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Vierzehntes Kapitel.
Das Spiel beginnt.

Niemals werde ich die fieberhafte Aufregung vergessen, mit der ich das Herannahen der Nacht erwartete. Frohlocken und Angst wechselten miteinander; bald sah ich im Geiste unser Vorhaben glücklich durchgeführt, bald überkam mich eine entsetzliche Furcht vor den Folgen des Mißlingens. Alles hing einzig und allein vom Glück ab.

Wenn Stevens den Betrug entdeckte, so war mein Leben kein Pfenniglicht wert, und Marie Robertson der Willkür der Mannschaft preisgegeben. Dieser Gedanke machte mich fast wahnsinnig.

Um 4 Uhr nachmittags übernahm Stevens die Wache auf Deck und um mit dem Hochbootsmann sprechen zu können, ohne des Zimmermanns Argwohn zu erregen, holte ich die Seekarte und breitete sie auf dem Kajütentisch aus. Über sie gebeugt, messend und anscheinend rechnend, trafen wir beide die letzten Verabredungen.

Er war erstaunt über die Kühnheit der Idee von Miß Robertson und meinte, sie würde ihre Rolle in dem Komplott ebensogut spielen, wie der tapferste Mann. Geschmeichelt lächelte er zu ihrer Absicht, seine Kleider anlegen zu wollen und sagte, er würde seinen Sonntagsanzug in ein Bündel schnüren und ihn für mich zurechtlegen, damit ich ihn ihr übergeben könnte.

»Sie wird ja verstehen, einzunähen, was zu lang ist,« bemerkte er, »und Sie werden guttun, ihr auch zu sagen, daß sie lange Schritte machen muß, wenn sie geht, denn Weiberfüße trippeln zu sehr. Im übrigen habe ich aus dem Theater gesehen, daß Weiber sich so zu verkleiden verstehen, daß ihre eigenen Mütter sie nicht wieder erkennen.«

»Ist die Luke offen?«

»Verlassen Sie sich nur auf mich, Mr. Royle, es wird alles in Ordnung sein.«

»Was für eine Waffe haben Sie sich besorgt?«

»Nur eine kleine Eisenstange, so etwa in der Dicke meines Armes,« lachte er grimmig. »Ich wünschte nicht, daß sie mir aus Versehen auf die Füße fiele.«

Wir beendeten unsere eilige Unterhaltung, weil wir bemerkten, daß der Zimmermann durch das Oberlicht unverwandt auf uns niederstarrte. Ich rollte die Karte zusammen und zog mich in meine Kajüte zurück.

Mir fiel beim Betreten derselben auf, daß der Deckel des einen Kastens ein wenig offenstand, weil sich einige Sachen, die darin lagen, eingeklemmt hatten. Als ich den Kasten öffnete und untersuchte, fand ich, daß ein Beutel mit Geld, den ich bei meiner ersten Kramerei entdeckt hatte, nicht mehr vorhanden war. »So, Mr. Stevens,« dachte ich, »also auch ein ebenso gemeiner Dieb, wie feiger Mörder sind Sie! Nur zu, der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht.«

Kurz vor sechs Uhr, um welche Zeit ich den Hochbootsmann abzulösen hatte, überzeugte ich mich, daß Stevens in seiner Kajüte schlief und stieg dann leise die Leiter herunter, die in das Zwischendeck führte. Hier waren mehr als siebenhundert Kisten mit Nägeln aller Art verstaut. Jede Kiste war ungefähr zweimal so breit und so lang wie dieses Buch, hatte ein für den Zweck ausreichendes Gewicht und ließ sich leicht handhaben.

Ich schaffte eine dieser Kisten in meine Kajüte und als es sechs Uhr geschlagen hatte, nahm ich sie bedeckt von meinem Überzieher mit auf Deck. Als ich dieses betrat, fand gerade die Ablösung am Steuer statt, und ich sah, wie der eine Mann dem andern ein Stück Tabak abschnitt. Während beide ihre Aufmerksamkeit auf diese Beschäftigung gerichtet hatten, gelang es mir, den Kasten unbemerkt unter eine Bank des Bootes zu stellen und meinen Rock so darüber zu breiten, als wenn ich ihn dort nur abgelegt hätte, um ihn zur Hand zu haben.

