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Es waren einmal zwei Brüder, die zusammen in einem Zelt wohnten. Jeder von ihnen hatte einen Sohn, und Kunuk, der Sohn des ältesten, spielte immer mit seinem jüngeren Vetter.
Eines Tages kamen wandernde Eskimos und ließen sich an demselben Wohnplatz nieder. Einer von ihnen, Nuerniagaq, hatte einen Pflegesohn, der Nuerniagakajik genannt wurde. Nuerniagakajik wurde nun auch Kunuks und dessen Vetters Spielkamerad, und bald waren die drei Knaben unzertrennlich.
Der Herbst kam und mit ihm der Schnee, und eines Tages, als das Land mit Schneewehen bedeckt war, bauten die Knaben sich eine Schneehöhle. Dort drinnen aber gerieten sie in Streit und schließlich warfen die beiden Vettern Nuerniagakajik hinaus.
Nuerniagakajik ging weinend nach Hause, indem er sich mit einem Stück Holz blutig stach, denn er plante, sich an den beiden Vettern zu rächen. Sein Pflegevater war nicht zu Hause, er holte einen Seehund, der weiter landeinwärts für ihn niedergelegt worden war; als aber die Pflegemutter den blutigen Knaben sah, glaubte sie, daß seine Spielkameraden ihn mit Messern gestochen hatten, und erschrak sehr.
»Nuerniagaq darf es nicht erfahren; er liebt seinen Pflegesohn so sehr, daß er diese Schandtat nicht ungerächt lassen würde,« sagte sie zu ihren Hausgenossen.
Als Nuerniagaq aber später mit dem Seehund über Land gefahren kam, ging sie ihm schnell entgegen; denn sie hatte die Hausgenossen nur aufgefordert nichts zu sagen, weil sie als erste ihrem Mann die Neuigkeit erzählen wollte. Kaum war er herangekommen, so erzählte sie ihm von dem Unglück, das ihrem Pflegesohn widerfahren war, übertrieb den Bericht des Knaben noch, indem sie hinzufügte, wenn er nicht geflohen wäre, dann hätten die beiden Vettern ihn ermordet.
»Sie sollen nach Verdienst behandelt werden,« sagte Nuerniagaq.
Als es dunkel geworden war und alle Bewohner des Hauses schliefen, ging Nuerniagaq zum Nachbarhaus, öffnete das Dach an allen vier Ecken und erschoß mit seinem Bogen sämtliche Hausbewohner. Nur Kunuk rettete sein Leben, indem er sich in ein Pritschenfell wickelte und unter das Fenster rollte. Nuerniagaq aber ging nach Hause in dem Glauben, daß er alle Wohnplatzgenossen ausgerottet habe. Als alles still geworden war, erhob Kunuk sich von seinem Platz und fragte: »Bin ich der einzige Ueberlebende?
»Nein, auch ich lebe,« antwortete eine Stimme unter der Pritsche. Es war sein Vetter.
»Ich lebe auch, aber ich bin verwundet. Meine Eingeweide hängen mir aus dem Unterleib!« Das war die Stimme von Kunuks kleiner Schwester, die sich hinter dem Wandfell versteckt hatte.
»Leidest du sehr?« fragte Kunuk.
»Nein,« sagte die kleine Schwester.
»Wir müssen versuchen, fortzukommen,« sagte Kunuk, »denn wenn wir hierbleiben, wird er uns alle töten.«
Schnell machten sie sich bereit und gingen über Land, indem die beiden Vettern abwechselnd die kleine Schwester auf dem Rücken trugen. Aber obgleich sie sie so zart wie möglich behandelten, starb sie doch nach kurzer Zeit an ihren Wunden. Sie begruben sie, und Kunuk betrauerte den Verlust seiner kleinen Schwester sehr.
Die beiden Vettern aber flüchteten weit über Land; sie gingen und gingen, bis sie zu einem Fjord kamen, der an der Küste zugefroren war. Eine Zeitlang folgten sie dem Eisrand, bis sie in der Ferne das offene Meer erblickten, in dem viele Seehunde spielten. Aber sie hatten keinen Kajak, um sie zu jagen.
Darum machten sie Kehrt und gingen auf das Ende des Fjords zu, wo ein Gletscher lag; sie gingen immer weiter, in der Hoffnung, daß das Glück ihnen ein Wild über den Weg führen würde. Da erblickten sie etwas, das einem menschlichen Wesen glich.
Als sie näher kamen, sahen sie, daß es ein Mann war. Er lag dicht neben dem Gletscher auf dem Eis und schaute durch ein Loch, und neben ihm stand seine Frau, bereit, mit der Lanze zuzustoßen, wenn der Mann ihr ein Zeichen gab. Die beiden Vettern kamen heran, aber erst als sie ganz nah waren, sahen die andern sie. Sie waren so alt, daß die Jahre sie ganz gebeugt hatten.
»Woher kommt ihr?«
»Weither vom Meere!«
»Was wollt ihr?«
»Wir sind geflohen, weil Nuerniagaq alle unsere Hausgenossen getötet hat.«
»So sollst du mein Pflegesohn sein,« sagte die alte Frau zu Kunuk.
»Und du der meine,« sagte der Mann zum Vetter.
Sie gingen zusammen zum Wohnplatz. Im Hause fanden sie großen Ueberfluß an Fleisch, und zerlegte Seehunde lagen in Reihen auf der Erde. Es war ihnen ein Rätsel, wie die beiden Alten auf dem festen Fjordeis Großfang treiben konnten.
Die Frau nahm Kunuk gleich auf ihren Schoß, indem sie ihn wie ein kleines Kind wiegte und Zauberweisen dazu sang.
»Du bist ein armer Flüchtling, meine Zauberlieder aber werden dich zu einem großen Rächer machen und deinen Körper gegen Angriffe stählen. Jetzt aber laßt uns die Mahlzeit einnehmen, die stets auf ein Zauberlied folgt.«
Und sie ging hinaus und holte ein Seehundsfell, das mit Beeren, die in Speck eingelegt waren, gefüllt war, und sie aßen, bis alle verzehrt waren.
Von da an blieben die beiden Vettern bei den Alten und gingen mit ihnen auf den Fang. Sie fingen immer vom Eis aus, gingen nie mit einem Kajak hinaus.
»Ihr seid zwei arme Flüchtlinge, und vielleicht suchen eure Feinde nach euch, um euch zu töten. Darum sollt ihr eure Kräfte erst stählen, denn der Tag der Rache wird kommen.«
Und die beiden Vettern härteten sich ab, es gab keinen Stein, den sie nicht mit ihren Armen heben und spielend schleudern konnten. Kunuks Vetter aber war der Stärkere.
Als sie schließlich große und harte Männer« geworden waren, gab der Pflegevater ihnen Kajaks, und sie betrieben von nun an auch Fang auf dem Meere. Sie hatten am selben Tage Kajaks bekommen und übten sich täglich. Zur See aber wurde Kunuk der Tüchtigere.
Eines Tages fuhr der Vetter allein aufs Meer hinaus, weil Kunuks Wasserzeug durchnäßt war und trocknen mußte. Aber er kehrte nie wieder, und das kam so: Er war einem fremden Kajak begegnet und der Mann, der darin saß, hatte ihn gefragt:
»Wer bist du?« Kunuks Vetter hatte seinen Namen genannt und war im selben Augenblick harpuniert worden. Denn der Fremde war niemand anderes als Nuerniagaq, der bereits seit vielen Jahren die beiden Knaben suchte, die ihm lebend entschlüpft waren.
So blieb denn Kunuk allein übrig. Seine Pflegeeltern siedelten sich später am offenen Meer an. Und eines Tages bekamen sie dort Besuch von einem Kajak. Kunuk war zu Hause, beobachtete den Fremden vom Land aus und erkannte gleich Nuerniagaq. Kaum hatte dieser das Haus betreten und war Kunuks ansichtig geworden, als er fragte, wie er hieße. Kunuk war drauf und dran, seinen Namen zu nennen, als die Pflegemutter ihm zuvorkam:
»Er heißt Qapipiluarteq: der Spätentwickelte.«
»Seltsam, er gleicht auf ein Haar einem Knaben, den ich einst kannte, und der Kunuk hieß.«
»Unsern Sohn kannst du nicht kennen, wir sehen dich ja zum erstenmal.«
»Seltsam, ich glaubte bestimmt, es ist Kunuk.«
»Du hörst, daß es unmöglich ist.«
So wurde Nuerniagaq irregeführt. Später erzählte er seinen Gastfreunden, daß er Kunuks ganze Familie umgebracht habe, daß nur Kunuk und ein Vetter ihm entschlüpft seien. Den Vetter, der ihm eines Tages im Kajak begegnet sei, habe er getötet; jetzt suche er Kunuk, damit kein Rächer mehr übrig bliebe. Er verweilte nur kurze Zeit bei den Alten und ruderte denselben Weg, den er gekommen war, zurück.
Kunuk war inzwischen ein starker Mann geworden, gewandt in allen Leibesübungen und ein großer Fänger. Er ruderte fort, um sich eine Frau zu suchen. Sie sollte große und hängende Brüste haben, die sie über die Schultern legen konnte, so daß sie gleichzeitig rudern und ihre Kinder im Rückensack säugen konnte. Schließlich fand er eine herrliche Frau, ganz nach seinem Wunsch, und nahm sie zur Frau.
Kunuk verschaffte sich ein Boot und lebte glücklich und zufrieden mit seiner Frau. Da aber hörte er, daß ein großer gefürchteter Sänger Spottlieder von ihm sang, denn der Ruhm seiner schönen Frau war bereits weithin gedrungen. Kunuk entschloß sich, die Herausforderung anzunehmen, da er aber noch nie an einem Sängerkampf teilgenommen hatte, wollte er erst ein neues Lied dichten.
»Du brauchst kein neues Lied zu dichten,« sagte die alte Pflegemutter, »sing das Lied, das ich dir am ersten Tage vorsang, als ich dich auf meinen Schoß nahm und dich wie ein kleines Kind wiegte.«
Damit war Kunuk wohl zufrieden und machte sich zum Aufbruch bereit. Die Alte aber gab ihm noch gute Ratschläge mit auf den Weg:
»Wenn Ualagtarit sein Spottlied beendet hat, wird er sein Messer nach dir werfen. Beim erstenmal machst du dich während des Gesanges so groß wie möglich. Er wird dann hoch zielen; in dem Augenblick aber, wo er das Messer wirft, duckst du dich so tief wie du kannst, und das Messer wird über dich hinwegsausen. Das nächste Mal machst du dich so klein wie möglich, und wenn er das Messer wirft, springst du in die Höhe. Er wird den Versuch machen, dir bereits nach dem ersten Lied die Trommel zu geben, doch darfst du sie erst nach dem zweiten Mal nehmen. Wenn du Ualagtarit getötet hast, mußt du noch eine Frau und einen Hund töten.«
So sprach die Pflegemutter, setzte sich darauf vors Zelt, zog sich die Kappe über den Kopf und murmelte Zauberworte, während Kunuk sich reisefertig machte. Kaum war er bei dem fremden Wohnort an Land gestiegen, als er entdeckte, daß man ihm seine Frau bereits aus dem Boot geraubt und zu Ualagtarits Zelt gebracht hatte. Er gab sich den Anschein, als ob er sich aus Furcht damit abfände und wartete, daß er zum Sängerkampf herausgefordert würde. Aber die Aufforderung ließ auf sich warten, es wurde Nacht, fast Morgen, bevor sie kam.
Als alle Zuhörer versammelt waren, begann der Wettstreit.
Kunuk folgte genau den Vorschriften seiner Pflegemutter. Zuerst sang Ualagtarit. Er sang sein Spottlied ganz zu Ende, ohne sich Kunuk zu nähern, und erst als er fertig war, hob er sein Messer, mit dem er die Trommel geschlagen hatte, und zielte auf Kunuk. Kunuk reckte sich in die Höhe, und da er schon von vornherein ein großer Mann war, reichte er ganz bis an die Decke. Darum zielte sein Gegner hoch, nach dem Kopf, und warf das Messer. Im selben Augenblick duckte Kunuk sich, und das Messer sauste in das Wandfell, just an der Stelle, wo sein Kopf noch eben gewesen war.
Der Fehlwurf wurde mit Gelächter und Zurufen von allen Seiten begrüßt.
»Ei – ei – Ualagtarit, der Unfehlbare, hat nicht getroffen!«
Jetzt wollte Ualagtarit Kunuk die Trommel geben; dieser aber, sich der Worte seiner Pflegemutter erinnernd, tat, als ob es gar nicht sähe.
»Ach, er liebt mich nicht, er will sich nicht wehren,« dachte Kunuks Frau, als sie sah, daß ihr Mann sich weigerte, die Trommel und das Messer zu nehmen.
So mußte Ualagtarit denn nochmals singen, und es kam wie das vorige Mal. Als das Spottlied zu Ende war, hob er das große Messer und warf es nach seinem Gegner, da aber machte Kunuk sich ganz klein. Der andere mußte sehr niedrig zielen, um seinen Kopf zu treffen; in dem Augenblick aber, wo Ualagtarits das Messer schleuderte, sprang Kunuk in die Höhe, und das Messer bohrte sich in die Wand, ein Stück über dem Fußboden. Wieder wurde gelacht und gerufen:
»Ei – ei – Ualagtarit, der Unfehlbare, hat zweimal fehlgeworfen!«
Jetzt erst nahm Kunuk die Trommel und das Messer, um zu antworten, und gab genau acht, daß er dem Rat der Pflegemutter folgte.
Er sang also sein ganzes Spottlied zu Ende, und als er gar nicht den Versuch machte, das Messer zu werfen, dachte seine Frau, die zwischen Ualagtarits drei Frauen saß: »Er läßt sich ohne Widerstand erschlagen!«
Da begann Kunuk zum zweitenmal, und als er sein Lied zu Ende gesungen hatte, hob er das große Messer und zielte auf seinen Gegner.
Ualagtarit hielt beide Hände schräg vors Gesicht, so daß das Messer, wenn es traf, abgleiten mußte, ohne das Gesicht zu treffen. Kunuk aber, der ein geübter Werfer war, zielte und warf das Messerso, daß es durch beide Hände ging und Ualagtarits Kehle an der Wand festnagelte. Da gab es einen großen Aufstand im Hause.
