Johannes Scherr
Die Pilger der Wildnis
Johannes Scherr

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11.

Ein Mysterium wird tragiert –
»Menschenopfer« heißt das Stück,
Uralt ist der Stoff, die Fabel –
In der christlichen Behandlung
Ist das Schauspiel nicht so gräßlich.
Diesmal aber, bei den Wilden,
War der Spaß sehr roh und ernsthaft
Aufgefaßt ...
Heine.

Wir haben die Religion der Eingeborenen von Nordamerika gelegentlich bereits als eine vage und gleichgültige charakterisiert, als eine gleichgültige in bezug auf das religiöse Verhalten der Indianer gegen Andersglaubende, welches das toleranteste von der Welt war und ist, als eine vage, weil ihre mythologischen Vorstellungen sehr unbestimmt und unentwickelt waren. Der letztere Umstand hat seinen Grund darin, daß der Indianer weit mehr Leidenschaft als Einbildungskraft besitzt. Die indianische Phantasie ist nicht sehr produktiv: sie hat einige wenige Kriegs-, Jagd- und Liebeslieder hervorgebracht, sowie zahlreiche mythologische Traditionen, aber diese sind sehr alt und wurden von späteren Generationen nicht vermehrt oder systematisiert. Ihre kosmogonischen Ideen sind sehr unzusammenhängend und kindlich, wo nicht zu sagen kindisch, doch findet sich darunter da und dort eine, welche tiefer dringt und höher steigt. So, wenn der Indianer die belebte Welt als einen großen Körper betrachtet, dessen Glieder einem und demselben Prinzip von Geburt, Wachstum, Fortdauer und Auflösung unterworfen sind, oder wenn er die Erde als die gemeinschaftliche Mutter von allem, was ist, verehrt. Der große Zwiespalt in der moralischen Welt, der Unterschied zwischen dem Guten und Bösen, hatte auch in den religiösen Ansichten der Indianer seinen mythologischen Ausdruck gefunden. Was dem Anhänger der altpersischen Lehre Zerduschts Ormuzd und Ahriman, was dem Juden Jahve und Satan, das waren dem Indianer der gute Geist (Manitu) und der böse Geist (Ochkih-Häddäh). Das Verhältnis dieser beiden Prinzipien oder Personen zueinander wie zu den Menschen war freilich so schwankend und unbestimmt wie die ganze indianische Religion: gerade diese Unbestimmtheit und Dunkelheit aber wurde eine unerschöpfliche Fundgrube für die Machenschaften der Powows oder Medizinmänner, welche die Eigenschaften des Priesters, Arztes, Wahrsagers und Zauberers in sich vereinigten, bei dem gemeinen Manne in sehr hohem Ansehen standen und gerade deshalb von solchen, welche über den Aberglauben des großen Haufens erhaben waren, häufig als die passendsten Werkzeuge zur Erreichung gewisser Absichten gebraucht wurden. Merkwürdig ist, daß sich unter den indianischen Stämmen manche Überlieferung findet, welche mit den Mythen der altorientalischen und der christlichen Welt überraschende Ähnlichkeit hat. So hat die Sage von der großen Flut, welche unter ihnen heimisch ist, Veranlassung zu der von einigen Pedanten im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert mit Heftigkeit verfochtenen Hypothese gegeben, die Indianer seien einer der verlorenen Stämme Israel und daher im Grunde echte und gerechte Juden. Georg Katlin, der von allen Weißen dem Indianertum das umfassendste und liebevollste Studium gewidmet hat und dessen jahrelange Forschungen auf diesem Gebiete so höchst anziehende Resultate lieferten, teilt eine andere Sage mit, welche Anklänge an den christlichen Mythus enthält und mit der berühmten keltischen Mythe von Merlin, welchen bekanntlich der Teufel, als Affe Gottes, mit einer Jungfrau zeugte, frappant übereinstimmt. Vor langer, langer Zeit kam Ochkih-Häddäh in Begleitung des Numank-Machana, das ist des ersten Menschen, vom Westen her in das Dorf der Mandaner und setzte sich neben eine Frau, welche Mais ausbrach. Zu dieser kam ihre Tochter, die sehr schön war. Der böse Geist bat die Jungfrau, ihm Wasser zu holen, wünschte aber, daß sie vorher noch etwas Büffelfleisch essen möchte. Sie solle, sagte er, nur ein Stück aus seinen Lenden nehmen. Sie tat so, aß und fand, es schmecke wie Büffelfleisch. Hierauf holte sie Wasser, von dem beide mitsammen tranken, und das war vorderhand das ganze Abenteuer. Bald darauf aber suchten die Bekannten der Jungfrau diese zu verunehren, indem sie aussprengten, jene sei guter Hoffnung. Sie selbst zwar leugnete das nicht, zugleich aber beteuerte sie ihre Unschuld und forderte alle Männer des Stammes auf, sie anzuklagen, wenn sie könnten. Dies brachte eine gewaltige Aufregung im Dorfe hervor, und da kein Ankläger gegen sie auftrat, so wurde sie als »große Medizin« betrachtet. Unlange darauf entfernte sie sich aus dem Dorfe und gebar an einem abgelegenen Orte. Man suchte eifrig nach ihr und dem Kinde, weil man glaubte, das letztere sei ebenfalls große Medizin und für das Wohlergehen des Stammes sehr wichtig. Diese Annahme, welche durch die wunderbare Art der Empfängnis motiviert war, wurde bestätigt durch die Wunder und Zeichen, welche das Kind wirkte. Unter anderem gab es einmal den Mandanern, als sie dem Hungertode nahe waren, vier Büffel und zwar wunderbare Büffel, denn nachdem der ganze Stamm sich an dem Fleische der Tiere gesättigt hatte, war dessen noch mehr vorhanden, als zum Anfang. Numank-Machana hatte jedoch den Entschluß gefaßt, das Wunderkind zu töten, und nachdem er es lange vergeblich gesucht, fand er es an einem dunkeln Orte, ergriff es und warf es in den Fluß, wo es ertrank. Sobald Ochkih-Häddäh dies erfuhr, verfolgte er die Spur des Numank-Machana, um ihn umzubringen. Nach langem Suchen fand er ihn, allein der erste Mensch hatte die große Medizinpfeife in der Hand, deren Zauber ihn gegen jeden Feind sicherstellte. Deshalb fand es Ochkih-Häddah für gut, sich mit ihm zu versöhnen, worauf beide freundschaftlich aus der großen Pfeife rauchten.

