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15. Kapitel.

Wochen waren vergangen.

Alle Blätter besprachen das Verbrechen in der Kurfürstenstraße; – es war der Hauptgesprächsstoff der Residenz. Die meisten hielten Konrad für den Geliebten der Gräfin und verurteilten ihn strenger als den Rächer seiner Ehre.

Endlich kam auch der entscheidende Tag.

Trotz der toten Saison war der große Schwurgerichtssaal mit dem elegantesten Publikum bis auf das letzte Plätzchen vollgefüllt; und so manche Vertreterin der großen Welt hatte ihren Aufenthalt in der Sommerfrische unterbrochen, nur um dieser aufregenden Verhandlung beiwohnen zu können. Namentlich das weibliche Geschlecht war zahlreich vertreten. Eifersuchtsdramen haben immer den Vorzug, das spezielle Interesse der Frauen zu erregen, noch dazu, wenn der Angeklagte ein hübscher Mensch und von gutem Herkommen ist. Schauspielerinnen, Varietégrößen und Halbweltdamen rissen sich förmlich um die Eintrittskarten, die im Handumdrehen sämtlich vergriffen waren.

Doch auch nicht das geringste Aufregende passierte während der ganzen Verhandlung. Beppo antwortete mit maßvoller Zurückhaltung auf die Fragen des Vorsitzenden und wußte seine Liebe, später seine Verzweiflung in den lebendigsten Farben zu schildern. Er war um so beredter, da seine Gefühle wirklich wahr und keineswegs geheuchelt waren. Er schilderte naturgetreu, was er alles in letzter Zeit erlitten hatte, indem er dabei allerdings verschiedene Momente mit Stillschweigen überging, von denen besser der Schleier nicht gezogen wurde. Auch vermied er, eingedenk der Ratschläge Friedas, jede Uebertreibung, sowohl bei seinen Selbstanklagen wie bei seinen Beschuldigungen Rosas. Er beklagte sich über sie mit Tränen in den Augen, zeigte sich aber nachsichtig gegen ihre Schwächen, und in ehrlicher Verzweiflung erklärte er, die begangene Tat aufs tiefste zu bereuen, die Tote mit verzweifelten Worten um Vergebung anflehend. Dieser wirklich ehrliche Ausbruch verfehlte nicht seine Wirkung sowohl auf den Gerichtshof als auch auf das Publikum.

Konrad hingegen erzielte – wenn man so sagen darf – einen großen Erfolg, namentlich bei den Frauen, durch seine vornehme Zurückhaltung und Diskretion, mit welcher er über seinen Rivalen sprach. Er blieb fest dabei, obwohl er nur ungläubigem Lächeln begegnete, daß er niemals der Geliebte der Gräfin, sondern nur ihr Freund gewesen sei. Er gab jedoch zu, daß die Anzeichen dagegen waren, und der Graf sich durch den Schein leicht hätte täuschen lassen können, so daß dessen Eifersucht nicht unbegreiflich gewesen war. Und das sagte er auch in vollem, gutem Glauben: sein Gewissen ließ ihn einen Mann schonen, der sich durch ihn verletzt wähnte und der infolge seiner Tat furchtbar gelitten haben mußte.

Die Sache verlief allem Anschein nach so gut, daß sogar der Staatsanwalt in Anbetracht der außergewöhnlichen Umstände geneigt war, weitgehende mildernde Umstände den Richtern ans Herz zu legen.

Der Gerichtshof war nach der fulminanten Rede des Verteidigers eben im Begriff, sich zu erheben und sich zurückzuziehen, um das Urteil zu fällen, als eine Stimme sich aus dem Zuschauerraum vernehmen ließ, die rief:

»Ach, bitte – erst möchte ich noch vernommen werden, und zwar wegen des ersten Verbrechens, das der Schuft begangen hat.«

Wie auf ein Kommando erhob sich alles von den Sitzen – die Operngläser wurden auf den Sprecher gerichtet, auf den bereits zwei Schutzleute zugestürzt waren, um ihn in den Zeugenraum zu bringen; doch der gedrungene, kräftig gebaute Mensch von unheimlichem Aussehen hatte sich einen Weg durch die Menge bereits gebahnt, um erhobenen Hauptes, in sicherer Haltung direkt auf den Richtertisch zuzugehen.

