Emilio Salgari
Der schwarze Korsar
Emilio Salgari

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Ein verwegenes Unternehmen

Carmaux gehorchte sofort, da er wußte, daß mit dem Schwarzen Korsaren nicht zu spaßen war.

Stiller harrte seiner vor der Kajütenluke. Er stand mit dem Obermaat und einigen Flibustiern zusammen, die ihn über das unglückliche Ende des Roten Korsaren und seines Gefolges befragten. Sie entwickelten ihre Rachepläne gegen die Spanier von Maracaibo und besonders gegen den Gouverneur. Als der Hamburger hörte, daß das Boot zur Küste zurückkehren sollte, der man mit Mühe und Not entronnen war, murmelte er: »Dabei werden wir unsere Haut lassen müssen, Carmaux.«

»Bah, wir gehen ja diesmal nicht allein, der Schwarze Korsar fährt mit.«

»Dann hab' ich keine Sorge! Der Satansbruder kommt hundert Flibustiern gleich!«

Hierauf wandte sich Carmaux an den Obermaat: »He, Freundchen, laß drei Gewehre, Munition, ein paar Säbel und etwas Lebensmittel ins Boot legen! Man weiß nie, was einem zustößt und wann wir zurückkehren können.«

»Es ist schon geschehen«, antwortete der Angeredete. »Auch der Tabak ist nicht vergessen worden.«

»Danke, du bist wirklich ein Prachtkerl!«

Jetzt trat der Korsar hinzu. Er hatte noch sein Trauergewand an, hatte sich aber einen langen Säbel umgeschnallt und in den Gürtel ein paar Pistolen gesteckt, dazu einen jener langen, scharfen, »Misericordia« genannten Dolche. Über dem Arm trug er einen weiten schwarzen Mantel.

Er näherte sich dem Vizekapitän Morgan auf der Kommandobrücke und wechselte einige Worte mit ihm. Dann sagte er kurz zu den beiden Flibustiern: »Los!«

Alle drei stiegen ins Kanu. Der Korsar wickelte sich in seinen Mantel und setzte sich an den Bug, während die Bootsleute wieder angestrengt zu rudern begannen.

Das große Schiff, die »Fólgore«, hatte sofort die Laterne gelöscht und war, die Segel nach dem Winde richtend, dem Boote gefolgt, indem es immer lavierte, um ihm nicht voranzulaufen.

Wahrscheinlich wollte der Vizekapitän seinen Befehlshaber bis zur Küste begleiten, um ihn bei Gefahr schützen zu können.

Der Kommandant hatte sich halb ausgestreckt und den Kopf auf die Hand gestützt. So verharrte er schweigend, aber seine Blicke, scharf wie die eines Adlers, schweiften unablässig an dem noch finstern Horizont entlang. Noch konnte er die amerikanische Küste nicht erspähen. Von Zeit zu Zeit wandte er sich nach seinem Schiffe um, das ihm in einer Entfernung von sieben bis acht Ankertauen folgte.

Stiller und Carmaux ruderten indessen das leichte, flinke Kanu über die Fluten, daß es nur so flog. Beide schienen jetzt ohne Sorge über die Rückkehr nach dem feindlichen Ufer zu sein, so groß war ihr Vertrauen zu der Kühnheit und Tapferkeit des Schwarzen Korsaren, dessen Name allein schon genügte, um alle Küstenstädte des mexikanischen Golfs in Schrecken zu setzen.

Da das Meer in der Bucht von Maracaibo glatt wie Öl war, konnten die beiden Ruderer jetzt schneller vorwärtskommen.

Der Ort lag zwischen zwei Landzungen eingeschlossen, die ihn vor den breiten Wogen des großen Golfs schützten. Da es dort keine steilen Küsten gab, trat selten Flutwasser ein.

Schon ruderten die beiden eine Stunde lang, als der Schwarze Korsar, der sich bisher kaum bewegt hatte, sich plötzlich erhob, um den ganzen Horizont abzusuchen.

Ein Licht, das nicht von einem Stern herrühren konnte, leuchtete in südwestlicher Richtung in minutenlangen Zwischenräumen.

»Maracaibo!« sagte er in dumpfem Ton, der einen innern Grimm verriet. »Wie weit sind wir noch entfernt?«

»Vielleicht drei Meilen«, antwortete Carmaux.

