Emilio Salgari
Der schwarze Korsar
Emilio Salgari

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Der Schwur des Schwarzen Korsaren

Während die Freibeuterschar sich jetzt wie ein reißender Strom über die nunmehr unverteidigte Stadt ergoß, um zu plündern, untersuchten ihre Führer die angehäuften Leichen im Fort, in der Hoffnung, den gehaßten van Gould unter ihnen zu finden.

Entsetzliche Bilder boten sich bei jedem Schritt dar. Überall Berge Toter, durch Säbelhiebe gräßlich zerstückelte Leichen mit verstümmelten Armen, gespaltenen Schädeln und Wunden, aus denen noch das Blut floß. In den Verteidigungsständen, in den Zugängen zu den Kasematten, überall Blutlachen.

Als Ventimiglia die Verwundeten jammern hörte, versuchte er, sowohl Korsaren als auch Spanier aus ihrer schlimmen Lage zu befreien. Mit Hilfe Mokkos und der beiden Flibustier schaffte er sie fort von den Leichenhaufen und ließ sie verbinden. Überall sprang er hilfreich ein.

Schon glaubten sie, beinahe allen Unglücklichen geholfen zu haben, als sie aus einer Ecke des Hofes, wo Spanier und Freibeuter übereinander lagen, eine Stimme vernahmen, die ihnen bekannt erschien.

»Wasser, Caballeros!« hörte man unter einem Haufen Toter rufen.

»Himmel!« rief Stiller. »Das ist ja der Katalonier.«

Sofort machten sie sich daran, den Ärmsten zu suchen. Zwei lange, magere Arme und ein mit Blut besudelter Kopf kamen zum Vorschein.

»Carrai!« rief der Mann, plötzlich seine Retter erblickend.

»Herzensfreund!« rief Carmaux freudig bewegt. »Wie freue ich mich, dich noch lebend zu treffen! Hoffentlich haben sie deine hagere Gestalt nicht allzu schlimm zugerichtet!«

»Wo bist du verwundet?« fragt der Korsar, indem er ihn aufrichtete.

»Man hat mir einen Säbelhieb auf die Schulter und einen ins Gesicht versetzt!«

»Fühlst du, daß deine Verwundungen gefährlich sind?«

»Sie haben mir große Schmerzen verursacht. Gebt mir zu trinken!«

»Nimm, Gevatter!« sagte Carmaux und reichte ihm ein Fläschchen hin. »Nimm, es wird dich stärken!«

Der Katalonier, der Fieber hatte, leerte es gierig.

Dann wandte er sich zum Schwarzen Korsaren: »Ihr sucht den Gouverneur von Maracaibo, nicht wahr?«

»Hast du ihn gesehen?«

»O Herr, Ihr habt die Gelegenheit verpaßt, ihn mit einem Halsband zu beehren, und ich, ihm die fünfundzwanzig Hiebe zurückzugeben!«

»Was heißt das?«

»Daß der Halunke, Euren Sieg voraussehend, hier gar nicht erst gelandet ist! Er ließ sich mit der Karavelle des Grafen Lerma, um Eure Schiffe nicht zu kreuzen, nach der Ostküste des Sees bringen. In Coro wollte er sich ausschiffen, um einen spanischen Segler zu besteigen.«

»Wohin?«

»Nach Porto Cavallo! Dort hat er Besitztümer und auch Verwandte!«

»Sind seine Angaben zuverlässig?«

»Gewiß, Herr.«

»Tod und Verdammnis!« schrie Ventimiglia. »Mir wieder zu entwischen! Sei es! Und wenn er in die Hölle führe, der Schwarze Korsar wird ihn selbst bis dorthin verfolgen!... Und müßte ich auch meine ganzen Reichtümer opfern – ich fahre ihm nach bis zur Küste von Honduras. Das schwöre ich zu Gott!«

»Und ich begleite Euch, Herr, wenn es Euch recht ist«, sagte der Katalonier.

»Hältst du eine Verfolgung für möglich?«

»In dieser Stunde dürfte er sich eingeschifft haben. Noch ehe ihr nach Maracaibo kommt, wird er an der Küste von Nicaragua sein.«

»Gut! Sobald wir auf der Tortuga sind, werde ich eine Expedition ausrüsten, wie man noch keine im Golf von Maracaibo gesehen hat!«

Nachdem er Carmaux und Stiller beauftragt hatte, sich des verwundeten Spaniers anzunehmen, ging er, nur von Mokko begleitet, in die Stadt hinunter, um den Olonesen aufzusuchen.