»Er hat es selbst so gewollt, ihm geschieht recht,« riefen seine ehemaligen Freunde und flohen aus dem Hause. Kunuk aber ging ruhig zur Pritsche, nahm die schönste Frau seines Feindes und trug sie dicht an ihrem Mann vorbei, der sich vor Schmerz und Wut wand und nur mit Mühe und Not sagen konnte:
»Es ist meine Lieblingsfrau, du darfst ihr nie des Nachts den Rücken zukehren.«
Das stieß er röchelnd in ohnmächtiger Eifersucht hervor, während Kunuk die Frau in sein Boot trug. Auf dem Steg aber wurde Kunuk plötzlich von hinten ergriffen und zwei Arme legten sich mit eisernem Griff um ihn. Als er sich umdrehte, sah er, daß es ein kleiner Mann war, dessen Kopf fast ganz zwischen den Schultern verschwand. Es war Usugsumiartek – Ualagtarits Rächer.
Kunuk überließ die Geraubte seiner Frau und rang mit Usugsumiartek. Nie hatte er solche Kräfte bei einem Menschen angetroffen. Sie rangen sehr lange. Da glitt Kunuk auf dem Boden aus. Um sich zu halten, drückte er sich mit aller Kraft gegen seinen Gegner. Dieser wand sich vor Schmerz und der Atem verging ihm. Er fiel in Ohnmacht und es dauerte lange, bis er wieder zu sich kam. So siegte Kunuk auch in diesem Kampfe. Und Usugsumiarteq hat später erzählt, daß keiner von allen, mit denen er je gerungen hatte, sich mit Kunuk messen konnte.
Darauf ruderte Kunuk nach Hause. Als er zu seinem Wohnplatz kam, saß die alte Pflegemutter noch vorm Hause, die Kappe überm Kopf, und sang Zauberlieder.
»Kunuk hat ihn getötet!« riefen sie ihr schon von weitem entgegen, und ihre Freude war groß, als sie nun erfuhr, wie alles abgelaufen war.
»Hast du nun Mann, Frau und Hund getötet?« fragte sie.
»Ach, das habe ich ganz vergessen, ich habe nur den Mann getötet.«
»Tut nichts, es war ein guter Anfang, das Uebrige wird noch kommen,« sagte sie nur.
Jetzt wußte Kunuk, daß er ein starker Mann sei und entschloß sich, die Welt zu umreisen, um seinen Feind Nuerniagaq zu suchen. Ein Fanggenosse, der am selben Wohnort wohnte, begleitete ihn, und so machten sie sich in zwei Booten auf den Weg. Kunuks Boot wurde von seinen zwei Frauen gerudert.
Seine erste Frau hatte ihr Kind bei sich und sie konnte es beim Rudern säugen, indem sie die Brust über die Schultern legte.
Das zweite Boot wurde von den beiden Frauen des Fanggenossen und seinem Pflegesohn gerudert. Auch sie hatten einen Säugling mit, und anfangs mußten sie jedesmal Halt machen, wenn das Kind die Brust haben sollte. Da aber Kunuks Boot immer größeren Vorsprung gewann, mußten sie es schließlich aufgeben, und das Kind verhungerte. Während der Reise aber war es den Eltern unmöglich, die vorgeschriebenen Bußübungen beim Tode des Kindes zu befolgen, und darüber geriet der Mondmann so in Zorn, daß er nur daran dachte, wie er ihnen Unglück bringen konnte. Schließlich ließ er einen furchtbaren Sturm in einer Bucht erstehen, an der sie vorbei kamen. Das Meer schäumte wie ein Elv, riß die Boote mit sich und verschlang das eine. Nur Kunuk, der sein Boot spielend ruderte, als sei es ein Kajak, entkam glücklich mit den Seinen.
So setzten sie denn die Reise allein fort und ruderten längs der Küste, die so steil und unzugänglich war, daß sie des Nachts nicht an Land gehen konnten, sondern ein Stück Holz in einer Felsenspalte einrammen mußten, um das Boot daran zu vertäuen. So schliefen sie denn im Boot.
Unterwegs kamen sie an einem Ort vorbei, der Kidtlavârssuit hieß. Dort wohnten viele Menschen, und Kunuk beschloß, nachts ihre Kajaks zu untersuchen, bevor er sich ihnen zu erkennen gab. Er fand die Holzdosen, in denen sie auf Kajakreisen ihren Proviant aufbewahrten, und als er eine öffnete, lag zu oberst eine Menschenhand und darunter Narwal-, Mattak- und Bärenfleisch. Daraus schloß er, daß es Menschenfresser seien. Und da er nicht wagte, an ihrem Wohnort vorbeizurudern, nahm er sein Boot und die ganze Ladung auf den Rücken und trug es in weitem Bogen um den Wohnplatz herum. So stark war er.
Als sie wieder ein gutes Stück gerudert waren, kamen sie abermals zu einem starkbewohnten Wohnplatz. Die Menschen dort hatten weder Haus noch Zelt, sondern schliefen unter ausgebreiteten Fellen. Sie waren allesamt zum Fang ausgezogen. Dort ließ Kunuk sich nieder. Abends hörte er die Bewohner zurückkommen und rufen:
»Ei – ei, da kommt Nuerniagaq mit seinem Fang.«
Als Kunuk diesen Namen hörte, wurde er so froh, daß er fast nicht seinen Ohren trauen wollte, aber als die Kajaks näherkamen, begann er vor Freude zu zittern, denn er erkannte seinen alten Feind. Nuerniagaq legte mit einem Narwal an. Als er Kunuks ansichtig wurde, der an Land stand, fragte er:
»Wer bist du?«
»Kunuk!«
»Wie, Kunuk? Nun, ich habe einen Narwal gefangen, dessen Zahn dir gehören soll. Daraus kannst du dir eine Harpunspitze machen!«
Kunuk antwortete, indem er den Zahn im Maul des Narwals herumdrehte und mit einem einzigen Ruck herauszog; darauf warf er ihn ins Meer. Nuerniagaq, als er sah, wie groß und stark Kunuk geworden war, dachte jetzt nur daran, wie er sich retten könnte. Kunuk aber wollte seine Rache nicht aufschieben. Darum suchte er ihn noch in derselben Nacht auf und fand ihn schlafend auf einem Berge, nur mit dem Bodenfell seines Kajaks zugedeckt. Kunuk riß das Fell zurück und weckte ihn. Nuerniagaq versuchte zu lächeln, Kunuk aber schlug ihm mit dem Messer leichte, schmerzende Wunden und sagte:
»Dies zum Dank, weil du meinen Vater getötet hast. Dies, weil du meinen Vetter umbrachtest!« Als er aber seine kleine Schwester nannte, wurde er so von Zorn übermannt, daß er Nuerniagäq das Messer in den Leib stieß. So rächte Kunuk sich an Nuerniagäq, dem Mörder seiner Familie.
Bei Nôrssît wohnten zwei Vettern, die so gute Freunde waren, daß sie immer zusammen auf den Kajakfang gingen. Als sie eines Tages draußen auf dem Meer waren, fand der eine Vetter ein Stück Treibholz, so groß, daß man zwei Boote daraus machen konnte. Da beschlossen sie, daß sie jeder ein Boot bauen wollten, und wenn es fertig wäre, sollte es sich zeigen, wessen Boot das schönste sei. Um ungestörter zu arbeiten, wollten sie sich während der ganzen Zeit nicht sehen.
Tunutôrajik Arbeit war schon tüchtig vorgeschritten, als eines Tages ein alter Mann zu ihm kam und sagte:
»Hast du es schon gehört?«
»Was?«
»Dein Vetter will dich töten.«
Tunutôrajik aber lachte nur.
Vergebens eiferte der böse Alte mit seiner giftigen Zunge, und schließlich mußte er unverrichteter Sache seines Weges gehen. Tunutôrajik aber, der den Worten des Alten keinen Gedanken mehr schenkte, arbeitete weiter an seinem Boot und gab sich Mühe, es so schön und leicht wie möglich zu machen.
Nach kurzer Zeit kam der Alte jedoch wieder und sagte dasselbe:
»Dein Vetter will dich töten.«
»Unmöglich.«
Als der Alte aber bei seiner Behauptung blieb, ging es wie ein Schauder durch Tunutôrajik, und er mußte wider Willen den Worten des Alten Glauben schenken. Darum gab es sich keine Mühe mehr, sondern eilte nur, um mit dem Boot fertig zu werden. Tags bevor er fertig war, kam sein Vetter zu ihm und sagte:
»Warum eilst du so sehr mit der Arbeit? Wir wollten doch die Boote so schön als möglich machen.«
Der andere antwortete: »Die Arbeit langweilt mich.«
Dabei sah er seinem Vetter ins Auge, ob er ihm etwas von seinem bösen Vorhaben ansehen konnte, aber er konnte nichts sehen. Trotzdem fuhr er fort, sich zu beeilen. Als das Gerippe fertig war, bekleidete er es selbigen Tages noch mit Fellen und wartete nur darauf, bis sein Vetter im Kajak aufs Meer hinausruderte. Kaum sah er ihn draußen, als er sein Zelt schnell niederriß. Er verfrachtete es in dem neuen Boot und ruderte mit seiner Frau in südlicher Richtung davon. Die Frau saß in der Mitte des Bootes und ruderte, während er achtern saß und gleichzeitig ruderte und steuerte.
Abends kam der Vetter nichtsahnend nach Hause und erstaunte sehr, als seine Frau zu ihm sagte:
»Tunutôrajik ist heute mit seiner Frau fortgereist.«
»Wohin?«
»Das hat er nicht gesagt.«
»Ich will versuchen, sie einzuholen.« Und er machte sein Boot in aller Geschwindigkeit fertig, bekleidete es noch selbigen Tages mit Fellen und ruderte hinter ihnen her. Beim ersten Wohnplatz fragte er:
»Habt ihr Tunutôrajik nicht gesehen?«
»Gestern ist er hier vorbeigekommen.«
Der Vetter ruderte weiter, ohne an Land zu gehen, und kam bald zu anderen Zeltplätzen.
»Wo ist Tunutôrajik?«
»Vorgestern ist er hier vorbeigekommen.«
Der Vetter ruderte eiligst weiter, und als er abermals zu neuen Zeltplätzen kam, fragte er: »Wo ist Tunutôrajik?«
Und ihm wurde geantwortet: »Vor drei Tagen ist er hier vorbeigerudert.«
Da machte er Kehrt, weil die anderen immer mehr Vorsprung gewannen. Und weinend über den Verlust seines Vetters ruderte er nach Hause zurück.
Tunutôrajik aber setzte seine Flucht nach Süden fort. Wenn er zu fremden Zeltlagern kam, pflegten die Bewohner ihn zu fragen, wohin er reise, er aber antwortete ausweichend: »Nach Süden, immer weiter nach Süden.«
So ruderten sie Tag ein, Tag aus, bis sie zu unbewohntem Land kamen. Sie ruderten längs der öden Küste und sahen schließlich Land, das nicht mit dem Festland in Verbindung stand; es war eine Insel im Meer, und derselben vorgelagert war noch eine kleinere Insel, von dort aus aber war kein Land mehr zu sehen. Auf dieser entdeckten sie ein Haus und wollten an Land gehen. Da kam ein Mann aus dem Haus und ging ihnen entgegen. Als er näherkam, sahen sie, daß er nur ein Bein hatte. Der Einbeinige fragte:
»Wohin geht die Reise?«
»Mein Vetter wollte mich töten, darum flüchtete ich und jetzt suchen wir einen Ort, wo wir überwintern können.«
»Wenn ihr hier bleiben wollt, soll euch kein Leid geschehen.«
Es war aber Igtuko, der einbeinige Riese.
Tunutôrajik wollte nun sein Zelt errichten, der Riese aber sagte:
»In meinem Hause ist Platz für uns alle, kommt nur herein.«
Tunutôrajik trat ein und erstaunte mächtig über alle die herrlichen Dinge, die es drinnen zu sehen gab. Die Wände des Hauses waren ganz und gar mit Fellen bedeckt, und überall, wohin das Auge fiel, hingen Gegenstände aus Eisen: da waren lange Messer, aber auch Kleidungsstücke, kunstfertig aus Eisen gemacht, und allerhand Waffen Zu Zeiten, als es kein Eisen gab, war es das Zeichen größten Reichtums.. Das alles betrachtete er und konnte sich nicht satt sehen.
So wurden Tunutôrajik und seine Frau Hausgenossen des einbeinigen Riesen. Als sie sich miteinander eingelebt hatten und gute Freunde geworden waren, sagte der Riese:
»Paß auf, bevor der Winter kommt, werden große Schiffe durch den Sund segeln, in ganzen Flotten werden sie vorbeikommen.«
Als eine geraume Zeit vergangen war und der Winter sich näherte, kamen wirklich, wie er gesagt, viele Schiffe durch den Sund, und jedesmal, wenn eines vorbeikam, rief der Riese:
»Wer seid ihr?«
Sie antworteten: »Wir sind Handelsreisende.«
Dann ließ er sie ungestört vorbeifahren. Bisweilen aber beantworteten die Schiffe seine Frage nicht. Dann humpelte er, so schnell er konnte, ins Haus und kam ganz in Eisen gekleidet und mit einer riesigen Peitsche bewaffnet wieder heraus. Die Peitsche war so lang, daß sie über den ganzen Sund reichte. Wenn das Schiff den Versuch machte, vorbeizusegeln, schlug er danach mit seiner Peitsche und traf den Mast, so daß das Schiff stilliegen mußte. Sofort kletterte ein Mann auf den Mast hinauf und schnitt die Peitsche durch. Der Riese aber knallte von neuem, die Peitsche wickelte sich um den Mast und er zog das Schiff damit aufs Land. Dann ging er an Bord, während die ganze Schiffsbesatzung vor ihm floh.
Darauf nahm »der Einbeinige« alles, was an Bord war, befrachtete das Schiff statt dessen mit Bärenfellen und ließ es weitergehen. Zu Tunutôrajik sagte er, so müsse man die Leute behandeln; denn wenn sie nicht antworteten, seien es sicher Nungutsiartortut, die nur auszögen, um ihre Mitmenschen auszurotten und zu töten Nungutsiartortut: Menschen, die Rache üben, indem sie einen Wohnplatz überfallen und alle Einwohner ausrotten und töten. Die Tat, die gerächt werden soll, ist häufig schon von anderen Generationen begangen worden, doch wird sie nicht vergessen..
