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Die Sonne die ist auferstanden,
Preist Dich Himmel, Meer und Land.
Sei gelobt! singt jedes Wesen,
Grosser Gott, ich bin genesen!
Jaschek hob den Kopf aus den Kissen und hörte aufmerksam zu, die Stimme kam aus nächster Nähe, als sänge jemand hinter der Tür. Er sah sich um, konnte jedoch nichts unterscheiden, nur das Frühlicht sickerte durch ein kleines Fensterchen, das in die Wand eingelassen war und von dem sich ein schwacher Schimmer allmählich in der Kammer ausbreitete. Er sank auf sein Lager zurück; wo er sich befand, wusste er nicht, er entsann sich auch keiner Einzelheiten.
Sei gelobt! singt jedes Wesen,
Grosser Gott, ich bin genesen!
»Mutter!« murmelte er ganz in das Anhören des Kehrreims vertieft, und so lag er nun still, ganz atemlos, mit Augen, die sich ins Dunkel bohrten, und folgte gänzlich hingenommen, nicht mit der eigenen Stimme, aber mit der Bewegung seiner Lippen diesem Gesang, während ihm die Tränen einer seltsamen Seligkeit langsam über das Gesicht rannen ... Er merkte nicht einmal, wann das Singen aufhörte und eine Tür geknarrt hatte.
»Fühlst du dich besser, mein Söhnchen?« raunte eine Stimme über seinem Haupt.
»Mutter! ...« konnte er nur hervorpressen, »Mutter! ...« und griff nach der Hand, die ihm liebkosend über das Gesicht gestrichen hatte, so verharrte er lange in einem Zustand hilfloser Seligkeit.
Die Alte streichelte immer wieder voll zärtlicher Liebe sein schweissiges Haar und seine Wangen.
»Still, mein Söhnchen ... still, Armer ... still ...« Sie konnte nicht weiter sprechen vor Rührung und deckte ihn nur, als er in Schlaf gesunken war, aufs sorgfältigste zu, worauf sie in die Stube zurückkehrte. Sie sah durchs Fenster hinaus, trat vors Haus, um über die noch im Dunkel daliegende Dorfstrasse ihre Blicke schweifen zu lassen, und kehrte wieder zurück, setzte sich auf einen Schemel vor der Herdstelle und warf trockenes Reisig aufs Feuer. Auf dem Herd selbst, der mit Töpfen vollgestellt war, flammte ein heller Flackerschein und warf ein goldiges Licht in die Stube, über die sauber geweissten Wände, an denen sich Reihen von Heiligenbildern dunkel abzeichneten, und über das schwarze Gerippe des Webstuhls, der am Ostfenster stand und mit Garn wie mit Spinnweben umsponnen war.
Tekla, die Beisassin der alten Winciorek, hockte auf dem Boden vor dem Feuerherd und schabte Kartoffeln, das Morgengebet vor sich hermurmelnd, und ein grosser gefleckter Hund hatte sich mitten in der Stube ausgestreckt und knurrte aus dem Schlaf heraus ein dickes, rundes Ferkel an, das sich in allen Ecken zu schaffen machte, immer wieder seinen stumpfen Rüssel in einen der auf dem Boden vor dem Feuerherd stehenden Töpfe steckte, der Tekla Kartoffeln aus dem Korb stahl, ausgelassen aufquiekte und den Hund zu necken versuchte.
»Still da, Kroppzeug, oh! ...« rief Tekla ein ums andere Mal.
Im übrigen herrschte Ruhe im ganzen Haus. Das Feuer prasselte lustig, und laut hörte man das im Topf kochende Wasser brodeln.
»Die Hähne krähen, sicher gibt es Witterungswechsel!« bemerkte Tekla knurrig.
Tatsächlich Hessen sich im ganzen Dorf die Hähne einer nach dem anderen vernehmen.
Die alte Winciorek antwortete nicht, sie war im Begriff in die Schlafkammer zu gehen; da aber plötzlich auf dem hartgefrorenen Weg draussen das Stapfen von Holzklumpen hörbar wurde, kehrte sie wieder auf ihren alten Platz zurück. Mit einem lauten Türenknallen in einer Wolke von Dampf kam ein schlankes Mädchen mit einer Beiderwandschürze über dem Kopf in die Stube gerannt, sie bot Gott zum Gruss und versuchte ihre Hände am Feuerherd zu wärmen.
»Bäuerin, könnt Ihr uns ein Laib Brot borgen. Wenn Mutter morgen backen wird, dann bringe ich Euch eins wieder. Die Burschen fahren mit dem Holz nach der Sägemühle und zu Hause ist keine Rinde mehr übrig,« redete sie schnell.
»Welche fahren denn?« fragte die Tekla.
»Der Walek und der Michael! Wer sonst!«
»Bleiben der Vater zu Hause?«
»Versteht sich, der hätte gerade Lust dazu! ... Er sagt, dass er nach dem Amt muss ... aber das sagen sie bloss so, weil sie unter dem Federbett liegen bleiben wollen ...«
Sie setzte sich auf den Herdvorsprung, liess die Beiderwandschürze auf den Rücken herabgleiten und plapperte weiter:
»Wisst ihr's schon? ...«
»Was sollt' es sein? ...«
»Die Martine hat sich mit der Gschelowa geprügelt ...«
»Du lieber Jesus! geprügelt? ... Martine und die Gschelowa!« rief Tekla ein übers andere Mal.
