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Es war noch keiner da.
Die Alte machte Licht und räumte sorgfältig alle Spuren des Aufenthalts von Jaschek in der Schlafkammer weg. Sie fühlte sich jetzt schon so weit beruhigt, dass sie selbst bei ihrer Arbeit nach alter Gewohnheit die Gebete vor sich hinzumurmeln begann.
Die Beisassin Tekla war auf ihrer Seite, sie rief nach ihr über den Hausflur, die Tekla kam aber nicht.
»Sie wird wohl eingeschlafen sein,« dachte die Winciorek und ging nachsehen.
Tekla sass da, unbeweglich ins Feuer starrend, mir ihrem Kindlein im Arm.
»Was fehlt Euch?«
»Es atmet schon kaum ... es wird wohl sterben müssen ...« murmelte sie.
»Jesus von Nazareth!«
Das Kind lag tatsächlich im Sterben; blau, und starr ruhte es jetzt ganz nackt auf den Knien der Frau, röchelte mühsam und schlug mit den Händchen durch die Luft, wie ein ertrinkender Vogel; das hellodernde Herdfeuer warf blutroten Schein auf seinen aufgedunsenen Bauch und die mageren Beinchen, die schlaff herabbingen.
»Dem kommt nur noch ein Gebet zu!« flüsterte die Winciorek voll Mitleid.
»Oh, mein liebes Kindchen, mein Kleines!« schluchzte die Tekla schwer auf und umfasste das Kind mit ihren Armen, als wollte sie es gegen den Tod schützen.
Die Winciorek durchlief es eisig kalt bei diesem Anblick, denn sie musste an ihren Jaschek denken, der dort in seiner Grube sich vielleicht jetzt ähnlich fühlte.
Sie durfte nicht zu ihm hinlaufen, denn jeden Augenblick konnten die anderen da sein, darum wartete sie mit einer inneren Ungeduld, die sie von Augenblick zu Augenblick tiefer erregte.
Immer wieder rannte sie vors Haus und sah auf die Strasse.
Die Nacht war eigentümlich düster und schwül und ganz sternenlos, ein feuchter Windhauch kam von den Wiesen und fächelte ihr vor fieberhafter Erwartung glühendes Gesicht ... Die nagende Sorge trieb sie unaufhaltsam von einer Stubenecke zur anderen Schliesslich setzte sie sich auf die Schwelle vor der Haustür und verfiel in einen Halbschlaf voll schreckhafter Wachsamkeit, in eine Totenruhe voll äusserster Erschöpfung.
Das Dorf lag still da, nur das Heulen der Tekla klang ununterbrochen durch die Nacht und ab und zu verdichtete sich die weinerliche, eintönige Stimme zu einer Klage.
»Willst mich hier allein lassen, willst zum lieben Jesulein, in die himmlischen Stuben, zu lauter Lust und Freude von mir gehen ... O Jesus! O Jesus! O Jesus!«
Von der Schenke irrten hin und wieder die gedämpften Klänge der Tanzmusik und der verworrene Lärm des Getrampels und Juchzens Tanzender zu ihr herüber und ab und zu, irgendwo von den fernen Weideplätzen, wo man für die Nacht die Pferde weiden liess, blitzten die Lagerfeuer auf und liess sich ein trauriges, klangloses Singen vernehmen.
Die Winciorek blieb bis zum Tagesanbruch auf der Türschwelle sitzen unter dem unaufhörlichen, beängstigenden Gefühl, dass die anderen gleich kommen würden.
Aber sie kamen nicht.
Die Tanzmusik in der Schenke verstummte, das Singen schwieg, die Nacht lag wie im dumpfen Schlaf befangen da, ganz allmählich hatten die Hähne begonnen immer zahlreicher zu krähen und die Mitternacht anzuzeigen, zugleich aber auch einen Witterungswechsel, denn vor Morgengrauen legte sich der Wind und ein warmer, feiner Regen setzte ein.
Sie blieb immer noch auf der Türschwelle wie auf der Lauer sitzen; vor Nachtkühle und Angst starr, sass sie da und vermochte nicht einmal die Tränen zu trocknen, die ihr immer wieder wie feine Perlenschnüre aus den Augen quollen und auf dem vor Kälte blauen Gesicht erstarrten. Bei Morgengrauen hatte sie nur noch so viel Kraft, dass sie vor dem Hause hinknien konnte, und während sie in das blasse Frührot starrte, das sich mühsam seinen Weg durch die dichten, schmutzigen Wolken zu bahnen versuchte, begann sie inbrünstig zu beten.
