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14. Kapitel.

Wenn Beppo so plötzlich bei Konrad mit der Tür ins Haus fiel und dort seine Frau überraschte, so war dies auf Anstiften Friedas geschehen und infolge von Enthüllungen, die sie ihm gemacht hatte.

Ihre Absicht, Konrad von Toni zu trennen, schien nicht die von ihr erhoffte Wirkung erzielt zu haben. Erst hatte sie sich über ihren ersten Erfolg gefreut; denn, als Frau von Essern verkleidet, konnte sie doch sehen, welchen Eindruck ihre Worte bei der sanguinischen Lulu hervorgerufen hatten, und sie konnte sich denken, daß Lulu darüber Toni gegenüber nicht zu schweigen imstande wäre.

Die geheime Verbindung zwischen dem einen Absteigequartier Beppos in der Kurfürstenstraße und der Wohnung der beiden Freundinnen im Nebenhause hatte es ihr ermöglicht, Tonis Plan der Abreise zu belauschen, den einen Brief Tonis mit dem von ihr verfaßten zu vertauschen und in dem Schlafzimmer eine längst vorbereitete Korrespondenz auszustreuen, damit sie Konrad sofort in die Augen fallen sollte. Das war ja alles recht gut und recht schön und war auch verhältnismäßig geglückt; aber diesem einen Erfolg waren verschiedene mißlungene Schachzüge gefolgt.

Frieda hatte nie mit dem Faktor gerechnet, daß Konrad Arnheim, wenn er so tief in seinen Gefühlen verletzt wurde, keinen anderen weiteren Gedanken haben konnte, als seiner Kusine zu folgen, sie einzuholen und über sie trotz all dem Vorgefallenen zu wachen. Frieda hatte in ihm nur den gekränkten, bitter enttäuschten Geliebten gesehen, der nun so rasch wie möglich das Land seiner Enttäuschungen verlassen würde. Sie hatte vergessen, daß er nebenbei auch ein anständiger Mensch, seinen Pflichten als Verwandter eingedenk und willens war, die alleinstehende Waise zu schützen, auch gegen sich selbst. Sobald es galt, Leidenschaften vorauszusehen, die den niedrigen Instinkten entsprangen, war Frieda völlig am Platz, doch nicht, wenn es darauf ankam, Gefühle zu verstehen, die dem Menschen von seinen ehrbaren Grundsätzen diktiert wurden.

So hatte sie, die von der weiblichen Tugend einen nur sehr oberflächlichen Begriff besaß, auch darauf gerechnet, daß Toni Meinert, sobald sie sich von ihrem Bräutigam betrogen glaubte, sich jedem in den Arm werfen würde, der ihr den Hof machte – in diesem Falle dem kleinen Althoff – oder daß sie doch etwas tun würde, wodurch sie wenigstens kompromittiert würde. Sie hoffte, daß Toni sich von der liebenswürdigen Art eines Althoff, wenn er auch nicht besonders geistvoll war, bestricken lassen würde, so daß er sie schließlich veranlassen könnte, seinen Reisevorschlägen sich willig zu fügen.

Sie rechnete eben in diesem Falle gar nicht mit dem Zartgefühl eines jungen, wohlerzogenen Mädchens. Denn Althoff hätte nicht einmal Gelegenheit, mit ihr zu sprechen, sich ihr vorzustellen. Gleich bei dem ersten Versuch auf dem Bahnhof wurde er derart schroff von ihr abgewiesen und von der wütenden Lulu derart angefahren, daß er genötigt war, anstatt mit ihnen zu reisen, ihnen bloß zu folgen. Schließlich erkannte er zu seinem Schrecken, daß er ihnen Veranlassung gab, einfach umzukehren, anstatt weiterzureisen, so daß aus ihrer erhofften längeren Reise nichts weiter entstand als ein Ausflug von wenigen Tagen.