»Das ist so, gleich nach der Vesper. Die Martine hat gesagt, dass die Gschelowa ihren Kühen Milch abgemolken hat. Und die Gschelowa hat gesagt: selbst bist du ein Dieb und eine Sau! Und die Martine hat ihr eins mit dem Wockenstock über den Kopf gelangt, die Gschelowa ist darauf mit einem Waschholz auf sie losgestürzt und die Martine hat sie bei den Zotteln zu fassen bekommen ... Sie haben sich wie die wilden Tiere zugerichtet, dass sie zuletzt die Männer auseinanderreissen mussten ... Sie gehen ans Gericht und haben gesagt, dass sie mich als Zeugen angeben wollen ...«
»Du musst die reine Wahrheit vor dem Gericht zeugen,« bemerkte die alte Winciorek.
»Versteht sich, was Unrecht ist, das ist schon Unrecht. Na, die Martine hat ja eine Beule am Kopf, so gross wie eine Semmel und die Gschelowa hat ein ganz zerschlagenes Maul und ein blau angelaufenes Auge. Ich werd' schon die reine Wahrheit zeugen.«
»... Mit dem Wockenstock hat sie sie geschlagen und die Gschelowa sie mit dem Waschholz! Du mein Jesus! Sag' doch bloss, Dirn, wie ist das zugegangen? ...«
»Euer Kind schreit!« bemerkte das Mädchen.
»Das soll ihm bekommen, lass es ein bisschen herumzirpen! ...«
Es trat wieder Stille ein nach dem Fortgang des Mädchens und das Weinen eines Kindes liess sich jetzt deutlicher hören, es drang von der anderen Hausseite herüber, aber die Tekla beachtete es nicht, sie spülte die Kartoffeln mit einer energischen Gebärde und redete zwischendurch leidenschaftlich weiter, wobei sie immer wieder ihre lange, hagere Gestalt gerade reckte:
»Brot brauchen sie, die Pestigen! Sieh einer das arme Volk! Ohne Borgen können sie nicht leben ... Krätzige Hofbauern ... Aaszeug ... Und wenn ein Armer was brauchen sollte, dann könnte er ruhig unterm Zaun verrecken – keiner gibt ihm auch nur einen Tropfen Wasser! Dass ihr alle verreckt, wie die Hunde! ... Das Brot bläht sie auf, da müssen sie sich mit Wockenstöcken und Waschhölzern prügeln. Euch kommt der Herr Jesus schon bei, Aaszeug, das ist gewiss ...«
»Ihr redet dummes Zeug, das ist alles!« knurrte die Winciorek.
»Versteht sich! Ich rede dummes Zeug! Hätte meiner nicht auch jetzt unter dem Federbett sich rekeln können oder Holz fahren und ein paar Silberlinge verdienen, könnte er das nicht? Alle sitzen in ihren Häusern, und meiner? wo muss der nun abbleiben?«
»Er hätte auch zu Hause sitzen können, warum hat er die herrschaftlichen Pferde den Dieben herausgegeben ...«
»Herausgegeben! versteht sich, dass er sie herausgegeben hat! Hab' ich vielleicht nicht genug auf ihn eingewettert! Aber was sollte der Arme tun? ... Ein Hofbauernsohn war er, hätte auf eigenem Grund und Boden sitzen können, auf fünfzehn Morgen wenigstens ... und dienen hat er müssen. Sie hat ihn benachteiligt, die Teufelsbande von Familie! Wer hat ihn zum Schlechten überredet? Die pestigen Brüderlein wollten ihn los sein, damit er den Prozess nicht gewinnt ... Und jetzt bellen alle Hunde auf ihn: der Tomek ist ein Dieb ... Der Tomek ist ein Dieb! Aasvolk! Verdammtes Hundepack!« schrie sie schon ganz leidenschaftlich und brach aus lauter Herzenskummer in lautes Geheul aus.
Sie redeten nicht mehr, das Kind weinte nun auch immer leiser.
Hinter den Fenstern hörten sie einige Wagen über die Erdschollen der hartgefrorenen Dorfstrasse einherpoltern und Menschenstimmen klangen deutlich durch die hellhörige Frostluft.
»Man redet im Dorf, dass hinter dem Fluss zwei Diebinnen sitzen! Dass ihnen der Herr Jesus dieses nicht einmal vergelten muss!« murmelte die Winciorek mit tränenerstickter Stimme.
Tekla, die sich auf einen Augenblick entfernt hatte, kehrte bald mit ihrem Kindlein wieder, setzte sich vor dem Herd zurecht, steckte ihm die magere Hängebrust in den Mund und sagte:
»Das ist nur zur Hälfte wahr ... denn Euer Jaschek hat doch nicht gestohlen ...«
»Aber für drei Jahre haben sie ihn ins Zuchthaus gesteckt ...« entgegnete die Winciorek mit gedämpfter Stimme.
»Weil es keine Gerechtigkeit in der Welt gibt, nicht gegeben hat und nicht geben wird!«
»Es wird schon einmal der Herr Jesus kommen, der wird dann einem jeden Gerechtigkeit verschaffen ...«
»Hale, wart' einer so lang, bis die Wölfe die Stute auffressen werden ...«
»Redet nicht so was ... das ist Sünde ... dem Herrn Jesus seine Gerechtigkeit, das ist keine menschliche ...«
Sie setzten sich schweigend zum Essen nieder und das Feuer, das nicht weiter gespeist wurde, begann allmählich zu erlöschen; das Morgenlicht liess nun die Scheiben bläulich erschimmem und quoll als rosige Helle in die Stube.
