W. St. Reymont
Polnische Bauernnovellen
W. St. Reymont

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V

Nur Weinen und Leid und Seelenqual gehen in der bösen Welt um, und du, armes Menschenkind, hast zu dulden, musst mit ihnen ringen, du Unglückswurm, und dich gegen sie zur Wehr setzen, und wenn du selbst hinter Wälder und Meere fliehen solltest, nimmt dich das Unglück an der Gurgel, wo du dich auch verstecken magst.

O Menschenlos! Menschenlos!

Und die Menschen sind wie das Wasser: sie wissen nicht woher und wissen nicht wozu und wissen nicht wohin!

Und sie sind wie die Wolken, die der Wind dahin und dorthin über die weite Welt vor sich hertreibt ... wie die armen Blättelein, die der böse Sturm den Bäumen geraubt hat und über die Felder und Wälder. wirbelt, um sie ins Verderben zu schleudern; sie sind wie der Tag, der gestern war und schon weder heute, noch irgendwann sein wird.

Und Erbarmen gibt es nicht, und Rettung gibt es nicht und kein Entkommen ...

Und wohin solltest du vor deinem Los entfliehen können, arme Menschenwaise, wohin bloss? Wirst wohl, armes Ding, dich an die Sterne klammern müssen und dein gläubiges Herz dem Mitleid unseres Herrn Jesus anvertrauen!

O Menschenlos! Menschenlos!

So klagte voll wilden Grolls die Seele der alten Winciorek, die einsame, todtraurige, leiderfüllte Seele der Mutter. Und draussen heulte der Wind, riss an der Strohbedachung des Hauses, machte die Bäume aufbrausen, peitschte mit ihren Zweigen auf die Hauswände ein, pfiff im Schornstein, kicherte wie ein Kobold, der sich über menschliches Unglück freut, und tanzte über die dunkle Landstrasse dahin, in die regentriefende, traurige, grausige Nacht hinaus.

»O Jesus!« schluchzte die Winciorek, die Spindel war ihren steifen Fingern entglitten und aus den müdegeweinten Augen rollten bittere Tränen über das eingefallene, schmerzverzerrte Gesicht. Die welke Brust erbebte unter einem haltlosen Schluchzen und eine Ohnmacht ohne Grenzen drückte ihre mageren Schultern nieder, zu Boden, in willenlose Ergebenheit ...

Heute hatte Tekla selbst die Wirtschaft besorgt, und nachdem sie das Abendbrot gargekocht, holte sie das Kind aus dem an der Decke hängenden Laken heraus, das ihm tagsüber als Wiege diente, und begab sich zur Ruhe.

Die Alte hatte es gar nicht gemerkt, so sehr war sie mit ihren Gedanken und mit ihrer eigenen Seelenqual beschäftigt. Ab und zu sah sie immer wieder bei Jaschek ein, der im Fieberschlaf dalag, und horchte dann angestrengt auf das Rauschen und Raunen all der erregten Stimmen der Nacht ... denn ihr sorgenerfülltes Herz meinte jeden Augenblick, das Säbelgerassel zu hören und die Tritte jener, die ihn holen kommen sollten ...

Sie sprang dann jedesmal auf, stellte sich vor die Tür der Schlafkammer und starrte mit einem so grauenvollen Verzweiflungsblick ins Leere, wie ihn nur eine Mutter, die das Leben ihres Kindes verteidigt, haben kann.

Aber es kam niemand, nur die Sturmnacht zog über dem Hause vorüber und überrannte die Welt mit ihren brausenden Wogen.

Schon recht gegen Mitternacht klopfte jemand ganz leise an die Tür und die durchnässte und vor Kälte bebende Nastka schlich zur Stube herein.

»Nein, setzen kann ich mich nicht, muss gleich heimkehren. Ich bin nur hergerannt, um es Euch zu sagen ... Jesus, was bin ich ausser Atem, ... dass sie heute bei der Herrschaft geredet haben, der Jaschek wäre aus dem Gefängnis entsprungen ...«

»Und du willst ihn ausliefern, du Judas!« zischte die Alte auf.

»Barmherziger Jesus! Was Ihr da redet! Ihr habt, wahrhaftigen Gott, kein bisschen Erbarmen! Ich sollte den Jaschek ausliefern, ich, wo ich doch jeden Tropfen Blut für ihn hingeben würde! ...«

Ein plötzliches Aufschluchzen unterbrach ihre Rede, sie zog das Tuch tiefer über die Augen und rannte hinaus, nur aus der Dunkelheit konnte man die immer schwächer werdenden Tritte ihrer Holzklumpen hören ...

