Emilio Salgari
Der schwarze Korsar
Emilio Salgari

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Der Sturm auf Maracaibo

Der Kanonenschuß war vom Olonesenschiff abgefeuert worden, das jetzt die Vorhut hatte und sich Maracaibo auf zwei Meilen Entfernung näherte. Es legte sich vor das auf einer Höhe gelegene Fort, welches zusammen mit zwei Inseln die Stadt verteidigte.

Einige Piraten, die schon damals mit dem Grünen und Roten Korsaren im Golf von Maracaibo gewesen waren, hatten dem Olonesen geraten, dort die Ochsenjäger zu landen, um das Fort, das den Anfang des Sees beherrschte, unter zwei Feuer zu nehmen. Daraufhin hatte Pierre das Zeichen zum Angriff gegeben.

Mit bewundernswerter Schnelligkeit wurden die Boote von sämtlichen Schiffen ins Meer gelassen und mit den Bukaniern und den zum Landen bestimmten Flibustiern bemannt.

Als der Schwarze Korsar die Brücke bestieg, hatte Morgan schon sechzig der verwegensten und kräftigsten Leute ausgesucht und in die Boote beordert.

Er wandte sich nun an Ventimiglia.

»Kommandant, es ist kein Augenblick zu verlieren! In wenigen Minuten beginnen die schon ausgeschifften Leute den Angriff auf das Fort, und unsere Flibustier sollen als erste den Sturm unternehmen!«

»Hat der Olonese irgendeinen Befehl gesandt?«

»Ja! Die Flotte hat sich nicht dem Feuer des Forts auszusetzen.«

»Gut! Ich übergebe Euch das Kommando über meine ›Fólgore‹.«

Schnell legte er den Schlachtenpanzer an, den ein Maat für ihn bereithielt, und stieg in die große, von dreißig Leuten bemannte und mit einem Mörser bewaffnete Schaluppe, die ihn unter der Backbordtreppe erwartete.

Da schon der Morgen graute, mußte man sich mit dem Landen beeilen, noch bevor die Spanier ihre Truppen sammeln konnten.

Die Boote fuhren rasch auf einen bewaldeten Strand zu, der steil zu einem Hügel aufstieg. Seine Spitze beherrschte die Festung, ein solider Bau mit sechzehn Kanonen großen Kalibers und einer tüchtigen Anzahl Verteidiger.

Die Spanier, die durch den ersten, vom Olonesen abgefeuerten Kanonenschuß aufgeschreckt worden waren, hatten eiligst einige Abteilungen Soldaten hinuntergeschickt, um den Flibustiern den Weg zu verlegen und ein heftiges Geschützfeuer zu eröffnen.

Die Bomben hagelten nur so und schlugen ins Meer ein, so daß das Wasser um die Schaluppen hochspritzte; doch die Piraten wichen den Kugeln geschickt aus. Durch blitzschnelles Manövrieren und unerwartete Drehungen der Schiffe ließen sie den Feinden keine Zeit, sie aufs Korn zu nehmen.

Die drei Schaluppen mit dem Olonesen, dem Schwarzen Korsaren und Michele, dem Basken, befanden sich in der ersten Linie und hatten die kräftigsten Ruderer. Sie jagten dahin, um an Land zu gelangen, noch ehe die bereits in den Wäldern auftauchenden spanischen Schwadronen festen Fuß am Strande fassen konnten.

Die Korsarenschiffe hielten sich im Hintergrund, um sich nicht unnütz dem Feuer der sechzehn großen Festungskanonen auszusetzen. Aber die von Morgan befehligte »Fólgore« hatte sich auf tausend Schritt Entfernung dem Strand genähert und beschützte mit ihren beiden Verfolgungskanonen die Landenden.

Trotz der wütenden Kanonade landeten die ersten Boote nach fünfzehn Minuten. Ohne ihre andern Gefährten abzuwarten, stürzten die Flibustier und Bukanier, mit ihren Führern an der Spitze, in den Wald den spanischen Schwadronen entgegen.