Als alle Schiffe vorübergefahren waren, stand der Winter vor der Tür, und der einbeinige Riese begann sein Haus mit Pfählen zu stützen. Als er damit fertig war, entdeckte Tunutôrajik eines Tages, als er vors Haus trat, eine weiße Wolke, die den ganzen westlichen Horizont bedeckte und sich schnell zu nähern schien. Er ging ins Haus und sagte:
»Eine weiße Wolke nähert sich mit großer Geschwindigkeit aus Westen. Ich glaube, wir werden Sturm aus Südwesten bekommen.«
Dazu sagte der Riese nichts. Bald darauf ging man zur Ruhe. Als sie am nächsten Morgen erwachten, hörten sie ein Lärmen und Schwatzen vorm Hause, als ob ein Haufen Menschen durcheinander redete. Tunutôrajik wollte hinausgehen, konnte aber die Tür nicht öffnen, denn in der Nacht hatten sich unermeßliche Mengen von Vogelmist um das Haus her aufgehäuft. Endlich glückte es ihm und er lief spornstreichs zu seinem Kajak, um zu sehen, wie es damit stände. Welcher Anblick aber bot sich ihm! Nur der Vorder- und Achtersteewen ragten hervor, sonst war der Kajak ganz unter dem Vogelmist begraben. Tunutôrajik lief ins Haus und berichtete:
»Riesengroße Vogelschwärme müssen heute nacht bei unserem Hause gewesen sein, denn man kann vor Vogelmist nicht treten. Sogar mein Kajak ist ganz darunter begraben.«
Der Riese aber ging hinaus und nahm einen Spaten mit. Nach einer Weile kam er wieder herein und sagte: »Jetzt ist alles in Ordnung.«
Als Tunutôrajik hinauskam, sah er, daß sein Kajak ausgegraben und unbeschädigt war. Und sofort begab er sich auf die Seevogeljagd. Kaum war er draußen auf dem Meer, als ein Vogel auf ihn zugeschwommen kam, sich quer vor seinen Kajak legte, den Schnabel öffnete und wie ein Mensch zu sprechen begann:
»Schau, ich liege hier vor dir, nimm deinen Pfeil und durchbohre mich.«
Tunutôrajik hob seinen Pfeil und schoß, traf aber nicht Da hörte er eine andere Stimme zwischen den Seevögeln höhnisch sagen:
Gleich darauf kam ein anderer Vogel geschwommen und sagte: »Schau, wie hübsch artig ich hier vor dir liege. Triff mich mit deinem Pfeil, wenn du kannst.«
Diesmal traf Tunutôrajik, und von da an schoß er so viele, daß er sie kaum in seinem Kajak unterbringen konnte. Darauf ruderte er nach Hause, um dem Riesen seinen Fang zu bringen; zu seiner Ueberraschung aber geriet dieser ganz außer sich vor Zorn. So wütend war er, daß er gar nichts sagen konnte. Tunutôrajik war ganz verzweifelt und fragte seine Frau, warum der Riese wohl so böse sei.
»Wahrscheinlich hast du die Vögel getötet, mit denen er sich zu unterhalten pflegt,« sagte seine Frau.
Da bat Tunutôrajik um Verzeihung, und der Riese verzieh ihm. Abends ließ Tunutôrajik die Vögel von seiner Frau zubereiten, und als sie gekocht waren, wurden sie den Hausgenossen vorgesetzt.
Igtuko hatte noch nie gekochte Vögel gegessen und war darum anfangs etwas zaghaft. Als er aber erst gekostet hatte, schmauste er für Zehn und sagte schließlich:
»Meinetwegen kannst du so oft auf die Vogeljagd gehen, wie du Lust hast, an Fang soll es dir nicht fehlen.«
So gut hatten sie ihm geschmeckt. Tunutôrajik aber ging von nun an täglich auf die Jagd. Schließlich aber verließen die Vögel das Land und schwammen aufs Meer hinaus.
Inzwischen war der Winter allen Ernstes mit seiner Kälte gekommen, und als Tunutôrajik eines Tages draußen gewesen war, sagte er, als er hereinkam:
»Es ist bitterkalt, es friert Stein und Bein.«
Igtuko aber antwortete: »Entstand eine Vertiefung: im Schnee, als du dein Wasser ließest?«
»Ja, es entstand eine Vertiefung.«
Da antwortete Igtuko: »Dann ist's noch nicht kalt Die Luft wird erst kalt, wenn dein Wasser zu Eiszapfen gefriert, in dem Augenblick, wo es deinen Körper verläßt.«
An einem zeitigen Morgen ging Tunutôrajik hinaus, und als er sein Wasser ließ, kam keine Vertiefung im Schnee, sondern es war, als ob das Wasser in ihn zurückkehrte und als Eiszapfen herabfiel. Er ging ins Haus und erzählte es, und Igtuko antwortete:
»Jetzt ist es kalt; geh hinaus und sieh, ob das Eis tragen kann.«
Tunutôrajik ging aufs Eis hinaus, machte sich schwer und trampelte darauf herum; das Eis aber knackte nicht unter ihm, und er fand keine Stelle, die unsicher war.
Als Tunutôrajik am nächsten Morgen erwachte, war Igtuko bereits zum Fang ausgegangen. Er eilte ihm nach, obgleich er aber den ganzen Tag unterwegs war, fand er ihn nicht. Kaum war er wieder zu Hause, als er den Riesen kommen hörte. Er trug die Eingeweide von Seehunden auf dem Rücken.
Tunutôrajik fragte ihn: »Wo hast du sie gefangen?«
Igtuko antwortete: »Wo ich Seehunde zu fangen pflege.«
»Morgen werde ich dich begleiten.«
»Meine Fangstellen sind zu weit draußen für jemand, der nicht sehr schnell gehen kann.«
Da mußte Tunutôrajik es aufgeben, ihn zu begleiten.
Es war jetzt tiefer Winter, und die Dunkelheit wurde von keinem Tageslicht unterbrochen. Da begann der Riese sein Haus abermals mit Pfählen zu stützen, und darauf gingen sie zur Ruhe. Als sie am nächsten Morgen erwachten, hörten sie ein Poltern und Brummen draußen; am Laut konnte man hören, daß es Bären waren. Tunutôrajik kleidete sich schnell an, der Riese aber sagte:
»Die Fangtiere, die du draußen hörst, können nur von ganz gewandten Jägern erlegt werden.«
Igtuko aber nahm ein langes Messer und ging hinaus. Als eine Zeit vergangen war, hörten sie ihn draußen sagen:
»Jetzt gibt's hier auch etwas für Leute zu tun, die weniger gewandt sind.«
Da ging Tunutôrajik hinaus und sah rings herum getötete Bären liegen. Er half dem Riesen die Tiere zerlegen, und es dauerte lange, bis sie damit fertig waren.
Nach dem Bärenbesuch wurden die Stützen wieder heruntergenommen, doch dauerte es nicht lange, da stellte der Riese sie wieder auf. Diesmal geschah es mit besonderer Sorgfalt, und Tunutôrajik war darum sehr gespannt, was diesmal kommen würde. Eines Morgens hörte er ein Geräusch wie von großen Tieren, die übers Dach krochen. Darum wagte es Tunutôrajik nicht, als erster hinauszugehen; zu seinem Erstaunen aber sagte Igtuko:
»Mit den Tieren, die du draußen hörst, können Leute fertig werden, die über gewöhnliche Kräfte verfügen.«
Da kleidete Tunutôrajik sich schleunigst an, nahm ein langes Messer und ging hinaus. Igtuko nahm nur seine Peitsche mit. Draußen aber hatten sich eine Menge Walrosse eingefunden, die um das Haus herumkrochen, und die Jagd auf sie war belustigend und spannend. Igtuko schlug nur nach ihnen mit seiner großen Peitsche; wenn er ein Walroß getroffen hatte, streckte es sich steif aus und war im selben Augenblick tot, und so groß war die Kälte, daß es sofort gefror. Die dicke Haut der Tiere platzte und Tunutôrajik konnte sie darum leicht mit seinem Messer zerlegen.
So verging der Winter ohne Sorge und Not, da große Fangtiere ihren Wohnplatz besuchten und ihnen Ueberfluß an Fleisch und Speck lieferten.
Da geschah es, daß Tunutôrajiks Frau guter Hoffnung wurde, und als das Kind zur Welt kam, zeigte es sich, daß es ein Knabe mit einem Bein war. Igtuko mußte also der Vater des Kindes sein, und sie feierten das Ereignis mit großer Freude.
Kaum war das Kind geboren, als Tunutôrajik Zauberlieder zu singen begann; auch der Riese mit dem einen Bein sang Zauberlieder, damit das Kind schnell wachse und in allen Gefahren stark bliebe. So kam es, daß das Kind bereits als halbwüchsiger Knabe stärker als Tunutôrajik war. Bald war er auch ein großer Läufer und trotz seiner Größe leichtfüßig und gewandt.
Der Bär des Meeres riecht Menschen
Die Hausgenossen lebten glücklich und in Frieden zusammen, als sie eines Tages hörten, daß ein Riesenbär, der gefürchtete »Bär des Meeres«, an einem entfernten Wohnort sein Wesen trieb, Menschen überfiel und angriff und sie mit der Zeit ganz ausrotten würde. Als der Knabe dies hörte, sagte er:
»Ich will den Bären töten!«
Tunutôrajik versuchte, ihn davon zurückzuhalten, der Knabe aber ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen.
Der Bär des Meeres aber war so groß, daß er in allen Fjorden Grund hatte; wenn er vom Meer hereinkam, watete er durch das Wasser und konnte alle Bergspitzen beschnüffeln. Seine Lungenkraft aber war so groß, daß ganze Bootsbesatzungen ihm in die Nasenlöcher flogen, wenn er Atem holte. Seinen Winterschlaf hielt er auf dem Grunde der Fjorde. Dort lag er zusammengekauert und kam nur an die Oberfläche, wenn er atmen wollte; darum hatte er ein Luftloch wie die Seehunde, aber es war so groß, daß das Wasser, wenn er Atem holte, schwoll und zu einem Eisberg wurde.
Tunutôrajik wollte den Jungen bei der Jagd nicht allein lassen und begleitete ihn im Schlitten. Als sie in die Nähe der Stelle kamen, wo der Eisbär sein Winterquartier hatte, deckte der Knabe Tunutôrajik und seine Hunde mit Eisschollen zu, um sie vor aller Gefahr zu schützen. Darauf begab er sich zum Luftloch, guckte hinunter und sah den Riesenbären zusammengerollt auf dem Grunde liegen, schlafend. Jetzt begann er Laute auszustoßen wie ein Seehund, scharfe, zischende, pfeifende Laute, um den Bären zu wecken. Der Laut drang durch das Wasser, und als er den Grund des Meeres erreichte, bewegte der Bär seine Ohren und gleich darauf hob er den Kopf und erblickte den Knaben. Kaum hatte er ihn entdeckt, als er an die Oberfläche kam; und so groß war er, daß seine Augen von oben auf das kleine Menschlein herabblickten, obgleich er nur seinen Kopf aus dem Wasser steckte. In dem Augenblick, wo er eine Pfote aufs Eis setzte, jagte der Knabe ihm seine Harpune in die Armhöhle, und als er die zweite Pfote hob, harpunierte er ihn von der anderen Seite und lief darauf, so schnell er konnte, davon. Der Bär versuchte, ihm zu folgen, stürzte aber bald und war im selben Augenblick tot. Der Junge jedoch, der sich gar nicht umzublicken wagte, setzte seinen Lauf aus allen Kräften fort. Da steckte Tunutôrajik den Kopf aus seinem Versteck hervor und rief: »Er fiel, er fiel, er ist tot!«
Der Knabe aber hörte ihn nicht und lief nur immer weiter, bis er so weit weg war, daß er sich umzusehen wagte. Als er aber sah, daß er den Bären getötet hatte, war er so erschöpft vor Angst und Spannung, daß er in Tränen ausbrach. Nachdem er sich aber gefaßt hatte, war die Freude groß, und noch größer wurde sie, als sie nach Hause kamen und von der Heldentat berichteten.
Nun verging eine lange Zeit, ohne daß sich etwas Besonderes ereignete. Eines Tages aber hörten sie, daß sich an einem Wohnplatz weit im Norden ein Riesenfalke aufhalten sollte, der drauf und dran war, alle Bewohner auszurotten.
Wieder sagte der Knabe:
»Ich werde ihn töten!«
Noch eifriger, als das vorige Mal versuchte Tunutôrajik. ihn zurückzuhalten; der Knabe aber schwieg zu allem und verfertigte sich einen Bogen. Darauf zog er aus, Tunutôrajik aber folgte ihm wie das erste Mal. Sie reisten lange, schließlich aber entdeckten sie die jungen Falken hoch oben auf einem gewaltigen Felsen; sie waren so groß wie junge Bären. Tunutôrajik versteckte sich hinter einem Steinhaufen, während der Knabe auf das Nest zuging. Da tauchte über dem Meer der Riesenfalke auf, der einen ganzen Bären im Schnabel hielt. Kaum aber sah er den Knaben, als er den Bären fallen ließ und sich auf den Knaben stürzte. Der Knabe zielte, und als der Falke ganz nah war, schoß er seinen Pfeil auf ihn ab; der Pfeil traf ihn an der Brust, glitt aber an seinen steifen Federn ab. Da packte der Falke den Knaben und flog mit ihm zu seinem Nest; weil er aber nur seinen Pelz gefaßt hatte, streifte der Knabe diesen ab und ließ sich zur Erde fallen. Kaum sah der Falke den weißen Körper stürzen, als er den Pelz fallen ließ und mit solcher Gewalt auf den nackten Knaben niederschoß, daß er ihn zerschmetterte.
Dann brachte er ihn seinen Jungen, die ihn mit Haut und Haaren auffraßen.
Wieder flog der Riesenfalke übers Meer, und erst als er am Horizont verschwunden war, wagte Tunutôrajik sich aus seinem Versteck hervor.
Weinend kehrte er nach Hause zurück und blieb bis an sein Lebensende bei dem Riesen mit dem einen Bein.
