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Der Dichter, von dessen Angesicht ich hier zu berichten habe, ist nicht weniger als achtzig Jahre alt. Er lebt in Linz. Der Linzer Landesschulinspektor Dr. Franz Berger hat die ausgewählten Werke des Dichters herausgegeben; in dem Linzer Verlag der ausdrücklich so benannten Hofbuchdruckerei Josef Feichtingers Erben. Dieses Buch hat der alte Dichter dem Herrn Bernhard Seuffert in dankbarer Verehrung zugeeignet. Und der ist ein Professor und lebt in Graz.
Der Dichter heißt Edward Samhaber. Im Laufe seines langen Lebens hat er reichlich Gelegenheit gefunden, unter dem Titel »Frühlingslieder« die so oft besungene Jahreszeit mit echtem Gefühl zu behandeln, unter dem Titel »Herbstlied« den Herbst, unter dem Titel »Abschied« den Abschied und unter dem Titel »Klagelied des Armen« die Armut, von der man nicht oft genug sprechen kann. Es ist ein schlichter Dichter; auch im Dialekt, in dem er zu Hause ist, fühlt er sich zu Hause, eines seiner Gedichte heißt naturgemäß: »'s Hoamatland«, und sogar der ältesten Vergangenheit ist er nicht fremd: er hat unter anderm den »Heliand« nachgedichtet, und seit den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erschienen seine Werke.
Das sind Verdienste, gewiß. Aber der Schreiber dieser Zeilen ist ein unseliges Kind dieses unseligen Jahrhunderts, und es ist ein Fluch, an so manchen Verdiensten achtlos vorbeizugehen und seinen eigenen zu leben. Es gibt nur wenige Dinge in der Welt, die imstande sind, ihn auf seinem unfreundlichen Weg aufzuhalten. Zu diesen Dingen gehören ganz bestimmte Porträts alter Männer, auch wenn es nicht immer Dichter sind.
Der Herausgeber der »Ausgewählten Dichtungen« Samhabers hat nun an den Anfang des Buches die schönste Dichtung gesetzt, an der allerdings der liebe Gott selbst mit den bedeutenden Mitteln seiner schon so oft erwähnten Genialität und im Verein mit Herrn Samhaber gearbeitet haben dürfte: diese Dichtung ist das Porträt des achtzigjährigen Edward Samhaber. Unter dem Bild stehen von des Dichters Hand in einer sympathischen und sorgfältigen, nicht großen, aber auch nicht kleinen, nicht gewöhnlichen, aber auch nicht gesuchten, runden und manchmal unterbrochenen lateinischen Schrift die edlen Worte: »Dolor pater artis«.
Ja, verehrter achtzigjähriger Dichter! Der Schmerz ist der Vater der Kunst. Diese Worte sind nicht Samhabers Worte – aber es gibt Zitate, die, wenn sie von bestimmten Menschen angewendet werden, von diesen Menschen auch neu erfunden sind. Es ist, als würden die lauteren Worte noch einmal so schön geläutert. Von des einen Lippen kommen sie entweiht, und von des andern Lippen tönen sie mit edlem, neuem Klang. Samhaber darf sie sprechen.
Edward Samhaber trägt seinen Hut gerade auf dem Kopf. Der Hut bedeckt die Stirn des Dichters fast bis zu den Augenbrauen und beschattet das Angesicht dennoch nicht. Im Gegenteil: es ist, als würfe der Hutrand gar keinen Schatten. Es ist, als käme aus dem Angesicht eine solche eigene, schöne Helligkeit, daß sie jeden Schatten eines Schattens vernichtet. Unter der hochgezogenen und dennoch rund gewölbten Braue sieht ein helles Auge, von vielen freundlichen Falten umgeben und gleichsam liebend umworben, in jene Welt, in welcher der Schmerz der Vater der Kunst – und nicht nur der Kunst – ist. Dieser Blick ist geschärft an Erfahrungen, die der Verstand nicht unmittelbar angewendet hat; an Erfahrungen, aus denen der Dichter die billigen Folgen zu ziehen verschmäht hat; an Erfahrungen, die ein eifriges Herz aufgeschichtet hat, zu gar keinem Zweck, – – einfach der Kostbarkeit wegen, die sie bedeuten, wenn man sie nicht anwendet.
Die Nase des Dichters ist die große, gekrümmte Nase eines trotz alledem klugen Mannes. Sie wölbt sich gleich an ihrem Anfang dem Leben entgegen, das es zu riechen gilt, nicht nur zu schauen. Sie endet mit starken, gutgebauten Flügeln, von denen man weiß, daß sie nicht nervös und sensibel vibrieren, aber zuverlässig und solide den Duft der Blumen, den Atem des Lebens und den Hauch des Todes aufnehmen. Oberlippe, Kinn und Wangen sind von einem weißen, aber nicht langen, die Form des Gesichtes nicht verhüllenden, sondern nur bekleidenden Bart bedeckt, der die Schläfen mit dem Hals verbindet, ein energisches, skeptisches und gleichsam selbstgeschaffenes Kinn erraten läßt und eine vollkommene, klare, silberne Einheit der Persönlichkeit zustande bringt. Den Kopf hält der Dichter ein wenig vorgestreckt, aber nicht, wie um besser zu sehen – – denn er kennt schon so viel; sondern um den Dingen (der Dinge wegen und aus Courtoisie ihnen gegenüber) näher zu sein und ungefähr so, wie man sich Frauen entgegenneigt, wenn sie uns mitten in einem Gewirr etwas mit leisen Stimmen erzählen.
Fügen wir noch hinzu, daß der Dichter seine beiden kräftigen Hände mit den starken, langen Fingern um den Griff seines Stockes hält, als säße er auf einer Bank in einem Garten; daß er, soviel an der Photographie zu erkennen ist, einen Samtrock trägt, mit sauber eingenähten Borten, wie es einem Dichter geziemt; daß der Glanz einer festlichen Zufriedenheit aus seinem Bilde nicht erstrahlt, sondern strömt:
So glauben wir den Dichter vollkommen gezeichnet zu haben.
Der Adel des Alters liegt um seine Vitalität, wie Poesie gebreitet ist um die schöne Sinnlichkeit eines vollendeten Naturwerks. Der Dichter erinnert an einen Wald und an ein Monument gleichzeitig. Seine Züge sind endgültig gemeißelt, und es lebt in ihnen. Sie verändern sich und bleiben. Er erinnert an ein Märchen und zugleich an einen, der es erzählt. Er hat den Frühling besungen, den Herbst und die Heimat: ob meisterhaft oder gewöhnlich, ich wage nicht, es zu beurteilen, nachdem ich seine Photographie gesehen habe. Er ist ein Dichter ohne Zweifel. Wer von den jungen Autoren dürfte es wagen, sein Porträt seinen ausgewählten Werken voranzustellen? Neben den Boxern in den illustrierten Zeitungen sehen die bekannten Schriftsteller schon miserabel genug aus: noch nicht Muskel und nicht mehr Geist.
Dieser Achtzigjährige aber darf sich seinen Werken voranstellen ...