Die Straßen von Gibraltar, in welche die Korsaren, fast ohne auf Widerstand zu stoßen, eingedrungen waren, boten einen nicht minder trostlosen Anblick als das Innere des Forts. Alle Häuser waren geplündert. Überall hörte man noch das Weinen der Frauen, das Schreien der Kinder, Flüche und Gewehrschüsse.

Scharenweise liefen die Einwohner, von den Piraten verfolgt, durch die Gassen, um ihre kostbarste Habe in Sicherheit zu bringen. Blutige Gemetzel fanden zwischen den Plünderern und der unglücklichen Bevölkerung statt, die zur Herausgabe ihrer verborgenen Schätze gezwungen wurde.

Um Gold zu erlangen, scheuten die gefürchteten Seefahrer selbst vor dem Äußersten nicht zurück.

Einige leere Häuser brannten. Sie warfen Funkengarben in die Luft und gefährdeten die ganze Stadt.

Der Kapitän wandte sich angewidert ab, obwohl er an dieses Schauspiel gewöhnt war.

Auf dem Hauptplatz fand er, inmitten von Freibeutern und Bürgern, den Olonesen. Er war damit beschäftigt, das Gold zu wiegen, das seine Leute unausgesetzt von allen Seiten herbeibrachten.

»Beim Sande von Olone!« rief er, als er Ventimiglias ansichtig wurde. »Ich glaubte schon, du seist dabei, van Gould aufzuknüpfen. Aber ich sehe, du bist unzufrieden, Cavaliere! Warum?«

»Van Gould segelt zu dieser Stunde nach Nicaragua.«

»Also entflohen! Ist denn der Teufel mit ihm im Bunde?«

»So scheint es, er will sich nach Honduras flüchten.«

»Und was willst du tun?«

»Ich will nach der Tortuga zurückkehren, um ein neues Unternehmen ins Werk zu setzen.«

»Ohne mich?«

»Kommst du mit?«

»Ich habe es dir versprochen. In einigen Tagen ziehen wir hier ab, um dann mit einer neuen Flotte den alten Halunken zu suchen!«

Als drei Tage später die Plünderung beendet war, schifften sich die Flibustier in Schaluppen ein, die ihnen von dem am äußeren Ende des Sees befindlichen Geschwader zugesandt worden waren.

Außer zweihundert Gefangenen, für die sie früher oder später ein gutes Lösegeld zu erlangen hofften, führten sie eine große Menge Lebensmittel, Waren und Gold im Wert von zweihundertundsechzigtausend Piastern mit, eine Beute, die innerhalb weniger Wochen auf der Tortuga bei Banketten und Festen verjubelt werden sollte.

Die Fahrt über den See verlief ohne jeden Zwischenfall. Am folgenden Morgen bestiegen die Piraten ihre Schiffe und segelten auf Maracaibo zu. Es war ihre Absicht, dieser Stadt einen neuen Besuch abzustatten, um eine Kopfsteuer zu erheben.

Der Schwarze Korsar befand sich mit seinen Begleitern auf dem Schiffe des Olonesen, da die »Fólgore« nach dem Ausgang des Golfes vorgeschoben war. Sie sollte einen Überfall seitens des spanischen Geschwaders verhüten, das längs der Küste des Großen Golfs zum Schutze der zahlreichen Hafenplätze Mexikos segelte.

Die Einwohner von Maracaibo hatten sich, wie es die Flibustier vermuteten, in das Innere der Stadt zurückgezogen, in der Hoffnung, die Korsaren würden hier nicht zum zweiten Male ankern. Sie hatten eine vollständige Plünderung erlitten und vermochten nicht den geringsten Widerstand zu leisten. Aus Furcht vor einer neuen Beraubung und Feuersbrunst sahen sie sich gezwungen, einen Tribut von dreißigtausend Piastern zu zahlen.

Hiermit noch nicht zufrieden, benutzten die Freibeuter den Aufenthalt, um sich in den Kirchen zu bereichern. Sie entwendeten heilige Gefäße, Bilder, Kruzifixe, ja sogar Glocken. Das alles sollte später in einer auf der Tortuga zu errichtenden Kapelle Verwendung finden.

