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Tierfabeln


Der Rabe, der sich eine Wildgans zur Frau nahm.

Es war einmal ein Rabe, der hatte sich eine Wildgans zur Frau genommen. Als nun die Wildgänse fortziehen wollten, sagten sie zum Raben, er solle lieber zurückbleiben, denn ihr Land liege weit, weit fort, ganz auf der anderen Seite des großen Wassers.

Der Rabe aber antwortete: »Nein, ich will nicht zurückbleiben, ich kann so gut wie ihr über das große Wasser fliegen, ich werde nie müde.«

»Du kannst dich ja nicht auf dem Meere ausruhen, wie wir,« sagten die Wildgänse.

Aber der Rabe erwiderte: »Ein Rabe kann alles, was er will; wenn ihr euch ausruht, werde ich über euch schweben und auf euch warten; oder ich werde vorausfliegen und euch später wieder entgegenkommen!«

So stritten sie eine Weile, bis die Wildgänse kurz abbrachen und sagten:

»Wir wollen mit dir nicht streiten, du bist zu eingebildet! Komm mit, und wenn du unterwegs ermattest und ertrinkst, ist es deine Schuld.«

Dazu schwieg der Rabe, die Wildgänse aber sammelten sich in Scharen und zogen fort; und sie flogen und flogen immer weiter übers Meer, und als sie das Land ganz aus dem Auge verloren hatten, setzten sie sich aufs Wasser und ruhten aus; der Rabe aber flog übermütig davon und war bald ganz verschwunden. Als sie sich ausgeruht hatten, flogen sie weiter und jetzt kam der Rabe ihnen schon wieder entgegen. Sie fragten ihn, ob er müde sei.

»Müde? – Ich werde nie müde, rab, rab, rab!«

Sie flogen weiter, mehrere Tage, und wenn sie müde wurden, ruhten sie auf dem Wasser: Als sie sich wieder einmal zur Rast niedergelassen hatten, fragten sie den Raben, ob er nicht müde sei, und wieder antwortete er, daß er nie müde werde; und während sie ruhten, kreiste er über ihnen. Dann flogen sie weiter; gegen Abend aber begann der Rabe zurückzubleiben und konnte sie nur erreichen, wenn sie auf ihn warteten. So ging es eine Zeitlang und die Wildgänse waren sich darüber klar, daß der Rabe nicht mehr folgen konnte und ihnen nur zur Last fallen würde. Da beschlossen sie, daß sie ihn ertränken wollten, indem sie folgende List anwandten: Sie wollten sich in einem dichten Haufen auf dem Meere ausruhen und den Raben auffordern, sich auf sie zu setzen; dann wollten sie plötzlich auffliegen, so daß der Rabe ins Wasser fiel. Nachdem sie sich so verabredet hatten, warteten sie.

Schließlich tauchte der Rabe auf, er flog ganz dicht über dem Wasserspiegel, und man sah, er war so müde, daß er sich kaum mehr halten konnte. Als er die Wildgänse erreicht hatte, rieten sie ihm, daß er sich auf sie setze und sich ausruhe. Und der Rabe, dem der Uebermut vergangen war, ließ sich sogleich auf ihnen nieder und begann stöhnend nach Luft zu schnappen. Kaum aber hatte er sich zurechtgesetzt, als sie auseinanderflogen. Der Rabe fiel ins Wasser und begann gleich zu sinken. Die Wildgänse aber scharten sich um ihn und sahen zu, ohne ihm zu helfen, während der sinkende Rabe ein Lied anstimmte:

Seht, ich bin ins Wasser gefallen,
reicht mir doch eine helfende Hand!
Schon geht die Flut mir bis zum Spann,
eilt euch doch, helft mir heraus!
Jetzt ist sie schon den Knöcheln nah,
hört ihr nicht, daß ich ins Wasser fiel?
Reicht mir die Hand und helft mir heraus!
Schon geht es mir bis an die Waden –
hört ihr nicht, daß ich ins Wasser fiel?
Reicht mir die Hand und helft mir heraus!
Jetzt geht es schon bis an den Leib,
eilt euch, reicht mir die helfende Hand!
Schon reicht das Wasser bis an die Arme –
hört ihr nicht, daß ich ins Wasser fiel?
Reicht mir die Hand und helft mir heraus!
Nun geht das Wasser mir bis an die Schultern,
eilt euch doch, reicht mir die helfende Hand!
Schon hat das Wasser die Kehle erreicht –
hört ihr nicht, daß ich ins Wasser fiel?
Reicht mir die Hand und helft mir heraus!
Jetzt reicht das Wasser mir bis an den Kiefer,
eilt euch doch, reicht mir die helfende Hand!
Schon reicht das Wasser mir bis an die Lippen –
hört ihr nicht, daß ich ins Wasser fiel?
Reicht mir die Hand und helft mir heraus!
Jetzt ist mein Mund …

Er versuchte noch zu sagen:

»Wie werde ich mich nach Qaeq, meiner Frau, sehnen!«

Das war das letzte, was der Rabe sagte, bevor er untersank; die Wildgänse aber flogen weiter und erreichten wohlbehalten ihr Land.

 

Von einer unreinen Frau, die zu Bären in Menschengestalt kam.

Als einst eine Frau eines Todesfalles wegen unrein geworden war, Buße tun und alle Gebräuche befolgen mußte, die unreinen Frauen vorgeschrieben sind, hatte sie folgenden Traum:

Sie trat aus dem Hause und entdeckte plötzlich einen breiten Weg, der über das vereiste Meer führte. Sie betrat den seltsamen Pfad und folgte ihm aufs Meer hinaus, weiter und immer weiter, bis sie ihren Wohnplatz ganz aus dem Auge verlor. Schließlich kam sie zu einem Haus, dessen Fenster gar hell und festlich leuchteten. Sie trat ein und traf mehrere Menschen an, große breitschultrige, kräftig gebaute Männer, und Frauen, die kaum weniger groß und kräftig waren, und alle hatten es sich gemütlich gemacht im warmen Haus und belustigten sich mit allerhand Spiel und Scherz.

