Emilio Salgari
Der schwarze Korsar
Emilio Salgari

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Auf der Tortuga

Als die »Fólgore« im sicheren Hafen jenseits des engen Kanals, der von jeglicher Überraschung seitens des spanischen Geschwaders Schutz bot, Anker warf, war alles auf der Tortuga in freudiger Stimmung, weil einige Piraten, unter der Führung des Olonesen und Michele des Basken, von ihren Streifzügen an den Küsten San Domingos und Kubas mit reicher Beute heimgekehrt waren.

Am Strande unter großen Zelten oder im Schatten von Palmen hielten die Seeräuber ihr Festgelage, wobei sie die mitgebrachten Vorräte wie Nabobs verzehrten.

Wenn auch Tiger auf dem Wasser – auf dem Lande waren sie die fröhlichsten Bewohner der Antillen, dabei auch gastfreundlich und liebenswürdig. Sie luden stets zur ihren Festen die unglücklichen Spanier ein, die sie als Gefangene, in der Hoffnung auf hohes Lösegeld, zurückbehalten hatten, ebenso auch die weiblichen Gefangenen, denen sie höchst ritterlich begegneten, damit diese ihre traurige Lage vergessen sollten. Erhielten sie aber die geforderten Lösegelder nicht, so griffen sie zu grausamen Mitteln. Sie sandten dann einige Köpfe von Gefangenen an die spanischen Gouverneure, um sie zur Herausgabe der Gelder zu zwingen.

Als das Schiff landete, unterbrachen die Korsaren ihr Mahl, ihre Tänze und Spiele, um mit lärmenden Hurrarufen die Rückkehr des Schwarzen Korsaren zu begrüßen, der sich ähnlicher Beliebtheit wie der Olonese erfreute.

Alle hatten von dem verwegenen Plan gehört, daß er dem Gouverneur von Maracaibo den Roten Korsaren tot oder lebendig entreißen wolle. Da sie seine Tapferkeit kannten, hofften sie auch auf die Rückkehr der beiden Brüder.

Als sie jedoch die schwarze Fahne halbmast, als Zeichen der Trauer, wehen sahen, verstummten die Rufe mit einem Schlage. Schweigend versammelten sich die Männer am Strande, um Nachrichten über das Unternehmen einzuziehen.

Der Schwarze Korsar, der auf der Kommandobrücke stand, rief Morgan zu: »Sagt den Küstenbrüdern, daß der Rote Korsar ein ehrliches Grab in den Wellen des Großen Golfs gefunden habe und daß sein Bruder lebend zurückgekehrt sei, um die Rache vorzubereiten. Benachrichtigt auch den Olonesen, daß ich ihn heute abend aufsuchen werde, und überbringt dem Gouverneur meine Grüße! Später besuche ich auch ihn.«

Hierauf wartete er, bis die Segel gestrichen und die Achtertaue ausgeworfen waren. Dann stieg er zu der jungen Flämin hinunter, die sich schon zum Aussteigen gerüstet hatte.

»Herzogin«, sprach er, »ein Boot wartet, das Euch an Land bringen soll.«

»Ich bin Eurer Befehle gewärtig als Eure Gefangene, Herr!« erwiderte sie.

»Nein, Madame, Ihr seid frei.«

»Frei? Ich habe mein Lösegeld doch noch nicht bezahlt, Kapitän.«

»Es liegt bereits in der Mannschaftskasse.«

»Von wem bezahlt?« fragte sie erstaunt. »Ich habe bis jetzt weder den Marqués von Heredias noch den Gouverneur von Maracaibo von meiner Gefangenschaft in Kenntnis gesetzt.«

»Es wird sich wohl ein anderer gefunden haben«, erwiderte er lächelnd.

»Ihr vielleicht...?«

»Und wenn ich es gewesen wäre?« Der Kommandant blickte ihr tief in die Augen.