In Sermilik wohnte einst ein Mann, der Qilàituaq hieß. Er hatte drei Söhne und einen Schwager; seine größte Lust war, weit aufs Meer hinauszurudern, um Bären und Seehunde zu jagen. Als er einst mit seinen Söhnen und seinem Schwager weit draußen war, wurden sie von einem Sturm überrascht; vergeblich versuchten sie sich an Land zu retten, überall war das Eis schon aufgerissen und Landung unmöglich. So kamen sie ins Treiben und mußten sich schließlich auf einen Eisberg retten. Dort gruben sie sich eine Höhle aus Schnee und nahmen die Hunde mit hinein, damit es wärmer wurde. Drei Tage lang sahen sie nichts, so tobte und schäumte das Meer um sie herum. Erst am vierten Tage wurde das Wetter ruhiger und sie gingen hinaus, um zu sehen, wo sie hingeraten waren. Vergeblich aber spähten sie in alle Richtungen, nirgends konnten sie Land entdecken; wohin ihr Blick schweifte, überall war Meer. Sie mußten sich in ihr Schicksal ergeben und auf dem Eisberg bleiben. Und die Zeit verstrich, es wurde Frühling und es wurde Sommer. Sie aßen ihre Hunde und hatten fast alle verzehrt, und so viel Eis hatten sie geschluckt, um ihren Durst zu löschen, daß ihnen Lippen und Zunge ganz wund waren. Schließlich verloren die Söhne die Geduld und machten ihrem alten Vater Vorwürfe: »Wir haben stets gehört, daß Qilàituaq sich seiner großen Zauberkunst rühme.« Qilàituaq aber schwieg dazu. Schließlich sagte auch der Schwager: »Ich glaubte, Qilàituaq sei ein weiser Mann!« Da erst antwortete der Alte:
»Es ist wahr, ich kenne ein Zauberlied, das Wasser herbeischaffen kann; es wurde ehemals gesungen, wenn man Frauen austauschte.«
Darauf nahm der Alte ein Stück Holz von seinem Schlitten und schnitzte zwei Puppen daraus; die eine hatte kurzes, die andere langes Haar. Mit ihnen ging er auf den Gipfel des Eisberges und baute ein Eishaus. Als es fertig war, legte er die Puppen auf die Pritsche. Darauf machte er eine Vertiefung auf der anderen Seite des Hauses und sang Zauberlieder. Als er fertig war, dämmerte schon der Abend, und sie gingen alle in ihrem eigenen Haus zur Ruhe.
Zeitig am nächsten Morgen liefen sie zu dem verzauberten Eishaus, und siehe, die Puppen waren vertauscht. Jetzt zweifelte keiner mehr, daß sie auch Wasser bekommen würden – und richtig, das Loch neben der Eishütte war voll Wasser. Sie waren so schnell gelaufen, daß der Vater ihnen nicht hatte folgen können; als er aber sah, daß einer der Söhne sich niederbeugte, um zu trinken, rief er:
»Nur wer das Zauberlied gesungen hat, darf zuerst trinken!«
Der Sohn aber wollte nicht hören, und als er sich wieder niederbeugte, um zu trinken, verschwand alles Wasser.
Sagte der Vater: »Ihr Jungen habt es immer so eilig; ich habe eine große Arbeit verrichtet, um euch zu helfen, meine Schuld ist es nicht, daß sie vergebens war. Doch kann ich noch ein anderes Zauberlied, das ich singen will, wenn ihr schweigen und warten wollt.«
Und er verrichtete seinen Zauber ebenso wie am Tage vorher. Und wieder ging alles in Erfüllung. Die Puppen waren vertauscht und die Kumme, die er ins Eis gehackt hatte, war bis zum Rande mit Wasser gefüllt. Wieder versuchte der älteste der Söhne zuerst zu trinken, der Vater aber faßte ihn noch rechtzeitig an der Ferse und schleuderte ihn zur Seite. Darauf trank er selbst soviel wie er mochte, die Kumme aber wurde nicht leerer. Er richtete sich auf und sagte: »Jetzt könnt ihr trinken!« Und die Söhne tranken, bis sie nicht mehr konnten, das Wasser aber nahm nicht ab. Erst als der Schwiegersohn trank, nahm das Wasser ab; als aber die Kumme leer war, konnte der Schwiegersohn auch nicht mehr trinken.
Der Sommer ging zu Ende und noch immer waren sie auf dem Eisberg; es wurde Herbst und sie hatten nichts mehr zum Leben. Der Tod schien ihr sicheres Schicksal zu sein.
Da begannen die Söhne wieder zu murren:
»Wir haben stets gehört, daß Qilàituaq nicht hinter anderen Zauberern zurückstehe!«
Der Alte aber erwiderte nichts auf ihre Vorwürfe.
Erst als der Schwager sagte: »Auch ich habe stets gehört, daß Qilàituaq ein großer Zauberkünstler sei!« Erst da antwortete der Alte:
»Ich kenne ein Zauberlied, das Land herbeischaffen, ein Zauberlied, das uns die Heimkehr bringen kann.«
Damit verließ der Alte die Eishöhle, und die anderen folgten ihm. Er begab sich auf die Seite des Eisberges, die schroff ins Meer fiel, sagte eine Zauberformel her und sprang kopfüber ins Meer.
Die anderen warteten voller Angst, ob er wieder zum Vorschein kommen würde; es dauerte lange, schließlich aber, als er auftauchte, war er in einen Bären verwandelt.
Der Vater und seine Söhne waren ganz in Bärenhäute gekleidet, Pelz, Hosen, Kamiken und Handschuhe, alles war aus Bärenfell.
»Gleiche ich einem Bären?« rief der Alte zu ihnen herauf.
»Du bist ein Bär,« antworteten die andern.
»Tut wie ich, und stürzt euch ins Meer.«
Und die Söhne sprangen herab und wurden alle zu Bären.
Nur der Schwager blieb auf dem Eisberg stehen und wagte den Sprung nicht; und da die Zeit nutzlos verstrich, rief der Alte ungeduldig zu ihm herauf:
»Du hast doch gehört, daß ich nicht hinter anderen Zauberern zurückstehe, warum zweifelst du an mir!«
Da erst sprang der Schwager ins Meer. Weil er aber den Kopfsprung nicht wagte, ließ er sich rückwärts ins Meer fallen. Als er nun in der Gestalt eines Bären wieder auftauchte, fragte er die anderen:
»Gleiche ich jetzt auch einem Bären?«
Freilich gleichst du einem Bären, dein Hinterteil aber ist fast ganz kahl!«
Da fiel dem Schwager ein, daß er ein Walroß als Amulett bei sich trug. Er tauchte noch einmal unter, blieb sehr lange unter Wasser, und als er wieder zum Vorschein kam, hatte er die Gestalt eines Walrosses.
»Gleiche ich einem Walroß?« rief er den andern zu.
»Du bist ein Walroß,« antworteten sie.
»Laßt uns an Land schwimmen,« befahl der Alte, und sie schwammen an Land. Das Walroß aber war am schnellsten, weil es sich lange unter Wasser halten konnte.
Es verging eine lange Zeit, ehe sie Land sahen. Schließlich aber stiegen Felsen aus dem Meere auf, und als sie sie erreicht hatten, befanden sie sich an der Mündung eines großen Fjords, der voll Wintereis war. Die Bären kletterten gleich aufs Eis hinauf, das Walroß aber blieb im Wasser. Kaum waren sie oben auf dem Eise, als sie viele Menschen auf sich zugelaufen kommen sahen; einige zogen Kajaks hinter sich her, andere hatten nur ihre Harpunen.
Ein Zauberboot überfällt den Geisterbeschwörer Avggo, der auf eine Klippe geflüchtet ist, von wo er sich mit Hilfe seiner Hilfsgeister, dem Riesenfalken und dem »Schiefmündigen« verteidigt. Zauberboote überfallen einsame Reisende und sind leicht kenntlich, weil sie mit weiß und schwarzen Fellen überzogen sind.
»Es geht ums Leben,« sagte der Alte, »fänden wir nur ein Stück Eis, hinter dem wir uns verbergen könnten.« Und sie flüchteten hinter eine Eisscholle, entledigten sich in aller Eile ihrer Bärenhaut, und waren wieder Menschen. Das Walroß aber brauchte nur aufs Eis hinaufzukriechen, um wieder Mensch zu werden.
Die Fremden aber, die angelaufen kamen, erstaunten sehr, als sie Menschen statt Bären sahen.
»Ich bin sicher, daß es Bären waren!« sagte der Mann, der sie zuerst gesehen, und darum Anrecht auf das Fell des größten hatte.
»Wir irrten uns, weil sie Bärenpelze tragen,« sagten die anderen. Und sie forderten sie auf, als Gäste mit zu ihrem Wohnplatz zu kommen.
Das ließen sie sich nicht zweimal sagen und erfuhren, daß das Land, zu dem sie geschwommen waren, das große Akilineq war.
Beim Wohnplatz angelangt, wurden sie in ein großes Haus geführt und zu Tisch gebeten; aber die Zeit verging und keine Mahlzeit wurde aufgetragen, wie es Sitte ist, wenn Gäste willkommen sind.
Nach einer Weile kam ein altes Weib herein; sie trug die Hirnschale eines Menschen in der Hand, darin war eine Gehirnmasse ausgerührt. Dies Gericht bot sie Qilàituaqs Schwager, und forderte ihn auf, davon zu essen. Die Alte aber war eine Hexe und das Gericht vergiftet. Der Alte aber entriß seinem Schwager die Hirnschale und sagte: »Nein, ich will beginnen.« Worauf Qilàituaq das ganze vergiftete Hirn aß. Darauf legte er die Hirnschale mit dem Boden nach aufwärts auf die Pritsche, und als er sie umdrehte, war sie wieder gefüllt. Er gab sie seinen Söhnen und seinem Schwager, indem er sie aufforderte, davon zu essen. Und sie aßen und nahmen keinen Schaden daran. Qilàituaq füllte die Hirnschale viermal, und als seine Begleiter gegessen hatten, füllte er sie noch einmal und gab sie der Hexe, Indem er sagte:
»Nun iß du!«
Sie aber nahm die Schale und wagte nicht davon zu essen, sie hielt nur ihren Zeigefinger darüber, als ob sie kosten wollte. Da gab Qilàituaq ihr einen Stoß, so daß ihr Finger in die Gehirnmasse tauchte. Wieder hielt sie den Finger an den Mund, wagte aber nicht von dem vergifteten Gericht zu kosten; da aber versetzte Qilàituaq ihr noch einen Schlag, so daß der Finger ihr in den Mund flog. Die Hexe brach in Lachen aus und stürzte durch den Hausgang. Auf halbem Weg aber fiel sie um und war tot. Sogleich wurde ihre Leiche von unsichtbaren Händen hinausgezogen, und man hörte das Geräusch von klirrenden Messern und von Menschen, die den Leichnam zerlegten.
»Ach, unsere Großmutter ist tot,« hörten sie jemanden draußen sagen.
»Wir haben einen Fehler begangen und wollen ihn wieder gut machen!« sagte ein anderer. Darauf war es still.
Nach einer Weile kam ein Mann herein. Er setzte sich zu den Fremden und schlug ihnen einen Ringkampf vor. Der Schwager war der Größte und Stärkste, und darum sollte er beginnen. Während sie miteinander rangen, hörte man plötzlich ein Knacken, und im selben Augenblick fiel der Schwager tot um. Ebenso wie die alte Hexe wurde er durch den Hausgang gezogen, und abermals hörte man das Klirren von Messern und das Geräusch von Menschen, die die Leiche zerlegten.
Jetzt wollte einer der Söhne vortreten und den Schwager rächen; Qilàituaq aber hielt ihn zurück und sagte:
»Jetzt komme ich an die Reihe.« Und er trat vor den Mann, der seinen Schwager getötet hatte. Sie rangen nur einen Augenblick, da hörte man wieder den knackenden Laut, der Alte bog die Arme des Menschenfressers auseinander, tötete ihn mit einem Faustschlag in den Unterleib und warf ihn durch den Hausgang hinaus.
Im selben Augenblick kam ein anderer herein, aber auch ihn tötete der Alte und so immer weiter, solange sich Stellvertreter meldeten. Schließlich kam keiner mehr.
Jetzt aber war es Zeit für Qilàituaq und seine Söhne aus dem Hause zu fliehen; draußen im Hausgang aber war es schwarz von Menschen, um das ganze Haus herum, vor Fenstern und Türen standen sie; alles war umringt, nirgends ein Ausweg. Die Helfer und Rächer der Getöteten waren bereits herbeigeströmt. Der Alte und seine Söhne mußten vorläufig im Hause bleiben.
»Gebt mir meine Ueberzugkamiken!« sagte der Alte.
»Er will fliehen,« murmelten die Männer, die das Haus umringten, »er will fliehen.«
Und man gab ihm seine Kamiken. Er untersuchte sie genau und nahm darauf aus dem einen Schaft einen Fuchszahn, über den er Zauberformeln murmelte. Und der Zahn wurde zu einem Fuchs, und diesen Fuchs sandte er hinaus, indem er ihm befahl:
»Nimm die Besten zuerst!«
Der Fuchs sprang hinaus.
»Hei – ein Fuchs, ein Fuchs! Greift ihn! Wir wollen ihn fangen!« hörte man draußen rufen.
Und die Menschen liefen durcheinander, weiter aber ereignete sich nichts. Der Fuchs konnte ihnen nichts anhaben und kam unverrichteter Sache zurück.
Qilàituaq verwandelte ihn wieder zu einem Zahn und steckte ihn in seine Stiefel.
»Bringt mir mein Bärenfell!« Und sie gaben ihm seinen Pelz. Aus dem Kragen zog er das Barthaar eines Raben und verwandelte es zu einem kampflustigen und gefährlichen Raben, der kaum im Hause zu halten war.
»Nimm die Stärksten zuerst,« befahl der Alte, indem er ihn durch den Hausgang hinausließ. Und kurz darauf hörte man von draußen schreien: »O, er ist gefallen! Auch er ist tot! Er zieht ihm die Gedärme aus dem Leib!« Und so schrien sie lange, bis es ganz still wurde.
Da kam der Rabe wieder herein und alle Männer waren getötet. Der Rabe aber hatte einen Schlag gegen den Schnabel bekommen, so daß die eine Seite seines Bartes sich gelöst hatte, und darüber war er so böse, daß er kaum zu beruhigen war; der Alte mußte ihm gut zureden, bevor er so ruhig wurde, daß er ihn wieder zu einem Barthaar verwandeln konnte, das er in den Kragen seines Bärenpelzes steckte.