Eine lautlose Stille war eingetreten. Die Blicke aller waren auf den gerichtet, der in so dramatischer Meise die Sitzung unterbrochen hatte.

»Wiederholen Sie die Worte, die Sie eben gesprochen haben,« forderte der Vorsitzende den Unbekannten auf. »Der Gerichtshof hat sie nicht deutlich vernommen.«

»Ich habe gesagt,« erwiderte der Befragte mit sicherer Stimme. »daß der eben hier auf so glänzende Weise Verteidigte sich noch anderer Verbrechen schuldig gemacht hat.«

»Wer sind Sie, daß Sie es wagen, eine solche Behauptung aufzustellen?«

Es war, als bäumte sich sein ganzes Sein wider diese Frage auf. Doch sich gewaltsam bezwingend, sagte er dann klaren Tones:

»Ich bin der Vater seines letzten Opfers und heiße Calmus.«

Ein Schauer durchlief die Zuhörerschaft.

Einige Sekunden dauerte es, bis der Vorsitzende, der selbst eine gewisse Aufregung verspürte, weiterreden konnte:

»Von welchem Verbrechen wollen Sie da reden?«

Ohne Beppo anzublicken, streckte Calmus seinen Arm gegen ihn aus und antwortete, auf ihn deutend:

»Er war damals mein Helfershelfer bei dem Wilmersdorfer Morde … Mit seiner Hilfe habe ich damals den Hauptmann Meinert erdrosselt.«

Der ganze Saal, von fieberhafter Aufregung gepackt, hatte sich erhoben. Nur der Vorsitzende, der Staatsanwalt und die Geschworenen waren auf ihren Sitzen verblieben. Der Präsident fuhr, nachdem er einige leise Worte mit den Beisitzern gewechselt hatte, fort:

»Dann heißen Sie ja nicht Calmus, sondern Jagow.«

»Allerdings ist Jagow der Name, unter dem ich damals verurteilt wurde. Aber Calmus ist mein wirklicher Name, den damals mir zu entreißen und zu entdecken niemand imstande war.«

»Und weshalb haben Sie Ihren Namen verheimlicht?«

»Um meine Tochter, mein Kind, nicht zu kompromittieren … Aber jetzt ist sie tot,« fügte er düster hinzu. »und ich habe keine Veranlassung mehr, zu schweigen.«

»Wie kommt es, daß Sie hier sind?« fragte der Vorsitzende. »Waren Sie denn nicht im Zuchthaus?«

»Das allerdings. Doch vor zwei Wochen bin ich ausgebrochen.«

»Das stimmt,« liest sich ein Geschworener vernehmen. »Sein Steckbrief war ja überall veröffentlicht.«

»Nachdem ich mich mehrere Tage in Holstein herumgetrieben hatte, erfuhr ich durch die Zeitungen von der Ermordung meines Kindes. Ich reiste sofort nach Berlin, um wenigstens noch der Verhandlung beizuwohnen. Denn lebendig konnte ich ihn ja nicht mehr haben, diesen … Hund, diesen Verfluchten! Was Sie in diesem Prozeß für ein Urteil fällen wollen, weiß ich nicht. Aber für mich handelt es sich nicht um diesen, sondern um das Verbrechen in Wilmersdorf. Darüber haben Sie noch nicht entschieden. Die jetzige Sachlage erfordert eine neue Verhandlung. Und bei dieser muß er verurteilt werden, so wie ich; denn er war damals schon Mörder. Das wird Ihnen ein anderes Bild von diesem Manne geben, der Sie« … er wies auf die Richter … »und Sie« … er wies auf das Publikum … durch beispiellose Verstellungskunst bis zu Tränen zu rühren vermochte. Weiß Gott, auf diesen Schüler kann ich stolz sein!«

Seine Stimme klang erstickt, als er von Rosa sprach, und zwei große Tränen blinkten in den Augen, die noch nie eine Träne vergossen hatten. Auch hatte er nach und nach seine gerade, regungslose Haltung verloren. Er schlug zu wiederholten Malen mit der flachen Hand auf die Balustrade, in die sich seine spinnenbeinartigen Finger krallten.