Die junge Flämin schwieg einen Augenblick errötend. Dann sagte sie bewegt: »Das ist eine Großmut, die ich bei den Flibustiern der Tortuga nicht zu finden glaubte; doch von Euch überrascht sie mich nicht!«

»Wieso, Madame?«

»Weil Ihr anders seid! In den wenigen Tagen, in denen ich mich am Bord dieses Schiffes befinde, hatte ich Gelegenheit, die edlen Eigenschaften des Herrn von Ventimiglia kennenzulernen. Ich bitte Euch jedoch, mir anzugeben, auf wie hoch mein Lösegeld sich beläuft!«

»So drängt es Euch, das Lösegeld zu bezahlen und die Tortuga zu verlassen?«

»Ihr irrt! Wenn der Augenblick da ist, wo ich diese Insel verlassen muß, so werde ich es vielleicht mit tiefem Bedauern tun ... Stets werde ich dem Schwarzen Korsaren dankbar sein und ihn nie vergessen!«

»Madame!« rief der Korsar, und seine Augen leuchteten.

Er wollte rasch auf sie zutreten, besann sich aber und sagte traurig: »Vielleicht bin ich dann schon der schlimmste Feind Eurer Freunde; wer weiß, ob Ihr mich dann noch leiden könnt.«

Mit schnellen Schritten durchquerte er den Wohnraum, blieb plötzlich vor Honorata stehen und fragte sie unvermittelt: »Kennt Ihr den Gouverneur von Maracaibo?«

Die Herzogin zitterte bei diesen Worten, und ihre Blicke verrieten Angst.

»Ja«, entgegnete sie zögernd. »Warum fragt Ihr?«

»Nehmt an, ich hätte es nur aus Neugierde getan!«

»O Gott!«

»Was habt Ihr?« fragte der Korsar erstaunt. »Ihr seid blaß und erregt...?«

»Warum diese Frage?« wiederholte Honorata mit erstickter Stimme.

Ehe der Korsar antworten konnte, wurde an die Tür geklopft, und Morgan trat ein.

»Kommandant, Pierre Nau erwartet Euch in seiner Wohnung und hat Euch wichtige Mitteilungen zu machen. Ich glaube, daß Eure Pläne zustande kommen und daß alles für das Racheunternehmen bereit ist.«

»Ah!« rief der Korsar mit flammenden Augen. »Ist es schon so weit gediehen?«

Er wandte sich an die junge Flämin, die ihn noch immer erschrocken anstarrte.

»Madame! Darf ich Euch Gastfreundschaft in meinem Hause anbieten? Dasselbe steht Euch ganz zu Eurer Verfügung! Mokko, Carmaux und Stiller werden Euch dorthin begleiten und zu Euren Diensten sein!«

»Noch ein Wort wegen des Lösegelds«, stammelte die Herzogin.

»Davon sprechen wir später!«

Ohne sie weiter anzuhören, ging der Korsar, von Morgan gefolgt, mit kurzem Gruß hinaus.

Eine von sechs Mann besetzte Schaluppe harrte seiner an Backbord. Er setzte sich ans Steuer, fuhr aber anstatt nach dem Strande, wo die Piraten noch immer ihre Orgien feierten, nach einer kleinen Bucht im Osten des Hafens, wo sich ein Palmenwald erhob.

Da stieg er an Land, winkte seinen Leuten, bei dem Boot zurückzubleiben, und bahnte sich allein einen Pfad durch den dichten Hain. Er war schon ziemlich weit vorgedrungen, als ihn eine vergnügte Stimme, die einen leicht spöttischen Ton hatte, aus seinen Betrachtungen riß.

»Ich schwor schon, daß die Kariben mich fressen sollten, wenn du es nicht seist. Die Lustigkeit, die auf der Tortuga herrscht, schreckt dich wohl so, daß du auf dem Waldweg in mein Haus kommst! So traurig, Emilio? Du bist ja wie ein Totengräber! ...«

Aus einer Baumgruppe trat ihm ein Mann von ziemlich kleiner, kräftiger Gestalt, groben Gesichtszügen und durchdringenden Blicken entgegen. Er mochte etwa fünfunddreißig Jahre alt sein, war wie ein einfacher Seemann gekleidet und mit Pistolen und Entersäbel bewaffnet.