»Also werden wir um Mitternacht da sein?«

»Ja, Kapitän!«

»Liegen Kreuzer vor?«

»Ja, die Zollbeamten!«

»Die müssen wir natürlich vermeiden!«

»Wir kennen einen Platz, Kapitän, wo wir ruhig landen und unser Boot verstecken können. Es sind Sumpfpflanzen dort.«

»Also los!«

»Aber es wäre besser, daß Euer Schiff jetzt nicht so nahe käme, Kommandant«, meinte Stiller.

»Es hat schon gewendet und wird uns draußen erwarten«, entgegnete der Korsar.

Nach einigen Augenblicken des Schweigens begann er wieder: »Ist es wahr, daß ein Geschwader im See liegt?«

»Ja, das des Konteradmirals Toledo, der über Maracaibo bis Gibraltar Wache hält.«

»Aha, haben sie Furcht? Nun, der ›Olonese‹ befindet sich auf der Tortuga. Bald werden wir zusammen das Geschwader in den Grund bohren. Warten wir noch ein paar Tage, dann wird van Gould wissen, mit wem er es zu tun hat!«

Er wickelte sich von neuem in seinen Mantel, zog den Filzhut über die Augen und setzte sich wieder, indem er seine Blicke fest auf jenen glänzenden Punkt gerichtet hielt, der den Hafenleuchtturm anzeigte.

Das Boot nahm seinen Kurs wieder auf. Es wandte den Bug aber nicht der Mündung von Maracaibo zu, da es den Zollkreuzer umgehen mußte, der die Insassen sicher festgehalten und verhaftet hätte.

Nach einer halben Stunde wurde die nur drei bis vier Ankertaue entfernte Golfküste deutlich sichtbar. Das Ufer fiel sanft zum Meere ab. Es war ganz mit Sumpfpflanzen bedeckt, jener Vegetation, die meist an Wassermündungen wächst und das gefürchtete gelbe Fieber erzeugt. Weiterhin sah man unter dem Sternenhimmel dunkle Sträucher, aus denen riesige Blätterbüschel in die Luft ragten.

Carmaux und Stiller hatten die Ruderschläge verlangsamt. Sie näherten sich der Küste, indem sie jedes Geräusch vermieden und aufmerksam nach allen Richtungen ausschauten, als erwarteten sie eine Überraschung.

Der Schwarze Korsar saß schweigend, unbeweglich. Die drei Flinten, die er mitgenommen hatte, lagen zugriffbereit vor ihm, um jedes sich nahende Boot mit einer Ladung Schrot begrüßen zu können.

Es mußte Mitternacht sein, als das Boot inmitten der Sumpfpflanzen und verschlungenen Wurzeln landete.

Der Korsar hatte sich erhoben. Nachdem er die Küste genau beobachtet hatte, sprang er behend ans Land und band das Boot an einen Baum.

»Laßt die Flinten drin!« sagte er zu den beiden Ruderern. »Habt ihr eure Pistolen? Und wißt ihr, wo wir uns befinden?«

»Ja, zehn oder zwölf Meilen von Maracaibo entfernt.«

»Liegt die Stadt hinter diesem Wald?«

»Gerade am Rande desselben!«

»Können wir bei Tag hinein?«

»Unmöglich!«

»Also sind wir zu warten gezwungen.« Hierauf schwieg er, wie in Gedanken versunken ...

»Werden wir meinen Bruder noch finden?« fragte er nach einer Weile.

»Er sollte drei Tage auf dem Granadaplatz hängen!«

»Dann haben wir Zeit. Habt ihr Bekannte in Maracaibo?«

»Ja, einen Neger, der uns gestern das Kanu zur Flucht bot. Er wohnt am Waldessaum in einer einsamen Hütte.«

»Wird er uns auch nicht verraten?«

»Wir setzen unseren Kopf für ihn ein!«

»Gut! Vorwärts!«

Sie stiegen das Ufer hinauf, die Ohren gespannt und die Hände auf dem Knauf ihrer Pistolen.

Der Wald ragte vor ihnen auf wie eine dunkle Höhle: Baumstämme jeder Form und Größe mit ungeheuren Blättern, durch welche man das gestirnte Himmelszelt nicht mehr sehen konnte.