Und plötzlich auf Beppo sich stürzend:

»Meine Tochter! Dir hatte ich Sie anvertraut! Dir hatte ich sie gegeben! Und was hast du mit ihr getan? Erdrosselt hast du sie, du Hund! Hund! Hund!«

Immer näher, immer näher rückte er Beppo auf den Leib, die Arme drohend ausgestreckt, die Fäuste geballt, mit eingekrallten Fingerspitzen, als ob er ihm an die Gurgel springen und ihn dieselbe Todesart sterben lassen wollte, wie Beppo sie seinem Kind bereitet hatte. Er bot wirklich ein grausenerregendes Bild der Rache und Verzweiflung.

Entsetzt über diesen Ausbruch schrieen einige Frauen im Zuschauerraum auf – einige bekamen Ohnmachtsanfälle – doch sofort stürzten sich zwei Schutzleute auf ihn, um ihn festzunehmen und ihn an einer Gewalttat zu hindern.

Lächelnd, halb mitleidig wehrte er sie ab:

»Nur Ruhe, Ruhe! Ich bring' ihn nicht um … So rasch soll er nicht sterben … Im Gegenteil, ich will, daß er leiden soll … und zwar durch mich … Denn ich muß mein Kind rächen. – Nur um eines flehe ich Sie an, meine Herren Geschworenen: nicht zum Tode verurteilt ihn – nicht zum Tode! Sondern zu lebenslänglichem Zuchthaus! Denn leiden soll er und entbehren, der schwächliche Feigling und Mordbube, der an Reichtum und Schwelgerei gewöhnt war – an den Reichtum, den ich ihm – d. h. meiner Rosa – durch Mord erworben. Er hatte ja den Hauptmann nicht erdrosselt, sondern ich; doch den Schlüssel zum Hause hat er mir verschafft – in der Verkleidung des armen Müller, mit dem es bald zu Ende geht, wenn Sie ihn nicht freilassen. Schmiere hat er gestanden, auf seine Schultern bin ich gestiegen, um das Knarren der Treppe zu vermeiden und mich hinauf ins erste Stockwerk zu schwingen! Das hat er getan! Aber gemordet – hat er damals nicht! Und dafür soll er leiden, der Hund – dahinsiechen soll er und die Ermordete sehen, bis er wahnsinnig wird.«

»Nun schweigen Sie, bis ich Sie frage, Calmus,« befahl ihm der Vorsitzende strengen Tones.

Mit einem fast wehmütigen Lächeln, das mehr Mitleid als Achtung verriet, sagte er:

»Hoher Gerichtshof! Alle Achtung vor Ihnen und Ihrem Urteilsspruch! Aber heute – was wollen Sie mir denn heute noch tun? Ich lache heute über Sie und die ganze Welt. – Mich hat in meinem Leben nur ein Wesen interessiert, für das ich lebte, meine Tochter. – Jetzt ist sie tot! Was Kümmert mich das andere?« Nur eines will ich noch sagen: lassen Sie bald den Müller heraus! Ich möchte – wenigstens jetzt nicht mehr – schuld an seinem Tode sein!«

»Sie behaupten also, daß Müller unschuldig ist?« fragte der Vorsitzende.