Das ist so ein Stück indianischer Mythologie, ein Stück, aus welchem man hat schließen wollen, daß die Eingeborenen von Nordamerika eine dunkle und verworrene Kenntnis von dem Sündenfalle Evas und von dem Erscheinen und dem Tode des Erlösers besessen hätten. Wir unsererseits können uns auf eine nähere Untersuchung hier nicht einlassen, sondern teilten die Sage nur episodisch mit, einigermaßen als Vorspiel zu der Szene, welche wir jetzt zu beschreiben haben. Bevor wir daran gehen, sagen wir nur noch, daß Metakom, wie es scheint, für passend erachtet hatte, den gesunkenen Mut seines stark dezimierten Stammes mittels eines Schauspiels religiösen Fanatismus wieder zu beleben, wie ja schlaue Politiker in alter und neuer Zeit häufig versuchten, und zwar oft mit Glück, den großen Haufen durch Anwendung religiöser Reizmittel zu galvanisieren. Ob der große Häuptling durch die vielen öffentlichen und persönlichen Mißgeschicke, welche in letzter Zeit ihn betroffen, in seinem Sinne verstört, die religiöse Zeremonie, von welcher zu berichten ist, nebenbei zur Befriedigung eines Privathasses benutzen wollte, lassen wir dahingestellt.

Mit Sonnenaufgang war in dem Lager der Wampanogen alles lebendig. Das Lager befand sich, wie schon erwähnt worden, auf der äußersten Spitze der Landzunge von Montaup.