Frieda war wütend darüber und beschuldigte ihren Seladon in den unzartesten Ausdrücken, daß er ganz allein daran schuld sei, daß ihr Plan mißglückt wäre. Es kam zu einem derart heftigen Auftritt, daß sie dem tiefverwundeten Althoff schlankweg ihre Gunst entzog und – wie man zu sagen pflegt – ihn zum Tempel hinauswarf, was er willig über sich ergehen ließ, in der stillen Hoffnung, sie würde ihm schon wieder vergeben und ihn, wenn ihre Wut verraucht war, wieder in Gnaden aufnehmen.

Doch es hatte allen Anschein, daß er sich diesmal gründlich irrte.

Trotz ihrer geringen Erfahrung konnte sie doch soviel erraten, daß sich jetzt Konrad Arnheim und Toni Meinert wahrscheinlich versöhnen würden, und daß somit an der ursprünglichen Situation nichts geändert war.

Sie sagte sich nun, daß sie gerade genug auf eigene Rechnung für das Gemeinwohl der Firma Beppo & Co. gearbeitet habe, und daß sie jetzt gemeinschaftlich mit Beppo, von diesem unterstützt, arbeiten wollte. Sie begab sich deshalb sofort zu ihm hin und teilte ihm das Vorgefallene mit, um mit ihm wegen der Zukunft, die ihr nicht mehr gefahrlos schien, zu beraten.

Leider wurde sie gewahr, daß Beppo ihr kaum zuhörte und mit seinen Gedanken ganz wo anders war. Das war nicht mehr der Beppo von früher, tollkühn, wagemutig, vor keinem noch so halsbrecherischen Wagnis zurückschreckend, wie sie es noch heute war. Er schien ermüdet, nervös, gleichgültig, teilnahmslos und nur von einer einzigen Leidenschaft beherrscht, die ihn unempfänglich für alles andere machte. Und diese Leidenschaft war: seine noch immer rasende Liebe für seine Frau.

Frieda erkannte sofort, woran er litt. Für sie war es längst schon klar, daß Beppo nicht mehr von Rosa geliebt wurde. Doch, um seinen Verdacht nicht zu wecken und unangefochten zu Konrad gehen zu können, hatte sich Rosa bisher zusammengenommen, ohne ihn allzusehr unter ihrer Kälte, ihren Launen, ihrer Gleichgültigkeit leiden zu lassen. Sie fühlte sich bei Konrad unsagbar wohl, und damit ihr dies Glück nicht genommen würde, zeigte sie sich eben Beppo gegenüber nicht allzu grausam.

Frieda überlegte bei sich, daß Beppo solange er in der Abhängigkeit Rosas blieb, ausgesetzt ihren Launen, mitgenommen von den fortwährenden Uneinigkeiten, sowie von seinen Seelenkämpfen, erschöpft von seinen ihn verzehrenden unbefriedigten Wünschen, gequält von einer Eifersucht, die um so schrecklicher war, als sie den Gegenstand derselben nicht kannte … unwiderruflich verloren war. Fast war es klüger, auch in seinem Interesse, um ihn dem Zustand der Lethargie zu entreißen, ihm mit einem plötzlichen Schlag zu begegnen und ihm zu sagen: »Du glaubst, daß die Liebe deiner Frau zu dir im Abnehmen begriffen ist und bloß deshalb, weil sie müde ist, dich mit gleich rasender Intensität zu lieben wie einst. Du hoffst immer noch, die verglimmenden Funken ihrer Liebe zu loderndem Brand anzufachen? Das ist nicht mehr nötig; denn ihr Herz ist ein lodernder Brand; nur brennt er für dich als Scheiterhaufen, um einem andern als Phönix zu erstehen. Sie liebt dich nicht mehr; denn sie liebt Konrad Arnheim. Wach auf! Verteidige dich wider ihn, der es nicht nur versucht, dich ins Zuchthaus zu bringen, sondern sogar dir dein Liebstes entreißt!«

Wenn sie so sprach, würde allerdings eine Katastrophe entstehen, die jedoch weniger gefahrvoll war als seine gänzliche Untätigkeit und Apathie und unter Umständen doch zu einem definitiven Bruch zwischen Konrad und Toni führen könnte.

