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Erstes Kapitel.
Der erste Reisetag.

Es schien, als sollten wir Südwestwind bekommen. – Die hohe Küste von Frankreich, welche wir den ganzen Nachmittag über am Horizont hatten schimmern sehen, verblich schnell, denn die Abendschatten legten sich schon auf das Wasser; – in einer Stunde mußte die Sonne hinter Süd-Foreland verschwunden sein. – Der Nordwind, welcher die Backen unseres Schiffes mit Schaum bespritzt hatte, als wir den Fluß hinabfuhren, begann allmählich zu schwinden; – der Luftzug war kaum noch stark genug, die obersten Segel zu füllen. –

Die ganze weite Wasserstrecke, von Nord-Foreland bis zur fernen französischen Küste, lag in tiefem Frieden. Die Wasser des Kanals schienen zu schlafen. Auf der Steuerbordseite zeigte sich landeinwärts unsern Blicken eine Häusergruppe der Stadt Deal; dahinter, nicht fern davon, auf einem Hügel eine Windmühle, deren Flügel sich müde drehten. Im Vordergrunde lag die Bucht; an ihren Ufern zog sich ein Schaumstreifen entlang; hinter diesem, hoch hinauf auf den weißen Strand gezogen, lagen Boote. Die Abendsonne, welche langsam hinter dem mächtigen Felsenvorsprung von Süd-Foreland versank, erleuchtete mit ihren letzten Strahlen die graue Klippe bis hinab zum Wasser. Ihr rötlicher Schein färbte die weißen Dünen von Sandwich und die umliegende Ebene, und ließ das weiter entfernt liegende Land scharf gegen den blauen Himmel hervortreten.

In den Downs, auf welche wir zusteuerten, lagen, wie wir sahen, etwa dreißig bis vierzig Schiffe vor Anker, um auf günstigeren Wind zu warten. Einige andere, wie auch wir, hatten jedes Stück Leinwand gesetzt und glitten langsam über die stille Fläche, um noch, ehe der Wind ganz aufhörte und die Flut einträte, sicheren Ankergrund zu erreichen. Hier und dort sah man kleine Boote von den vor Anker liegenden Schiffen ans Land rudern, und gedämpft drang manchmal der Gesang der Matrosen über das Wasser, die ein großes Segel aufgeiten, oder die Ankerkette überholten.

Im Osten lag der Himmel in tief dunklem Blatt auf der Wasserlinie und sah wie getüpfelt aus, von den im Sonnenglanz sich gegen ihn abhebenden weißen Segeln der uns folgenden Schiffe.

Ich befand mich in der richtigen Stimmung, dieses schöne, friedliche Bild zu genießen. Im Begriffe, England für lange Zeit zu verlassen, erfüllte mich der Anblick der stillen, kleinen Stadt Deal und der hohen, altersgrauen Klippen von Süd-Foreland mit Wehmut. Gedankenvoll sah ich den weißen Strand sich mehr und mehr zurückziehn. Es war ein stiller Abschied vom Heimatland, ohne Worte und ohne Tränen.

»Der Lotse will vor Anker gehn; ich hörte, wie er eben zum Kapitän sagte, daß eine Brise aus Südwest zu erwarten stände.«

Mit diesen Worten näherte sich mir ein mittelgroßer, vierschrötig gebauter Mann; er hatte einen mächtigen roten Kinnbart, und seine Haut, welche schon dreißig Jahre hindurch der Sonne, dem Wind und Wetter aller Zonen ausgesetzt gewesen war, sah wie gelbes Leder aus. – Es war unser erster Maat, Ephraim Duckling. Als ich ihm zum erstenmal in den Westindia-Docks begegnete, empfand ich ein gewisses Mißtrauen gegen seine Person, denn er hatte durchaus nichts Einnehmendes. Seine Glotzaugen waren blau, – auf dem linken schielte er. Dies gab ihm ein eigenartiges schnurriges Aussehen, welches es ihm leicht machte, den Witzbold zu spielen, wenn er einmal dazu gestimmt war. – Sein Haar war so dicht, borstig und rot wie eine Türmatte; – seine Beine waren kurz, sein Oberkörper im Verhältnis zu diesen zu lang und sehr breit. Er mußte ungewöhnlich starke Muskeln haben, denn seine Arme füllten die Rockärmel ganz aus, und diese drohten zu platzen, wenn er irgendwo hantierte. – Bis jetzt war er höflich gegen mich gewesen, wenn auch in rauher Art, über sein Verhalten zur Mannschaft konnte ich noch nicht urteilen, denn er hatte bisher wenig Gelegenheit gehabt, ihr Befehle zu erteilen. –

