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Das Frühstück war nicht so lustig, wie Carmaux gehofft hatte. Es fehlte der Humor, trotz des guten Schinkens, des pikanten Käses und der Weinflaschen des Advokaten.
Alle waren beunruhigt wegen der Wendung, welche die Ereignisse infolge der Hochzeit des jungen Mannes genommen hatten. Sein und des Dieners Verschwinden mußten bald neue Besucher heranziehen, Verwandte, Freunde, vielleicht gar Soldaten und hohe Gerichtsbeamte.
Dieser Zustand durfte nicht lange andauern. Die Piraten hatten verschiedene Pläne erwogen, aber keiner schien ihnen annehmbar. Flucht war für den Augenblick unmöglich. Sie würden alle vier erkannt, verhaftet und gehenkt werden wie der Rote Korsar und sein Gefolge. Man mußte die Nacht abwarten. Doch war es unwahrscheinlich, daß die Angehörigen des jungen Don Conxevio sie so lange in Ruhe lassen würden.
Die drei Flibustier, die sonst so schlau und so erfinderisch an Auswegen waren wie alle ihre Kameraden auf der Tortuga, befanden sich diesmal in Verlegenheit. Carmaux' Projekt, in den Kleidern der Gefangenen das Haus zu verlassen, wurde verworfen, da es doch zu gefährlich schien, den Soldaten auf dem nahen Gelände zu begegnen. Im übrigen paßte das Gewand des jungen Bräutigams keinem der Leute.
Des Negers erster Plan wurde vorläufig auch verschoben. Vor der Nacht ließ sich nichts unternehmen, was Erfolg versprach.
Noch überlegte man hin und her, um aus dieser Lage, die von Minute zu Minute schwieriger wurde, herauszukommen, als ein drittes Individuum an die Tür des Notars pochte.
»Donnerschock, das wird ja nach und nach eine ganze Prozession werden!« rief Carmaux. »Wenn alle Verwandten und Freunde hier sind, können wir zuletzt die Hochzeit in diesem Hause abhalten.«
Diesmal war es kein Diener, sondern ein mit Schwert und Dolch bewaffneter kastilianischer Edelmann, wohl ein Verwandter oder Pate des Bräutigams.
Als der neue Ankömmling merkte, daß man sich mit dem Öffnen des Tors nicht beeilte, verdoppelte er die Schläge mit dem schweren Eisenklöppel. Der Mann war weniger geduldig und so wahrscheinlich gefährlicher als der Jüngling und der Diener.
»Geh, öffne, Carmaux!« befahl der Korsar.
»Ich fürchte, Kommandant, daß der da draußen nicht so leicht zu binden ist wie die andern. Er wird uns verzweifelten Widerstand entgegensetzen.«
»Ich werde schon mit ihm fertig werden. Du weißt, meine Arme sind kräftig.«
Der Kapitän entdeckte plötzlich in einem Winkel des Zimmers einen Degen, eine alte Familienwaffe, die der Notar dort aufbewahrt hatte. Er erprobte die Elastizität der Klinge, legte sie an und murmelte: »Toledostahl! Da wird es der Kastilianer schwer haben.«
Carmaux und Mokko hatten inzwischen das Tor geöffnet, deren Füllungen unter den unausgesetzten Schlägen zu zerspringen drohten. Der Edelmann trat stirnrunzelnd ein und rief wütend: »Da ist wohl ein Kanonenschuß nötig, bis ihr öffnet!«
Es war ein schöner Mann über die Vierzig, von hoher kräftiger Gestalt: ein männlicher Typ. Sein voller, tiefschwarzer Bart gab ihm ein martialisches Aussehen.
Er trug ein elegantes spanisches Gewand aus schwarzer Seide und hohe, gelbe, an den Rändern gezackte Lederstiefel mit Sporen.