Tekla kam schreiend aus ihrer Stube gelaufen.
»Tot ist es! Tot! Helft, Leute! Um Gottes willen, Leute, helft!« In ihrem Schmerz und Entsetzen hatte sie das nackte Kind an sich gerissen und wollte es ins Dorf tragen, um ihm vielleicht noch Hilfe zu bringen.
Kaum gelang es der Winciorek, sie zurückzuhalten, dann machte sie sich daran, das tote Kind herzurichten, während Tekla, vor dem Herd kauernd, laut und krampfhaft schluchzte.
Die Winciorek war dermassen in ihre Arbeit vertieft, dass sie es gar nicht merkte, wie bei hellem Morgen die Bauern ihr Haus umstellt hatten und Gendarmen mit dem Schulzen und Schultheissen an der Spitze in die Stube drangen.
»Hält sich bei Euch nicht der Jaschek Winciorek verborgen?«
»Ihr könnt ihn suchen,« entgegnete sie kalt.
»Führt uns! Wo ist er?«
»Unter die Schürze hab' ich ihn versteckt, weil er ein gar so kleines Kindlein ist!« schrie sie ihnen zurück mit feindseligem Spott und begann mit aller Seelenruhe die Kindesleiche in einem Waschtrog zu waschen. Aber mit einemmal sprang Tekla auf und stürzte sich mit einem Holzscheit in der Hand den Bauern entgegen.
»Was wollt ihr hier! tolle Hunde! Gebt mir meinen Mann zurück, mein Kind sollt ihr mir zurückgeben! Dass ihr unter dem Zaun verreckt! Dass ihr euch an dem ersten Essen vergiftet, für all mein Unglück und meine Qual.«
Sie überwältigten sie rasch, denn sie machte Anstalten, um sich zu schlagen, und gingen daran, Jaschek im Hause und im ganzen Gehöft zu suchen.
»Ihr könnt den Wind auf dem Feld suchen! sucht zu!« rief die Alte ihnen nach.
Sie fanden selbstverständlich gar nichts, und schon im Weggehen schärften sie der Alten eindringlich ein, den Schultheissen unverzüglich zu benachrichtigen, sobald sich Jaschek bei ihr zeigen sollte.
»Jawohl! Jawohl! Ich renn' gleich zum Schultheissen los und geb' ihn euch gleich heraus!« rief sie ihnen noch nach und begleitete sie mit ihren Blicken bis zur Schenke, wohin sie sich allzusammen verzogen hatten.
Aber trotzdem wagte sie sich nicht nach den Kartoffelgruben hinaus, denn sie hatte Angst, dass ihr vielleicht einer nachspionieren könnte; den ganzen Tag hielt sie sich zurück, obgleich sich der Himmel stark bewölkt und ein trübes Grau die Welt überflutet hatte.
Erst nachdem es ganz dunkel geworden war, nahm sie einen Topf voll Essen mit und rannte geduckt weg.
Sie beugte sich über die Öffnung der Grube und rief unruhig:
»Jaschek! du, Jaschek!«
Er gab keine Antwort, sie liess sich ins Innere der Grube gleiten, fand ihn mit ihren tastenden Händen und begann ihn voll banger Angst zu rütteln.
»Bist du es, Mutter?«
Er war aus tiefem Schlaf erwacht.
»Heb dich ein bisschen hoch.«
»Sind sie dagewesen? ...«
»Sie sind dagewesen, aber erst heute früh. Ich kam nicht, weil ich Angst gehabt habe, dass bei Tag einer leichter etwas merken könnte ...«
»Zu Mittag ist hier schon die Nastka dagewesen.«
»Der Herr Jesus soll ihr Gesundheit geben!«
Sie schob ihm den Topf mit dem Essen zu, steckte ihm den Löffel in die Hand und liess ihn essen.
In der Grube war es dunkel wie in einem Grab und die faulichte, muffige Luft legte sich schwer auf die Brust. Der Regen rieselte eintönig nieder, drang ab und zu durch die ungeschützte Öffnung ins Innere und Wasser troff unaufhörlich an den Wänden herab.