Der Hochbootsmann beobachtete mich, ohne scheinbar Notiz von mir zu nehmen, als er aber auf dem Wege nach der Kajüte an mir vorüberging, raunte er mir zu, daß ich seine Kleider an der Tür seiner Koje finden würde.

Daraus, daß er nur im Vorübergehen zu mir sprach und gar nicht bei mir stehenblieb, schloß ich, daß der Zimmermann doch wohl irgend etwas Verdächtiges in unserer langen Beschäftigung mit der Karte gefunden haben mochte und sich darüber seinen Vertrauten gegenüber ausgesprochen hatte, indes ließ sich die Sache insofern gut an, als wir eine dunkle Nacht zu erwarten hatten, falls nicht ein ganz plötzlicher Witterungswechsel eintrat.

Der Himmel war trübe, ein gleichmäßiger, dicker Wolkenteppich bedeckte ihn, nur am westlichen Horizont, an der Stelle, wo die Sonne unterging, zeigte er eine rötliche Färbung. Die See war unruhig und sah schwarz aus, es wehte ziemlich scharf aus Süden. Die Bewegung des Schiffes war höchst unangenehm, denn es stampfte unregelmäßig und schlingerte stark.

Als die Schatten sich mit der zunehmenden Dunkelheit auf der See verdichteten, war der Anblick des bleifarbenen Himmels und der tiefdunklen Wogen ein unbeschreiblich niederdrückender. Das Aussehen des Wetters war so zweifelhaft, daß ich Ursache gehabt hätte, zum mindesten die obersten Bramsegel zu beschlagen und einen Teil der großen Segel reffen zu lassen, aber ich nahm davon Abstand, um die Leute nicht annehmen zu lassen, daß dadurch unsere Fahrgeschwindigkeit verringert würde. Das wäre mir nicht dienlich gewesen für meine Rechnung am nächsten Tage, mit welcher ich Stevens beweisen mußte, wie schnell wir gesegelt und der Küste von Florida nähergekommen wären.

Um acht Uhr weckte ich den Zimmermann und wartete, bis er auf Deck war, ehe ich es wagte, in die Koje des Hochbootsmanns einzutreten. Als ich die Tür leise öffnete, hörte ich den braven Burschen schnarchen wie einen Bär. Das Bündel mit seinen Kleidern lag bereit, ich nahm es schnell und klopfte an Miß Robertsons Tür. Sie erschien sogleich, und ich überreichte ihr den Pack nebst meinem Südwester, den ich schon vorher aus meiner Kajüte geholt hatte.

»Was für ein Zeichen werden Sie mir geben?« fragte sie.

»Ich werde dreimal mit dem Stiefelabsatz auf die Decke Ihrer Koje klopfen. Übrigens ist noch eine leere Koje neben der Ihrigen, welche Sie zum Umkleiden benutzen können, damit Ihr Vater Sie nicht sieht.«

»Ich werde es schon einrichten, daß er mich nicht sieht,« entgegnete sie. »Es ist besser, ich verlasse ihn nicht, denn er schlief eben ein, während ich mit ihm sprach, und wenn er aufwachen und nach mir rufen sollte, möchte ich mich ihm nicht in meiner Verkleidung zeigen, er würde darüber erschrecken. Wenn ich hier bleibe, kann ich mich allmählich anziehen und ihm im Notfall antworten, ohne daß er mich sieht.«

»Vorläufig ist noch viel Zeit,« fügte ich hinzu; »der Hochbootsmann löst den Zimmermann erst um Mitternacht ab. Sowie dieser das Deck verlassen hat, werde ich mich zum Hochbootsmann begeben. Hier ist meine Uhr, Sie haben sonst kein Mittel, zu erfahren, wie spät es ist, ohne die Kajüte zu verlassen.«