»Verzeiht, Herr, wenn wir ein wenig gezögert haben«, sagte Carmaux, sich komisch vor ihm verneigend, »aber wir waren sehr beschäftigt!«
»Womit?«
»Mit der Pflege des Advokaten.«
»Ist er krank?«
»Er hat sehr starkes Fieber, Herr.«
»Ihr habt mich mit Graf anzureden, dummer Kerl!«
»Entschuldigt, Herr Graf! Ich hatte noch nicht die Ehre, Euch kennenzulernen.«
»Geh zum Teufel ...! Wo ist mein Neffe? Wo ist der Advokat?«
»Im Bett, Herr Graf.«
»Führe mich sofort zu ihm!«
Carmaux ging ihm langsam voran. Sobald er aber den Treppenabsatz erreicht hatte, drehte er sich um und gab dem Neger ein Zeichen. Dieser wollte sich eben auf den Kastilianer werfen, der aber entwand sich ihm mit fabelhafter Geschicklichkeit, war mit einem Satz über die drei ersten Stufen gesprungen, hatte Carmaux heftig beiseite gestoßen und seinen Säbel aus der Scheide gezogen.
»Zum Teufel! Was bedeutet dieser Angriff? Ich werde dir die Ohren abhauen!«
»Das werde ich Euch erklären«, ertönte plötzlich eine Stimme von oben.
Es war der Schwarze Korsar, der, mit dem Degen in der Faust, auf der obersten Stufe der Treppe erschien. Der Kastilianer hatte sich umgedreht, ohne dabei Carmaux und den Neger aus den Augen zu verlieren. Beide hatten sich nach der Tür zurückgezogen. Ersterer war mit der Navaja bewaffnet und der Schwarze mit einer hölzernen Querstange, die in seiner Hand eine furchtbare Waffe sein konnte.
»Wer seid Ihr, Herr?« fragte der Kastilianer ohne die geringste Furcht. »Eurer Kleidung nach könntet Ihr ein Hochgestellter sein, aber das Kleid macht nicht immer den Mann.«
»Ihr seid mutig, Herr, das muß man sagen. Ich rate Euch aber, das Schwert niederzulegen und Euch zu ergeben!«
»Wem? Einem Dieb, der im schnöden Hinterhalt die Leute umbringt?«
»Nein, dem Cavaliere Emilio di Roccabruna!« war die stolze Antwort.
»Ah, Ihr seid ein Edelmann! Dann möchte ich aber wissen, warum der Herr von Ventimiglia mich von seinen Dienern ermorden lassen will!«
»Das ist nur eine Vermutung von Euch. Niemand denkt daran, Euch zu töten. Man will Euch nur entwaffnen und für einige Tage zum Gefangenen machen, nichts weiter.«
»Und aus welchem Grunde?«
»Um zu verhindern, daß Ihr die Behörden von Maracaibo benachrichtigt, daß ich mich hier befinde!«
»Da haben die Behörden wohl mit dem Herrn von Ventimiglia ein Hühnchen zu rupfen?«
»Der Gouverneur liebt mich nicht. Er würde vor Freude außer sich sein, wenn er mich in seine Hand bekäme – wie ich glücklich wäre, wenn ich ihn hätte.«
»Ich verstehe Euch nicht, Herr!«
»Das tut auch nichts. Also – wollt Ihr Euch ergeben?«
»Oh, wo denkt Ihr hin? Ein Bewaffneter weicht nicht ohne Verteidigung.«
»Dann zwingt mich nicht, Euch zu ...«
»Aber wer seid Ihr denn eigentlich?«
»Ihr müßt es doch schon erraten haben! Wir sind Flibustier von der Tortuga. Verteidigt Euch, Herr, denn jetzt werde ich Euch überwinden!«
»Da glaube ich schon, drei Gegner gegen einen.«
»Wenn der Kapitän befiehlt, mischen sich die beiden andern nicht ein«, sagte der Korsar, der dem Neger und dem Seemann einen Wink gab.
»In diesem Falle hoffe ich, Euch bald außer Kampf zu setzen! Ihr kennt noch nicht den Arm des Grafen Lerma!«
»Wie Ihr noch nicht den des Herrn von Ventimiglia kennt! Auf, Graf, verteidigt Euch!«
»Ein Wort erlaubt mir doch. Was habt Ihr mit meinem Neffen und seinem Diener gemacht?«
»Sie befinden sich beim Notar als Gefangene. Beunruhigt Euch nicht! Morgen werden sie frei sein, und Euer Neffe wird die Hochzeit feiern können.«
»Danke, Cavaliere!«
Der Schwarze Korsar verneigte sich leicht. Dann stieg er rasch die Stufen hinab und reizte den Kastilianer so ungestüm, daß dieser einige Schritte zurückweichen mußte.
Man hörte in dem engen Flur nur das Klirren der Waffen.