Auf seine an mich gerichtete Anrede erwiderte ich: »Der Lotse wird wohl recht haben; – es scheint mir sehr fraglich, ob wir die Downs erreichen dürften, ehe Windstille eintritt.«

»Na, über dem Lande ist aber noch etwas Wind, sonst würde sich doch die Dealer Windmühle nicht drehen.« –

Wir blickten beide nach den Segeln, und dann über die Schiffsseite. Das klare grüne Wasser floß langsam nach hinten, eine große Qualle trieb langsam auf einem Büschel Seegras vorüber, und um den Bug des Schiffes kräuselte sich eine dünne Welle. Jedenfalls war hierdurch erwiesen, daß wir uns noch bewegten.

Ein paar Matrosen standen auf dem Vorderdeck und sahen nach dem Ufer; andere waren in der Nähe der Küche versammelt und sprachen mit dem Koch, einem dicken, blassen Mann, welcher die Ärmel seines Flanellhemdes bis über die Ellbogen aufgestreift hatte. Die Schweine im Langboot grunzten, die Hühner, deren Käfige unter diesem Boot angebracht waren, gackerten, – sonst war alles still; selbst im Takelwerk rührte sich nichts, außer daß hin und wieder die Leinwand der Segel träge gegen die Stengen schlug.

Der Kapitän stand auf der Wetterseite des Hüttendecks im Gespräch mit dem Lotsen. Er war ein großer, schön gebauter Mann mit eisengrauem Haar, feiner Habichtsnase, einem schmalen, für gewöhnlich zusammengekniffenen Mund, kleinen dunklen Augen, welche gebieterisch unter einer wahren Hecke von Augenbrauen hervorblickten, und einem weißen Backenbart. In seinem großen Hut, dem dunklen Jacketanzug aus Tuch und den breitkappigen Stiefeln nahm er sich sehr stattlich aus und glich nicht im entferntesten dem gewöhnlichen Typus eines Kauffahrtei-Kapitäns. Glücklicherweise muß ein guter Seefahrer weder krumme Beine, eine kupferige Nase und Grogaugen haben, noch braucht er altes zähes Salzfleisch einem feinen Frikassee und brennenden Rum einem Glas guten Wein vorzuziehen. Die äußere Erscheinung eines Menschen ist aber eben niemals maßgebend für Wesen und Charakter, und so hatte ich auch schon, noch ehe ich auf den ›Grosvenor‹ kam, gehört, daß Kapitän Coxon wohl ein geschickter Seemann, aber ein entsetzlicher Grobian wäre. Das hatte mich jedoch nicht abgeschreckt, denn ich dachte meinen Dienst gut genug zu verstehen, um den Zorn meines Vorgesetzten nicht zu erregen.

Der Lotse, ein kleiner, finster blickender Mann mit struppigem Backenbart, trug einen dicken braunen Shawl um den Hals, obwohl wir uns im August befanden. Während er mit dem Kapitän sprach, sagte Duckling zu mir:

»Hören Sie, die Kerle da vorn wollen mir nicht gefallen, sie sehen mir ganz so aus, als ob sie uns Unannehmlichkeiten machen könnten; haben Sie wohl bemerkt, wie verdrossen sie an die Arbeit gingen, als wir bei Nord-Foreland Segel setzten?«

»Ja, das ist mir allerdings ausgefallen, und ich will Ihnen auch den Grund davon sagen. Als ich nach dem Mittagessen nach vorn ging, hielt mich der Koch an und teilte mir mit, daß die Leute über die Lebensmittel murrten; er sagte, sie hätten sich bei ihm beschwert, daß das ihnen verabreichte Fleisch stänke und das Brot schimmelig und voller Würmer wäre.«

»Also das ist es,« lachte Duckling grimmig auf; »na warten Sie nur, bis ich die Bande auf hoher See habe, da will ich ihr zeigen, wie ich ein böses Maul stopfe. Aber ich weiß schon, unter der Gesellschaft steckt ein Portugiese, und nie bleibt eine Schiffsmannschaft gut, wenn einer von diesen Teufeln an Bord ist. Immer wird so ein Kerl etwas herausfinden, was er anders wünscht, und so lange mäkeln und hetzen, bis die ganze Mannschaft Feuer fängt.«