Auch hegte sie die geheime Hoffnung, daß sich Beppo nach einem Bruch mit seiner Frau und nach Ueberwindung des ersten Schmerzes dann ihr zuwenden würde; denn sie hatte immer viel für den schönen Italiener übrig gehabt, nicht nur wegen seiner Schönheit, sondern auch, weil er ihr an Schlechtigkeit, List und Verstellungskunst ein ziemlich ebenbürtiger Partner war.

So beschloß sie denn, Beppo mit einem Schlage über Rosa aufzuklären, nicht erst auf Umwegen, durch Gerüchte, die er hätte doch anzweifeln können. Scharf und präzise, ohne jede Schonung wollte sie ihn treffen.

Nachdem in ihr dieser Plan gereift war, eilte sie rasch nach Konrads Wohnung, um sich zu erkundigen, ob er zu sprechen wäre. Durch geschickte Fragen bekam sie es heraus, daß während seiner Abwesenheit täglich eine Dame gekommen wäre und gefragt hätte, ob er schon zurückgekehrt sei. Das konnte nur Rosa sein, die jedenfalls auch die kommenden Tage ebenso sich erkundigen würde und um dieselbe Zeit, wie die Tage vorher. Es handelt sich nun bloß darum, die Rückkehr Konrads abzupassen. Da Althoff Toni Meinert verfolgte, sah sich Frieda genötigt, sich selbst auf die Lauer zu legen.

Sie nahm sich eine geschlossene Droschke und ließ sie Tag für Tag um 5 Uhr vor dem Nachbarhause Konrads halten, um dessen Eingang im Auge zu behalten. Endlich – schon am zweiten Tage – hatte sie die Genugtuung, zu sehen, wie Konrad mit seiner Reisetasche in seinem Haus verschwand, bald darauf gefolgt von der dichtverschleierten Rosa.

Sofort fuhr sie zu Beppo und sagte ihm ohne jede Einleitung:

»Ihre Frau ist die Geliebte von Konrad Arnheim … Seit Beginn des Winters haben sie geheimnisvolle Zusammenkünfte in seiner Wohnung. Augenblicklich ist sie wieder bei ihm, Kurfürstenstraße Nr. …, zwei Treppen links. Eilen Sie!«

Ohne ein Wort zu erwidern oder von Frieda eine sonstige Aufklärung zu verlangen, verließ Beppo, dessen wachsbleiche Gesichtsfarbe und nervöses Zucken seines Mundes und seiner Nasenflügel die furchtbare innere Aufregung verrieten, seine Wohnung, um in die Kurfürstenstraße zu eilen.

Sobald er die Tür hinter sich abgeschlossen und mit einem Blick sein Weib erkannt hatte, war sein erstes, Konrad Arnheim zu suchen. Da er ihn nicht im Salon fand, eilte er in das Nebenzimmer, hoffend, ihn dort zu finden. Doch auch das Zimmer war leer. Er stürzte wieder in den Salon zurück, in dem seine Frau bequem in einem Fauteuil saß, gleichgültig in einem Buche blätternd, mit einer Ruhe und verächtlichen Kaltblütigkeit, als ob sie dies alles gar nichts anginge.

»Wo steckt dein Geliebter?« schrie er sie heiser an.

Sie zuckte mit den Achseln und erwiderte kalt: »Wäre Herr Arnheim hier, würde er sich gewiß nicht verstecken … Namentlich nicht vor dir.«

»Du hast dich mit ihm eingeschlossen. Wo ist er? Ich will es wissen.«

»Du willst es wissen? Schön. Er ist ausgegangen.«

»Und was machst du hier?«

»Du siehst es wohl; ich warte auf ihn.«

»Es paßt mir nicht, daß du auf ihn wartest … Komm!«

»Und mir paßt es nicht, dir zu folgen. Ich bleibe.«

Er hatte nicht erwartet, daß sie ihm widersprechen, sich ihm widersetzen würde. Er hatte gehofft, sie verwirrt, unterwürfig, niedergeschlagen zu finden. Sie aber tat das Gegenteil: sie forderte ihn heraus. Sollte etwa bloß der Schein wider sie sein? War sie etwa gar nicht so schuldig, wie es den Anschein hatte?