Da, wo die See das Land berührte, war der Platz ein paar Schritte breit frei. Dann erhob sich längs dieses schmalen Erdsaumes eine Reihe von Rasenhütten und Büffelhautzelten, welche die ganze Breite der Landzunge einnahm. In der Mitte dieser Linie von Wigwams, aber abgesondert von derselben, stand die sogenannte Medizinhütte, der Mittelpunkt der heutigen Verhandlung. Auf der Nordseite derselben war ein ziemlich großer freier Raum, welcher nordwärts von einem dichten Waldgürtel geschlossen wurde und gegen Westen offen war. Seine östliche und südöstliche Seite war zur Aufnahme der Zuschauer des feierlichen Aktes bestimmt, welcher sich vorbereitete.

In gerader Richtung zwischen der Medizinhütte und dem Walde, nur ein paar Schritte vom Saume desselben entfernt, sprang der isolierte Felsblock in die Höhe, dessen ebenfalls schon früher gedacht wurde.

Wer von unsern Lesern schon das Vergnügen gehabt hat, die Gotthardsstraße von Amsteg bis Andermatt zu sehen, wird sich eines kolossalen Felskegels erinnern, welcher unweit oberhalb des Dorfes Wasen hart am Wege ganz frei dasteht und unter dem Namen des Teufelsfelsens bekannt ist. Diesem war der Fels, welchen wir hier im Auge haben, auffallend ähnlich, nur mit dem Unterschiede, daß letzterer noch entschiedener als jener die Gestalt einer umgekehrten Pyramide und in der Mitte einen weitklaffenden Spalt hatte, in welchem mehrere Waldbäume wurzelten, die ihre Äste und Wipfel über die Oberfläche des Felsens hinweg in die Luft streckten. Dieser Spalt befand sich auf der nördlichen Seite des Steins, etwa in halber Höhe desselben, welche ganz schroff anstieg und ohne künstliche Hilfemittel unzugänglich zu sein schien. Die Medizinhütte selber verlangt ebenfalls eine kurze Beschreibung. Sie war in bedeutender Größe aus Stämmen aufgeblockt und auf drei Seiten ohne irgend eine Öffnung, die vierte aber, die nördliche, war ganz offen, indem die Büffel- und Hirschfelle, welche an gewöhnlichen Tagen die Zwischenräume des Gebälkes bedeckt hatten, entfernt worden waren. Mitten in der Hütte, deren Pfosten, Wände und Dachfirst mit Adlerfedern, Schlangenhäuten und Stücken roten und blauen Tuches verziert worden, waren in zwei eigentümlich geschichteten Gruppen weißgebleichte Menschen-, Büffel- und Elentierschädel aufgestellt. Zwischen denselben lagen ein Messer und mehrere an beiden Enden gespitzte Stäbchen von hartem Holz am Boden. Eine Anzahl Stricke von rohem Leder hing von der Decke der Hütte herab. In den vier Ecken derselben, welche die vier Weltgegenden bedeuteten, bemerkte man vier mit Wasser gefüllte Ledersäcke, deren Form die Gestalt der Schildkröte nachahmte, ohne Zweifel eine symbolische Erinnerung an die große Flut. Auf jedem dieser Schläuche lag eine Art Trommelstock und eine tamburinartige Rassel, gefertigt aus einer mit Leder überzogenen Kürbisschale. Die Trommelstöcke und Rasseln wurden während der Zeremonie von vier Powows fortwährend in Bewegung gesetzt. Draußen vor der Hütte, an der nordöstlichen Ecke derselben, war ein mächtiger Eichenstumpf aufrecht hingestellt, und auf demselben lag eine gewaltige Kriegskeule, aus Speckstein geschnitten.

Die Zeremonie begann, wie schon gemeldet, mit Aufgang der Sonne.

Eine kleine Streifpartei, welche unter Anführung Ischähkohnihs die Wälder und Sümpfe vor Tagesanbruch ausgekundschaftet hatte, war mit der Meldung zurückgekehrt, daß alles sicher sei. Sofort konnte der Sachem, vor sein Wigwam tretend, mittels eines Büchsenschusses das Zeichen zum Beginn der seltsamen Feierlichkeit geben, denn die Powows hatten die Nacht über alles dazu Erforderliche vorbereitet und ihre Rollen unter sich verteilt.