Am Nachmittag desselben Tages verließ das Korsarengeschwader endgültig diese Gegend und wandte sich mit vollen Segeln dem Ausgang des Golfs zu.

Das Wetter hatte sich verschlechtert, so daß alle sich beeilten, diese gefahrvolle Küste zu verlassen.

Seitwärts von Sierra di Santa Maria stiegen schwarze Wolken auf, welche die Sonne verdunkelten und sich über den ganzen Himmel verbreiteten, während die Brise sich in einen starken Wind verwandelte.

Die Wellen türmten sich hoch und schlugen gegen die Schiffsplanken.

Um acht Uhr abends, als es am Horizont zu blitzen begann und das Meeresleuchten eintrat, erblickte das Geschwader die »Fólgore«, welche vor der Punta Esapada lavierte.

Eine vom Olonesen abgeschossene Rakete gab der »Fólgore« das Zeichen, sich zu nähern, während die große Schaluppe mit dem Schwarzen Korsaren und seinen Begleitern, denen sich auch der Katalonier zugesellt hatte, hinabgelassen wurde.

Morgan, der das Signal und die Laternen des Geschwaders bemerkt hatte, steuerte dem Eingang des Golfs zu. Mit flotten Segeln und unter Kanonenschüssen erreichte das schnelle Schiff die Schaluppe und nahm seinen Kapitän auf.

Kaum hatte der Korsar das Deck betreten, da empfingen ihn schon begeisterte Rufe: »Es lebe unser Kommandant!«

Er schritt durch die Reihen der defilierenden Seeleute und wandte sich sofort einer weißen Gestalt zu, die an der Kajütentür stand.

Ein Freudenruf kam von seinen Lippen. »Ihr, Honorata?«

»Ich, Cavaliere!« antwortete die junge Flämin, indem sie ihm entgegenflog. »Wie bin ich glücklich, daß ich Euch lebend wiedersehe!«

In diesem Augenblick unterbrach ein greller Blitzstrahl die tiefe Finsternis der Nacht. Ein langer Donner folgte. Bei diesem plötzlichen Licht, das die Herzogin in ihrer ganzen anbetungswürdigen Schönheit zeigte, schrie der Katalonier auf:

»Was!... Die Tochter van Goulds hier? Großer Gott!«

Der Korsar, der eben auf die Herzogin zustürzen wollte, hielt inne und wandte sich, am ganzer Körper bebend, schreckensbleich zum Katalonier um. Seine Stimme hatte nichts Menschliches mehr.

»Wie sagtest du? ... Sprich!...«

Der Katalonier antwortete nicht. Ihm bangte vordem Manne, der so sprach. Die Flämin war taumelnd zurückgewichen, als habe ihr jemand einen Dolch ins Herz gestoßen.

Tiefe Stille herrschte auf Deck. Nur das Wogengebraus war vernehmbar.

Die Besatzung wagte nicht zu atmen.

Alle ahnten, was in der Seele ihres Kapitäns vorging. Letzterer hatte seinen Dolch gegen den Katalonier erhoben.

»Sprich!« wiederholte der Korsar mit erstickter Stimme. »Sprich!«

»Dies ... ist die Tochter van Goulds«, sagte der Katalonier.

»Kennst du sie?«

»Ja.«

»Schwöre, daß sie es ist!«

»Ich schwöre.«

Bei dieser feierlichen Bestätigung stieß der Schwarze Korsar einen fast unmenschlichen Schrei aus. Er brach zusammen, als wäre ihm ein Keulenschlag versetzt worden. Plötzlich aber schoß er wie ein Tiger empor. Heiser schallte seine Stimme durch das Wellenrauschen.

»In jener Nacht, als ich den Leichnam des Roten Korsaren über das Meer brachte, habe ich einen Eid geleistet. Verflucht sei diese Nacht, die mir das Weib raubt, das ich liebe!« Morgan näherte sich dem Kommandanten, um ihn zu beruhigen.

»Schweigt!« rief der Kapitän in höchster Erregung. »Nur meine Brüder haben hier das Wort!«

Abergläubischer Schrecken und Schauer ergriff die Schiffsmannschaft. Aller Augen waren auf das Meer gerichtet, das wie in jener verhängnisvollen Nacht, als der Schwur geleistet wurde, mit einem Male hell erglänzte.