»Kannst auch fühlen, was Leiden heisst, friss deinen Schmerz und Kummer in dich hinein, wie ich den meinen!« rief ihr die Alte nach und begann erregt in der Stube auf und ab zu wandeln, in Gedanken nach einer Rettung suchend.

Aber keine Rettung wollte sich zeigen. Sie werden kommen, werden ihn finden, greifen, er kommt vor Gericht und ins Gefängnis! Und nie mehr wird sie ihn wiedersehen ... niemals mehr! ...

Dermassen packte sie die Angst bei diesem Gedanken, dass ihr Kopf zu zittern anfing, sie schneuzte sich in die Schürze, wischte über die Augen und wandelte weiter in der Stube herum, ganz in Überlegungen und Gedanken versunken.

Wenn er doch wenigstens gesund werden wollte, dann würde sie ihm zur Flucht verhelfen, würde zum Beispiel das Mutterschwein verkaufen ... oder selbst eine Kuh, auch beide Kühe ... und ihm beistehen, sie würde mit ihm ans Ende der Welt gehen, wo ihn niemand kennen, niemand einsperren und niemand bestrafen kann.

Aber wohin?

Ihre Seele ward ganz verzagt vor Angst über diese Frage.

Das ist schon wahr, wohin sollten sie fliehen?

Auf der ganzen Welt sind doch Gerichte, Gendarmen und Gefängnisse!

Sie griff sich an den Kopf und musste sich setzen, so sehr hatte sie diese Entdeckung entsetzt.

Das ist wahr, sie sind überall ... überall ... wie die Wolfseisen ... überall.

Sie war doch auch bei der wundertätigen Muttergottes in Czenstochau gewesen, auch dort musste sie ihre Papiere vorzeigen; sie war mit dem Pilgerzug in Kalwarya hinter Krakau gewesen, da hatten sie es ebenso gehalten.

Ratlos blickte sie in die Runde.

Und es war ihr, als sehe sie überall unübersteigbare Mauern, Reihen von Gendarmen, Kanzleien, Schreiber und ausgestreckte Hände, die bereit waren, den Fliehenden zu packen!

Mein Gott! nirgends, gar nirgendwo hin kann der Mensch vor dieser furchtbaren Gewalt flüchten, die sich ihr erst jetzt in ganzer Grausigkeit offenbarte, verkörpert in Gendarmen und Gefängnissen.

Die arme Seele verstand nicht den Sinn des Wortes: Recht, und glaubte, es sei dasselbe wie – Gerechtigkeit!

Sie erwartete nicht eine Antwort auf diese Frage, aber aus dem Inneren ihres gemarterten Gehirns krochen indessen die Erinnerungen an ehemalige Zeiten hervor, Erinnerungen an ihren Mann, an die alte Not und das alte Unrecht, die ihr mit qualverzerrten bläulichen Mündern aus den Abgründen der Zeit ein furchtbares: nirgendwo! ... zuriefen.

Sie wimmerte auf vor Schmerz wie ein getretener Hund, duckte sich, wand sich in namenloser Qual und sass doch reglos und vor Grauen versteinert auf ihrem Fensterplatz da, während ihre Augen in die qualvolle Finsternis der eigenen Seele starrten ...

Und erst aus diesem bitteren Gefühl der Hilflosigkeit und Verlassenheit, aus diesem Gefühl des Zertretenseins durch das Schicksal begann in ihr allmählich die Empörung gegen die menschlichen Ungerechtigkeiten, die wütende Auflehnung der verzweifelten und noch immer ungebrochenen Seele sich emporzurecken.

War das Gerechtigkeit, dass ihr Jaschek gefangen, verurteilt und wieder ins Gefängnis gesperrt werden sollte, obgleich er schon zwei Jahre ungerecht gesessen hatte, wo er doch nicht schuldig war?! ... Und so viele Totschläger laufen doch frei in der Welt umher! Dieser Adam Brzostek zum Beispiel, von dem alle wussten, dass er in Kompanie mit den Dieben ist, oder dieser Michalak, von dem das ganze Dorf längst weiss, dass er einen Menschen umgebracht hat. Die laufen frei herum!' Warum ist denn das so? Das ist nicht gerecht, nein. Warum ist es denn so?