»Ist die Nacht dunkel?«

»Sehr dunkel, sie könnte für uns nicht besser sein. Haben Sie keine Sorge, mit Gottes Hilfe wird schon alles gut gehen. Der Zimmermann soll es denn doch ein gut Teil schwieriger finden als er denkt, das Schiff anzubohren. Der Hochbootsmann schläft fest, er schnarcht, daß die Fenster zittern; es war mir wahrhaft tröstlich, ihn zu hören, als ich eben die Sachen bei ihm abholte, kein Mensch könnte so schlafen, der von den nächsten Stunden ein Ende mit Schrecken für sich fürchtet.«

Sie lächelte, und der Ausdruck ihres hübschen Gesichts ließ mich erkennen, daß auch sie einen Trost in diesem Umstand fand. Das war mir eine Beruhigung, und mit einem: ›Also Glück auf‹ reichte ich ihr die Hand und ging.

Ohne einen Gedanken an Schlaf legte ich mich nunmehr auf mein Lager und deckte mich mit meiner Wolldecke zu. Ich schlief aber doch bald ein, und neu gestärkt erwachte ich um elf Uhr.

Ich blickte durch das Fenster in die Nacht hinaus, es war pechdunkel. Um mich wach zu erhalten, steckte ich mir meine Pfeife an und überdachte noch einmal unsern Plan mit dem Bemühen, irgend einen Punkt in demselben zu entdecken, der vielleicht noch einer Verbesserung bedürfe, aber umsonst, ich konnte keinen finden. Mit voller Ruhe und festem Vertrauen sah ich der nächsten Stunde entgegen. Einmal nur kam mir noch der Gedanke, ob der Matrose, welchen man mit dem Anbohren des Schiffes betraute, auch den Teil des Vorderschiffes dazu wählen würde, in dem der Hochbootsmann sich befand; doch sagte ich mir, daß dieser den Kielraum und die Verstauung der Ladung genau kannte und seiner Sache sicher sein müsse.

Der Ton der Schiffsglocke, welche Mitternacht anzeigte, riß mich plötzlich aus meinen Gedanken. Jetzt begann mein Herz doch rascher zu schlagen. Stevens kam mit schweren Tritten die Kajütentreppe heruntergestampft und ging den Hochbootsmann zu wecken, welcher sich sogleich auf Deck begab.

Ich lag ganz still, denn ich dachte, er könnte vielleicht bei mir hereinblicken, und es schien mir für unser Vorhaben besser, ihn glauben zu lassen, ich schliefe. Er kam aber nicht und ich hörte ihn auch nicht zu Bette gehen. Das machte mich stutzig. Ich stand deshalb leise auf, schlich an meine Tür, zog behutsam den Schlüssel heraus und guckte durch das Schlüsselloch. Zu meiner Beruhigung sah ich ihn da, wie er eben mit einer Flasche Brandy aus der Speisekammer kam, sich ein Glas von einem der Gestelle nahm, dasselbe vollgoß und mit einem Zuge leerte. Darauf trug er die Flasche wieder zurück und begab sich dann sogleich in seine Kajüte.

Jetzt war meine Zeit gekommen. Mochte er später auch vielleicht aus irgend einem Grunde wieder auf Deck kommen und mich dort treffen, das hatte nichts zu sagen, denn als Kapitän war ich gewissermaßen verpflichtet, auch außer der Zeit meiner Wache mitunter nach dem Wetter zu sehen und den Kurs des Schiffes zu kontrollieren.

Trotzdem verließ ich meine Kajüte ganz ohne Geräusch, denn ich wünschte nicht, daß er mich hörte. Auf den Fußspitzen schlich ich die Treppe hinauf.

Die Nacht war nicht so dunkel, wie sie mir durch das Fenster erschienen war, aber doch noch dunkel genug für unsern Zweck.

Ich suchte alsbald den Hochbootsmann auf und fand ihn am Besanmast lehnend.

»Sind Sie bereit?« fragte ich.

»Alles fertig.«

»Haben Sie keine Furcht vor Ratten?« fragte ich lachend.