Langsam und ernst und feierlich richtete sich Calmus empor, einen klaren, vollen, tiefgläubigen Blick zum Himmel werfend, und sagte voll tiefster, erschütterndster Ueberzeugung:

»Müller ist unschuldig. Das schwöre ich – und das ist wahr so wie ich den Hauptmann Meinert ermordet habe und der dort, der Mordbube, mir beigestanden hat. Und jetzt, meine Herren,« fügte er mit seinem ironisch-sarkastischen Lächeln hinzu. »will ich Sie nicht länger aufhalten. Einen kleinen Dienst habe ich Ihnen ja geleistet, indem ich Sie verhinderte, abermals einen Justizirrtum betreffs jenes Herrn dort zu begehen. Was mich betrifft, so sind Sie mir heute nicht mehr kompetent genug. Jeder gehört vor sein zuständiges Gericht. Der dort gehört Ihnen; ich aber gehöre heute einem andern. Und dem stelle ich mich.«

Ehe noch die Schutzleute ihm in die Arme fallen konnten, hatte Calmus einen kleinkalibrigen Revolver hervorgezogen und mit einem kalten, verächtlichen Blick an die Schläfe gesetzt.

Im nächsten Augenblick – nach kurzer Detonation – lag dieser Willensstärke, unbeugsame Mann, der nur die Liebe zu seinem Kinde gekannt hatte, entseelt auf dem Boden.

* * *

Was sich nun weiter entwickelte, das brauchen wir kaum dem Leser mehr mitzuteilen, denn das läßt sich erraten.

Beppo wurde auf die letzten Aussagen seines Schwiegervaters hin von neuem unter Anklage gestellt und zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt, während Müller sofort auf freien Fuß gesetzt wurde. Freilich bedurfte es noch einiger Formalitäten, die jedoch durch die Hilfe Konrads rasch geregelt wurden. Man hatte ursprünglich Müller noch als Gefangenen zum Zeugen im Prozeß gegen Beppo vorladen wollen, um ihn auch während des zweiten Prozesses noch als Untersuchungsgefangenen zu behandeln. Doch hatte Konrad die sofortige Entlassung des Vielgeprüften durchgesetzt.

Der Arme war sowohl körperlich als auch seelisch gebrochen. Deshalb hielt es Konrad für das beste, ihn zu bewegen, Berlin zu verlassen, an das ihn so schmerzliche Erinnerungen ketteten, und mit nach den Südseeinseln zu ziehen, insbesondere, da Frau Müller ihr junges Fräulein, das bald die junge Frau des Herrn Arnheim werden sollte, nicht mehr verlassen wollte. Konrad versprach ihnen auf seiner Besitzung eine entsprechende Stellung, die sie auch dankbar annahmen.

Gegen Anfang Mai fand die Hochzeit des jungen Paares in Hamburg statt. Man hatte es so eingerichtet, daß sie sich gleich den nächsten Tag nach der Südsee einschiffen konnten, damit es so aussah, als unternähmen sie unmittelbar nach der Kopulation ihre Hochzeitsreise.

Niemand war glücklicher, Europa zu verlassen, als Lulu Romanowski, die »gestorben wäre, wenn sie noch länger in dem Lande der Drosselkönige geblieben wäre,« wie sie sich in ihrer etwas überspannten Art ausdrückte.

Es erübrigt uns nur noch, einige Worte über die rote Frieda zu sagen.

Nach dem durch Calmus hervorgerufenen Zwischenfall aber hielt sie es doch für geratener, vorsichtiger als je zu sein. Sie lebte also in idyllischem Frieden mit ihrem Gatten, der ihr Obergärtner geworden war. Doch dieses tatenlose, zurückgezogene ländliche Leben an der Seite eines Mannes, der allerdings früher ihrem Stande angehört hatte, jetzt aber nicht mehr zu ihrer Welt gehörte, wurde ihr auf die Länge der Zeit langweilig und ging ihr auf die Nerven. Sie litt umsomehr darunter, als sie sich eine ganz andere, glänzendere Zukunft erhofft hatte, die ihr jetzt – nach Zusammenbruch der Firma Beppo & Eo. – ein- für allemal genommen war. Die Aussicht auf ein großes Vermögen war nun dahin, vorbei auch die Hoffnung auf ein gemeinsames Leben mit Beppo, den sie noch immer nicht vergessen konnte.