Kaum war der Schuß gefallen, als sich der ganze Stamm, welcher, Weiber und Kinder eingeschlossen, etwa noch zweihundert Köpfe stark war, zu einem Zuge ordnete, auf den freien Platz vorschritt, langsamen Schrittes und schweigend die Medizinhütte in Prozession umschritt und dann in einem Halbkreise an der schon bezeichneten Stelle Platz nahm. Die Ordnung der Versammlung hierbei war ganz dieselbe, wie wir sie früher einmal angaben. In der Sehne des Halbbogens saß der Sachem allein. Ein paar Schritte hinter ihm saßen Annawon und ein Weißer, der brüllende Tom. Nun folgte eine Reihe von Untersachems und vorragenden Kriegern. Am äußersten nördlichen Ende der Linie bemerkte man Ischähkohnih. Dann kamen mehrere Reihen von Männern, und noch weiter zurück hatten die Frauen und Kinder ihren Platz. Am südwestlichen Ende des Halbbogens sah man eine Gruppe von Jünglingen, die erst unlängst in das Alter der Mannbarkeit eingetreten. Ihre nackten Körper waren über und über mit Ton bemalt, gelb, rot, weiß und schwarz, und sie sollten heute eine wichtige Rolle spielen.

Metakom trug seinen besten Häuptlingsschmuck. Sämtliche Krieger erschienen in ihrer Kriegsbemalung und hatten sich festlich herausgeputzt. Von Waffen jedoch sah man nur die Tomahawks, welche die Männer im Gürtel trugen.

Sei es, daß die ganze Versammlung das düstere Schweigen des Sachems nachahmte, dessen bronzene Züge und kühne Stirn von finsteren Schatten umwölkt waren, oder sei es, daß die bevorstehende Feier es verlangte, alles schwieg, niemand regte sich und man hätte diese laut- und regungslose Menge für eine Sammlung von Mumien halten können, wäre nicht das erwartungsvolle Rollen und Glühen der schwarzen Augen gewesen.

Endlich traten vier Powows in phantastischem Anzug aus der Medizinhütte, und ein fünfter ging in ihrer Mitte.

Dieses Individuum, der erste Powow des Stammes, war eine höchst groteske Erscheinung. Die Kopfhaut eines grauen Bären hatte er über das Haupt gestülpt, so daß sein Gesicht völlig darunter verschwand. An diesem barocken Helme waren lang herabfallende Felle von allerlei größeren Wildtieren des Landes befestigt, an den Fellen aber Häute von Schlangen, Fischen, Vögeln, Fröschen, Eichhörnchen, Fledermäusen, ferner Bärenklauen, Hufe von Hirschen, Biberschwänze, Federn von allem fliegenden Getier. Die Rassel, welche er mit der Linken über dem Kopfe schwang, war mit Insekten, Federn und Hörnern verziert, der Zauberstab in seiner Rechten mit Skalphaaren, großen und kleinen Eidechsen, Muscheln und allerhand Kräuterbüscheln. Ähnlich waren auch seine Kollegen angetan, doch boten sie in ihrer Erscheinung kein so überreiches Sammelsurium von allem, was geht, fliegt, kriecht und schwimmt, wie ihr würdiges Oberhaupt.

Auf den Platz vortretend, beschrieb der Ober-Powow mit seinem Stab verschiedene geheimnisvolle Kreise in der Luft, kehrte sich dann den vier Weltgegenden zu und rief viermal den Namen Numank-Machana. Jedesmal wiederholten seine Leviten diesen Namen und lärmten dazu fürchterlich mit ihren Rasseln.

Die Beschwörung mußte große Kraft haben, denn am westlichen Ende des Platzes trat aus dem Gebüsche hervor ein Mann, dessen Körper vom Wirbel bis zur Sohle mit einer dicken Kruste glänzend weißen Tons bedeckt war. Über dieser Bemalung trug er einen Mantel von weißen Wolfshäuten, außerdem einen Kopfputz von zwei Rabenfellen, und in den Händen hielt er eine außerordentlich große Pfeife.