»Ach was, weder vor Ratten noch sonst was,« entgegnete er gutgelaunt. »Hat die Lady meine Kleider schon an? Ich möchte sie doch gar gern sehen.«

»Sie wird kommen, wenn alles so weit ist, daß Sie verschwinden können. Übrigens: das Oberlicht muß zugedeckt werden, es wirft einen zu hellen Schein, ich möchte die Kajütenlampe nicht gern auslöschen, das könnte doch auffallen. Holen Sie doch eine Teerdecke und werfen Sie sie über, ich gehe inzwischen, um mit dem Mann am Rade zu sprechen.«

»Wer ist denn dort?«

»Jim Cornish.«

Wir gingen nun beide auseinander, er verdeckte das Oberlicht, und ich unterhielt mich über Kurs, Wetter und dergleichen mit Cornish.

Nach einer Weile suchte ich den Hochbootsmann wieder auf und sagte: »Kommen Sie, wir wollen etwas miteinander auf und abgehen, damit Cornish uns zusammen sieht.«

Wir taten das und ab und zu blieben wir in seiner Nähe stehen.

Als wir bei diesem Hin- und Herwandern wieder einmal am vorderen Ende des Hüttendecks angekommen waren, hielt ich an und sagte: »So, nun ist es genug, gehen Sie jetzt nach hinten und postieren Sie sich so, daß Cornish an der Wetterseite des Hüttendecks nicht vorbeisehen kann.«

Ich folgte ihm bis zu dem Teil des Decks, der gerade über Miß Robertsons Koje lag und trat dort dreimal scharf mit dem Stiefelabsatz auf, zugleich aber schlug ich, um dieses Geräusch zu übertönen, mit meinen Händen kräftig unter meine Achselhöhlen, wie man zu tun pflegt, wenn einem kalt ist. Darauf ging ich in die Nähe der Kajütentreppe.

Kaum war ich hier angelangt, als das Mädchen auch schon an meiner Seite stand; der vollständige, richtige Seemann.

»Bewunderungswürdig!« flüsterte ich, ihre Hände ergreifend. Ich stellte sie dicht neben das verdunkelte Oberlicht, so daß ihre Gestalt vom Besanmast gedeckt und vom Rade aus nicht zu sehen war, dann rief ich den Hochbootsmann.

Der Ton meiner Stimme war so, als ob ich ihm einen Befehl erteilen wollte, er eilte deshalb sehr diensteifrig bei Cornish vorbei, auf mich zu.

»Sie ist hier,« raunte ich ihm ins Ohr, drehte ihn am Arm dahin, wo Miß Robertson bewegungslos stand, und flüsterte: »Nun aber fort mit Ihnen, es ist keine Zeit zu verlieren.«

Er trat aber doch noch an sie heran und sagte leise:

»Es tut mir wahrhaftig leid, Miß, daß ich Sie nicht ordentlich sehen kann; wenn Tageslicht wäre, schätze ich, würde ich einen so schmucken Seemann sehen, wie nur je einer auf die Deckplanken trat, wissen Sie, so einen, von dem die Mädels träumen und ihm nachlaufen.«

Er schwenkte grüßend die Hand, glitt wie ein Schatten hinweg, schlüpfte das Hauptdeck entlang und entschwand unsern Blicken.

»Nun kommt das Trauerspiel,« wandte ich mich an meine Gefährtin. »Zunächst müssen wir eine Weile auf- und abgehen, damit der Mann am Rade uns wenn auch nicht sieht, so doch hört. Halten Sie sich auf der linken Seite des Decks, dort ist es höher, das wird Sie größer erscheinen lassen.«

Ich nahm mich in acht, weiter zu gehen als bis zum Besantakelwerk, damit Cornish höchstens nur dunkle Gestalten zu erkennen vermochte, und nachdem wir kurze Zeit so zusammen gegangen waren, lenkte ich unsere Schritte nach dem Boot, in welchem der Kasten stand, nahm denselben heraus und stellte ihn auf das Geländer der Schanzkleidung.

»Bitte, halten Sie ihn fest, damit er nicht über Bord rutscht,« flüsterte ich ihr zu, nunmehr geradeswegs zu Cornish gehend.

»Na, wie steht's, steuert es ruhig?« fragte ich.