Es waren aber Bären in Menschengestalt. Einer war besonders breit und stark; er hatte so breite Schultern und starke Muskeln, daß sein Kopf fast dazwischen verschwand. Das aber war ein Walroß, der Schwager der Bären. Während das kleine unreine Menschenweib noch so stand und die gewaltigen Gestalten betrachtete, ergriff eine Frau, die auf der Pritsche saß, das Wort:

»Sag mal, du Kleine, fehlt es euch dort, wo du herkommst, auch so sehr an Sohlenleder?«

»Nein,« sagte die kleine unreine Frau, »bei uns ist kein Mangel an Sohlenleder.«

Als die Jüngsten unter den Riesen das aber hörten, wollten sie zum Land der Menschen reisen und Sohlenleder kaufen.

Nur ein kleiner dunkler und geschmeidiger Mann zog die Achseln hoch und kratzte sich den Kopf, indem er sagte:

»Das Sohlenleder mag ja ganz schön sein im Lande der Menschen, aber ich kenne auch ihre Messer, diese abscheulichen, scharf geschliffenen Messer.«

Der Sprecher war ein Blaufuchs, der auch in die Bärenfamilie hineingeheiratet hatte, und als die jungen Bären von den Messern hörten, die im Lande der Menschen geschliffen wurden, verloren sie alle Lust. Als der kleine dunkle und geschmeidige Schwager merkte, welchen Eindruck seine Worte gemacht hatten, saß er eine Weile und schmunzelte; darauf kratzte er sich wieder den Kopf und sagte:

»Und dann riecht es immer so entsetzlich nach Kot in der Nähe der Menschenhäuser! Hat einer von euch Lust, den Geruch in die Nase zu bekommen?«

Als er so gesprochen hatte, wollte kein einziger Bär mehr Sohlenleder bei den Menschen kaufen. Da aber räusperte sich ein alter Graubär und ergriff das Wort:

»Wenn kein anderer will, so will ich! Ich werde ins Land der Menschen gehen und Sohlenleder kaufen.«

Kaum aber hatte der Schwager Blaufuchs es gehört, als er ganz außer sich geriet und schrie:

»Hu, hu, die abscheulichen Messer, der stinkende Kot, und die nackten Frauen, die auf Pritschen sitzen und Perlen auf Schnüre ziehen, und all die nackten Kinder, die barfuß über den schmutzigen Fußboden laufen!«

Weiter aber kam er nicht, denn der alte Bär unterbrach ihn und sagte: »Schweig, du Feigling, behalte alle Scheußlichkeiten, die es im Lande der Menschen geben soll, für dich! Ich habe gesagt, daß ich hingehen und Sohlenleder kaufen werde und dabei bleibe ich!«

Darauf wandte er sich an das kleine Menschenweib, das an der Tür stand und sich schämte, und sagte zu ihr:

»Hör mal, du kleines Menschenweib, ich werde mich zum Lande der Menschen begeben und es so einrichten, daß dein Mann mich morgen tötet; damit ihr aber wißt, daß ich es bin, werde ich euch ein Zeichen geben. Sieh her!«

Damit öffnete er sein Maul und die kleine Frau sah, daß sein rechter Eckzahn abgebrochen war. Darauf klappte er seinen gewaltigen Rachen wieder zu, so daß die Zähne knirschten.

Als der alte Bär gesprochen hatte, lief die Frau spornstreichs über den breiten Weg nach Hause. Kaum war sie angekommen, als sie erwachte. Da war große Freude, denn sie hatte so fest geschlafen, daß man schon gefürchtet hatte, sie würde nie wieder erwachen. Es war spät am Vormittag und die meisten waren schon draußen gewesen.

Nun war diese Frau unrein, und eine unreine Frau darf das Wort Bär nicht in ihren Mund nehmen; darum mußte sie sich darauf beschränken, ihrem Mann durch Gebärden verständlich zu machen, daß noch am selben Tage ein Bär zu ihrem Hause kommen würde. Als der Mann es begriffen hatte, lief er hinaus, und sieh, er kam gerade rechtzeitig, um einen Bären zu sehen, der von einer Landzunge in der Nähe des Hauses angetrabt kam. Er griff nach seiner Harpune und harpunierte ihn. Alles kam herbeigelaufen und der Bär wurde ins Haus geschleppt. Das erste, was die unreine Frau tat, war, das Maul des Bären zu öffnen und sieh: der rechte Eckzahn war abgebrochen! Darauf wurde der Bär zerlegt und das Fleisch verteilt! Ueber seinen Kopf aber hing man einen großen Haufen Sohlenleder. Denn wenn Bären von Menschen getötet werden, hat der Bär meistens freiwillig den Tod auf sich genommen, um für sein Fleisch und Fell eine Gegengabe zu erhalten. Drei Tage wird der Kopf des Bären im Hause des Mannes, der ihn erlegt hat, zur Schau gestellt, und drei Tage bleiben die Gaben über seinen Kopf hängen, damit er, wenn er mit anderem Fleisch und anderem Fell aufersteht, die Gaben mitnehmen kann. Man gibt den Seelen der getöteten Bären meistens Sohlenleder, denn kein Tier geht so viel wie der Bär und darum verbraucht er so viele Sohlen.

Dies ist die Geschichte von der unreinen Frau, die zu Bären in Menschengestalt kam.

 

Von der Frau, die sich einen Fuchs zum Mann nahm.

Es war einmal ein schönes junges Mädchen, das nicht heiraten wollte. Häufig kamen Fänger und warben um sie, und ihr Vater hätte es gern gesehen, daß sie einen großen Fänger von tüchtigen Eltern genommen hätte; das Mädchen aber wies alle ab; und ebenso, wie ihr Vater bedauerte, daß keiner von den tüchtigen jungen Leuten, die sich meldeten, sein Schwiegersohn wurde, ebenso gab es im Wohnort genug Alte, die beklagten, daß sie das schöne junge Mädchen nicht zur Schwiegertochter bekamen.

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Der Hilfsgeist Tôrnârssuk mit einer Menschenseele unter dem Arm.