Nach dem Morgenessen setzte sich die Winciorek an ihre Arbeit und begann langsam und gewohnheitsmässig auf dem Webstuhl ein buntes Stück Beiderwand zu weben.
Die Sonne hob ihr rotes Haupt aus dem Schoss der Wälder und überschüttete die rauhreifweisse Erde und die Bäume mit einem solchen Glanzgefunkel, dass einem schon die Augen beim blossen Anschauen weh taten.
Die alte Winciorek hielt das Haupt gebeugt, blinzelte mit den Augen gegen das Licht, hörte jedoch nicht auf zu arbeiten. Der rosenrote Glanz der Morgenröte übergoss ihr mageres, mit zahlreichen Leidensspuren gezeichnetes Gesicht; weisse Haarsträhnen stahlen sich unter dem roten Kopftuch hervor, das sie über ihrer gelblichen, faltigen Stirn gebunden trug. Der eingefallene, bläuliche Mund zitterte im Gleichtakt mit den Bewegungen ihrer Hände, die den Webekamm führten. Das immer wieder ausgewechselte Weberschiffchen, denn sie webte mit verschiedenfarbenem Garn, zwängte sich surrend durch das Gewirr des grauen Leinengarns, das den Grund abgab. Sie nickte dabei gleichmässig, wie ein Automat, während der Webstuhl hart und trocken klapperte; sie war ganz in ihre Arbeit vertieft und hielt nur ab und zu inne, um den Kopf gegen den Webstuhl zu stützen, auf die Geräusche in der Schlafkammer zu lauschen und bitter vor sich hinzubrüten.
– Lieber Jesus! Allerheiligste, süsse Jungfrau! Vor dreissig Jahren war es gerade so! ganz dasselbe! – sann sie mit unaussprechlicher Bitterkeit, und obgleich ihre Hände mit Arbeit beschäftigt waren, umfassten die Augen eine lange verflossene Vergangenheit, die so schmerzlich war, dass sich ihre Seele bei dem blossen Gedanken daran zusammenkrampfte und die Augen sich mit Tränen verschleierten. – ... Dreissig Jahre waren es her, da ist Ihrer mit dem jüngeren Gutsherrn in die Wälder gezogen ... Hingegangen war er dahin, um mit dem Herrn gemeinsam Krieg zu führen, war er doch ein guter Schütze, grad wie der Jaschek ... Ein Zittern überkam sie bei der Erinnerung an diesen Ausgang und all die Gedanken an die bange Sorge, an das vergebliche Suchen nach dem Vermissten im Walde ... und die unaussprechlichen Qualen der Angst erwachten so lebhaft in ihrer Seele, dass sie den Kopf auf den Webekamm stützte und ganz verloren durchs Fenster zu starren begann; ihre Augen irrten über die waldbewachsenen Hügel, über das Ackerland, über das die jungen Halme der Wintersaat einen silbernen Rauhreif gesponnen hatten, über die ganze von Sonnenlicht rosige Welt, die so hell und so still war ... Wie gut entsann sie sich jener Vergangenheit, wie gut ... Plötzlich zuckte sie zusammen, ein fernes Gewehrknattern war in ihrer Seele erwacht! Ganz so war es damals zur Frühlingszeit gewesen, gerade dasselbe Tauwetter tagsüber und dann immer wieder die Nachtfröste. An einem Morgen, gerade wie heute, hatten sie den Ihrigen heimgebracht ... Sie entsinnt sich noch der blutigen, zerfetzten Kleidung! ... In derselben Schlafkammer hielt sie auch ihn versteckt und verteidigte ihn gegen den Tod ... Sie hatte ihn wirklich gerettet... Und wozu! O Jesus, süsser Jesus! Tränen furchten sich den Weg über ihr tief niedergebeugtes Gesicht ... Weit in die Fremde hat man ihn dann fortgeschleppt, und niemals sah sie ihn wieder! ... Gewiss ist er dort, im Feindesland gestorben und begraben. – sicherlich nicht einmal in geweihter Erde! ... Ein solcher Schmerz packte sie in tiefster Seele, dass sie die Hände ineinanderflocht und, die verweinten Augen auf die Heiligenbilder gerichtet, heiss und flehentlich zu beten begann, aber ihre Gefühle und ihr Bewusstsein hatten sich derartig verwirrt, dass sie, für ihren Mann betend, um die Genesung ihres Sohnes flehte ... Sie ging dann in die Schlafkammer, um zu ihm einzusehen.
Auf einer mit Kissen und einem Federbett bedeckten Pritsche lag Jaschek.
