Wilhelm Raabe
Stopfkuchen
Wilhelm Raabe

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Es kommt wirklich nicht darauf an, was ich damals geantwortet habe oder antworten konnte. Es genügt, daß er, wahrscheinlich ohne meine Antwort abzuwarten, fortfuhr: »Was mich anbetrifft, so glaubst du sicherlich, daß ich wieder zuerst zu meiner Frau ging, irrst dich jedoch. Diesmal ging ich zuerst hinten in die Kammer zu meinem Riesenfaultier, besah mir dessen saubere Reste noch einmal und sagte: ›Alter Gesell, was hätte es denn dir ausgemacht, wenn Stopfkuchen ein paar Wochen oder ein paar Jahre dich später aufgedeckt hätte?‹ Und nachdem das gute Tier mir die genügende Antwort gegeben hatte, ging ich wieder zum Tinchen und besah auch das mir wieder einmal genau, von der Frisur bis zu den Schuhspitzen; und dabei dachte ich denn ausnahmsweise auch mal ein bißchen an mich. Ich streichelte dem Herzen die Backen; so unsägliche Mühe hatte es mich gekostet, dies behagliche, reinliche, zierliche Rom aufzuerbauen – und nun sollte das alles umsonst sein? Und warum? wegen wessen? wofür und wozu? Kienbaums wegen? Der ewigen und der menschlichen Gerechtigkeit wegen? Ich sah mir mein Weib an, sah mir die Zeitgenossenschaft an und nahm jeden aus der letztern, soweit sie um die rote Schanze herum wohnte, vor. Um nachher von der Gesamtheit keinen Vorwurf zu verdienen, nahm ich es mit jedem einzelnen ernst; und – ich fand nicht einen drunter, dem ich persönlich verpflichtet gewesen wäre, ihm sofort bekanntzumachen, wer in der Tat Kienbaum totgeschlagen hatte. ›Aber die ewige Gerechtigkeit?‹ wirst du fragen, Eduard. Ja, sieh mal, lieber Freund, in deren Belieben hatte es, meiner Meinung nach, denn doch lange genug gelegen, das ihrige zur Sache zu tun. Da sie es nicht getan hatte und den Vater Quakatz allein hatte suchen lassen, so hatte sie von seinem Schwiegersohn gar nichts zu verlangen: ich aber durfte sie dreist ersuchen, jetzt meine Frau mit den widerwärtigen Geschichten wenigstens so lange, als es gar nicht anders ging, in Ruhe und Frieden zu lassen. Blieb also nur die Frage: Aber du? Nämlich ich, lieber Eduard – Heinrich Schaumann, genannt Stopfkuchen. – Dir sitzt doch nun mal der Floh im Ohr, Heinrich! willst und kannst du ihn wirklich ruhig sitzenlassen, ohne den Kitzel wenigstens wegzujucken? Ein Gott hätte man sein müssen, um das zu können, und, wie ich mich auch schätzte, auf diesen hohen Standpunkt oder bis zu dieser, wenn du lieber willst, Dickfelligkeit hatte ich mich noch nicht erhoben, und da sagte ich mir denn: Na, so kratze dich, da es juckt und wo es juckt! sitze erst mal selber zu Gerichte über den verjährten Sünder: nimm ihn mal unterwegs vor, aber allein! Ist dir in der Sache schon einmal allein der Präsentierteller unter die Nase gehalten worden, so macht sich das sicherlich auch zum anderen Male. Laß sie dich nicht umsonst Stopfkuchen genannt haben. Friß auch dieses für dich allein herunter. Und am liebsten auch wieder unter der Hecke, so unterm Brombeerbusch, bei ruhigem blauem Himmel und heller Sonne, mit den Feldgrillen als Beisitzern und dem Angeklagten, dem Landbriefträger Friedrich Störzer auf dem Chausseegrabenrand dir gegenüber ... Aber Kind, Meta, so laß dich doch endlich mal wieder sehen! Heraus da aus dem dunkeln Winkel und hier an den Tisch, Mädchen!«

Der Folterer klopfte mit dem Hammer an die Daumschrauben – nein, er klappte mit dem Deckel seines Kruges, und Meta, bleich, aufgeregt, mit fliegendem Atem wankte hinter ihrem Schenktische hervor.