 

Schließlich sagte der Vater eines Tages voll Zorn zu ihr:

»Wenn dir keiner von all den jungen Leuten gut genug ist, sollst du einen Fuchs zum Mann bekommen!« Und von da an ließ er sie in Ruhe.

Eines Tages aber sah man Fuchsspuren dicht beim Hause und wunderte sich, daß ein Fuchs sich so nah an die Fenster herangewagt hatte. Mit jedem Tage kam er näher. Einmal sah man die Spuren sogar im Hausgang. Und am nächsten Morgen entdeckte man sie neben dem Lager des Mädchens. Sobald aber das Haus erwachte, rannte der Fuchs fort. Eines Morgens erwachte das Mädchen dadurch, daß sich ein haariger Körper an ihr rieb, und als sie genau hinsah, war es ein kleiner Blaufuchs. Diesen Blaufuchs nahm sich das Mädchen zum Mann.

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Der Geist des Bergsees in Gestalt eines Bären

 

Der Fuchs blieb bei dem Mädchen und nährte sich vom Fang der anderen. Eines Winters aber gab es bittere Kälte, so daß alle Waken sich schlossen, das Meer zufror und Hungersnot im Wohnort entstand.

Da sagte eines Tages der Vater:

»Was hat man von diesem Fuchs als Schwiegersohn? Er tut nichts, fängt nichts und nährt sich nur von dem Fang der anderen.«

Kaum hatte der Fuchs diese Worte gehört, als er seine Frau bat, ihm einen Sack zu nähen, den er um den Hals hängen konnte; und so geschah es. Als sie am nächsten Morgen erwachte, war der Fuchs verschwunden, und die jungen Männer im Hause fragten seine Frau, wohin er gegangen sei; doch keiner konnte Aufschluß geben, denn er hatte sich mitten in der Nacht davongemacht. Den ganzen Tag über blieb er fort und erst am Nachmittag kam er zurück; sie sahen ihn herantraben und merkten an seinem Gang, daß er etwas Schweres trug. Kurz darauf war er im Hausgang, und als seine Frau hinausging, ihn zu empfangen, war der Sack ganz mit Muscheln gefüllt. So verschaffte er seinen hungernden Hausgenossen zum erstenmal etwas zu essen, und als diese die herrlichen Muscheln sahen, entschlossen sich die jungen Leute, am nächsten Tage aufzubrechen und selbst Muscheln zu sammeln. Als der Fuchs dies hörte, sagte er:

»Nur leichtfüßige Wesen können den Ort erreichen, wo ich diese Muscheln gefunden habe.«

Als die jungen Leute das hörten, gaben sie ihr Vorhaben auf, denn sie wußten, wie leichtfüßig ein Fuchs ist und daß sie nicht mit ihm wetteifern konnten.

Und wiederum verging eine Spanne Zeit und der Fuchs blieb wie sonst zu Hause und ließ es sich wohlsein; der Winter aber war noch immer streng und das Haus ohne Nahrung. Da sagte der Schwiegervater eines Tages wiederum:

»Was hat man von diesem Fuchs als Schwiegersohn? Er tut nichts und ist zu nichts nutze.«

Der Fuchs tat, als habe er nichts gehört. Als die Hausbewohner aber am nächsten Morgen erwachten, war er verschwunden.

Der Fuchs schlenderte übers Eis, immer am Strand entlang, und witterte mit gespannter Aufmerksamkeit nach allen Seiten. Als er ein großes Stück gelaufen war, machte er plötzlich halt und witterte ins Eis hinunter, und er witterte so lange, bis er die Gewißheit hatte, daß gerade unter ihm ein toter Seehund lag. Um sicher zu sein, daß er den Ort wiederfinden würde, ließ er seine Exkremente auf der Stelle zurück, wo er annahm, daß der Kopf des Seehundes lag, und etwas weiter hin, wo nach seiner Schätzung der Schwanz des Seehundes liegen mußte, ließ er sein Wasser. Darauf lief er spornstreichs heimwärts. Als man ihn kommen sah, rief alles im Hause:

»Der Fuchs kommt, der Fuchs!« Kaum aber hatten sie es gerufen, als der Fuchs auch schon im Hausgang war und keuchend hervorstieß: »Kak, kak, kak, ich habe einen Seehund gefangen, nehmt eure Fanggeräte, Tuk und Itsuartûtit und folgt mir.«

Sofort machten die jungen Leute sich bereit. Der Fuchs lief voran, bis er die Stelle erreicht hatte, wo der Seehund unterm Eis lag. Dort machte er halt und sagte: »Hier, hier liegt der Seehund!« Als die jungen Leute diese Worte hörten, wurden sie sehr erbittert und sagten: »Wir sehen nur Kot, und dieser elende Fuchs will uns einreden, daß es ein Seehund ist!«

»Nein, nein,« sagte der Fuchs, »hackt ein Loch ins Eis und ihr werdet sehen.« Da hackten sie ein Loch ins Eis mit ihren Beilen, und richtig: da lag ein toter Seehund. In aller Eile zogen sie ihn heraus und trugen ihn nach Hause, und so ging es zu, daß der Fuchs zum zweitenmal seinen Mitbewohnern Nahrung verschaffte.

Der Winter aber war lang und streng, und obgleich man so sparsam wie möglich mit dem Seehund umging, war er doch schließlich verzehrt, und wieder saßen die Hausbewohner da und hatten nichts zu essen. Und wiederum sagte der Schwiegervater:

»Ach, wenn ich doch einen richtigen Menschen als Schwiegersohn hätte, der uns etwas zu essen verschaffen könnte; dieser jämmerliche Fuchs faulenzt nur im Hause herum und ist zu nichts nutze!«

Der Fuchs spitzte die Ohren und horchte auf, doch sagte er nichts.

Als man am nächsten Morgen erwachte, war er verschwunden.