Durch das kleine Scheibchen in der Wand fiel etwas Licht ins Innere und legte sich wie ein umflorter Schein auf das Gesicht des Kranken. Jaschek war todkrank. Die Flucht, die Wunde, die Erkältung, die ausgestandenen Ängste – alles hatte ihn dermassen entkräftet, dass er kaum atmen konnte. Die Mutter verlor dennoch die Hoffnung nicht. Sie wollte ihn pflegen, so gut sie es konnte und verstand, verteidigen wollte sie ihn gegen den Tod mit ihrer ganzen Liebe und Verzweiflung, da sie aber wusste, dass sie diese Pflege, sowie seinen Aufenthalt vor den Augen der Menschen versteckt halten musste, so verbiss sie sich in sich selber, raffte ihre ganzen Kräfte zusammen und schickte sich an, ihn zu verteidigen, gegen seine Krankheit anzugehen, gegen die Neugierde des Dorfes, gegen die Angst, die unaufhörlich über ihnen schweben würde ... Sie hatten ihr schon ihren Mann und soviel Glück geraubt, hatten ihr genug Tränen entrissen, dass sie von diesem geliebten Einzigen nimmer lassen wollte ... und sollte sie es mit ihrem eigenen Leben bezahlen müssen ... abgeben würde sie ihn nicht wieder ...
»Jaschek! mein Kind!« murmelte sie und beugte sich behutsam über ihn.
Jaschek schlug die geistesabwesenden Augen auf, etwas wie der Widerschein eines zärtlichen Lächelns huschte über seine fiebertrockenen Lippen und abermals versank er in seine Schlaftrunkenheit.
Sie steckte das Federbett um seinen Körper fester, legte ihm den bewusstlosen Kopf bequem zurecht, und nachdem sie das Scheibchen verhangen hatte, damit ihn das Licht nicht störe, kehrte sie an ihre Arbeit zurück.
Aber sie konnte nicht schaffen, ihre Hände zitterten, alles verdarb ihr unter den Fingern, es fehlte zuletzt auch noch an bunter Wolle in den Weberschiffchen, so ging sie denn lieber an die Besorgung der Wirtschaft. Viel Gut hatte sie nicht. Sechs Morgen Ackerland, eine kleine Scheune, ein Kuhstall, ein leichter Bretterschuppen, der als Schweinestall diente, zwei Kühe, das Mutterschwein mit dem Frühwurf, ein paar Gänse, welche schon zu legen begonnen hatten, an die zwanzig Hühner und Enten – das war die ganze Herrlichkeit. Überall jedoch herrschte mustergültige Ordnung, war ständige Mühewaltung und Pflege zu sehen.
Die Winciorek fütterte gerade ihre Gänse an der Stubenschwelle, als auf dem Brückensteg der dumpfe Klang von Schritten hörbar wurde, sie hob die Augen und gewahrte durch die Äste der kahlen vor dem Hause wachsenden Bäume eine Frau, die rasch auf sie zukam.
»Winciorkowa!« rief diese schon von weitem, jenseits der Steinmauer der Umfriedung stehen bleibend: »He, Winciorkowa, lauft schnell nach dem Sulkabauer, die Magda wird jeden Augenblick niederkommen.... Schon seit Morgengrauen schreit sie in einem fort, sie werden ohne Euch nicht zurechtkommen können....« Sie wandte sich um und verschwand bald in den Heckenwegen des Dorfes.
Die Alte aber, die sich ein bisschen auf Krankheiten auskannte, auch als Hebamme und in allerhand anderen Dingen ihren Teil abwusste, kehrte rasch in die Stube zurück, sah bei Jaschek ein, stellte ihm auf der Bank neben der Pritsche einen Trank zurecht, zog schnell etwas über und rannte ins Dorf. Es war ihr nicht ganz recht, dieses tun zu müssen, denn der Kranke blieb ohne Aufsicht zurück, aber rennen musste sie schon. Wer sollte der Frau helfen? Die Ärzte vielleicht? Versteht sich; kannst gleich die Kuh verkaufen und das wird zuletzt nicht einmal reichen ... Und dann ... sie hört vielleicht etwas unter den Leuten im Dorf ... ob man nicht etwa schon von Jaschek redet ... behutsam ausfragen wird sie hier und da ... Sie beschleunigte ihre Schritte und eilte an den Steinumfriedungen entlang, auf denen Hartriegelbüsche wuchsen. Ihre langen Zweige hingen wie Peitschenschnüre tief zur Erde und legten sich stellenweise über den Fusssteg, wo sie hier und da von Vorübergehenden in den Strassenkot hineingetreten waren.
Das Dorf lag zu beiden Seiten der Strasse unter dem Schutz mächtiger Pappeln, die in einer langen, etwas nach Westen vorgebeugten Doppelreihe dastanden. Die niedrigen, strohgedeckten und grünbemoosten Hütten hockten im Hintergrund schmaler Obstgärten, voneinander durch die Heckenwege der Einfahrten getrennt. Fast jede hatte ein auf den Wirtschaftshof zuführendes Tor von althergebrachter Bauart, das mit einem Dächlein versehen war, unter dem auf Goldgrund die Heiligenbilder schimmerten. Die Steinumfriedungen zogen sich an den tiefen Gräben entlang und bildeten um die Häuser und Gärten graue Einfassungen. Die breite Dorfstrasse war ein einziger frosterstarrter Morast voll eisbedeckter Pfützen; an den Steinmauern, in den Obstgärten und auch in den Gräben lagen noch ganze Haufen schwärzlichen Schnees, in dem sich die Dorfhühner zu schaffen machten. Der frohe Stimmenlärm eines sonnigen, trockenen Tages hallte von einem Ende des Dorfes zum anderen herüber. Scharen barfüssiger, mit Holzklumpen bekleideter Dorfkinder glitschten auf dem Eis der Gräben und Pfützen um die Wette und hier und da, vor den Behausungen und in den Heckenwegen standen die Bäuerinnen und unterhielten sich laut miteinander. Von den Hinterhöfen und Gärten klangen die Axtschläge der Holzarbeiter herüber. Zwischen den kahlen Ästen der Obstgärten hindurch sah man hier und da die Brettschneider sich beim Sägen hin und her wiegen. Hin und wieder wurde Wagengeroll laut und von den Wirtschaftsgebäuden des Herrenhofes kam ganz von weitem das Rattern der Dreschmaschine herüber; die Kühe brüllten in ihren Ställen wie im Vorgefühl des nahenden Frühlings und die Gänse rannten in Scharen aus den Umfriedungen und versuchten unter lautem Geschnatter auf die Felder zu entkommen. Der Tag war herrlich, die Sonne schien hell und warm, also kamen auch die Menschen aus ihren Häusern heraus, um sich hier und da an den Wänden im Licht zu wärmen.