Heimlich fing er an zu hoffen und sagte:

»Man hat dich mir als Geliebte dieses Arnheim bezeichnet. Bist du es nicht? Allerdings finde ich dich bei ihm. Hast du vielleicht irgendeinen stichhaltigen Grund anzugeben, daß du ihn besucht hast?«

Ohne zu zaudern, antwortete sie: »Wenn man, um die Geliebte eines Mannes zu sein, ihm angehören muß, bin ich es nicht. Wenn es aber genügt, ihn bloß zu lieben, dann ist er mein Geliebter; denn ich liebe ihn mit all der mir innewohnenden Glut.«

»Und du wagst es, mir das ins Gesicht zu sagen?«

Sie sah ihm scharf in die Augen und betonte jede folgende Silbe:

»Wohl wage ich es, dir alles zu sagen – dir, der auch wagt, alles zu tun.«

Er hatte Angst. Sollte das eine Anspielung sein? Was wußte sie von seiner Vergangenheit? Gleichzeitig wurde er sowohl in seiner Eigenschaft als Gatte, wie auch als Geliebter feiger. Sie schien keineswegs gelogen zu haben bei den Worten: »Ich bin nicht seine Geliebte im landläufigen Sinne des Wortes.« Weder ihre Haltung noch ihre Stimmung waren die einer Frau, die lügt. Sie liebte bloß Konrad. Wie aber liebte sie ihn? Vielleicht aus Freundschaft, aus Dankbarkeit dafür, daß er ihr einst das Leben gerettet hatte? Vielleicht konnte er – Beppo – sie wieder umstimmen, mit ihr wieder jenes Leben von neuem führen, das sie schon einmal miteinander geführt hatten.

»Elende, ich werde dich« – er unterdrückte das Wort – »töten«, schrie er dann fassungslos, wobei sich seine Finger spinnenartig krümmten.

Sie lachte ihm hellaut ins Gesicht mit den Worten: »Das ist ja, was ich will und hoffe. Ich habe keinen andern Zweck, als dich zu beschimpfen … Ich habe das Leben satt … Ich wollte sterben … Doch wußte ich nicht, wie ich es anfangen sollte … Sobald du eingetreten bist, habe ich mir gesagt wie Carmen beim José: »Das ist der, der dich töten wird.« Wohlan, so bringe mich um, ich bin bereit. Und wenn du es wagst, ihm, den Heimkehrenden, auch nur einen Finger zu krümmen oder ihn anzutasten, dann leiste ich einen anderen Eid.«

»Was für einen Eid?«

»Den Eid, daß ich ihm sage, daß du ein Mörder bist!«

Wie mit der Faust getroffen, taumelte er zurück.

Doch sie folgte ihm furchtlos und fuhr mit gedämpfter, heiserer Stimme fort: »Du bist einer der beiden Mörder des Hauptmanns Meinert.«

»Das ist nicht wahr! Das ist nicht wahr!« versuchte er zu stammeln.