Mürrisch trat er nach diesen Worten an das Geländer des Hüttendecks, stemmte seine Arme breit auf dasselbe und starrte verbissen auf die Leute, welche an der Küche standen. Einigen wurde dieses Anstieren unbehaglich und sie schlichen auf die Seite, die andern aber ließen sich nicht stören, sie verschränkten die Arme und erwiderten seine Blicke, wobei sie sich weiter unterhielten und mitunter sogar höhnisch lachten. Das war dem Maat zu viel.

»Ihr faulen Hunde,« brüllte er mit Donnerstimme, auf sie zuschreitend, »habt ihr nichts zu tun? – Vorwärts, an die Arbeit. – Drei Mann schießen das Tauwerk auf, was da herumliegt, – zwei Mann hierher, mit Scheuerbürsten, das Langboot reinigen, – die übrigen die Falls blac machen zum Einziehen der Segel! – Ich will euch lehren, faul herumzulungern, ihr Lümmel.« Dieses Geschimpfe unterstützte er mit so drohenden Geberden, daß selbst die am widerspenstigsten aussehenden Leute nicht zu mucksen wagten und eilig an die Arbeit gingen.

Ich blickte nach dem Kapitän, um zu sehen, wie er sich zu dieser Art seines ersten Maats verhalten würde, aber weder er, noch der Lotse, schenkten der Sache die allergeringste Aufmerksamkeit. Sie fuhren ruhig in ihrem Gespräch fort; dann wandte sich der Lotse mit einer Weisung an Duckling, und dieser schrie: »Alle Mann heran, das Großsegel aufgeien und beschlagen!«

Die Leute ließen ihre eben aufgenommene Arbeit liegen und kamen mürrisch nach dem Hauptdeck. Duckling sah sie an, wie ein Kettenhund die Katze.

Ich bemerkte einige sehr gewandt aussehende Burschen unter ihnen, aber alle, ohne Ausnahme, trugen ein verdrossenes, unseemännisches Wesen zur Schau, und als sie an den Falls zogen und das Segel in die Höhe ging, hörte ich, wie sie in den dabei angestimmten Gesang allerlei rohe Schimpfworte mischten, welche sich auf das Schiff und seine Offiziere bezogen.

Auch die Leute oben im Takelwerk waren langsam und unlustig bei ihrer Arbeit. Murrend lagen sie auf der Raa; sie hatten sich wohl vorgenommen, alles nachlässig und schlecht zu machen, denn sie beschlugen die Leinwand ganz unregelmäßig und ließen einen Bauch im Segel hängen, der bei der ersten Mütze voll Wind herausgeblasen werden mußte. Duckling sah ihnen so lange ruhig zu, bis sie mit dem Festmachen des Segels aufhörten, die Raa verließen und in die Wanten stiegen; da auf einmal brüllte er: »Das Großsegel beschlagen!«

Die Leute blieben stehn, sahen nach der Raa, dann auf Duckling, und einer rief in gereiztem Tone: »Es ist ja beschlagen!«

Kaum war dies Wort heraus, als der Maat auch schon ins Takelwerk sprang und mit erstaunlicher Gewandtheit in demselben emporkletterte. Ich dachte, er wolle den Mann züchtigen, der geantwortet hatte, und dieser glaubte es offenbar auch selbst, denn er war ganz blaß geworden, drückte sich an die Seite der Webeleine, aus der er stand und ballte seine rechte Faust. Duckling stieg aber, ohne ihn zu beachten, an ihm vorüber, und zwar mit solchen wuchtigen Schritten und so breitbeinig, daß die auf der Wante befindlichen Leute von der Erschütterung förmlich tanzten. Wie eine Katze schwang er sich dann auf das Fußleik und warf in einem Nu die Raanocken Beschlagseisings los. Ich glaube nicht, daß ein halbes Dutzend Leute das Segel in kürzerer Zeit hätten losmachen können, als er dazu brauchte. Die schwere Leinwand sauste nieder und mit ihr fast gleichzeitig, an einem Tau herabgleitend, auch der Maat; ohne Atem zu schöpfen, stürzte er auf seinen Posten auf dem Hüttendeck und schrie nunmehr wieder mit gellender Stimme: »Großsegel aufgeien!«

Die Leute verrieten die Neigung zum Ungehorsam und machten Miene, nach vorn zu schlendern, – das in drohendem Tone sehr energisch wiederholte Kommando des Maats brachte sie aber zur Besinnung; sie kehrten um, gingen zwar langsam und murrend wie zuvor an die Arbeit, führten dieselbe nunmehr aber so aus, wie es sich gehörte.