Es war keine geringere Person als Numank-Machana, der »erste« oder einzige Mensch.

Von den Powows feierlich eingeholt und ehrerbietigst begrüßt, schritt er über den Platz und stellte sich vor den Sachem, welcher es sich angelegen sein ließ, in seinen Gruß die größtmögliche Achtung zu legen.

»Der Manitu,« so begann Numank-Machana seine Rede, »hat mich zu seinen Kindern gesandt, mich, der ich allein aus der großen Flut gerettet wurde, indem ich in meinem großen Kanoe auf dem hohen Berge im Westen landete, wo ich jetzt wohne.«

Er beschrieb nun dieses Ereignis des näheren und fügte dann hinzu:

»Der Manitu hat mich gesandt, um die Medizinhütte zu weihen, damit die große Blutprobe und das Opfer vor sich gehen könne. Doch zuvörderst reicht mir die Gaben, das große Wasser zu versöhnen, damit die Flut nicht wiederkehre. Reinigt eure Pfade von Dornen und erfüllt den Willen des Manitu, damit die Wolke von seinem Angesichte schwinde.«

»Dummes Zeug!« brummte Tom Morton in englischer Sprache und verhielt nur mit Mühe das Lachen.

Metakom warf ihm aber einen Seitenblick zu, welcher den unzeitigen Lachkitzel sofort stumpfte.

Dann stand der Häuptling auf, nahm seinen Tomahawk aus seinem Gurt und reichte ihn dem Numank-Machana, indem er sagte:

»Mein Vater ist sehr willkommen.«

Der erste Mensch nahm die Gabe in Empfang und durchschritt die Reihen der Krieger, welche ihm alle ihre Streitäxte darboten. Dann ging er mit dem Armvoll Tomahawks, die er gesammelt, an das Meer, ersah sich eine tiefe Stelle und warf die wunderliche Opfergabe hinein.

Nachdem die See ihr Opfer empfangen, verfügte sich Numank-Machana in die Medizinhütte, die er mit lautem Gemurmel und seltsamem Gebärdenspiel weihte. Auch zündete er dort die große Medizinpfeife an. Hierauf trat er mit dieser heraus, blies nach jeder der vier Weltgegenden eine große Rauchwolke und überreichte die Pfeife dem Ober-Powow, welcher hiermit zum Leiter der weiteren Zeremonien bestellt war. Dies abgemacht, verneigte sich der erste Mensch vor dem Sachem und der ganzen Versammlung, eilte windschnell über den Platz und verschwand in dem Gebüsche, aus welchem er hervorgekommen.

Der Ober-Powow blies nun ebenfalls große Rauchwolken nach allen vier Winden; dann richtete er die Spitze des Pfeifenrohrs gerade in die Höhe und stieß einen schrillen Ton aus. Diesen wiederholten seine vier Leviten und setzten ihre Rasseln in Bewegung.

Sogleich erhoben sich die Jünglinge, welche die Hauptrolle in der »Okippe«, das ist, in dem Fest der großen Blut- und Mutprobe, spielen sollten, und schritten paarweise bis in die Mitte des Platzes vor. Die Powows stellten sich an ihre Spitze und führten den Zug langsam um die Medizinhütte, wobei die Jünglinge sangen:

»Nun geh' ich, nun geh' ich zum freud'gen Geschäfte –
O großer Geist, erbarme dich mein,
Im freud'gen Geschäft hab' Erbarmen mit mir!

Auf meinem Wege gib gutes Glück
Und habe Erbarmen, o großer Geist,
Mit meinem freud'gen Geschäfte!

Nun geh' ich, nun geh' ich zum freud'gen Geschäfte –
O gib mir Sieg und Gelingen,
O großer Geist, erbarme dich mein!«

Nachdem die kleine Prozession wieder mitten auf dem Platz angelangt war, verstummte der Gesang, und die Okippe nahm jetzt wirklich ihren Anfang.

Sie zerfiel in drei Abteilungen, in den Büffelstiertanz (Bellohknähpick), die Schneide (Pohkhong) und das letzte Rennen (Ehkenahkanahpick).