So plante sie denn in ihrer Einsamkeit, indes Fritz des Glaubens war, sie hätte bereut und wäre eine andere, bessere geworden, einen Fluchtplan, und zwar nach England, nach London, dem Dorado internationaler Abenteurer, um dort neue Verbindungen anzuknüpfen, die ihrem Geschmack mehr entsprachen.

Sie war bereit, dafür einen Teil ihrer Ersparnisse zu opfern, und zwar vorerst eine ziemlich beträchtliche Summe, die sie nicht angelegt hatte und gewöhnlich mit sich herumtrug – der Sicherheit wegen –, ohne daß selbst ihr Mann von dem Gelde wußte. Doch wie jeder, der einen Schatz verwahrt, hatte auch sie die Angewohnheit, in unbewachten Augenblicken ihr Geld zu betrachten und zu zählen – eine Angewohnheit, die ihr ihren Untergang bereiten sollte.

Der lange Heinrich hatte sich tatsächlich in der Gegend niedergelassen, erst als Gärtner, dann aber als Bootsführer am Wannsee, was ihm, wenigstens im Sommer, mehr einbrachte. Frieda hatte sich wiederholt von ihm über den See nach dem Schwedischen Pavillon, nach Cladow oder Moorlake fahren lassen, ohne etwas von der Vergangenheit Scholtens zu wissen. Fritz glaubte, ihm ruhig sein Weib anvertrauen zu können, da doch Scholten sein Auge nur auf Geld und Schmuck zu werfen pflegte – beides Dinge, die er nicht im Besitze Friedas, die sich stets sehr einfach kleidete, wußte.

Da sie beabsichtigte, morgen wieder eine längere Wasserfahrt zu unternehmen, ließ sie dem langen Heinrich sagen, er möchte zu ihr kommen, das Weitere mit ihr zu verabreden. Er beeilte sich, ihrem Rufe Folge zu leisten, und begab sich noch ziemlich spät abends zu ihr, die er für eine gewöhnliche Privatiere hielt, die zum Sommeraufenthalt hier herausgezogen war und Fritz als Gärtner zur Pflege des hübschen Gartens angestellt hatte.

Fritz war gerade nicht zu Haus. Heinrich schlich sich – seiner früheren alten Gewohnheit, mehr zu schleichen als zu gehen, treu – durch den Garten auf das Haus zu, aus dessen Erdgeschoß ihm ein schwaches Licht entgegenleuchtete.

Die Front war dunkel; nur vor dem einen Fenster war die schwere Rolljalousie nicht ganz herabgelassen, so daß er von außen leicht das Innere des Zimmers übersehen konnte.

Er stellte sich auf die Fußspitzen und saß, wie Frieda vor ihrem Schreibtisch saß und mit geübter Hand, ab und zu ihren Finger befeuchtend, eine stattliche Anzahl von Bräunlingen zählte, – im ganzen sechzig Stück. Bei dem Anblick des vielen Geldes, das er unerwartet bei dieser ihm bisher wenig interessanten Frau entdeckte, hatten seine Augen unheimlich aufgeleuchtet. Jählings war wieder die alte Lust, zu rauben und sich das Geld anzueignen, über ihn gekommen.

Mit zurückgehaltenem Atem sah er der schweigend hantierenden Frau zu. Er sah, wie sie das Geld in zwei kleine Päckchen teilte, diese in zwei kleine Säckchen steckte und jedes – das eine rechts, das andere links – in ihre Taille, unter dem Stoffutter einnähte, worauf sie sich erhob, die Taille anzog und sich anschickte, in den Garten zu gehen.