»Ah, du bist es, Pierre?« sagte der Korsar.

»Ich bin's, der Olonese!«

Es war der berühmte Pirat, der kühnste Seefahrer und fürchterlichste Feind der Spanier, der schon viel Blutvergießen angerichtet hatte.

Gebürtig in Olone (Poitou), war er zuerst Schmuggler an der Küste Spaniens gewesen. Als er eines Nachts von Zollwächtern überrascht wurde, büßte er seine Barke ein. Während sein Bruder dabei das Leben verlor, wurde er selbst so schwer verwundet, daß er lange zwischen Leben und Tod schwebte. Als er geheilt war, befand er sich im größten Elend. Darum verkaufte er sich als Sklave, um seiner alten Mutter zu helfen, für vierzig Taler an Montbars, den großen »Vernichter«. Zunächst wurde er der Gehilfe der Bukanier, dann Flibustier, und da er über einen ganz besonderen Mut und große Geistesgegenwart verfügte, erhielt er endlich vom Gouverneur von Tortuga ein kleines Schiff.

Mit diesem Fahrzeug vollbrachte der kühne Mann wahre Wunder. Er schädigte die spanischen Kolonien auf jede Weise und wurde dabei kräftig von drei Korsaren, dem Schwarzen, Roten und Grünen, unterstützt.

Eines Tages jedoch hatte er, fast unter den Augen der Spanier, an der Küste von Campeche durch Sturm Schiffbruch erlitten. Alle seine Gefährten wurden niedergemetzelt. Nur ihm allein gelang es, sich zu retten, indem er bis zum Halse in einen Morast untertauchte und sich sogar das Gesicht mit Schlamm bedeckte, um nicht erkannt zu werden.

Als er lebend aus dem Sumpf herauskam, floh er nicht etwa, sondern ging in den Kleidern eines spanischen Soldaten wagemutig in die Stadt hinein, um dort alles auszuforschen. Er gewann einige Sklaven für sich und kehrte auf einer gestohlenen Barke nach der Tortuga zurück, wo man ihn schon für tot gehalten hatte.

Ein anderer hätte sich wohl gehütet, nochmals das Glück herauszufordern, nicht so der Olonese. Bald darauf begab er sich wieder aufs Meer, und zwar mit zwei kleinen Fahrzeugen, die nur mit achtundzwanzig Seeleuten bemannt waren. Er fuhr nach Los Cayos auf Kuba, einem damals sehr wichtigen Handelsplatz. Aber einige spanische Fischer hatten seine Anwesenheit bemerkt. Sie benachrichtigten sofort den Gouverneur des Orts, der nun gegen die beiden kleinen Korsarenschiffe eine Fregatte mit neunzig Mann sandte, außerdem vier Segelschiffe mit tapferer Besatzung, darunter einen Neger, der den Auftrag hatte, die Piraten zu hängen.

Den Olonesen jedoch schreckte die Überzahl der Gegner nicht. Er erwartete den Morgen, griff die Fregatte an, enterte sie trotz des tapferen Widerstands der Spanier und metzelte die Besatzung nieder. Dann ging er gegen die andern vier Schiffe vor, eroberte sie und warf ihre Mannschaft über Bord.

Ihm sollten aber später noch kühnere Taten vorbehalten bleiben ...

Die beiden Flibustier schüttelten sich die Hand zum Gruß.

»Ich erwarte schon mit Ungeduld deine Rückkehr«, sagte Pierre Nau.

»Weißt du, daß ich in Maracaibo gewesen bin?«

»Du selber?« rief der Olonese erstaunt.