Man glaubte, in den stürmischen Fluten die Leichen der beiden Korsaren zu sehen, die auf dem Grunde des Meeres begraben lagen.

Die junge Flämin wich immer weiter zurück, indes der Wind ihr Haar zerzauste. Ventimiglia folgte ihr Schritt für Schritt mit blitzenden Augen. Beide stumm, als hätten sie plötzlich die Sprache verloren. Schweigend folgten ihnen die Flibustier mit den Blicken. Auch Morgan hatte nicht mehr gewagt, sich dem Kapitän zu nähern.

Plötzlich erreichte Honorata die zur Kajüte führende Treppe. Einen Augenblick hielt sie inne, indem sie verzweifelt die Hände vors Gesicht schlug. Dann stieg sie rückwärts hinab. Der Korsar folgte ihr.

Unten in der Kabine stand die junge Herzogin abermals still. Jetzt schien sie zusammenzubrechen. Schwer atmend sank sie auf einen Stuhl nieder. Der Korsar schloß die Tür. In seinem tiefen Schmerz fand er keine Worte der Erklärung.

»Unglückliche!« stammelte er, kaum hörbar.

»Ja, Unglückliche!« Wiederholte sie dumpf mit noch immer vor Entsetzen starren Augen. Dann brach sie in einen Tränenstrom aus.

Es folgte eine kurze Pause, nur vom heftigen Weinen der Flämin unterbrochen.

»Mein Schwur sei verflucht!« wiederholte der Korsar verzweifelt. »Ihr!... Die Tochter van Goulds! Tochter des Verräters, der meine Brüder ermordete?... Gott!... O Gott!... Ich kann es nicht fassen!«

Nach einer kurzen Pause, während der Schluchzen seine Stimme erstickte, fuhr er fort:

»Ihr wißt also nicht, daß ich geschworen habe, alle zu vernichten, die der Familie meines Todfeindes angehören? Gott, das Meer und meine Mannschaft sind Zeuge jenes verhängnisvollen Eides, der nun das Leben des einzigen Weibes, das ich je geliebt habe, fordert ...! Hört Ihr, Honorata ... Ihr müßt sterben!«

Nach dieser schrecklichen Drohung hatte sich die junge Herzogin erhoben.

»Gut«, sagte sie ruhig. »Tötet mich! Wenn das Schicksal es bestimmte, daß mein Vater zum Verräter und Mörder wurde, so muß ich es sühnen. Aber tötet mich selbst! Mit eigener Hand! Ich werde glücklich sterben von den Händen des Mannes, den ich so unendlich liebe!«

»Ich!« schrie der Korsar, mit Grauen zurückweichend. »Niemals! ... Schaut her!«

Er hatte die Herzogin an das breite Fenster geführt, das zum Steuerbord hinausging.

Das Meer schimmerte, als ob geschmolzene Bronze oder flüssiger Schwefel unter den Wellen flösse, während am düstern, wolkenschweren Horizonte Blitze zuckten.

»Schaut her«, wiederholte er mit irren Augen, »das Wasser leuchtet wie in jener Nacht, in der ich die Leichen meiner Brüder in den Meeresgrund versenkte!

Dort sind sie ... sie suchen mich und mein Schiff ... Seht Ihr nicht ihre Augen auf mich gerichtet? Sie schreien nach Rache ... Ich sehe sie auf den Wellen schwimmen ... Jetzt sind sie an die Oberfläche gekommen, um mich zu mahnen, daß ich meinen Schwur halte ... Ja, Brüder! ... Ihr werdet gerächt werden, aber mit welchem Opfer! Ich habe dieses Weib geliebt! ... Ich habe sie geliebt! ... Ich habe sie geliebt! ...«

Er glich einem Wahnsinnigen, als er auf die sich immer höher und höher türmenden Wellen deutete.

Plötzlich wandte er sich jählings zu Honorata, die seinen Armen entglitten war. Der Ausdruck höchsten Schmerzes, der soeben noch auf seinen Zügen lag, war vollständig verschwunden. Wieder war er der rauhe Seefahrer mit dem unlöschbaren Haß.