Als Qilàituaq und seine Söhne vors Haus gingen, lag es draußen voller Toter.
Qilàituaq und seine Söhne aber ruderten nach Hause und, erreichten ihren Wohnplatz ohne Widerwärtigkeiten. Groß wäre ihre Freude gewesen, hätten sie allesamt heimkehren können, so aber trauerten sie noch lange über den Tod des großen und tüchtigen Schwagers.
Es war einmal ein tüchtiger Fänger. Wann immer er nach seinen Netzen sah, konnte er sein Boot mit Seehunden füllen. Eine Frau hatte er nicht, sondern wohnte bei einer älteren verheirateten Schwester.
Einstmals, als er wie gewöhnlich nach seinen Seehundsnetzen sehen wollte, war zwischen den Frauen, die sein Boot rudern sollten, ein junges Mädchen, das einzige geliebte Kind ihrer Eltern. Ulîvaitsiaq wollte sie eigentlich nicht mitnehmen, da sie aber so inständig darum bat, willigte er schließlich ein. Sie ruderten fort und kamen zu einem kleinen Sund, der das Festland von dem Inselland trennte; dort untersuchte er seine Netze, während die Frauen an Land gingen, um Beeren zu pflücken. Als er fertig war, rief er nach seinen Ruderinnen, und sie kamen alle, ausgenommen das junge Mädchen, das einzige Kind ihrer Eltern. Sie riefen nach ihr, und als sie nicht antwortete, suchten sie sie überall zwischen den Bergen. Schließlich aber mußten sie ohne sie nach Hause rudern. Die Eltern waren verzweifelt über den Verlust ihres einzigen Kindes. Sie suchten noch oft nach ihr, aber immer ohne Erfolg.
Eines Tages aber kam Ulîvaitsiaq ein glücklicher Gedanke und er sagte:
»Wer weiß, vielleicht haben die Riesen, die auf dem Inlandeis wohnen, sie geraubt! Wenn es Winter wird, will ich Geister beschwören und versuchen, ob ich zu ihnen gelangen kann.«
Und er erzählte, daß er diese Riesen bereits einmal besucht habe; es waren fünf große Inlandsriesen, die mit ihrer Schwester zusammen hausten. Als die Wohnplatzgenossen dies vernommen hatten, riefen sie bereits am nächsten Morgen zu Ulîvaitsiaq ins Fenster hinein:
»Wann willst du deine Geister beschwören?«
Und Ulîvaitsiaq antwortete:
»Werdet es schon erfahren.«
Das wiederholte sich alle Tage; jeden Morgen wurde zu ihm durchs Fenster gerufen:
»Wann willst du deine Geister beschwören?«
Und er antwortete:
»Werdet es schon erfahren.«
Und es wurde Winter; als aber die Tage nach der großen Dunkelheit länger zu werden begannen, sagte Ulîvaitsiaq eines Tages zu seiner Schwester:
»Näh' mir Kleider aus ungegerbtem Seehundsfell, die will ich bei der Geisterbeschwörung tragen. Nur unter den Armhöhlen und an den Gelenken mußt du das Fell weich machen, so daß ich die Arme frei bewegen kann, und der Anzug muß so lang sein, daß nur meine Füße daraus hervorsehen.«
Der Anzug aber sollte so steif sein, damit keine Waffe hindurchdringen konnte. Die Schwester begann nun einen Anzug aus Sohlenleder und steifem Seehundsfell zu nähen, und so schwer war die Arbeit, daß sie Hilfe dabei gebrauchte. Schließlich aber war der Pelz fertig, und als Ulîvaitsiaq fand, daß die Tage lang genug seien, ließ er in die Fenster seiner Wohnplatzgenossen hineinrufen:
»Wo seid ihr nun, all ihr Ungeduldigen? Ich begebe mich jetzt ins Land der Riesen!«
Kaum hatte er diese Worte gesagt, als großer Lärm im Nachbarhaus entstand, und die Eltern des verschwundenen Mädchens kamen heraus und begleiteten ihn. Es war zu jenen Zeiten, als noch kein Schnee auf Erden fiel. Unterwegs überzeugte Ulîvaitsiaq sie bei jeder Gelegenheit von seiner Kraft. Kamen sie an großen Steinen vorüber, schlug er mit seiner geballten Faust darauf und brach sie mitten durch, und Steinblöcke, die fest in Lehmerde steckten, hob er mit zwei Fingern heraus. Als sie auf das Inlandeis hinaufgelangt waren, erblickten sie bald einen Berg. Sie näherten sich diesem schnell, und als sie nicht mehr weit davon entfernt waren, fragte Ulîvaitsiaq:
»Könnt ihr das Haus sehen?«
Der Mann und die Frau spähten in die Ferne und entdeckten bald ein Haus. Sie konnten die Wärme wie Rauch aus den! Luftloch des Hauses aufsteigen sehen. Da sagte Ulîvaitsiaq zu seinen Begleitern:
»Ich will vorangehen und durch das Loch ins Haus sehen; wenn ich das Mädchen drinnen entdecke, werde ich als Zeichen meine Hände heben; ist sie aber nicht da, komme ich gleich zurück.«
Damit ging Ulîvaitsiaq auf das Haus zu, stieg aufs Dach und schaute durch das Loch. Da sah er gleich das junge Mädchen! Die Schwester der Riesen spielte mit ihr, als ob sie ihre Leibesfrucht sei; die Beine hatte sie ihr über die Schultern gelegt und der Kopf hing nach unten. Die fünf Brüder saßen um sie herum und sahen zu. Das junge Mädchen war in Tränen aufgelöst, während sie ihr vergeblich zuzureden versuchten:
»Bist du durstig?«
»Nein.«
»Bist du hungrig?«
»Nein.«
»Willst du dein Wasser lassen?«
»Nein.«
»Sehnst du dich nach deiner Familie?«
»Ja.«
Und da sagten sie zu ihr, indem sie logen:
»Warte nur, wir bringen dich bald nach Hause.«
Da hob Ulîvaitsiaq seine Arme, und die Eltern eilten zu ihm; als sie bei ihm waren, sagte er:
»Bleibt unten im Hausgang; sowie ich ihrer habhaft werden kann, werfe ich sie zu euch hinunter; flieht dann mit ihr, so schnell eure Beine euch zu tragen vermögen.«
Da gingen sie in den Hausgang, stießen aber gleich gegen einen großen flachen Stein, der den Eingang versperrte. Ulîvaitsiaq drehte ihn lautlos herum, so daß sie hereinkommen konnten; als sie aber ein Stück gegangen waren, stießen sie gegen einen anderen und so immer weiter. Der ganze Hausgang war mit großen flachen hochgestellten Steinen angefüllt, die den Eingang versperrten. Schließlich kamen sie an den letzten Stein vorbei und standen vor dem Eingangsloch; dort aber hing ein Vorhang aus lauter Bärenzähnen, die auf Schnüre gezogen waren, und wenn man hindurchgehen wollte und nur einen Zahn berührte, rasselten sie und machten einen furchtbaren Lärm. Ulîvaitsiaq überlegte einen Augenblick, sprang dann plötzlich ins Haus hinein, flog mit einem Satz über die Riesen weg und auf die Pritsche, schlug die große Frau, daß sie tot umfiel, und warf das junge Mädchen in den Hausgang, wo die Eltern sie ergriffen und mit ihr flohen. Die fünf großen Inlandbewohner aber stürzten sich auf Ulîvaitsiaq und schlugen auf ihn ein; da er sich aber hart machte und seine Kleider sehr steif waren, konnte er die Schläge gar nicht fühlen. Da versuchte der eine, seine Kapuze einzuschlagen, und als es ihm glückte, schnürte er sie ihm um den Hals, um ihn zu ersticken. Ulîvaitsiaq hielt lange den Atem an, als ihm aber schließlich schwindlich wurde, schlug er auf den Riesen ein, der vor ihm stand, und tötete ihn auf der Stelle, und dann den zweiten, den dritten und den vierten; nur mit dem vierten spielte er und tötete ihn ganz langsam und nachdem auch das besorgt war, ging er hinaus, und lief hinter den anderen her.
Die beiden Alten hielten ihr Kind bei den Händen und rannten mit ihm, so schnell ihre Beine sie tragen wollten. Als sie sich einmal umdrehten und Ulîvaitsiaq sahen, glaubten sie, es sei einer der Riesen und liefen noch schneller; schließlich aber erkannten sie ihn und er holte sie ein.
Nach ihrer Rückkehr schenkte der alte Mann Ulîvaitsiaq seinen Kajak und alles, was dazu gehörte, zum Dank dafür, daß er ihm seine Tochter zurückgegeben hatte.
Eines Tages kam ein Mann zum Wohnplatz und erzählte, daß Kagtagtuks Sohn alle Menschen erschlüge, die zum Besuch kämen. Als Ulîvaitsiaq das hörte, sagte er:
»Diesen Mann will ich besuchen!«
Seine Schwester, die für sein Leben fürchtete, versuchte vergeblich, ihn zurückzuhalten; als er bei seinem Vorhaben beharrte, versuchte auch sein Schwager ihn zu überreden, zu Hause zu bleiben.
Da aber sagte Ulîvaitsiaq:
»Ich will ihn nur sehen, kehre dann gleich zurück.«
So brach er denn auf und kam zu Kagtagtuks Wohnplatz »Er ging auf gut Glück auf das nächste Haus zu, das zwei Hausgänge hatte, und es zeigte sich, daß es Kagtagtuks Haus war.
Nun wußte er nicht, durch welchen Hausgang er gehen sollte, darum wählte er den ersten besten, und als er hereinkam, sah er Kagtagtuk auf der Pritsche sitzen.
Der alte Kagtagtuk war sehr freundlich und gastfrei gegen ihn, als es aber Abend wurde, sagte er:
»Jetzt ist das Wetter gut zur Heimreise.«
Er wollte seinen Gast bewegen, vor der Rückkehr seines Sohnes aufzubrechen.
Ulîvaitsiaq verstand ihn wohl, blieb aber trotzdem. Hierüber beunruhigte der Alte sich und seufzte so tief auf, daß Ulîvaitsiaqs Haar sich bei seinem Atemzuge bewegte.
Die Schwiegertochter ging hinaus, und als sie wieder hereinkam, sagte sie:
»Soeben taucht er hinter der Landzunge auf und hat seine Beute im Schlepptau.«
Sie blickten durchs Fenster und sahen ihn mit einem erlegten Walroß heranrudern. Als die Frau wieder hinausging, folgte Ulîvaitsiaq ihr und faßte sie um den Leib, obgleich sie sich wehrte. Aber er war stark, und schließlich folgte sie ihm willig. Als Kagtagtuks Sohn aber seine Frau mit einem andern Manne sah, wurde er zornig und ruderte mit solcher Geschwindigkeit, daß die Hinterflossen des Walrosses im Wasser auf und nieder wippten; denn es war aus Eifersucht, daß er alle Besucher tötete. Er stieg ans Land und zog das Walroß mit einem einzigen Ruck bis an die Brust über eine rauhe Klippe. Darauf sagte er:
»Ich will erst trockenes Zeug anziehen.« Er eilte ins Haus, und währenddessen ließ Ulîvaitsiaq das große Walroß wieder ins Wasser fallen und zog es an einer andern Stelle, wo der Felsen noch rauher war, mit einem Ruck ganz aus dem Wasser. Als Kagtagtuks Sohn zurückkam und das Walroß nicht an der Stelle fand, wo er es herausgezogen hatte, suchte er es, rollte es wieder ins Wasser und brachte es dorthin zurück, wo er es zuerst aus dem Wasser gezogen hatte.
Ulîvaitsiaq aber ging langsam auf Kagtagtuks Haus zu, bückte sich und kroch hinein.
Kurz darauf kam Kagtagtuks Sohn. Aber er hielt. sich nur einen Augenblick im Hause auf, ging dann durch den Hausgang seines Vaters hinaus und schlüpfte in seinen eigenen, und das wiederholte er mehrmals. Ulîvaitsiaq aber hatte entdeckt, daß über dem Hauseingang eine Waffe aus Knochen mit einem Holzgriff hing, die ganz blutig war. Mit dieser Waffe pflegte Kagtagtuks Sohn den Besuchern die Köpfe zu spalten.
Plötzlich ergriff Kagtagtuks Sohn die Waffe und schlug nach Ulîvaitsiaqs Kopf. Dieser aber wehrte den Schlag rechtzeitig mit der Hand ab. Kagtagtuks Sohn schlug wieder nach ihm, und wieder parierte Ulîvaitsiaq den Schlag. Als er aber einen Schlag bekam, der ihn schmerzte, verlor er die Geduld, entriß dem andern die Waffe und übermannte ihn. Er setzte sich und klemmte die Hände und Beine des andern zwischen seine Beine; als er auf diese Weise seine Hände freibekommen hatte, nahm er ein großes Knochenstück und drückte die Spitze dem andern in die Augen. Darauf drückte er sie ihm gegen die Nase, und so immer weiter, bis das Gesicht ganz anschwoll.
Erst als er ganz unkenntlich geworden war, ließ er ihn los. Der Alte aber, der glaubte, daß sein Sohn getötet war, seufzte so schwer, daß sein Atem über ihre Köpfe strich.
Kagtagtuks Sohn aber, endlich befreit, tastete sich geblendet nach seiner Pritsche.
Ulîvaitsiaq jedoch ging hinaus, um die übrigen Wohnplatzgenossen zu besuchen. Sie waren sehr erstaunt, daß Kagtagtuks Sohn endlich einen Gast bekommen hatte, dem er nichts anhaben konnte. Ulîvaitsiaq aber sagte nach einer Weile zu einem elternlosen Knaben:
»Geh und sieh dich nach Kagtagtuks Sohn um.«
Als der Knabe ins Haus kam, sagte der alte Kagtagtuk:
»Was willst du, scher dich hinaus.«
Der Knabe aber erzählte:
»Kagtagtuks Sohn sieht seltsam aus, sein Gesicht ist ganz geschwollen, man kann ihn kaum erkennen.«
Nach einer Weile sagte Ulîvaitsiaq wieder zu dem Knaben:
»Geh und sieh dich wieder nach Kagtagtuks Sohn um.«
Wieder ging der Knabe hin, und als er zurückkam, sagte er:
»Jetzt ist ihm so schwindlich geworden, daß sich ihm alles im Kreise dreht.«
Ein Vielfresserweib überfällt einen Küstenbewohner mit ihrem Lasso. Nerrersûjuit oder Vielfraßgnomen wohnen in der Nähe des Inlandeises. Sie sind maßlos in ihrer Freßgier und essen alles, sogar Menschen; darum haben sie so große Bäuche.