Carmaux und der Afrikaner, die sich mit gekreuzten Armen gegen die Tür gelehnt hatten, verfolgten schweigend das Duell.
Graf Lerma focht glänzend. Er parierte mit kaltem Blute und gab ganz gerade Degenstöße ab. Doch bald mußte er sich überzeugen, daß er einen der gefährlichsten Gegner vor sich hatte, einen Mann, der Muskeln von Stahl besaß.
Nach den ersten Schlägen war der Kapitän ganz ruhig geworden. Er griff nur selten an und beschränkte sich auf die Verteidigung, als ob er den Gegner zuerst müde machen und sein Spiel kennenlernen wollte. Er stand aufrecht mit blitzenden Augen, die linke Hand horizontal erhoben.
Vergeblich hatte der Kastilianer mit einem Sturm von Stößen versucht, ihn gegen die Treppe zu drängen, in der Hoffnung, daß er hinfallen würde. Aber Ventimiglia hatte nicht einen einzigen Schritt rückwärts gemacht; er war unbeweglich fest geblieben, während er die Hiebe mit bewundernswürdiger Raschheit niederschlug.
Plötzlich stürzte er vor. Die Klinge des Gegners abschlagen und ihn zu Boden strecken war das Werk eines Augenblicks. Als der Graf sich wehrlos fand, erblaßte er. Die blitzende Degenspitze des Korsaren blieb einen Moment gezückt, sie bedrohte seine Brust, dann aber wurde sie sofort wieder erhoben.
»Ihr seid wahrhaftig tapfer!« sagte der Kapitän, seinen Gegner grüßend. »Ihr wolltet Eure Waffe nicht übergeben! Jetzt nehme ich sie mir, aber ich lasse Euch am Leben!«
Der Kastilianer war sprachlos. Auf seinen Zügen malte sich tiefstes Erstaunen. Rasch trat er einige Schritte vor und reichte dem Korsaren die Hand.
»Meine Landsleute behaupten, daß die Flibustier Menschen ohne Glauben, ohne Gesetz seien, daß sie nur Räuber wären! Ich muß sagen, daß es unter ihnen auch Helden gibt, die in Ritterlichkeit und Großmut den vollendetsten Edelleuten Europas gleichkommen. Ich danke Euch, Cavaliere!«
Der Korsar drückte die dargebotene Hand, nahm das zur Erde gefallene Schwert des Gegners auf und reichte es ihm mit den Worten: »Behaltet Eure Waffe! Mir genügt Euer Versprechen, sie bis morgen nicht gegen uns zu gebrauchen.«
»Ich verspreche es Euch bei meiner Ehre!«
»Dann laßt Euch ohne Widerstand binden! Es tut mir leid, aber ich bin gezwungen dazu.«
»Macht, was Ihr wollt!«
Auf einen Wink band ihm Carmaux die Hände und übergab ihn dem Neger, der den Grafen in das oben gelegene Zimmer zu den andern Gefangenen führte.
»Ob nun die Besuche aufhören werden?« fragte Carmaux.
»Ich fürchte, nein«, antwortete der Kapitän. »Wenn die Verwandten Verdacht geschöpft haben, werden sich die Behörden von Maracaibo einmischen. Das beste wird sein, wir verbarrikadieren die Türen und bereiten uns auf eine Verteidigung vor. Hast du Feuerwaffen im Hause gefunden?«
»Nur eine Büchse nebst Munition, außerdem eine alte, verrostete Hellebarde und einen Küraß!«
»Die Büchse kann uns von Nutzen sein!«
»Aber wie können wir Widerstand leisten, wenn die Soldaten das Haus angreifen?«
»Das wird sich finden. Lebend soll mich van Gould nicht bekommen! Jetzt laßt uns an die Verteidigung denken und dann, wenn es noch Zeit ist, an die Mahlzeit!«
Der Neger kam zurück. Er und Carmaux machten sich nun ans Werk, mit den schwersten und größten Möbeln des Hauses die Tür zu verrammeln. Nicht ohne Protest des Advokaten wurden Schränke, Truhen und massive Tische in den Vorflur getragen. Eine zweite Barriere wurde vor der Treppe errichtet. »Kommandant, Kommandant!« rief Stiller plötzlich, ganz außer Atem. »Vor dem Hause sind eine Menge Leute versammelt!«
Der Korsar trat, ohne eine Miene zu verziehen, ans Fenster und blickte hinter den Vorhängen auf die Gasse.
