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Der Choral

Ein Soldat steht vor dem Kriegsgericht, aschenfahl.
Tod! ist das eiserne Urteil erklungen.
Die Schuld? Ein Choral,
Den der Mann beim Patrouillenritte gesungen,
Als Schweigen bei Todesstrafe allen
Geboten worden. –
Es war vor Prag. –
Was dem Unglücksmenschen nur eingefallen?
Er weiß es selbst nicht, ist wie verstört,
Sucht wirr nach Verteidigungen –

Wie im Traum fing er plötzlich zu singen an,
Nein, ein Fremdes hab' hellaut aus ihm gesungen.
Er sagte: »Ich bin sonst gar nicht der Mann
Zum Singen und Beten –.«

Nüchterngescheit
War er den andern immer erschienen.
Dazwischen manchmal voll Lustigkeit,
Wie prasselndes Pulver in Worten und Mienen.
Ein ehrlicher Kerl, ein braver Soldat,
Schade um den! Leb' wohl, Kamerad! – –
Die Kameraden würgt das Erbarmen.
Um einen Choral ein Leben vernichtet!
Die Offiziere stehn selbst wie gerichtet.
Nun steht auch der Feldgeistliche vor dem Armen,
Ein Bild des Mitleids der kraftvolle Mann,
Tieftraurig blickt er den andern an,
Seufzt, schüttelt das Haupt.
Da plötzlich bricht
Aus seinen Zügen ein klareres Licht,
Einer Erkenntnis blitzheller Schein,
Er hebt das Haupt und sagt tönend: »Nein!
Gott richtet gerecht, auch dieses Mal!
Das konnte nicht sein; es war nicht der Choral!
Da liegt eine andere Schuld zugrunde.
Lieber, dies ist Ihre letzte Stunde,
Bekennen Sie, was Sie keinem bekannt!
Wofür büßen Sie das? Was hat sich begeben?«

Er faßt fest und dringlich des Mannes Hand:
»Welche frühere Schuld liegt auf Ihrem Leben?
Da ist eine! Nicht so? Gestehen Sie!« – –

Dem Verurteilten wanken die Knie.
Entsetzt, dem Ohre des Seelsorgers nah,
Flüstert er schaudernden Tones: »Ja!«
Dann stockend, – der Beichtiger wartet geduldig:
»Ja – ich bin eines Mordes schuldig!«

Immer festeren Tones berichtet er:
»Es ist Jahre um Jahre her,
Als Mahlbursch hab ich die Untat verübt.
Der Müller ist damals ins Mahlwerk gekommen;
Ich war in die Müllerin verliebt.
Jeder hat es als Unfall genommen,
Die Frau hatte nicht den kleinsten Verdacht,
Ich diente ihr, ward ihr unentbehrlich;
Sie hat mich später zum Manne gemacht,
Ich ward vor mir selber ehrbar und ehrlich.

Meine dunkle Tat ging mir kaum noch nach –«

Hier fielen die Trommeln dumpf-dröhnend ein.
Irr starrte der Mann. Der Geistliche sprach:
»Gott woll' Ihrer Seele gnädig sein!«

*

 


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