Sie spann noch lange die endlose Kette jener Warums, bis sie zuletzt der Schlaf übermannte; erst bei Morgengrauen wachte sie wieder auf.

Der neue Tag brachte jedoch keine Klärung, im Gegenteil, ihre Qual wuchs und die Empörung verwandelte sich langsam in Hass gegen die ganze Welt und alle Menschen, die frei waren.

Jaschek fühlte sich nicht im geringsten besser, obgleich sie ihm immer wieder Schröpfköpfe auf dem Rücken und an den Hüften setzte und, um das verdorbene Blut etwas abzuzapfen, die auf diese Weise entstandenen Blasen mit einem gut gewetzten Taschenmesser durchschnitt.

Als Tekla, die Beisassin, zu Mittag von der Arbeit im Herrenhof heimgekommen war, flüsterte sie der Alten zu: »Sie wissen es schon auf dem Herrenhof...und im Dorf reden sie auch schon davon...«

»Was denn? Was reden sie?«

» Ha, ja! was sollen sie denn reden. Der Verwalter hat zu den Knechten gesagt, dass wer von ihnen den Jaschek fängt und aufs Gemeindeamt bringt, der soll von ihm zehn Rubel und ein Mass Schnaps bekommen...«

»Und die Knechte?...« murmelte die Alte.

»Die sind, wie Männer so sind! Du lieber Gott, zehn Rubel, das ist doch ein mächtiges Stück Geld! Man könnte dafür schon ein schönes Schweinchen kaufen...« fügte sie wie im Selbstgespräch hinzu.

Die Winciorek schaute sie lange mit prüfendem Blick an und da sie sah, mit welch gieriger Versunkenheit die andere ihre Ferkel betrachtete, entschloss sie sich nach einem raschen, wenn auch schmerzlichen Kampf zu einem Opfer.

» Tekla, ich will Euch das Ferkel hier mit dem schwarzen Fleck auf der Seite geben...«

»Ich bin doch kein Judas!« empörte sich diese ganz aufrichtig, aber aus ihren Augen blitzte zugleich die Gier auf.

»Das hab' ich auch gar nicht so gemeint, schon lange habe ich mir überlegt, dass ich es Euch geben wollte...«

»So ganz für umsonst, ohne Geld?...«

»Versteht sich, Ihr habt mir doch schon so viel beim Garnwickeln und Spinnen geholfen, dass Euch dieses mit Recht zukommt.«

»Das ist wahr, und wollt Ihr es mir redlich schenken?...«

»Das ist so. Es ist eine Sau, Ihr werdet von ihr auch Nachwuchs haben können ...«

»Das soll also wirklich mein Schweinchen sein, ist es wirklich wahr?« fragte Tekla wie verzaubert.

»Sie ist Euer ...«

»Jesus Maria! Die eigene Mutter könnte nicht besser sein,« rief sie freudig und begann die Knie der Alten zu umfassen und ihre Hände zu küssen und dann rannte sie in den Schweinestall und trieb das Ferkel in ihre Stube und war um ihr Schweinchen so besorgt und so eifrig damit beschäftigt, es zu füttern, dass sie nicht einmal hörte, wie das Kind in seinem von der Decke herabhängenden Laken schrie, so sehr war sie von dem Glück berauscht, eine eigene Sau zu besitzen.

»Jesus! ist das schön! Du lieber Herr, und wie geschickt und wie es fressen kann!« rief sie ein ums andere Mal.

Die Winciorek hörte mit etwas wehmütigem Lächeln diesen begeisterten Ergüssen zu; für Jaschek hätte sie selbstverständlich auch ihr eigen Leben gegeben, aber immerhin ... ein solches Ferkel war schon seine fünfundeinhalb Rubel wenigstens wert, denn zur Frühjahrszeit stehen die Schweine gut im Preis ...

Aber, was war da zu machen! Von einem fremden Wagen musst du hinunter und wär' es selbst mitten ins Wasser! überlegte sie sich auf dem Weg nach der Wöchnerin.