»Es ist wahr!« rief sie fest. »Und wenn du Beweise haben willst, so höre. Eines Tages hat mich Herr Arnheim gebeten, ihm zu helfen, die Unschuld des verurteilten Müller zu beweisen und den wirklichen Schuldigen zu entdecken. Ich versprach es ihm. Ich hatte weder Verdacht noch Anhaltspunkte. Doch der Zufall hat mir geholfen. Ich nahm mir einen Privatdetektiv und ließ den Herrn von Althoff beobachten, den ich als einen Freund der roten Frieda kannte. Was wollte denn die Person noch von mir, die einst meine Kammerjungfer gewesen? Hatte sie mir neuerdings nachzustellen? Nein; diesmal hatte sie nur mit dir zu tun. Dich kam sie besuchen, das heißt Herrn Weber. Bald erfuhr ich, daß sie dein Kompagnon und welcher Art euer schamloses Treiben war. Ich ließ euch belauschen, und bald wußte ich einen Teil eurer infamen Geheimnisse.«

Immer noch stehend, angelehnt an die Lehne eines Fauteuils, an allen Gliedern bebend, hörte er ihr zu, ohne es zu wagen, sie zu unterbrechen.

Und sie fuhr fort:

»Und wenn ich auch nun die Quellen unserer Einkünfte kannte, wenn ich auch wußte, welchen unsagbar unbeschreiblichen Geschäften ihr euch widmetet … Wenn du auch in meinen Augen ein Elender, ein Schuft, Gauner und Verbrecher warst … so wußte ich doch noch nicht, daß du ein Mörder warst.«

Dumpf und bleich, doch stolz und mutig fuhr sie fort:

»Wie konnte ich auch auf den Gedanken kommen, daß mein Vater ein Verbrecher und identisch war mit jenem Jagow, von dem in ganz Berlin die Rede war … er, der sich doch Calmus nennt? Wie konnte ich ahnen, daß er, unterstützt von einem feigen Helfershelfer, einen Greis ermorden würde, um ihn zu berauben?«

Beppo wollte sie abermals unterbrechen. Doch mit einer Bewegung schnitt sie ihm das Wort ab. »Doch an dem Tage, da ich die Gewißheit hatte, daß du schuldig warst, mußte ich mich notwendigerweise fragen, ob mein Vater, mit dem du doch immer beisammen stecktest, den du in allem um Rat gefragt hattest, dessen Schüler und Sklave du beinahe warst … ob er nicht irgendwie in dem Verbrechen verwickelt war.«

»Du hast mich eben Mörder gescholten … Und das ist falsch. Ich schwöre dir, daß das nicht wahr ist. Niemals hat mich dein Vater aufgefordert: »Komm und hilf mir bei der Mordtat!« Er wußte ganz genau, daß ich mich geweigert hätte. Er sagte einfach: »Ein Mensch hat die Erbschaft und das Vermögen Rosas mit Beschlag belegt. Ich will es ihr zurückerbeuten. Ich bedarf dazu deiner Hilfe. Du mußt mitkommen.« Und ich habe gehorcht. Ich zog die Kleider an, die er mitgebracht hatte, und traf mich mit ihm am verabredeten Ort. Ich folgte ihm und wartete draußen, indes er drinnen das Verbrechen beging. Aber ich wußte und ahnte es nicht, daß er ihn töten würde.«

Sie trat dicht an Beppo heran. Gesicht an Gesicht, Aug in Aug und sagte: »Bis jetzt habe ich dich noch geschont, weil ich Mitleid mit dir hatte. Ich habe mich bisher geweigert, Herrn Arnheim den Namen des allein Schuldigen zu nennen. Denn ich wollte dich nicht ausliefern. Ich überließ es der Schickung, dich zu retten oder zu richten. Allerdings war das eine Schwäche und Feigheit von mir. Jetzt bereue ich's. Komme, was da wolle: Arnheim soll alles wissen.«

»Hüte dich!«

»Du drohst? Nun denn, so schwöre ich – schwöre ich bei meiner Liebe zu ihm, ihm in dem Augenblick, da er dies Zimmer betritt, zuzurufen: Da ist er, den Sie seit langem suchen … das ist der Mörder!«

»Nun, und ich schwöre,« sagte er heiser zischend, »daß ich dich, ehe du noch einen Ton gesagt hast, töten werde.«

In demselben Augenblick stürzte er sich auf sie, umfaßte sie mit seinen Armen und warf sie rücklings auf den Teppich nieder. Er beugte sich über sie, kniete mit einem Knie auf ihrer Brust, hielt ihr beide Hände umspannt und brachte sein Gesicht ganz dicht an das ihre:

»Wirst du sprechen?«

»Ja, ja …« schrie sie ihm zu, von Wut berauscht. »Ich werde reden! Ich schwöre es, daß ich reden werde!«

Er warf einen langen Blick um sich, ohne die Stellung zu verändern.

