W. St. Reymont
Polnische Bauernnovellen
W. St. Reymont

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VII

Der Lenz war gekommen.

Den ganzen April hindurch hatte es unaufhörlich geregnet, warme, reichliche Regengüsse waren niedergegangen, aber an einem schönen Maiensonntag kam die Sonne schon am frühen Morgen heraus und die ganze Welt erwachte im jungen Grün und bunter Pracht zu hellem Vogelsingen und lenzlicher Freude.

Noch gleissten die schwarzen Ackerbeete feucht, noch schimmerten in den Ackerfurchen, zwischen jungen Getreidefeldern und frischem Saatengrün, silberne Streifen Wassers, noch waren die Strassen voll Schmutz, noch wehte es ab und zu kühl von den Wäldern herüber und der Rest der braungrauen Wolken ballte sich am Himmelsrand – aber schon sang über den Feldern und Wäldern, in den Herzen der Menschen und Tiere, im Rauschen der Winde, im Raunen der Quellen und im Flüstern des jungen Laubs der Frühling sein frohes, siegreiches Preislied!

Przylenka ähnelte jetzt einem riesigen Blumenbusch.

Die mit dem Duft der Obstbaumblüten geschwängerte Luft erregte und berauschte durch ihre linden Lüfte.

Die Schwalben jagten kreuz und quer durch das helle, blasse Frühlingsblau, schossen wie Kugeln zwischen den blütenüberschütteten Bäumen hervor, sausten durch leere Scheunenräume, guckten in die Fenster der Wohnstätten und sahen sich nach guten Plätzen für ihre Nester um.

Die Gräser prangten wie ein Teppich aus Samt, die Getreidefelder kräuselten sich schon im Winde wie flutende Wasserwogen, liessen die Halme hervorschiessen und wuchsen empor, der Sonne entgegen. Die Störche klapperten froh auf ihren noch leeren Nestern und stelzten eifrig auf den niedriger gelegenen Wiesen umher, zwischen aufgeblühten Butterblumen, die wie Edelsteine in grellen Farben aus dem Gräsermeer aufleuchteten. An den Gräben entlang, an den Feldwegen, auf Feldrainen und Brachackern wimmelte es von Gänseblumen und frühen Malven, und die Welt ringsum war voll Vogelgeflatter. Die Freude der Wiedergeburt, der neu erwachenden Glückseligkeit, des neuen Blühens entströmte dem Boden, den Bäumen, dem Sonnenlicht, der Brust der Menschen.

In Przylenka hatten die Kirschbäume schon ausgeblüht, es prangten dafür aber alle Gärten in der vollen Pracht einer frühen Apfelblüte. Die niedrigen Dorfhäuser verschwanden fast wie unter rosigen Blütenangebinden und Blütenwolken, über denen die Bienenschwärme unaufhörlich summten.

Das Dorf war von einer festtäglichen Ruhe erfüllt.

Vor den Häusern, zwischen den Heckenwegen, in den Höfen und an den Brunnentrögen wusch sich das Bauernvolk mit würdigem Ernst und eingehender Sorgfalt, der warme Lenzwind trocknete sie ab, die tief herabhängenden blütenüberstreuten rosigen Reiser streiften sie leise, wie mit weichen Schleiertüchern. Aus den Behausungen, aus Kammern und Ställen klang das frohe Summen der Menschenstimmen.

Manchmal flog ein Lied zum Fensterlein hinaus, wie ein flüchtiger Vogel, und ertrank in den Apfelblütenfluten; manchmal jauchzte auch ein Ruf auf und schwirrte zu den Weideplätzen hinüber, die voll Kinderlärm und sommerlichem Viehgebrüll waren. Überall herrschte eitel Freude und Lust.

Und als durch die stille Morgenluft die silberne Stimme der Betglocke von dem Kirchenhügel her ihr an- und abschwellendes Rufen vernehmen liess, sah man sie truppweise aus den Häusern heraustreten und in langen Zügen zur Sonntagsmesse ziehen; hier gingen ältere Hofbauern in dunkelblauen, rotumgürteten, langschössigen Kapottröcken, dort Bäuerinnen ganz im grellen Rot ihrer Beiderwandröcke und -schürzen leuchtend, dann wiederum Burschen in gestreiften Jacken, Mädchen in weissen Kopftüchern mit dem Gebetbuch in der einen und den Stiefeln in der anderen Hand und viele, viele Kinder ...