Die alte Winciorek beschleunigte ihre Schritte, man begrüsste sie überall freundlich aber auch mit einer gewissen Zurückhaltung, denn sie wurde etwas gefürchtet, da sie doch eine war, die sich in allerhand heimlichen Dingen auskannte: wenn eine Frau ins Wochenbett kam, wenn sich einem der Weichselzopf zusammenklettete, ging es um ein krankes Vieh oder um ein Kind, das sich inwendig verschoben hatte,Bäurischer Aberglaube von einer inneren Krankheit, gegen die nur ein Abmessen des Kranken oder Besprechungen seitens Heilkräftiger helfen könnten. oder hatte irgendwen ein toller Hund gebissen – für so etwas war sie eine Heilkundige, wie es sich gehört. Ganz im geheimen aber sprach man untereinander, dass ihr ein böser Blick zu eigen war, weil sie doch den Jungen von dem Jendrek für die Birnen, die er ihr gestohlen, so angeschaut hatte, dass er den ganzen Winter über in einem fort Reissen in den Knochen gefühlt hat; auch dass sie die Milch besprechen konnte und was noch alles ... man wusste da schon manches und vielerlei, das war sicher. Da sie sich aber mit dem Pfarrer gut stand, die Kirchenwäsche wusch, zur frommen Brüderschaft gehörte, und wenn es mit einem zum Sterben kam, keiner wie sie besser die Totengebete und -gesänge oder auch die Totenklage beim Totenmahl verrichten konnte, – so gab es niemanden, der ihr auch nur ein böses Wort nachgeredet hätte. Sie war dabei eine ruhige, stille Frau, arbeitsam und fromm. Des Morgens, schon vor Tagesanbruch und abends nach der Abendmahlzeit hörte man aus ihrem Hause fromme Gesänge schallen und was schon den Acker anbetraf, so bearbeitete den selbst der tüchtigste Hofbauer nicht besser.
»Eine kluge Frau,« redeten die Alten, wenn sie von ihr sprachen.
»Aber rein wie ein Brummkater und schaut dazu die Leute an, dass auch die Gutsherrin es nicht besser könnte.«
»Weil sie doch in einem fort auf dem Pfarrhof sitzt, darum ist sie so eine Herrische.«
»So eine Kluge, so eine Herrische, und der Junge sitzt im Zuchthaus.«
»Wenn du dem Guts Verwalter so mit der Heugabel über die Rippen gefahren wärest, würdest du noch fester zu sitzen kommen.«
So redeten die Leute über sie untereinander: sie wusste es wohl und lächelte von oben her darüber.
»Dazu hat doch jeder seinen Verstand, dass er auf seine Weise sich was ausdenkt,« entgegnete sie einmal ihrer Beisassin, der Tekla, als ihr diese erzählt hatte, was von ihr geredet wurde.
Das ging sie ganz und gar nichts an, aber jetzt, als sie bei ihrem Gang durch das Dorf merkte, dass die Leute miteinander hinter ihr dreinflüsterten, oder aber ihr von den Behausungen oder von der Dorfstrasse her Menschenstimmen zuflogen, verlangsamte sie ihre Schritte und fing gierig die Worte auf, denn es schien ihr immer wieder, als ob sie alle über ihren Jaschek sprächen. –
Sie konnte jedoch nichts heraushören und musste schliesslich, ohne dass es ihr gelang etwas auszukundschaften, den Hof des Sulkabauers betreten.
Die Stube war voll älterer Weiber, am Fenster aber sass der Mann – ein stämmiger junger Kerl – und schnitzelte an einem Dreschflegel, die Arbeit glitt ihm aber immer wieder aus den Händen, denn aus der anliegenden Schlafkammer drang das unmenschliche Schreien einer Gebärenden in die Stube; er konnte keinen Augenblick auf seinem Platz sitzen bleiben, versuchte immer wieder an die Schlafkammertür heranzutreten, um dort hineinzugehen, da ihm die Winciorek dieses jedoch nicht erlaubt hatte, trieb er sich ratlos in der Stube herum, und weil er ein Mann war, der sein Herz auf dem richtigen Fleck hatte, so wischte er daher immer wieder mit dem Schoss seines Kapottrocks über die feuchte Stirn und. die nassen Augen. Die Weiber aber, die sich am Herd breit gemacht hatten, wo schon der Krupnik stand, machten sich ab und zu über seine Qual und Unruhe lustig.