Indem die zwölf Jünglinge sich zum Tanze aufstellten, bildeten sie eine Gruppe um den Ober-Powow her. Je drei und drei zusammengeordnet, stellten sie die vier Weltgegenden dar. Jedem der Tänzer wurde von den Powows in die linke Hand ein dünner weißer Stab und in die Rechte eine Rassel gegeben. Als darauf der Leiter der Zeremonie wiederum ein Rauchopfer aus der Medizinpfeife dargebracht hatte, gab er das Zeichen zum Beginne des Tanzes.

Sofort gaben die Powows die monotone Melodie desselben an, welche sie, wie auch die Tänzer selbst, mit ihren Rasseln begleiteten, was ein großes Geräusch hervorbrachte.

Die Tänzer bewegten sich in jenen mehr grotesken als schönen Sprüngen im Kreise, welche den indianischen Tänzen überhaupt eigen sind. Sie ahmten dabei die Bewegungen und das Gebrüll der Tiere nach, von welchen der Tanz seinen Namen hatte, und wetteiferten miteinander in wildem Gebärdenspiel und Geschrei.

In dieser Weise hatte der Tanz eine gute Weile gewährt, als ihn eine Erscheinung unterbrach, welche an der Stelle, wo der erste Mensch verschwunden, aus dem Gebüsche auftauchte.

Diese Erscheinung war ein Mann, dessen völlig nackter Körper mit einer Mischung von gestoßenen Kohlen und Bärenfett schwarz wie der eines Mohren angestrichen war. Auf diesem dunkeln Grunde liefen um seine Arme, Lenden, Schenkel und Beine weiße Ringe von etwa einem Zoll Durchmesser, und am Munde trug er ein schreckliches Bärengebiß.

Es war seine satanische Majestät in eigener Person, welche in solchem Kostüm sich offenbarte.

Beim Anblick dieser scheußlichen Figur erhoben die Frauen und Kinder ein lautes Angstgeschrei und kreischten: »Ochkih-Häddäh! Ochkih-Häddäh!«

Der böse Geist sprang mit einem mächtigen Satze aus dem Dickicht, wobei er eine rote Kugel, welche an einem acht bis neun Fuß langen schwarzen Stab befestigt war, vor sich her auf der Erde schleifte.

Ein furchtbares Gebrüll ausstoßend, rannte er auf den Kreis der Tanzenden zu, welchen er, drohend seinen Stab schüttelnd, zu durchbrechen Miene machte.

In dieser Gefahr, welche die ganze Zeremonie zu stören drohte, tat der Ober-Powow seine Pflicht, indem er aus dem Kreise hervortrat, dem Ochkih-Häddäh gravitätisch entgegenging, ihn mit festen Blicken fixierte und mit beiden Händen ihm die Medizinpfeife unter die Nase hielt.

Vergebens schwenkte der böse Geist seinen Stab, vergebens fletschte er die Zähne und brüllte entsetzlich, die heilige Pfeife war mächtiger als er. Er krümmte und wand sich unter dem zauberkräftigen Einflüsse derselben, trippelte ängstlich hin und her, wobei ihm der Powow auf Schritt und Tritt folgte, und schlich endlich mit gesenktem Kopf dem Gebüsche zu.

Als er verschwunden, brach die ganze Versammlung in ein lautes Freudengeschrei aus, der Büffeltanz hörte auf, und der zweite Akt der Okippe hob an. Die Jünglinge ordneten sich paarweise hinternander und schritten, von dem Zeremonienmeister und seinen Leviten geführt, der Medizinhütte zu. Dabei sangen sie im Gehen abermals:

»Nun geh' ich, nun geh' ich zum freud'gen Geschäfte –
O großer Geist, erbarme dich mein,
Im freud'gen Geschäft hab' Erbarmen mit mir!«

Der Ober-Powow nahm in der Mitte der Hütte zwischen den beiden Pyramiden von Menschen- und Tierschädeln Platz und rauchte eifrig. Seine Leviten stellten sich zu den erwähnten vier Lederschläuchen und ergriffen die Trommelstöcke. Zwei weitere Powows kamen aus dem Hintergrunde der Hütte, und der eine von ihnen nahm das am Boden liegende Messer, der andere die hölzernen Stäbchen zur Hand. Hinter ihnen stellten sich die Jünglinge schweigend in eine Reihe.