Auf dem Weg von den Wäldern her betraten zwei Menschen, der Landstrasse folgend, an jenem Morgen das Dorf.

In seinen Krücken hängend, humpelte ein alter, feister, mit einer Schnur an ein vorausschreitendes ältliches Weib gebundener Bettler einher.

»Beeil´ dich, sonst kommen wir noch zu spät,« knurrte die Alte und zupfte leicht an der Schnur.

»Hat noch Zeit, Dumme, die Zäune werde ich doch nicht ansingen und vor dem Hochamt gibt einem doch keiner einen Pfennig.«

Er schnüffelte nach allen Seiten in der Luft herum und murmelte:

»Es müssen schon die Apfelbäume blühen!«

»Versteht sich, das ganze Dorf ist wie übermalt.«

»Auf rosenrot?«

»Hale! Apfelblüte, versteht sich, ist doch nicht blau.«

»Gehen die Kartoffeln schon auf, Frau, hä?«

»Dumm bist du, wann sollten sie aufgehen bei diesem ewigen Regenwetter?«

»Menschen müssen auf der Landstrasse gehen, ich merk' etwas davon.«

»Sie ziehen in grossen Haufen nach der Kirche.«

Als sie an den ersten Dorfhütten vorüberkamen, duckte sich der Bettler noch mehr zusammen, liess seinen kahlen Kopf tief auf die Brust hängen und stimmte mit klagender Jammerstimme eine Litanei an. Die Alte fiel mit heiserer Stimme ein, und so strebten die beiden, nirgends anhaltend, der Kirche zu.

»Lauter, Frau, lauter! die frommen Leute mögen es, dass man aus voller Kehle den lieben Gott lobt, und nicht in den Bart hinein.« »Wollen wir unterwegs einkehren?«

»Nee ... wozu denn? Dass sie dir eine Brotrinde geben? Das Schwein hat noch zu Hause genug zu fressen!«

Die Vorbeikommenden begrüssten sie ohne Ausnahme, denn das Paar war im ganzen Dorf wohlbekannt. Der Alte benutzte jede Gelegenheit, um stehen zu bleiben, den Leuten seine Schnupftabakdose anzubieten, sie auszufragen und über dieses und jenes ein Gespräch anzuknüpfen, dann humpelte er weiter.

»Bei der Winciorek müssen wir einsehen.«

»Aha, das ist das Haus jenseits des Baches, vielleicht könnte man nach dem Gottesdienst?«

»Führen!« herrschte er sie an und stiess sie mit seinem Krückstock in die Seite.

Die Winciorek machte sich gerade zum Kirchgang fertig, als sie aber das Bettlerpaar bei sich einkehren sah, sperrte sie die Haustür weit auf.

Der Bettler Iiess sich gleich nieder, um auszuruhen, denn er war inzwischen recht müde geworden.

»Die Beine fühl' ich nicht mehr!«

»Kommt ihr von weit her?«

»Ih ... bloss etwas über ein Meilchen war der Weg lang, aus Gorka ... für einen Jungen ist es gar nichts, für einen Alten wie ich einer bin aber mehr als genug. Kommt mal näher heran, Winciorkowa ...«

Die alte Winciorek trat auf ihn zu und sah ihn unruhig an.

»Man hat schon ein Auge auf Euer Haus –« flüsterte er ihr zu. »Ich hab' den Sergeanten getroffen, der hat mir gesagt: wir wissen, dass der Jaschek bei seiner Mutter sitzt und sich dort auskuriert, lass ihn erst wieder heil werden, dann finden wir ihn schon! – Das habe ich gehört und habe absichtlich den Umweg über Przylenka gemacht, um Euch auf christliche Art zu warnen. Ich hab' ihm gleich gesagt, dass es nicht wahr ist, sogar dreimal Schnaps habe ich deswegen mit ihm trinken müssen ...«

»Gott bezahl's Euch,« murmelte sie sehr verängstigt und begann gleich dankbar die Bettelsäcke des Alten mit Eiern, Speck und Hirse zu füllen; zuletzt knotete sie aus dem Tuch sogar eine Silbermünze heraus und steckte sie ihm in die Faust. Er versuchte zuerst abzuwehren.