»Weicht kein Haar breit ab.«

»Ich suche meinen Rock, den ich heute nachmittag hier oben ablegte, und kann ihn nicht finden; haben Sie ihn etwa irgendwo liegen sehen?«

»Nein.«

»Ich begreife nicht, wo er stecken kann, im Finstern ist jetzt auch schlecht suchen; aber finden muß ich ihn.«

Damit begab ich mich fort, tastete, anscheinend suchend, überall herum, langte dabei schließlich wieder bei Miß Robertson an und sagte hastig:

»Nun bitte, ducken Sie sich und schleichen Sie fort; halten Sie sich immer dicht am Geländer, legen Sie sich gleich zu Bett, packen Sie aber vorher noch den Anzug zusammen und verstecken Sie ihn.«

Sie huschte, tief gebückt, mit großer Schnelligkeit davon, im nächsten Augenblick schon sah ich sie nicht mehr.

Jetzt war ich allein; alles um mich her war still. Ein paar Minuten wartete ich noch, mit einer Hand den Kasten haltend, dann stieß ich ihn über Bord; mit lautem Geplätscher fiel er ins Wasser.

»Mann über Bord! Mann über Bord!« schrie ich nunmehr was ich aus der Kehle kriegen konnte. »Nieder das Ruder! Der Hochbootsmann ist über Bord! Wache heran!« Und während ich so brüllte, sprang ich, um die Täuschung voll zu machen, mit großen Sätzen nach hinten, schnitt eine Rettungsboje los und schleuderte sie weit in die Dunkelheit hinaus. Gleichzeitig hiermit hatte Cornish, meinem Befehle folgend, das Ruder niedergesetzt und in wenigen Augenblicken schüttelten die Segel wild. Er wollte etwas sagen, ich hörte aber gar nicht, sondern stürzte schon wieder nach vorn, zu dem Logis der Leute.

»Raus mit euch, Jungens!« schrie ich hinein, »helft! Der Hochbootsmann ist über Bord!«

In der Erregung, in der ich mich befand, schallte meine Stimme wie eine Posaune; bald waren alle Mann auf Deck. Das Schlagen der Leinwand, das Getrampel der vielen Füße, mein eigenes Geschrei und das der Leute, verursachte einen Höllenlärm.

Durch diesen geweckt erschien auch der Zimmermann sehr bald.

»Was zum Teufel ist hier los? Was soll das alles bedeuten?« brüllte er mich an.

»Der Hochbootsmann ist über Bord gefallen!« schrie ich ihm ins Ohr, da man sich bei dem Getöse der immer wilder schlagenden Segel kaum verständlich machen konnte.

»Der Hochbootsmann sagen Sie? Was?«

»Ja! Der arme Mensch! Es wird zu dunkel sein, um ihn zu finden!«

»Natürlich viel zu dunkel!« schrie er heiser wie ein Rabe. »Was wollen Sie denn tun? Jetzt ist er schon lange ertrunken; niemand kann ihm mehr helfen. Bringen Sie das Schiff wieder in Ordnung, sage ich Ihnen! Wollt ihr, daß wir die Masten verlieren, Maats? Wollt ihr auf einem Wrack treiben, euch vom ersten besten Schiff, das diesen Weg kommt, anhalten und dann hängen lassen, bloß weil der Hochbootsmann über Bord gefallen ist? Seid doch nicht verrückt!«

Während er in dieser Weise zu den Leuten sprach, war ich an die Leeseite getreten, blickte aufs Wasser und tat, als ob ich angestrengt auf einen Hilferuf lauschte. Da kam er in großer Hast wieder auf mich zu, packte mich am Arm und schnaubte mich an:

»Zum Henker, geben Sie jetzt endlich Ihre Befehle; ich sage Ihnen, der Hochbootsmann ist längst ersoffen, das Anhalten des Schiffes kann ihn nicht wieder lebendig machen; machen Sie schnell, oder wir versaufen noch alle miteinander!«

»Gut,« erwiderte ich mit der Miene großen Widerstrebens, stieg auf das Hüttendeck und leitete von dort aus die Arbeiten, welche nötig waren, das Schiff wieder in volle Fahrt zu bringen.