»Bereitet Euch auf den Tod vor, Madame!« sagte er. »Empfehlt Eure Seele Gott und meinen Brüdern, daß sie Euch Schutz gewähren! Ich erwarte Euch auf der Brücke!«

Mit festen Schritten verließ er die Kajüte, ohne sich umzuschauen, und begab sich auf die Kommandobrücke.

Der Steuermann stand aufrecht am Steuer und lenkte die »Fólgore« nordwärts, den Schiffen der Freibeuter nach, deren Lichter in weiter Ferne blinkten.

»Morgan«, sagte der Kapitän zu seinem Oberleutnant, »macht ein Boot fertig und laßt es ins Meer! Ich will meinen Schwur erfüllen!«

»Wer soll das Boot besteigen?«

»Die Tochter des Verräters.«

»Kommandant!« rief Morgan vorwurfsvoll.

»Widersprecht mir nicht! Gehorcht! Hier auf diesem Fahrzeug kommandiert der Schwarze Korsar!«

Aber niemand von der Schiffsmannschaft rührte sich. Diesen furchtlosen Männern, die hundert Schlachten geschlagen hatten, versagte in diesem Augenblick der Mut. Sie standen wie festgenagelt...

Schrill und drohend wiederholte der Kommandant den Befehl: »Gehorcht!«

Jetzt trat der Obermaat mit langsamen, schleppenden Schritten aus den Reihen und winkte einigen seiner Leute, ihm zu folgen. Sie ließen unter der Treppe des Steuerbords eine Schaluppe ins Meer, die sie heimlich mit Lebensmitteln versahen. Es war ihnen klar, was der Korsar mit der unglücklichen Tochter van Goulds vorhatte.

Kaum war dies geschehen, als man die Flämin aus der Kajüte kommen sah.

Sie war noch weiß gekleidet, umwallt von den langen blonden Haaren ... Der Mannschaft erschien sie nicht als ein Wesen dieser Welt. Ohne ein Wort zu sagen, kaum mit den Füßen den Boden berührend, überschritt sie das Deck, entschlossen, ohne ein Zeichen von Erregung ...

Als sie die kleine Leiter erreichte, zeigte der Maat stumm auf das Boot, welches die Wellen mit dumpfen Schlägen gegen die Schiffsplanke trieben. Jetzt zögerte sie einen Moment und richtete den Blick zur Kommandobrücke, wo sich die schwarze Gestalt des Korsaren unter dem von wilden Blitzen durchzuckten Himmel abhob.

Einige Sekunden lang schaute sie so den erbitterten Gegner ihres Vaters an. Dann winkte sie mit der Hand ein Lebewohl, stieg schnell die Leiter hinunter und sprang in die Schaluppe.

Der Maat löste das Seil. Die ganze Mannschaft schrie:

»Rettet sie!«

Der Korsar antwortete nicht. Er hatte sich jetzt über die Brüstung gelehnt und blickte der Schaluppe nach, die durch den heftigen Wellengang im Treiben auf- und niederschwankte. Der Wind wehte stark über das Meer. Am Himmel folgte Blitz auf Blitz, und in das Wogengebraus mischte sich das Donnergrollen.

Immer weiter und weiter entfernte sich das Boot... Man sah die weiße Gestalt der jungen Herzogin die Arme nach der »Fólgore« ausstrecken. Ihre Augen schienen auf den Korsaren gerichtet.

Die ganze Bemannung hatte sich nach Steuerbord gestürzt und war der Unglücklichen mit den Blicken gefolgt. Keiner sprach. Alle wußten, daß der Versuch, den Rächer umzustimmen, gescheitert wäre.

Nun sah man die Schaluppe in der Ferne von Meeresleuchten und grellen Blitzen umgeben. Bald wurde sie von den schäumenden Wellen hochgeworfen, und bald verschlangen sie die Wellen wieder. Aber immer tauchte sie wieder auf. Es war, als ob eine geheimnisvolle Kraft sie beschirmte ... Endlich verschwand sie am tiefschwarzen Horizont.

Als die Flibustier sich umwandten, war der Kapitän zusammengebrochen. Er war auf einen Haufen Schiffstaue gesunken, das Gesicht mit den Händen bedeckend.

Und Carmaux sagte leise zu Stiller:

»Sieh nur! Der Schwarze Korsar weint!«


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