»Ich bin kein Rechtsanwalt. Verteidige die guten Leute nicht für Lohn, sondern für ein gutes Wort. Ihr seid arme Waisen, wenn Ihr es aber durchaus wollt, dann werd' ich ein ehrliches Gebet für Euch beten, dass Euch der Herr Besserung beschert ...

»Hale! ein Gebet wird schon was helfen, aber man muss auch dem Gebet nachhelfen!«

»Sagt mir Eure Meinung, ich würd' Euch dafür gern Gott weiss was nicht alles geben!«

»Es gibt keinen anderen Rat, sondern Ihr müsst ihn, sobald er etwas besser ist, in die Welt schicken, warum soll er nicht nach diesem Bresilien fahren, hä?«

»Mein Gott! so weit das Kind von sich ziehen lassen.«

»Was schadet's denn, er braucht ja nicht gesäugt zu werden. Ihr könntet ja auch mit ihm fahren.«

»Versteht sich, und das Haus mit dem Acker soll ich Gottes Vorsehung überlassen?«

»Gott, nein, dieses Frauenvolk! Unsereiner schüttet seine guten Ratschläge aus wie Geld in einen Bettelsack und bei denen ihrem Verstand fällt alles durch, wie wenn du in ein Sieb was hineingetan hättest!« er machte eine ungeduldige Bewegung. »Und verkaufen könnt Ihr das Gewese nicht, wie?«

»Haie! Verkaufen! verkaufen! Daran hab' ich auch schon gedacht, aber ich habe mich gefürchtet.«

»Fürchtet Euch bloss, dass Ihr den Jungen nicht dadurch ins Unglück bringt ... Ich will es dem Herschlik sagen, dann kommt er mal zu Euch, er schmuggelt sie ja alle hinüber, ein schlaues rotes Aas ... soll ich es ihm sagen?«

»Ja, ... sagt es ihm,« entgegnete sie rasch.

»So viel Volk zieht da hinaus! Warum soll es da den Menschen schlecht gehen. Adam sein Antek aus Gorka ist da auch hingegangen, es sind jetzt zwei Jahre her, und vergangenen Sonntag hat er vierhundert Rubel geschickt, um die Schwester auszuzahlen ... Ho, ho! hätt' ich fünfzig Jahr weniger auf dem Buckel, und meine Augen, und gesunde Beine dazu, dann würde ich hier nicht bei Euch sitzen bleiben, sondern einfach mit fortziehen. Ich schick' Euch schon den Herschlik her. Gott befohlen. Kannst mich führen, Alte, ich hör', dass sie gerade zur Messe läuten ...«

Nach dem Fortgang des Bettlers führte die Winciorek ihren Jaschek, der jetzt rasch wieder zu Kräften kam, in den Garten hinter das Haus unter die Apfelbäume. Sie legte ihm das Federbett auf dem Grasplatz zurecht und bedeckte ihn mit dem Schafspelz. »Was ist Euch?« fragte er mit leiser Stimme, da er ihr sorgenvolles Gesicht sah.

»Versteht sich, nichts Gutes, das ist schon so!«

»Wissen sie es?« Er versuchte hochzukommen.

»Bleib ruhig liegen, Kind ... Ich will in die Kirche gehen ... dann will ich herumfragen ... herumhorchen, was die Leute reden.«

»Ihr sollt nur nicht zu lange fortbleiben, die Zeit wird mir allein so lang,« bat er leise.

»Ich lauf gleich wieder heim ... brauchst keine Angst zu haben ...«

Die Kirche war schon voller Menschen, sie sangen den Rosenkranz in Erwartung des Hochamts und auf dem Kirchhof draussen standen die Bauern in Haufen und unterhielten sich miteinander.

Der Bettler betete mit laut vernehmbarer Stimme seine Gebete an der grossen Kirchentür.

Feiertäglicher Friede lag über dem Kirchenhügel und kam vom Dorf her und von den sonnenübergossenen Feldern im breiten Strom auf die Andächtigen zugeflossen.

Das Hochamt begann bald.

Die alte Winciorek liess sich im Gedränge unter dem Chor auf die Fliesen nieder und sann darüber nach, was ihr der Bettler gesagt und geraten hatte. Sie war so in ihre Gedanken vertieft, dass sie auf die frommen Gesänge, auf das Orgelspiel und das Schellengeläut kaum achtete, sie fluteten an ihr vorbei, wie ein undeutliches, fernes Raunen jener fremden Länder, über die sie jetzt denken musste.