Der Zimmermann war dabei der emsigste unter allen, überall faßte er mit an und schrie fortwährend wie ein Wahnsinniger in die Leute hinein von: Masten verlieren, Kerker, gehangen werden etc. Durch sein Toben und Hetzen brachte er es zustande, daß die ganze Arbeit in der Hälfte Zeit verrichtet wurde, die sie unter gewöhnlichen Verhältnissen in Anspruch genommen hätte.

Es war jetzt ein Uhr. Innerhalb einer Stunde war also der Hochbootsmann ertrunken, das Schiff in den Wind gelegt und wieder in Fahrt gebracht worden. Es war in der Tat eine recht bewegte Stunde gewesen.

Stevens kam jetzt zu mir, äußerte sich sehr befriedigt, daß das Schiff wieder mit vollen Segeln seinen Kurs lief und fragte, wie das Unglück eigentlich gekommen sei.

Ich erwiderte ihm, ich wäre um zwölf Uhr auf Deck gegangen, um nach dem Wetter und dem Kurs zu sehen, dabei wäre mir auch eingefallen, daß ich am Nachmittag meinen Überzieher oben gelassen hatte. Als ich ihn nirgends finden konnte, habe mir der Hochbootsmann gesagt, daß er sich erinnere, ihn in dem Seitenboot gesehen zu haben. Er sei dann auf das Geländer gestiegen, um ihn zu holen und wäre bei einem plötzlichen Schlingern des Schiffes ausgeglitten und ins Wasser gefallen. Daraufhin hätte ich sofort den Befehl zum Anhalten des Schiffes gegeben.

»Wissen Sie, Mr. Stevens,« fuhr ich fort, »mich quält der Gedanke, daß wir nicht wenigstens einen Versuch zur Rettung des armen Menschen gemacht haben, aber in Wirklichkeit sind Sie doch der Kapitän und da enthielt ich mich jeder Einwendung, nachdem Sie alles für nutzlos erklärt hatten.«

»Da haben Sie auch ganz recht getan, denn es wäre eine Verrücktheit gewesen, Boote auszusetzen,« entgegnete er barsch. »Wer hätte ihn in der Finsternis finden sollen? Das Ende vom Liede wäre gewesen, daß wir vielleicht noch eins oder das andere unserer Boote eingebüßt hätten.« Mit diesen Worten verließ er mich, er blieb aber noch eine ganze Stunde auf Deck, trotzdem ich mich erboten hatte, die Wache des Hochbootsmanns abzuhalten. Er unterhielt sich noch lange mit Cornish und als ich mich bei Gelegenheit dicht heranschlängelte, hörte ich, wie dieser alles, was ich gesagt hatte, bestätigte.

Ich dankte meinem Gott, daß ich den ganzen Plan so genau durchdacht hatte und auch nicht der leiseste Argwohn erregt worden war.

Erst um zwei Uhr ging Stevens wieder hinunter.

Die See wurde ruhiger, der Wind ging nach Nordwest herum. Um sechs Glasen blies eine angenehme gleichmäßige Brise, die Sterne traten hervor und der Himmel klärte sich auf. Als ich mein Auge auf der See umherschweifen ließ, erblickte ich in einer Entfernung von ungefähr vier Meilen ein großes Schiff mit vollgerundeten Segeln. Es schien einen parallelen Kurs mit uns zu steuern und während ich es betrachtete, zermarterte ich mein Gehirn, um etwas zu ersinnen, wodurch ich möglicherweise aus seiner Anwesenheit Vorteil ziehen könnte.

Jedenfalls schien mir das erste, was ich zu tun hatte, mehr Segel zu setzen, oder es lief mir davon. Deshalb rief ich ohne Besinnen die Wache auf.