»Du suchst wohl eine Waffe?« höhnte sie. »Hier wirst du keine finden. Er fürchtet weder Diebe noch Mörder … Er ahnte nicht, daß du kommen wirst. Aber du – du brauchst doch keine Waffe; du hast doch deine Hände … Du Schüler eines Drosselkönigs und selber Drosselkönig!«

»Das ist wahr,« heulte er. »Dein Vater hat's mich gelehrt …«

Er ließ ihr die Arme frei, die sie über die Brust kreuzte, ohne nach Hilfe zu rufen, ohne sich zu verteidigen – wie gelähmt, ihm finster und starr in seine gräßlichen Augen starrend, als wollte sie ihn hypnotisieren, mit unbewußter Fassung den Tod erwartend.

Er kniete mit beiden Knien auf dem Brustkasten seines Weibes, legte seine beiden Hände um ihren Hals, daß sich hinten am Nackenwirbel die Fingerspitzen, vorn an der Gurgel die Daumen berührten. Seine Augen traten ihm aus den Höhlen, Schaum zeigte sich an den Lippen; und so, mit seinen Lippen fast die ihrigen berührend, flüsterte er:

»Schwöre mir, daß du ihm nie angehören wirst! Dann kannst du mich meinetwegen anzeigen. Vor der Anzeige bange ich nicht. Doch vor deiner Liebe zu ihm.«

»Ich liebe … ihn … mehr … als … mein … Leben,« flüsterte sie, worauf sie mit verklärtem Lächeln die Augen schloß.

Da verlor er seine letzte Selbstbeherrschung – er sah nur Blut … Es sauste ihm in den Ohren … und seine Hände schlossen sich wie ein eiserner Ring, der durch Schrauben angezogen wurde, um ihren Hals – langsam, langsam, aber immer fester und fester.

* * *

Konrad war nach Tonis Wohnung geeilt, und hatte sie und Lulu richtig vorgefunden. Beide Liebenden waren viel zu beglückt sich wiederzusehen, als daß die Versöhnung durch Aufklärung der Mißverständnisse und infamen Intrigen hinausgezogen worden wäre. Lulu war sehr kleinlaut, daß sie infolge der Einflüsterungen jener Frau von Essern einem solchen Verdacht Glauben geschenkt hatte, und bat Konrad reuig um Vergebung.

Dieser erzählte von den letzten Andeutungen, die er von Rosa erhalten hatte, und wollte rasch nach Hause zurück, der Gräfin die Versöhnung mit Toni mitteilen.

Solches überlegte er, während er sich nach Hause begab, nachdem er seine Braut und ihre Freundin gut untergebracht wußte. Er war eben im Begriff, an seiner Tür zu klopfen, als er bemerkte, daß sie bloß angelehnt war. Er stieß sie auf, trat in den Salon, wo noch die Gasflammen brannten, und suchte mit den Augen nach Rosa, die er nicht fand.

»Es wird ihr zu lange gedauert haben. Sie wird nach Hause gegangen sein,« sagte er halblaut.

Doch plötzlich stieß er einen Schrei des Entsetzens aus; vor ihm lag die Gesuchte auf dem Boden ausgestreckt, ohne daß sie ein Zeichen des Lebens von sich gegeben hätte.

Er kniete an ihrer Seite nieder und nahm den Körper der jungen Frau in seinen Arm. Doch war bereits die Leichenstarre eingetreten. Mit unwillkürlichem Entsetzen öffnete er die Arme, und der Körper fiel, wie eine schwere, plumpe Masse, dumpf aufschlagend zu Boden.