»Zum Angriff!« schrie der Olonese.

»Alle Mann vor!« rief der Schwarze Korsar, der, mit dem Schwert in der Rechten und einer Pistole in der linken Hand, vorwärts drang.

Die im Hinterhalt liegenden Spanier ließen einen Kugelregen auf die Angreifer niederprasseln, der aber wegen der Bäume und des dichten Gestrüpps wenig Schaden anrichtete. Auch die Kanonen des Forts sandten unter betäubendem Lärm ihre schweren Geschosse nach allen Richtungen. Die Bäume barsten und fielen krachend nieder; die Zweige knickten rechts und links, und Haufen von Blättern und Früchten hagelten auf die Flibustier und Bukanier, ohne sie jedoch im Vorwärtsdringen zu hindern.

Wie ein verheerender Sturm fielen sie über die spanischen Schwadronen her, griffen sie mit ihren Enterpiken an und machten sie trotz hartnäckigem Widerstände nieder. Nur wenige Feinde entrannen dem Gemetzel. Sie fielen lieber mit der Waffe in der Hand, als daß sie wichen oder sich ergeben hätten.

»Los, auf die Festung!« brüllte der Olonese.

Vom ersten Erfolg ermutigt, erklommen die Korsaren den Hügel, aber immer darauf bedacht, sich in der dichten Vegetation vor dem Feind zu verstecken.

Inzwischen waren die andern Kameraden hinzugekommen, so daß sich ihre Zahl auf über fünfhundert belief. Aber das Unternehmen war nicht leicht. Es fehlte an Truppen. Außerdem verteidigte sich die aus zweihundertfünfzig tapferen Soldaten bestehende spanische Garnison mit großer Hartnäckigkeit und gab noch kein Zeichen zur Übergabe. Da das Fort ziemlich hoch lag, hatten die Kanonen leichtes Spiel; sie zündeten die Wälder an und drohten, die Angreifer zu vernichten.

Der Olonese und der Schwarze Korsar, die den verzweifelten Widerstand sahen, hielten Beratung ab.

»Wir verlieren zuviel Leute«, meinte Pierre. »Wenn wir nicht durch irgendein Mittel Bresche schlagen, mähen sie uns nieder!«

Ventimiglia schlug vor, eine Mine unterhalb der Bastionen sprengen zu lassen.

»Das wäre wohl das beste«, stimmte der Olonese zu, »aber wer wird sich dieser Gefahr aussetzen und das unternehmen?«

»Ich!« sagte eine Stimme hinter ihnen.

Sie wandten sich um und erblickten Carmaux mit seinem unzertrennlichen Freunde Stiller und seinem schwarzen Gevatter.

»Du bist's?« fragte der Korsar erstaunt. »Was machst du hier?«

»Ich will Euch helfen, Kapitän, und die Bresche schlagen. In einer Viertelstunde wird alles gemacht sein. Wir nehmen dreißig Pfund Pulver und eine gute Zündschnur!«

»Ich hoffe euch lebend wiederzusehen!« rief der Korsar den sich eiligst Entfernenden nach.

Inzwischen waren die Piraten weiter durch den Wald gedrungen und hatten versucht, mit ihren gut gezielten Schüssen die Spanier von den Zinnen zu verjagen und ihre Schützen abzuschießen.

Die Kerntruppe widerstand noch immer mit bewundernswerter Hartnäckigkeit und hielt ein höllisches Feuer aufrecht. Die Festung glich einem Krater in voller Tätigkeit. Riesige Rauchwolken stiegen von allen Bastionen auf und dazwischen die Feuergarben der sechzehn großen Kanonen. Ein Kugelregen ging auf das Dickicht nieder, in dem sich die Flibustier verborgen hielten, um im günstigen Augenblick zum Angriff vorzustürzen.

Plötzlich erfolgte oben auf der Spitze des Hügels eine furchtbare Explosion, die in den Wäldern und auf dem Meere langen Widerhall fand. Eine Riesenflamme stieg an der einen Seite des Forts empor, dann fiel ein Hagel von Eisenstücken auf die Bäume nieder, zerschmetterte Hunderte von Zweigen und tötete eine Anzahl Angreifer.