Bogenförmige Lianengehänge wanden sich rechts und links von den Palmenstämmen in tausenderlei Verschlingungen hinauf und hinunter, während am Erdboden unzählige miteinander verwickelte Wurzeln entlangkrochen, welche das Vorwärtskommen der drei Piraten sehr erschwerten. Sie waren gezwungen, weite Umwege zu machen, um einen Durchgang zu finden, oder sie mußten selbst Hand anlegen, um die Hemmnisse mit den Enterwaffen zu zerschneiden. Zwischen jenen tausend Stämmen liefen unstete Lichter hin und her wie leuchtende Punkte, welche ab und zu Strahlenbündel warfen. Bald tanzten sie auf dem Boden, bald im Blätterwerk. Jäh erloschen sie, um sich dann von neuem zu entzünden und wahre Lichtwellen von unvergleichlicher Schönheit zu bilden. Es waren die großen Leuchtkäfer Südamerikas. Bei ihrem Scheine kann man selbst die kleinste Schrift in einer Entfernung von mehreren Metern lesen. Drei oder vier dieser Tiere, in einer Kristallvase eingeschlossen, genügen zur Beleuchtung eines ganzen Zimmers.

Auch andere, wie Phosphor leuchtende Insekten schwirrten in Schwärmen herum.

Die drei Flibustier setzten schweigend ihren Marsch fort. Es war höchste Vorsicht geboten, da sie, außer den Menschen, auch die Tiere des Waldes zu fürchten hatten, die blutgierigen Jaguare und vor allem die Schlangen, besonders die Jararacaca genannten giftigen Reptilien, die man auch bei Tage schwer erkennen kann, da ihre Haut der Farbe der trockenen Blätter ähnelt.

So mußten sie schon zwei Meilen gegangen sein, als Carmaux, der als bester Kenner dieser Waldungen immer voranging, plötzlich stehenblieb und blitzschnell eine seiner Pistolen zog.

»Ist es ein Jaguar oder ein Mensch?« fragte der Korsar, ohne die mindeste Furcht.

»Es könnte ein Spion sein«, antwortete der Bootsmann. »In diesem Lande weiß man nie, ob man den nächsten Tag noch erlebt. Nur zwanzig Schritt von hier ist jemand vorbeigehuscht.«

Der Korsar bückte sich zur Erde und horchte aufmerksam, den Atem anhaltend. Er hörte ein leichtes Blätterrascheln, das aber so schwach war, daß es nur ein äußerst feines Ohr vernehmen konnte.

»Es wird ein Tiger gewesen sein«, sagte er, sich wieder erhebend. »Bah, lassen wir uns nicht so leicht erschrecken!«

Plötzlich blieb er bei einer Baumgruppe mit gigantischem Blätterwerk stehen. Sein scharfer Blick durchforschte die Dunkelheit. Das Geraschel hatte aufgehört, aber ein metallischer Ton, gleich einem tauben Gewehrschuß, drang an sein Ohr.

»Halt, es ist ein Spion hier, der den günstigen Moment abwartet, um hinterrücks auf uns zu schießen!«

»Möglich, daß man unsere Landung bemerkt hat«, sagte Stiller beunruhigt. »Diese Spanier haben überall Späher!«

Der Korsar suchte, mit der Pistole in der Hand, das Blätterdickicht ganz leise zu umgehen. Mit einem Sprung stand er einem Manne gegenüber, der sich im Gebüsch versteckt hatte.

Der Angriff des Korsaren war so ungestüm, daß der Späher, der gegen den Degenknauf des Gegners geprallt war, zur Erde fiel.

Carmaux und Stiller eilten sofort herbei. Sie nahmen ihm das Gewehr ab und setzten ihm die Pistole auf die Brust.

»Natürlich einer unserer Feinde!« sagte der Korsar, sich über ihn beugend. »Wenn du dich rührst, bist du des Todes!«

»Ein Soldat des verdammten van Gould!« rief Stiller. »Ich möchte nur wissen, warum du dich hier versteckst!«

Der Spanier, der von dem Angriff erst ganz verblüfft war, begann sich wieder zu erholen. Er machte Miene aufzustehen. »Carrai!« stammelte er. »Bin ich in die Hände des Teufels gefallen?«

»Erraten!« lachte Carmaux. »So werden wir Flibustier von euch genannt!«

Den andern überlief ein Schauder. Carmaux bemerkte es.