Während die Mannschaft bei der Arbeit war, brach die Dämmerung an und bei dem helleren Licht entdeckte ich, daß das Schiff einen westlicheren Kurs steuerte, als wir, und uns schnell näherkam. Sein Anblick erfüllte mich mit unaussprechlicher Aufregung. Sollte ich signalisieren? Sollte ich es anrufen, wenn es näherkam? Alle meine früheren schon als unausführbar erkannten Gedanken schwirrten mir wieder durch den Kopf. Ich wurde von diesen abgezogen durch Johnson, der an mich herantrat und sagte:

»Wäre es nicht besser, Sie legten um? Sie bringen uns verflucht nahe an das Schiff heran, wir wünschen das nicht.«

Da ich begriff, daß mir keine Gelegenheit gegeben werden würde, den Fremden zu Hilfe zu rufen, faßte ich einen schnellen Entschluß und rief den Leuten zu:

»Johnson will, ich soll wenden. Die Leute auf jenem Schiff werden sehen, daß wir in guter Fahrt sind. Wenn sie bemerken, daß wir bei Seitenwind wenden, werden sie entweder denken, wir sind verrückt, oder müßten sonst irgend einen Grund haben, nicht mit ihnen zusammenzutreffen. Wollt ihr solche Gedanken erwecken? Nun sagt, was ich tun soll?«

»Schaffen Sie uns fort von dem Schiff,« antwortete einer, »das ist alles, was wir verlangen.«

In diesem Augenblick stürzte der Zimmermann, nur mit Hemd und Hosen bekleidet, aus der Kajüte herauf.

»Hallo!« schrie er mich grob an; »was fällt Ihnen ein? Wollen Sie uns längsseit legen?«

»Backbord das Ruder!« brüllte er wütend nach dem Rade hin, »hinter dem Stern weg steuern.«

»Wenn Sie das tun,« rief ich jetzt hitzig, »werden Sie ganz unnötig Argwohn erregen. Einen Strich abhalten!« befahl ich entschlossen.

Stevens schielte mich mißtrauisch an, sagte aber weiter nichts. Die Mannschaft drängte sich an das Geländer, um das Schiff besser sehen zu können, einige warfen mir dabei aber Blicke zu, die mir keinen Zweifel lassen konnten über das Schicksal, welches mir bevorstand, wenn ich es wagte, ihnen einen Streich zu spielen.

»Mr. Stevens,« sagte ich ganz ruhig, »überlassen Sie mir getrost die Führung. Halten Sie mich denn für so dumm, daß ich mich selbst ins Unglück stürzen werde? Das Schiff da macht mehr Fahrt als wir, wir werden es bald rechts vor uns haben, und dann werde ich weitere Befehle geben.«

Während ich sprach, hißte das fremde Segel die englischen Farben; die teure heimatliche Flagge schwebte empor und flatterte von der Gaffel.

»Wir müssen antworten,« rief ich dem Zimmermann zu. »Lassen Sie die gleiche Flagge aufgehen.«

Vermutlich sagte er sich, daß das Aufhissen dieses Zeichens keine unheilvollen Folgen nach sich ziehen könne, denn er gehorchte sogleich, wenn auch langsam.

Als das Schiff unsere Antwort bemerkte, holte es seine Flagge wieder nieder und zeigte seine Privatflagge.

»Die Hausflagge auf!« rief ich, »die Höflichkeit verlangt das, und es hat nichts zu bedeuten.«

Ich bezeichnete Stevens diese Flagge, und er zog sie auch auf, an seinem Gesicht konnte ich aber erkennen, daß er es nur mit dem größten Widerwillen tat.

Ich gab jetzt Befehle, um die Geschwindigkeit des ›Grosvenor‹ zu verringern. Das fremde Schiff, welches jetzt gerade vor uns war, konnte von diesem Manöver nichts bemerken. In kurzer Zeit hatte sich die Entfernung zwischen uns sehr vergrößert.

Nach der Art zu urteilen, wie die Leute jetzt untereinander sprachen und öfter Blicke auf mich warfen, hatte ich ihnen offenbar imponiert. Stevens ließ sich sogar herab, lachend zu sagen: »Die Dummköpfe werden sich gewiß über unsern alten lahmen Hucker lustig machen.«

»Ja, besser als Wenden war das schon, so wie wir es machten,« bemerkte ich trocken.

Er ging hierauf nicht weiter ein, sondern sah dem Schiff nach und äußerte dann: »Da geht nun auch die Hausflagge nieder.«

»Das ist gut,« erwiderte ich, »da haben sie also nicht die Absicht, sich noch weiter mit uns zu beschäftigen.«

Ich folgte dem Fahrwasser des Schiffes, bis es uns etwa drei bis vier Meilen vorausgekommen war, dann ließ ich die Raaen wieder herumbrassen und brachte den ›Grosvenor‹ auf seinen alten Kurs.