»O Gott, Gott, Herr Stopf- Herr Schaumann, lieber Herr Schaumann, ich kann ja nichts dafür, aber –«

»Gehorcht hast du. Nun, weißt du, dann mach es dir bequemer, setz dich her und höre weiter. Aber erst noch einen Schoppen und dem Herrn da – nein, der scheint nicht mehr zu wollen; aber er hat auch nur zugehört und seinen genauesten Freund reden lassen. So! jetzt rücke her, Herz, und laß dir erzählen. Deine Abend-Stammgäste kommen ja wohl bald? Ich höre die Schritte der großen Bruderschaft der Erde nahen; und siehst du, Eduard, besser konnte sich die Sache gar nicht für mich machen: der alte Störzer ist tot, hat seinen fünfmaligen Marsch um die Erde vollendet, und zu dem Tinchen kommt morgen Frau Fama auf ein halbes Stündchen zum Besuch und setzt sich zu der Erbtochter der roten Schanze eine Weile auf den Grabenrand des Prinzen Xaver von Sachsen; und ich habe es nachher wirklich behaglicher mit meinen dazugehörigen Kommentaren. Das Glas ist aber schlecht eingeschenkt, Jungfer!«

»O Gott, darauf achten Sie noch? Darauf können Sie jetzt achten, Herr Schaumann?« schluchzte das entsetzte, zitternde junge Ding.

