianerin. Sie funkelte das weiße Mädchen mit wilden Blicken an, das feine Geäder ihrer Schläfe schwoll sichtbar, sie trat hastig einen Schritt zurück, machte eine Gebärde, als wolle sie auf Lovely losspringen, und rief ihr mit zornbebender Stimme zu:

»Das Goldhaar lebt in dem Herzen des Blaßgesichtmädchens!«

Ein schrecklicher Schmerz preßte die Brust Lovelys zusammen. Die leidenschaftliche Äußerung der Indianerin zeigte ihr blitzartig in der Tiefe ihrer Seele ein Geheimnis, welches sie bisher scheu vor sich selber zu verbergen gesucht hatte. Sie erfuhr mit einem Schlage, daß sie Thorkil liebte, grenzenlos liebte, und zugleich, daß sie sich einer Nebenbuhlerin gegenüber befände. Sie war weit entfernt, in diesem schmerzlichen Augenblick nach Beruhigung durch den Gedanken zu haschen, daß ja Natur und Religion eine nicht zu überspringende Schranke zwischen dem Geliebten und dem indianischen Mädchen aufgerichtet hätten; aber jungfräuliche Scham und die Nachwirkungen einer auf Selbstbeherrschung und Entsagungsmut gerichteten Erziehung kamen ihr in dieser Prüfung zur Hilfe, so daß sie mit gehaltener Stimme zu sagen vermochte:

»Ja, Thorkil Wikingson hat einen Platz in meinem Herzen. Gebietet doch der Herr, unser Gott, Dankbarkeit gegen unsre Wohltäter. Thorkil hat mir und denen, die ich mehr liebe als mein Leben, die größten Dienste geleistet – ich möchte ihm Schwester sein.«

»Schwester sein, bloß Schwester sein wollen?« rief die Indianerin aus und fügte mit einer Stimme, welche von der Glut der innigsten und heftigsten Leidenschaft gleichsam schmolz, hinzu: »Hih-lah-dih ihm mehr sein wollen, viel mehr! Immer wollen sein bei ihm. ihm nachtragen seine Waffen, ihm nähen sein Jagdhemd, ihm rösten sein Wildbret, ihm –«

Die Worte versagten dem hocherregten Kinde, und es warf sich, in einen Strom von Tränen ausbrechend, an die Brust Lovelys. Diese gab auch ihrerseits dem qualvollen Schmerze nach; sie fühlte, sie bereute, daß ihre soeben getane Äußerung Heuchelei war, sie mochte an Innigkeit der Leidenschaft der Tochter der Wildnis nicht nachstehen, sie umschlang in himmlischem Mitleid die Indianerin, und so vermischten sie ihre Seufzer, ihre Tränen, das herbste Weh, welches noch über ihre jungen Herzen gekommen war.

Sie hielten sich lange umfaßt. Binnen Minuten machte die gegenseitige Zuneigung dieser frischen, reinen Mädchenherzen jahreweite Vorschritte. Die Tochter der Zivilisation, welche, mit einer neuen Welt von Gefühlen in der Brust, ihr Alleinstehen in dem starr dogmatischen Kreise ihrer Glaubensgenossen seit einiger Zeit peinlich genug empfunden hatte, reichte dem Kinde der Wildnis die Hand, als einer Mitleidenden, als einer Vertrauten, von welcher sie den Zustand ihres Innern wenigstens erraten lassen durfte. Hih-lah-dih ihrerseits fühlte mit der ganzen Lebhaftigkeit und Hingebung ihres Wesens, daß sie mit einer Altersgenossin zusammengetroffen wäre, welche sie in einem unendlich tieferen Sinne, als in der Redeweise ihres Volkes lag, Schwester zu nennen begehrte.

So tat denn die unerschöpfliche Wundertäterin Natur auch hier wieder eins ihrer Wunder, indem sie vor dem Drange gegenseitigen schwesterlichen Wohlgefallens sogar die Stimme der ausschließlichsten Leidenschaft, die Stimme der Liebe des Weibes zum Manne, verstummen machte.

Als sich die beiden Mädchen wieder einigermaßen gefaßt und gesammelt, war ihnen zumute, als wären sie schon seit langer Zeit miteinander bekannt und vertraut. Sofort, mit der Wiederkehr einer ruhigeren Stimmung, erinnerte sich die Indianerin des Zweckes ihres Hierseins und sagte:

»Hih-lah-dih muß weit weg sein von hier, wenn die Sonne erreicht hat Mittagshöhe. Sie muß übernommene Botschaft bestellen, meine Blaßgesichtschwester Ohren öffnen mag.« »Ich höre, liebe Hih-lah-dih.«

»Gut. Das Goldhaar und auch der graue Bär lassen sagen meiner Schwester, daß nicht gut sei bleiben in Swanzey. Meine Schwester aufmachen sich soll mit Vater und altem Vater und gehen nach Providence in das Wigwam des Hahdoh-Manitu, wo bald sein größte Sicherheit für Blaßgesichter.«