Diesmal trabte er seewärts übers Eis, bis er zu einer Eisspalte kam. Dort setzte er sich nieder und guckte ins Wasser. Unten auf dem Sand des Meeresgrundes lagen weiße Steine, die sich leise bewegten, wenn die großen Dünungen vom Meere kamen. Während er noch so saß und zusah, hörte er plötzlich dicht neben sich den Schnee knirschen, und als er sich aufrichtete und sich umblickte: alle Wetter! kam da ein gewaltiger Bär auf ihn zugetrabt.

»Was machst du da, Fuchs?«

»Ich erfreue mich an den weißen Steinen unten auf dem Meeresgrunde. Jedesmal, wenn ich meine Zunge ins Wasser stecke und das salzige Wasser lecke, scheint es mir, als ob ich die Steine zu mir heraufhöbe; das ist so lustig.«

Während der Fuchs so sprach, dachte er bei sich: »Als ich noch ein Fuchs und nicht mit den Menschen verwandt war, hatte meine Zunge Kraft. Will doch versuchen, ob sie es noch hat.« Und an den Bären gewandt, sagte er:

»Versuch es selbst, Bär. Steck deine Zunge tief ins Wasser hinein und du wirst glauben, daß du die Steine zu dir heraufhebst.«

»Ist nicht möglich!« sagte der Bär, der neugierig geworden war, »das muß ich auch versuchen.« Und er ließ sich neben dem Fuchs nieder. Gierig aber wie er war, steckte er seine Zunge tief, tief ins Wasser hinein. Im selben Augenblick sagte der Fuchs:

»Spalt, schließe dich!«

Und alsogleich schloß sich der Spalt um die Zunge des Bären, so daß er nicht loskommen konnte.

»Zieh nur aus allen Kräften und versuch, ob du nicht loskommen kannst!« schrie der Fuchs.

Und der Bär zog und zog aus allen Kräften, aber es nützte ihm nichts, denn das Eis hatte sich ganz oben um die Wurzel der Zunge festgeklemmt.

Als der Fuchs sah, daß der Bär nicht loskommen konnte, lief er eilends zum Lande. Seine Frau kam gerade aus dem Hause, um nach ihm Ausschau zu halten, und als sie ihn übers Eis kommen sah, eilte sie ins Haus und sagte: »Der Fuchs kommt, und er ist so im Schwunge, daß es aussieht, als ob er durch die Luft fliegt.«

Kaum hatte sie es gesagt, als der Fuchs auch schon im Hause war und schrie: »Kak, kak, kak, ich habe einen Bären gefangen, kommt und helft ihn mir nach Hause schleppen.« Und sofort griffen die jungen Leute nach ihren Harpunen und folgten dem Fuchs, der voran lief, und sie liefen und liefen, bis sie den Bären erreichten, der noch immer mit der festgeklemmten Zunge an derselben Stelle saß. Sie brauchten ihm nur ihre Harpunen in die Seite zu jagen und ihn nach Hause zu schleppen, und hatten Nahrung für lange, lange Zeit.

Doch der Tag kam, wo auch der Bär aufgezehrt war und die Hausbewohner mußten wieder hungern. Da begann der Schwiegervater den Fuchs wie gewöhnlich zu verhöhnen, indem er sagte: »Was macht dieser dumme Fuchs hier im Hause? Er kann nichts weiter, als sich des Nachts bei seiner Frau wärmen. Zu nichts ist er nutze.« Und der Fuchs saß auf seiner Pritsche und gab sich den Anschein, als ob er weder höre noch verstehe. Am nächsten Morgen aber, als die Hausbewohner erwachten, war er verschwunden.

Erst lief der kleine Fuchs ein großes Stück seewärts übers Eis, weit, weit hinaus, bis er die Küste ganz aus den Augen verlor, und trabte dort eine Weile umher, um etwas Eßbares zu finden. Als er aber nichts fand, machte er kehrt und lief wieder dem Lande zu. Schließlich kam er zu einem kleinen Spalt im Eis. Dort setzte er sich nieder, guckte ins Wasser hinunter und entdeckte eine Unmenge kleiner Tiere, die unten herumschwammen; ganz gedankenverloren sah er dem wimmelnden Leben zu, als plötzlich neben ihm der Schnee knirschte; er blickte auf und sah einen riesigen Bären, der auf ihn zugeschlichen kam.

»Was machst du da, Fuchs?« fragte der Bär.

»Ach,« sagte der Fuchs, »ich sehe mir die vielen drolligen Tiere im Wasser an, du kannst dir gar nicht denken, wie lustig das ist. Hättest du nicht auch Lust, sie dir anzusehen?«

»Ja,« sagte der Bär, denn er war sehr neugierig. Und er setzte sich neben den Fuchs und betrachtete die kleinen Tiere im Wasser. Im selben Augenblick aber begann der Fuchs das Fell des Bären mit Wasser zu bespritzen, und der Bär war so vertieft, daß er es gar nicht bemerkte. Der Fuchs aber spritzte und spritzte, bis schließlich eine dicke Eisdecke das Fell des Bären bedeckte. Es war an jenem Tage bitterkalt, Wasser gefror sofort zu Eis. Als der Fuchs schließlich meinte, daß des Guten genug getan sei, trat er vor den Bären und sagte:

»Sieh mal auf, lieber Bär!«

Und der Bär richtete sich auf und guckte in die Luft. Im selben Augenblick aber barst die Eisdecke auf dem Rücken des Bären, und der Fuchs beeilte sich zu sagen:

»Ach, es war nichts Besonderes, gar nichts Besonderes! Laß dich nur nicht stören.« Und der Bär guckte wieder ins Wasser hinunter, während der Fuchs ihn von neuem bespritzte, bis der Bär schließlich nur wie eine Erhöhung auf dem Eise aussah, und als er meinte, daß des Guten genug geschehen sei, trat er wieder vor den Bären hin und sagte:

»Nun, Bär, versuch mal, ob du dich jetzt noch erheben kannst!«

Der Bär machte einen Versuch, aber das Einzige, das sich noch an ihm bewegte, waren seine Augen. Er war so vollständig am Eise festgefroren, daß er sich nicht mehr rühren konnte.