»Brauchst keine Angst zu haben, Walek, der Magda wird schon nichts geschehen. Das ist nur so bei dem Ersten, wie bei dem ersten Topf, den einer in Scherben schlägt, das wird man sachte gewohnt.«
»Ich habe meine zehn gehabt, und es ist gegangen, wie wenn einer Nüsse knackt.«
»Du hättest ihr das abnehmen sollen, Walek, wenn du so 'n weiches Herz hast. Hättest du nicht erst den Anfang gemacht, dann gäb' es jetzt kein Geschrei!«
»Hale! Glaubt ihm das nicht. Mitleid von einem Mannsbild ist grad so viel wert wie Hundeweinen!«
»Seid mal ruhig, Frauen. Die Arme schreit aus dem letzten und ihr bleckt hier die Zähne.«
»Das tun wir dir zu Gefallen, eine Frau hast du jetzt so gut wie gar nicht, dann kann dich irgend eine andere zu sich unters Federbett nehmen.«
»Der hat genug unter den Federbetten der Mädchen geschlafen, das ist einmal sicher!«
Mit einemmal schwiegen sie alle, denn in der Schlafkammer wurde es plötzlich ganz still. Tomek rannte hinein und nach einer Weile tauchte die Winciorek in der sperrangelweit geöffneten Tür auf und hielt ein in Leinentücher gewickeltes Bündel im Arm.
»Sag' dem Herrn Jesus deinen Dank, Walek, du hast einen Jungen jetzt.«
Der Walek aber war wie geistesabwesend vor Freude; er nahm das Kind auf seinen Arm und beschaute es staunend am Fenster.
»So 'n Fratz, Herrgott, das ist ja das reine Katzenjunge!« rief er ein ums andere Mal und konnte sich nicht an dem Menschenkindlein satt sehen, das kaum einen Laut von sich geben konnte, wie ein soeben aus dem Ei geschlüpftes Vögelein.
»Darauf müssen wir gleich einen trinken,« rief er mit einemmal und reichte der Winciorek das Neugeborene zurück.
»Wartet ein bisschen, das Kind ist die Hauptperson, man muss ihm die nötige Ehre angedeihen lassen!« Sie griff nach dem Schnapsglas, sprengte ein paar Tropfen des Getränks an drei Stellen der Stube aus und liess sich feierlich vernehmen:
»Dieses für Herrn Jesus, dieses für dich, dieses für deine Eltern!« Sie schob das Glas an die zusammengekrampften Sauglippen des Kindchens, da es sich aber sofort verschluckte und zu schreien anfing, trug sie es zu der Mutter mit dem Rest des Schnapses hinein.
Walek rannte indessen immer wieder in die Schlafkammer, küsste die Frau, besah sich den Jungen und kehrte zu den Gevatterinnen zurück, um ihnen freudig zuzutrinken. Alsbald wurde auch Met aufgetischt, da es aber in der grossen Fastenzeit war, assen sie nur Brot, Käse und alten Quark dazu. Nur für die Kranke wurde ein Huhn gekocht, da der Pfarrer einen »Dispens« erteilt hatte.
Immer wieder trat irgend ein neuer Besucher ein, so dass die Stube bald voll von Menschen und Stimmenlärm wurde und die Winciorek die Leute beschwichtigen musste, denn die Wöchnerin wollte schlafen.
Es war ihnen schon allen wohl und herzlich brüderlich zumute, als der Schultheiss erschien.
»Kindstaufe will das Aas hier feiern, ohne die Beamten, ha?« rief er gleich von der Schwelle.
»Trinkt mir gleich Bescheid, dann holt Ihr uns noch ein!«
»Ho! ho! Herr Schultheiss, der hat in allem guten Schick, der wird uns auch beim Trinken überholen.«
»Die Matzkowa, sieh mal an! Die Leute reden, der Mann hätt' ihr alle Zähne ausgeschlagen, und sie hat doch noch einen übrig behalten.«
»Lass du mich in Ruh'! Sieh einer bloss diesen Klugschnacker an!« schrie sie ihn beleidigt an.
»Wer sollt' Euch anrühren, höchstens denn mit einem Stecken und dann noch mit einem ordentlichen.«
Da aber die Matzkowa schon einen gehörigen sitzen hatte, ging sie auf ihn mit den Fäusten los:
»Wahr' du dich! Einer Hofbäuerin willst du zu nahe treten, du Landstreicher, du Judenknecht; kaum hat man mit den Gläsern geklimpert, da ist das Aas auch schon da ...«
»Ein Beamter bin ich! Merk' dir das, Frau,« liess er sich laut mit feierlichem Ernst vernehmen und reckte sich dabei.
Das machte auf die Matzkowa nicht den geringsten Eindruck, sie sagte ihm ein recht hässliches Wort darüber, was sie sich aus solchen Beamten machte, trank noch einmal der alten Winciorek zu, nahm ein Stückchen Käse für die Enkelkinder mit und trollte sich alsogleich.
Der Schultheiss spuckte hinter Ihr drein und machte sich mit besonderem Eifer an den Schnaps heran.
»Einen Jungen hast du, Walek, das ist was Feines. Ein Beamter bin ich, darum muss ich das wissen.... Ohne mich wäre er gar nicht da.«
»Er ist nun aber schon da!« wendete eine der Frauen ein.