Sie blieb absichtlich hier und da stehen, redete die Leute an, liess sich selbst mit diesem und jenem in ein Gespräch ein, um auszukundschaften, ob man im Dorf schon wusste, dass der Jaschek bei ihr im Haus war, aber die Bauern liessen sich nicht fangen, keiner verriet sich auch nur mit einem einzigen Wort oder Blick, dass ihm etwas über Jaschek bekannt sei. Und als sie ihnen endlich selbst von seiner Flucht aus dem Gefängnis berichtete, machten sie so aufrichtig erstaunte Gesichter, als wäre ihnen die Nachricht, von der schon das ganze Dorf sprach, tatsächlich eine völlige Neuigkeit.

»Diese Grammatiker, Aasvolk! Keiner will auch nur ein Sterbenswörtchen sagen!« murmelte sie enttäuscht.

»Lumpee! ... Lumpee! ... Lumpee! ...« jammerte eine Stimme von der Landstrasse her. »Was zu verkaufen? Was zu kaufen, die Frauen Hofbäuerinnen?« ein Lumpensammler rief es, ein kleiner magerer Jude, der mitten durch die Dorfstrasse neben seiner alten Britschka stapfte, die von einem wahren Pferdeskelett gezogen wurde.

»Haltet vor meinem Haus, ich komme gleich ...«

Sie sah bei der Wöchnerin ein, der Jude schleppte sich indessen langsam weiter durchs Dorf, stützte den mit Lumpen vollgeladenen Wagen, peitschte auf seinen Gaul ein und jammerte vor jedem Haus sein Lumpee! Lumpee! Lumpee!

Ab und zu hielt er an, tauschte für eine Handvoll Lumpen Stecknadeln, Zwirn, Nähnadeln, Bänder und Tonpfeifen ein, die wie kleine gelbe Hähnchen aussahen, oder versuchte auch ein grösseres Geschäft abzuwickeln und eine Mandel Eier, ein Quartmass Kartoffeln oder ein altes gerupftes Suppenhuhn zu erstehen.

Ein Haufen halbnackter Kinder jagte hinter ihm drein mit lautem Geschrei.

»Lumpenmann, Wattemann! Gib ein Huhn, das pfeifen kann! kriegst dafür 'nen Groschen!«

Aber der Jude achtete nicht auf das Geschrei und hielt sich nur recht entschlossen die Hunde mit der Peitsche vom Leibe, die ganz versessen auf seinen langen Kaftan waren und das ganze Dorf mit ihrem Kläffen erfüllten.

Er liess unentwegt seinen Ruf weiter erschallen und schlug dazwischen auf sein Pferd ein, das immer wieder stehen blieb, häufiger aber schob er an seinem Wagen hinten nach, so dass ihm die geröteten Augen fast aus dem Kopf herausquollen, und liess seine Peitsche durch die Luft pfeifen, wobei er fortwährend sein Pferdchen zu ermuntern suchte:

»Wjo! Wjo! Brauner!« Die Enden seines Kaftans schleppten, wenn er sich beim Schieben bückte, über den Strassendreck und hinterliessen eine lange Spur. Ab und zu blieb er erschöpft stehen, lehnte sich gegen den Wagen, schob seine Mütze nach hinten und wischte sich über die Stirn, wobei sein Atem schwer ging, so dass ihm sein rostroter Bart zitterte und die Augen sich mit Tränen füllten.

Es war schon gut gegen Abend, als er endlich bis vor das Haus der Winciorek gelangt war; er gab dem Pferd ein Bündel Heu und trat mit der Peitsche in der Hand in die Stube, war aber so ermattet, dass er lange vor dem Herd sitzen blieb, ohne ein Wort sagen zu können.

»Ihr seid tüchtig müde geworden!«

»Von früh morgens fahr' ich schon so herum ... und weil man nichts gegessen hat, da wird es einem etwas flau ...«

»Wenn Ihr Milch trinken wollt, dann geb' ich Euch was!«

»Gott bezahl's, Frau Bäuerin, dann bring' ich Euch mein Töpfchen und Ihr melkt mir da etwas hinein ...«

Sie melkte ihm die Milch in seinen Topf, den er ans Herdfeuer setzte, bis die Milch aufkochte, und nachdem er eine Semmel hineingebrockt hatte, setzte er sein Mützchen auf und begann so gierig seine Suppe zu schlürfen, dass die Alte sich entschloss, ihm aus der Schlafkammer noch drei Eier hinauszutragen und vor ihm hinzulegen.

»Esst auch die paar Eier, mögen sie Euch wohl bekommen ...«

»Gott bezahl's!« murmelte er mit aufrichtiger Dankbarkeit.