Als der Fuchs das sah, rannte er spornstreichs nach Hause; er lief mit solcher Geschwindigkeit, daß seine Frau, als sie seiner ansichtig wurde, meinte, er schwebe seitwärts überm Eis; denn wenn Füchse aus allen Kräften rennen, sieht es aus, als ob sie seitwärts laufen. Die Frau eilte ins Haus und rief:

»Seht nur, wie der Fuchs heute läuft! Er scheint seitwärts übers Eis zu schweben.« Kaum hatte sie diese Worte gesagt, als der Fuchs auch schon im Hause war und aus allen Kräften schrie:

»Kak, kak, kak, ich habe einen großen Bären gefangen. Kommt und helft mir, ihn nach Hause schleppen, aber nehmt Lanzen und Eishacken mit.«

Sofort brachen die Schwäger auf und folgten dem Fuchs, der voranlief. Der Fuchs aber lief so schnell, daß sie ihn bald aus den Augen verloren. Er erreichte den Bären, der noch immer festgefroren und unbeweglich dasaß, überspritzte ihn sicherheitshalber noch einmal tüchtig mit Wasser und lief seinen Schwägern entgegen.

»Wo ist der Bär, wo ist der Bär!« riefen die Schwäger.

»Noch ein Stück weiter,« antwortete der Fuchs und blieb bei ihnen, bis sie die Stelle erreicht hatten, wo der Bär lag.

»Hier ist ja kein Bär!« riefen die Schwäger.

»Doch,« sagte der Fuchs und zeigte auf den Eisklumpen. Da schlugen die Schwäger ein Loch ins Eis mit ihren Hacken und jagten dem Bären ihre Lanzen in den Leib. Als sie aber daran gingen, ihn zu zerlegen, sagte der Fuchs: »Schneidet mir ein Stück ab, nur ein kleines Stück, einen Leckerbissen für sie, die mich des Nachts wärmt.«

Da schnitten die Schwäger ihm ein Stück Bärenbrust ab, und der Fuchs tat es in den kleinen Sack, den er um den Hals trug, und lief eilends nach Hause. Es dauerte nicht lange, da kam er schon ins Haus gesprungen und legte den Sack vor seiner Frau nieder. Die Schwäger aber, die nicht so leichtfüßig waren, kamen erst spät in der Nacht mit ihrem Fleischvorrat nach Hause.

Das Fleisch des Bären aber hielt ebenso lange an wie der Winter, und so kam es, daß der kleine Fuchs seine Schwiegereltern und Schwäger vorm Verhungern rettete, und der Schwiegervater sprach nie wieder von dem dummen Fuchs, der zu nichts nutze sei. Und man lebte glücklich zusammen und wurde nie müde, den schlauen und erfinderischen kleinen Fuchs zu loben.

 

Von der Frau, die sich einen Krebs zum Mann nahm.

Es war einmal ein Fänger, der hatte eine wunderschöne Frau, und sie hatten eine Tochter, die noch schöner war. Viele junge Leute freiten um sie, sie schlug aber alle aus, denn sie wollte nicht heiraten. Eines Nachts hörten die Eltern zu ihrem Erstaunen ein seltsames Lachen hinter dem Wandfell:

»Uho, uhu, uho, uhu!«

Dieses Lachen aber kam von der Stelle, wo das Mädchen schlief. Da entdeckten sie, daß das Mädchen sich einen großen Krebs zum Mann genommen hatte; der Krebs aber schämte sich und zeigte sich nie den Hausbewohnern, sondern blieb hinter dem Wandfell.

Der Winter kam und mit ihm eine Zeit, wo man nichts fangen konnte und der Hunger sich meldete. Da begann der Vater auf den unnützen Schwiegersohn zu schelten; hätte die Tochter nicht alle Freier abgewiesen, würden sie jetzt einen tüchtigen Fänger als Schwiegersohn im Hause haben.

Als sie eines Tages erwachten, war ein furchtbares Unwetter, der Sturm brüllte und ein Schneesturm jagte dicke Schneewolken. Am Vormittag hörten sie plötzlich einen wilden Gesang durch das Unwetter, ein Trommellied, einen Freudensang, und kurz darauf wurden drei große Seehunde in den Hausgang geworfen, wo sie liegen blieben. Das Mädchen ging gleich darauf zu, legte sie hübsch nebeneinander und bat ihre Mutter, sie zwischen den Hausbewohnern zu verteilen.

Es war aber der Krebs gewesen, der sich in Menschengestalt aufgemacht hatte und nun seinen Fang heimbrachte.

Alte Leute wollen wissen, daß alle Tiere Menschengestalt annehmen können.

Als die Seehunde zerlegt waren, sagte die Frau des Krebses:

»Ihr könnt so viel Fleisch nehmen, wie ihr wollt, nur das unterste Stück von der Brust soll mein Mann haben.«

So sagte sie und so geschah es auch, dieses Stück wurde für den Krebs beiseite gelegt.

Von da an ging der Krebs für seine Frau und seine Schwiegereltern auf den Fang und brachte großen Wohlstand ins Haus.

Wieder war eine Zeit vergangen, da wurde die Frau schwanger und brachte Zwillinge zur Welt, zwei prächtige Jungen. Mit der Zeit wurden sie so groß, daß sie auf der Pritsche herumspringen konnten, noch aber hatte keiner den Vater gesehen. Eines Abends aber hing die Frau Seehundsfelle um ihren Pritschenplatz, wie Frauen zu tun pflegen, wenn sie mit ihrem Mann allein sein wollen. Es dauerte nicht lange, da hörte man Stimmen von dort und das seltsame Lachen:

»Uho, uhu, uho, uhu!«

Die Schwiegermutter war sehr neugierig, wie Frauen bisweilen sind, und sie sagte: »Wie unheimlich, einen Schwiegersohn zu haben, den man nie zu Gesicht bekommt!«

Und sie kroch zum Fell und guckte durch ein Loch, und da sah sie den Schwiegersohn sitzen, der mitten in einem Lachanfall war, aber o weh, was war das für ein Schwiegersohn! Ein kleines verschrumpftes Männchen mit großen, großen Augen, die ihm ganz aus dem Kopf traten. Die Schwiegermutter bekam solchen Schreck, daß sie umfiel und gleich tot war.