»Das fürchtete ich schon«, sagte er. »Gut, wenn ich in Maracaibo sterben soll, so wird es in meinem Schicksalsbuch geschrieben stehen! Aber vielleicht ist das Glück den Flibustiern der Tortuga doch noch hold, damit meine armen Brüder nicht ungerächt bleiben!«
Er rief Carmaux heran und fragte nach der Menge der gefundenen Munition.
»Ein kleines Pulverfaß! Etwa acht bis zehn Pfund werden es sein.«
»Schaff es in den Flur hinter die Haustür und zünde später die Lunte an!«
»Alle Wetter, sollen wir das Haus in die Luft sprengen?«
»Es wird uns wohl nichts anderes übrigbleiben!«
»Und die Gefangenen?«
»Um so schlimmer für sie, sollten uns die Soldaten verhaften! Wir haben das Recht, uns zu verteidigen, und werden es ohne Zögern tun.«
»Da sind schon die Soldaten!« rief Carmaux, der auf die Gasse gespäht hatte.
Etwa zwei Dutzend kriegsmäßig ausgerüstete Schützen standen vor der Tür, umringt von einer Unmenge Neugieriger.
Neben dem Leutnant sah man einen bewaffneten Greis mit weißem Bart: wahrscheinlich ein Verwandter des Bräutigams.
Die Soldaten hatten sich in drei Linien aufgestellt und den Lauf der Gewehre gegen das Haus gerichtet. Ihr Anführer beobachtete die Fenster, wechselte einige Worte mit dem Alten und schlug dann mit einem schweren Hammer gegen die Tür.
»Im Namen des Gouverneurs! Öffnet!«
»Ihr bleibt bei mir!« sagte der Kapitän zu den beiden Seeleuten. »Du aber, braver Mokko, such mal im obersten Stockwerk nach, ob du nicht ein Dachfenster entdecken kannst, das uns zur Flucht über die Dächer verhilft!«
Hierauf öffnete er das Fenster, beugte sich über die Brüstung und rief: »Was wünscht Ihr, mein Herr?«
Als der Leutnant, anstatt des Advokaten, den Fremden mit den verwegenen Zügen und dem großen, schwarzen, federgeschmückten Hut erblickte, starrte er ihn verdutzt an.
»Wer seid Ihr?« fragte er endlich. »Ich will den Notar sprechen!«
»Er kann im Augenblick nicht kommen. Statt seiner bin ich hier.«
»Dann öffnet mir im Namen des Gouverneurs!«
»Und wenn das nicht geschieht?«
»Dann müßt Ihr die Folgen tragen; es sind seltsame Dinge in diesem Hause vorgefallen, mein Herr. Ich bin beordert zu erfahren, was mit Herrn Pedro Conxevio, seinem Diener und seinem Oheim, dem Grafen Lerma, passiert ist.«
»Wenn Ihr es denn wissen wollt, sie leben und sind bei guter Laune.«
»Laßt sie herunterkommen!«
»Unmöglich!«
»Ich empfehle Euch, zu gehorchen, sonst muß ich die Tür einschlagen!«
»Tut es! Ich sage Euch aber, daß hinter der Tür ein Pulverfaß steht! Wendet Ihr Gewalt an, so lasse ich Feuer anlegen und das Haus mitsamt dem Notar, dem Herrn Conxevio, seinem Diener und seinem Oheim in die Luft sprengen! Probiert es nur!«
Bei diesen kalt und energisch gesprochenen Worten, die keinen Zweifel an der Drohung ließen, ging ein Schrecken durch die Reihen der Soldaten und Neugierigen, von denen viele gleich das Weite suchten.
Der Korsar blieb ganz ruhig am Fenster stehen, während die zwei Seeleute hinter seinem Rücken das Volk auf den Terrassen beobachteten.
»Aber wer seid Ihr denn?« fragte der Leutnant. »Euer Name!«
»Der tut nichts zur Sache!«
»Ich werde Euch zwingen, ihn zu nennen!«
»Gut, dann fliegt das Haus in die Luft!«
»Schluß!« rief der Anführer wütend. »Der Scherz hat schon zu lange gedauert!«
»Wie Ihr wollt! Carmaux, geh ans Werk!«