Sie kam erst zu Bewusstsein, als es ganz still wurde und der Pfarrer nach Beendigung der Messe von den Stufen des Altars herab eine Ansprache an das Volk zu halten begonnen hatte.

Er redete über die Auswanderung nach Brasilien, stellte ihnen das ganze Auswandererelend dar, warnte, bat, flehte sie an und schien sogar jene verfluchen zu wollen, die es dennoch tun würden.

Die Bauern hörten sehr nachdenklich zu, stiessen sich mit den Ellbogen an, blinzelten einander zu, lächelten unmerklich, glaubten ihm aber kein Wort.

»Red' du nur zu, red' ...!« dachten sie.

Der Pfarrer wetterte indessen mit seiner mächtigen Stimme und beschrieb ihnen mit, solchem Eifer das Verderben der Seelen, die in eine böse Fremde zogen, dass diejenigen, die empfindlichere Herzen hatten, laut aufzuseufzen und sich umständlich zu schneuzen begannen, und die Frauen schon hier und da ein Aufschluchzen nicht mehr unterdrücken konnten; die Masse des Volkes stand aber unbewegt und teilnahmslos da ...

Sie drängten, nachdem die Ansprache beendet war, in hellen Haufen zur Kirche hinaus; die Männer blieben in einem dichten Haufen fast vollzählig draussen stehen, um ein bisschen miteinander zu plaudern.

»Versteht sich! Der Priester steckt mit den Herren unter einer Decke, darum redet er so! ...«

»Sie werden dann doch kein Arbeitsvolk haben.«

»... Haben wohl schon Heidenangst, dass sie allein die Pferde hüten müssen oder die Feldarbeit tun ...«

»Sollte denn der Pfarrer lügen, wie?« liess sich eine Stimme vernehmen.

»Irgend etwas ist dabei, dass er so redet,« bekräftigte ein anderer.

»Irgend etwas? ... na ja, nichts anderes, als dass ihr dumme Schöpse seid! Nach Brasilien wollt ihr rennen? schön .... lasst die Äcker, die Häuser und alles fahren! Ihr kriegt da doch jeder eine Farm mit einem Stück Wald, mit Inventar und einem Schloss ... Rennt los ... es werden genug Juden und Deutsche zurückbleiben, die werden es dann gut auf eurem Grund und Boden haben! Oha! Und dann, wenn ihr wieder zurückkehren müsst, da werdet ihr noch grad zurechtkommen, um bei ihnen die Dienstknechte zu spielen .... Das wird euch dann gut schmecken ... Ein dummes Volk ist noch schlimmer als Vieh, denn ein Vieh kann man mit dem Wort und mit der Peitsche lenken ... die aber sind rein wie die Kälber ... Schwanz hoch und losgerannt bis ans Ende der Welt ...«

»Na Gregor, es steht doch aber in den Büchern und die Menschen sagen es ...«

»Die Menschen sagen es! ja sie sagen, dass du dumm bist, aber nicht jeder wird daran glauben und muss es denn durchaus so sein? In den Büchern steht es! sagst du. Hast du es gelesen?«

»Ich? versteht sich, dass ich es nicht hab', aber der Ziegelbrenner aus Wola hat es doch gelesen, ... der Deutsche ...«

»Er hat so schön gelesen, dass er zuletzt von dem Banach Grund und Boden gekauft hat, darum hat er bloss so gelesen! ...«

»Und die, die früher hingegangen sind, schicken doch auch Geld nach Hause ...« »Einer schickt was und die vielen anderen gehen zugrunde!«

»Gregor ist nur böse, dass er zu alt ist mitzugehen!«

»Dumme Schöpse, grad wie das liebe Vieh!« rief Gregor ärgerlich, drückte sich die Mütze über die Augen, spie aus und ging.

Manch einer versank in Nachdenken, mancher legte sich die Worte des Alten in seinem Kopf zurecht, die Mehrzahl aber spann ihre trügerischen Berichte über Brasilien weiter.

Vornehmlich war es aber der Schultheiss, der die Gemüter verwirrte.

»Auf den Priester wollt ihr hören, so? Und wenn der Beamte kommt, die Steuer zu erheben, dann bezahlt sie euch vielleicht der Priester? Und wenn du, der eine und der andere nichts zu beissen hast, dann wird dir der Priester was schenken? Und hast du zu wenig Acker, dann gibt dir der Priester vielleicht das Fehlende hinzu, wie?« redete er drauflos.