»Wie fühlst du dich?«
»Besser. Ich hab' so sehr auf Euch gewartet, dass ich schon gedacht hab': du gehst hin oder tust sonst was!«
»Dass du dich nicht einen Schritt hinauswagst!« rief sie entsetzt.
»Versteht sich, dass ich doch hier nicht immerzu liegen werde.«
»Werd' erst einmal gesund ...«
»Dann fahren wir!« murmelte er leise wie im Selbstgespräch.
»Wir fahren ganz gewiss. Ich habe mir schon alles überlegt.«
Sie suchte tastend nach seinem Kopf, drückte ihn an ihre Brust, und über sein Gesicht wischend und streichelnd, flüsterte sie ihm zu:
»Du brauchst keine Angst zu haben, es wird uns dort gut gehen ...«
»Das ist doch auf der anderen Seite des Meeres irgendwo, wie?«
»Ja, auf der anderen Seite des Meeres soll es sein, mein Sohn, auf der anderen Seite des Meeres,« wiederholte sie langsam.
»Ackerland geben sie dort umsonst ...«
»Umsonst sollen sie's tun und geben auch noch Wald und Inventar dazu ...«
»Und wenn sie selbst nichts geben sollten, dann kaufen wir es uns ...«
»Versteht sich, aber ist doch immer eine bessere Sache, wenn man das bekommt, was sie geben, und dafür, was wir haben, mein' ich, könnte man sich noch mehr hinzukaufen ...«
Die Alte hatte plötzlich der Schlaf übermannt, sie verstummte für eine Weile.
Der Wald rauschte irgendwo aus der Nähe, irgend ein Vogelschrei liess sich vernehmen und der Regen rieselte eintönig und ununterbrochen nieder, als müsste die graue, trübe Nacht den gewesenen Tag beweinen.
»Schade nur, dass wir von dem, was die Gutsherrin der Nastka versprochen hat, wenn sie sich verheiraten würde, nichts mitnehmen können, denn trauen können wir uns hier doch nicht lassen und dann das Vieh mit übers Meer nehmen.«
Er sprach langsam, aber die Alte hörte nichts davon, die Müdigkeit hatte sie vollständig überwältigt und die Stille eingelullt; sie schlief mit dem Rücken gegen die Wand der Kartoffelgrube gelehnt. Jaschek bedeckte sie mit seinem Schafspelz und schien eine Weile über ihren Schlaf wachen zu wollen, aber auch ihn hatte der Schlummer bald wieder in seiner Gewalt. Die Nacht floss unaufhaltsam vorüber, der Regen liess nach, anstatt seiner war aber windiges Wetter aufgekommen, es tobte nur so über die Felder und pfiff in die Grubenöffnung hinein. Dann war aus der Finsternis die Morgendämmerung emporgetaucht, erhellte mit ihren verweinten, vom Morgenrot rostroten Augen das Dunkel und schaute in die Grube hinein, zu den beiden nebeneinander schlafenden Menschen.
Als erster erwachte Jaschek und weckte sofort die Mutter.
»Geht schon, sonst sieht Euch noch einer. Aber die Nastka hat mir erzählt, dass einmal der Gutsherr gesagt habe, er würde' unsere Wiese kaufen, weil sie in seine Felder hineinschneidet. Vielleicht geht Ihr nach dem Herrenhof, wie? Der bezahlt es Euch besser, als die Bauern.«
»Das ist wahr, und mir ist das nicht einmal in den Kopf gekommen. Vor zwei Jahren hat der Herr zu mir selbst den Verwalter hergeschickt ...«
»Man muss alles rasch machen,« entschied er mit Nachdruck.
»Wenn nur erst der Herschlik kommt, er bringt doch die Leute über die Grenze ...«
»Das ist so, ich »habe es selbst gesehen. Wenn er jetzt aber keinen zum Hinüberschaffen hat? ...«
»In der Schenke haben die Leute davon gesprochen, dass die aus Wola in zwei Wochen auswandern sollen ...«
»In zwei Wochen! Da werd' ich schon wieder ganz gesund sein!« rief er zuversichtlich.
»Ich komme abends zu dir herüber.«
»Geht gleich zum Gutsherrn und auch zum Pfarrer wegen der Arznei und bringt ja viel mit, damit ich schneller gesund werde,« redete er entschlossen und fast befehlend weiter, so dass die Alte ein inneres Beben ankam vor Freude, dass ihr lieber Bursche schon so viel Kraft in sich spürte.