Da übertönte die metallische Stimme des Schwarzen Korsaren das Geschrei der Spanier, das Gedröhn der Geschütze und das Knallen der Flinten: »Seeleute! Zum Angriff vor!«

Als die Flibustier und Bukanier ihn und den Olonesen über das freigelegte Erdreich stürzen sahen, folgten sie ihm, überstiegen wie eine Welle die letzten Anhöhen und brachen in das Fort ein.

Die von Carmaux und seinen Freunden entzündete Mine hatte eine lange Bresche in eine der Hauptbastionen geschlagen. Der Schwarze Korsar drang hinein, überstieg den Schutt und die zertrümmerten Geschütze, und sein starker Degen schlug die ersten sich ihm entgegenstellenden Feinde zurück.

Die Piraten stürzten ihm nach mit ihren Enterpiken, heulten aus vollem Halse, um größeren Schrecken um sich zu verbreiten, warfen die ersten Spanier über den Haufen und verteilten sich über das Fort.

Die zweihundertfünfzig Soldaten, die es verteidigten, konnten solchem Ansturm nicht widerstehen. Sie verschanzten sich hinter den Wällen, wurden aber daraus vertrieben. Noch einmal versuchten sie, sich auf dem Hauptplatze um die Standarte Spaniens zu sammeln, damit sie nicht niedergeholt werde; aber auch da wurden sie auseinandergesprengt. Man verfolgte sie weiter ins Innere der Bastionen, wo sie fielen, aber sich nicht ergaben.

Als der Schwarze Korsar die Fahne sinken sah, wandte er sich eiligst gegen die jetzt unbeschützte Stadt. Er sammelte einhundert Mann um sich, stürmte den Hügel hinunter, in die bereits verödeten Straßen Maracaibos hinein. Fast alle Einwohner waren geflohen. Männer, Frauen und Kinder hatten sich mit ihren kostbarsten Habseligkeiten in die Wälder geflüchtet. Aber der Kapitän achtete nicht darauf. Er hatte die Expedition nicht unternommen, um die Stadt zu plündern, sondern um den Gouverneur gefangenzunehmen.

Um noch rechtzeitig den Palast van Goulds zu erreichen, trieb er seine Leute zu einem rasenden Lauf an.

Aber auch die Plaza de Granada war leer, und das Tor des Gouverneurspalast stand unbewacht offen.

»Sollte er mir entwischt sein ...?« fragte sich der Korsar zähneknirschend.

Als die ihn begleitenden Flibustier das offene Tor sahen, blieben sie stehen. Sie witterten Verrat. Der Korsar jedoch wollte unbeirrt weitergehn. Schon hatte er die Schwelle zum Hof überschritten, als sich eine Hand auf seinen Arm legte: »Nicht weiter, Kommandant! Erlaubt, daß ich vorgehe!«

Es war Carmaux, der, schwarz wie Pulver, mit zerrissenen Kleidern und blutigem Gesicht, aber lebendiger denn je, neben ihm stand.

»Du bist's wieder?« rief der Kapitän. »Ich glaubte nicht, daß die Mine dich verschonen würde!«

»Ich kann viel vertragen!«

Der Hamburger und der Neger waren gleichfalls zur Stelle, ebenso schwarz und zerrissen wie er. Die drei stürmten nun mutig voran in den Hof, mit Enterpiken und Pistolen in der Hand. Der Korsar und die andern Piraten folgten.

Es war keine Seele zu erblicken. Soldaten, Stallknechte, Knappen und Diener – alle waren in die Küstenwälder geflohen. Nur ein Pferd lag mit gebrochenem Bein am Boden.