»Geben wird er schon nichts, auch nicht für andere bezahlen, weil er selbst arm ist, aber ein Priester hat doch immer einen anderen Verstand, liest in den Zeitungen und in den Büchern, da wird er schon wissen, was in der Welt geschieht, und wird das Volk nicht ms Verderben rennen lassen,« wendete der Sulkabauer ein, derselbe, dem erst vor kurzem ein Sohn geboren wurde.

»Das sag' du nur, aber er hält doch zu den Herren und nicht zu uns.«

»Versteht sich, verabredet haben sie sich, dass sie das Volk nicht abziehen lassen werden!«

»Das ist ganz gewiss so. Was käme denn da bloss danach, wenn so viel Volk fortzöge, es gäbe niemanden zum Arbeiten und niemanden zum Steuerzahlen oder für den Militärdienst.«

»Sie haben Angst, dass sie allein bleiben werden, darum reden sie es einem bloss aus.«

»Dass es aber in Brasilien keine Steuern gibt und keine Rekruten ausgehoben werden, dass dort jeder sein eigener Herr ist, könnt ihr glauben, denn ein Beamter sagt es euch!«

»Und Ackerland gibt es da, so weit ein Mensch bloss sehen kann.'«

»Auch für die Bewirtschaftung kriegt man noch Geld hinzu.«

»Und eine Siffkarte für den Weg, ganz umsonst!«

»Dem Adam sein Antek hat geschrieben, dass es dort furchtbar grosse Wälder gibt und alles steht dort: unserem Volk frei.«

»Und warum wollen sie denn die Unsrigen dahin. haben?«

»Wisst ihr das nicht? Dann will ich es euch als Beamter ganz genau sagen, auf dem Kreisamt haben es die Herren untereinander erzählt. Der Kaiser von Brasilien, der ist nämlich auf sein Volk böse geworden, dass sie schlechte Katholiken sind und schwarze Mäuler haben, so schwarz wie die eisernen Kochtöpfe, da hat er denn den höchsten Beamten zu sich gerufen und hat zu ihm gesagt: es wird mir schon ganz zuwider, dieses Schmutzvolk zu sehen, sie bearbeiten nicht einmal den Boden gut, und nichts machen sie, man muss sie fortjagen in die Berge: hol' mir aber dafür das polnische Volk her, denn es sollen die besten Bauern sein, und wie ich höre, haben sie wenig Land bei sich zu Hause, und gute Christen sind sie auch, wie ich höre ... Daraus ist das alles so gekommen, das ist die Wahrheit!« schloss er mit Nachdruck und seine kleinen, fuchsschlauen Äuglein überflogen blitzschnell die Gesichter der Anwesenden.

Da sie aber schon alle Hunger spürten und die Weiber ein Stück Wegs vorausgezogen waren, begannen die Zuhörer rasch auseinanderzugehen.

Die Winciorek ging mitten im Menschenhaufen und horchte eifrig auf alles, was die Leute redeten, ab und zu seufzte sie tief auf und liess immer wieder ihre Blicke über das Dorf und über die nahe Wälderwand schweifen, die es wie mit einem dunklen Rahmen einfassten; sie sah auf die grünenden Felder, auf die Obstgärten in Blüte, hob ihre Augen zum Himmel empor, der so rein und blau wie jener auf dem Bilde in der Kirche war, zu den blauen Rauchsäulen, die sich hier und da über den Häusern hochreckten und geradeswegs in den Himmel stiegen, und liess sie zu guter Letzt über das viele Volk wandern, das lustig plaudernd in seiner buntscheckigen Sonntagskleidung vor ihr auf der Dorfstrasse einherzog; eine eigentümliche Trauer und ein noch seltsameres Angstgefühl nahmen Besitz von ihrem Herzen und erfüllten es mit Beben. Aber dann ergriffen sie wieder die Reden der Männer und jene verlockenden, verheissungsvollen Versprechen auf Land, Wald und Freiheit mit solcher Macht und breiteten so viel helle Freude über ihre Seele, fachten dermassen ihre Begeisterung an, dass sie schon ganz bereit war dorthin fortzuziehen, und sollte es selbst sofort geschehen müssen.

Vor der Schenke, die gerade gegenüber ihrem Hause nur mehr nach dem Dorf zu im Hintergrund an der Kreuzung der Dorfstrasse mit einem Seitenweg lag, der nach dem Herrenhof führte, stand der Gendarm im Gespräch mit mehreren Bauern.