Bald darauf sah er sich wieder nach Kagtagtuks Sohn um, und als er zurückkam, sagte er:
»Jetzt ist er am Ersticken. Sein Vater hält ein Haar vor seine Lippen, um zu sehen, ob er noch atmet.«
Erst spät am Abend, als man wußte, daß Kagtagtuks Sohn nicht kränker werden würde, reiste Ulîvaitsiaq nach Hause.
Kagtagtuks Sohn aber gesundete wieder und wurde ein guter und friedfertiger Mensch, der nie wieder seinen Besuchern etwas zuleide tat.
Kamikinak im Lande der Riesen.
Kamikinak war ein kleiner, kümmerlicher Knabe. Als er ausgewachsen war, war er nicht größer als ein Kind. Seine Eltern lebten bei Nôrssît in der Nähe von Kap Dan.
Kaminik bekam einen Kajak, aber er ging nie auf die Seehundsjagd; nur mit den Jungen der Lummen wagte er es aufzunehmen, die er bei einer nahegelegenen Insel fing.
Eines Tages warfen seine Eltern ihm vor, daß er nie auf die Seehundsjagd gehe.
»Bist ein kümmerlicher Wicht, Kaminik, hast einen Kajak und ziehst nie auf Fang aus.«
So sprachen sie häufig zu ihm, und schließlich wurde Kaminik böse und beschloß, die Menschen zu verlassen. Als er eines Tages mit seinem Kajak nach Hause kam, legte er seine Fausthandschuhe in den Achtersteven seines Kajaks und sagte, daß er sie verloren habe.
Man nähte ihm ein paar neue. Dies wiederholte sich immer wieder; schließlich war sein Kajak ganz mit Fausthandschuhen angefüllt Man versorgt sich mit Fausthandschuhen, wenn man auf eine weite Reise gehen will und lange rudern muß..
Eines Tages machte er sich auf und ruderte aufs Meer hinaus. Die Kajakmänner, die draußen auf Fang lagen und ihn kommen sahen, sagten zueinander:
»Kommt dort nicht Kaminik? Was fällt ihm ein, hat er den Verstand verloren?«
Kaminik würdigte sie keines Blickes. Er ruderte nur weiter, bis er zu den Kajaks kam, die noch weiter draußen lagen und den Seehunden auflauerten. Als sie ihn kommen sahen, wunderten sie sich, daß er sich so weit hinausgewagt hatte, er aber ruderte an ihnen vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Schließlich passierte er die Kajaks, die am weitesten draußen lagen; auch an ihnen ruderte er vorbei, und alle glaubten, er habe den Verstand verloren.
Dann ruderte er geradeswegs ins offene Meer hinaus und war bald am Horizont verschwunden.
Als die Kajakmänner nach Hause kamen, wurden sie gefragt, ob sie Kaminik nicht gesehen hätten, und alle antworteten, sie hätten ihn meerwärts rudern sehen und schließlich aus den Augen verloren. Und alle glaubten, daß er den Verstand verloren habe.
Kaminik aber ruderte ins offene Meer hinaus, bis er eines großen Eisberges ansichtig wurde. Jedenfalls glaubte, er, daß es ein Eisberg sei, bis er entdeckte, daß er sich bewegte; erst da wurde es ihm klar, daß es eine Riesenmöwe sei, die auf dem Wasser lag und Nahrung suchte. Sie war so groß, daß er nicht an ihr vorbeizurudern wagte, aus Angst, daß sie ihn fressen würde. Darum ruderte er in einem großen Bogen um sie herum, und weiter, immer weiter ins Meer hinaus, bis er einer großen Insel ansichtig wurde. Als er aber genauer hinsah, war es gar keine Insel, sondern ein Mann in einem Kajak, der Riese von Akilineq. Er angelte Kaulköpfe.
Kaminik legte neben ihm an und rief zu ihm hinauf; sein Rufen aber war nur wie ein Klingen in dem Ohr des Riesen. Nach einer Weile aber blickte er sich um, indem er sagte:
»Ist's mir doch, als ob ich rufen hörte!«
Da fiel sein Blick auf Kaminik, und er zog seinen Handschuh aus, fing ihn damit ein und hob ihn zu sich in den Kajak hinauf. Darauf legte er seine Ruder aus und ruderte nach Hause, mit solcher Geschwindigkeit, daß Kaminiks Haare zu Berge standen. Sie ruderten auf einen hohen Felsen zu, der die Form eines Hauses hatte.
Der Riese legte am Strand an und rief nach seiner Frau. Gleich kam eine riesige Frau aus dem Hause. Ihr Mann sagte zu ihr:
»Ich habe dir ein Pflegekind geangelt.«
»Wo ist es?« fragte die Frau eifrig.
»Hier,« antwortete der Mann.
Die Frau blickte sich ringsum, konnte aber nichts entdecken. Da nahm der Mann Kaminik aus seinem Fausthandschuh und reichte ihn ihr. Sie nahm ihn in die hohle Hand, trug ihn ins Haus und legte ihn auf ein Bort, ohne ihn aus seinem Kajak zu nehmen. Dort mußte er drei Tage stehen, denn solch seltener Fang durfte erst nach drei Tagen angerührt werden. Dann erst stellten sie ihn auf die Erde, wo er abermals drei Tage stehen mußte.
Eines Nachts entdeckte er ein Ungeheuer, ein großes, entsetzliches Ungeheuer, das auf ihn zu kam. Kaminik schrie wie besessen und kroch aus seinem Kajak heraus, und es glückte ihm, zu der Pritsche zu entkommen, wo sein Pflegevater schlief. Aber es war ihm nicht möglich, zu ihm hinaufzugelangen; glücklicherweise hing ein Haar herab und daran kletterte er hinauf, indem er schrie:
»Ein schreckliches Ungeheuer verfolgt mich!«
Es dauerte lange, bevor er seinen Pflegevater geweckt hatte, und als er schließlich wach war, fragte er:
»Wo ist es denn?«
Kaminik sagte: »Siehst du denn nicht das schreckliche Ungeheuer, das dort auf mich zukommt?«
»Meinst du den kleinen Erdfloh?« Und sein Pflegevater blies den Erdfloh in eine Ecke, wo er verschwand.
Sagte darauf der riesige Pflegevater: »Komm zu uns herauf.«
Und Kaminik legte sich auf die Pritsche und schlief gleich ein. Er hatte lange und tief geschlafen, als er wieder durch ein Geräusch geweckt wurde und ein großes weißes Tier entdeckte, so groß wie ein Bär.
Wieder rief er voller Angst:
»Was ist das für ein großes entsetzliches Tier?«
Schließlich erwachte sein Pflegevater, und als er das Tier sah, sagte er:
»Ach, das ist nur eine Spinne!« Und er blies nach ihr, so daß sie in einer Ecke verschwand.
Eines Tages zimmerte der gewaltige Pflegevater eine Holzbrücke, die von der Pritsche zum Fenster ging, so daß Kaminik zum Fenster gelangen und hinaussehen konnte; von dort hatte man Ausblick auf zwei Felsen, die durch eine Kluft voneinander getrennt waren.
Und der Pflegevater sagte: »Wenn diese Kluft eines Tages ganz durch ein großes, weißes Tier ausgefüllt wird, mußt du aus vollem Halse: ›Bär, Bär, Bär‹ rufen!«
Von da an saß Kaminik jeden Tag am Fenster und spähte hinaus. Eines Tages sah er ein großes, weißes Tier durch die Kluft kommen. Gleich schrie er: »Bär, Bär!«
»Wo denn?« fragte der Riese.
»Dort, dort!« rief Kaminik.
»Ach, das ist ja nur ein Fuchs. Aber mach dich bereit, mit mir auszugehen.«
Darauf nahm der Riese ihn, steckte ihn in eine Falte seines Kamiks und eilte hinter dem Fuchs her. Er holte ihn ein und fing ihn; darauf zerlegte er ihn und gab dem Knaben ein ganz kleines Stück von seinem Fett; für Kaminik aber war es eine große Bürde, die er auf seinen Rücken nahm und nach Hause schleppte.
Die Pflegemutter war voller Stolz, daß ihr kleiner Pflegesohn seinen ersten Fanganteil bekommen hatte.
Als Kaminik wieder einmal zum Fenster hinausblickte, entdeckte er, daß der Zwischenraum zwischen den beiden Felsen ganz ausgefüllt war, ja, die beiden Felsen schienen einer geworden zu sein; als er aber genauer hinsah, entdeckte er, daß sich an der Stelle, wo die Kluft gewesen war, etwas bewegte, und gleich begann er aus vollem Halse zu schreien:
»Ein Bär, ein Bär, ein Bär!«
Der Pflegevater blickte aus dem Fenster und sagte:
»Ja, diesmal ist es wirklich ein Bär, aber er ist nicht sehr groß.«
Sie machten sich zur Jagd bereit, der Riese steckte Kaminik in eine Falte seines Kamiks, dann ging er auf den Bären los und tötete ihn. Darauf zerlegte er ihn und gab seinem Pflegesohn ein ganz kleines Stück von seinem Speck als Fanganteil. Als aber Kaminik es auf den Rücken nehmen wollte, konnte er es nicht heben, sondern mußte es erst durchschneiden. So brachte er es nach Hause, und wieder empfing die Pflegemutter ihn voller Stolz.
Kurz nach diesem Ereignis merkte Kaminik, daß er zu wachsen begann. Er wuchs so schnell, daß er in kurzer Zeit ebenso groß war wie sein Pflegevater.
Eines Tages fragte ihn der Pflegevater, ob er keine Angehörigen habe.
»Doch,« antwortete Kaminik, »meine Eltern wohnen weiter südlich.«
»Wo?«
»Sie haben Land bei Nôrssît.«
»Willst du sie nicht besuchen?«
So begab Kaminik sich auf den Weg. Er ruderte und ruderte, und als er Land in Sicht bekam, war es Orssuluviaq an der Mündung des Angmagssalik-Fjords. Als er anlegte, war er so groß, daß er seine Hand auf den Gipfel des großen Vorgebirges legen konnte.
Als die Leute Kaminik sahen, riefen sie voller Angst:
»Was ist das für ein gewaltiger Kajakmann?«
Kaminik aber rief ihnen zu: »Bin ja Kaminik, der kümmerliche Knabe.«
Beim Zelt seiner Eltern legte er an; er war so groß geworden, daß er sich nur mit ihnen verständigen konnte, wenn er sie in seine hohle Hand legte. Nachts mußte er draußen schlafen, weil er im Zelt nicht Platz hatte.
Dann ging er auf den Fang, um seinen Eltern Nahrung zu verschaffen. Er ruderte weit aufs Meer hinaus, wo er große Scharen von Seehunden antraf. Er schaufelte sie schnell mit seiner Hand ein und legte sie in seinen Kajak. Wenn sie zu sehr zappelten, nahm er sie bei den Hinterflossen und schlug ihre Köpfe gegeneinander, so daß sie gleich tot waren.
So sammelte er seinen Eltern Vorrat von Seehunden, und machte sich dann zur Rückreise bereit. Und er forderte seine Eltern auf, sich mit ihrem Zelt auf den höchsten Berg, dem Seemannsberg, hinter Orssuluviaq zu begeben, damit die Wirbel, die er mit seinen Rudern aufwühlte, sie nicht ins Meer reißen konnten.
Es lagen damals viele Zelte bei Anordliuitsoq, die meisten Bewohner aber glaubten nicht, was Kaminik sagte. Bevor er aufbrach, trug er das Zelt seiner Eltern mitsamt vielen Seehunden auf den Gipfel des großen Berges hinter Orssuluviaq, und viele von den alten Wohnplatzgenossen folgten seinem Beispiel, nur die Ungläubigen blieben unten.
Als der Tag der Abreise kam, ging Kaminik in sein Boot. Indem er die Wellen mit seinem Ruder teilte, spülten die Wirbel über Land und rissen so viele Menschen mit sich, daß das Meer ganz schwarz war, und so hoch, gingen die Wogen, daß sie fast den Gipfel des Berges erreichten, wo seine Eltern und die anderen ihre Zelte aufgeschlagen hatten.
Von Kaminik aber hat man nie wieder etwas gesehen.
Es lebte einmal ein Fänger, der groß in allen Leibesübungen war; aber er hatte keine Kinder, und sein höchster Wunsch war, einen Sohn zu bekommen.
»Wenn ich einen Sohn bekomme, würde ich mir etwas ganz Besonderes für ihn ausdenken!«
Und er fragte alle Leute im Wohnplatz: »Wie kann man Kinder lehren, daß sie den Atem ebensolange anhalten, wie ein Seehund?«
Und als Antwort auf diese Frage erfuhr er folgendes von einem alten Mann:
»Deine Frau wird dir Zwillinge gebären. Bevor sie aber zur Welt kommen, mußt du von den äußersten Gletschern Eiswasser und die Exkremente einer Lumme holen; darauf müßt du einen Vogelberg aufsuchen und dir etwas von dem Futter einer Lumme verschaffen. Sobald die Zwillinge zur Welt gekommen sind, müssen sie das Wasser des äußersten Gletschers trinken und die Exkremente und das Futter der Lumme essen. Darauf mußt du ihre Köpfe unter Wasser tauchen, und wenn sie den Atem ebensolange anhalten können wie eine Lumme, wird schon etwas Rechtes aus ihnen werden. Während ihrer Jugend dürfen sie aber nie etwas Warmes essen und nie in die Nähe einer Lampe oder Torffackel kommen.«
So sagte er, und es dauerte nicht lange, da wurde die Frau wirklich schwanger. Der Mann holte geschwind eine alte Frau, die ihr bei der Geburt beistehen sollte, und als sie niederkam, brachte sie wirklich Zwillinge zur Welt.
Jetzt gab es für den Mann viel zu tun.
»Ihr dürft den Kindern nichts zu essen geben, bevor ich zurückkomme,« sagte er zu seiner Frau und ruderte davon.