»Alt seid Ihr, Marcinowa, aber der Herr Jesus hat Euch immer noch nicht zu Verstand kommen lassen Er ist da, sagt Ihr – wo ist er denn? In der Wiege, das ist so, als ob er gar nicht da wäre, so ein kleiner Wurm, denn es heisst doch bloss so, dass er da ist Ein Beamter sagt Euch das, versteht Ihr ... gleich will ich Euch das klarmachen: wem gehört so 'n Bäumlein im Wald? Wer hat ihn zur Welt gebracht, auf welcher Tabelle steht er, unter welcher Nummer, in welchem Buch, wieviel Grund und Boden stehen ihm zu, ist er gestellungspflichtig und wann, welcher Religion, ist er aus dem Bauernstand, wie?«
»Wie soll denn das zugehen? es hat sich Euch wohl der Kopf verwirrt, Schultheiss, was hat das mit dem Kind zu tun.«
»Das hat es schon, denn dem Walek sein Junge ist jetzt so gut wie jenes Bäumlein im Walde, an das der Mensch denken tut, das aber gar nicht da ist; wenn ihn aber der Beamte ins Buch eingetragen hat, wenn er in der Tabelle drin steht, wenn man ihn beschreibt und seinen Geburtsschein ausfertigt, wenn man ihn in das Standesamtsregister einträgt und dieses nach dem Amtsbezirk schickt, dann ist es erst richtig ein Junge. Ein Beamter sagt es Euch, versteht Ihr?«
Er redete noch eine ganze Weile, sie hörten aber nicht weiter zu, denn irgend einer hatte von den Leuten zu erzählen begonnen, die vor einer Woche nach Brasilien ausgewandert waren.
»Man spricht, dass, wenn es richtig Frühling wird, ganze Dörfer fortziehen sollen ...«
»Gestern ist den Adams ihr Jaschek auch fortgezogen.«
»Und in Wola haben drei Hofbauern ihren Besitz verkauft und ziehen fort.«
»Ins Verderben gehen sie bloss, in ihr eigenes Verderben, das Volk geht dabei zugrunde, das ist alles.«
»Das ist nicht wahr, Boden kriegen sie dort zugeteilt und auch Geld für die erste Bewirtschaftung.«
»Hale, von der Kanzel haben Hochwürden anders geredet.«
»Der Priester redet, wie es ihm passt, und wenn dir der Beamte was gesagt hat, sollst du glauben!« rief der Schultheiss, liess sich recht umständlich auf die Lade nieder, knöpfte seinen Schafspelz auf, denn es war ihm nach dem starken Krupnik heiss geworden, und fing mit einemmal an das Blaue vom Himmel über dieses Brasilien zu erzählen und es so auszumalen, dass den Leuten die Augen vor Verlangen aus dem Kopf traten und die Spucke beim Gedanken an all den Besitz zusammenlief.
»Wen will er hier beschwindeln, der Judassohn,« knurrte die Winciorek, da ihr aber kein Mensch Gehör schenkte und sie es auch nach Jaschek sehr eilig hatte, schlich sie sich unbemerkt zur Stube hinaus.
Es herrschte schon ganz tiefe Dämmerung draussen.
»Gelobt sei Jesus Christus,« liess sich mit einemmal eine Stimme aus der Dunkelheit vernehmen.
»Ah, Nastka! Nastuscha. In Ewigkeit, Amen,« entgegnete sie mit einer gewissen Bestürzung.
Sie gingen schweigend nebeneinander her, ohne zu wissen, was sie reden sollten.
»Was gibt es denn Neues?« fragte die Winciorek.
»Was soll es denn geben, nichts Besonderes.«
Wieder schwiegen sie.
»Der Lenz muss bald kommen. Es sollen auf den Wiesen hinter dem Kloster schon Störche gewesen sein.«
»Das ist wirklich wahr, ich habe sie selbst gesehen und ich wundere mich, dass sie schon so früh gekommen sind ...«
Die Alte hegte keinen Hass gegen Nastka, aber sie war es doch immerhin gewesen, um deretwegen der Jaschek den Verwalter mit der Heugabel gestochen hatte.... Keinen Hass hegte sie gegen das Mädchen, nur einen heimlichen Groll konnte sie nicht verwinden, die Nastka fühlte das schon, darum traute sie sich auch nicht zu reden, sie liess den Kopf hängen und versuchte im Gehen sich an die Winciorek näher heranzuschieben, um ihr in die Augen zu sehen. Sie war absichtlich vom Herrenhof herübergerannt und wartete auf sie vor dem Sulkahof, denn böse Träume quälten sie seit Tagen und sie hätte auch gar zu gern etwas über den Jaschek gewusst, traute sich aber jetzt nicht den Mund aufzutun, weil ihr etwas die Gurgel zusammenschnürte.
»Ist die Herrschaft zurückgekehrt?« fragte die Alte.
»Gestern, sie wollen aber bald ins Ausland reisen.«
»Die haben bloss das Reisen und Vergnügen im Kopf...«
»Sie können sich das leisten.«
»Ist schon wahr, ... schon wahr ...«
Nastka nahm sich ein Herz und fragte mit leiser, tränenerstickter Stimme:
»Wisst Ihr nichts?«
»Was ist denn?« fragte die Alte barsch, denn eine plötzliche Angst hatte sie gepackt.