* * *

Frieda wunderte sich, wo Beppo so lange blieb. Diese Auseinandersetzung war doch nicht so geartet, daß sie viel Zeit in Anspruch nehmen konnte. So etwas pflegt man doch mit einigen Worten zu erledigen.

Endlich klingelte es. Da sie so vorsichtig gewesen war, ihrem Stubenmädchen für diesen Abend Urlaub zu gewähren, öffnete sie selbst.

Sobald Beppo eingetreten war und sie einen Blick auf ihn geworfen hatte, erkannte sie sofort, daß etwas Schwereres vorgefallen sein mußte, als sie ursprünglich angenommen hatte. Sie hatte gar nicht nötig, ihn erst zu fragen, da er selbst zu reden begann. Ganz außer Atem, mit verrutschter Kravatte, halbgeöffneter Weste, die Augen blutunterlaufen, ließ er sich in einen Fauteuil fallen, warf einen angstvollen Blick um sich, um sicher zu sein, daß sie auch allein waren, und stieß dann heiser hervor:

»Ich habe sie getötet!«

Sie fuhr zurück. Sie hatte ihn noch nicht recht erfaßt.

»Wen haben Sie getötet?« fragte sie.

»Sie … Rosa … meine Frau!«

»Um Gotteswillen!« rief sie entsetzt. »Aber Mensch, das ist ja unmöglich! Ihre Frau! Ihre Liebe zu ihr läßt Sie wohl den Kopf verlieren.«

»Ich weiß, ich weiß!« rief er verzweifelt aus. »Deshalb will ich ja fliehen.«

»Wozu fliehen? Das wäre so viel wie ein Eingestehen der Schuld. Wenn auch das Gesetz die Tat verdammt, so war sie doch – wenn man sich einem geschickten Verteidiger anvertraut – vom menschlichen Standpunkt entschuldbar. Es gibt Milderungsgründe. Man kann von einem Sektdiner gekommen sein – die Frau mit dem Geliebten … Ich versichere Ihnen nochmals, lieber Graf, Ihre Aktien stehen wirklich nicht so schlecht, vorausgesetzt, daß Sie sofort auf die nächste Revierwache gehen und sich selbst anzeigen.«

»Ich – ich soll mich selbst angeben?« rief er voll Grausen. »Ich soll mich freiwillig einsperren lassen, in die Abgeschlossenheit einer Zelle? Nein, nein, nicht heute abend – nicht diese Nacht!«

Doch Frieda hatte seit einigen Monaten Beppo zu sehr unter ihren Willen gezwungen, als daß er noch länger gezögert hätte, ihrem Rate zu folgen. Sie ließ ihm sogar die Hoffnung durchschimmern, obzwar sie es selbst nicht glaubte, daß er als Fremder und durch die Intervention der italienischen Botschaft auf freiem Fuß gelassen würde. Sein Name, sein Titel, seine ganze soziale Stellung böten genügend Garantien, daß man ihn bis zum Tage der Urteilsfällung auf freiem Fuße lassen konnte.

Es handelte sich für Beppo bloß darum, erst dem Kriminalkommissar klare und präzise Antworten zu geben, dann später dem Untersuchungsrichter, sowie ein fertig ausgearbeitetes Schema eines Romans im Kopfe zu haben, von dem er in keinem Falle abgehen durfte, um sich nicht in Widersprüche zu verwickeln.

Frieda instruierte deshalb ihren Kompagnon auf das genaueste, wie er die Sache im günstigsten Licht hinstellen konnte, und forderte schließlich, daß er keinen Augenblick mehr zögere, sich noch heute abend der Polizei freiwillig zu stellen. Sie trieb die Vorsicht sogar noch so weit, daß sie ihn bis an die Tür des nächsten Polizeireviers brachte, damit er nicht etwa versuchte, vor der Tür umzukehren, um noch für einige Stunden seine Freiheit zu bewahren.


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