So kam es, daß der Krebs seine Schwiegermutter tötete; von da an aber wagte keiner mehr hinter das Fell zu gucken, und der Krebs lebte glücklich mit Frau und Kindern und verschaffte den Hausbewohnern stets reichlich Nahrung.

 

Von dem Raben, der um den Spatz anhielt.

Es war einmal ein kleines Spatzenweibchen, das hatte einen Mann, der emsig auf Fang ausflog. Lange blieb er fort, doch immer kam er mit irgend etwas im Schnabel zurück. Einst aber flog er aus und kam nicht wieder, und als das kleine Spatzenweibchen lange gewartet hatte, fing es schließlich an zu weinen. Da näherte sich ihr ein Rabe und versuchte ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, indem er um sie herumhüpfte; als das kleine weinende Spatzenweibchen aber den Raben sah, sang es:

Geh weg, du häßlicher Rabe
mit dem struppigen Gefieder
und dem schwarzen Pelz,
flieg auf und davon!

Der Rabe aber hüpfte nur noch eifriger um sie herum und sang:

Hörst du mich nicht singen
qau – qau – qua – qau –!
Warum willst du mich nicht nehmen,
mit meinem struppigen Bart
und meinem schwarzen Gefieder?

Das Spatzenweibchen aber erwiderte:

Ich mag dich nicht,
du häßlicher Rabe,
mit dem struppigen Gefieder
und dem schwarzen Pelz!

Da aber hüpfte der Rabe ganz dicht an sie heran und sang:

Warum beweinst du
deinen untauglichen Mann?
Der hinter Felsen fliegt und für dich
nur elende Würmer findet?

Als das Spatzenweibchen aber diese Worte hörte, flog es auf und flüchtete vor dem zudringlichen Raben. Der Rabe aber hüpfte zu der Stelle, wo das Spatzenweibchen gesessen hatte, und war so geschwollen von Selbstgefühl, daß er fast hintenüber fiel.

Und hiermit endet die Geschichte von dem Raben, der um das Spatzenweibchen freite.

 

Von der Frau, die einen großen Wurm zum Mann nahm.

Es war einmal eine Frau, die wanderte landeinwärts. Da hörte sie einen seltsamen Laut zwischen den Felsen, und als sie sich umblickte, gewahrte sie einen Wurm, der sie verfolgte, so groß wie ein Boot und mit einem Menschenkopf. Sie flüchtete, er aber lief hinter ihr her, holte sie ein, und als er seinen gewaltigen Körper wie einen Ring um sie schlang, konnte sie ihm nicht entrinnen und stand ratlos und verängstigt da. Da erblickte sie ein kleines Haus und es glückte ihr, dorthin zu entkommen; der Wurm aber legte sich quer vor den Hauseingang und sagte:

»Zu diesem Hause habe ich dich mit Absicht gejagt, weil ich dich zur Frau haben will.«

Als er so gesprochen hatte, sah die Frau ein, daß es ihr nicht glücken würde, zu entfliehen, und so entschloß sie sich, dem Wurm zu Willen zu sein. Darum sagte der große Wurm zu ihr:

»Versuche nie zu entfliehen, denn wenn du flüchtest, kann ich deine Fußspuren riechen und werde dich wiederfinden; wenn du aber bei mir bleiben willst, sollst du nie Not leiden.«

Da fand sie sich mit ihrem Schicksal ab, und am nächsten Tage ging ihr Mann, der Wurm, auf den Fang und kam mit einem Bären nach Hause, und so kam er alle Tage, bald mit einem Renntier, bald mit einem Fuchs. Eine Zeit verging, und die Frau wurde schwanger. Sie bekam Geburtswehen und schließlich brachte sie Zwillinge zur Welt, die Gesichter wie Menschen, aber Körper wie Würmer hatten. Die Mutter nährte sie so gut sie es vermochte, und als sie groß und fett geworden waren, fragte der Wurm eines Tages seine Frau, ob sie nicht Angehörige habe. Die Frau antwortete, daß ihre Eltern weiter südlich an der Küste wohnten. Als ihr Mann das hörte, sagte er:

»Es wird Zeit, daß du sie einmal besuchst.«

Die Frau aber antwortete: »Mit den Kindern auf dem Rücken kann ich nicht so weit gehen.«

Der Mann aber sagte: »Du brauchst auch nicht zu gehen, setz dich nur auf meinen Rücken, ich werde dich hintragen.«

Damit war die Frau einverstanden, und am nächsten Morgen brachen sie auf. Als sie in die Nähe der Häuser kamen, versteckte der Wurm sich in einer Felsenspalte, und die Frau ging allein weiter. Ihre Eltern waren sehr überrascht und machten große Augen, denn sie hatten sie längst tot geglaubt. Sie sahen die Kinder, die sie auf dem Rücken trug und begannen sie sogleich nach ihrem Manne auszufragen.

Ja, sie habe einen, sagte die Frau.

»Wo ist er denn?« fragten sie.

»Er wartet in der Nähe in einer Felsenspalte, denn er ist so groß, daß er nicht ins Haus hineinkommen kann.«

Die Eltern fanden, daß die Kinder so reizende Gesichter hatten, und wollten sie aus dem Tragsack nehmen; die Frau aber hinderte sie daran und sagte, die Kinder seien hübscher, wenn man sie nicht so genau betrachtete.

»Nimm die hübschen Kinderchen doch nur heraus,« baten die Eltern.

Da begann die Mutter das eine herauszuziehen; indem sie aber an dem einen zog, verschwand das andere im Tragsack, weil sie ihre Schwänze ineinander verflochten hatten. Als sie aber die jungen Würmer herausgezogen hatte, erschrak die Großmutter so sehr, daß sie in Ohnmacht fiel, und man mußte sie lange an den Haaren ziehen, bevor sie wieder zu sich kam.