Er kochte sie sich, ass nur eins und liess den Rest unversehens in die Tasche des Kaftans gleiten ... für die Kinder ... Darauf sagte er wie zum Dank für ihr gutes Herz ganz leise:

»Mir haben die Gendarmen von Eurem Jungen erzählt, sie suchen ihn schon! ...«

Die Winciorek liess ihre Arbeit aus den Händen gleiten und blickte unbewusst auf die Tür zur Schlafkammer.

»Se suchen ihn! Se haben es gesagt, dass er vor einer Woche nachts is in der Schenke von Przylenka gewesen, dass er dort einem Gendarmen die Nase mit der Faust eingeschlagen hat und dann is fortgelaufen! ...«

»Jesus Maria!« schrie sie auf; diese Einzelheiten waren ihr unbekannt.

»Haltet ihn nicht zu Hause, wenn er kommt, sonst fangen sie ihn und es ist aus! ... Ich weiss es, als mein jüngerer Bruder aus dem Militär is fahnenflüchtig geworden, da haben wir ihn zwei Wochen bei uns versteckt gehalten, und dann hat man ihn uns nachts fortgeholt, wir haben ihn nicht mehr gesehen. Aj! aj! was war das für eine böse Nacht! ...

Er verschluckte sich vor Erregung.

»Wenn er nach Amerika gefahren wär', dann hätten sie ihn nicht gefangen ...«

»Wo ist das denn?« fragte sie rasch.

»Nach Amerika, das ist weit, das ist hinter dem Meer, hinter zwei Meeren ... Da gibt es viele schon auch Jidden und Polen – und Deitsche ... Da ist es gut, da gibt es gar keine Gendarmen ... Ich weiss es, aus unserer Stadt ist da der Sohn des Feldschers hingegangen, der schickt dem Vater jedes Jahr Geld ...« »Und warum haben der Moschek seinen Bruder nicht dort hingeschickt?« fragte sie misstrauisch.

»Warum? Es war kein Geld da. Wenn ich so viel Geld hätte, was der Weg für mich, für meine Frau und meine Kinder nach Amerika kostet, dann würde es mir auch hier gut gehen.«

»Braucht man denn viel Geld dazu?« fragte sie wie nebenher, die Gleichgültige spielend.

»Ich weiss es nicht sicher, ... aber a Jid hat mir davon erzählt, dass der Weg allein ganze hundert Rubel soll gekostet haben! Das is Geld ... das is e ganzes Vermögen! ...

Sie schwiegen.

Der Jude band sich ein rotes Tuch um den Leib, befestigte die Enden seines Kaftans daran, raffte seine Hausiererschachteln zusammen, setzte die Mütze auf und schon im Weggehen flüsterte er ihr zu:

»Ich will Euch einen freundschaftlichen Rat geben ... mag er gleich nach Amerika fliehen ... na, bleibt mit Gott.«

»Fahrt mit Gott, Moschek.«

»Dieser Herschlik, wisst Ihr, der kann die Leute ein bisschen über die Grenze schmuggeln ... redet mit ihm, er ist jetzt zu Hause ...«

– Nach Amerika, übers Meer! Grosser Gott! sann sie, als sie allein geblieben war. – Das ist gewiss dorthin, wo das Volk jetzt ausgezogen ist! ...

Mehrere Tage trug sie diesen Gedanken mit sich herum, wendete und drehte ihn nach allen Seiten, käute ihn immer wieder und konnte sich nicht entschliessen, ihren Jungen so weit weg in die Welt ziehen zu lassen.

– Ich fahre mit ihm! Was sollt' ich da zurückbleiben! Das ist auch wahr! – Dieser Gedanke hatte sie geblendet und alsogleich erwachte in ihr auch die unüberwindliche bäurische Wissbegierde. Aber im selben Augenblick sah sie zum Fenster hinaus und ihr Eifer kühlte sich rasch ab, die Angst erfasste sie. – Das Haus verlassen, den eigenen Acker, die eigene Pfarrkirche? ... Alles das verlassen auf Nimmerwiedersehen ... Jesus, sie würde da wohl vor Sehnsucht wegsterben! »Führe mich nicht in Versuchung, du Teufel!« murmelte sie, aber es wurde ihr dennoch immer froher zumute. Die Sicherheit, dadurch ihren Jaschek retten zu können, hatte sie ganz zuversichtlich gestimmt.