»Hab keine Furcht, Freundchen!« sagte er. »Den Teufelsstrick sparen wir uns für später auf, wenn wir im Freien den Fandango tanzen werden mit einem hübschen, festen Hanf um die Kehle!«

Dann wandte er sich fragend zu dem Korsaren um, der schweigend den Gefangenen betrachtete.

»Oder soll ich ihm jetzt mit einem Pistolenschuß den Garaus machen?«

»Nein!«

»Oder an einen Baumzweig hängen?«

»Noch weniger!«

»Vielleicht gehört er zu denen, die meinen Kapitän, den Roten Korsaren, an den Galgen gebracht haben!«

Bei dieser Erinnerung schoß ein Blitz aus den Augen des Schwarzen Korsaren, aber er erlosch sofort.

»Er soll nicht sterben, weil er uns lebend mehr nützen kann!«

»Dann wollen wir ihn gut binden!« riefen die beiden Piraten.

Sie nahmen die roten Wollbinden, die ihnen seitlich am Gürtel hingen, und drückten die Arme des Gefangenen zusammen, ohne daß dieser Widerstand wagte.

»Jetzt möchten wir auch mal sehen, wie du aussiehst!« sagte Carmaux.

Er zündet ein Stück Lunte an, das er in der Tasche hatte, und näherte sich damit dem Gesicht des Spaniers.

Der arme Teufel mochte kaum dreißig Jahre sein. Er war lang und mager wie sein Landsmann Don Quichote und hatte gleich diesem ein eckiges Gesicht mit grauen Augen und rötlichem Bart. Sein Anzug bestand aus einem Kasack von gelbem Leder, weiten, schwarz und rot gestreiften Hosen und hohen, schwarzen Stiefeln. Auf dem Kopfe hatte er einen Stahlhelm mit einer arg zerzausten Feder, und vom Gürtel hing ihm ein langes Schwert herab, dessen Scheide am Ende verrostet war.

»Beim Beelzebub, meinem Schutzpatron!« rief Carmaux lachend. »Wenn der Gouverneur von Maracaibo mehr von diesen Helden hat, so wissen wir, daß er sie nicht mit Kapaunen füttert, denn dieser hier ist ja mager wie ein geräucherter Hering. Ich glaube, Kapitän, daß es sich gar nicht der Mühe lohnt, ihn zu hängen.«

Der Schwarze Korsar berührte den Gefangenen mit seiner Degenspitze und sagte: »Jetzt sprich, wenn dir deine Haut lieb ist!«

»Die Haut ist schon verloren«, erwiderte der Gefangene trocken. »Ich werde ja nicht lebendig aus Euren Händen hervorgehen. Und wenn ich auch erzähle, was Ihr wissen wollt, bin ich ja doch nicht sicher, den morgigen Tag noch zu erleben.«

»Der Spanier scheint Mut zu haben«, meinte Stiller.

»Durch seine Antwort kann er begnadigt werden«, fügte der Korsar hinzu. »Los, willst du antworten?«

»Nein!« entgegnete der andere.

»Ich habe dir das Leben versprochen!« »Wer glaubt daran!«

»Wer? Weißt du auch, wer ich bin?«

»Ein Pirat!«

»Ja, aber man nennt mich den Schwarzen Korsaren!«

»Bei der heiligen Jungfrau von Guadalupe!« rief der Spanier erblassend. »Ihr hier? Wollt Ihr Euren Bruder rächen und uns alle vernichten?«

»Wenn du nicht sprichst, so werden alle umgebracht! Es soll kein Stein auf Maracaibo bleiben!«

»Por todos santos!« sagte der Gefangene, der sich noch nicht von seiner Überraschung erholt hatte.

»Sprich!«

»Ich bin dem Tode verfallen. Also wozu?«

»Der Schwarze Korsar ist ein Ehrenmann, und ein solcher hält sein Wort«, sprach der Kapitän feierlich.

»Gut, fragt mich aus!«


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