»Wie, sind den Meinigen die grausamen Verfolger wieder auf der Spur?«

»Nicht Verfolger von jenseits des großen Salzsees auf Späherzug sein, nein. Roter Mann den Kriegstanz tanzen in allen Dörfern. Die Pfade zwischen denselben von Dornen gereinigt sein, rote Krieger kommen in Freundschaft zusammen, nur nicht Hunde von Pequoden. Indianer sagen, Tomahawk müsse ausgegraben und erhoben werden gegen die Blaßgesichter. Zu viele derselben für armen roten Mann. Blaßgesichtsvolk erst klein wie Bächlein da, aber geworden nach und nach groß wie großer Strom im Norden, wie Salzsee, und wegschwemmen wollen rotes Volk. Rote Krieger aber Jagdgründe ihrer Väter behaupten müssen, sonst zürnen Manitu.«

»Wenn ich meine Schwester recht verstehe,« sagte Lovely höchlich beängstigt, »so will ihr Volk in Feindseligkeit aufstehen gegen das meinige. Aber es ist ja Friede zwischen den Eingeborenen und den Pilgern der Wildnis.«

»Friede sein noch,« versetzte die Indianerin, »aber Sachems meinen, Zeit sein, das Kriegsgeschrei anzustimmen.«

»Das ist eine traurige Nachricht. Aber will meine Schwester nicht mit mir in das Dorf gehen, um sich dort deutlicher auszusprechen? Mein Volk würde ihr großen Dank wissen.« »Was in Dorf tun Hih-lah-dih?« entgegnete das rote Mädchen mit einem leichten Anflug von Mißtrauen. »Wampanogenmädchen nicht gern gesehen in Blaßgesichtsdorf. Hih-lah-dih nicht sein gesendet in Dorf, keinen Dank will von altem, bösem Häuptling in Dorf. Hih-lah-dih gesendet sein von dem Goldhaar an Lovely, nur an Lovely, und Dank haben will nur von dem Goldhaar.«

Lovely schwieg nachdenklich. Der Gedanke, welche Beziehungen zwischen Thorkil und der Indianerin statthaben möchten oder könnten, machte sich denn doch in seiner ganzen Schwere wieder geltend.

»Meine Schwester die Warnung des Goldhaars nicht darf lassen unbeachtet,« nahm Hih-lah-dih abermals das Wort. »Das Goldhaar und der graue Bär große Krieger sein, viel gelten bei roten Leuten, viel gelten bei Sachems. Beide es gut meinen mit Lovely. Sagen lassen, Schwester sich aufmachen mit Vater und altem Vater, zu gehen nach Providence. Heute noch offen sein der Pfad durch die Wälder. Gehen rasch, nicht sich umsehen, nicht gut sein bleiben in Swanzey, wenn rote Krieger zornig sein und mit dem Tomahawk haben in den Kriegspfahl gehauen.«

»Du erregst mir große Bangigkeit, Hih-lah-dih. Aber es kommt mir nicht zu, in dieser bedrohlichen Sache einen Entschluß zu fassen. Ich muß vor allem denen Mitteilung machen, welchen mein Leben angehört. Doch was auch beschlossen werden solle, deine Warnung soll beherzigt werden und – und – mein – unser Dank Thorkil nicht fehlen.«

»Gut. Lovely gehört haben die Botschaft des Goldhaars. Aber Hih-lah-dih wollen, daß das Goldhaar sagen, Hih-lah-dih gute Botin sein. Schwester ihr mitgeben ein Zeichen, welches sagen, daß Botschaft sei gut bestellt worden.« Lovely besann sich einen Augenblick, dann knüpfte sie mit Erröten das dunkelfarbige, unter dem Kinn festgebundne Flortüchlein los, womit sie nach der Sitte der puritanischen Frauen Scheitel und Schläfe züchtig verhüllt hatte, und reichte es der Indianerin hin mit den Worten:

»Nimm dies und sag' ihm, daß weder seine früheren Dienste noch dieser von mir vergessen werden sollen – und sag' ihm auch, er möge sorgen, daß er nicht böse Wege wandle, und bedenken, was seiner Abstammung, seiner Farbe und seinem Glauben gezieme.«

»Hih-lah-dih alles sagen will, was junges Mädchen einem so großen Krieger sagen darf,« entgegnete die Indianerin, das Tuch an ihrem Busen bergend.

Hierauf nahm sie rasch das Korallenhalsband von ihrem Halse, schlang es um den Lovelys und sagte:

»Gut sein, dies anhaben. Krieger der Wampanogen es kennen, auch Häuptlinge es kennen; gut sein, wenn meine Schwester zusammentrifft mit roten Männern.«

Mit diesen Worten befestigte sie das Schloß des Schmuckes am Halse Lovelys und küßte diese auf Stirn, Augen und Mund, wandte sich dann, winkte noch einmal freundlich mit der Hand und war mit dem graziösen Sprung einer Antilope im nahen Gebüsche verschwunden.


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