Auf ein durch Erheben der Medizinpfeife über seinen Kopf von dem Zeremonienmeister gegebenes Zeichen begannen die Musikanten mit Stimme, Trommelstöcken und Rasseln ihre betäubende Musik, und die Jünglinge traten einer nach dem andern vorwärts, um sich der fürchterlichen Mut- und Blutprobe zu unterwerfen.

Bei dieser Marter ging es folgendermaßen zu.Wir halten nicht für überflüssig, zu bemerken, daß wir dem Leser im folgenden keineswegs etwa eine grausame Phantasie auftischen, sondern durchaus nur wirkliche, durch authentische Zeugnisse erhärtete Bräuche schildern.

Der zu Marternde stellte sich vor den Powow, welcher das Messer in der Hand hielt. Dieser zog ihm auf jeder Schulter oder auch auf jeder Seite der Brust ein Stück Fleisch vermittelst des Daumens und Zeigefingers in die Höhe, nahm das Messer, welches vorher absichtlich schartig gemacht worden war, und stieß es unter seinen Fingern durch das heraufgezogene Fleisch hindurch. Hierauf trat der andere Powow hinzu und steckte eins der Holzstäbchen durch jede der Wunden. An die beiden Enden der Holzstäbchen wurden sodann die Enden der von der Decke herabhängenden Lederstricke befestigt und wurde der Gemarterte daran in die Höhe gezogen, so daß er über dem Boden frei in der Luft schwebte. Hierauf wurden dem Opfer noch an den Armen, an den Schenkeln und Waden ähnliche Einschnitte gemacht und Stäbchen hindurchgesteckt, an die man Bogen, Köcher, Streitäxte oder Büffelschädel hing. Dann wurde der Gemarterte, dessen Körper das Blut seiner Wunden überströmte, an den Lederseilen so weit hinaufgezogen, daß die an ihm hängenden Gegenstände den Boden nicht mehr berührten, sondern fünf bis sechs Fuß hoch über dem Boden schwebten. Hierbei bot das Opfer einen schrecklichen Anblick dar, und sein Kopf sank entweder hintenüber oder auf die Brust herab, je nachdem der Gemarterte an der Brust oder an den Schultern aufgehangen war.

Aber noch nicht genug.

Sowie alle zwölf Jünglinge in der Luft schwebten, nahmen die zwei Powows lange Stangen zur Hand und brachten mittels derselben die Körper der Unglücklichen in eine drehende Bewegung, die allmählich immer schneller und schneller wurde und die Schmerzen entsetzlich steigerte.

Die Standhaftigkeit, womit die gräßlichen Martern ertragen wurden, grenzt geradezu ans Unglaubliche. Der indianische Stoizismus feierte hier einen Triumph, von welchem sich das humane Gefühl mit Schauder abwenden muß.

Keiner der Jünglinge verzog eine Miene, wenn das schartige Messer sein Fleisch zerriß, und mehrere hatten bei dieser Operation ein Lächeln auf den Lippen, welches sagen zu wollen schien: »Seht, ich bestehe vor dem Manitu als ein Mann, welcher würdig ist, den Kriegspfad zu wandeln.«

Auch während die Gemarterten in der Luft hingen, hielt ihr Mut die entsetzliche Probe aus, und es war rührend anzuhören, wie sie, vor Schmerzen halb ohnmächtig, dann und wann ihre gebrochenen Stimmen über das Getöse der barbarischen Musik erhoben und sangen:

»Ich gehe, ich gehe – zum freud'gen Geschäfte –
O gib mir Sieg und Gelingen,
O großer Geist und erbarme dich mein!«

Inzwischen wurde das Drehen so lange fortgesetzt, bis die Gemarterten anscheinend leblos dahingen oder, wie die Terminologie der Powows es ausdrückte, »ganz tot waren«.