»Wie sollte ich sonst den Leichnam meines Bruders bekommen haben?«

»Ich glaubte, du hättest einen Zwischenhändler benutzt. Sieh nur zu, daß deine Kühnheit dich nicht eines Tages das Leben kostet! Du hast ja gesehen, wie es deinen Brüdern ergangen ist! Aber wir werden sie bald rächen. Ich habe die Expedition schon vorbereitet.«

»Über wieviel Schiffe verfügst du?«

»Über acht Schiffe, deine ›Fólgore‹ einbegriffen, und über sechshundert Mann, Piraten und Ochsenjäger. Wir werden die Flibustier anführen, Michele, der Baske, die Bukanier!«

»Auch der Baske kommt mit?«

»Er fragte mich, ob er an der Expedition teilnehmen dürfe. Da habe ich gleich zugesagt. Du weißt, er ist Soldat, hat in den europäischen Heeren gekämpft und kann uns große Dienste leisten. Außerdem ist er reich.«

»Brauchst du Geld?«

»Ich habe alles verbraucht, was ich auf dem letzten bei Maracaibo gekaperten Schiff bei der Rückkehr von Los Cayos erbeutet habe.«

»Rechne von meiner Seite auf zehntausend Piaster!«

»Donnerwetter! Hast du unerschöpfliche Minen auf deinem Besitztum jenseits des Ozeans?«

»Ich hätte dir noch mehr geben können, wenn ich nicht heute früh ein großes Lösegeld hätte zahlen müssen!«

»Ein Lösegeld ... Du? Und für wen?«

»Für eine hochgestellte Dame, die in meine Hand gefallen ist. Das Lösegeld gebührt meiner Mannschaft, also bezahlte ich es.«

»Wer mag das sein? ... Eine Spanierin ...?«

»Nein, eine flämische Herzogin, die sicher mit dem Gouverneur von Veracruz verwandt ist.«

»Eine Flämin?« rief der Olonese, welcher nachdenklich geworden war. »Auch dein Todfeind ist Flame!«

»Und was schließt du daraus?« fragte der Korsar, während er sichtlich erbleichte.

»Könnte sie nicht vielleicht mit van Gould verwandt sein?«

»Das möge Gott verhüten!« kam es fast unhörbar von den Lippen des Korsaren. »Nein, das ist unmöglich!«

Der Olonese blieb unter den riesigen Blattkronen einer Maotgruppe stehen – Bäumen, die den Baumwollpflanzen gleichen. Er betrachtete aufmerksam den Gefährten.

»Warum siehst du mich so an?« fragte dieser.

»Ich dachte an deine flämische Herzogin und fragte mich nach der Ursache deiner plötzlichen Erregung.«

»Dein Verdacht brachte mein Blut in Wallung!«

»Welcher?«

»Daß sie mit van Gould verwandt sein könnte!«

»Und wenn es so wäre, was ginge es dich an?«

»Ich schwor, alle van Goulds und ihre Verwandten von dieser Erde auszurotten!«

»Nun gut, dann tötest du sie eben, und alles ist vorüber.«

»Sie ... Niemals!« rief der Korsar voller Entsetzen.

»Das heißt ...« sagte zögernd der Olonese.

»Was?«

»Daß du deine Gefangene liebst?«

»Schweig!«

»Warum schweigen? Ist es denn für die Flibustier eine Schande, eine Frau zu lieben?«

»Nein, aber ich fühle instinktiv, daß mir dieses Weib verhängnisvoll werden wird, Pierre!«

»Dann überlasse sie doch ihrem Schicksal!«

»Es ist zu spät.«

»Du liebst sie sehr?«

»Wahnsinnig.«

»Und liebt sie dich?«

»Ich glaube.«

»Wahrlich ein passendes Paar! Der Herr von Ventimiglia kann sich nur mit einer Dame von hohem Range vermählen. Das ist ein seltenes Glück für einen Piraten! Also trinken wir ein Glas auf das Wohl deiner Herzogin, Freund!«


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