Die Winciorek bemerkte ihn sogleich und wandte sich eilig ihrer Behausung zu.

Fast schon an der Schwelle ihres Hauses holte sie der Schultheiss ein.

»Wisst Ihr es schon ... der Verwalter hat gestern auf dem Amt gesagt, dass er Euren Jaschek fangen muss, und sollte er es selber tun, und Ihr seid hier ...« murmelte er leise.

»Wissen es denn die Gendarmen, dass er .. dass ich ...?«

»Im ganzen Dorf weiss man es, dass er bei Euch ist!«

Sie traten ins Innere.

»Habt Ihr gehört, was die Leute über dieses Brasilien reden?« fragte er nach einer Weile.

»Ich hab' es wohl gehört! Aber was weiss ich, wie es damit sein soll! Wer soll es wissen, was da Lüge und was Wahrheit ist.«

»Hale! Hale! Eins nur mein' ich, dass es Euer Jaschek dort sicherer hat.«

»Das muss wohl so sein, dass nichts anderes dabei zu machen ist, das muss schon so sein.«

»Und was geschieht mit Eurem Acker?« fragte er rasch und seine Augen leuchteten gierig auf.

»Den werd' ich wohl schon verkaufen müssen! antwortete sie mit einem plötzlichen Entschluss.

»Wer soll ihn kaufen, so viele wollen jetzt immerzu verkaufen, dass es schon keine Käufer mehr gibt!« meinte er schlau.

»Und wenn es halb umsonst wäre, geb´ ich's ab. Mein Land ist doch gut, alles in einem Stück und eine Wiese ist dabei, auch das Haus ist nicht das schlechteste und die Scheune fast noch neu. Der Boden ist gut bestellt, wie es sich gehört ...«

»Ho! ho! man weiss es doch, dass Ihr die tüchtigste Bäuerin im Dorf seid, alles was recht ist.«

Sie entgegnete nichts, trat nur in die Kammer und holte von dort eine Handvoll Geldscheine heraus.

»Mein Lieber! Nehmt das ... damit nur die Gendarmen nichts erfahren ...« bat sie mit leiser Stimme.

»Ich werd' schon alles gut zurechtrichten ...« Er erhob sich, zupfte seinen Kapottrock zurecht und beim Weggehen sagte er noch: »Wenn er wieder besser wird, müsst ihr gleich fahren! Gott befohlen ...

»Und mit dem Ackerland braucht Ihr Euch nicht zu beeilen und sagt auch keinem was davon.«

»Die Leute würden sich gleich dabei allerlei denken, das weiss man doch.«

»Die Bauern drohen schon sowieso in einem fort, weil doch der Verwalter gesagt hat, dass er das ganze Dorf verklagen wird, weil sie allesamt den Jaschek verstecken sollen.«

»Dass er den lieben Gott nicht in seiner Sterbestunde zu sehen bekommt, für unser Unrecht!« rief sie leidenschaftlich.

»Solltet Ihr es dringend brauchen, dann würde ich der Käufer sein ... nicht für mich selbst, denn man hat doch keinen Pfennig über, aber der Adam aus Zacharki hat mir gesagt, ich sollte mich mal nach einem Stück Land für seinen Sohn umsehen, den er jetzt verheiraten will ...«

»Kommt mal an irgend einem Tag her, dann können wir miteinander reden ...«

»Sind es nicht sechs Morgen mit der Wiese?«

»Sechs Morgen Acker und ein Morgen Wiesenland.«

»Ackergerät habt Ihr auch?«

»Alles ist da und fast alles wie neu, darüber müssten wir uns aber besonders verständigen.«

»Und der Grund und Boden ist nicht in die Bauerntabelle eingetragen?« fragte er schon auf der Schwelle.

»Nein, weil ihn doch Meiner selig noch vor der Bauernbefreiung geschenkt bekommen bat ...«

»Bleibt mit Gott!«

Sie reichten sich die Hände und der Schultheiss verliess sehr erfreut das Haus in der Überzeugung, dass es ihm gelingen würde, für ein Weniges den ganzen Hof zu kaufen, er hatte schon lange Lust darauf gehabt.