»Ich habe, das ist wirklich wahr, schon drei Nächte nicht geschlafen, ohne dass er mir nicht in einem fort im Traum erschienen wäre ...«
»Brauchst dir um ihn keine Sorge zu machen. Durch dich geht er dort zugrunde, nur durch dich! Na, sei mal still ... ich sag' es nicht, weil ich dir böse bin. Versteht sich, du hast es nicht gewollt, du brauchst nicht zu weinen,« beruhigte sie das Mädchen, nachdem sie ihr Weinen im Dunkeln vernommen hatte.
»Kannst einmal zu mir einsehen,«, fügte sie noch hinzu, ehe sie voneinander schieden.
Nastka blieb eine Weile stehen, um auf das Haus der Winciorek zurückzuschauen, und verschwand darauf, leise vor sich hin weinend, auf dem Weg, der nach dem Herrenhof führte.
Ein Gefühl der Rührung hatte sich der alten Winciorek bemächtigt. Tekla war nicht in der Stube zugegen, von der anderen Seite des Hauses klang ihr eintöniges Singen herüber, mit dem sie das Kind einschläferte. Jaschek schlummerte noch immer, er wurde nicht einmal wach, als ihn die Mutter mit dem Schafspelz zudeckte, da es in der Schlafkammer kühl geworden war.
»Winciorkowa!« liess sich mit einemmal eine Stimme aus der Wohnstube vernehmen.
Angsterfüllt stürzte sie aus der Kammer heraus.
»Ich habe vergessen Euch zu sagen, dass die Gnädige befohlen hat, Ihr solltet morgen hinkommen, denn sie wollen Ordnung in den Zimmern machen.« sagte Nastka.
»Gut, ich werde kommen!« murmelte die Alte ängstlich und sah dabei das Mädchen so strenge an, dass diese, obgleich sie wohl schon Lust hatte, eine Weile sitzen zu bleiben, Gott zum Gruss bot und davonging.
Aber Jaschek war wach geworden.
»Wer ist hier eben dagewesen, Mutter?«
»Ih ... die Dirn von der Marcinowa ...«
» Hat sich was, Mutter, das ist doch die Nastka gewesen, sie war es, ganz gewiss!« sagte er mit fester Stimme.
»Dummes Zeug, was sollte die Nastka hier machen ...«
»Es ist nicht wahr, ich hab' sie schon nach der Stimme erkannt.«
»Trink was von der Medizin, das wird dir gut tun.«
Er trank aus und fühlte sich etwas erleichtert. Die Alte verband ihm die Wunde mit einem frischen Lappen und rieb ihm den Rücken mit einer Salbe ein. Er versuchte nun wieder zu sprechen.
»Sei still, mein Söhnchen, sonst wird dich noch einer hören.«
»Sie wohnt doch mit ihm auf Treu und Glauben?«
»Wer denn? Was spukt dir bloss alles im Kopf herum!«
»Die Nastka mit dem Verwalter ... Mir hat es einer am Zuchthaus erzählt,« sagte er.
»Die Menschen zigeunern einem immer was vor ...«
»Ich will ihn nicht stören ... mag er, auch dieser Metze werde ich kein Sterbenswörtchen sagen, nein,« flüsterte er mühsam hervor, in seinen Augen blitzte aber ganz anderes auf, Hass und furchtbare Verbissenheit.
»Bleib ruhig liegen, Kind ... werd´ erst richtig gesund, ... und wenn du wieder wohl bist, wird sich schon guter Rat finden, jetzt sollst du dir aber keine Sorgen in den Kopf setzen ... Bet' lieber, dass der Herr alles zum Guten wendet.«
Von der Dorfstrassenseite her begann plötzlich einer laut ans Fenster zu klopfen.
»Heiliges Wort Gottes!« rief sie, in die Stube stürzend.
»Winciorkowa! Ihr sollt morgen in die Kanzlei. Ein Papier ist wegen Eurem Jaschek gekommen!« schrie der Gemeindediener durch die Scheiben in die Stube hinein.
Obgleich die Tür nach der Schlafkammer angelehnt war, hatte es Jaschek gehört – und als die Alte wieder zurückkehrte, fand sie ihn im Hemd aufrecht stehn. Er war im Begriff, sich mit fieberhafter Eile und halb bewusstlos anzukleiden. »Ich geh' nicht ins Zuchthaus, schlagt mich eher tot, Mutter, ich will nicht,« rief er aus seinem Fieberanfall heraus.
»Jaschek, grosser Gott! Jaschek!« heulte sie verzweifelt auf und warf sich über ihn wie eine Wölfin; er verteidigte sich noch, aber bald hatte sie ihn überwältigt, sie legte ihn auf der Pritsche zurecht und musste lange bei ihm sitzen bleiben, denn er versuchte immer wieder aufzuspringen, schrie etwas und wollte fliehen ... er bildete sich ein, dass er auf der Flucht wäre und die Verfolger hinter ihm dreinjagten.
»Gebt mich nicht heraus, Mutter! steht mir bei ...« er presste sich eng an die Alte und umhalste sie, während heisse Tränen sein Gesicht netzten; er zitterte am ganzen Leibe und redete im Fieber vor sich hin, bis sie ihm schliesslich ein Getränk bereitete, nach dessen Genuss er endlich in einen tiefen Schlaf verfiel. –