Stevens ging nach unten, um sich Rock und Stiefel anzuziehen und mich dann abzulösen, denn es war jetzt vier Uhr. Die Dämmerung war angebrochen und gab Aussicht auf einen schönen Tag.

Ich war völlig erschöpft, nicht so sehr aus Mangel an Ruhe, als infolge der Aufregung, die ich durchgemacht hatte. Noch aber konnte ich nicht zu Bett gehen, denn ich hatte noch eine Rolle zu spielen. Mich plagte es, zu erfahren, ob auch wirklich die Täuschung eine vollständige gewesen sei. Ich erwartete deshalb die Rückkehr von Stevens auf Deck.

Als er kam, sagte er gleich sehr brummig zu mir:

»Weiß der Teufel, ich habe die Sache bald satt. Den ersten Teil der Reise kam man fast um aus Mangel an Nahrung, und jetzt kommt man herunter aus Mangel an Schlaf. Wie lange wird die verdammte Fahrt bis Florida denn noch dauern? Ich will mich ersäufen, wenn ich nicht für eine nähere Küste gestimmt hätte, wenn ich gewußt hätte, daß die Reise bis zum jüngsten Gericht dauern würde.«

»Wenn keine Windstille eintritt,« antwortete ich, »kann ich Ihnen mit Sicherheit versprechen, Sie Freitag nachmittag an der Küste von Florida zu landen.«

Er steckte die Hände in die Hosentaschen und blickte schweigend nach hinten.

Ich benutzte diese Gelegenheit, um zu sagen:

»Wissen Sie, der Verlust des Hochbootsmanns macht mir doch rechten Kummer.«

»So?« brummte er in ironischem Tone.

»Ja, er war doch ein braver Kerl und ein tüchtiger Seemann.«

»Na ja, das war er wohl, aber alles Gewimmer um ihn nutzt doch nun nichts mehr.«

»Er hätte es wirklich verdient, daß wir eine Anstrengung machten, ihn zu retten.«

»Hören Sie, das sagten Sie schon einmal, und ich sagte ›nein‹; ich vermute, ich weiß, was ich sage, wenn ich ›nein‹ sage.«

»Mein Gott, daran zweifle ich gar nicht; aber wird die Mannschaft mich nicht für einen ganz herzlosen Menschen halten, weil ich dem armen Teufel kein Boot zu Hilfe sandte?«

»Darin täuschen Sie sich; der Hochbootsmann war gar nicht so beliebt. Worauf wollen Sie eigentlich hinaus, Mr. Royle? Können Sie einen ertrunkenen Mann nicht in Ruhe lassen?« schrie er mit ausbrechender Wut. Indessen mäßigte er sogleich wieder seine Stimme und in seine Augen trat ein Zug unbeschreiblicher Schlauheit und Hinterlist, als er fortfuhr: »Ich spreche natürlich nur von einigen Leuten, die ihn nicht leiden konnten, andere hatten ihn ganz gern und denen wird es leid tun um ihn. Ich würde auch unbedingt die Hand zu seiner Rettung geboten haben, hätte ich nicht Angst um die Masten gehabt und gedacht, daß es absolut keinen Zweck hätte, ein Boot im Finstern nach einem ertrunkenen Mann herumirren zu lassen.«

»Ich bin davon überzeugt,« antwortete ich mit scheinbarer Ehrlichkeit. »Sie könnten übrigens die Vorbramleesegel setzen lassen, denn wir werden einen schönen Tag bekommen.«

Nun verließ ich ihn, die Gewißheit mit mir nehmend, daß es uns gelungen war, die Mordbande völlig hinters Licht zu führen.

Als ich bei Miß Robertsons Kajüte vorüberging, horchte ich, ob sie noch auf wäre. Da alles still blieb, begab ich mich in meine Kajüte, warf mich angezogen auf mein Lager und versank bald in tiefen Schlaf.


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