Die Alte sah in den Garten, zu dem unter den Apfelbäumen liegenden Jaschek ein und machte sich an die Zubereitung des Mittagessens, denn die Tekla sass in ihrer Stube, aus der sie nur ab und zu laut klagend herausgerannt kam:

»Seht bloss her, es atmet schon kaum!«

Das Kind konnte tatsächlich kaum mehr Luft bekommen, dermassen presste die Bräune ihm die Kehle zu.

Die Winciorek achtete nicht viel darauf; hatte sie vielleicht selbst nicht genug eigene Sorgen, und was hätte sie ihm schliesslich helfen können, wenn es schon sowieso den letzten Atem von sich gab! ...

Sie kochte das Mittagessen gar und brachte es ihrem Jungen in den Garten.

Jaschek kam jetzt rasch zu Kräften; die Arznei, die ihm der Pfarrer verschafft hatte, der Frühling und nicht zum wenigsten auch seine Jugend trugen den Sieg über die Krankheit davon; gehen konnte er zwar noch nicht und manchmal fühlte er noch furchtbare Schmerzen in der Brust, aber seine Wangen begannen sich schon rot unter der blassen Gesichtshaut zu färben und die kornblumenblauen Augen blickten immer froher vor sich hin.

Er lag auf dem Federbett unter den blühenden Apfelbäumen, die ihn wie ein duftender Traghimmel aus leuchtenden Blüten gegen die Sonne schützten.

»Hast du etwas geschlafen?« fragte sie und setzte sich zu ihm hin.

»Was sollt' ich schlafen! Die Glocken haben geläutet, da hab' ich denn gebetet und dann, weil die Bienen so um die Blumen summten und es so schön duftete, hab' ich bloss gelegen und auf Euch gewartet. Mutter ...« Er machte sich ans Essen.

»Fühlst du dich wohl, wie?«

»Ja, Mutter, so wohl ...«

»Hast keine Schmerzen in der Hüfte gehabt?«

»Keine, Mutter. Oh, man läutet schon wieder zur Vesper!«

Sie schwiegen beide, denn nach dem hellen Zwitscherklang der Betglocke ertönten nun die grossen Glocken und dröhnten so mächtig, dass die Erde zu beben schien und Apfelblüten wie rosafarbene Schmetterlinge auf Jascheks Kopf und den grünen Rasen niederregneten ...«

»Jaschek!«

Er wandte seine andachtverlorenen Augen ihr zu.

»Man weiss schon, dass du hier bist!«

Mit jähem Ruck versuchte er sich hochzurichten.

»Leg' dich hin, Kind, brauchst keine Angst zu haben, ich geb' dich nicht heraus.«

Ihre abgemagerte, dunkel gebräunte Hand strich ihm über Gesicht und Augen, während sie erzählte, was sie in der Kirche gehört und was ihr der Schultheiss gesagt hatte.

»Aasbande! Ich würd' es ihnen schon heimzahlen! Lass sie mich nur verraten!« murmelte er und drohte dem Dorf mit seinen zusammengeballten Fäusten.

»Still, Kind, still, wir wollen fortgehen.« Und sie berichtete ihm, wie ihr schon seit langem, kaum dass er zurückgekehrt war, der Gedanke gekommen wäre, den Grund und Boden, das Haus und das ganze Hab und Gut zu verkaufen und nach Brasilien zu gehen.

»Gut, Mutter, verkauft alles, das Gewese steht auf Euren Namen geschrieben, verkauft alles und wir wollen fortziehen. Dass sie allesamt verrecken, wenn ein ehrlicher Mensch hier nicht mit ihnen zusammen leben kann! Selbst sind sie Totschläger, Betrüger, Schwindler und Judasse! Gehen wir fort von hier, so schnell wie möglich, Mutter, weit fort!« rief er entschlossen und sein Gesicht leuchtete auf im Vorgefühl eines anderen, besseren und freieren Lebens.

»Schön, mein Junge! Ich gehe jetzt ins Dorf und werde unter den Leuten herumfragen oder in der Schenke ein Wort über den Verkauf fallen lassen, da können wir sehen, was die Leute dazu sagen werden ...«

»Und dem Schultheiss verkauft das Gewese nicht, das ist der schlimmste Judas im ganzen Dorf. Er wird Euch betrügen und mich noch dazu angeben, dieser pestige Rotjude! Dem seine Augen sind schon die richtigen Wolfsaugen!«

» Bleib hier schön ruhig liegen und bet' zum lieben Gott, ich gehe indessen fort.«


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