»Das ist so der Anfang« sagte er zu mir mit einem Blick, als erwarte er, daß ich ihm Bewunderung zollen würde, – »die Kanaille soll mich noch kennen lernen.« Darauf sah er nach dem Kapitän hin, der ihm lächelnd zunickte.

Ich wurde jetzt nach vorn geschickt, um zu sehen, ob alles zum Ankerwerfen klar sei. Ein schwacher, unmerklicher Strom trieb uns noch langsam vorwärts, und nach Verlauf einer halben Stunde erreichten wir endlich den Punkt, wo der Lotse vor Anker zu gehen beabsichtigte. Die Sonne war inzwischen hinter den hohen Vorbergen von Deal versunken und warf nur noch einen glutroten Schein auf die ferner liegende See.

Jetzt kam der Befehl, die Oberbram- und Bramsegel zu beschlagen. Die Falls wurden losgeworfen, und bald darauf fuhren die Raaen mit den Segeln polternd an den Masten herunter. Dann wurden die Marssegel aufgegeit und ebenfalls festgemacht.

»Alles fertig da vorn?« rief nunmehr der Lotse.

»Alles fertig!« –

»Fallen Anker!« folgte das Kommando.

»Haltet die Kette klar!«

Einen Augenblick Pause, – dann ein Plätschern. – Der Anker fiel, und die Ankerkette stürzte klirrend und rasselnd durch das Klüsenloch.

Nachdem der Anker gefaßt hatte, verblieb ich noch auf dem Vorderdeck, um dort das in Ordnung bringen der Segel zu überwachen. Die Leute arbeiteten ganz flink, und ich hörte einen sagen: »Das nenn' ich wahrhaftig Glück, daß der Kapitän vor Anker gegangen ist, ich hätte ihn nicht für einen solchen Narren gehalten.«

Ich verstand nicht, was der Kerl eigentlich damit sagen wollte, indes hielt ich es für das klügste, keine Notiz davon zu nehmen, denn ich war der Ansicht, daß es am besten für uns alle sein würde, wenn Duckling und die Leute so wenig wie möglich aneinander gerieten.

Es war ½8, als alle Arbeit geschehen und das Deck wieder klar war. Die Mannschaft genoß ihren Tee, und ich war im Begriff nach hinten zu gehen, als der Koch aus der Küche trat und sagte:

»Sir, würden Sie die Güte haben, dies zu kosten?« Dabei reichte er mir ein Stück Schiffszwieback. Ich roch daran und fand es schimmelig; – trotzdem steckte ich ein Stück in den Mund, spuckte es aber sofort wieder aus.

»Das ist ja niederträchtiges Zeug,« sagte ich.

»Ja, es ist für Hunde zu schlecht,« schimpfte er, und soviel ich gesehen habe, sind alle Lebensmittel ebenso. – Der Zucker ist voller Schmutz und der Syrup mit Gries vermengt. – 22 Jahre fahre ich schon, aber solchen Tee wie hier auf diesem Schiff habe ich noch nirgends zu sehen bekommen, – nur Staub und Gemüll ist es, – das Wasser färbt sich kaum gelb davon.«

»Die Leute brauchen sich ja nur beim Kapitän zu beschweren,« antwortete ich, »der kann an die Reeder berichten und die Schiffsvorräte für untauglich erklären lassen.«

»Ich schätze, die hat man schon längst für verdorben erklärt, ehe sie noch hier an Bord kamen,« erwiderte der Koch. – »Meine wöchentliche Rumration will ich verwetten, wenn sie nicht auf einer Auktion von unbrauchbar gewordenen Lebensmitteln billig gekauft worden sind.«

»Geben Sie mir einen Zwieback, ich will ihn dem Kapitän zeigen,« sagte ich.

Er brachte mir einen – ich steckte ihn in die Tasche und ging nach hinten.


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