»Da, setz dich her, Krabbe, und sperr jetzt weiter die Ohren auf und nachher den Schnabel, meinetwegen, so weit du willst: des Menschen Maul tut heute in dieser Angelegenheit keinen Schaden mehr. Wenn das Schicksal will, daß Leute zusammenkommen, weiß es das schon einzurichten. Ich tat in diesem Falle gar nichts dazu: ich ging meine Wege und ließ Störzer die seinigen gehen: ihm irgendwo hinter einem Busch einer meiner Hecken aufzupassen und ihn beim Kragen zu nehmen, lag nicht in meiner Natur. Meine Wege? Sie führten mich nimmer weit über meinen Grenzwall hinaus; aber doch von Zeit zu Zeit wenigstens ein wenig hinein in die Feldmark. Bist du Mitgründer und Aktieninhaber einer Zuckerfabrik, so siehst du auch in Afrika dann und wann nach deinen und der andern Rüben, so faul du auch sonst auf deiner Löwenhaut liegen und Gier-Maulaffen feilhalten magst. Auf einem dieser beschwerlichen Gänge kam es denn zu der Auseinandersetzung. Du weißt, wo die kaiserliche Poststraße von der Stadt her nach Gleimekendorf durch das Bauerngehölz, den Papenbusch, führt. Die Schlupfpfade unserer Jungenszeit laufen heute noch dort kreuz und quer, aber teilweise immer auch noch auf die Landstraße zu. Der Busch ist ein wenig höher geworden; aber der Graben, der ihn auf beiden Seiten der Landstraße von derselben scheidet, ist ganz derselbe geblieben. Man muß ihn überspringen oder hindurchsteigen, wenn man auf den Heerweg will. Und letzteres war meine Absicht. Ja, ja, nur nicht zappeln, Mariechen oder Metachen! Ich bin ein wenig breit – auch in meiner Schöne-Geschichten-Erzählungsweise. Aber dafür sind andere Leute desto kürzer, und so gleicht auch das sich im großen und ganzen immer wieder aus. Ob die Zweige auf dem lieben Waldpfade um mich her sehr rauschten und raschelten, als ich fürderschiebend sie auseinanderbog, weiß ich nicht. Jedenfalls wurde der Mann, der da mit dem Rücken gegen den Busch auf dem Grabenrande saß, durch mein und der Erinnyen Näherkommen nicht sofort aus seiner Beschaulichkeit aufgestört. Ausnahmsweise kamen die letztern auch mal wieder als Eumeniden. Meinetwegen! wenn sich Zürnen und Wohlwollen im gegebenen Falle vereinigen ließen, war das mir wahrhaftig recht! – ›Guten Tag, Alter! Hier ist's ja wohl gewesen?‹ und er gab den Gruß nicht zurück, und die Frage beantwortete er dadurch, daß er herum- und emporfuhr und seinen Wanderstab mit so verzerrtem Gesicht und mit solch einem festen Griffe faßte, daß ich unwillkürlich auch den meinigen erhob und rief: ›Sind Sie verrückt, Störzer? Soll etwa jetzt hier am Ort der gute Freund Schaumann dran? Na, ich meine, wir lassen es bei dem einen bewenden, und die Welt hat auch wohl genug gehabt an – Kienbaum!‹ Darauf begab sich etwas, was ich mir so nicht voraus hingemalt hatte. Daß das arme Menschenkind seinen Knüttel fallen ließ und den dicken Stopfkuchen für den Jüngstengerichtsboten in Person nahm und abwehrend beide zitternde alte Arme ihm entgegenstreckte, das war in der Ordnung; aber von Überfluß war's, daß es sich selbst fallen ließ und mit einem: ›Herr! Herr! o Jesus, Sie wieder?‹ die Böschung hinabrutschte, sich in seinen Chausseegraben legte, und zwar aufs Gesicht – beide Hände drunter, vor den Augen, wie ein Kind, mit racheanlockend-hochgehobenem Hinterteil. Da hatte ich die Bescherung! Ich bin fest überzeugt, wenn ich je in meinem Dasein ein Nußknackergesicht gemacht habe, so ist's damals gewesen. Was blieb mir nun anderes übrig, als ebenfalls in den Graben hinunterzuächzen und den armen Schächer an der Schulter zu rütteln und ihm zuzureden: ›So beruhigen Sie sich doch nur, Störzer! Es ist ja die ganzen langen Jahre für Sie recht gut gegangen; also richten Sie sich wenigstens auch jetzt noch mal auf und zeigen Sie noch einmal Ihr Gesicht. Ich gebe Ihnen mein heiliges Wort darauf, Alter, daß ich mit Ihnen ganz verständig und ruhig über die Sache reden werde.‹ Ja, rede einmal einer zu einem von euch, lieber Eduard, in einem solchen Falle mit Ruhe vernünftig! Es dauerte eine geraume Weile, ehe auch diesem betrübten Sünder das bekannte Zucken über die Schulterblätter lief und er noch durch andere Zeichen und auch Laute bewies, daß er verstehe, was der gute Bruder im Erdendurcheinander auf ihn hineinspreche. Nachher haben wir denn freilich eine ziemlich inhaltvolle Vertrauensstunde, auf dem Grabenrande beieinander sitzend, miteinander zugebracht. Es würde gewiß ein zu starkes Stück gewesen sein, wenn der alte Bursche mit seinem beneidenswertest dicksten Fell der ganzen Gegend auch jetzt noch nichts von seinem Geheimnisse durch die Poren hätte durchsickern lassen wollen. Meinst du nicht auch, lieber Eduard?«

Ich meinte gar nichts mehr. Ich hörte den jetzigen Mann von der roten Schanze, den Erbnehmer des Mordbauern Quakatz so sprechen im Goldenen Arm und saß zu gleicher Zeit auch am Grabenrand im Papenbusch mit meinem Freund Friedrich Störzer und hörte den reden von Afrika und wie schön es da sein müsse und wie angenehm es sich von den Abenteuern und der Friedfertigkeit dorten lesen lasse in dem wunderschönen Buche von Herrn Levalljang.

Stopfkuchen legte die Hand auf den Deckel seines Kruges.


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