Da sagte die Tochter zu ihr: »Ihr braucht euch nicht zu fürchten; sie sind sehr gehorsam und tun alles, was ich ihnen sage.«

Und die Mutter sprach zu ihnen, und sie taten alles, was sie sagte. Jetzt wollten die Eltern aber auch ihren Mann kennen lernen, und sie gingen alle zur Felsenspalte. Als der Wurm sie auf sich zukommen sah, peitschte er vor Gier mit seinem Schwanz die Erde, seine Frau aber rief ihm schnell zu:

»Du darfst ihnen nichts tun, es sind ja deine Schwiegereltern.«

Da beruhigte sich der Wurm und sagte zu seiner Frau:

»Wir wollen jetzt aufbrechen; diesmal werde ich aber mit solcher Geschwindigkeit laufen, daß du dich gut an den Haaren auf meinem Rücken festhalten mußt.«

Die Frau stieg auf seinen Rücken und er setzte sich in Bewegung, und lief mit solcher Geschwindigkeit, daß er wie ein Falke war, der sich auf seine Beute stürzt. So verschwanden sie landeinwärts, und keiner hat je wieder etwas von ihnen gesehen oder gehört.

Diese Geschichte trug sich in Zeiten zu, als die Würmer noch Menschengesichter hatten. Noch heute aber kann man bei vielen Würmern einen kleinen roten Kopf sehen, der an Menschenköpfe erinnert und ein Ueberbleibsel aus jener Zeit ist.

 

Von dem Mann, der sich einen Fuchs zum Weibe nahm.

Es war einmal ein Fänger, der lebte ganz allein, keine Frau half ihm, und wenn er auf den Fang ging und mit Seehunden nach Hause kam, mußte er sie selbst zerlegen und das Fell bereiten.

Als er eines Tages nicht wußte, womit er sich die Zeit vertreiben sollte, ruderte er aufs Geratewohl über einen Fjord. Da sah er auf einem Felsabhang einen kleinen Fuchs, ging an Land, fing ihn ein und nahm ihn mit nach Hause; dort band er ihn erst an den Hauspfosten, nahm ihn dann mit ins Haus, liebkoste ihn und gab ihm Fleisch, wenn er selbst aß. Und der kleine Fuchs wuchs bei der guten Behandlung schnell heran und wurde ein großer Fuchs. Als er eines Tages vom Fang nach Hause kam und wie gewöhnlich alle Arbeit selbst verrichten wollte, fand er zu seinem Staunen die Felle, die er zur Bereitung zurecht gelegt hatte, bereits fertig vor. Und als er in sein Haus ging und Fleisch kochen wollte, war das Fleisch schon gekocht und alles so zubereitet, daß er sich nur zum Essen niedersetzen brauchte. Er konnte nicht fassen, wer die Arbeit getan hatte, begann aber zu essen und gab dem Fuchs wie gewöhnlich eine schöne Mahlzeit von Knochen.

Tags darauf ruderte er wieder zum Fang aus; als er aber ein Stück auf den Fjord hinausgekommen war, ruderte er in eine kleine Bucht in der Nähe seines Wohnplatzes und ging an Land. Von dort schlich er vorsichtig, indem er immer gute Deckung behielt, zu seinem Haus zurück und versteckte sich, um zu sehen, wer seine Felle bereitete und sein Fleisch kochte. Wie er so lag, kam ein wunderschönes Mädchen aus seinem Hause und begann die Felle zu bereiten. Da schlich er vorsichtig heran und faßte sie von hinten, bevor sie seiner gewahr geworden war. Es war ein sehr schönes Mädchen mit ungewöhnlich langem schwarzen Haar. Er trug sie ins Haus und dort wurde sie seine Frau. So froh war er über sie, daß er gar nichts bemerkte, daß der Fuchs verschwunden war. Nachts lagen sie beieinander und plauderten und machten es sich so recht gemütlich; als sie ihm aber zulächelte, entdeckte er, daß ihr Zahnfleisch ganz geschwollen war. »Warum ist dein Zahnfleisch so geschwollen?« fragte er. »Als ich am Hauspfosten angebunden stand, hast du mich mit Knochen gefüttert, davon ist mir das Zahnfleisch so angeschwollen.« Da erst merkte er, wie es seine liebe, kleine Frau gequält hatte, als sie noch ein Fuchs war. Von nun an lebten sie glücklich, und der Mann begann wieder wie sonst auf die Jagd zu gehen.

Eines Tages traf er auf dem Meere einen Bekannten im Kajak, sie plauderten zusammen und der Mann fragte ihn, ob er sich eine Frau genommen habe. »Na, und was für eine!« sagte der andere.

»Ist sie hübsch?«

»Ob sie hübsch ist! Eine schönere gibt es auf der ganzen Welt nicht.«

»Wollen wir Frauenaustauschen spielen?« fragte da der andere.

Und ehe der Mann recht wußte, wie es zuging, hatte er ja gesagt, denn er war ein junger Mann und wollte gern einmal bei einer anderen Frau schlafen. Sie verabredeten einen Tag und trennten sich.

Am verabredeten Tage kam der Fremde in seinem Kajak zum Wohnplatz, und als er gelandet war, ruderte der andere zu seinem Wohnplatz und legte sich zu dessen Frau. Als aber der fremde Mann ins Haus kam, schlug ihm solch seltsamer Fuchsgestank entgegen, daß er unwillkürlich ausrief: »Pfui, wie riecht es hier nach Füchsen! Was hat das zu bedeuten?«

Im selben Augenblick hatte die schöne Frau sich erhoben, und ehe der Mann wußte, wie ihm geschah, war sie zu einem Fuchs geworden und sprang aus dem Haus, indem sie »ka–ka–ka–« schrie. Der Fremde stand sprachlos vor Staunen, und nachdem er sich eine Weile allein im Hause aufgehalten hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als zu seinem Kajak zurückzukehren und nach Hause zu rudern.