Scholten wußte genug. Er verließ ebenso leise, wie er gekommen war, den Garten, ging um das Haus herum und betrat es durch die Entreetüre. Durch den Klingelzug herbeigelockt, trat Frieda in den Flur, erkannte sofort ihren Bootsführer und gab ihm die nötigen Aufträge für morgen.

Als Heinrich das Haus verließ, bebte er vor Fieber und innerer Aufregung. Anstatt nach seiner Wohnung zurückzukehren, begab er sich zu einem bekannten Tischler und bat ihn, sein Boot zu reparieren, da es Wasser leckte.

»Bist woll verrückt?« brummte dieser. »Jetzt um neune soll ick det Boot machen? 's is schon lange Feierabend, un meine Jesellen sin ooch nich mehr da. Det eilt woll nich so sehr.«

»Im Jejenteil,« versicherte Scholten. »Ick soll morjen eene Dame janz frieh nach Cladow rieberrudern. Un nu bemerk' ick jerade, daß det eene Brett nich janz wasserdicht abschließen dut.«

»Na, een' Tag wird et schon noch halten. Ick schick' dir denn morjen een Jesellen. Frieher kann ick nich.«

Scholten bestand nicht weiter darauf. Sein Besuch hatte nur den einen Zweck gehabt, später nachweisen zu können, falls es notwendig wurde, daß er die Absicht gehabt hatte, das Boot reparieren zu lassen.

Am nächsten Morgen, zur verabredeten Stunde, erschien Frieda im Hafen und bestieg mit Hilfe Heinrichs das Boot, um sofort die Ruder zu ergreifen und mit dem langen Heinrich tapfer mitzurudern.

Nach einstündiger Fahrt näherten sie sich Cladow – doch nicht dem sogenannten Hafen, sondern weiter nördlich, wo weite Schilfstrecken den tiefen Wasserspiegel unterbrechen.

»Aber das Boot ist ja leck!« schrie plötzlich Frieda entsetzt auf.

»I wo! Det is nischt,« sagte Heinrich trocken.

»Aber ich sage Ihnen, das Boot leckt. Wir können untergehen. Fahren Sie rasch dem Lande zu. Nein – so was!«

Heinrich gehorchte zum Schein, doch langsam, als könnte er das mit Wasser sich immer mehr füllende Boot nur schwer rudern und lenken.

Frieda warf sich in ihrer furchtbaren Angst nach rechts; Heinrich gleichfalls. Die Folge davon war, daß das Boot umkippte und die Insassen ins Wasser fielen. Frieda verlor nicht die Geistesgegenwart. Von ihren ballonartig geblähten Kleidungsstücken emporgetrieben, gelang es ihr, die mit den Händen Schwimmtempi machte, sich über Wasser zu halten. Und dann sah sie auch, wie der lange Heinrich rasch auf sie zugeschwommen kam.

In dem Bestreben, ihm entgegenzukommen, geriet sie in einen Tuff von Wasserpflanzen und Seetang, der sich ihr wie ein hundertarmiger Polyp um den Leib schlang. Eine Schlinge des Seetangs wand sich um ihren Hals; sie machte die verzweifeltsten Anstrengungen, diesem mörderischen Gewächs zu entgehen; doch je mehr sie sich dagegen wehrte, um so fester schlang sich der Tang um sie.

Der lange Heinrich, der inzwischen herangeschwommen war, kam ihr nicht zu Hilfe, sondern betrachtete kalten Blickes die mit dem Tode Ringende. Noch einige Augenblicke vergeblichen Kampfes – und sie starb … nicht wie Hauptmann Meinert und Rosa: erdrosselt von Menschenhand, sondern erdrosselt durch eine höhere Macht!

Scholten, der ein sehr guter Schwimmer war, brachte den entseelten Körper an das Ufer, wo er Friedas Taille öffnete, um ihr das dort eingenähte Geld zu entnehmen, worauf er nach Cladow eilte und mit den Ausdrücken größter Verzweiflung den eben erlebten Anfall berichtete.

 

Ende!

 


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