Nun ließ man sie langsam auf den Boden der Hütte hinab, wo sie wie Leichen lagen, und machte sie von den Lederstricken los, indem man ihnen die Stäbchen aus Brust und Schultern zog.

Sobald sie, was so ziemlich nach Verfluß von acht bis zehn Minuten eintrat, wieder so viel Kraft erlangt hatten, daß sie sich regen und bewegen konnten, krochen sie auf Händen und Füßen mit der ganzen an ihrem Körper hängenden Last nach der Seitenwand der Hütte, wo sie eine Weile ruhen durften, bis der dritte Akt der furchtbaren Probe begann.

Der Ober-Powow füllte die Medizinpfeife mit neuem Tabak, brachte sie in Brand, rauchte und richtete ein langes Gebet an den guten Geist, indem er ihm für das bisherige glückliche Resultat der Okippe Dank sagte und zu ihrer Vollendung seinen Beistand erflehte. Hierauf sangen die Musikanten ein Lied, in welchem sie die Macht und Wirksamkeit der Medizinpfeife priesen, die den bösen Geist aus dem Lager vertrieben hätte und die jungen Leute in der ihnen noch bevorstehenden Prüfung sicherlich beschützen würde.

Der Zeremonienmeister verließ nun die Hütte, stellte sich mitten auf den freien Platz und winkte mit dem Rohr der Medizinpfeife aus den Reihen der Versammlung einige zwanzig der jüngeren Krieger herbei, welche bei dem »letzten Rennen« mitagieren sollten.

Und ein »letztes Rennen« schien es in der Tat werden zu wollen, denn man mußte glauben, die Gemarterten seien nicht imstande, auch diese schreckliche Strapaze noch zu überleben.

Die armen Jünglinge schwankten aus der Hütte, indem sie die an ihrem zuckenden Fleisch befestigten Lasten hinter sich herschleppten. Blutüberströmt, in jeder Fiber gepeinigt, bändigten sie dennoch die ungeheuren Schmerzen und stimmten wiederum, wenn auch mit fast erloschenen Stimmen, den Gesang an:

»Nun geh' ich, nun geh' ich zum freud'gen Geschäfte –
O großer Geist, erbarme dich mein,
Im freud'gen Geschäft hab' Erbarmen mit mir!«

Jeder von ihnen wurde von zwei Kriegern in Empfang genommen, so zwar, daß ihn dieselben zwischen sich nahmen und einen breiten Lederriemen um sein Handgelenk schlangen.

Der Ober-Powow erhob die Medizinpfeife und stieß schreiend das Wort »Ehkenahkanahpick« aus.

Sogleich fingen die Krieger mit aller Schnelligkeit zu laufen an und schleppten die von ihnen an den Riemen Festgehaltenen mit sich fort, bis dieselben vor Schwäche niederstürzten. Aber auch dann wurden sie nicht losgelassen, sondern an den um ihre Handgelenke geschlungenen Riemen so lange im Kreise herumgeschleift, bis alle an ihrem Körper hängenden Gegenstände losgerissen waren, was oft nur dadurch möglich war, daß ganze Streifen Fleisches von den Gliedern sich lösten.

Es war ein empörender Anblick, der jedoch nicht nach der Anschauungsweise europäischer Zivilisation beurteilt werden darf.

Indianischen Augen war dieses blutige Schauspiel ein höchst wohlgefälliges. Die Versammlung gab durch Gemurmel ihren Beifall zu erkennen, als sämtliche der Okippe Unterworfenen die verschiedenen Grade der Probe ausgehalten hatten, ohne einen Klageruf hören zu lassen, ohne ein Zeichen unmännlicher Schwäche zu geben, und als sich nun die Gemarterten vom ersten bis zum letzten von dem blutbetauten Rasen, auf welchen sie nach dem letzten Rennen hingesunken, erhoben und mit Schritten, welche unbezähmbarer Stolz zu festen machte, nach den Wigwams am Seegestade gingen, wo ihren Wunden die Pflege von Müttern und Schwestern zuteil werden sollte, da brauste aus der Versammlung ein Jubelruf auf, welcher weit über das in hellem Sonnenglanze funkelnde Meer hinscholl.


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