Tags darauf kam der Ehemann nach Hause und konnte seine Frau nirgends finden. Er suchte nach ihr und schließlich fand er eine Fuchsspur, die in die Berge führte. Dieser Spur folgte er, und plötzlich wurden die Fuchsspuren zu Menschenspuren; und nachdem es eine Weile Menschenspuren gewesen waren, beobachtete er, daß es abwechselnd eine Menschen- und abwechselnd eine Fuchsspur war. Kurz darauf wurden beide wieder zu Fuchsspuren, und als er ihnen immer weiter folgte, kam er schließlich zu einem Felsen. In diesem Felsen war ein Spalt, und in diesem Spalt verschwanden die Spuren. Er legte sich auf die Lauer, und es dauerte nicht lange, da hörte er drinnen jemanden sprechen. Nachdem er eine Weile gelauscht hatte, rief er hinein: »Komm doch heraus, ich bin gekommen, um dich zu holen.« Da verstummten die Stimmen drinnen, kurz darauf aber hörte er seine Frau sagen, daß sie nicht zu ihm zurückkehren wolle. »Geh du zu ihm hinaus,« sagte sie zu jemandem, und gleich darauf kam eine Frau heraus. Hu, wie die aussah! Mit großen Augen, die ihr ganz aus dem Kopf traten; sie kam lachend auf ihn zu und sagte: »He–he–he, sie hat gesagt, daß du mich statt ihrer nehmen sollst.« »Nein,« sagte der Mann, »dich mag ich nicht, du hast viel zu große Augen.« Da lachte die Frau wieder, kehrte ihm den Rücken und ging in die Höhle zurück, und er hörte sie lachen und sagen: »Er mochte mich nicht, weil ich zu große Augen habe.«

Es war aber eine Schmeißfliege in Menschengestalt.

Ein Weilchen saß er draußen und wartete, rief dann wieder hinein: »Komm doch heraus, ich warte auf dich!« Wieder hörte er sie sagen, daß eine andere hinausgehen solle, und abermals kam eine fremde Frau auf ihn zu. War die andere häßlich, so war diese zum Erschrecken, ein altes runzliges Weib mit furchtbar vielen Beinen. Sie sagte: »He–he–he, du sollst mich anstatt deiner Frau nehmen.« Der Mann aber antwortete: »Dich mag ich nicht, du hast zu viele Beine.« Da machte sie Kehrt und ging wieder in die Höhle, und er hörte sie sagen: »Er mochte mich nicht, weil ich zu viele Beine habe.«

Es war aber eine Raupe in Menschengestalt.

Und wieder rief er nach seiner Frau und hörte sie abermals sagen: »Nein, ich will nicht zu ihm hinaus, aber geh du!« Und gleich darauf kam eine kleine schwarze Frau mit langen, langen Beinen heraus, furchtbar anzusehen, und sagte: »He–he–he, ich sollte sagen, daß du mich statt ihrer nehmen möchtest.« »Nein,« sagte der Mann, »dich mag ich nicht, du hast zu lange Beine.« Da kehrte die Frau in die Höhle zurück, und er hörte sie lachend zu den anderen sagen:

»He–he–he, er mochte mich nicht, weil ich zu lange Beine habe.«

Es war aber eine Spinne in Menschengestalt.

Und wieder rief er nach seiner Frau, sie aber antwortete: »Du hast ja gehört, daß ich nicht zu dir herauskommen will, komm du doch zu mir herein!«

»Wie soll ich denn zu dir hineinkommen? Das Loch ist ja viel zu klein.«

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Eine alte Frau hatte so viel Kummer in ihrem Leben gehabt und so viele Tränen vergossen, daß ihr Körper schließlich gewichtlos wurde und sich zum Himmel aufschwang.

 

Dazu antwortete sie: »Mach die Augen zu und versuch es.« Das tat er und so gelangte er durch das Loch. Als er die Augen öffnete und sich umblickte, befand er sich in einem kleinen Haus und siehe da, da saß seine Frau! Er eilte gleich auf sie zu, setzte sich neben sie, und weil er ihr in seiner Freude etwas Angenehmes sagen wollte, legte er seinen Kopf in ihren Schoß und sagte: »Ach, wie lange war ich nicht bei dir; such mir die Läuse ab.« Sie begann gleich damit und während sie ihn lauste, sang sie:

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Es waren einmal zwei Geisterbeschwörer, die sich zu einem Wettflug herausgefordert hatten. Es war mittwinters und bitterlich kalt, und dennoch mußten sie, wie alle Geisterbeschwörer, nackt fliegen. Als sie in die Nähe des Inlandeises kamen, wurde der eine Geisterbeschwörer steif vor Kälte und fiel in eine Schneewehe, aus der er sich nicht mehr erheben konnte. Vergebens ruft er seinen Gegner an, innezuhalten und ihn mitzunehmen; dieser fliegt unangefochten zum Wohnplatz.

 

»Leg dich zur Ruhe,
Schlaf ein, schlaf ein!
Wenn es Frühling wird,
wenn die Spechte kommen,
magst du erwachen.
Leg dich zur Ruh, leg dich zur Ruh!
Wenn es Frühling wird,
wenn die Fliegen kommen,
magst du erwachen.
Schlaf ein, schlaf ein!
Wenn es Frühling wird,
wenn die Seeschwalben kommen,
magst du erwachen.«

Und plötzlich war es, als ob ihm die Sinne vergingen. Er fiel in einen tiefen Schlaf, und als er erwachte, war er ganz allein im Haus. Er kroch hinaus und blickte sich um, und sieh – als er hineinkroch, war es Winter gewesen, jetzt war es Frühling geworden, die Bäche hatten ihre Eisdecke gesprengt und schäumten über die Felsen, Schmeißfliegen summten ringsum, und die Spechte hackten mit ihren Schnäbeln und schwatzten durcheinander und über einer kleinen Bucht flogen die Seeschwalben wie Schneeflocken und tauchten ins Wasser nach Fischen.

Langsam ging er auf sein Haus zu und lebte wieder wie damals, als der kleine Fuchs noch nicht seine Frau geworden war. Und er fing wie gewöhnlich viele Seehunde, die er selbst zerlegen mußte, und alle Felle mußte er selbst bereiten, und es nützte nichts, daß er bereute, seine Frau geopfert zu haben, um neben einer fremden Frau zu schlafen.

Und hiermit endet die Geschichte von dem Mann, der sich einen Fuchs zur Frau nahm.


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