Darüber war die Frau sehr ärgerlich und zugleich traurig; denn sie glaubte, daß er mit den Neugeborenen unzufrieden sei.
Als der Mann zurückkam, brachte er in seinem Fausthandschuh Eiswasser von dem äußersten Gletscher und Exkremente und Futter vom Vogelberg. Das mußten die Neugeborenen schlucken, und gleich darauf hielt er ihre Köpfe unter Wasser; nachdem sie den Atem so lange angehalten hatten wie eine Lumme, zog er sie schnell wieder heraus, und sie waren noch keinen Monat alt, als sie so lange wie ein Seehund unter Wasser bleiben konnten. Während sie heranwuchsen, bekamen sie nur kaltes Fleisch zu essen und durften nie in die Nähe einer Lampe kommen; das Wasser, das sie zu trinken bekamen, war immer eiskalt, und stets gingen sie nackt, auch im Freien.
Bisweilen blieben die Knaben ganze Tage lang fort; wenn sie dann nach Hause kamen, erzählten sie nicht, wo sie gewesen waren, aber jedesmal war ihr Haar ganz naß.
Eines Tages sagte der Vater zu den Knaben: »Es ist Zeit, daß ihr euren Eltern zeigt, was ihr gelernt habt; wir wollen mit euch zu einem See gehen und euch zusehen.«
Sie gingen zu einem See, dessen eines Ufer flach war. Die Knaben gingen auf die andere Seite des Sees, wo die Felsen schroff ins Wasser fielen; von, dort stürzten sie sich in den See. Sie tauchten gleich unter, und als sie so lange wie eine Lumme unter Wasser gewesen waren, begannen die Eltern sich zu ängstigen, ja, sie fingen sogar schon an zu weinen, als die Söhne schließlich wieder auftauchten.
»Zeigt uns, wie ihr vor einem Feind flieht,« rief der Vater, und im selben Augenblick schleuderte er einen Stein nach ihnen; als der Stein aber die Stelle traf, wo sie gestanden hatten, waren sie schon längst untergetaucht. Diesmal kamen sie gar nicht wieder an die Oberfläche. Die Alten hatten schon alle Hoffnung aufgegeben, als sie plötzlich wieder an der Stelle zum Vorschein kamen, wo sie untergetaucht waren. Der Vater war hocherfreut, und auf dem Heimwege sagte er zu ihnen:
»Jetzt sollt ihr lernen, Seehunde im Meer zu fangen. Es wird Zeit, daß ihr Beute ins Haus bringt.«
Darauf befahl er ihnen, sich ins Meer zu stürzen, denn bisher hatten sie sich nur in Inlandseen geübt. Sie stürzten sich von einer Klippe herab, und diesmal tauchten sie gar nicht wieder auf, es wurde Abend, bevor sie nach Hause kamen. Sie hatten einen Seehund gefangen. Der Aelteste hatte ihn zuerst entdeckt und war hinter ihm her geschwommen, bis er eine Gelegenheit fand, ihn an den Hinterflossen zu fassen; im selben Augenblick war der Jüngere hinzugekommen und hatte ihm einen Schlag auf den Kopf versetzt. So hatten sie ihren ersten Seehund gefangen, und mit der Zeit fingen sie viele. Schließlich brauchte der alte Vater gar nicht mehr auf die Jagd zu gehen.
Eines Tages, als sie nach Hause kamen, erzählte der Jüngste, sie hätten umkehren müssen, weil seinen Bruder gefroren habe.
»Hast du warmes Fleisch gegessen?« fragte der Vater.
»Bist du in die Nähe einer Fackel oder Lampe gekommen?«
»Nein.«
»Eines von beiden mußt du getan haben, sonst hättest du nicht gefroren.«
Und schließlich gestand der Knabe, daß er warmes Fleisch gegessen habe.
»Von jetzt ab wirst du nicht mehr so ausdauernd sein wie dein kleiner Bruder,« sagte der Vater.
Mittlerweile war es bei den benachbarten Wohnplätzen ruchbar geworden, daß die beiden Knaben so lange wie Seehunde unter Wasser schwimmen konnten. Viele Kajaks machten sich auf, um die Knaben im Wasser spielen zu sehen. Als der Vater dies hörte, sagte er: »Viele Kajaks können viele Feinde bedeuten. Haltet euch bereit, denn es ist nicht sicher, daß sie nur als Zuschauer kommen.«
Eines Tages kamen die Kajaks in Sicht, die alle auf den Wohnplatz zusteuerten. Kaum hatten die Knaben sie entdeckt, als sie zur Klippe liefen und sich ins Meer stürzten.
»Da sind sie! Da sind sie!« wurde aus allen Kajaks gerufen, und im selben Augenblick begann man Jagd auf sie zu machen. Als die Knaben erkannten, daß die Besucher nur gekommen waren, um sie zu töten, weil sie auf ihren reichen Fang neidisch waren, begannen sie auf das offene Meer zuzuschwimmen.
Und so führten die Brüder die Kajaks weiter und weiter hinaus, auf die Tiefen des großen Meeres zu, und als sie weit genug draußen waren, sagte der Aeltere:
»Jetzt will ich einen Sturm aufwirbeln, denn mich friert.«
Er tauchte ganz bis auf den Grund, suchte und fand ein hohles Tangrohr und blies darauf. Als er wieder an die Oberfläche kam, sagte sein Bruder zu ihm: »Schwimm nur nach Hause, ich werde sie aufhalten.«
Darauf tauchte der Bruder unter.
Inzwischen hatte sich ein Wind aufgemacht, der Bruder schwamm bald hierhin, bald dorthin, um die Kajaks aufzuhalten, und als schließlich der Sturm über sie kam, waren sie weit vom Lande entfernt. Viele von den Kajaks kenterten, und die, die sich oben hielten, wurden von dem Knaben angegriffen, er nahm den Leuten die Ruder fort, schlug ihre Kajaks um, und wenn sie wieder auftauchten, hielt er sie nieder, bis sie ertranken.
So töteten die beiden Brüder alle ihre Feinde, und von da an wagte niemand mehr, sie anzugreifen.
Es war einmal ein Fänger, der hatte einen Sohn und eine Tochter und zwei Erqiliken als Pflegekinder. Der kleine Junge und das kleine Mädchen liebten ihre Pflegegeschwister sehr, und im Winter, wenn es schneite, pflegten sie Schlittenfahren mit ihnen zu spielen, indem sie sie vor einen kleinen Schlitten spannten.
Eines Tages, als der Frühling nahte, blieben die beiden Erqiliken wach, während alle anderen sich zur Ruhe begaben, und schnitten sich lange Riemen. Anfangs saßen sie auf dem Kopfende der Pritsche, darauf gingen sie durch die ganze Stube, und schließlich gelangten sie durch den Hausgang ganz ins Freie, so lang wurden die Riemen.
Am nächsten Morgen spielten die Kinder wie gewöhnlich Schlittenfahren und die Erqiliken waren ihre Hunde; diesmal aber führten die Erqiliken sie sehr weit fort, weiter und immer weiter, bis sie sich schließlich ganz vom Hause entfernt hatten. Es wurde Abend, und die Eltern warteten vergeblich, ängstlich und besorgt. Die Kinder aber kamen nie wieder, und wie verzweifelt sie auch gesucht wurden, sie waren nirgends zu finden. Die Erqiliken aber hatten ihre Pflegegeschwister zu einem tiefen Abgrund geführt, ihnen die Hände mit Riemen, die sie nachts geschnitten, auf den Rücken gebunden und sie in den Abgrund hinuntergelassen, den Kopf nach unten. Dort hingen sie nun und konnten weder hinauf noch hinunter und litten furchtbare Qualen vor Hunger und Durst.
Anfangs hatten die Geschwister versucht, an den Riemen hinaufzuklettern, aber sie konnten nicht über den Rand des Abgrundes gelangen; als sie schon am Verdursten waren, glückte es dem Bruder, sein Wasser so zu lassen, daß er es trinken konnte. Seine Schwester aber konnte es ihm nicht nachmachen, weil sie eine Frau war, und darum starb sie bald vor Durst. Der Bruder aber blieb mitten in der Frühjahrszeit über dem Abgrund hängen und fristete sein Leben, indem er seine Lippen mit seinem eigenen Wasser befeuchtete. Während er so hing und auf den Tod wartete, erreichte ihn eines Tages ein Laut und es war, als ob dieser Laut von Menschen herrührte. Er blickte sich um und sah tief unter sich ein Boot, dessen Besatzung singend über den Fjord ruderte. Bei diesem Anblick brach er in Tränen aus und schrie aus allen Kräften, die Menschen aber hörten ihn nicht und ruderten weiter, ohne ihn zu entdecken. Da hing er nun wieder und war seinen Qualen überlassen, während das Boot dem Gesichtskreis entschwand.
Nach einiger Zeit erreichten sein Ohr wieder Töne, und wieder entdeckte er tief, tief unten ein Boot, dessen Besatzung singend vorbeiruderte. Die Boote aber waren auf dem Weg zu einem Sängerkampf. Wieder schrie er aus allen Kräften, aber sie hörten ihn nicht und ruderten vorbei. Da tauchte ein drittes Boot auf, in dem niemand sang. Als er nun wieder aus allen Kräften rief, sagte einer von den Insassen:
»Mir war, als hörte ich fernes Rufen.«
Sie stellten ihr Rudern ein, um zu lauschen, und als sie die Rufe hörten, die vom Felsen herab kamen, blickten sie hinauf und entdeckten einen Knaben, der hoch oben an einer Leine mit dem Kopf nach unten hing. Kaum hatten sie ihn entdeckt, als sie durcheinander riefen:
»Wer ihn zuerst berührt, soll ihn als Pflegesohn bekommen.«
Sie ruderten an den Felsen heran und kletterten hinauf. Ein kinderloses Ehepaar war zuerst oben. Noch war Leben in ihm. Sie trugen ihn ins Boot hinunter und ruderten nach Hause.
Der Knabe wurde der Pflegesohn des Ehepaares, das ihn gerettet hatte, und als er heranwuchs, begann eiserne Kräfte zu stählen, um einst Rache zu nehmen. Er bekam Hunde und richtete sie zu bissigen, gefährlichen Tieren ab.
Einst im Winter, zur Zeit, wo man am meisten Schlitten fährt, kam er eines Abends sehr spät nach Hause und machte sich neue Peitschen, an deren Ende er kleine runde Knochenstücke befestigte. Als er seine Arbeit beendigt hatte, begab er sich zur Ruhe und schlief die ganze Nacht. Am nächsten Morgen fuhr er davon und nahm seine neuen Peitschen mit. Er fuhr und fuhr, bis er schließlich zu der Mündung eines Fjords kam. Er folgte diesem, geriet aber nach einer Weile zwischen gewaltiges Packeis; gleichzeitig aber entdeckte er in der Ferne zwei kleine schwarze Punkte. Auf diese lenkte er zu, und als er näher gekommen war, sah er, daß es zwei Menschen waren; kaum hatte er seine Erqilik-Pflegegeschwister erkannt, als er seine Hunde hinter einem Eisblock versteckte und auf sie zuging.
Sie waren in ihre Seehundsjagd vertieft; plötzlich aber entdeckte der eine den Mann, der auf sie zukam und rief:
»Ist das nicht unser Pflegebruder?«
Bei diesen Worten sprang der andere, der in ein Eisloch hinuntergesehen hatte, auf und sagte:
»Unmöglich, unser Pflegebruder kann nicht gerettet sein!«
Sie waren sehr unruhig und mißtrauisch, denn sie wußten sogleich, daß er nur gekommen sei, um sich zu rächen. Als er sie darum ansprechen wollte, sagten sie:
»Warte einen Augenblick, wir wollen uns nur nach einem Seehund umsehen, den wir in der Nähe im Schnee eingegraben haben.«
Als sie aber um eine Felsklippe verschwanden, sah er noch, wie der eine sich niederwarf und auf allen Vieren davonlief; da wußte er, daß sie vor ihm fliehen wollten. Darum eilte er zu seinen Hunden zurück und lief hinter ihnen her. Mit solcher Geschwindigkeit lief er, daß er wie ein Vogel aussah, der mit ausgebreiteten Schwingen segelt. Als er die Felsklippe erreichte, wo sie verschwunden waren, sah er, daß sie bereits das Inlandeis erreicht hatten und landeinwärts flohen. Da gab er seinen Hunden das Jagdsignal und bald fand er ihre Spur, die geradeswegs in ein Feld von großen Eisblöcken führte. Zuerst wußte er nicht, was er tun sollte, begann dann aber Zauberworte zu murmeln, die Schlaf hervorrufen. Darauf spannte er seinen ältesten Hund aus und ließ ihn die Spuren zwischen den Eisblöcken suchen; der aber kam unverrichteter Sache zurück. Da ging er selbst auf die Suche und entdeckte in einem Eisblock ein Loch. Er kroch hinein und fand drinnen in einer Eishöhle mehrere schlafende Erqiliken. Er tötete sie, indem er ihnen mit einem spitzen Stein in die Ohren stach. Von seinen Pflegebrüdern aber hatte er drinnen nichts gesehen; da aber entdeckte er ihre Spur, sie führte weiter übers Inlandeis. Er gab seinen Hunden das Jagdsignal und sie stoben mit solcher Windeseile davon, daß es ihm in den Ohren sauste. Als sie ein weites Stück gelaufen waren, kamen sie wieder zu großen Steinblöcken, zwischen denen sich die Spuren verloren. Er wußte nicht, was er tun sollte, und begann abermals Zauberworte zu murmeln:
»Stein, brich! Stein, brich!«
Bei den Zauberworten bewegten sich die Steine, und kurz darauf brachen sie mitten durch und rollten fort, und die beiden Erqiliken kamen zum Vorschein; sie versuchten zu lächeln, zitterten aber vor Angst. Da sprach der Pflegebruder zu ihnen:
»Wißt ihr noch, als wir zusammen spielten? Damit ihr euch alter Zeiten erinnert, wollen wir spielen, daß ihr wieder vor meinem Schlitten lauft.«
»Nein, nein,« riefen sie, »wir fürchten uns vor deinen Hunden!«
Darauf erwiderte der Mann: »Meine Hunde braucht ihr nicht zu fürchten, lauft nur voran, sie können euch nicht einholen.«
Und dann packte er die sich Sträubenden, legte ihnen Zügel an, die länger waren, als die seiner Hunde, und spannte sie vor den Schlitten. Darauf peitschte er auf seine Hunde ein und sie rasten von dannen. Die Erqiliken aber liefen so schnell, daß die Hunde sie nicht erreichen konnten.