»Sie sind umgezogen!« scherzte Carmaux, lustig wie immer. »Wollen wir nicht ein Schild ›Hier ist ein Palast zu vermieten!‹ ans Portal hängen?«

Auf einen Wink des Korsaren stürzten sie nun die Treppen hinauf und durchsuchten die Zimmerflucht. Aber auch hier standen die Türen offen, Zimmer und Säle waren verödet, die Möbel durcheinandergeworfen, die Truhen geöffnet und leer. Alles deutete auf eine eilige Flucht hin.

Plötzlich hörte man aus einem Zimmer lautes Geschrei. Der Kapitän sah, wie Carmaux und Stiller einen großen, hagern spanischen Soldaten vor sich herstießen.

»Erkennt ihr ihn, Kommandant?« fragte Carmaux.

Der Krieger nahm seinen mit einer zerzausten Feder verzierten Stahlhelm ab, verneigte sich tief und sagte: »Ich bin Euer ehemaliger Gefangener. Ihr habt mich nicht aufhängen wollen, und darum lebe ich noch.«

»Du wirst mir für alle zahlen, Schurke!« schrie der Korsar.

»Dann wäre es allerdings besser gewesen, wenn ich mit den andern das Weite gesucht hätte!«

»Und warum bist du hiergeblieben?«

»Ich wollte dem Schwarzen Korsaren, der mir großmütig das Leben geschenkt hat, einen Dienst erweisen und mich zugleich am Gouverneur für meine ungerechte Behandlung rächen.«

»Du?«

»Ja, als der Flame erfuhr, daß Ihr mich nicht gehenkt habt, ließ er mir fünfundzwanzig Stockschläge geben. Mir, Don Bartolomeo de Barboza, dem Abkömmling eines alten katalonischen Geschlechts. Dieser Fremde behandelt die spanischen Soldaten wie Hunde und die spanischen Adligen wie indianische Sklaven. Darum bin ich hiergeblieben und habe Euch erwartet!«

»Er ist geflohen?«

»Ja, als er sah, daß das Fort in Eure Hände fiel. Aber ich weiß, wohin, und werde Euch auf seine Spur führen.«

»Betrügst du mich auch nicht? Hüte dich, sonst lasse ich dir das magere Fell über die Ohren ziehen!«

»Bin ich denn nicht ganz in Eurer Hand?« fragte der Soldat. »Ihr könnt mich nach Belieben behandeln.«

»Sprich! Wohin ist der Verräter geflohen?«

»In den Wald, nach Gibraltar zu.«

»Die Küste entlang?«

»Ja, Kommandant!«

»Kennst du den Weg?«

»Besser als die Leute, die ihn begleiten.«

»Wieviel Mann hat er bei sich?«

»Einen Hauptmann und sieben Soldaten, die ihm ergeben sind.«

»Und wo sind die andern Soldaten?«

»Zerstreut!«

»Gut!« sagte der Korsar. »Wir folgen dem Elenden und werden ihm Tag und Nacht keine Ruhe lassen! Hat er Pferde bei sich?«

»Ja, doch werden sie zurückbleiben müssen, da sie ihm auf der Flucht nichts nützen.«

Der Kapitän ging an einen Schreibtisch, auf dem sich Papier, Feder und ein kostbares Bronzetintenfaß befanden. Er nahm ein Blatt Papier und schrieb folgende Zeilen:

Lieber Pierre!

Ich verfolge van Gould durch die Wälder, habe Carmaux, Stiller und meinen Neger bei mir. Verfüge über mein Schiff und meine Leute, und wenn die Plünderung vorüber ist, komm zu mir nach Gibraltar! Dort gibt es reichere Schätze als in Maracaibo.

Der »Schwarze Korsar«.

Er schloß den Brief und übergab ihn einem Maat aus seiner Gefolgschaft. Dann verabschiedete er die andern Flibustier mit den Worten: »In Gibraltar werden wir uns wiedersehn! Jetzt geht die Jagd auf meinen Todfeind los!«

»Ich habe einen ganz neuen Strick eingesteckt, um ihn aufzuknüpfen«, sagte Carmaux lachend. »Gestern abend habe ich ihn schon ausprobiert. Ich versichere Euch, der funktioniert gut und reißt nicht!«


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