– Nach diesem Jammerika, also! ... Das ist wahr, im vergangenen Jahr sind doch viele Leute nach dort gegangen und in diesem Jahr gehen auch welche hin ... Versteht sich, versteht sich, der Pfarrer hat sogar von der Kanzel aus gewarnt und gesagt, dass sie nicht gehen sollten, denn sie liefen dadurch in ihr eigenes Verderben.

– Eh ... priesterliches Gerede und Diebesschwüre ... das ist eins ... o ja.

Bald aber dachte sie nicht mehr an all diese Dinge, denn mit Jaschek ging es immer schlechter. Die Wunde wollte nicht heilen und das Röcheln in der Lunge hörte nicht auf. Sie tat alles, was sie konnte und was sie wusste, aber nichts half. Sie hatte ihn beräuchert, besprochen – alles vergebens. Eine immer dumpfere Verzweiflung bemächtigte sich ihrer, denn Jaschek klagte in den seltenen Augenblicken, wenn er bei Bewusstsein war, immerzu.

»Ich sterb', Mutter, ich werde ganz gewiss sterben!«

»Gesund wirst du, Kind, wirst gesund, hab' keine Angst. Der Herr Jesus und die Czenstochauer Muttergottes werden dir beistehen, dann wirst du es schon wieder.«

»Ich werde sterben, Mutter, ich fühl' das schon, Mutter ... ich geb' schon die letzte Kraft dran, Mutter ... Die Knochenfrau kommt schon bald ...« klagte er mit einer schwachen Stimme und die Tränen flossen über seine hohlen Wangen.

»Holt mir den Priester, Mutter ... Der Mensch ist sündig, lass den Priester sich für mich bei unserem Herrn Jesus verwenden ...«

Die Mutter beruhigte ihn mit eindringlichen Versicherungen, dass er bald besser würde, obgleich ihr Herz vor Schmerz wütend hämmerte und vor lauter Angst und Qual zu springen drohte.

Er glaubte ihr nicht mehr und wollte es nicht einmal glauben, denn schon spürte er die Todesmattigkeit in allen Gliedern.

»Was soll ich hier noch leben ... wenn sie mich greifen würden, brächten sie mich doch gleich wieder ins Zuchthaus ... Ich kann es nicht mehr, Mutter, ich halt' es dort nicht aus, nie und nimmer! ... Und wenn sie mich doch wieder einsperren, dann häng' ich mich auf oder tu' mir sonst was Böses an ...«

»Mein Einziger, meine arme Waise, mein lieber Bursche! Wirst doch deine alte Mutter nicht allein lassen, wirst mich arme Waise nicht zurücklassen ...« jammerte sie, schlang ihre Arme um ihn und benetzte ihn mit den bitteren Tränen ihrer Verzweiflung ...

»Ich fühl' mich schlecht, Mutter ... ah, so schlecht ...« klagte er leise und verfiel wieder in einen Halbschlaf, der voll jäher Ängste und Fiebergesichte war ...

Sie verbrachte die ganze Nacht unter grössten Ängsten an seinem Bett, denn es war ihr jeden Augenblick, als ob er schon wegstürbe, sie schloss ihn in ihrer Verzweiflung in ihre Arme, presste ihn an ihre Brust, wärmte seine erstarrenden Glieder mit der Wärme des eigenen Leibes, verlor fast die Besinnung in ihrer Verzweiflung, und als es zu grauen anfing, warf sie sich zu Boden, breitete die Arme aus und mit einer Stimme, die voll Klagen, Bitten, inbrünstigen Betens und tiefsten Herzeleids war, flehte sie zu der heiligen Jungfrau um Erbarmen.

Vor dem Fenster stand noch die finstere Nacht und der Regen klirrte unaufhörlich gegen die Scheiben, während ein grünliches Dämmerlicht die Stube mit einer hoffnungslosen Trauer und Verlassenheit erfüllte, als Jaschek von seinem Lager aufschnellte und mit lauter Stimme zu rufen anfing:

»Den Priester! den Priester! ...« Starr sank er darauf in die Kissen zurück ...

Die Winciorek hatte kaum den vollen Tag erwarten können, sie liess die Tekla beim Kranken zurück, griff ein Huhn von der Hühnerleiter und begab sich eiligst nach dem Pfarrhof.


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