Als der Mann fand, daß sie lange genug gelaufen waren, nahm er seine neuen Peitschen und begann auf die Erqiliken loszupeitschen. Wenn er sie an der einen Seite traf, wanden sie sich vor Schmerz mit blutenden Wunden nach der anderen. Aber sofort traf sie die Peitsche auf der anderen Seite, bis der eine von ihnen zusammenbrach. Als der Schlitten an ihm vorbeisauste, hob er seinen Kopf, fiel dann aber vornüber und rührte sich nicht mehr. Darauf peitschte der Mann auf den anderen los. Die Peitschenhiebe schnitten große, blutende Wunden in seinen Körper, und lange dauerte es nicht, da brach auch er zusammen. Als der Mann an ihm vorbeifuhr, hatte er gerade noch die Kraft, seine Augen ein wenig zu öffnen, dann fiel er vornüber und war tot.
So tötete der Mann beide Erqiliken und rächte sich und seine Schwester.
Es war einmal ein Fänger, der hieß Kuta. Er war so ungläubig, daß er nie glaubte, was man ihm erzählte, ob es nun Geschichten waren, oder etwas, woran Menschen glauben müssen, um leben zu können.
Ein Zwerg lehrt einem Geisterbeschwörer fliegen.
Er hatte rotgeränderte Augen, und deren schämte er sich sehr; wenn jemand nur das Wort rot sagte, meinte er, es wäre eine Andeutung und versteckte sich; denn er war ebenso empfindlich wie ungläubig. Kam einer zu ihm und sagte, der Abendhimmel sei außergewöhnlich rot, daß man auf Sturm rechnen könne; gleich schraubte Kuta seine Lampe herunter, kroch auf seine Pritsche und kehrte seinem Gast den Rücken zu.
Einst hörte Kuta erzählen, daß auf einem fernen Berg ein Schneespatz lebe, der sprechen könne. Sofort unterbrach Kuta den Erzähler und sagte, das sei unmöglich, ein Schneespatz könne nie und nimmer sprechen! Alle Erzähler seien Lügner, und um das zu beweisen, wolle er zu dem Berg fahren, wo der sprechende Schneespatz leben sollte. Er fuhr also davon, nur von einem Kameraden begleitet.
Sarqiserasak ist ein Geist, der in einem halben Kajak rudert. Er versucht alle Kajakruderer, indem er sein Ruder in die Querriemen des Kajaks steckt und ihn dadurch zum Kentern bringt. Darum muß man sich schützen, wenn man ihm begegnet, indem man die Querriemen durchschneidet.
Als sie zu dem Berg kamen, rief Kuta laut: »Hab ich's nicht gesagt, daß alle Erzähler lügen! Einreden wollte man mir, daß hier ein sprechender Schneespatz lebt!« Kaum hatte er diese Worte gerufen, als vom Berge eine Stimme herabklang:
»Iâ, iâ, iâ! Dort kommen zwei Schlitten, und der Mann in dem einen hat ganz rotgeränderte Augen, Kuta, Kuta, Kuta!«
So begrüßte der sprechende Spatz den ungläubigen Kuta. Und kaum hatte dieser die Worte gehört, als er zusammenbrach und schreckliche Laute ausstieß. Sein Begleiter glaubte, daß er lache, als er aber näherkam, sah er, daß Kuta weinte.
Darauf wandten sie ihre Hunde und fuhren heimwärts.
Als sie aber zu Hause waren, wollte Kuta nichts von dem Erlebnis wissen und behauptete, daß sie den sprechenden Spatz weder gesehen noch gehört hätten.
Ein andermal wurde erzählt, daß bei einem Wohnplatz ein Knabe sei, so tüchtig im Bogenschießen, daß er alle Vögel, auf die er ziele, ins Herz treffen könne, obgleich er nur eine Seehundsrippe als Pfeil habe. Gleich fiel der ungläubige Kuta ein, daß es eine Lügengeschichte und nichts weiter sei. Er wolle sich selbst überzeugen und zu dem Ort fahren, wo der Knabe wohnte.
Als er zu dem Wohnplatz kam, versteckte er sich hinter einem Felsenkamm, sprang ab und zu schnell hervor und rief:
»Schieß nach mir, triff mich ins Herz, wenn du es kannst!« Und wenn er es gerufen hatte, sprang er schnell wieder zurück. Der Knabe aber sagte:
»Ich will nicht schießen, denn man macht sich Feinde, wenn man jemanden tötet.«
Der Mann aber, der Kuta begleitete, sagte: »Schieß nur, damit er eine Lehre bekommt, er ist so ungläubig, daß er an nichts in der Welt glauben will.«
Da legte der Knabe an, und als Kuta das nächstemal vorsprang und höhnend rief: »Schieß zu, schieß mich mitten ins Herz!« Da schoß der Knabe seinen Pfeil ab. Als man hinlief, um zu sehen, was aus Kuta, geworden war, sah man ihn im Todeskampf über einen Felsblock rollen, mit einem Pfeil mitten im Herzen.
So starb Kuta, der Ungläubige, der nie glauben wollte, was erzählt wurde.
Es war einmal ein armer, elternloser Knabe, der Kâgtagtorajik hieß; ach, er war so verlassen, so verlassen! Die Einzigen, die ihn lieb hatten, waren seine alte Großmutter und ein Vetter seines Vaters, doch wagten sie aus Angst vor den Wohnplatzgenossen nichts für ihn zu tun. Er wuchs nicht und wurde gar nicht größer.
Kâgtagtorajik pflegte mit den anderen Kindern zu spielen, wollte er aber ins Haus, so wurde er immer beim Eingang an den Nasenlöchern hochgehoben, und wenn ihn alle der Reihe nach hochgehoben hatten, schüttelten sie ihn, bis er hinfiel. Wenn dann seine Nase blutete und er vor Schmerz weinte, schlug man ihn und zwang ihn, seine Tränen hinunterzuschlucken.
Als man ihn zuerst an den Nasenlöchern hochgehoben hatte, konnte man nur den kleinen Finger hineinstecken, nach und nach aber erweiterten sie sich, so daß man den Zeige- und Mittelfinger und schließlich die ganze Hand hineinstecken konnte.
Auf diese Weise waren die Nasenlöcher das einzige, was an dem Knaben größer wurde.
Wenn die Hausgenossen ganze Seehunde heimbrachten und das Fleisch verteilt wurde, bekam Kâgtagtorajik auch ein kleines Stück. Doch durfte er kein Messer gebrauchen, sondern mußte das Fleisch mit den Zähnen und Nägeln zerreißen, so daß er nie satt wurde, und dennoch sagten die Bewohner des großen Hauses, daß er zu viel und zu schnell esse.
Einst ruderte er mit dem Vetter seines Vaters zum Seehundsfang, und als sie einen Seehund gefangen hatten, sagte der Vetter zu Kâgtagtorajik:
»Von diesem Seehund sollst du eine ganze Hälfte haben. Aber du darfst nur ein Stück davon mit nach Hause nehmen, den Rest mußt du in ein Versteck legen, denn wenn du mit so viel Fleisch nach Hause kommst, wird man es dir wegnehmen. Ich will dir ein Versteck zeigen, von wo du dir ab und zu ein Stück holen kannst.«
Von da ab holte Kâgtagtorajik sich Fleisch, so oft er hungrig war. Er holte einmal, er holte zweimal; als er aber zum drittenmal kam, war das Fleisch gestohlen. Es nützte nichts, daß er mit den Füßen nach den Steinen stieß und seiner Wut durch Tränen Luft zu machen versuchte. Als er sich satt geweint hatte, sagte er zu sich selbst:
»Anstatt zu weinen, will ich mir lieber etwas ausdenken, womit ich mich in meinem Kummer zerstreuen kann.«
Und kaum hatte er so gedacht, als er auch schon zu rufen begann:
»Wer kann mir helfen, wer kann mir helfen? Wer will mich rütteln und schütteln, bis ich umfalle?«
Da hörte er eine gewaltige Stimme, die da rief:
»Ich! Ich will dich rütteln und schütteln, bis dir Hören und Sehen vergeht.«
So gewaltig aber war die Stimme, daß sie Kâgtagtorajik fast das Trommelfell gesprengt hätte. Als er sich umblickte, sah er einen großen Mann, einen Riesen, und bevor er sich aus dem Staube machen konnte, fing der Riese an, ihn von oben bis unten zu beklopfen. Und während er klopfte, rasselten ihm kleine Holzpuppen aus dem Körper: aus dem Kopf kamen Puppen, aus der einen Seite Kajaks, aus der anderen Schlitten und aus dem Rücken Seehundsknochen. Darauf sagte der große Mann zu ihm:
»So, jetzt kannst du wachsen. All dies Zeug hat einer, der dir übel wollte, dir in den Körper gehext, darum konntest du nicht wachsen.«
Kâgtagtorajik lief nach Hause und erzählte seiner Großmutter, was ihm zugestoßen sei, und er dauerte sie, weil er so viel durchmachen mußte.
Von jenem Tage an aber begann Kâgtagtorajik zu wachsen und wuchs so stark, daß die alte Großmutter seine Pritsche verlängern mußte, indem sie ein Loch in die Erde grub. Denn niemand sollte entdecken, daß Kâgtagtorajik wuchs. Wenn die Wohnplatzgenossen ihn aufforderten, zum Spielen herauszukommen, antwortete die Alte, daß er krank sei.
Dann wurde aus vollem Halse gelacht, und Kinder wie Erwachsene strömten herbei, indem sie riefen:
»Der klägliche Kâgtagtorajik soll herauskommen und mit uns spielen!«
Und jedesmal, wenn sie sagte, daß er krank sei, wurde noch lauter gelacht.
Schließlich war er so groß geworden, daß er selbst meinte, nun könne es genug sein.
Zur selben Zeit geschah es, daß ein großer Holzstamm an den Strand getrieben wurde, so groß, daß keiner der Wohnplatzgenossen ihn an Land ziehen konnte. Abends, als alle zur Ruhe gegangen waren, stand Kâgtagtorajik auf und zog die Kamiken seiner Großmutter an, die er aber erst aufschneiden mußte, damit er sie über die Füße ziehen konnte; auf dieselbe Weise zog er auch ihren Pelz an und begab sich darauf zum Strand, hob den Baumstamm auf, trug ihn zu dem Hause, wo man ihn immer quälte und mißhandelte, und rammte ihn gerade vor dem Eingang in die Erde. Darauf begab er sich zur Ruhe. Als aber die Hausgenossen am nächsten Morgen erwachten und ihre Notdurft besorgen wollten, konnten sie des Baumstammes wegen nicht herauskommen.
Auf diese Weise merkten sie, daß ein starker Mann zum Wohnplatz gekommen sei, und um Kâgtagtorajik zu verhöhnen, riefen sie, daß er es sicher gewesen sei, der den großen Baumstamm vor dem Hause eingerammt habe. Die kleinsten Kinder konnten sich hindurchzwängen, und sie liefen zu Kâgtagtorajiks Großmutter und riefen durchs Fenster:
»Sag, Kâgtagtorajik soll herauskommen und den großen Baumstamm, den er uns vors Haus gesetzt, wieder forttragen.«
Abends aber, als die Wohnplatzgenossen zur Ruhe gegangen waren, stand Kâgtagtorajik auf, zog den Baumstamm heraus und trug ihn wieder zum Strand hinunter. Darauf legte er sich zur Ruhe.
Und man erfuhr nie, wer es getan hatte.
Mancher Tag verging, ohne daß sich etwas Besonderes ereignete. Eines Tages aber kamen drei Bären zum Wohnplatz, die so groß waren, daß die Bewohner sie nicht anzugreifen wagten. Da zog Kâgtagtorajik abermals die Lumpen seiner Großmutter an und begab sich hinaus. Kaum war er draußen, als alle riefen:
»Seht, dort kommt der klägliche Kâgtagtorajik, seht doch nur, wie groß er geworden ist!«
Kâgtagtorajik aber kehrte sich nicht an ihr Schreien, ging den Bären entgegen und tötete sie nacheinander mit Fußtritten. Dann nahm er die Bären, einen auf den Rücken, einen unter jeden Arm, und sagte dazu: »Dieser soll mein Pelz sein, dieser meine Hosen, dieser meine Kamiken!«
So trug er sie hinauf, ohne seinen Wohnplatzgenossen einen Jagdanteil davon zu geben; als sie aber zerlegt waren, lud er die anderen zum Gelage ein, und alle kamen und aßen, indem sie sagten:
»Jetzt essen wir den Bären, von dem Kâgtagtorajik einen Pelz bekommen soll.« Und andere sagten: »Jetzt essen wir den Bären, von dem Kâgtagtorajik Hosen bekommen soll.« Und wieder andere: »Jetzt essen wir den Bären, von dem Kâgtagtorajik Kamiken bekommen soll.«
Zuletzt kamen zwei Männer, die Kâgtagtorajik immer am schlimmsten mißhandelt hatten, und kaum zeigten sie sich im Hausgang, als er sie in die Nasenlöcher faßte und mit solcher Gewaltsamkeit hochhob, daß ihre Nasen platzten.
Später rächte er sich an seinen Wohnplatzgenossen, indem er sie auf ebenso grausame Weise mißhandelte, wie sie ihn behandelt hatten. Einigen gab er große Knochen zu essen und zwang sie, sie hinunterzuschlucken, so daß sie daran erstickten; anderen gab er kochende Suppe und zwang sie, sie zu trinken, bis ihre Eingeweide verbrüht waren, und so tötete er alle diejenigen, die ihn mißhandelt hatten, und dann bekam sein Gemüt Ruhe.
Von da an entwickelte er sich als ein großer Fänger und gewaltiger Kämpfer, der weit durch die Länder reiste, um alle herauszufordern, von denen er sagen hörte, daß sie an Geschicklichkeit beim Fang und Gewandtheit bei allen Leibesübungen ihresgleichen suchten. Und er bezwang sie alle. Viele Sagen werden von diesem Mann erzählt, der von Menschen in allen Wohnplätzen gekannt und gefürchtet ward.